Brief ans Christkind

wegen der Verwahrlosung des Hauses Hietzinger Hauptstraße 170
15.11.2008

Ich weiß, du bist sehr beschäftigt und ich bin nur ein altes Haus. Aber die Not zwingt mich, dir trotzdem zu schreiben. Du kennst mich, ich bin auf vielen Postkarten aus Ober St. Veit abgebildet.

In gewisser Weise bin ich sogar ein denkwürdiges Haus, denn meine Keimzelle war das erste Haus auf einer Einwölbung des Marienbaches. Die erste Einwölbung entstand, als Maria Theresia Schloss und Herrschaft St. Veit besaß und eine breite Straße von St. Veit nach Hietzing (die heutige Hietzinger Hauptstraße) anlegen ließ. Der Franziszeische Katasterplan 1819 zeigt diese Straße, als sie noch recht jung war. Die breite Bacheinwölbung, über die sie führte, hatte auch Platz für ein Haus. Das war vielleicht schon ich. Es kann aber auch sein, dass ich meine heutigen Dimensionen erst nach der weiteren Einwölbung des Marienbaches erhielt, ich kann mich nicht mehr erinnern. Das Bild oben, vermutlich aus dem Winter 1869, zeigt mich ganz rechts bereits als stattliches Gebäude.

Wau, waren wir fesch, meine beiden Kameraden hinauf Richtung Firmiangasse (damals noch Langegasse) und ich! Herrlich gegliederte Fassaden mit schönen Fenstern hatten wir und hölzerne Vorbauten im ersten Stock. Da konnten selbst die vielen Tafeln des Landkrämers Stöckl nicht stören. Wir hatten schon einen vorstädtischen Touch, duckten uns aber noch brav vor der Kirche, damit diese aus allen Richtungen gesehen werden konnte.

Viele Menschen wohnten in mir und viele Geschäfte waren in mir untergebracht. 1880 waren gleichzeitig ein Cafetier in mir, eine Glaserin, die gleichzeitig einen Rasierladen mit zwei Barbiergesellen betrieb, und am Eck der Landkrämer Geiger. Der Krämer wanderte auf die linke Seite des Hauses, später war dort die Handlung des Herrn Johann Melan, Herr Karl Diem machte daraus ein Delikatessengeschäft und zur Zeit von Frau Schuldmayer war es sogar ein ganz nobles. An die Ecke zur Glasauergasse zog eine Weinstube, das Gasthaus Melan, eine Polizeiwachstube und schließlich ein Schuster. Viele Menschen besaßen und liebten mich, egal ob sie mich geerbt oder gekauft hatten. Ich wurde gehegt und gepflegt.

Ich hatte keinen Grund, mir Sorgen zu machen. Umso mehr erschrak ich, als mir der schöne Vorbau weggenommen wurde und noch mehr, als zur Wende ins 20. Jahrhundert mein Nachbar zerbrochen und abtransportiert wurde. Als dann dieser Riesenblock zwischen mich und meinen Kameraden an der oberen Ecke zur Firmiangasse gezwängt wurde, überkam mich ein Gefühl der Einsamkeit. Ich konnte die Kirche nicht mehr sehen. Auch die Menschen in der Hietzinger Hauptstraße konnten sie nicht mehr sehen, aber diese waren offensichtlich ganz vernarrt in hohe Häuser. Damals begann ich, an ihnen zu zweifeln: Wie konnten sie nur diese wunderbare Häuserzeile ruinieren und obendrein den Blick auf die Kirche verbauen? Ich verbrachte viele Jahrzehnte in ständiger Angst und als das Haus gegenüber durch diesen schrecklichen Wohnbau ersetzt wurde, machte ich mir keine Hoffnungen mehr. Doch ab 1970, als wir zur Schutzzone erklärt wurden, wähnte ich mich wieder in Sicherheit.

Auch die Kirchenuhr konnte ich nicht sehen und daher nicht bemerken, als es 5 vor 12 war. Das war, als mein Besitzer begann, es weniger gut mir mir zu meinen. Im Zuge des folgenden Verkaufes war es ihnen egal, wer mich kaufte, sie wollten nur möglichst viel Geld haben. Die Käufer namens Unita Alpha Immobilien GmbH waren mir gleich suspekt. Sie sahen mich so eigenartig an, mit Dukaten in den Augen. Sie zahlten viel Geld, zogen aber trotzdem nicht ein. Als sie in den Wohnungen und Geschäften auch keine anderen Menschen haben wollten, verstand ich die Welt nicht mehr.

Heute bin ich nicht mehr so naiv und weiß, warum. Sie wollen mich verkommen lassen und zum Schandfleck machen, so wie meine Brüder in der Einsiedeleigasse. Und wenn alle verächtlich mit dem Finger nach mir zeigen, dann wollen sie mich abreißen. Mich! Mich, der ich doch Ober St. Veiter Urgestein bin und mindestens genauso zum Ortsbild gehöre wie das denkmalgeschützte Haus auf Nr. 153 oder die Häuser schräg vis á vis, die von Herrn Baumeister Lugner gerettet wurden. Der wurde damals hoch gelobt. Wer rettet mich?

Um mich kümmert sich niemand. Die Drogerie musste ausziehen, mein Verputz bröckelt ab, die Verblechungen sind ganz verbogen, die Fenster stehen offen und das Dach wird immer undichter.

Wie war das jetzt mit der Schutzzone, fragte ich noch immer ein wenig naiv. Ja, sagte man mir jetzt etwas mitleidsvoll, auch in der Schutzzone darf abgerissen werden, vorausgesetzt, das Haus ist nicht mehr sanierbar. Aber bitte, ich bin doch noch gut beinand, die Mauern sind fest und stark und mit wenig Geld bin ich auch wieder trocken zu legen und ein neues Kleid kostet auch nicht die Welt. Bitte, ich bin doch kein rettungslos verlorener Sanierungsfall!? Ja. Jetzt noch nicht, sagen die Leute, aber wart‘s nur ab! Die Häuser in der Einsiedeleigasse haben das auch gesagt, und dann kam die Raiffeisen Leasing.

Liebes Christkind, ich weiß, jetzt ist die falsche Zeit dich zu fragen, aber wen kann ich noch um Hilfe anflehen? Es ist ja nicht nur für mich, der ganze Platz leidet unter meinem ungepflegten Aussehen und leere Geschäfte sind der Tod für jeden Standort!

In großer Not grüßt dich
dein Altes Haus

hojos
15. November 2008