Tennis in der Region

1902

Ausgangspunkt des Ober St. Veiter Tennislebens war das in Unter St. Veit gelegene „Sportetablissement Pole Nord“ des mehrfachen Weltmeisters und Europameisters im Eiskunstlauf Gustav Hügel. Dort war die Heimstätte des „Hietzinger Sport-Clubs“, der sich vorwiegend aus Bewohnern des „Cottage-Viertels“ zusammensetzte. Die in der Elßlergasse 13 beheimatete Anlage verfügte über eine Radfahrschule, Räderremise, Restauration, Billardzimmer und einen Orchesterraum. Weithin bekannt und wohl auch namensgebend war der im Winter betriebene Eislaufplatz.

Ein Pavillon im „Pole Nord“ wird als erster bekannter Ort genannt, an dem in Österreich „Zimmertennis“ (Tischtennis) gespielt worden sein soll, das war im Frühjahr 1901. Ab dem Folgejahr wurde auf dem Pole Nord bereits Tennis im Freien gespielt. Das beweisen die unten abgebildeten Noten des „Hietzinger Sportclubmarsches“ den dem Hietzinger Sportklub anlässlich seines ersten Tennisturniers gewidmet wurden. Dieser Marsch wurde in der Deutschen Kunst- und Musik-Zeitung vom 22. März 1902 (Nr. 12 des XXIX. Jahrgangs, S. 93) sogar gelobt: „ ... in höchst origineller Ausstattung hat der mit bestem Erfolg aufgeführte 'Hietzinger Sportclubmarsch' von Oskar Winkler alle Aussicht, bald populär zu werden.“ Damit wissen wir: Das erste Tennisturnier in Hietzing fand im Frühjahr 1902 statt.

Der Hietzinger Sportclubmarsch. Noten für Klavier. © Noten- und Schellacksammlung Walter Schwanzer
<p><b>Der Hietzinger Sportclubmarsch</b></p><p>Noten für Klavier.</p><p><i>&copy; Noten- und Schellacksammlung Walter Schwanzer</i></p>

Eine Ansichtskarte aus dem Jahr 1905 beweist ebenfalls, dass das Areal im Sommer als Tennisanlage genutzt wurde, und zwar mit mehreren Sandplätzen.

Zwei Ausschnitte aus der Ansichtskarte 1905: Oben die große Tennisanlage vor dem markanten Gebäude des „Pole Nord“ und im Hintergrund die feudale Taussig-Villa am Fuß des Küniglbergs. Das untere Bild zeigt den Tennisbetrieb genauer.

Zwei Ausschnitte aus der Ansichtskarte 1905: Oben die große Tennisanlage vor dem markanten Gebäude des „Pole Nord“ und im Hintergrund die feudale Taussig-Villa am Fuß des Küniglbergs. Das untere Bild zeigt den Tennisbetrieb genauer.
<p>Zwei Ausschnitte aus der Ansichtskarte 1905: Oben die große Tennisanlage vor dem markanten Gebäude des „Pole Nord“ und im Hintergrund die feudale Taussig-Villa am Fuß des Küniglbergs. Das untere Bild zeigt den Tennisbetrieb genauer.</p>
Wegen der fortschreitenden Verbauung im “Cottage-Viertel” wurde der Sportbetrieb nach ein paar Jahren nach Ober St. Veit auf eine neue Anlage in der Geylinggasse / am Gutzkowplatz verlegt (heute der Blau-Weiss-Platz). Auch diese Anlage wurde „Pole Nord“ genannt und ist den Zeitzeugen noch als „Nordpol-Platz“ in Erinnerung. Pächter des Gemeindegrundes war wieder Gustav Hügel. 1914 wurde darauf ein vornehmes Garderobengebäude mit Orchesterraum im Dachgeschoß errichtet und im Sommer standen 5 Tennisplätze zur Verfügung.

