Weihnachten in der Dichtung

Ein literaturhistorischer Beitrag aus dem Jahr 1897

Als das älteste Stück Weihnachtspoesie wäre wohl jener Gesang zu bezeichnen, den der schönen Legende nach die Englein in der heiligen Nacht angestimmt haben. Als eine echte Sphärenmusik ist dieses Lied nicht in unsere Menschenliteratur übergegangen; aber es ist doch, als ob sein himmlischer Klang weiter und weiter tönte und all‘ die Poesien erfüllte, die der Weihnacht gelten. Die Weihnachtspoesie ist ein schöner heller Winkel der Weltliteratur, voll von dem tiefen innigen Zauber des Festes selbst, der sogar unbekanntere Dichter zu gelungenen und seelenvollen Dichtungen begeistert hat. Wie der tiefe poetische Gehalt des großen Winterfestes der Christenheit zur dichterischen Behandlung förmlich herausfordert, so hat die Weihnachtsliteratur allmählich einen außerordentlichen Umfang angenommen. Ihren Höhepunkt erreichte sie in älterer Zeit im Weihnachtsspiel und im Weihnachtslied, in der neueren Literatur in der Weihnachtsgeschichte.

Das Weihnachtslied

Das Weihnachtslied nahm seinen Ursprung von den lateinischen Kirchenhymnen, die vielfach bearbeitet und selbst noch von den protestantischen Kirchendichtern benützt wurden. Daneben entstand aber allmählich ein selbstständiges deutsches Weihnachtslied. Als das erste Beispiel dieser Gattung wird aus dem 12. Jahrhundert das Lied: „Er ist gewaltic unde starc, der ze wîhen naht gebórn wárt“ von Spervogel anzusehen sein. Auch bei anderen Minnesängern finden wir weihnachtliche Dichtungen, und ganz besonders ist des Hardeggers Lied „Hinte ist der faelden reiche tac das Jesus wart geborn“ voll von süßer Frömmigkeit. Neben dieser Stimmung war es aber auch die Fröhlichkeit, ja geradezu die lustige Laune, die Weihnachtslieder inspirierte. In diesem Stil ist ein Gedicht des 13. Jahrhunderts gehalten, das, beinahe übermütig, nach damaliger Sitte lateinische und deutsche Worte und Sätze vermengte: „Ein Kind ze troste ist uns gesant von verre zu der engel lant, in stipulis iaeere vand man den wenigen Herren“. So wird das Kunstlied allmählich zum weihnachtlichen Volkslied.

Den vollen Volksliedton hat schon eine Dichtung des vierzehnten Jahrhunderts gefunden, die Johannes Tauler zugeschrieben wird. Charakteristischer Weise geht sie ganz nach der populären Melodie des Liedes: „Es wollt‘ ein Jäger jagen, wollt‘ jagen in einem Holz“. Taulers Weihnachtslied beginnt kräftig und anschaulich mit den Versen:

Uns kommt ein Schiff gefahren,
Es bringt ein schönen Last,
Darauf viel Engelscharen
Und hat einen großen Mast;

Und es erreicht seinen künstlerischen Höhepunkt in der innigen und süßen Strophe:

Möchte ich das Kindlein küssen
An seinen lieblichen Mund
Und wär ich krank, für gewisse
Ich würd‘ davon gesund.

Dies Lied erwarb sich verdientermaßen eine große Beliebtheit, wurde oft (nicht immer glücklich) bearbeitet und findet sich nach Weinhold’s Mittheilung selbst in Holland und fast buchstäblich auch in den englischen Christmas-Carol „I saw three ships come sailing in on Christmasday“ wieder. Denn auch in England und in Frankreich blühte das volkstümliche Weihnachtslied, blüht zum Teil noch bis zum heutigen Tage. England ist überreich an ernsten wie heiteren Carols (Liedern), von denen die letzteren bei den Weihnachtsgelagen gesungen wurden. Selbst bei den Hoffesten Elisabeths und der Stuarts wurde dieser Brauch innegehalten. Auch in der französischen Weihnachtsliteratur spielen die heiteren Noels (Weihnachtslieder) eine besonders große Rolle: Oft haben sie jenen Chanson-Ton, der den französischen Volksliedern so reizend steht. Nur als Beispiel sei der Kehrreim aus einem Noel des Bernard de la Monnoye genannt, worin der „dicke Talbot“ ermahnt wird, das Kindlein nicht durch die Nägel seiner Holzschuhe aufzuwecken:

Ne disons mot,
Prends garde que les clous,
Gros Talbot,
Les clous, les clous, les clous
De tes sabots
Les clous de tes sabots
N’éveillent ce Petit.

