Maria Reitmeyer erzählt von ihrer Familie

28.08.2017

Johann, der Einwanderer

Die Reitmeyers kamen aus Ronsberg, einem Markt im schwäbischen Landkreis Ostallgäu. Einer der Vorfahren hatte dort eine große Handelsgärtnerei. Als er dem Sterben nahe war, übertrug er die Gärtnerei dem älteren seiner beiden Söhne mit dem Auftrag, sich um den jüngeren zu kümmern, bis er selbstständig war. Insbesondere sollte er ihn studieren lassen. Doch nach dem Tode des Vaters sagte Johann, er war der jüngere, zu seinem Bruder: „Lieber Bruder, ich möchte nicht studieren, ich will ebenfalls Gärtner werden, so wie du!“

Als Johann ausgelernt hatte, entband er den Bruder von seiner Verpflichtung, machte sich selbstständig und wanderte nach Wien. In Wien beobachtete er eines Tages beim Belvedere das Fällen von Bäumen und wunderte sich über die Methode. Ein Adeliger, der neben ihm stand, fragte: „Kann er das besser, warum redet er da so mit?“
„Freilich kann ich das besser. Ich bin Gärtner aus Ronsberg, und wir machen das ganz anders.“
„Ja, wie macht er das?“
„Wenn mehrere Bäume in einer Reihe stehen, binden wir die, die herausgeschlägert werden sollen, an den anderen Bäumen fest, schneiden ihn unten ab, und dann kann man den geschnittenen Baum langsam herunterlassen, ohne dass alle Äste kaputtgehen.“
„Na wunderbar, da komme er morgen und zeige uns das!“

Von diesem Moment an war Johann Reitmeyer kaiserlicher Hilfsgärtner. Er wurde in den Wiener und den angrenzenden Gärten beschäftigt, war sehr tüchtig und wurde allgemein beliebt. Als er bereits Gärtner war, lernte er Frau Aloisia Sladek kennen und lieben, sie stammte aus der böhmisch-mährischen Region. Sie heirateten in der Hietzinger Pfarrkirche, allerdings ohne zu wissen, dass man als kaiserlicher Angestellter um einen Ehekonsens des Dienstherren anzusuchen hatte. Natürlich erfuhr der Kaiser von dieser Freveltat und ließ dem kleinen Gärtner ausrichten, dass das untragbar ist und er entlassen werden müsse. Doch sei man mit seiner Arbeit sehr zufrieden gewesen, und wenn er ab jetzt alle anderen kaiserlichen Gärten betreue, würde er pardoniert.

So ging Johann Reitmeyer nach Salzburg, Innsbruck und Miramar, überallhin, wo kaiserliche Gärten waren, und seine Kinder kamen in Salzburg, in Innsbruck und in Wien zu Welt. Am längsten hielt er sich in Innsbruck auf. Schließlich wurde Johann Reitmeyer wieder nach Wien zurückversetzt, nannte sich k. u. k. Hofgartenverwalter zu Schönbrunn und wohnte im Stöckl. Er war mitverantwortlich für die Boskette und den französischen Baumschnitt. Als pensionierter Hofrat zog er ca. 1915 mit seiner Familie in das neu gebaute Haus in der Auhofstraße 188.

Josef und Mama Lizzi

Mein Vater Josef Reitmeyer wurde 1892 in Anif geboren – sein Taufpate war der Brunnenmeister von Hellbrunn. Als er noch ein kleines Kind war, übersiedelte die Familie in den Innsbrucker Hofgarten. Dort wuchs er auf, und in seinem Herzen blieb er immer ein Tiroler, auch seine Sprache verriet bis an sein Lebensende das Tirolerische. In Wien konnte mein Vater Germanistik studieren und eine Ausbildung zum Hauptschullehrer absolvieren. Knapp vor dem Beginn des ersten Weltkrieges, den er zur Gänze mitmachte, heiratete er die drei Jahre ältere Nathalie Weidlaner, sie wurde Lizzi gerufen. Sie hatte ein fröhliches Wesen, und 19.. kam Sohn Günther zur Welt. Zu dieser Zeit verließ Großvater Johann die Wohnung in der Auhofstraße und zog zu seiner Tochter nach Vorarlberg.

Günther war ein aufgeweckter Bub, der schon früh laufen lernte. Von ihm kommt das in den Kinderbüchern meines Vaters verwendete Wort „Dünana“. In der Familie wird folgende Geschichte gerne erzählt:

Als sie schon verheiratet waren, gingen Josef und Lizzi im Schönbrunner Schlossgarten spazieren. Er war in Uniform, und sie nach den Gepflogenheiten des Kaiserhauses angezogen. Vor der Schlosswache kam ein weiteres, sehr ähnlich aussehendes Paar aus einer anderen Richtung und die Wache wusste nicht, in welche Richtung sie salutieren sollte. Die Paare kamen aufeinander zu und grüßten einander, das andere Paar fragte Josef und Lizzi, wer sie sind und woher sie kommen. Ja, sie sind der Sohn und die Schwiegertochter des Hofgartenverwalters. Bei dem anderen Paar handelte sich um Karl und Zita. Es entstand eine Unterhaltung über dies und das. Auch die Schwangerschaft Lizzis und der voraussichtliche Geburtstermin kamen zur Sprache. Als der Geburtstermin näher rückte, bekam der im Krieg dienende Josef Reitmeyer eine Depesche Ihrer Majestät ins Feld hinaus, die einen Sonderurlaub anordnete. Das verursachte natürlich eine große Aufregung: „Wieso bekommt der Reitmeyer von der Kaiserin einen Sonderurlaub?“

Josef war auch bei Ernas Geburt zugegen, auch da hatte er Sonderurlaub. Bei dieser Geburt sollte es sich als Glück erweisen, dass er in Tirol einen Notarztkurs absolviert hatte, der auch die Durchführung von Notgeburten einschloss. Als Lehrer in einem entlegenen Bergdorf musste er eine Apotheke betreuen und imstande sein, erste Hilfe zu leisten. Ein Glück sollte es sein, weil die Hebamme nicht rechtzeitig zu Ernas Geburt erschien. Die Geburt setzte frühzeitig ein, und wie es halt so dem ersten Reflex entspricht, rief der Mann: „Halt z’ruck, halt z‘ruck!“. Doch als er sich über seine Frau beugte, gab sie ihm eine Ohrfeige und sagte: „Das Kind ist schon da!“ Das war die Erna, die praktisch selbsttätig zur Welt kam. Er reinigte sie sorgfältig und packte sie sein, wie man das eben so macht. Auf eines hatte er allerdings vergessen: dem Kind Fett aufs Popscherl zu schmieren. Daran verzweifelte die später gekommene Hebamme fast, denn das erste Kindspech ist sehr klebrig und schwer herunterzubekommen.

Die in den letzten Kriegsmonaten gemeinsam verbrachte Zeit war für beide sehr schön, doch wenig später, man schrieb das Jahr 1918, starb Lizzi an der Spanischen Grippe. Der Vater musste im Feld dienen, und damit waren der 1½-jährige Günther und die nunmehr sechs Monate alte Erna ganz allein. Gottseidank gab es eine wunderbare Hausbesorgerin in der Auhofstraße 188: die Frau Pamlitschka. Das Ehepaar Pamlitschka waren die Hauseltern, und Herr Pamlitschka war einer der letzten Gaslaternenanzünder Wiens, der jeden Abend in der Hackinger Au (jetzt Simon-Park) die Gaslaternen in Betrieb nahm. Frau Pamlitschka hatte die sterbende Frau versorgt und kümmerte sich darum, die Kinder an Verwandte weiterzugeben. Die Kinder litten in der neuen Umgebung, weil die Verwandten mit ihnen nicht richtig umgehen konnten.

