Die Schokoladeproduktion und die Kolonialzucker-Raffinerie in der Auhofstraße

Wegen der engen Verquickung werden die Schokoladefabrik und die Kolonialzucker-Raffinerie in der folgenden Chronik gemeinsam dargestellt.
00.09.1838

1833

Maximilian Joseph und Franziska Kattner erstehen das Areal der ehemaligen Neumühle, Konskriptionsnummer 135 (heute Auhofstraße 118) und errichten in dem Gebäude eine Schokoladeproduktion.

Dieses Bild zeigt das Gebäude der Neumühle im Franziszeischen Katasterplan aus 1819 (im roten Kreis). Der rote Punkt markiert den ungefähren Standort des Betrachters im Bild oben.
<p>Dieses Bild zeigt das Gebäude der Neumühle im Franziszeischen Katasterplan aus 1819 (im roten Kreis). Der rote Punkt markiert den ungefähren Standort des Betrachters im Bild oben. </p>

1835

Der Betrieb hat der Größe wegen bereits eine Landesfabriksbefugnis und ist als „k. k. priv. St. Veiter Maschin Chocolade Fabrik M. Kattner“ handelsgerichtlich protokolliert.

1838

Im September sucht M. J. Kattner, der sich der Untersützung des Kaufhauses Wertheimstein & Sohn erfreut, um die Bewilligung zur Errichtung einer Zuckerraffinierie an, die ihm auch erteilt wird. Allerdings springt er damit relativ spät auf einen längst abgefahrenen Zug auf. Nach Beendigung der Napoleonischen Kriege und der Aufhebung der Kontinentalsperre im Jahre 1814 waren die in der Zeit der Kontinentalsperre gefördeten Runkel­rübenfabriken dem Ansturm des Kolonialzuckers zum Opfer gefallen. Aber jetzt nähert sich die Kolonialzucker-Industrie dem Gipfel ihres Lebenszyklus und die Rübenzuckerindustrie ist längst wiedererwacht.

1839

Kattner stirbt, bevor er das Fabriksgebäude einrichten kann. Nun wünscht Heinrich von Wertheimstein, der Chef des Handelshauses, als Hauptgläubiger des verstorbenen Kattner die Raffinerie selbst fortzuführen. Auf dem Versteigerungsweg erwirbt er aus der Konkursmasse sämtliche Fabriksgebäude. Im Grundbuch wird der Kauf allerdings erst 1843 eingetragen, mit einer Frau Regina Simon als Vorbesitzerin schon seit 1836. Dem „tolerierten Israeliten“ Wertheimstein wird die angestrebte Bewilligung – eine Landesfabriksbefugnis für eine Zuckerraffinerie in Ober St. Veit – noch im Jahr 1839 erteilt. Er beabsichtigt 30.000 Zentner zu raffinieren. Seine tatsächliche Erzeugung wird dieses Ziel weit verfehlen. Der Schokoladebetrieb wird von der Witwe Franziska Kattner offensichtlich im Mietverhältnis weitergeführt.

1841

In der Zuckerraffinerie werden 6.600 Zentner erzeugt. Zu dieser Zeit gibt es in den Ländern der österreichisch-ungarischen Monarchie insgesamt 19 Kolonialzuckerraffinerien mit einer jährlichen Erzeugung von 251.000 Wiener Zentnern. Der Schwerpunkt der Erzeugung liegt im damaligen „Österreich unter der Enns“; die größte Kolonialzuckerraffinerie ist die von Reyer & Schlick mit jährlich 45.000 Wiener Zentnern. Die Kolonialzuckerfabriken, die Zucker aus importiertem Rohrzuckermehl erzeugen, stehen bereits in hartem Konkurrenzkampf mit der Rübenzuckerproduktion. Auf dem Gebiet des heutigen Österreich stehen zwar 8 Kolonialzucker-Raffinerien nur 9 Rübenfabriken geben­über, in der gesamten Monarchie ist die Zahl der Rübenzuckerfabriken aber bereits auf rd. 100 explodiert, die meisten davon in Böhmen. Auf dem Weg von einer landwirtschaftlichen zu einer industriellen Produktionsweise übernehmen sie zunehmend die technischen Errungenschaften der Kolonialfabriken und steigern ihre bisher magere Erzeugungsleistung.