Um nach Deutschland zurückzukehren, so haben die folgenden Jahrhunderte volkstümliche Weihnachtslieder in großer Zahl hervorgebracht. Begreiflich, dass sie nicht immer sehr originell sein konnten. Aber immer wieder überrascht doch die starke, auf eigener Empfindung beruhende Stimmung. Wie treuherzig ist z.B. die Anschauung, die ein Weihnachtslied des 15. Jahrhunderts in dieser Strophe zeigt:

Josef der nahm sein Eselein
Wohl bei dem Zaum
Er führet es unter
Ein Tadelbaum.
„Eselein, du sollst stille stahn,
Maria die will geruhet han.
Sie ist gar müde.“
Da neigt sich der Tadelbaum zu Gottes Güte.

Der Strom des Weihnachtsliedes wuchs in der folgenden Zeit gewaltig an und ist durch die Jahrhunderte ununterbrochen bis in unsere Zeit geflossen. Aus dem 16. Jahrhundert stammt auch eines der beiden Weihnachtslieder, die heute gewissermaßen als die klassischen gelten: „Vom Himmel hoch da komm ich her“, das vielleicht nur die Bearbeitung eines vorreformatorischen Liedes ist. Das andere dieser klassischen Lieder: „Stille Nacht, heilige Nacht“ ist ein Erzeugnis des 19. Jahrhunderts. Sein Dichter ist der 1848 verstorbene Josef Mohr, sein Tonsetzer Franz Gruber (1787–1863), der als Organist und Chorregent im Salzburgischen gewirkt hat. Beides waren stille bescheidene Männer, aber die stimmungsreichen Worte und die herzbewegende Weise ihres Weihnachtsliedes haben sich die ganze Welt, soweit sie von Deutschen bewohnt ist, erobert und gewissermaßen über alle anderen Lieder dieser Gattung einen Sieg davongetragen.

Das Weihnachtsspiel

Das Weihnachtsspiel hat sich in so unendlicher Mannigfaltigkeit und in solchem Reichtum entwickelt, dass eine eingehende Verfolgung seiner Geschichte hier ausgeschlossen ist. Wir finden es in der primitiv-volkstümlichen Form, dass das Christkindlein zu Besuch im Hause erscheint, um zu erfragen, ob die Kinder auch artig gewesen und würdig seien, von ihm beschenkt zu werden. Wir finden es im frühen Mittelalter in allegorisch-dogmatischer Form und finden es als Darstellung historischen Stils.

Die Erzeugnisse dieser Gattung sind zum Teil höchst umfangreicher Art. So begleitet ein französisches Mysterium die heilige Geschichte von der Schöpfung bis zum 12. Lebensjahr Christi und ein Weihnachtsdrama des Benedict Edelpöck aus dem 16. Jahrhundert zählt gegen 3000 Verse. Namhafte Dichter wie Hans Sachs und Andreas Gryphius, haben sich in dieser Gattung betätigt, und es mag eine Zeit gegeben haben, wo kein deutsches Haus und keine deutsche Stadt nicht in dieser oder jener Form ihre Weihnachtsspiele gehabt hätte. Auch Luther hat diese „guten ernsten tapferen Tragödien“, die ihren Stoff der heiligen Schrift entnahmen, hoch geschätzt, und dementsprechend haben auch die protestantischen Autoren sich dieser Gattung gleichfalls mit Eifer zugewandt.

Selbstverständlich gehen die weitaus meisten dieser Spiele auf ganz bestimmte Formen und Traditionen zurück und tragen daher nur ausnahmsweise ein individuelles Gepräge. Indes fehlt es doch auch nicht an eigenartigen Zügen. So gewinnt ein niederschlesisches Spiel: „Der Engel und das Christkind“ eine vortreffliche Einleitung, indem der Engel mit dem Weihnachtslied „Vom Himmel hoch da komm‘ ich her“ auftritt. Und am Schluss desselben Spiels überrascht ein echt volkstümlicher lieblicher Zug, indem der Engel und das Christkind voreinander stehen bleiben und singen:

Wir stehen auf einem Lilienblatt
Und wünschen auch allen eine gute Nacht.

So sind auch ihre Abschiedsworte voll kindlich-naiver Phantasie:

Gute Nacht, gute Nacht, gute Nacht,
Wir haben uns noch weiter bedacht:
Wir haben draußen stehn ein schönen Wagen,
Der ist mit lauter Gold und Silber beschlagen.