Als der Vater heimkam, hörten ihn die Nachbarn bis zum Haustor schluchzen. Beinahe wäre er selbst im Krieg gestorben, nur durch einen glücklichen Zufall hatte er überlebt. Jetzt kam er Heim und musste erfahren, dass die Frau begraben und die Kinder fort waren, und dass auch die Sachen der Kinder und ein paar Andenken von den Verwandten aus der Wohnung fortgebracht wurden. Darüber hinaus war er vom Krieg so negativ geprägt, dass er jede Nacht an der Tiergartenmauer schlafen musste, denn ein geschlossener Raum hätte ihn in der Nacht erdrückt.

Die Zeit war hart, und doch musste er daran denken, seinen Kinder eine neue Mutter zu geben. Dabei wurde er auch von außen sehr unterstützt, denn seine Religiosität, seine musische Begabung und seine Begeisterung für Politik machte ihn zu einem begehrten Kandidaten als Schwiegersohn. Von den Müttern seiner größeren Schülerinnen wurde er des Öfteren in der Hoffnung zum Mittagessen eingeladen, dass ihre Tochter an ihm Gefallen finden. Er selbst aber wollte nur ein Mädchen zur Frau nehmen, das den Kindern recht war. Es hatte sich eine Art Ritual eingespielt: War die Nachspeise gegessen, rutschte der Bub vom Sessel und sagte: „Papa gemma“. Das war das Zeichen dafür, dass er nicht einverstanden war.

Josef und Mama Mizzi

Eines Tages wurde der junge Witwer von einem befreundeten Jugendseelsorger gebeten, ihn bei einem Ausflug zu unterstützen. Die alleinige Verantwortung für die größere Gruppe von Mädchen wäre ihm zu groß gewesen. Die Mädchen, die damals nie alleine weggehen durften, waren die Freiheit nicht gewohnt. An dem Ausflug nahmen auch die 17-jährige Maria Markbreiter und ihre um zwei Jahre jüngere Schwester teil. Die Schwester war sehr herzig, hatte aber in Folge einer Knochentuberkulose und eines Sturzes vom Tisch als kleines Kind eine schwere Rückgratverkrümmung. Die Schwestern waren sogleich in den feschen Lehrer verschossen, die anderen Mädchen der Gruppe sicher auch. Doch auch Josef Reitmeyer hatte ein Auge auf Maria geworfen, und beim Verabschieden fragte er sie, ob sie sich einmal treffen könnten. „Das geht leider nicht,“ sagte sie zu ihm, „denn ich darf nie allein weggehen, nur auf den Friedhof.“

So war es auch am Ober St. Veiter Friedhof, als sie einander wieder trafen, und Josef ging Maria lachend entgegen, brach eine Heckenrose ab, und steckte sie ihr ins Haar steckte. Bald danach, hatte er ihr schon von seinen beiden Kindern erzählt, von dem jungen Günther, von Erna, die fast noch ein Baby war und seiner im 1918er-Jahr an der Spanischen Grippe gestorbenen Frau.

Das muss bei Maria Markbreiter sehr sonderbare Gefühle geweckt haben, denn nicht allzu lange zuvor hatte sie ein interessantes Buch bekommen. Es handelte von einer Familie mit zwei Kindern und dem tragischen Tod der Mutter. Nun kam für die Kinder eine traurige Zeit bis der Vater endlich wieder eine Frau gefunden hatte. Nachdem sie es gelesen hatte, sagte Maria zu ihrer Mutter. „Du wirst sehen, ich heirate einen Witwer mit zwei Kindern und werde ihnen eine gute Mutter sein.“

So war es fast nur mehr eine Formalität, als Maria eines Tages in Breitensee einkaufen ging und plötzlich ein kleiner Bub auf sie zulief, sie fest hielt und rief: „Papa, das ist Mama!“ Auf diese Weise machte er dem lästig gewordenen Mittagessensritual ein Ende. Später gestand Josef der Maria, dass sie seiner ersten Frau entfernt ähnlich sah und sie vielleicht deshalb von Günther auserkoren wurde.

Maria Markbreiter, meine Mutter, war 18 Jahre und wenige Monate alt, als sie und Josef Reitmeyer in Maria Zell heirateten. Sie war eine in Ober St. Veit geborene Hackingerin, die es nach Breitensee verschlagen hatte und die jetzt mit dem Umzug in die Auhofstraße 188, der Stammwohnung der Reitmeyers, in die vertraute Region zurückkehrte. Vorbei war der Berufswunsch, vorbei war die Jugend, und hinein musste sie in ein unbekanntes Beginnen. Es war nicht leicht für sie; sie war auch noch völlig unaufgeklärt und glaubte, die Kinder kämen vom Küssen. Wenn sie später von ihrer Jugend erzählte, klang das so:

„Geboren wurde ich am 12. Juni 1901 in Ober St. Veit in der Schweizertalstraße 16, und in der Pfarrkirche in Ober St. Veit wurde ich auf die Namen Maria Aloisia getauft. Mein Vater Josef Markbreiter war Privatbeamter, meine Mutter Josefine Schneck, geborene Held, war Witwe und brachte eine Tochter mit in die Ehe, Ottilie Schneck. Ich hatte meine älteste Schwester sehr lieb. Danach kamen noch sieben Kinder auf die Welt. Ada, Hans, Rosa, Erika, Georg, ich, Maria und als letzte Anni. Ada starb mit 8 Jahren an einer Kinderkrankheit und wurde auf dem Friedhof Ober St. Veit begraben.

Ich habe nur wenig Erinnerung an meine Kleinkinderzeit. Sehr gern hatte ich das Ober St. Veiter Grün, die Bäume und die Wiesen, an die denke ich oft. Dann erinnere ich mich an eine immer arbeitende Mutter, einen Vater, der oft Kopfschmerzen hatte, und den Kinderlärm nur schlecht vertrug. Liebe und Geborgenheit gaben mir meine Schwestern, und gegen meine Brüder musste ich mich bei ihren wilden Spielen immer wieder zur Wehr setzen.

Als ich ein Schulkind wurde, übersiedelte die Familie nach Hacking in die Aichbühelgasse. Im Haus gab es eine Wäscherei und eine Frau Merkel, welche der Mutter am Waschtag zur Hand ging. Der Waschtag war eine harte Arbeit für die Mutter. Am Vortag musste eingeweicht werden, am Tag selbst mussten der große Waschkessel beheizt und die Wäsche ausgekocht werden. Vorher kam die Wäsche in die Waschtröge und wurde auf den hölzernen Rumpeln gerumpelt, und nach dem Waschen wurde die Wäsche geschwemmt, ausgeschlagen und aufgehängt. Manchmal, wenn das Wetter gut war und genügend Wasser im Wienfluss, gingen sie zum Schwemmen auch dort hin und legten dann die Wäsche ins Gras zum Bleichen.

Frau Merkel hatte eine Tochter Eva, sie war so alt wie meine Schwester Anni und wir wurden gute Freundinnen. Die Freundschaft dauerte bis in die 1970er-Jahre, als Evi unerwartet starb.

