Das Schloss Ober St. Veit

Schaffran Emmerich, Heimatkundliche Wanderungen, 1924
01.01.1924

Im rechten Winkel zur Pfarrkirche erhebt sich das Schloss. Es ist ein mächtiger, vierseitiger Bau, dreistöckig und mit großem Hof. Es gehörte mit der Kirche zur Ausstattung der Propstei Allerheiligen (1365) und gelangte 1483 an das Wiener Bistum. Von den Türken 1529 gründlich zerstört, wurde es erst 1660 wieder aufgebaut und erhielt die jetzt noch im Hof und an einigen anderen Teilen des weiträumigen Hauses zu sehenden architektonischen Formen. Die Verwüstung von 1683 scheint nicht mehr so groß gewesen zu sein, denn die Bauarbeiten von 1742 waren nach genauer Stilkritik mehr Instandhaltungsarbeiten. In diesem Jahr wurde auch der schöne Park angelegt, an dessen Pracht nur mehr ein sehr stimmungsvoller Teich und die schönen Durchblicke auf Kirche und Schloss erinnern.

Das Äußere ist einfach, mit hohem Sockel, mächtigen rundbogigen Toren und schlichten Fenstern mit Jalousien. Ästhetisch außerordentlich schön ist der Winkel zwischen Schloß und Kirche mit der Stiege zu dieser. Der stille, durch seine Einfachheit um so monumentalere Hof versetzt uns nach Italien (der Baumeister scheint derselbe gewesen zu sein, welcher um 1683 das erzbischöfliche Palais in der Rotenturmstraße erbaute). Seine Ostseite enthält auf fünf prismatischen Pfeilern eine schwere Arkade mit gratgewölbter Decke. An der Gegenwand eine Sonnenuhr, zu deren Füßen exotische Gewächse und ein vornehmer Blick durch das schöne schmiedeeiserne Tor der Westseite in das helle Grün des Parkes. Die ebenerdigen Zimmer dieses Teiles enthalten sehr interessante Fresken des tüchtigen Malers Johann Bergl (geboren 1718 in Königshof, gestorben 1789 in Wien; Hauptwerke: Fresken im Stift Melk, Augustinersaal der Nationalbibliothek, in den Kirchen Klein-Mariazell, Maria-Dreieichen, Säusenstein und im Schloß Pielach). Diese Fresken hier zeigen exotische Meerlandschaften, üppige Parks mit Gewächsen der südlichen Zonen, alles mit wilden Tieren und verschiedenen Szenen staffiert und durch Früchte und Vögel belebt. Auch der Gang an der Ostseite des zweiten Stockes enthält bemerkenswerte Fresken aus der Mitte des XVIII. Jahrhunderts, von Bologna beeinflußt. Über einem gemalten Sockel erheben sich gemaltes Pilasterwerk und Hermen, dazwischen kauern kräftige nackte Figuren, deren übertriebenes Muskelspiel auf den Stammvater dieser Art Darstellung, Michelangelo, weisen. Auch die Decke ist durch Scheinarchitektur gegliedert, in den Feldern zeigen sich allegorische Szenen, wie die Apotheose eines Helden, Bacchus mit Gefolge, Apollo usw.

Das sogenannte gotische Zimmer enthält den berühmten Flügelaltar aus der Zeit Dürers, nach den Skizzen des Meisters von seinem tüchtigen Schüler Hans Schäufelin ungefähr 1508 gemalt. Es ist ein großartiges Werk, ergreifend durch die vertiefte Darstellung und durch die Glut seiner Farben. Die Flügeln enthalten außen: Christus erscheint der Magdalena und die Kreuztragung, innen: die Figuren des hl. Sebastian und des hl. Rochus mit dem Wappen des Kurfürsten Friedrich August von Sachsen. Das Mittelbild führt in hinreissender dramatischer Darstellung in einer ganz modernen Landschaft die Kreuzigung des Herrn vor. Trotz der vielen Figuren ist dieses Mittelbild von straffster Komposition, der Blick wird mit zwingender Gewalt auf die traurig erhabene Szene der Kreuzigung im Hintergrund gelegt; bemerkenswert die Erscheinungen in der Atmosphäre und die meisterliche Durchbildung jeder Einzelheit.

Im gleichen Saal noch einige Temperabilder aus dem Ende des XV. Jahrhunderts, gute österreichische Arbeit, verschiedenen Tafelwerken entnommen und neu vereinigt, und ein Temperagemälde, die Verspottung Christi, mit venezianischen Anklängen, vielleicht Tirolisch, um 1530.

Quellen:
Schaffran Emmerich, Heimatkundliche Wanderungen, 1924

Schaffran, Emmerich
1924