Das Volkstümliche ist es ja überhaupt, das uns heutigen Tages ganz besonders an diesen Spielen anzieht. Und zur Entfaltung dieses Geistes gaben vor allem die mit den Spielen verbundenen Hirtenszenen Gelegenheit. Die Hirten treten gewöhnlich am Anfang der Spiele auf und erleben nun voll größten Erstaunens das Wunder der Nacht. Dabei findet dann derber Humor reichlichen Spielraum und diesen Anlass haben neben dem spanischen auch autos al nacimiento eben unsere deutschen Spiele mit besonderer Vorliebe benutzt.

Ein oberkärntner Spiel stellt die Szene zwischen den Hirten Jörgl und Riepl (Ruprecht) realistisch dar:

Jörgl: Auf, auf, Riepl, heb‘ dein Schädel! Schau, was gibt’s für frömde Göst?
Riepl: Halt dein Maul, du grober Kerl, hoan mi glei erst glöst ins Nöst.
Jörgl: Lög die gschwind von (d.h. zieh dich an)
Riepl: Wart, i kimm schon.
Jörgl: Beutl‘ (schüttle) d’Frömdleut auf beim Schopf, du bist sonst a starker Knopf.

Der Charakter der beiden Hirten ist auch weiter konsequent und ergötzlich festgehalten. Der schwerfällige, plumpe Riepl stellte dem hilflosen Jesuskind gegenüber die Erwägung an:

Göbet Dir mein Stiefel sonst.
Wenn i wüßt‘ dass D‘ eini kommst.

Und der beweglichere Jörgl klagt eindringlich:

Mein Heiland, wie hart mueßt löben,
Unterm Vieh fangst’s Löben oan!

Auch zum Schluss kommt die Eigenart der beiden noch einmal sehr hübsch zum Ausdruck. Jörgl erklärt:

Bleib‘ halt fein gesund, mein kloans Liebl,
Wannst woas brauchst, so komm zu mir.

Riepl aber ist bestimmter:

Hätt a Butt’n voll saure Rub’n,
Willst sie hab’n, i schenk sie Dir.

Als ein weiteres Beispiel des kräftigen Realismus dieser Spiele kann ein obersteirisches Spiel angeführt werden. Hier tritt der Wirt Hans Christoph Seltenreich auf und drückt seine Hoffnung aus, das Haus und den Beutel in dieser Zeit recht voll zu bekommen. Zu ihm finden sich nun Maria und Josef mit dem Kinde und bitten um Obdach in ihrer Not. Der Wirt zeigt sich nach längerem Zögern geneigt, die Bitte zu erfüllen, aber da – ist noch sein Weib, und indem er noch überlegt, hört man sie rufen:

Seltenreich, Seltenreich, Seltenreich!
Wirt: Wer ist, der mir so schreien tut?
Wirtin: So. so, mein saubres Bürschel? gut!
Nun ich mein‘, Du bist zu Haus,
Laufst alle Gassen und Winkel aus.
Was hast Du mit den Leuten zu schaffen?
Was hast du für ein Maul zu machen?

Es entwickelt sich nun eine bewegliche Szene, in der Maria und Josef die harte Frau auf alle Weise zu erweichen suchen, auch der Wirt unterstützt sie. Aber alle Bitten sind, wie sich nach ihrer Eingangs-Philippica wohl vermuten lässt, vergeblich. Sie gibt ihrer Meinung sehr energisch Ausdruck:

Mein’ Frau, wärst ehnder gestanden auf,
Und mit Dein‘ Kind besser gangen drauf!
Du bist so jung, willst sein so faul!
O schweig nur still und halt das Maul:
Thät’s alle beid‘ aufs Knie niederfall’n,
So thät‘ ich enk noch nicht behaln.

Schließlich erklärt sie sich mit Not und Mühe bereit, die Fremden im Stall zu dulden.

Wie man sieht, hat es das Volk verstanden, die Vorgänge der heiligen Nacht ganz novellistisch zu gestalten. Allerdings folgt es inhaltlich treu der Überlieferung, aber keck versetzt es die Begebenheiten auf den Boden der Realität und belebt sie durch frisch charakterisierte volkstümliche Figuren.

In der modernen Literatur spielt Weihnachten eine große Rolle. Goethe hat in einer berühmten Stelle in Werthers Leiden die Weihnachtsfreuden geschildert, J.P. Hebel der „Mutter am Christabend“ innige Worte gewidmet:

Verwach mer nit, verwach mer nit!
Die Mutter goht mit stillem Tritt,
Sie goht mit zartem Muttersinn
Und holt e Baum im Chämmerli drinn.
Was henk i der denn dra?
Ne schöne Lebchueche Ma,
Ne Gitzeli, ne Mummeli,
Und Bluemli weiß und roth und gel
Vom allerfienste Zuckermehl.