Nach wenigen Jahren – ich ging in Hacking noch in die Volksschule – siedelte meine Familie in den 14. Bezirk in die Breitenseerstraße 17. Dort verbrachte ich meine restliche Jugend und die schönen Hauptschuljahre. Ich war glücklich, dass ich ins Josefinum gehen durfte, weil das meinem religiösen Empfinden entsprach. Besonders die Aufnahme in die Marianische Kongregation, die Gruppenstunden und Exerzitien hatten es mir angetan. Zuhause half ich gerne meiner Mutter und pflegte sie, wenn sie wie so oft einen Gallenanfall hatte. Damals konnte man nichts gegen die Gallensteine machen, und meine Mutter musste sehr leiden. Nach Abschluss der Schule wollte ich Säuglingsschwester werden und begann mit der Ausbildung ….“

Doch dann waren eben mein Vater Josef Reitmeyer und meine älteren Geschwister und ich in ihr Leben getreten. Mein Bruder Hans und meine Schwester Hertha kamen sehr rasch hintereinander. Beide waren Frühgeburten und nur 1 Jahr und zwei Monate auseinander. Meine Mutter hatte also schon mit 21 Jahren zwei kräftige größere und zwei zarte, pflegeintensive Kleinkinder und wollte ihnen allen gerecht werden. Sie schaffte es auch.

Mit 23 Jahren bekam sie eine schwere Lungenentzündung. Damals gab es kein Penizillin, nur Wickel und das bange Warten, ob man am siebenten Tag die Krisis überlebte. Am Tag war Sepp – so nannte sie meinen Vater Josef – in der Schule, und während dieser Zeit war eine sehr bemühte Caritas Schwester bei ihr. Sie versorgte die Kinder und pflegte meine Mutter. In den Nächten war mein Vater bei ihr. In diesen schrecklichen Tagen wurden obendrein alle vier Kinder krank. Hertha, die Kleinste, bekam keine Muttermilch mehr und reagierte mit einem gefährlichen Darmkatarrh. Hans hatte sich das Schlüsselbein gebrochen, Erna und Günther hatten Keuchhusten. Da war an Schlafen nicht zu denken, und so begann mein Vater in den Nächten Skizzen für seine später verlegten Kinderbücher zu machen.

Meiner Mutter ging es sehr schlecht, und der gefürchtete siebente Tag der Erkrankung rückte heran. Vater hatte nur ein niederes Lehrergehalt, die Zeit war auch sonst schlecht, und meine Eltern lebten mit ihrer Familie sehr bescheiden. Da geschah etwas ganz Rührendes: Es klopfte an der Wohnungstüre, ein Schüler aus der Volksschule stand davor, mit Tränen in den Augen brachte er ein Huhn und sagte: „Ich hab es so lieb gehabt, aber Mutter hat gesagt, eine Hendlsuppe hilft bei Lungenentzündung, damit Ihre Frau wieder gesund wird.“ Die Suppe wurde gleich gekocht. Am Abend stieg das Fieber noch einmal sehr hoch an, meine Mutter dämmerte dahin und wusste vom Kampf in ihrem Körper gar nichts. Plötzlich war ihr alles so leicht, und sie verspürte Hunger. „Hunger“, sagte sie, und nun hatte mein Vater Tränen in den Augen, denn sie aß mit Genuss und fiel in einen Genesungsschlaf. Die Krankheit war besiegt, das Opfer des Kindes hatte geholfen.

Die Kinder wuchsen heran, aber auch die Not. Vater war für einen Kredit an seine Schwester, die 13 Kinder hatte, und für einen Nachbarn, der sich Geld von der Firma „geborgt“ hatte und vor einer unerwarteten Buchprüfung stand, gut gestanden und musste beide Kredite zurückzahlen. Sie aßen fast täglich Wasserspatzen (aus Mehl, Wasser und Salz ohne Ei) mit gerösteten Zwiebelringen. Später konnte sie meine Mutter nie mehr essen. Einmal hatte sie heimlich ein Brotscherzel in ihrer Schürze versteckt. Als sie es in der Nacht essen wollte, weinte Günther. „Ich hab‘ so Hunger“, schluchzte er. Da gab sie ihm das letzte Brot.

Die Jahre vergingen mit Kochen, Waschen und Putzen. Hilfe in allen Erziehungsproblemen fand meine Mutter immer wieder im Gebet. Die Rosenkranzkirche der Dominikanerinnen war ihr tägliches Ziel. Günther und Hans ministrierten, und die Priester waren oft bei den Reitmeyers zu Besuch. Die Mädchen gingen im Kloster zur Schule.

Mein Vater setzte sich sehr für seine Schüler ein, er war in der Hochsatzenschule im 14. Bezirk tätig. Die große Menge an geistig zurückgebliebenen Kindern ließ ihn und einige andere Kollegen hellhörig werden. Sie gingen der Ursache nach und fanden entsetzliche Zustände im „Simmerlbau“. Das waren Elendsquartiere mit vielen Kindern, die alleingelassen werden mussten, damit auch die Mutter Geld verdienen konnte. Ein etwa 12-jähriges Mädchen musste der Schule fern bleiben und auf eine Gruppe von Kleinkindern aufpassen. Damit dies möglich war, wurden die Kinder durch Rum und Mohnschnuller ruhig gestellt. In ein Stück Fetzen wurde der Saft der grünen Mohnkapsel und gequetschter Mohn eingebunden und den Kindern zum Saugen in den Mund gegeben, oder man tränkte Zucker mit Rum und verwendete dies in der gleichen Weise. Nun wurde versucht, den Kindern zu helfen und sie auf den Schulbesuch vorzubereiten.

Im Haus der Eltern wurde viel diskutiert, gespielt und musiziert, und sie gingen auch oft wandern. Meine Mutter hörte bei den Gesprächen gerne zu und versuchte sich so viel wie möglich an Wissen anzueignen. Nach dem Zerfall des Kaiserreiches hatte sich mein Vater um die Verwirklichung christlich-sozialer Ideen in Österreich bemüht. Seine Ideale waren Glaube, Vaterland und Frauenehre, dafür setzte er sich ein, darüber hinaus für Jugenderziehung und Schulreformen. Er war unter anderem Pfarrgemeinderat und sang im Kirchenchor. Er dichtete gerne, schrieb Kinderbücher und Theaterstücke. Letztere führte er mit dem Reichsbund in Ober St. Veit auf.

Die Unruhe im Land wurde immer größer, das Verständnis für die ausgebeuteten Bevölkerungsschichten in der arbeitenden Bevölkerung fehlte bei den besser Gestellten, und so kam das 1934iger-Jahr und der Bürgerkrieg. Mein Vater war bei der Heimwehr, kam bis Alberschwende in Vorarlberg, war aber bei den Kämpfen in Wien dabei und bemühte sich um eine friedliche Lösung beim Kampf um das Umspannwerk. Nach diesen traurigen Tagen feierten meine Eltern einen neuen Beginn, sie hatten sich wieder und wünschten sich ein weiteres Kind. Die Folge war – ich, ihr spätes fünftes Kind, 1934 gezeugt und 1935 geboren.

