60 Jahre Ober St. Veiter Männergesang-Verein

Ober St. Veit - ein Beitrag von August Puraner jun. und Hanns Reiss in der Festschrift zum 60-jährigen Bestehen des Ober St. Veiter Männergesangvereins, 1870–1930
1930

Ich rühme mir
mein Dörfchen hier!
G. A. Bürger

Wenn du, freundlicher Leser, unserem lieben Ober St. Veit einen Besuch machen willst, dann laß es dich nicht verdrießen, „per pedes apostolorum“ die Hietzinger Hauptstraße hochzuwandeln.

Schon von weitem grüßen dich die freundlichen Berge, lacht dir der Sonnenhang des Hagenberges entgegen, rauscht dir der dunkle Wald des Tiergartens seinen „Willkomm“ zu, und wunderlieblich, eingeschlossen von alten, trauten Häusern, thront über dem Orte stattlich und von allen Seiten sichtbar der Barockbau der Ober St. Veiter Kirche.

Wie ein treuer Wächter steht sie inmitten der uralten Siedlung St. Veits; von überall gesehen, beherrscht sie das Gesamtbild des Ortes, du magst vom Wienufer heraufschauen oder von bergansteigenden Straßen zurückblicken - sie hält zuerst dein Auge fest, und unvergeßlich wird sich dir ihr Anblick einprägen.

Es lohnt sich, lieber Leser, einen Spaziergang durch St. Veit zu machen. Doch bevor wir diesen Spaziergang beginnen, wollen wir dir, lieber Leser, einen kurzen, geschichtlichen Überblick, dessen Grundlage verblassende Urkunden und Dokumente bilden, gewähren.

Ober St. Veit hat einen mehr als tausendjährigen Bestand. Die ersten Spuren gehen bis ins 9. Jahrhundert, in die Zeit der Babenberger zurück. Um eine Kapelle, die dem heiligen Veit geweiht war, entstanden die ersten Häuser, der Ursprung St. Veits. Wenige Urkunden sind aus dieser Zeit vorhanden, Feuer und Zerstörungen mochten sie vernichtet haben. Die Zeit der Kreuzzüge, die Türkenbelagerungen und all die vielen Kriege des Mittelalters haben unserem Orte hart mitgespielt. Durch den Krieg des Herzogs Heinrich Jasomirgott gegen Böhmen, Mähren und Kärnten (1174 bis 1177) wurde das alte St. Veit samt der unterirdischen Kirche vollständig zerstört. Im Jahre 1483/84 kamen die wilden Horden des Ungarkönigs Matthias Corvinus und belagerten das damalige Schloß, dessen Befehlshaber es vor der großen Übermacht ohne Schwerstreich übergab. Die ungarischen Krieger plünderten das Schloß, erkannten jedoch diesen wichtigen Stützpunkt und umgaben es mit Wall und Graben, deren Überreste teilweise noch heute in der Firmiangasse beim Mesnerhause sowie beim Kirchenaufgang deutlich ersichtlich sind.

Erst im 15. Jahrhundert taucht St. Veit unter dem Namen „St. Veit an der Au“ als blühender Ort wieder auf. Im Jahre 1529 wurde die Festung von den Türken im Sturme genommen und samt dem Ort ausgeplündert und verbrannt. Der Ort wurde aber bald wieder erbaut und 1663 zum Markt erhoben. Es folgten nun ruhigere Zeiten. Feindliche Einfälle kamen erst wieder zur Zeit der Franzosenkriege vor.

Furchtbar wütete in unserer Heimat die Pest. Diese Vernichterin der Menschheit schwang im Jahre 1713 unerbittlich ihre Geißel über die Bewohner. 210 blühende Menschenleben wurden dahingerafft. Die Chronik meldet: Im Juli 1713 starben 23, im August 47, im September 51, im Oktober 46, im November 35 und im Dezember 8 Personen. Auch in den umliegenden Ortschaften hatte die Pest ihre Opfer gefordert. So zum Beispiel in Purkersdorf, wo von 113 Einwohnern nur 19 am Leben blieben. Zur Erinnerung an diese schreckliche Zeit wurde vor dem alten Friedhof eine Pestsäule errichtet. Da sie aber den immer größer werdenden Verkehr hinderte, wurde sie beim Infektionsfriedhof (in der heutigen Parkanlage beim Hubertushof) aufgestellt. Von dort wurde sie in die Hackinger Au versetzt, wo sie sich heute noch befindet. Im Jahre 1831 wurde Ober St. Veit von der Cholera, welche zwei Monate lang wütete, heimgesucht. Der Krankheit erlagen insgesamt 120 Personen.