Auch Annette v. Droste-Hülshoff hat sich in ihrem „Christlichen Jahr“ zu den Weihnachtsdichtern, und zwar denen religiösen Stils, gesellt. Finden wir bei ihr tiefinnerliche Betrachtungen, so führt uns Friedrich Rückert in den Kreis der weihnachtlichen Darstellungen. Sein (von Carl Loewe komponiertes) Gedicht „Des fremden Kindes heiliger Christ“ ist unzweifelhaft eines der schönsten Stücke unserer Weihnachtsliteratur. Ergreifend und doch ohne anstößigen oder übertriebenen Realismus schildert er die grenzenlose Verlassenheit und das Elend des Armenkindes am Christabende und vereinigt dann Wirklichkeit und Weihnachtslegende in wundervoll poetischer Weise, indem das Christkind selbst das verlassene Kind holt:

War auch ein Kind vordessen,
Wie du ein Kindlein bist,
Ich will dich nicht vergessen,
Wenn alles dich vergisst.

Die große Gattung des sozusagen sozialen Weihnachtsbildes hat kaum ein schöneres Stück hervorgebracht.

Die Weihnachtsgeschichte

E.T.A. Hoffmann hat 1816 in dem Märchen „Nußknacker und Mausekönig“ den Christabend mit seinen rembrandtesken Farben – tiefes Dunkel und hellster Glanz – geschildert. Damals war nun schon die erste Weihnachtsgeschichte, Ludwig Tiecks Novelle „Der Weihnachtsabend“ (1805) erschienen.

Doch geht die eigentliche Entwicklung der modernen Weihnachtsgeschichte auf Charles Dickens zurück. Denn erst Dickens hat den Weihnachtsabend nicht im Zusammenhang einer sonst von ihm wenig abhängigen Fabel benutzt, sondern ihn und seine Stimmung selbst zum Mittelpunkt, zum ausschließlichen Gegenstand gemacht. Das ist das Kennzeichen der modernen Weihnachtsgeschichte, und ein weiteres Charakteristikum ist, dass sie als ihr oberstes Ziel die Stimmung ansieht. Darum ist ihr auch sogar ein märchenhafter Charakter erlaubt, wie denn Dickens selbst in seiner, meines Erachtens vollendetsten Weihnachtsgeschichte, der „Christmas-Carol“, den Geist des alten Marley in geradezu meisterhafter Weise dazu verwandt hat, um aus Angst und Schrecken allmählich eine jubelnde Weihnachtsfreude hervorwachsen zu lassen. Seit Dickens ist die Christmas-Story zu einem festen Bestandteil der englisch-amerikanischen Literatur geworden und kaum ein namhafter Autor englischer Zunge hat es unterlassen, sich in dieser Gattung einmal zu versuchen.

Bei den Franzosen spielt bekanntlich Neujahr die Rolle von Weinachten und darum darf in diesem Zusammenhang die köstliche Skizze in Gustave Droz‘ „Monsieur, Madame et Bébé“ erwähnt werden, die damit beginnt, dass die Eltern im Bett überrascht, und dann das Festmahl im Vaterhause rührend und humorvoll schildert.

Wir Deutsche können durch Tiecks Novelle auf die moderne Weihnachtsgeschichte (eine der schönsten ist Adalbert Stifters Bergkristall“) einen berechtigten Anspruch erheben, überdies aber besitzen wir wohl das ergreifendste Weihnachtsdrama der modernen Literatur in Ludwig Anzengrubers Heimg’funden“, einem derb volkstümlich gezimmerten Stück, in dem aber eine echt weihnachtliche Stimmung zum Durchbruch kommt. Auch Gerhard Hauptmann hat in seinem „Friedensfest“ den heiligen Abend stimmungsvoll zum Symbol der Versöhnung der Zwieträchtigen, der Befriedung der Friedelosen gemacht.

Und so hat die Weihnachtsliteratur in den verschiedenen Formen und Gestalten doch überall und immer das Eine gemein: die Empfindung für die Weihe und die Freunde des Festes und das Bestreben, sie dichterisch zum Ausdruck zu bringen. Erst klingt die Weihnachtsstimmung lyrisch im religiösen Lied aus, dann erfasst sie die religiösen Begebenheiten und sucht sie sich augenscheinlich zu vergegenwärtigen, schließlich holt sie von Nah und Fern ihren Stoff, verwebt ihn mit dem Fest und schildert, wie Menschenschicksale gestaltet und entschieden werden in der „stillen heiligen Nacht“, der Weihnacht.

Quellen:
Innsbrucker Nachrichten vom 24. Dezember 1897

August Hagemann in den Innsbrucker Nachrichten, bearbeitet von hojos
im Dezember 2015