Die vorsichtige Ankündigung durch den Vater löste unterschiedliche Reaktionen bei den großen Geschwistern aus. Günther, 19 Jahre, fand es für einen guten Scherz und bemerkte: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Eltern jetzt noch einmal mit Windelwaschen anfangen werden!“ Erna, 17 Jahre und soeben fertige Kindergärtnerin, jubelte, sie könne nun alles, was sie gelernt hat, bei einem Geschwisterl anwenden. Hans, 14 Jahre, meinte nur lakonisch: abwarten. Hertha, 13 Jahre, war glücklich, endlich nicht mehr die Kleinste sein zu müssen. Ich kam an einem Ostermontag zur Welt und war ein Mädchen, was nicht ganz zur Reihenfolge Bub und Mädchen wie bisher passte. Ich wurde aber von allen sofort mit Freude aufgenommen. Ich wurde auf den Namen meiner Mutter Maria getauft.

Die frühen Erinnerungen Maria Reitmeyers

Meine Erinnerungen setzten schon sehr früh ein. Eine meiner früheren Erinnerungen war meine Mandeloperation. Ich war ein lymphatischer Typ, hatte sehr große Mandeln, erbrach sehr oft und war immer gleich verschwollen. Der Arzt Dr. Soher operierte Kinder mit zwei Jahren sehr ungern, aber in diesem Fall musste es sein.

Damals gab es noch die Chloroformnarkose, und ich erlebte sie sehr bewusst, eigentlich als positives Erlebnis. Wegen der Gefahr, dass Kinder an einer zu starken Dosierung sterben, wurde nur sehr schwach dosiert. Als ich aufwachte, saß ich auf dem Schoß einer Frau, die mich am Oberkörper und den Füßen halten wollte. Ich wand mich mit den Füßen heraus und schlug auf ihre Schienbeine, den Doktor bespuckte ich mit Blut – das sehe ich heute noch alles vor mir. Ich wurde abgewischt und auf den Boden gestellt, die Tür wurde aufgemacht, und da sah ich meine Eltern weit entfernt auf einer Bank sitzen und auf mich warten. Wie eine kleine Stampfmaschine sauste ich auf sie zu. In mir drinnen war ein herrlicher Zorn und gleichzeitig ein ganz tolles Lebensgefühl: Ich bin so stark und diesen Leuten entkommen.

Eine andere frühe Erinnerung war eines Nachts, als mich meine Mama aus dem Bett riss und mit mir zitternd zum Fenster ging: Draußen sahen wir das Nordlicht. Direktor Stadelmann von gegenüber kniete auf der Straße und sagte: „Jetzt kommt Krieg!“ Ich verstehe bis heute nicht, wie ich das von oben aus dem zweiten Stock hören konnte. Das hat sich in mir eingeprägt. Die nächsten Tage leuchtete es noch nach, und ich wagte nicht, einzuschlafen.

Mit drei Jahren bekam ich Scharlach, das war damals eine schwere Krankheit. Man musste ins Krankenhaus und einige Wochen dort bleiben. Für mich unerwartet kam ein Rettungsauto, und mein Vater trug mich hinunter. „Schau, du musst ins Spital, weil das ist eine Krankheit, wo andere auch krank werden können. Ich habe die ganzen Schulkinder, und ich kann sie doch nicht alle krankmachen!“ Das war seine Begründung, warum er mich ins Spital brachte. Ich sehe und höre mich noch lauthals brüllen, als ich von den Schwestern gebadet wurde: Der Papa soll mich baden! Auf einer Infektionsstation konnte man niemanden besuchen, und das ließ mir den Spitalsaufenthalt sehr eigenartig erscheinen. Alle zwei Wochen kamen meine Eltern vor das Spital und winkten zur mir hinauf in den dritten Stock. Wir konnten nicht miteinander reden, auch nicht durch eine Glasscheibe.

Die Schwestern benahmen sich unmöglich; heute ist mir klar, dass es zwischen den Schwestern schon politisch motivierte Kämpfe gab. Außerdem gab es zu wenige Schwestern für die vielen Kinder. Nach dem Baden wurde ich ins Bett gelegt, über mich ein Tischerl gestülpt und auf das Tischerl ein Spinat gestellt. Wie komme ich liegend zu dem Spinat? Als erstes stellte ich die Knie auf, und in dem Moment fiel der Spinat ins Bett. „Du schlimmes Kind, wenn du so weiter solche Sachen machst, dann …!“ Die Schwester schnappte mich, trug mich in einen großen Raum mit einer Rutsche für die Wäsche und hielt mich mit den Füßen hinein. „Wenn du noch einmal dein Essen hinunterschmeißt, dann schmeißen wir dich hinunter zu den Ratzen!“ Also habe ich vorerst nichts mehr gegessen, weil ich das Essen nicht erreichte. Zwei Bedienerinnen waren lieb zu den Kindern. Beim Aufwaschen, wenn die Schwestern wegsehen, schoben sie mir einen Bissen in den Mund. Später werde ich das dann schon irgendwie selber geschafft haben.

Es gab auch einen lieben Arzt. Als es uns wegen der ablösenden Haut so juckte, banden uns die Schwestern die Hände mit Faschen an den Körper und stellten unsere Betten in finstere Zimmer. Wir sollten schlafen und nicht kratzen. Dann kam dieser Arzt, pinselte uns mit einer lila Tinktur ein, und das Jucken hörte auf. Damals wollte ich Kinderärztin werden, damit die Kinder nicht so weinen müssen.

Mein Haupterlebnis während des Krankenhausaufenthaltes war an dem Tag, als große Aufregung herrschte. Die Schwestern stürzten zum Fenster und stießen unsere Kinderbetten auf die Seite. Mein Bett war aber das erste, und ich konnte nach unten sehen. Die Schwestern rissen die Fenster auf und schrien begeistert nach unten: „Heil …!“ Ich bin mir nicht sicher, ob Hitler auf der Alserstraße oder auf der Kinderspitalgasse am St. Anna Kinderspital vorbeifuhr. Auf mich wirkte das sehr komisch, denn aus der Höhe sah ich nur ein ganz kleines Manderl in einem kleinen Auto. So ein kleines Männchen, und die bösen Schwestern da heroben werden auf einmal ganz verrückt? In unserer Familie wurde natürlich über Religion gesprochen und über den Himmelvater und so, und dann war da auch der Teufel. Als ich so hinunterschaute, dachte ich: Wenn etwas so kleines eine so erstaunliche Macht über so viel Menschen hat, dann muss das der Teufel sein. Die Straße war voll, es gab ein Geschrei und einen Jubel!

Die liebe Bedienerin, die sich so nett um mich gekümmert hatte, ließ mich eines Tages herumlaufen. An sich durften wir nicht aufstehen und mussten immer in den Betten bleiben. Die Bedienerin merkte nicht, dass ich ihr hinaus auf den Gang folgte und dann auch hinein in die Diphtherieabteilung. Als sie es bemerkte, brachte sie mich sofort zurück in mein Bett. Das war aber offensichtlich zu spät, denn ich bekam Diphtherie und anschließend Keuchhusten. Als ich dann auch noch Nervenfieber bekam, ging es nicht mehr anders, und ich wurde heimgeschickt. Ich war dort bereits mindestens sechs Wochen und habe mich von den Schwestern nicht mehr angreifen lassen. Meine Heimkehr war allerdings zu früh, denn ich steckte meine Familie mit dem Nervenfieber an, Erna mit Diphtherie und die anderen bekamen schwere Angina.

