Die Überquerung des Kilimanjaro
24. bis 28. Juli 1978
Zu dritt (Wolfgang Bräuer, Peter Fröhlich und ich) brachen wir auf, um den Kilimanjaro zu überqueren. Wir verbanden diese Überquerung mit einer Tour durch Tanzania, Uganda und Kenia. Auf einen Tag in Athen folgte der Flug nach Dar es Salaam. Die Ankunft am Donnerstag, dem 20. Juli 1978 um 1 Uhr Früh gestattete nur eine kurze Nacht im dortigen YMCA. Nach einem Tag in der Hauptstadt Tanzanias brachte uns eine nächtliche Fahrt mit dem Bus via Tanga nach Moshi am Fuße des Kilimanjaro. Für Besichtigungen und die Vorbereitungen auf das große Abenteuer nahmen wir uns von Freitag bis Sonntag Zeit. Zu den notwendigen Dingen zählten die Genehmigung zum Betreten des Nationalparks, die Vereinbarung der Route, die Vorkehrungen für den Notfall, die Reservierung von Schlafplätzen in der Kibo Hütte und natürlich die Zahlung von Gebühren. Auch brachten wir unsere Informationen auf den letzten Stand.
Moshi liegt dem Kilimanjaro schon sehr nahe, trotzdem sahen wir ihn nicht. Er war ständig hinter Wolken verborgen. Nur einmal ließ er sich durch den Nebel hindurch schemenhaft ausnehmen. Wir waren beindruckt.
Sonntag, 23. Juli 1978
Am Nachmittag ließen wir uns mit dem Taxi im Uhrzeigersinn um fast den halben Kilimanjaro zu den Londorossi Glades führen. Der dort gelegene Eingang in den Nationalpark schien uns der ideale Ausgangspunkt für eine Überquerung des Vulkanmassives. Wir waren fest entschlossen, im Rahmen der Tour den höchsten der drei Vulkankegeln, den Kibo zu erklimmen.
Wir Übernachteten in der dortigen Eingangshütte zum Nationalpark und brachen am nächsten Tag um 6:30 Uhr auf.
Montag, 24. Juli 1978
Der Kibo entzog sich nach wie vor unseren Blicken. Er war ständig von dichten Wolken eingehüllt. Diese permanent an den Berg brandende Feuchtigkeit ermöglichte die Entstehung des den Kilimanjaro wie ein Ring umgebenden Regenwaldes, knapp über dem gemäßigten Hochplateaus der ganzen Region. Diesen tropischen Urwald hatten wir nun als erstes zu durchqueren, ehe nach dem Verlassen des dichten Waldes und des alles verschleiernden Nebels zum ersten Mal mit einem Blick auf den Kibo zu rechnen war.
Beharrlich marschierten wir auf dem durch dichte Vegetation führenden Fahrweg bergauf in Richtung Shira Hut. Enorm ist das Bergmassiv vor allem in seiner Ausdehnung. Drei Vulkane, der Shira, der Mawenzi und der Kilimanjaro hatten es vor langer Zeit über eine 100 km lange und 65 km breite Fläche aufgebaut. Entsprechend lange und nur mäßig ansteigende Strecken sind daher zurückzulegen, ehe man den schroffen Vulkangegel selbst in Angriff nehmen kann. Dieser bietet dann je nach Route höchst unterschiedliche technische Anforderungen.
Plötzlich war er da, mächtig und eisbedeckt. Er war größer und weiter entfernt, als der erste Eindruck zu vermitteln vermochte.
Unser Ziel an diesem Tag war die Shira Hut auf ca. 3500 Meter Höhe. Es war ein Tagesmarsch über 20 km und 1500 Höhenmeter, der uns durch wunderschöne und abwechslungsreiche Landschaften führte. Nach dem Nebelwald ließen wir auch bald die Baumgrenze, vertreten durch ein paar Steineiben und Feigenbäume, unter uns und durchquerten Heiden mit hohen Erikaarten, zahlreichen Kräutern und Hochmooren. Über die im Reservat lebenden Elefanten, Büffel, Nashörner, Leoparden, Elenantilopen und Affen können wir Gottseidank nichts berichten.
Der Kibo näherte sich nur langsam, doch stand er uns jetzt meist vor Augen und bot eine zusätzliche Entschädigung für die Mühen des langen Weges. 15 kg Gepäck auf dem Rücken und einen schweren Wassersack, den wir abwechselnd schleppten, machten sich bemerkbar. Wir mussten ausreichend Wasser mit uns führen, denn auf der von uns gewählten Aufstiegsroute gab es keine Quelle.
