Das Rekonvaleszetenheim Ober St. Veit

Eingemietet im Haus Adolfstorgasse 13. Bericht von Oberleutnant Bettelheim
01.05.1915

Im April d. J. wurde über Anregung der Prinzessin Rosa Croy, seitens Baronin Clarissa von Rothschild und Frau Helene von May ein Rekonvaleszentenheim in Ober-St.-Veit errichtet, welches als Vereinsrekonvaleszentenheim des Roten Kreuzes geschaffen und den k. u. k. Reservespital Nr. 11 angeschlossen wurde. Lange vorher schon hatten sich die genannten Damen sehr viel Mühe gegeben, in der unmittelbaren Umgebung von Wien ein Heim in schöner, gesunder Lage zu errichten, von dem Gedanken geleitet, armen Verwundeten, die sich auf dem Wege der Rekonvaleszenz befinden, die Möglichkeit einer vollständigen und raschen Wiedererlangung ihrer Gesundheit zu bieten. Es dauerte leider lange Zeit, bis ein geeignetes Objekt gefunden werden konnte. Einerseits stieß man auf Schwierigkeiten, ein für Spitalszwecke geeignetes Haus zu gewinnen, anderseits fehlte es überhaupt an entsprechenden Realitäten in der Gegend des Wiener Waldes. Die viele Mühe, die sich die genannten Damen um das Zustandekommen des von ihnen ins Auge gefassten patriotischen Werkes gaben, wurde schließlich dadurch belohnt, dass sie in herrlicher Gegend eine ziemlich hoch gelegene Villa fanden, die in jeder Hinsicht allen Anforderungen entsprach, welche an eine wahre Erholungsstätte gestellt werden können. Und so mietete Baronin Rothschild im April diese Villa, die, entsprechend adaptiert, nach einigen Wochen ihrem Zwecke zugeführt werden konnte.

Das Rekonvaleszentenheim, welches, wie bereits erwähnt, ein Annex zu dem unter der Leitung des Oberstabarztes Professor Spitzy stehenden k.u.k. Reservespitals Nr. 11 ist, wurde anfangs Mai in Anwesenheit Ihrer Kaiserlichen Hoheit der Frau Erzherzogin Maria Theresia und Seiner Kaiserlichen Hoheit Erzherzog Karl Stephan und in Anwesenheit vieler hoher Persönlichkeiten eröffnet.

Das Heim welches in nächster Nähe des „Himmelhofes“, in der Höhe des Lainzer Tiergartens sich befindet, verfügt über 8 große, lichte und äußerst luftige Krankenzimmer, die zusammen einen Belegraum für 47 Patienten haben. Gleichzeitig besitzt die Villa einen wundervollen Garten und eine dazugehörige , allseits abgeschlossene große Wiese, welche den Patienten Gelegenheit bietet, bei schönem Wetter reichlich Luft- und Sonnenbäder zu nehmen. Das Heim ist ständig komplett belegt, und es war bisher schon recht vielen armen Soldaten die Möglichkeit geboten, die Anstalt geheilt oder mindestens wesentlich gebessert verlassen zu können. Bemerkt sei noch, dass Baronin Rothschild und Frau v. May ständig in aufopfernder Weise sich für das Wohl und Wehe der Verwundeten interessieren und nichts unterlassen, was geeignet wäre, ihnen den Aufenthalt so angenehm als möglich zu gestalten. Das Heim wird in eigener Regie geführt, und bestreiten die beiden Damen die Kosten der Erhaltung. Den Pflegedienst versehen Schwestern des Rothschild-Spitals.

Anlässlich der herannahenden kalten Jahreszeit wurden sämtliche Räume heizbar gemacht, und einige, die bisher als Empfangsräume dienten, für die Soldaten eingerichtet, damit diese auch in den Wintermonaten ein recht behagliches Heim haben. Für die Geselligkeit unter den Soldaten ist auf verschiedene Weise Sorge getragen, es wurde ihnen Gesellschaftsspiele zur Verfügung gestellt, ferner betätigen sich viele mit Laubsäge-, Schnitzereiarbeiten u. dgl. m.

In das Rekonvaleszentenheim werden vom Hauptspital jene Patienten gesandt, die noch zu schwach sind, irgend eine anstrengendere Kur mitzumachen, die durch das lange Krankenlager nach Amputationen dringend einer Erholung und Kräftigung des Allgemeinzustandes bedürfen, die dort auf das sorgsamste durchgeführt wird.

Es gereicht den Ärzten des Hauptspitals immer zu großer Freude, wenn Patienten, die krank und schwach von langer Reise aus den Etappenspitälern kommen, in dem Heim in guter Luft und bei noch besserem Essen in kurzer Zeit kiloweise zunehmen und mit vollen roten Wangen in das Hauptspital zurückkehren. Es ist auch, vom wissenschaftlichen Standpunkt aus, dringend notwendig, erst das Allgemeinbefinden der Patienten so weit als möglich zu kräftigen, bevor eine Kur mit ihnen begonnen wird. Amputierte mit mageren Stümpfen, die sich noch in kraftlosem Zustande befinden, können auch mit der besten Prothese das Gehen nur schwer erlernen, abgesehen davon, dass die Anlegung einer Prothese an die fettlose Haut auf große Schwierigkeiten stößt.

Dazu kommt noch, dass bei einer Reihe von Patienten hinter ihrem schlechten Aussehen Erkrankungen der Atmungsorgane vermutet werden und die ebenfalls in der frischen Luft Genesung suchen und finden.

Der Aufenthalt der zugewiesenen Patienten ist befristet, sie werden nach 3–4 Wochen revidiert und gegen andere Erholungsbedürftige eingetauscht.

Auf diese Weise schließt sich das Rekonvaleszentenheim Ober-St.-Veit als notwendiges und sehr begrüßenswertes Glied in die Kette unserer Einrichtungen und sind wir den Schöpfern und Erhaltern zu großem Danke verpflichtet.

Oberleutnant Bettelheim

Quellen:
Spitzy, Prof. Dr. Hans: Unsere Kriegsinvaliden – Einrichtungen zur Heilung und Fürsorge. 5. Beiheft zu Streffleurs Militärblatt. 1915: Verlag von L.W. Seidel & Sohn, Wien. Mit Kapitel XX: Rekonvaleszentenheim Ober St. Veit.

hojos
im Dezember 2016