Da sich der im Zentrum des Dorfes gelegene Friedhof als zu klein erwies und ein Erlaß Kaiser Josef II. vom Jahre 1782 bestand, wurde 1876 der Friedhof auf den Gemeindeberg verlegt. An Stelle des alten Friedhofes entstand ein Parkanlage, der heutige Streckerpark. Hier sei auch der Sachsenfriedhof erwähnt, wo die im Jahre 1809 gefallenen Sachsen begraben wurden. Die St. Veiter erfuhren erst 1866 von dem Vorhandensein dieses Friedhofes, und zwar als die in diesem Jahre im Orte lagernden Sachsen eine Feldmesse zum Gedenken ihrer toten Kameraden abhalten ließen. Dieser kleine Friedhof befindet sich bei der Abzweigung des Mariensteiges von der Schweizertalstraße und ist durch zwei große Kastanienbäume, zwischen denen sich das Sachsenkreuz erhebt, gekennzeichnet.

Die Geschichte Ober St. Veits wäre unvollständig, wollte man die Kirche, die seit jeher den Kern des Ortes bildete, unerwähnt lassen. Wie St. Veit seine Entstehung einer dem heiligen Veit geweihten Kapelle verdankt, so blieben in der Geschichte der Jahrhunderte Ort und Kirche untrennbar verknüpft. Nach der schon mehrmals erwähnten Kapelle wird nach Zeugnissen einer alten Chronik das erste Mal wieder eine Kirche zu St. Veit verzeichnet. In diesen Urkunden heißt es: Da das Christentum in jenen Zeiten von den Heiden bekämpft wurde und die Christen ihren Gottesdienst nicht gewöhnlich abhalten konnten, flüchteten sie sich in die hiesige Gegend, wo sie ungestörter waren. Die zweite Urkunde meldet: Die erste unterirdische Kirche wurde in dem Kriege, den Heinrich Jasomirgott in den Jahren 1174 – 1177 mit Böhmen, Mähren und Kärnten führte, in Brand gesteckt und es fielen 300 Bewohner des Ortes, die sich dorthin geflüchtet hatten, den Flammen zum Opfer. Die dritte Urkunde teilt mit: St. Veit ist ein uraltes Bergschloß und Kirchenlehen, welches anno 1365 von Herzog Rudolf und seinen Brüdern gestiftet wurde.

Die ganz alte Pfarrkirche St. Veits wurde 1433 vom Domprobst Tuers durch eine neue ersetzt. Auf dem Hochaltare der heutigen Kirche, welcher einen Überrest des älteren Kirchenbaues darstellt, befindet sich eine Tafel, welche folgende Inschrift trägt: Anno domini MCCCCXXXIII fundamentum est templum hoc a domini Wilhelmo Tuers, Praeposito vienne. Aus dieser Inschrift geht hervor, dass Domprobst Tuers im Jahre 1433 Besitzer des Kirchenlehens war und eine neue Kirche zu St. Veit erbauen ließ. Die Kirche mußte 1740 wegen drohender Einsturzgefahr geschlossen werden, was hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, daß die Türken bei ihrem letzten Besuche (1683) die Kirche stark beschädigten.

Erst zwei Jahre nach dieser Maßnahme schritt man zum Bau einer neuen Kirche. Der damalige Erzbischof von Wien, Graf Siegmund von Collonitsch, ließ die heute noch bestehende Kirche nach Plänen eines Schülers Fischer von Erlachs um 30.000 Silbergulden vom Baumeister Gerl erbauen. Am 22. August 1745 wurde sie von genanntem Erzbischof feierlich eingeweiht. Bei den Ausgrabungen der Grundfeste stieß man auf viele verbrannte Menschenknochen, und es ist anzunehmen, daß es sich hier um die Gebeine der oben genannten 300 Bewohner, die sich 1158 in die unterirdische Kirche flüchteten, handelt. Nach dieser Abschweifung in längst vergangene Zeiten wollen wir uns nun wieder in die Gegenwart zurückversetzen und den unterbrochenen Spaziergang wieder aufnehmen.

Am Wolfrathplatz angekommen, grüßen dich die lieben, alten Häuschen der Vergangenheit, und würde nicht die Straßenbahn in die Gegenwart klingeln, du könntest dich leicht um 100 oder 200 Jahre zurückträumen.

Der Pfarrhof stammt aus dem Jahre 1660, und die ihn umsäumenden Häuser dürften, mit Ausnahme eines, nicht viel jünger sein. Gehst du die Glasauergasse abwärts, findest du eine Reihe alter Häuser ganz im Typus des fränkischen Kleinhauses erbaut. Besonders deutlich zeigt dies das Haus Glasauergasse 7, ehemals dem Bürgermeister Hentschel gehörig, ferner die Häuser 20 und 24. Auch die Firmiangasse kann sich rühmen, eine Reihe alter Häuser zu haben, von denen Nr. 13 und 15 wegen ihrer alt-fränkischen Bauweise besonders erwähnt seien.

