Die Künstler Ober St. Veits

Ein Fragment
10.10.2018

Es wäre zu weitgehend und nicht zweckdienlich, in diesem Beitrag auf alle Teilbereiche der Kunst gleichermaßen einzugehen.

Zur Architektur verweise ich auf Gerhard Weissenbachers Bände In Hietzing gebaut.

Zur Literatur verweise ich vor allem auf den Beitrag „Bekannt  und unbekannt“, der die Dichter und Schriftsteller in der Region Ober St. Veit kurz porträtiert und Links zu umfassenderen Biografien enthält. An der Erweiterung dieses Literaturbeitrages bis hin zu den erfolgreichen zeitgenössischen Ober St. Veiter Autoren Thomas Raab und Georg Thiel arbeite ich. In Elisabeth Glaesers Bücher & Geschenkeladen in der Hietzinger Hauptstraße 147 werden Sie zu diesen Autoren rasch fündig werden.

Die Musik mit den Hauptsparten Komposition und Interpretation ist selbst in enger regionalgeschichtlicher Betrachtung ein umfangreiches Thema, das weit ins dörfliche Ober St. Veit zurückreicht und eine separate Betrachtung verdient. Auch daran wird gearbeitet.

Die darstellenden Künste wurden ebenfalls auf dieser Plattform mit dem Beitrag „Theater und Kino – Auch das gab's in Ober St. Veit“ gewürdigt.

Somit bleiben die Bildhauerei und die Malerei als Schwerpunkt für diesen Beitrag.

Das passt zu einem gegebenen Anlass, und zwar dem bevorstehenden 90. Geburtstag des Malers und Bildhauers Eduard Diem, geboren am 9. April 1929 in Jetzelsdorf bei Haugsdorf nahe der tschechischen Grenze. Er begeisterte sich schon sehr früh für die Malerei, und bald nach Kriegsende zog es ihn nach Wien. In Unter St. Veit im Haus Hietzinger Kai 123 fand er eine erste sehr bescheidene Bleibe für sich und seine junge Familie. Zwei Standbeine – erfolgreich ausgeübte Jobs im Werbebereich und eben die Kunst – ermöglichten bald bessere Wohn- und Arbeitsbedingungen an verschiedenen Standorten in Wien.

1980, im Alter von über 50 Jahren, wagte er es, freischaffend nur mehr von seiner Kunst zu leben. Er schaffte dies sogar ohne Bindung an irgendwelche Einrichtungen wie insbesondere Galerien. Sogar das Ausnutzen von Kontakten zu prominenten Persönlichkeiten oder das heute so wichtige „Netzwerken“ lagen ihm fern. Damit ist es zu erklären, dass er dem breiten Publikum unbekannt blieb, obwohl sich kaum ein zeitgenössischer Künstler so intensiv mit der klassischen Moderne und ihrem Spannungsfeld zwischen der abstrakten, ungegenständlichen Form und einer überscharfen Erfassung der Realität befasste und nach wie vor befasst, so wie er. Er ist auch ein erstrangiger Zeitzeuge des modernen Kunstbetriebes bis zurück zu Henry Moore oder Pablo Picasso.

Hier können Sie eine Würdigung Eduard Diems als Mensch und Künstler von Professor Gotthard Fellerer nachlesen. Prof. Fellerer ist ebenfalls ein „Urgestein“ der Österreichischen Kunstszene, der sich seit 1960 als bildender Künstler, Musiker, Ausstellungskurator, Gestalter, Didaktiker, Publizist und „Kunstmultiplikator“ (Herausgeber der BravDa) intensiv mit Kunst und deren Grenzgebieten auseinandersetzt.

Vor rund fünf Jahren führte das Schicksal Eduard Diem zurück in den 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing, und zwar nach Ober St. Veit. Die regionale Würdigung seines 90. Geburtstages geschah daher im Rahmen einer Ausstellung im Großen Festsaal des Amtshauses Hietzing. Die Vernissage war am 9. Mai 2019.

Eduard Diem. Porträt vom 9. Oktober 2018 © Archiv 1133.at
<p><b>Eduard Diem</b></p><p>Porträt vom 9. Oktober 2018</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>

Eduard Diem ist damit der älteste und zugleich jüngste Bildhauer und Maler in Ober St. Veit. Dies macht es sehr treffend, die Würdigung seiner Person in die folgende lokalhistorische Betrachtung dieser beiden Kunstgattungen einzubetten.

