Offener Brief an Herrn Helmut A. Gansterer, Kolumnist des Profil

Betreffend die Profil Kolumne "good nows" - Krisen-Knigge, Profil Nr. 50 (2008)
11.12.2008

Sehr geehrter Herr Gansterer!

Nehmen Sie mir bitte die späte Reaktion nicht übel, aber meine Lesepriorität „Profil“ hat in den letzten Jahren etwas gelitten. Gansterer-Kolumnen konnten aber bisher hervorblitzen und zum Nachdenken anregen. Dieses Mal (Krisen-Knigge) wähne ich mich trotz langen Nachdenkens noch immer nicht auf der Höhe Ihrer Gedanken. In mir keimt der Verdacht, nicht ich alleine bin Schuld daran, sondern auch Ihre Worte. Kann es sein, dass Sie den Gebrauch des Wortes zur verständlichen Weitergabe von Gedanken geringer Schätzen, als früher? Gestatten Sie mir die Verdeutlichung meines Anliegens anhand der einzelnen Absätze Ihres Beitrages:

"Wenn unsere Ahnen Recht haben, liegt eine schöne Zeit vor uns. Das Schicksal schenkt uns eine Krise. Diese wird wie jede Krise eine katharsis sein, eine Reinigung bis auf den Grund. Sie wird vieles heilen, was krank war in ihrer Zeit." 

Ein viel versprechender Anfang, endlich spricht jemand nicht nur von Gefahren, sondern auch von Chancen. Allerdings misstraue ich der Hoffnung, denn für eine Katharsis braucht es in unserer Gesellschaft eher einer Katastrophe als einer Krise.

"Ich höre das nicht ungern, registriere aber zunächst eher unbegeistert die Krisenängste fast aller. Beispielsweise die Angst vor Jobverlust. Oder vor einer so genannten Änderungskündigung, dem ersten Kaufkraftverlust eines Lebens, das bisher nur Kaufkraftzuwächse kannte. Was auch für Führungskräfte gilt. Ihnen wird nun weltweit empfohlen, ihre nominellen Einkommen für lange Zeit einzufrieren und ihren erfolgsabhängigen Einkommensteil (Bonus) zu halbie­ren, als symbolischen Beitrag von oben. Dieses Symbol soll befrieden. Es soll Klassenkämpfe, Revolutionen und Bürger­kriege verhindern, die auch heute noch denkbar sind. Unse­re Zivilisation ist dünn. Immer noch gleicht sie einer Milch­haut auf dem Magma eines Vulkans." 

Die „Milchhaut“ ist ein guter Vergleich, aber das Einfrieren von Managergehältern als relevante Maßnahme zur Verhinderung von Bürgerkriegen im Raum stehen zu  lassen, nährt den Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Beitrages.

"Die Empfehlung auf Verzicht von obszön hohen Ein­kommen ist besonders für Banker gedacht, denen die Hauptschuld an der Krise zugeschrieben wird. Und noch schärfer für Investmentbanker und Vermögensberater, die aus der Welt der elegante fielen. Sie genießen im Volk derzeit das Image von vergoldeten Engerlingen." 

Ein Verzicht auf „obszön hohe Einkommen“ wird durch die genannten Maßnahmen wohl nicht dargestellt werden können. Man fragt sich doch, wieso in Zeiten der „dürstenden Unternehmen“ (siehe unten) überhaupt Bonusse, die ja nur Erfolgsbonusse sein können, in Frage kommen. Das schlechte Image (wenn ich die „vergoldeten Engerlinge“ richtig verstehe) genießen die Banker nicht nur beim Volk sondern vor allem bei den Medien, die das schon etwas differenzierter sehen könnten. Die wahren Schuldigen in den inaktiven Aufsichten werden nur selten gegeißelt.

"Viele Bürgerinnen haben im Vorfeld der Krise beträcht­liche Teile ihrer Ersparnisse verloren, durch Kursverluste ihrer Aktien und Fonds und perverser Anlagederivate. Diese Ersparnisse waren ursprünglich gedacht, künftige Krisen für die eigene Familie abzufedern. Wir haben es mit der neuen Form ei­ner Krise zu tun, die sich von jenen Immunkräften ernährt, die man gegen sie im Wege des Konsumverzichts erwarb." 

Den letzten Satz musste ich zwei Mal lesen. Was am Wertverlust der „Immunkräfte“ (Veranlagungen?) neu sein soll, ist mir aber nach wie vor unklar.

"Die Komplexität der Lage ist einzigartig. Sie fordert ein neues Denken. Der Kabarett-Satz „Die Lage ist hoffnungs­los, aber nicht ernst", den wir lange liebten, muss wieder umgedreht werden, für zwei oder drei Jahre. Für diese Zeit brauchen wir einen Krisen-Knigge." 

Neues Denken? Habe ich in der bisherigen öffentlichen Diskussion tatsächlich noch nicht wahrgenommen. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Anregungen.

"Politiker-Knigge 1: An der WU (für Politiker: Wirtschafts­universität) lernte ich nicht nur historische Buchhaltungs­regeln („first in, first out"), sondern auch das kluge Managementdogma „first things first". Dieses hieße mo­mentan, alle staatlich genehmigten Krisen-Zisternenwässer (vulgo Marie, Kohle, Geld) blitzartig zu jenen Unternehmen zu leiten, die dürsten. Hier liegt eine Chance der Politiker und Banker, sich in unserer Achtung zurückzurunden." 