In dieser Zeit waren die Tennisplätze wahrscheinlich Mietplätze, die zur interimistischen Heimat verschiedener Tennisklubs wurden. Länger beheimatet scheint der im Krieg untergegangene „Hietzinger Tennisclub Nordpol“ gewesen zu sein. Eine Rangliste der österreichischen Tennisvereine des Jahres 1933 erwähnt ihn auf Rang 22.
Die zur Anlage gewandte Seite des Klubhauses „Pole Nord“ im Einreichplan 1914. Der einstige Orchesterraum (man sieht im Plan die Notenständer eingezeichnet) diente der Beschallung der Tennisanlage. Heute haben Lautsprecher diese Funktion übernommen. © Tennisklub Blau-Weiss
<p>Die zur Anlage gewandte Seite des Klubhauses „Pole Nord“ im Einreichplan 1914. Der einstige Orchesterraum (man sieht im Plan die Notenständer eingezeichnet) diente der Beschallung der Tennisanlage. Heute haben Lautsprecher diese Funktion übernommen.</p><p><i>&copy; Tennisklub Blau-Weiss</i></p>
Die Entstehung der weiteren Anlagen ist mit der Entwicklung der Tennisvereine verbunden. Am weitesten zurück reicht von den heute bestehenden Tennisvereinen die Geschichte der „Hietzinger Tennisvereinigung“ (HTV), die 1926 aus der Zusammenlegung des 1919 gegründeten „Hietzinger Park-Klub“ und des „Hietzinger Tennisklub“ entstand. Ehe die HTV 1929 ihren eigenen Platz in der Geylinggasse 20 bezog, war sie wie ihre Vorläufervereine auf anderen Spielstätten eingemietet, unter anderem dem Nordpol-Platz. Die Geylinggasse 20 ist bis heute die Heimstätte der HTV, unterbrochen nur von der 8-jährigen Beschlagnahme durch die britischen Besatzungssoldaten nach dem2. Weltkrieg.

Der zweite Tennisverein in Ober St. Veit ist der „Ober St. Veiter Tennisclub“ (OTC). Er soll 1931 oder 1932 als „St. Veiter Tennisclub“ ins Leben gerufen worden sein und hatte seine Spielstätte ursprünglich neben der Wagenfabrik Rohrbacher an der Adresse Hietzinger Hauptstraße 121. Von 1939 bis 1948 war der Sportbetrieb eingestellt, da auf der Anlage Wohnbaracken für Arbeiter der Wagenfabrik Rohrbacher errichtet wurden. Ein Großteil der Mitglieder ging zur HTV. 1948 formierten sich ehemalige Mitglieder des St. Veiter Tennisclubs und Mitglieder des früheren Tennisclubs Nordpol, der ja seine Spielstätte an Blau-Weiss verloren hatte, zum neuen „Ober St. Veiter Tennisclub“ auf der alten Anlage neben dem „Rohrbacher“. In den Jahren 1973 bis 1977 konnte der Verein eine schwierige Situation meistern und die wegen des beendeten Pachtvertrages verlorene Anlage (BASF-Österreich errichtete dort seinen Firmensitz) durch eine neue ersetzen. Auf diesem vom Karmeliter Konvent gepachteten Grund unterhalb des Faniteums spielt der Verein noch heute.

Dritter Tennisclub Ober St. Veits ist der 1934 auf der Schmelz gegründete TC Blau-Weiss als Nachfolgeverein einer 1931 gegründeten Tennissportgruppe im Rahmen des ASKÖ (Arbeitersportklub Österreichs). 1938 übersiedelte der Klub nach Ottakring und nach dem Krieg auf die Nordpol-Plätze, wo er heute noch beheimatet ist. Die von der Gemeinde Wien gepachtete Anlage hat mittlerweile den Vereinsnamen Blau-Weiss angenommen.

