Vom Herzog von Braunschweig zu Charles Sealsfield
Eine etwas eigenwilliger Bogen durch die Regionalgeschichte von Alt-Hietzing
25.04.2015
Mit dem Ausbau Schönbrunns und der Nähe des kaiserlichen Hofes änderte sich die soziale und wirtschaftliche Struktur Alt-Hietzings grundlegend. Dazu gehörte auch der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzende Bauboom. In eine frühe Phase dieses Strukturwandels fällt die Kultivierung und Verbauung des bis 1796 zur Herrschaft St. Veit gehörenden untersten Streifens zwischen der heutigen Auhofstraße und der damals angelegten heutigen Hietzinger Hauptstraße. Zu den in diesem Gebiet um 1776 vergebenen Baustellen zählt auch das für diese Betrachtung wichtige Haus mit der damaligen Konskriptionsnummer 25. Der Franziszeische Katasterplan 1819 zeigt dieses Wohn- und Wirtschaftsgebäude samt Hofraum auf der Hausparzelle 32, Besitzer war der in Wien wohnende Doktor Juris Joseph Uebel.
Die weitere Besitzerkette ist Teil der glamourösen Alt-Hietzinger Sozial- und Baugeschichte und reicht von Karl Alexander Anselm Freiherr von Hügel über Herzog August Ludwig Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel bis zu Richard Wustl und seinen Erben.
Im 1870/71 neu angelegten Grundbuch der KG Hietzing ist diese Liegenschaft als separater Teil der EZ 24 eingetragen. Die beiden anderen Teile sind zu dieser Zeit ebenfalls bebaut und ragen nach Norden über die Auhofstraße (möglicherweise war das die Folge einer früheren Liegenschaftsteilung). Alle drei Teile wurden von 1854 bis 1871 vom Herzog von Braunschweig erworben und bestanden neben umfangreichen Grundstücken aus folgenden Häusern:
Der Tod des Herzogs im Jahr 1884 führte zu einer grundlegenden Veränderung. Der 1885 erbende Ernst August Herzog von Cumberland und Braunschweig-Lüneburg ließ Teil 2 und 3 der EZ 24 in neu eröffnete Einlagen übertragen (EZ 311 und 312) und verkaufte sie an verschiedene Personen. Er selbst übersiedelte in das Penzinger Palais Cumberland. Die ursprünglich seinem Vater, dem entthronten König Georg V. von Hannover (1819–78) als Wohnsitz überlassene ehem. Villa Hügel ging über Dr. Adolf Ehrenfeld und Erben 1911 an den für die 1912–14 neuerbaute Villa namengebenden Richard Wustl.
In der Folge wird ausschließlich das weitere Schicksal der EZ 312 mit dem Haus Konskriptionsnummer 222, später Steckhovengasse 9a, betrachtet: Erste Eigentümer der neuen Parzelle waren gemäß Kaufvertrag vom 28. Mai 1885 Rudolf und Ernestine Rupp. Damit betritt eine neue Familie diesen speziellen Geschichtsbogen. Rudolf war Apotheker und Ernestine (*1843 †1911) war eine geborene Brandner und die Tochter von Anna Maria Brandner, geb. Postl (*1803 †1864), der Schwester eines gewissen in Poppitz in Südmähren geborenen Karl Postl (*1793 †1864). Dieser war ein untergetauchter und für tot gehaltener Geistlicher, der unerkannt und unter dem Pseudonym Charles Sealsfield in Amerika und Europa ein schillerndes Leben als zeitkritischer Schriftsteller und offensichtlich geschickter Börsenspekulant führte. Er starb in Solothurn in der Schweiz und hinterließ seinen Nichten und Neffen (lt. Testament „den ehelichen Nachkommen des Anton Postl und seiner Ehefrau Juliana, geb. Rabl“, das waren die Eltern Karl Postls) aus heiterem Himmel ein beträchtliches Erbe, das den oben genannten Liegenschaftskauf mitfinanziert haben könnte. Näheres zu Karl Postl enthält der Bericht von einer Veranstaltung anlässlich seines 222. Geburtstages.
Die Grundstücksteilungen, die letztendlich zu Hietzings heutiger Siedlungsstruktur führten, gingen natürlich weiter: Rudolf und Ernestine Rupp teilten eine Gartenparzelle ihrer EZ 312 gemäß Teilungsplan vom 25.5.1901 und übertrugen die beiden neuen Teile in die EZ 470 und 471.
Die verbliebene EZ 312 mit dem Haus CNr. 222 (Steckhovengasse 9a) verkauften sie mit Kaufvertrag vom 29. Jänner 1902 an einen Herrn Anton Moritz, Hausbesitzer in der Auhofstraße 58, um 43.800 Kronen. Die beiden neuen EZ 470 und 471 behielten sie und bauten auf letzterer ein neues Haus. Der Neubau wurde mit der Konskriptionsnummer 364 am 11. Jänner 1902 im Grundbuch angemerkt. Heute ist es die Adresse Steckhovengasse 13.
Das Haus Steckhovengasse 13 blieb im Familienbesitz. Die heute dort wohnende Frau Mag. Dr. Helga Löber ist eine Nachfahrin des geheimnisvollen Karl Postl alias Charles Sealsfield und Präsidentin der hier angesiedelten Internationalen Charles-Sealsfield-Gesellschaft.