Geduld und Mühen zeitigten allmählich Erfolg, und der Kibo er hob sich etwas aus den Vorbergen heraus und gab den Blick auf den Gipfelkamm rechts oben frei. Dort liegt seine höchste Erhebung, der Uhuru-Peak, das Ziel unserer Expedition.
Um 16:30 Uhr waren die Strapazen dieses Tages zu Ende, wir erreichten die Shira Hut am oberen Ende des Shira Plateaus. Endlich konnten wir alles von uns werfen und uns niedersetzen.
Voll rechtschaffenener Zufriedenheit, intensiver als nach einem erfolgreichen Arbeitstag, konnten wir uns dem herrlichen Ausblick widmen. Sowohl nach oben, jetzt aber auch nach unten, bis an die Grenze der Wolkenschicht. Alles andere blieb darunter verborgen, denn genauso wie zuvor der Kibo oberhalb der Wolken nicht zu sehen war, ist es nun der Regenwald und die Ebene darunter. Wir sollten sie bis zu unserer Rückkehr durch den Nebelwald nicht wieder sehen.
Unser Leben spielte sich jetzt über den Wolken ab, in einem gesonderten Raum nur für den Kilimanjaro und uns. Das Schauspiel aus Licht und Farben, ungetrübt durch eine vollkommen klare Luft, war uns mehr als genug. Die freie Sicht auf die unendlichen Weiten des sichtbaren gigantischen
Vulkanmassives wird uns unvergesslich bleiben.
Hier der Blick auf den ältesten der drei Vulkanerhebungen des Bergmassives, den Shira mit einer Höhe von 4300 Meter. Und davor die Weite des Shira-Plateaus, dessen Durchschreitung einen großen Teil des heute bereits zurückgelegten Weges ausmachte.
Keine Kamera ist wohl imstande, das intensive Licht und die Billionen feinster Farbschattierungen einzufangen.
Nach gebührender Erholung und reichlichem Genuss der uns umschließenden Atmosphäre, hatten wir uns den Notwendigkeiten zuzuwenden: Wäsche wechseln, trocknen, kochen, für die Nacht vorbereiten etc.
Dienstag, 25. Juli 1978
Am nächsten Tag setzten wir unseren Aufstieg um 10 Uhr fort. Es ging durch steileres, immer unwegsameres Gelände, vorbei an phantstischen Stein- bzw. Lavagebilden.
Um 16 Uhr erreichten wir die Arrow Hut auf einer Höhe von 4.900 Meter. Es war eine noch bescheidenere Blechschachtel als die Shira Hut. Immer wieder konnten wir die Ausblicke genießen. Die Höhe der oberen Grenze der mehrschichtigen Wolkendecke hatte sich im Ablauf des Tages verändert. Zur Stunde dieser Aufnahme konnten wir eine weite Strecke unseres bisherigen Aufstieges zurückverfolgen. Den Rest und natürlich die gesamte Ebene hüllten die Nebel ein, nur in weiter Ferne vermag der Mount Meru mit seinem fast 4.600 Meter hohen Gipfel die Wolkendecke zu durchbrechen.
Mittwoch, 26. Juli 1978
Bei der Arrow Hut hielten wir uns einen Tag zur Akklimatisation auf. Die Höhe ist beträchtlich, die Luft spürbar dünn und die Kälte insbesondere in der Nacht mit minus 20 Grad extrem. Die Biwakschachtel bot nur dürftigen Schutz, jegliche Sparmaßnahme beim Kauf des Schlafsackes wird an solchen Orten bestraft. Der Gaskocher vermag das Eis für die Suppe nur allmählich zu erhitzen und nur rascher Verzehr die flüchtige Wärme einzufangen. Wir unterstützten die Akklimatisierung durch eine kleine Wanderung bis auf rd. 5200 Meter. Vor unseren Augen hatten wir die schroffen Felsen des Great West Breach.
Donnerstag, 27. Juli 1978
Der vierte Tag verhieß den Höhepunkt der Tour. Um 6 Uhr brachen wir auf, zunächst ein steiles Schneefeld mit Steigeisen durchquerend und dann die steilen Felsen zur Kante hochkletternd. Technische Schwierigkeiten gab es keine.
Um 11 Uhr erreichten wir die obere Kante des Great West Breach und damit den höchsten Punkt, von dem aus wir den Weg unseres Aufstieges zurückverfolgen konnten. Da lagen dann die weiten Ebenen genauso wie die sanften und steilen Berghänge klein und übersichtlich vor uns. So mancher markante Felsen, vor Kurzem noch unerreichbar hoch, blieb erklommen im Tal zurück.