Der Zweite Weltkrieg

Diese ersten drei Jahre meines Lebens waren für die Erwachsenen voll Spannungen und banger Erwartung. Schuschnigg, Dollfuss, politische Machtkämpfe und im Untergrund die deutsche Front. Der Druck wuchs, bis die Bombe platzte. Plötzlich war einer des anderen Feind, der Rassenhass entlud sich. Man hatte schon einiges geahnt, und durch die Reichskristallnacht war das bestätigt worden. Den Einmarsch Hitlers hatte mein Vater mit gemischten Gefühlen verfolgt, aber er hatte immer auf einen guten Ausgang gehofft.

Samstag war bei uns immer Empfangstag und mein Vater lud Kollegen oder z.B. die Familie Wimpissinger ein. Einmal war das Radio aufgedreht, und die Stimme trieb mich gleich unter den Tisch: „Dreht‘s den Teufel ab“, schrie ich. Sie mussten mir den Mund zuhalten. Auf einmal sagten alle: „Na seht‘s, habt’s jetzt g‘hört, was er gesagt hat!“ Hitler hatte im Radio gesagt: „Meine Idee steht auf dem Boden praktischen Christentums!“ Jetzt glaubten alle, es wird schon nicht so schlimm werden. Die Stimmung war aber sehr geteilt. Manche waren hellauf begeistert, die anderen bemerkten sehr früh, dass man über das, was man sich dachte, nicht mehr laut reden durfte. In unserer Familie überwogen die Ängste und nicht die Hoffnungen. Das kann aber auch damit begründet werden, dass die Mutter Halbjüdin war. Ihr Vater war zwar Katholik aber der Rasse nach „ein Jude“. Gott sei Dank war er 1937 verstorben.

Damals zog die Nachbarin aus und Erna bekam eine eigene Wohnung. Sie hätte nicht weiter im Kindergarten bleiben dürfen, wenn sie bei der Stiefmutter geblieben wäre. Mein Vater war damals schon Hauptschuldirektor in der Reinlgasse. Als er die Wahrheit erkannte, versuchte er seine jüdischen Kollegen zur Emigration zu bewegen. Dies und seine Unwilligkeit, sich von seiner Frau zu trennen, trug ihm die Zwangspensionierung ein. Die Anfeindungen der Mutter hielten sich allerdings in Grenzen. Ab und zu war zwar ein Zettel im Postkasten: „Die nächste bis du!“, aber sie hatte nie Angst und konnte überall hingehen. Sie hatte viel Gutes getan, und das wurde ihr positiv angerechnet.

Der Antisemitismus war in unserer Region eher nur unterschwellig bemerkbar. Vielleicht, weil kaum noch Juden da waren. Die Juden, die wir kannten, waren eher besser gestellt und gut informiert, sie waren fast alle rechtzeitig fortgegangen. Der Hausarzt Dr. Grell war beispielsweise schon lange weg. Unterschwelliger Antisemitismus bedeutete zum Beispiel, dass ich in der Schule mehr Strafen bekam, als andere. Wir sammelten Knochen, Metall und weiß der Kuckuck was alles, und ich musste manchmal einen überladenen Leiterwagen über den Berg hinauf zur Schule in Ober St. Veit ziehen. Wenn ich nur eine Minute zu spät kam, wurde ich gerügt. Bei den anderen machte das gar nichts, sie wurden gelobt. Ich wurde also wegen meiner Mutter eher gestraft und eher auf die Seite gestellt. Eigentlich war ich ja selbst eine Vierteljüdin. Als Kind hatte ich das aber nicht wirklich realisiert. Mein Vater bemerkte diese differenzierte Behandlung sehr wohl. Die Volksschule dauerte nur zwei Jahre, dann gab es zwei Jahre keine Schule.

Natürlich war es unheimlich, als eines Abends an die Tür geklopft wurde und draußen ein Blutordensträger stand. Alle dachten: „Oh je, jetzt kommt was!“ Der Mann war ganz verlegen und sagte: „Frau Reitmeyer ich hätte eine ganz große Bitte! Sie kennen ja meine Einstellung, aber meine Großmutter ist zum Sterben. Sie möchte einen Priester haben, und ich möchte ihr das nicht vorenthalten. Ich werde um 10 Uhr am Abend das Haustor offen lassen (das war drüben im Hackinger Hof), und sie können mit dem Priester hineinhuschen.“ „Mach das nicht, sei nicht so verrückt!“, sagten alle anderen, „die wollen dich doch nur fangen, die wollen sehen, ob du wirklich so etwas machst!“ Aber meine Mutter sagte: „Wenn jemand nach dem Priester verlangt, dann ist das alles egal!“

Sie ist dann tatsächlich um 10 Uhr mit Kaplan Leber durch die offene Haustür gehuscht, und die alte Frau lag wirklich im Sterben. Sie war selig über das Erscheinen des Priesters.

Als es wieder einmal läutete, stand jemand von der Hitlerjugend draußen. Die österreichische Fahne gab es nicht mehr, und wir mussten auf die rot-weiß-rote Fahne einen weißen Kreis mit einem Hakenkreuz nähen. Erna nähte es wutentbrannt drauf, und wir waren alle sehr traurig. Schon ich als Kind hatte empfunden: Jetzt gibt es kein Österreich mehr.

Die jüngeren Männer mussten alle einrücken, die Frauen wurden dienstverpflichtet, die alten und kranken Menschen sich selbst überlassen. Günther und Hans wurden bald zum Militär einberufen, mein Vater erst 1941. Er war als Oberleutnant ein Veteran des 1. Weltkrieges, aber politisch ungelegen und ein Judenfreund. Man schickte ihn im Rahmen der „Organisation TOT“ mit einer Hundertschaft von Halbjuden zum Schützengrabenbau nach Frankreich. Die ständigen traurigen Erlebnisse mit seinen Männern (Todesnachrichten von Eltern und Verwandten aus den KZs) und das jodhaltige Meerwasser, das die Schilddrüse angriff, bewirkten seine Entlassung. Bis zum Skelett abgemagert kam er heim. 1944 wurde er zum Volkssturm eingezogen.

Während der Kriegszeit hatte meine Mutter von ihrer Freundin Camilla Stadelmann erfahren, dass in der Pfarre Frauen gesucht werden, die sich im Sinne der Caritas um die Notleidenden bemühen. Camilla war die Frau des Gymnasialdirektors Stadelmann und wohnte in der Gustav-Seidel-Gasse 4. Es fand sich eine ganze Reihe von Frauen, die bereit waren. Von Hacking stellten sich Frau Stadelmann, Frau Banek, Frau Brenner und meine Mutter zur Verfügung, andere kamen direkt aus Ober St. Veit, vor allem Frau Papak, die Mutter von Clemens Papak, dem späteren Leiter des Ober St. Veiter Seniorenkubs. Die Frauen wurden fortan „Caritasdamen“ genannt und jede übernahm eine Aufgabe, die sie am besten erfüllen konnte. So gab es in der Folge eine sehr gut besuchte Nähstube, eine Wärmestube und eine Suppenküche und manches andere. Meine Mutter übernahm die Betreuung der Kranken und Alten in Zusammenarbeit mit dem Arzt und dem Priester. Sie pflegte, putzte, heizte ein, brachte gekochtes Essen und bereitete auf den Empfang der Krankenkommunion vor. Alles ging ihr wie selbstverständlich von der Hand, sie fühlte sich geleitet und getragen. Mich musste sie als Kind zu allen Einsätzen mitnehmen. Für mich war es aber eine Freude, dabei zu sein, und ich wurde ihr sehr schnell eine große Hilfe. Als eine Typhus-Epidemie Hacking heimsuchte, wollten sie alle davon abhalten, die Kranken weiterhin zu versorgen. Doktor Musger aber sagte: „Du kannst sie jetzt nicht im Stich lassen, wer auf Gott vertraut, steckt sich nicht an“. Und so war es auch. Von meiner Familie wurde niemand krank.

