Keine Soldaten mehr in Patritannien

Ein großer Schritt in eine bessere Welt
01.04.2019

Die heutige Sitzung des patritannischen Nationalrates setzte einen Meilenstein: Die Auflösung des Bundesheeres. Das „Gesetz über die immerwährende Hass- und Gewaltlosigkeit“, das diesen von vielen Seiten geforderten Schritt und die damit zusammenhängenden Maßnahmen regelt, wurde einstimmig angenommen und ist jetzt Teil der patritannischen Bundesverfassung.

Die Skepsis gegenüber einer sogenannten Landesverteidigung, die sich in der Zivilgesellschaft schon längst festgesetzt hatte, wurde durch einen Zeitungsartikel vom 1. April 2018 entscheidend vertieft. Dieser trug eine Ungeheuerlichkeit an die Öffentlichkeit: In geheimen, über das gesamte Bundesgebiet verteilten Magazinen sollen gewaltige Mengen an Waffen und Munition lagern. Hinter vorgehaltener Hand war dies zwar schon früher zu vernehmen, doch wurde es immer als eine offensichtliche Verschwörungstheorie abgetan. Sieglinde Schwammerl, die Obfrau der kometenhaft aufgestiegenen Partei 3S, sah jedoch die Zeit gekommen, diese Behauptung endgültig zu klären. Wenige Tage nach dem besagten Zeitungsartikel richtete sie eine parlamentarische Anfrage an den damaligen Friedensminister Friederich Stückerl.

Schwammerl und Stückerl, das war wiederholt zu beobachten, verband eine knisternde Animosität. Der Sieg von Sieglinde Schwammerl mit der von ihr gegründeten 3S (in geeigneten Momenten auch SSS, das Akronym für Staaten sind schlecht, andere meinen für Sieglinde Schwammerl Superstar) war ja die ganz große Überraschung der Nationalratswahl vom 31. September 2017. Schwammerl errang einen Erdrutschsieg, der fast zur Gänze zulasten der VRP (Vereinigte Rechte Patritanniens) ging. Letztere schrumpfte im Nationalrat auf drei Mandate. Die Ursachen für diese Verwerfung blieben bis heute im Dunklen. Viele sehen die neuerlich zugenommene Briefwahl bei 200%-iger Wahlbeteiligung in den Pflegeheimen dafür verantwortlich, manche bringen sie mit der Namenswahl der 3S in Verbindung. In den Wahlveranstaltungen jedenfalls hatte Frau Schwammerl ihre Vorhaben zum Verteidigungsministerium gekonnt kaschiert. Nicht einmal aus ihrem 18-Punkte-Programm  konnte man das deutlich herauslesen. Nachher hatte sie die Umbenennung des Verteidigungsministeriums in Friedensministerium sehr wohl durchgesetzt, mit Herrn Stückerl als Friedensminister. Aber dieser war den Beharrungskräften in seinem Ministerium nicht gewachsen und konnte keinen weiteren Umbau in seinem Ministerium durchsetzen. Das führte zu der oben angesprochenen Animosität.

Nun war es soweit, und Sieglinde Schwammerl wollte es wirklich wissen: „Gibt es diese Waffen samt Munition und wofür sind diese gedacht?“, so lautete die parlamentarische Anfrage. Bisher hatte der neue Friedensminister nur gelacht, wenn dies zur Sprache kam, aber die hohe öffentliche Aufmerksamkeit und die Details, die Stück für Stück bekannt wurden, ließen ihn diesmal sehr vorsichtig agieren: Er fragte den Chauffeur des Generalstabschefs (den Chef selbst hatte er am Tag zuvor pensionieren lassen) und musste schließlich zugeben: „Ja, es gibt diese Waffenlager, und die Waffen sind zum Töten bestimmt.“ Aber er beeilte sich auch hinzuzufügen, dass es sich dabei um Altlasten handelte. In seiner Zeit als Friedensminister wurde keine einzige Patrone gekauft. Womit denn auch, ohne Geld.

Das löste natürlich einen Aufschrei in patritanniens und auch in den internationalen Qualitätsmedien aus. Wo bleibt hier die Menschlichkeit, und gegen wen will das Friedensministerium denn Krieg führen? Hingewiesen wurde von einigen Bürokraten auf das bestehende Wehrgesetz. Demzufolge oblag dem Bundesheer vor allem die militärische Landesverteidigung und der Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer Handlungsfähigkeit und der demokratischen Freiheiten der Einwohner sowie die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren überhaupt. Und das eben als bewaffnete Macht. Und über die Umbenennung des Verteidigungsministeriums in das Friedensministerium hinaus wurde ja nichts verändert.

Bald war allen klar: Das ist ein veraltetes und letztendlich unbrauchbares Gesetz. Denn wäre es tatsächlich ernst genommen worden, hätte dieses Bundesheer schon vor Jahren seinen Grenzschutz wieder aufnehmen müssen.

Aber es könnte doch auch einen bewaffneten Angriff geben, erwiderten die Bürokraten, jetzt schon etwas kleinlaut geworden. „So ein Unsinn, was soll denn das für einen Unterschied machen?“ erwiderte Frau Schwammerl diesen Kleingeistern. „Glaubt ihr denn wirklich, dass diese Menschen, denen irgendwelche verblendeten Hintermänner Kanonen in die Hand drücken, freiwillig kommen? Sie sind in einer Notlage, wie es keine schlimmere geben kann! Und dieser Verteidigungswahn ist doch eine längst überwundene Groteske früherer Nationalstaaten!“

Bereits zu Allgemeinwissen geworden sind die Vorteile jeder Zuwanderung, und bei dieser speziellen Form der Immigration kommt sogar das Beste, was ein fremdes Land zu bieten hat: seine gut ausgebildete Jugend. Wer Waffen bedienen kann, der kann auch Maschinen bedienen. Oder uns im Restaurant. Außerdem: Die in einen Krieg geworfenen Frauen und Männer sind den Experten unserer Einwanderungsbehörden zufolge maximal 16 Jahre alt und unterliegen dem Jugendschutz.