Ein letzter Blick zurück, dann begann der zwar nur leicht ansteigende, aber wegen der extremen Höhe und des bei jedem Schritt nachgebenden Büßerschnees erschöpfende Weg zum inneren Krater des Kibo.
Der äußere Kraterrand erwieß sich beträchtlich breiter als erwartet und es bedurfte an die Grenzen gehender Anstrengungen, ihn zu überwinden. Eine willkommene Ausrede für kurze Stopps boten die eindrucksvollen Bildmotive wie eben die weiten Schneefelder und nicht zuletzt der aus den Bodenwellen hervorsteigende schwarze Lavaberg, der den höchsten Punkt es Kilimanjaro beherbergt.
Schließlich eröffnete sich der Blick in den – wie alles auf diesem Vulkan – weitläufigen Reusch Krater. Kraterrand, Aschengrube und die weiteren Vertiefungen, die Kaminkehrer, ergeben insgesamt eine Krateranlage, die in einer so ausgeprägten Form nur selten vorkommt.
Der Blick in den innersten Trichter blieb uns verwehrt, die Wände dorthin waren steil und von lockerem Material bedeckt. Auf vulkanische Tätigkeit wiesen stellenweise verfärbte Oberflächen und etwas Rauch aus einer Senke. Der Wunsch, dem Kaminkehrer näher zu kommen, war bald erstickt und unser weiteres Streben ganz dem Gipfelbereich zugewandt.
Wir hatten mit dem inneren Kraterrand auf rd. 5.800 Metern bereits einen der höchsten Punkte des Kilimanjaro erreicht. Auch hier waren die Rundumblicke, zum Beispiel auf den markanten Stufengletscher, beeindruckend.
Wieder waren es breite Felder von kräfteraubendem Büßerschnee, die uns auf der nächsten Etappe das Vorwärtskommen erschwerten. Im Hintergrund, schon etwas größer geworden, das nächste Ziel, der Gipfelkamm, der uns auf den höchsten Punkt des Berges führen wird.
Auf dem Gipfelkamm angelangt, waren wir von der Mühe der Schneefelder befreit. Die verbliebene Mühe der extremen Höhe und des geringen Luftdruckes blieb uns jedoch und schwächte uns immer mehr. Wohl rückte das Ziel in greifbare Nähe, die Schritte verkürzten sich aber bedrohlich und auch die Verschnaufpausen wurden häufiger, als es unser Zeitplan vorsah.
Die Unermüdlichkeit wurde letztendlich belohnt, und wir konnten uns zum Gipfelsieg gratulieren. Es war der 27. Juli 1978 um 16 Uhr. Die Körper waren natürlich von der Mühe gezeichnet, die Freude über diesen Augenblick ließ die Qualen aber vergessen. Welch ein Gefühl, auf dem Gipfel dieses gewaltigen Vulkanmassives zu stehen, dem Uhuru Peak mit einer Höhe von 5894 Meter. Solche Momente gehören wohl zu den einprägsamsten des ganzen Lebens.
Natürlich boten sich auf vom hier wunderschöne Ausblicke auf den gesamten Gipfelbereich mit seinen Gletschertürmen.
Bei allem Hochgefühl war beizeiten der Abstieg anzutreten, um noch rechtzeitig vor der Dunkelheit das Ziel dieses Tages, die Kibo Hütte, zu erreichen. Am Gillman's Point, einem markanten Aussichtspunkt auf 5580 Meter Höhe, erschließt sich uns nocheinmal ein herrlicher Blick in alle Richtungen, hinunter auf die unendliche Weite des Sattels zwischen dem Kibo (der "Weisse") und der dritten Vulkanerhebung des Kilimamjaros, dem Mawenzi (der "Schwarze", 5150 Meter) aber auch zum letzten Mal zurück auf den Gipfelgrat und die Weite des Kraters.
Anschließend begann der steile, über unzählige Serpentinen auf losem Gestein führende Abstieg zur Kibo Hütte. Um 19 Uhr, rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit, trafen wir dort ein. Die Kibo Hütte ist eine bewirtschaftete Hütte, in der wir Betten reserviert und im Voraus bezahlt hatten. Allerdings bedurfte es zäher Verhandlungen, kein zweites Mal bezahlen zu müssen.
Freitag, 28. Juli 1978
Nicht mehr ganz so zeitig, um 8:45 Uhr, brachen wir am nächsten Tag von der Kibo Hütte auf, um die letzte Etappe unserer Kilimanjaro-Überquerung in Angriff zu nehmen. Es waren rund 55 Kilomenter und fast 3000 Höhenmeter (mehr oder minder sanft bergab) zu bewältigen. Nach wie vor hatten wir schweres Gepäck zu schleppen, aber keine Wasservorräte mehr. Auf dieser Seite des Kilimanjaro gab es genug bewirtschaftete Hütten und etwa auf der Mitte des Weges eine Quelle.