Günther Reitmeyer

In dieser Zeit enormen Einsatzes mussten meine Eltern den Tod Günthers überwinden. Er war 27 Jahre alt, als er starb, sein Vater war mit 27 Jahren Witwer geworden. Günther war zuerst zwei Jahre in Frankreich eingesetzt. In den ersten Kriegsjahren konnte er im Rahmen von Heimaturlauben sein Jusstudium abschließen.

In Frankreich war er in einer unerwartet ruhigen Gegend eingesetzt, aber von jeglicher Information über den Krieg abgeschlossen. Von einem Besucher erfuhr er, wie schlecht es den Soldaten in Russland ging und dass die Russen viel besser ausgerüstet waren. Beispielsweise hatten sie Pelzstiefel und unsere Soldaten nur mit Papier isolierte Schuhe.

Dann wurde Günther nach Russland verlegt. Auch dort erlebte er eine ruhige Zeit in sonniger Landschaft. Doch dann kam der Hauptmann und befahl allen, an ihre Frauen einen Abschiedsbrief zu schreiben. Er hatte seine Frau im Rahmen einer Kriegsheirat geehelicht. Er konnte es nicht fassen, aus diesem schönen Leben scheiden zu müssen. Er schrieb einen Brief an seine Stiefmutter. Er bedankte sich bei ihr, dass sie ihn als Kind übernommen hatte und ihm eine so gute Mutter geworden war. Er wünschte sich, dass seine Frau schwanger war. Der Bub sollte Heinz oder das Mädchen Monika heißen, „und dann vertraue ich es nur dir an und bitte schau auf meine Frau!“ Für seine Frau gab er einen verschlossenen Brief dazu.

Drei Tage später erlitt er einen Brustschuss und im Fallen einen Rückenmarkschuss. Er lag einige Tage in einem Feldlazarett ehe er starb. Am Ende seines Lebens sprach noch ein Priester mit ihm und gab ihm die Sakramente. Der Priester schrieb einen rührenden Brief an die Mutter, wie gut er sein Leben beendet und wie lieb er von ihr gesprochen hatte. Dabei lag das Bild eines Stahlhelmes, auf dem „Oberleutnant Reitmeyer“ geschrieben stand.

Sechs Monate später gebar seine Witwe einen Sohn.

Die Russen

In den Kellerräumen unter dem Weinbrunnen und unter einem anderen Gasthaus in der Nähe wurde viel Wein gelagert. Die lieben Kommunisten kamen aus ihren Häusern, wollten sich bei den Russen einschleimen und machten sie auf diese Vorräte aufmerksam. Die Kompanie stürmte geschlossen hinunter und stand bald bis zu den Knien im Wein. Die Soldaten hatten die Fässer ganz einfach aufgeschlitzt, und es dauerte nicht lange, bis sie alle betrunken waren. Die Hackinger glaubten, ebenfalls einen Wein zu ergattern und kamen mit allen möglichen Flaschen und Kannen gelaufen. Den Wein bekamen sie auch, doch sie hatten ihre offenen Haustüren nicht bedacht. So war es für die Russen leichter, in die Häuser zu kommen und den Frauen Schwierigkeiten zu bereiten.

Die Russen kamen aber auch öfters polternd an die Wohnungstüre der Reitmeyers. Die Mutter öffnete sofort und ging den Soldaten mit dem Kreuz in der Hand entgegen. Fast alle Russen schoben ihre Kappe zurecht und hatten Ehrfurcht. Aber eines Tages kam ein total Betrunkener an die Wohnungstüre und schlug der Mutter das Kreuz aus der Hand und die Petroleumlampe musste sofort gelöscht werden. Alle wurde aufgefordert, zu tun was er wollte. In unseren zwei Wohnungen auf beiden Seiten des Ganges hielten sich 17 Personen auf inkl. drei Kinderbetten, einem alten Ehepaar auf einem Ausziehsessel, sechs Leuten in den Doppelbetten, einer Person auf dem Tisch und einer unter dem Tisch. Mager genug waren ja alle, es war praktisch ein Heerlager. Jetzt wäre vor allem Hertha dran gewesen. Glücklicherweise wohnte im Erdgeschoß des Hauses ein junger Arzt namens Bertl, von der Frau Winter die das Schul- und Zeichenrequisitengeschäft hatte, der russisch sprechen konnte und das mitbekommen hatte. Er lief herauf, kam in die Wohnung und flüsterte dem Russen etwas ins Ohr. Der brummte ein paarmal missmutig und ging mit seinem Revolver in der Hand wieder zur Türe hinaus. Später erfuhren wir, was ihm der Bertl ins Ohr geflüstert hatte: „Du, die haben alle keine Ahnung, was du von ihnen willst. Ich bring‘ dich wohin, die kennt sich aus!“ Es war also nicht unser Verdienst, aber wir hatten eben Glück.

Ernas Reaktion auf diesen Vorfall war sehr entschlossen und sie sagte: „So, jetzt gehen wir auf die Kommandatur und verlangen, dass unser Haus unter deren Schutz gestellt wird!“ Erna und ich gingen also nach Meidling. Als der dort diensthabende Kommandant erfuhr, woher wir kamen, fing er an, ungehemmt zu brüllen und zu schreien wie ein Wilder. Wir haben natürlich nichts verstanden und mussten abwarten. Dann kam ein Dolmetsch und der erklärte uns den Grund für den Wutausbruch des Kommandanten: „Der Krieg ist zwei Tage später zu Ende gegangen, weil alle Soldaten wegen des Hackinger Weines betrunken waren, und jetzt soll er den Leuten von dort auch noch helfen!“ Der Kommandant beruhigte sich aber wieder und schrieb uns ein Plakat für die Haustüre. Es erlaubte nur mehr Offizieren den Zutritt zu unserem Haus. Als Begründung reichte, dass wir von den lieben Befreiern belästigt wurden.

In unserer Wohnung drängten wir uns noch mehr zusammen und stellten die Zimmer-Küche Wohnung vis-a-vis zur Verfügung. Zuerst wurde sie einem Militärarzt zugeteilt, der darin „ordinierte“. Als die Soldaten über die Stiegen zu ihm hinauf kamen, stand er dort und stellte seine Diagnosen. Vermutete er einen Simulanten, hieß er ihn umdrehen und stieß ihn mit seinen Stiefeln die Wendeltreppe hinunter. Nach ihm schlief der Sohn eines russischen Popen namens Michael mit seinem Diener in der Wohnung. Das war phantastisch. Er ließ uns die Wohnung den ganzen Tag benützen. Am Abend brachte er Lebensmittel, und wir setzten uns alle Gemeinsam zum Essen. Wir hatten auch eine kranke Person in unserer Wohnung aufgenommen, sie hieß Sophie und konnte Russisch. Mit ihrer Hilfe konnten wir uns mit dem Popen unterhalten. Doch dann wurde Michael ganz unterwartet verlegt, zurück blieb ein schöner großer Polster, gelb-weiß kariert. Es war der Polster, den der Pope von seiner Mutter mitbekommen und der ihn schon den ganzen Krieg begleitet hatte. Wir gingen zu Fuß bis Gersthof, um ihm den Polster nachzutragen, aber er war leider noch weiter verlegt. Ich habe dann 10 Jahre auf dem Polster geschlafen.