Anregende Beiträge beginnen selten mit Spott. Der Vorschlag an sich (Geldbrause über die Wirtschaft) ist weder eine Pionierleistung noch die zweifelsfrei richtige Methode. Daran ändern auch die insistierend eingesetzten Bezeichnungen für Geld nichts. Außerdem wird angesichts der fehlenden Instrumente zur Identifikation der „dürstenden“ Unternehmer die sinnvolle Verteilung schwer fallen und die lautesten werden gewinnen. Überhaupt wird die völlige Intransparenz der Not der Dürstenden (nicht zuletzt der Banken) erstaunlich gelassen hingenommen. Ist das das neue Denken?

"Politiker-Knigge 2: Ich ersuche die neue Unterrichtsminister-Majestät, alle Schulbücher umschreiben zu lassen. Dort sollte fortan zu lesen sein, dass (a) Gewinn kein Verbrechen ist und (b) auch gesunde Unternehmen Fremdkapital brauchen, um im Weltmarkt zu bestehen. Ich nenne Ihnen zehn Kolleginnen, die das glänzend darstellen können. Legen Sie vor den Schulbüchern noch eine leicht fassliche Version für Politiker auf, mit Bildern und einfachen Grafiken in zwei Farben. Das würde schon 2010 eine Verzinsung von 1000 Prozent bieten." 

Spätestens jetzt fragt man sich, ist das ernst oder ironisch gemeint? Um das Begehren als einigermaßen sinnvoll empfinden zu können, muss man die Worte als krass überzeichnend oder metaphorisch deuten. Niemand empfindet Gewinn oder Fremdkapital als schlecht, auch Schulbücher nicht, sondern den völlig ungebremsten Kapitalismus und dessen Metastasen. Was die Politiker betrifft, liegt zweifelsohne vieles im Argen, aber niveauloser, verallgemeinernder Spott ist keine adäquate Medizin, schon gar nicht aus einem seriösen Nachrichtenmagazin. Ich sehe schon ein, dass ein Kolumnist ein paar „lockere Sager“ unterbringt, aber auch die sollten dem Stammtischniveau entwachsen sein.

"Unternehmer-Knigge: Trotz Krise weiterforschen, weiteraus­bilden und weiterinvestieren. Kapitaler Durst darf keine Ausrede sein. Verkaufen Sie Ihre Großeltern. Das kann nicht so schwer sein, daher gehen wir jetzt noch ein Stock­werk höher, um aus der Krise einen Gewinn zu erzielen, der die gesamte Gesellschaft umfasst." 

Ich habe eine Vorstellung vom ungefähren Sinn der Worte. Sicher wünschen wir uns alle, dass die Unternehmen optimistisch bleiben und investieren. Aber es ist zu viel verlangt, rational handelnde Entscheidungsträger zu Altruisten umzupolen. Die Vorstellung vom aus der Krise erzielten Gewinn gehört erläutert.

"Konsumenten-Knigge: Verkaufen Sie alles, was „billig, aber viel" war, und ersetzen Sie es dynamisch durch „immer we­niger von immer Besserem". Kaufen Sie endlich das Beste nach Ihrem Geschmack. So halten Sie zwei Wirtschaftswel­ten in Schwung, die Antiquariate und Avantgardisten, und machen sich selber glücklich." 

Jetzt bin offensichtlich ich angesprochen, bezweifle aber sehr, dass die Bevorzugung von Antiquariaten volkswirtschaftlichen Nutzen stiftet. Extrem zu Ende gedacht bedeutet dies die Umstellung von Frischluft auf Umluft. Langfristig sicher das Beste für die Umwelt.

"Pfaffen-Knigge: Weisen Sie in Zeiten von Kreditnot auf die Verheißungen, die ein Verkauf der Seele verspricht. Und darauf, dass der liebe Gott höhere Zinsen bietet als Luzifer. Rufen Sie die glänzende Idee des Ablasshandels in Erinne­rung, die ein dahergelaufener Herr Luther erfolglos in Miss­kredit brachte." 

?

"Musiker-Knigge: Lieben Sie auch da die Begriffe Krise und Knappheit. Denken Sie an Milos Formans Entdeckung, dass Mozart auf dem Wiener Hof verworfen wurde, weil er zu viele Noten schrieb. Und hatte sein Feind Antonio Salieri nicht Recht? Hätten wir Mirella Freni in der Hochzeit des Figaro nicht gern kürzer gehört, um uns nicht zu verges­sen?" 

? 

"Literaten-Knigge: Denken Sie daran, was unser nobelster Immigrant, Wystan Hugh Auden, alles nicht über den Wie­nerwald und die Wiener dichtete. Sie werden die Worte „Verzicht" und „Entsagung" lieben, die mit jeder Krise ver­bunden sind." 

Dem kann man nur einen Journalisten-Knigge gegenüberstellen: Anhand dieses Beitrags ist die Vorstellung des nicht Gesagten fast eine Wohltat und kein Verzicht. Falls in den letzten drei Absätzen das Sparen angeregt wird, ist das angesichts des überfüllten Raumschiffes Erde nahe dem Ende seiner Vorräte ja fast ein sensationeller Gedanke, aber konträr zu einer liberalen Wirtschaftsgesinnung und allen Ansätzen der sogenannten Volkswirtschaftslehre. Daraus folgende Überlegungen könnten wirklich neu sein.

Ich weiß nicht, war Ihr Beitrag wirklich als Handbuch für richtiges Handeln gedacht oder als Verhöhnung? Als ernst gewollter Beitrag zu einer sittlichen, innerlichen Reinigung „bis auf den Grund“ erscheint er mir nicht einmal bemüht. Zu wenig für ein führendes Magazin, das vor allem in schwierigen Zeiten nicht den Mainstream wiederkäuen, sondern erfrischende Gedanken einbringen sollte.

Mit freundlichen Grüßen

Josef Holzapfel

hojos
Wien, am 11. Dezember 2008