St. Veit an der Wien war bis ins frühe 19. Jahrhundert ein Weinbauerndorf und hatte bis dahin keine Künstler hervorgebracht. Allerdings hatte es in der Person des Wiener (Erz-)Bischofs eine prominente Grundherrschaft, und dieser ist eine prachtvolle Kirche und ein repräsentatives Schloss zu verdanken. Mit diesen beiden Bauwerken kam natürlich schon sehr früh hochrangige, oft von weither beschaffte Kunst in den Ort. Als Beispiele dafür sei an die Ausstattung der Pfarrkirche mit den Altar- und Kreuzwegbildern aus dem 18. Jahrhundert und an die Ausstattung des Schlosses, unter anderem mit dem St. Veiter Altar aus dem frühen 16. Jahrhundert, heute im Dom- und Diözesanmuseum ausgestellt, sowie mit den im 18. Jahrhundert von Johann Nepomuk Bergl bemalten Gartenzimmern und mit den Fresken in der Galerie erinnert.

Im 19. Jahrhundert, als der Ort bereits Ober St. Veit genannt wurde und in seinem Zentrum „vorstädtischen“ Charakter angenommen hatte, lockte er auch private Mäzene an. Der prominenteste unter ihnen war wohl Karl Graf Lanckoronski (1848–1933). Die Schönheit der Landschaft hatte ihn beeindruckt, und er ließ in den Jahren von 1894 bis 1896 am Gemeindeberg das einzigartige Faniteum errichten und stattete es reichlich mit Kunstgegenständen aus. Für die (öffentlich nicht zugänglichen) Fresken im Hauptkorridor, die heute noch bestehen, holte er den Frankfurter Maler Wilhelm Steinhausen.

Die Steinhausen-Fresken im Faniteum. Die dargestellten sechs der sieben Werke der Barmherzigkeit zu einem Panorama zusammengefügt. Fotografiert am 12. Juli 2014 © Archiv 1133.at
<p><b>Die Steinhausen-Fresken im Faniteum</b></p><p>Die dargestellten sechs der sieben Werke der Barmherzigkeit zu einem Panorama zusammengefügt. Fotografiert am 12. Juli 2014</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>

Es ist ebenfalls das gründerzeitliche 19. Jahrhundert, für das erstmals in Ober St. Veit ansässige Künstler namhaft gemacht werden können. Die erhalten gebliebenen Konskriptionslisten der Jahre 1869 und 1880 nennen erstmals Berufe wie Porträtmaler, Porzellanmaler, Fächermaler oder Historienmaler. Freilich wurden diese Berufe noch in einem sehr handwerklichen und auch zweckbezogenen Umfeld ausgeübt. Die Strahlkraft des Kaiserlichen Hofes in Schönbrunn, die vor allem Alt-Hietzing einen enormen Zuzug mit kulturellem Hintergrund bescherte, begann erst allmählich auch bis in Vororte wie eben Ober St. Veit auszustrahlen. Die berühmtesten Beispiele dafür sind Gustav Klimt (1862–1918) mit seinem Atelier in der Feldmühlgasse 11 (Unter St. Veit) und vor allem Egon Schiele (1890–1918), er hatte sein Atelier von 1912–1918 in der Hietzinger Hauptstraße 101. Das Wohnhaus seiner Schwiegereltern und gleichzeitig sein Sterbehaus war schräg vis-à-vis die Hietzinger Hauptstraße 114.

Es sind größtenteils Zeitgenossen dieser „Superstars“, die in einem frühen Ober St. Veiter Künstlerindex nicht fehlen dürfen, auf Grund ihrer teilweise geringen Bekanntheit aber manchmal nur in alten Adressbüchern wie dem „Lehman“ ohne weitere biografische Informationen auffindbar sind:

  • Camillo Brockelmann (1883–1963), akademischer Maler, wohnte von 1919 bis 1936 in der Hietzinger Hauptstraße 101.
  • Karl Wilhelm Diefenbach (1851–1913) sorgte ab den 1880er-Jahren für Aufsehen, und zwar als barfüßiger Vegetarier in Kutte gekleidet, als Lebensreformer, der die Nacktheit propagierte, als selbsternannter Prophet, der den Frieden predigte, und nicht zuletzt als Maler von monumentalen spätsymbolistischen Gemälden, mit denen er für seine Ideen warb. 1897 gründete er am Himmelhof eine umstrittene Landkommune mit nur rd. zweijährigem Bestehen.
  • Carl Gödel (1870–1948), Kunstmaler in der Spohrstraße 55.
  • Hans Götzinger (1867–1941). Ein Meister das Aquarells mit langjähriger Adresse Hackinger Kai 11. Er hat uns viele authentische Ansichten aus der Region hinterlassen.
  • Max Kremser, Bildhauer in der Firmiangasse 39. Über ihn sind nur wenige Lebensdaten bekannt. 1930 schuf der „äußerst schaffensfrohe Bildhauer, ein Schüler Professor Redlichs“ die Franz Lauer-Medaille für den Ober St. Veiter Männergesangverein.
  • Heinrich Krippel (1883–1945), einer der erfolgreichsten Bildhauer seiner Zeit, wohnte und arbeitete in der Auhofstraße 127. Um einen bestimmten geistigen Inhalt klar und eindeutig zum Ausdruck zu bringen, lag ihm das Wuchtige genauso wie das Weiche, Liebliche. Weltweit bekannt wurde er ab 1925 durch die Denkmäler für Kemal Atatürk, die ersten Bildnisskulpturen in der Türkei nach dem Untergang des Osmanischen Reiches.
Auferstehung. Grabdenkmal auf dem Ober St. Veiter Friedhof, geschaffen von Heinrich Krippel. Große, aus den Wolken herabgreifende Finger heben den Kopf des Verklärten auf, sodass sich seine Augen in den Himmel richten. Fotografiert am 19. Oktober 2018 © Archiv 1133.at
<p><b>Auferstehung</b></p><p>Grabdenkmal auf dem Ober St. Veiter Friedhof, geschaffen von Heinrich Krippel. Große, aus den Wolken herabgreifende Finger heben den Kopf des Verklärten auf, sodass sich seine Augen in den Himmel richten. Fotografiert am 19. Oktober 2018</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>
  • Franz Carl Renner (1886–1957), Kunstmaler in der Gogolgasse 30.
  • Alexander Rothaug (1870–1946) lebte in der Hietzinger Hauptstraße 114. Er war ein Kraftmensch mit der Palette: Motive aus der klassischen Mythologie verwandelten sich auf seinen Gemälden zu Szenen von barbarischer Wildheit, der dramatische Moment galt ihm viel. Und noch mehr der Effekt.
  • Georg Saatzer (1926–2004), wohnte zuletzt in der Auhofstraße 44. Er hat das alte Ober St. Veit in vielen Gemälden und Zeichnungen festgehalten. Daher haben seine Werke neben dem künstlerischen auch einen dokumentarischen Wert.
  • Frieda Salvendy (1887–1968), Kunstmalerin in der Hietzinger Hauptstraße 99.
  • Emmerich Schaffran (1883–1962), Kunstmaler in der Glasauergasse 8.
  • Karl Stemolak (1875–1954), Bildhauer in der Auhofstraße 142. Für ihn stand das Abbild des Menschen im Mittelpunkt, die menschliche Gestalt in monumentaler Ruhe. Dies bewies er mit seinen Bauplastiken am Wiener Justizpalast.
  • William Unger (1837–1932), wohnte von 1893–1919 in der Schweizertalstraße 26. Radierer, Kupferstecher und Aquarellmaler (Landschaften).
  • E. Weid, Kunstmaler in der Spohrstraße 49.
  • Leopold Zobel (1907–1942). Der eigenwillige aber hochtalentierte Leopold Zobel ist ein extremes Beispiel für den unglaublichen, im Dritten Reich erlittenen Verlust an künstlerischer Brillanz. Sein Versuch, sich dem Wehrdienst zu entziehen, misslang, und er starb im KZ Flossenbürg.

Der steigende Wohlstand in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gab und gibt immer mehr Menschen die Möglichkeit, sich mit unterschiedlichster Intensität in kunstschaffender Weise zu betätigen, vom privaten Hobbykünstler bis zum akademisch ausgebildeten, hauptberuflichen Künstler. War und ist es schon schwierig, die lokale Kunstszene des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts einigermaßen umfassend zu durchleuchten, so ist dies für die heutige Zeit absolut unmöglich, jedenfalls hinsichtlich der leicht zugänglichen Malerei. Aus diesem Grund will ich für diesen Beitrag – vom zuerst genannten Eduard Diem abgesehen – nur drei zeitgenössische Künstler und – soweit vorhanden – deren Vorgänger nennen, stellvertretend für die vielen anderen: Wolfgang Karnutsch, der das Atelier von Heinz Satzinger übernommen hat, Benedikt Kobel, und die akademischen Maler in zwei Generationen Alois und Mag. Gerhard Weissenbacher.

Heinz Satzinger (geb. 1921) war Bildhauer, Grafiker und Restaurator. Nach frühen, naturgetreuen Arbeiten fand er bald zu einer klaren Formensprache mit Reduktion auf das Wesentliche. Die wenige Zeit, die Heinz Satzinger in Österreich verbrachte, wohnte er im eigenen, 1954 erbauten Haus am Roten Berg. Hier hatte er auch sein Atelier. Im Zuge des Rückzuges nach Hainburg im Jahr 2001 übergab das Ehepaar Satzinger das Haus samt Atelier an einen jungen Bildhauer: Wolfgang Karnutsch, seit 1988 freischaffender Bildhauermeister. Die Anatomie und die Ausdrucksmittel in Körperhaltung, Bewegung und Mimik, verstärkt durch Verzerrung, Verfremdung oder Vereinfachung sind die Lieblingsmotive des Künstlers, der auch Mitglied der IG der Kaufleute Ober St. Veit ist.