Wo die Glasauergasse in die Firmiangasse mündet, steht eine über 200 Jahre alte Johannesstatue, wo ehemals alljährlich im Mai das Johannesbeten abgehalten wurde. Bei einer im Jahre 1860 stattgefundenen Überschwemmung trat der Wienfluß aus seinen Ufern und es reichte das Wasser bis zur Statue dieses Heiligen.

Hast du nun unseren Heimatort zur Genüge besehen, dann wandere hinauf auf die grünen Berge. Wundervolle Wege gibt es, die dich hinführen. Zunächst durch die Einsiedeleigasse, wo wir uns gleich das Haus Nr. 6 betrachten, das älteste und schönste alt-fränkische Bauernhaus mit abgewalmtem Dache. Vorbei an grünblühenden Gärten, lieblichen Landhäusern zum Gemeindewald, der, einst zum Tiergarten gehörig, der Gemeinde Ober St. Veit von Maria Theresia geschenkt wurde.

Wir wollen nun ein Weilchen rasten und uns eine kleine Sage erzählen lassen.

Eine Bruderschaft, welche im 17. Jahrhundert durch einen Erlaß Kaiser Josefs II. aufgehoben wurde, machte im alten St. Veit viel von sich reden. Sie soll von sechs frommen Männern gegründet worden sein, welche die Kameradschaft bis über den Tod hinaus pflegten und sich feierlichst angelobten, daß der erste, der ihrem Kreis durch den Tod entrissen würde, am nächsten Sonntag zu den Brüdern kommen möge.

Als nun der erste der Brüder starb und der nächste Sonntag herannahte, richteten die Brüder in feierlichster Weise das Mahl und ließen auch den Platz des Verstorbenen genau so decken wie die Plätze der anderen. Als sich alle eingefunden hatten, betrat der Verstorbene das Zimmer, schilderte die Herrlichkeiten des Paradieses und machte sich erbötig, einen der Brüder mit sich führen zu wollen, um ihm das Paradies schon vor dem Tode zeigen zu können.

Sie vereinbarten einen gewissen Tag, an welchem der Bruder an einer bezeichneten Stelle einen Schimmel finden, der ihn ins Paradies führen werde – vorausgesetzt, daß der Bruder gut gebeichtet habe. Dieser beichtete und kommunizierte und kam an die bezeichnete Stelle, an der er wirklich das Pferd fand. Er bestieg dasselbe, doch das Tier wollte nicht recht weitergehen. Der Bruder erinnerte sich, daß er eine geringfügige Sünde zu beichten vergessen habe. Er suchte einen Einsiedler auf und beichtete nochmals genau. Er bestieg wieder das Pferd, welches nun sofort ein schnelles Tempo anschlug und den Bruder bald in unbekannte Gegenden trug. Nach ziemlich langem Ritte, welcher durch immer schönere Gegenden führte, blieb der Schimmel stehen und der Bruder sah seinen verstorbenen Freund überirdisch verklärt auf sich zukommen. Dieser zeigte nun dem über alle Maßen erstaunten Erdenbürger die Freuden und Herrlichkeiten des Paradieses und entließ ihn nach 24 Stunden. Der wohlbekannte Schimmel erwartete den Bruder und führte ihn wieder heimatlichen Gegenden zu. Im Tiergartengehölz blieb das Pferd stehen, der Bruder stieg ab und das Pferd verschwand plötzlich. Der fromme Mann ging nun dem Orte zu, doch kam ihm derselbe merkwürdig verändert vor. Er durchging die ihm bekannten Gassen und fand andere, neue Häuser vor. Scheu und verwundert betrachteten ihn die Leute, denen er begegnete. An der Stelle seines ehemaligen Hauses war ein neues, und als er anklopfte und um Auskunft bat, wurde ihm bedeutet, daß die Mitglieder der Familie, welche einst hier gewohnt hatten, schon seit Jahren verstorben sind. Nun ging der Bruder ins Pfarrhaus und es wurde auf Grund der Aufzeichnungen festgestellt, daß er vor zirka 100 Jahren vom Orte wegging und hier als tot galt. So weit die Legende.