Mit dem Ende des Krieges wandelte sich der Ort in verschiedener Weise. An einem der Tage hatte Erna gesagt: „Wir haben ja ganz vergessen! Kummt‘s her, jeder löst so ein blödes Hakenkreuz herunter, Österreich und unsere Fahne gibt es wieder!“ Das war in unserer Familie ein ganz großer Augenblick, dieses Bewusstsein, jetzt sind wir wieder Österreicher! Die Not blieb aber, nur verschob sie sich auf andere Menschengruppen. Viele Angehörige kamen zurück, mein Vater war nach der Kapitulation zu Fuß von Brünn nach Wien gegangen. Er stand unter dem Schutz der Russen, da er sich bereit erklärt hatte, eine Gruppe fußkranker Wiener heimzuführen. Es waren jetzt die Flüchtlinge aus der Tschechei, aus Böhmen und Mähren, die den Einsatz der Caritasdamen brauchten. Letztlich wurden Freundschaften geschlossen, die bis zum Tod dauerten.

Als Vater wieder zu Hause war, meldete er sich zur Übernahme des Amtes eines Fürsorgerates und konnte viel Positives bewirken. Mit Chlad und Fuld arbeitete er am Aufbau der Volkspartei mit. Mit Gesprächen und Aussendungen warb er für die erste Wahl nach dem Krieg und versuchte, die Menschen für seine Sache zu überzeugen. Seine beste Tat aber war, dass er mit Eintritt in die Pension das Kochen und einen Teil der Hauswirtschaft übernommen hatte, um Mutters Tätigkeit für die Bedürftigen zu erleichtern.

Hans Reitmeyer

Nach dem Tod des ersten Sohnes musste die Familie jetzt auch den Tod seines zweiten Sohnes Hans ertragen. Hans hatte noch in der Kriegszeit die um ein Jahr vorgezogene Reifeprüfung abgelegt und sich zu den Fallschirmjägern gemeldet. Er wurde dann der Fallschirmspringerschule als Ausbildner zugeteilt. Auch er wurde verwundet, konnte sich aber vollständig erholen. Er war ein talentierter Zeichner und studierte nach dem Krieg Zeichnen und Kunstgeschichte. Er wurde Professor dieses Faches, unter anderem in der Rosasgasse. Für seine Schüler war er immer da, und er achtete darauf, dass die guten Schüler die anderen unterstützten und dass sich alle gegenseitig halfen.

Seine zweite große Begeisterung galt der Turn- und Sportunion wo auch sein Vater und Erna aktiv waren. Im Sommer organisierte Hans interessante Urlaubsveranstaltungen für die Kinder. Mit den jüngeren war er meist bei der Dobrasperre, mit den Kindern mittleren Alters macht er gerne Radtouren, und mit den 15–16jährigen ging er ins Gebirge.

Im August des Jahres 1957 wollte er mit einer Gruppe von Jugendlichen auf das Wiesbachhorn gehen. Wegen schlechten Wetters mussten sie warten. Als endlich schöneres Wetter angesagt war und ihnen eine stabile Wetterlage vorhergesagt wurde, brachen sie auf. Doch mitten auf dem Gletscher wurde sie von Schlechtwetter und einem verheerenden Schneesturm überrascht. Sie versuchten, irgendwo in Sicherheit zu kommen, gingen aber im Kreis. Ein Biwak mussten sie wieder abbrechen, weil sie es auf einer Gletscherspalte gebaut hatten. Schließlich waren die jüngsten mit 14 und 15 Jahren völlig erschöpft. Hans und sein mitgefahrener Cousin mussten je einen Buben tragen. Das Resultat waren fünf Tote: Die beiden 36-jährigen Erwachsenen und drei Schüler verstarben am 30. August 1957 an Erschöpfung in der alten Kaindlhütte, nur zwei Schüler überlebten. Einer von ihnen war der Herndl Wolferl, der heute noch lebt. Der Vater musste Hans identifizieren und nach Hause holen. Das war ein weiterer schwerer Schlag für die Familie.

Hans‘ Verdienste um die Jugend blieben aber allgemein anerkannt, sogar die Eltern der verunglückten Kinder kamen und versicherten, wenn Hans noch leben würde und sie noch einen Sohn hätten, würden sie ihn wieder mit ihm gehen lassen. Der Wettersturz war so dramatisch, dass sogar unten in Kaprun ein halber Meter Schnee gefallen war. Hans war unverheiratet geblieben, weil er aus dem Krieg zurückgekommen eigentlich Priester werden wollte. Doch ein Jesuit riet ihm davon ab, denn er hätte die besten verbliebenen Jahres seines Lebens dem Studium opfern müssen. Er sollte sich lieber so der Jugend widmen; das hatte er dann auch getan. Die Eltern ertrugen den Schmerz ohne zu zerbrechen in Hingabe an die Vorsehung Gottes.

Erna Reitmeyer

Meine Schwester Erna hatte sich während des Krieges als Stütze ihrer Stiefmutter erwiesen und viele Aufgaben des abwesenden Vaters übernommen. Unter anderem pflegte sie den Schrebergarten, den Onkel Hans Wimpissinger und ihr Vater in mühsamer Kleinarbeit von den Steinen befreit hatten. Erna baute dort Gemüse an.

Beruflich war sie Kindergärtnerin. Als ich zur Welt kam, hatte sie ihr erstes Dienstjahr vollendet, ich weiß nicht mehr wo. Später war sie in der Hegelingasse. Mit dem Gehalt konnte sie die Familie unterstützen. Ihre Arbeit als Kindergärtnerin musste sie aufgeben, als sie sich weigerte, das Kreuz, das sie immer trug, abzunehmen. Sie verderbe damit die Kinder. Sie wurde zuerst in die Kartenstelle versetzt und dann in die Saurerwerke am Areal der Wagenfabrik Rohrbacher. Dort hatte sie geschlossert und Planen genäht. Am Ende machten sie dort ganz entzückende Geschenke für die Mitarbeiter: Armbänder aus Blechblatterl und Aktentaschen aus fettem Papier. „Wer weiß, was wir alles brauchen“, war Ernas Motto, und sie ist auch zu einer Schneiderin und zu einem Schuster als Volontärin gegangen. Sie konnte unsere Schuhe selber besohlen, sie konnte schneidern und Hüte machen.

Nach der russischen Besatzungszeit fand Erna wieder Beschäftigung in einem Kindergarten. Sie sprach mit den Kindern sehr viel über Gott, weswegen die kommunistischen Leiter, die sie an sich sehr gerne hatten, sie aus Angst eines Vorwurfes wiederholt ins Amt meldeten. Erna wurde deshalb von einem Kindergarten zum anderen versetzt. Erna störte das nicht, so konnte sie an viele Kinder etwas weitergeben. Dabei ging es nicht nur um Religion, sondern um viele lebenspraktische Sachen.