Die vierte Tennisanlage in heutigen Ober St. Veit ist der Tennisgarten Hietzing am Goldmarkplatz. Er ist eng mit der Tätigkeit der Kinderfreunde verbunden, soll schon in den 30er Jahren bestanden haben und im Winter als Eislaufplatz genutzt worden sein. Ab 1946 dienten die 4 Sandplätze über lange Zeit als Betriebssportanlage der Wiener Städtischen Versicherung, die im Gegenzug für die Benutzungsrechte die Jugendarbeit der Kinderfreunde unterstützte. Ab 2002 wird die Anlage von der Tennisschule Mocker mit dem Schwerpunkt Kindertennis betrieben.

Außer diesen Vereinsplätzen gab es in Ober St. Veit noch mehrere Privatplätze, etwa in der Seifertstraße, in der Veitlissengasse und in der Hagenberggasse. Manchmal wurde diese Plätze auch an Dritte vermietet, wie zum Beispiel der in der Hagenberggasse. Er gehörte einer Frau Koch, die Professorin an der Wenzgasse war. Bis in die 50er Jahre gab sie Tennisstunden und der Platz diente in erster Linie diesem Zweck. War er frei, durfte ihn die Hausbesorgerin an Fremde vermieten. Heute stehen an seiner Stelle Neubauten.

Zurück zu den Ober St. Veiter Tennisklubs: Vom rein freizeitorientierten Tennisbetrieb der Kinderfreunde abgesehen, versuchten alle, eine ihnen optimal erscheinende Balance zwischen Sport und Freizeitbetrieb zu halten. In diesem Kraftfeld hatten sie auch bald einen gewissen Ruf. Die HTV soll eher der elitäre Klub für die reichen Bürger á la Kaindl und Pierer (Berghofer) gewesen sein mit Schwerpunkt auf angenehmer Klub­atmosphäre. Blau-Weiss war der sportlich ehrgeizigste Klub mit Teams in den höchsten Spielklassen und der OTC bewegte sich dazwischen. Heute haben sich die Vereine in ihrer Klubphilosophie angenähert. Sie legen großen Wert auf die Jugendarbeit, wollen ihre Spielstärke weitgehend aus eigenem generieren und mit möglichst wenigen Legionären auskommen. Diese Grundtendenz variiert natürlich im Zeitablauf gemäß Einstellung des Vereinsvorstandes, aber jeder Verein muss ein herzeigbares sportliches Niveau halten und gute Spieler in verschiedener Weise unterstützen. Demgegenüber haben die Kinderfreunde den sportlichen Aspekt niemals forciert und auch heute betont die Tennisschule Mocker das Freizeitmoment.

Wirtschaftlich sind die „Fetten Jahre“ für Tennisklubs aber vorbei. Bis in die 80er Jahre übertraf die Nachfrage nach Tennisplätzen bzw. Klubmitgliedschaften das Angebot und es fiel den Vereinen leicht, das jeweils gewünschte Profil zu halten. Heute sind genügend Plätze vorhanden und andere Sportarten (Golf, Laufen, Radfahren ...) bieten zahlreiche Alternativen zum Tennissport. Die Entwicklung der Mitgliedschaften in allen Ober St. Veiter Tennisklubs zeigt aber, dass sich nach einem in den 90er Jahren beginnenden Mitgliederverlust und der Talsohle 2002 bis 2003 die Lage wieder deutlich verbessert. Heute liegt die Zahl der Mitglieder aller Kategorien je Verein in der Nähe der Faustregel, die 40 Spieler pro Platz fordert. Die Einschreibgebühren sind übrigens Mitte der 80er Jahre in allen Klubs gefallen.

Tennis ist nach wie vor ein schöner und dank des Wettbewerbscharakters auch spannender Sport. Die in Grünoasen angesiedelten Anlagen Ober St. Veits bieten darüber hinaus eine erholsame Klubatmosphäre und erscheinen relativ zukunftsfest.

Abschließend eine Übersicht über die Tennisvereine Ober St. Veits im Jahre 2008:

Quellen:
Mitglieder der Tennisklubs, Chroniken und Vereinszeitungen;
Tennis 1902 bis 1977 - Festbuch des Österreichischen Tennisverbandes anläßlich des 75jährigen Bestandsjubiläums.

hojos
im April 2008, Ergänzungen im November 2019