Am Südhange des Gemeindeberges liegt der Ober St. Veiter Friedhof, einer der schönsten Bergfriedhöfe Wiens. Am Friedhofe vorüber führt eine schmale Straße zu einem malerischen Gebäude, dem Faniteum. Es wurde 1894 vom Grafen Karl Lanckoronsky zum Andenken an seine jung verstorbene Frau Fanny errichtet. Ehe das Faniteum errichtet wurde, stand auf diesem Platz eine halb verfallene Hütte. Darin hauste ein ewig betrunkener Winzer mit seinem gleichfalls nie nüchternem Weibe. Vor vielen Jahren kam einmal eine vornehme Gesellschaft an der Hütte vorbei. In französischer Sprache drückte sie ihr Entzücken über die reizende Hütte aus, welche im Blütenschnee des Frühlings halb vergraben lag. Unbeschreiblich war das Erstaunen der Fremden, als sich die Türe öffnete und des Winzers Frau heraustrat, welche die Gäste in fließendem Französisch aufforderte, die Hütte näher zu besehen. Das Weib erzählte der Gesellschaft ihre ziemlich abenteuerliche Geschichte. Sie war eine französische Offiziersfrau, welche ihrem Mann auf das Schlachtfeld von Italien folgte. Nach der Schlacht bei Solferino (1849) ging sie mit einem einfachen österreichischen Soldaten durch, welchem sie in Wien wider entlief. Sie führte nun längere Zeit ein bewegtes Leben und landete endlich in der stillen Hütte an der Tiergartenmauer.

Bist du müde geworden, so kannst du in Leitls Gasthaus „Zur schönen Aussicht“ dich wider erholen und nebstbei ganz umsonst den herrlichen Blick in die Umgebung genießen. Willst du weiter wandern, wende dich rechts über den Kamm der Berges und du wirst im Tal ein anderes „buen retiro“ finden – „Dolls Weinhaus!“ Verehrern eines guten Tropfens ist Doll schon lange kein Unbekannter.

Ein anderer Weg, wald- und bergwärts, führt vorüber dem Pfarrhaus durch die Erzbischofgasse und Schweizertalstraße an unserem Vereinsheim vorbei, wo du, nebenbei bemerkt, stets ein paar Sänger antreffen kannst und Herbergsvater und –mutter dir den Aufenthalt so angenehm als möglich machen. Frisch’Bier und Wein gibt’s allezeit für durstige Kehlen stets bereit.

Unter Vogelsangbegleitung geht es aufwärts zum Mariensteig am Sachsenkreuz vorbei, ein schmaler Weg zwischen knospenden Gärten, und bald stehst du in den Gemeindeanlagen, die dich zur Nordseite des Gemeindeberges führen. Willst du zu gutem Kaffee und Milch gelangen, so mußt du vorher rechts abschwenken und Hauers Jausenstation besuchen, wo du einen vollen Blick auf Wien tun kannst.

Auch die Auerhütte ist ein beliebtes Ausflugsziel, und gelangst du zu ihr, wenn du die Schweizertalstraße und Veitlissengasse hochgehst. Gehst du vom Auer aufwärts an der Hüterhütte vorbei, erreichst du das Adolfstor; rechts oberhalb, wo die Mauer scharf nach Osten umbiegt, knüpft sich eine alte Volkssage. Diese Stelle heißt im Volksmunde „Karfreitagseck“. Dort soll nämlich ein Schatz verborgen sein, den ein reiner Mensch in der Karfreitagsnacht heben könne, um sich so zum reichen Manne zu machen.

Immer ist es schön in den St. Veiter Bergen. Wie ein Kranz schlingen sie sich um den alten Ort und nichts ist schöner, wie zu früher Stunde einen Spaziergang an der Tiergartenmauer zu tun. Über Tal und Hügel führt der Weg bis nach Hacking hinüber; tief dunkel liegen die Wälder des Tiergartens hinter der Mauer, während unten die Stadt im hellen Sonnenschein leuchtet.

Zu allen Zeiten kannst du diese Wege wandeln, im Schnee des Winters und im Sprießen des Lenzes, im Reifen des Sommers und im Golde des Herbstes - aber alle Zeit jauchzt das Herz über so viel Schönheit unserer Heimat.

Doch auch im Wintersport bietet Ober St. Veit sein Bestes. Hunderte von Sportlern besuchen die weiten Schneehänge der Berge. Mit Bretteln beladen durchziehen sie die Straßen, und Alt und Jung, Groß und Klein tummelt sich auf den verschneiten Gründen.

Und wenn du manchmal nicht weißt, wohin die Schritte zum Ausflug zu lenken - dann schwinge dich auf, komme zu uns und auch du wirst Ober St. Veit lieb gewinnen.

Denn schön’re Auen,
Als rings umher
Die Blicke schauen,
Blühn nirgends mehr.

So rühmet Gottfried August Bürger vor 150 Jahren sein Dörfchen, und wir tun es mit Stolz nicht minder.

August Puraner jun., Schriftführer
Hanns Reiß, Vorstand

übertragen von hojos
Im Jänner 2009