Eines Tages wurde sie ins Amt zum obersten Leiter hineingerufen. Sie wurde ersucht, in ein paar Minuten zu erklären, warum sie das tut. Sie erklärte, sie müsse mit den Kindern alles machen, auf die Post gehen, mit den Kindern einkaufen gehen, ihnen das tägliche Leben zeigen, und für getaufte Kinder gehört auch die Kirche dazu. Damals waren ja die meisten Kinder noch getauft. „Darum zeige ich den Kindern auch die Kirche, nicht jeden Tag, aber einmal schon. Die Kinder sollen auch lernen, dass das Essen etwas Wertvolles ist, daher bete ich mit den Kindern vor dem Essen, ‚danke lieber Himmelvater für das gute Essen‘“. Inspektor Kothbauer – so hieß der Leiter –, wollte Erna zuerst nur 10 Minuten Zeit für ihre Rechtfertigung geben, doch dann war sie 1 ½ Stunden bei ihm und schließlich versprach er, sie ab jetzt zu decken. „Was Sie machen, ist in Ordnung!“ Von da an konnte sie in Ruhe arbeiten. Ab den 1970er-Jahren war sie im städtischen Kinderarten Ober St. Veits. Dort blieb sie bis zu ihrer Pensionierung.

Sie war ihr Leben lang unverheiratet geblieben. Während des Krieges war nicht die Zeit dafür, danach waren alle guten Bekannten tot. Später hätten sie ein Mann und vielleicht zwei Kinder nicht mehr erfüllt. Mittlerweile waren alle Kinder „ihre Kinder“, nicht nur die Kindergartenkinder. Gab es im Urlaub irgendwo ein paar Kinder, Erna war gleich bei ihnen.

Herta Reitmeyer

Herta war lange Zeit die kleinste und zarteste Tochter und wollte das nie sein. Sie spürte nie Hunger und hatte deswegen auch im Krieg und vor allem nachher keine Probleme mit der knappen Versorgung. Alle hatten Hunger, nur sie war froh, nichts essen zu müssen. Herta liebte mich, ihre kleine Schwester, über alles und unternahm viel mit mir. Ich lernte viel, sie aber hatte das Gefühl, dass alles, was sie bisher von sich weggeschoben hatte, durch mich lebendig wurde. Ich war überall dran und mich interessierte alles. Ich profitierte aber auch von allen anderen Geschwistern, zum Beispiel ging Erna mit mir in die Stadt um Bauwerke und in die Katakomben zu besichtigen etc.

Noch während der Kriegszeit machte sie die Matura. Nach der Matura wurde Herta Kriegsverpflichtet und glücklicherweise im St.-Josefs-Krankenhaus dem Rechnungsführer zugeteilt. Er hieß Häupl, und wir glauben, dass das der Vater unseres jetzigen Bürgermeisters war. Wegen der Nähe ihres Arbeitsplatzes konnte sie weiter mit uns leben.

Nach dem Krieg machte Herta eine Kurzausbildung als Lehrerin und wurde Volksschullehrerin. Sie wurde in einer Schule eingesetzt, wo die Hälfte der Kinder milieugeschädigt oder geistig behindert war. Sie entwickelte großes Interesse für diese Tätigkeit und ließ sich zur Sonderschullehrerin ausbilden. Sie war dann einige Jahre als Sonderschullehrerin tätig.

Als sich der Bedarf an Schulpsychologen abzeichnete, wurde den interessierten Lehrern die Möglichkeit zu einer diesbezügliche Kurzausbildung geboten. Die Absolventen hießen dann „Schulberater“. Es gab nur diese eine Gruppe, weil dann schon die richtigen Psychologen heranreiften. Hertha wurde Schulberaterin für den 13. und 23. Bezirk. Mit großen Koffern ist sie von einer Schule in die andere gefahren, um die Kinder hinsichtlich Schulreife und Fortschritt zu testen oder überhaupt hinsichtlich der Schulentscheidung zu beraten. Sie hatte eine gute Hand und konnte in dieser Tätigkeit viel Gutes tun. Noch heute bin ich mit vielen Menschen in Verbindung, die sagen: „Ja, wenn die Hertha damals nicht gesagte hätte, stellt sie ein Jahr zurück …. usw!“

Später kümmerte sie sich viel um Mama.

Für Männer hatte Hertha nie ein Interesse. Ich war ja als kleines Kind immer sehr hellhörig. Eine Tante – für mich waren alle weitschichtig verwandten Frauen Tanten – hatte einen Sohn, den hätte sie gerne der Herta gegeben. Wenn diese Tante auf mich aufpasste, spechtelte sie immer hinunter auf die Straße. Und ich fragte mich immer, was die beiden denn haben, sie reden und reden und sonst tun sie nichts.

Jetzt bin ich allein

Solange mein Vater es konnte, war er bei jeder Wahl im Einsatz, in den späteren Jahren in einer fliegenden Kommission. Er hielt auch zu den anderen Parteien guten Kontakt. Besonders zu Bezirksrat Nissel von der Sozialistischen Partei. Sie schätzten sich gegenseitig und so kam es, dass beim Begräbnis meines Vaters neben seinen Parteifreunden und vielen Hietzingern, die ihm die letzte Ehre gaben, auch Bezirksrat Nissel eigenhändig einen großen Kranz mit roten Nelken den Berg zum Ober St. Veiter Friedhof hinauf trug, und auf das Grab legte.

Nach einer Männerwallfahrt in Klosterneuburg und einem gemeinsamen Abendessen im Kreise seiner Familie, hatte mein Vater wie jeden Abend nach dem Abendgebet seine Familie und sein Heimatland gesegnet. Dann hatte er sich mit einem Glas Wein zu seiner geliebten Markensammlung zurückgezogen. Kurze Zeit danach hatte ihm Gott die Pinzette aus der Hand genommen heim geholt.

Er ist 1976 im 84. Lebensjahr verstorben und es gibt es noch viele Hackinger und Hietzinger, die sich gerne an ihn erinnern. In Gesprächen heißt es immer wieder: „Er war ein stattlicher, fröhlicher, gerechter Mann, der seine Religion und seine politische Meinung nie verleugnete.“ Seine ehemaligen Schüler sagen von ihm: „Er war streng, mit einer angeborenen Autorität, seine Strafen waren überlegt und haben manchen älteren Schüler zum Nachdenken verholfen.“

Das Leben meiner Mutter war immer von Gott getragen, der ihr half, nach dem Tod der Söhne auch den Tod ihres Gatten, mit dem sie über 50 Jahre verheiratet war, zu ertragen und die Zeit schwerer Depressionen zu überwinden. In diesen schweren Jahren bekam meine Mutter durch ihre drei Töchter zurück, was sie anderen geben konnte: Liebe, Hilfe und Geborgenheit. Hertha lernte mit fünfzig Jahren noch Autofahren und führte sie zu den Ärzten, aber noch mehr gab sie ihr, wenn sie mit ihr von einer Kirche zur anderen, von einem Wallfahrtsort in den anderen fuhr und Priester bat, für sie zu beten. Ich pflegte sie und schlief all die Jahre bei ihr und half ihr in den Nächten. Das Beste aber gab ihr Erna, ihre älteste Tochter, die sie nicht geboren hatte. Sie wurde ihr wie eine Mutter. Sie ermunterte sie zu malen, zu singen, zu stricken, Gedichte zu wiederholen, überwand ihren Widerstand und brachte sie ins Leben zurück. Einmal sagte sie: „Ich habe dich so lieb, ich glaube jetzt habe ich dich geboren, jetzt sind wir ganz verbunden!“. Sie konnte nur danke sagen. Sie starb in ihrer Wohnung in der Auhofstraße 188.

Quellen:
Unterlagen und Gesprächsprotokolle

Zusammengefasst von hojos im Jänner und Februar 2015
Auf 1133.at übertragen am 28. August 2017