1843

hat sich die Produktion der Wertheim­stein’schen Zuckerraffinerie auf 12.400 Zentner nahezu verdoppelt, liegt aber nach wie vor weit unter dem ursprünglichen Ziel. Die Erzeugung in der Monarchie hat sich durch weitere technische Verbesserungen auf rd. 438.000 Zenter gesteigert. 1845 Nach einem langen Kampf in nahezu auswegloser Situation – sogar die Fabriksbefugnis ging verloren – erhält Franziska Kattner eine neue, auf sie lautende Befugnis zur Schokoladeerzeugung, protokolliert als „Maschin-Schokoladefabrik Franziska Kattner“. Nach wie vor hat sie ihren Betrieb im ehemaligen Mühlengebäude des Herrn von Wertheimstein, der dies laut Protokoll zu einem später erörterten Streit um den Mühlbach nur aus „Menschenfreundlichkeit“ so belässt.

1848

wird das Areal der Zuckerraffinerie dem Grundbuch zufolge von Baron Salomon Meyer von Rothschild, dem Proponenten des Wiener Rothschildzweiges, erworben. Bis in dieses Jahr konnten die Wiener und Niederösterreichischen Kolonialzucker-Raffinerien ihre Märkte verteidigen. Aber die Verdichtung des Eisenbahnnetzes, welches den böhmischen Zucker billiger hereinbrachte, und das Zuckersteuergesetz 1849, welches den Import des Kolonialrohrzuckers verteuerte, weihte sie dem Tode.

1851

Im Februar dieses Jahres sind in der Zuckerfabrik 42 und in der Schokoladefabrik nur mehr 2 Arbeiter beschäftigt.

1853

enden die Eintragungen im Handelsgerichts-Akt zur Schokoladefabrik.

1859

stirbt Herr von Wertheimstein. Die Zuckerraffinerie soll schon lange nicht mehr in Betrieb gestanden sein.

1860

Baron Salomon Meyer von Rothschild verkauft das Objekt an die Eheleute Jakob und Friederike Minor und Johann Kaspar und Barbara Kümmerle. Die Maschinen gibt es noch, sie werden nach dem Verkauf von der Liegenschaft abtransportiert. Die Gebäude werden zu den als „Kümmerl-Häuser“ in die Geschichte Ober St. Veits eingehenden Arbeiterquartieren.

Aquarell von Studenten des Polytechnikums mit der Zuckerfabrik um das Jahr 1850. Ersichtlich ist die Gebäudefront zur Auhofstraße. © Wiener Stadt- und Landesarchiv
<p>Aquarell von Studenten des Polytechnikums mit der Zuckerfabrik um das Jahr 1850. Ersichtlich ist die Gebäudefront zur Auhofstraße.</p><p><i>&copy; Wiener Stadt- und Landesarchiv</i></p>
Ein Teil der Kümmerlhäuser in der Auhofstraße 118 im Jahre 1933.
<p>Ein Teil der Kümmerlhäuser in der Auhofstraße 118 im Jahre 1933.</p>

Das Foto oben zeigt den linken Abschnitt des vorangestellten Aquarells. Die Übereinstimmung ist nur teilweise; Fassade und die Anzahl der Fensterachsen des linken Gebäudes stimmen allerdings überein.

Quellen:
Baxa, Jakob: Die Zuckererzeugung 1600–1850. Jena Verlag von Gustav Fischer, 1937.
Klötzl, Gebhard: Aufzeichnungen.
Holzapfel, Josef: Historisches Ober St. Veit. Handwerks-, Gewerbe- und Vereinsgeschichte. Wien, Interessensgemeinschaft Kaufleute Ober St. Veit, 2009

Übertragen von hojos
Im August 2011