„Und auf diese jungen Leute wollt ihr schießen?!“

Damit war sonnenklar: Ein fortschrittliches Land, das Menschen in Not aufnimmt, braucht keine „Landesverteidigung“ und schon gar keine Waffen. Waffen zu tragen wäre auch gefährlich, denn jeder geschichtskundige Experte bestätigt, dass Aggressoren fast immer nur auf bewaffnete Gegner schießen. Wird ihnen keine Feindschaft entgegengebracht, freunden sich die Ankömmlinge rasch mit der lokalen Bevölkerung an. Vor allem die männlichen Ankömmlinge. Und diese vor allem mit den jungen Frauen.

Die Einigung zu diesem Gesetz und alle Stationen der Gesetzwerdung wurden zügig absolviert. Auch über die das Gesetz begleitenden Maßnahmen herrschte rasch Einigkeit:

  • Der gesamte Bestand an Waffen und Munition muss vernichtet werden. Angenommen wird ein Angebot aus der nahöstlichen Region Islieb, das Kriegsmaterial kostenlos zu übernehmen und daraus Glocken zu gießen. Angesichts der Vertrauenswürdigkeit dieses Angebotes kann man auf das teure Entfernen der Schlagbolzen verzichten.
  • Die Bestände an schweren Waffen können wegen weitgehender Unbrauchbarkeit als Altmetall verkauft werden.
  • Die allgemeine Wehrpflicht wird in einen allgemeinen Zivildienst gewandelt. Dienstpflichtige Frauen und Männer, die aus Gewissensgründen keinen Zivildienst antreten wollen (etwa, weil ihnen die Gewinne der karitativen Organisationen unerträglich sind), können sich zur Unterstützung des ehemaligen Heereskaders entscheiden. Dieser ist jetzt vor allem für die immer häufigeren Katastropheneinsätze bestimmt. Eine Nebenaufgabe des Kaders wird der gelegentliche Empfang von Menschen sein, die sich zur Einwanderung entschieden haben oder zur Invasion gezwungen wurden. Sie werden diese mit roten Rosen und einem Merkblatt zur Integration begrüßen.
  • Das Budget des Friedensministeriums, das zur Anschaffung der Rosen und der Merkblätter aus den Betrieben der NGOs gerade ausreicht, braucht nicht erhöht zu werden.

Die Sitzung des Plenums war dann doch turbulenter, als ursprünglich erwartet. Die drei Mandatare der VRP brachten in ihren Reden, die wegen der Zwischenrufe aber kaum zu verstehen waren, unglaubliche Ängste zum Ausdruck. Manche dieser hereinkommenden Leute, meinten sie, könnten sich von dem herzlichen Empfang doch nicht beeindrucken lassen und ihren Befehlen treu bleiben. Sie könnten die Blumen wieder aus ihren Gewehrläufen entfernen, und die ihnen befohlenen Ziele wie das Parlament oder das Friedensministerium in ihre Gewalt bringen.

„Hahaha“, tönte es aus dem Plenum, „vielleicht auch noch den Kiniglberg!“. „Nein,“ war die spontane Entgleisung des Redners der VRP: „Den PRF (Anm: der patritannische Rundfunk) muss kein Feind in seine Gewalt bringen, denn er ist ohnehin entzückt von der kulturellen Vielfalt jeder Invasion!“ Irgend etwas an dieser Replik, vielleicht war es die feine Ironie, erzürnte die Abgeordneten vor allem aus den Reihen der 3S. Jedenfalls stürmten sie wie auf ein Kommando nach vorne und begruben den Redner unter einem zuckenden Berg menschlicher Körper. Es dauerte lange, bis die verzweifelten Rufe des Ersten Parlamentspräsidenten Gehör erhielten und der am Boden liegende VRP-ler wieder sichtbar wurde.

„Sie“, so donnerten die erregten Worte des Präsidenten über das Plenum, „Sie da unten und ihr zwei da oben in der hintersten Bank, durch eure ständigen Provokationen seid ihr zu einer Gefahr für unser Hohes Haus geworden! Ich lasse euch in den Pavillon Eins einweisen. Da können so Ewiggestrige, wir ihr es seid, über alles nachdenken!"

So geschah es unverzüglich, und deshalb verdanken wir vor allem ihm, dem Präsidenten des Parlamentes, die vielen Lobeshymnen aus aller Welt. Denn diese hoben vor allem die Einstimmigkeit bei der gleich anschießend beschlossenen Abschaffung des Bundesheeres hervor.

Auch Sieglinde Schwammerl war sehr zufrieden, sie bleibt aber von ungebrochenem Tatendrang: „Das war ein großer Schritt in eine bessere Welt, aber doch nur ein Schritt. Ein weiterer Schritt muss unsere Haltung in aller Welt verdeutlichen. Dafür ist die Umbenennung unseres ... Landes in Matritannien unerlässlich.“ Und das mit den Soldatinnen hat sich ja erübrigt.

Ohne weitere Recherche abgeschrieben aus irgendeiner Zeitung.

hojos
am 1. April 2019