Bei Benedikt Kobel sind gewisse Parallelen zu Eduard Diem erkennbar: Er ist Opernsänger von „bürgerlichem Erstberuf“, doch die Liebe zur Kunst, in seinem Fall der Strich auf dem weißen Blatt, hatte ihn schon sehr früh erfasst, und er hat sein ganzes Leben nicht mehr aufgehört, alle möglichen Themen zeichnerisch darzustellen, seit der Übersiedlung nach Ober St. Veit im Jahr 2000 auch malerisch. Zahlreiche Ausstellungen und Buchveröffentlichungen machen sein Hobby mittlerweile zu einem Zweitberuf.

Benedikt Kobel: „Die Ober St. Veiter Pfarrkirche“.. © Benedikt Kobel
<p><b>Benedikt Kobel: „Die Ober St. Veiter Pfarrkirche“.</b></p><p><i>&copy; Benedikt Kobel</i></p>

Und als Abschluss: die akademischen Maler in zwei Generationen Alois und Mag. Gerhard Weissenbacher. Das Leben von Vater (1895–1970) und Sohn (geb. 1941) Weissenbacher weist grundsätzliche Parallelen auf: Beide wirkten neben ihrer erfolgreichen künstlerischen Tätigkeit auch als AHS-Lehrer: der Hütteldorfer Alois in Baden, und der 1972 nach Ober St. Veit gezogene Gerhard in der Fichtnergasse. Im Künstlerischen unterscheiden sie sich jedoch grundsätzlich: Alois' Schwerpunkte waren Porträts, alte Werkstätten, Innenräume aus dem bäuerlichen Milieu und Landschaften (siehe die Winterlandschaft am Cover dieses Blatt'ls). Unter anderem porträtierte er Bundeskanzler Dr. Ignaz Seipel und den Abt des Stiftes Heiligenkreuz, Gregor Böck. Der Schwerpunkt der Arbeit Gerhard Weissenbachers ist demgegenüber die Grafik, insbesondere die Originalzeichnung. In einem langsamen, zeitaufwendigen Arbeitsprozess fügt er Striche zu strukturierten Flächen mit feinsten Schattierungen. Meist sind es Themen aus der Architektur oder aus der Vorstellung, jedenfalls an Urformen angenäherte Reduktionen. Mit ihrer fast mystischen Spannung beziehen sie den Betrachter in die meditative Dichte des Schöpfungsaktes ein und führen ihn zum Wesentlichen hinter dem Sichtbaren. Das konkrete Thema ist nur Ausgangspunkt. Hauptziele für das abgeschlossene Werk sind Zeitlosigkeit und Allgemeingültigkeit. Künstlerische Arbeiten Gerhard Weissenbachers sind im Besitz der Albertina, des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur, der Niederösterreichischen Landesregierung, der Staatlichen Galerie des Fürstentums Liechtenstein und privater Sammlungen.

Gerhard Weissenbacher: „Olympic/Titanic“ (2016/17). Pinsel, Feder, Tusche, 34,7cm x 47,8cm. „Olympic“, Schwesterschiff der 1912 untergegangenen „Titanic“, im Bau am Trockendock. Im Hintergrund eine Arbeitsdampfmaschine. © Gerhard Weissenbacher
<p><b>Gerhard Weissenbacher: „Olympic/Titanic“ (2016/17)</b></p><p>Pinsel, Feder, Tusche, 34,7cm x 47,8cm. „Olympic“, Schwesterschiff der 1912 untergegangenen „Titanic“, im Bau am Trockendock. Im Hintergrund eine Arbeitsdampfmaschine.</p><p><i>&copy; Gerhard Weissenbacher</i></p>

Gerhard Weissenbacher hat unsere Region aber noch in völlig anderer Hinsicht bereichert: Eine Projektarbeit mit Schülern einer 7. Klasse gipfelte in einer Ausstellung der wichtigsten Architektur und Skulptur des 13. Bezirkes. Daraus ergab sich eine 16 Jahre dauernde, von vielen Helfern unterstützte Arbeit, an deren Ende die beiden Bücher „In Hietzing gebaut. Geschichte und Architektur eines Wiener Bezirkes“ stand. Der erste Band erschien 1996 und der zweite Band 1998. Heute sind sie über die Region hinaus geschätzte Standardwerke, und ich habe sie am Anfang dieses Beitrages als Referenz für die Architektur in Hietzing empfohlen.

hojos
im Oktober 2018