Zunächst war die beeindruckende Weite des Sattels bzw. der Kibowüste zu überqueren. Der Weg auf dieser Seite führte uns die vielbegangene und daher leicht zu verfolgende Normalroute bzw. "Coca Cola-Route", wie sie auch genannt wird, entlang.
An dieser Stelle zweigte ein um den Kibo herumführender Weg ab, markiert mit Steintürmchen.
Immer wieder zurückblickend, bietet uns der Kibo auch von dieser Seite eindrucksvolle Perspektiven. Gut zu erkennen ist der ausgetretene Weg über den weiten Sattel hin zum Vulkankegel, um sich dann in engen Serpentinen einen der Einschnitte entlang die Flanke hinaufzuwinden. Auf dieser Seite zeigte sich die Eiskappe schon zur Zeit unserer Begehung stark reduziert.
Die "lezte Quelle" für die Bergsteiger auf der Nomalroute war für uns die erste Quelle nach langen Tagen. Anlass genug für eine erfrischende Pause.
Den trockenen, vegetationslosen Bereich des Sattels hatten wir schon lange hinter uns gelassen. Damit hatten wir allerdings auch jene Stelle an der Kante des Sattels überschritten, an der wir uns vom Anblick des Kibo verabschieden mussten.
Hier noch einmal dieser Blick auf den Kibo:
Auf unserem weiteren Weg hatten wir wieder alle Klima- und Vegetationsregionen wie beim Aufstieg zu durchqueren. Die die Ebene darunter verhüllende Wolkenschicht, nun ständig vor unseren Augen, rückte allmählich herauf. Ab und zu begegeneten wir auch aufsteigenden Wanderern, die das große Gipfelerlebnis noch vor sich hatten. Unbeneideterweise auch die damit verbundenen Qualen, allerdings wesentlich erleichtert durch die Hilfe der sie begleitenden Träger.
Soviel die Füße von dem langen Abstieg auch schmerzten und die Riemen des schweren Rucksackes mit jedem Schritt fühlbarer wurden, sowenig konnte dies unsere gute Laune und unser rasantes Tempo beeinträchtigen. Vorbei an der Horombo Hütte (an dieser waren wir schon um 11:45 Uhr vorbeigekommen) und der Mandara Hütte (14:30 Uhr) zogen wir unaufhaltsam unserem letzten Tagesziel, dem Kibo Hotel in Marangu entgegen.
Nach wie vor umgeben von wunderschöner Natur mit unglaublich abwechslungsreicher Flora. Darunter die sehenswerten Lobelien und Senecien, wiederum riesige Kräuter und ausgedehnte bunte Wiesen.
Wieder hatten wir den Regenwald zu durchqueren. Fast heimatlich waren die Gefühle in dem modrigen und nebligen Ambiente, mit der wirr durcheinanderlaufenden Pflanzenvielfalt inklusive Farne und bemoosten Urwaldriesen mit allerhand Schmarozern darauf. Etwas exotischer die unbekannten Tierlaute.
Der durchführende Weg war schlammbedeckt. Um 16:15 Uhr verließen wir durch das Marangu Gate den Kilimanjaro-Nationalpark.
Um 18 Uhr schließlich trafen wir hundemüde, aber mit unbändigem Verlangen nach gutem Essen und Trinken und anschließender Erholung in einem weichen Bett im besten Hotel Marangus, dem Kibo Hotel ein. Nach den notwendigsten Formalitäten entledigten wir uns aller drückenden und schmerzenden Gegenstände auf unserem Körper, duschten ausgiebig und setzten uns bequem gekleidet ins Restaurant.
Es war schwer zu sagen, ob wir gutes oder schlechtes Bier bekamen, es war jedenfalls gut gekühlt und rann unglaublich erfrischend die Kehle hinunter. Zusammen mit dem reichlichen Essen brachte es genau die Stärkung, nach der wir uns schon so lange gesehnt hatten. Den restlichen Abend boten unsere Heldentaten genügend Gesprächsstoff für gemütliche Stunden am lodernden Feuer, ehe wir rechtschaffen müde in die weichen Betten fielen.
Am nächstem Tag war der Aufbruch nach Nairobi und Kampala vorzubereiten. Eine neue Herausforderung, denn Kenia hatte die Grenze zu Tanzania geschlossen. Aber das ist eine andere Geschichte...