Der Christkindl

Von Hans Multerer

Freilich sagt man „das Christkindl“. Aber wer diese Geschichte liest, der weiß dann, dass auch der Christkindl richtig ist, denn die Volkssprache kümmert sich nicht viel um die strengen Regeln der Grammatik, sondern sucht und findet bei allen Gelegenheiten Namen und Bezeichnungen, die so zutreffen, eindeutig und umgreifend sind, dass sie oft eine ganze Geschichte enthalten wie diese:

Der Christbaum ist doch gar nicht zu alt. Wenigstens bei uns im bayerisch-böhmischen Wald weiß man erst etwa 100 Jahre etwas von ihm. Man sagt da auch heute noch „‘s Christkindl legt ein“, was daran erinnert, dass den Kindern früher die Weihnachtsgaben in Teller, Schüsseln oder Körbeln gelegt wurden.

Also zu der Zeit, wo das Christkindl noch „eingelegt hat“, da ist einmal am letzten Schultag vor Weihnachten der Pfarrer von Hammerau vor den Kindern gestanden und hat gesagt: „Liebe Kinder! Wenn ihr jetzt zu den Feiertagen in die Kirche geht, so werdet ihr das Jesukindlein in der Krippe liegen sehen. Das Arme musste liegen auf Heu und Stroh, da es nicht einmal ein Bett hatte, ja kaum ein paar Windeln. Das ärmste von euch hat seine Zudeck und braucht nicht frieren, wenn es draußen stürmt und schneit. Seht! Und da müsst ihr immer dran denken, dass unser Heiland schon als Kind für uns gelitten hat. Darum betet in diesen Tagen fleißig zum Jesukindlein, und bleibet auch ihr alle brav Kinder, bis wir uns nach den Feiertagen wieder hier in der Schule sehen. Und nun gehet mit Gott nach Hause.“ Den Riederer Buben, den Aloisl, hat das vom Christkind so gepackt, dass er den ganzen Heimweg dran denken hat müssen, wie das Jesukindl gefroren hat. Und wie im beim Warten durch den kniehohen Schnee die Zehen, Finger und Ohren eiskalt und steif geworden sind, hat es ihm vor lauter Mitgefühl die Tränen in die Augen getrieben.

„Warum haben sie‘s denn nicht zu deckt, das Christkindl“, hat der daheim die Mutter allweil gefragt. Aber die Mutter hat ihm auch nichts anderes drauf sagen können wie: „Weißt, Aloisl, die heilige Maria, seine Mutter, und der Nährvater Josef waren halt arme Leut und haben nichts gehabt zum Zudecken.“ Das hat dem Aloisl nicht ein geleuchtet. „Hätt denn der heilige Josef nicht seinen Rock ausziehen können?“ ging es ihm durchs Köpfl.

Am Heiligen Abend hat das Christkindl dem Aloisl so hübsch was eingelegt, und dann hat der auch zum ersten Mal mit in die Nachtmetten dürfen. Richtig ist in der Kirche auf dem rechten Seitenaltar in einem Krippl das Christkindl gelegen. Dem Aloisl ist vor lauter schauen das Göschl offen geblieben, so schön ist das Jesukindl dagelegen. Aber weil es halt gar nichts Warmes angehabt hat und Grad nur mit einer Windel zudeckt gewesen ist, da hat es den Buben so erbarmt, dass er mit dem Augenwischen und Schnäuzen gar nicht fertig geworden ist. Am liebsten hätt er geschrien: „So deckt es doch zu!“ Freilich hätten das die Großen – überhaupt der Herr Pfarrer oder der Schullehrer selbst wissen können, dass man ein kleines Kindl nicht so frieren lassen darf.“ Am End muss es so sein“, hat sich der Aloisl dann selbst getröstet, „damit das Christkindl für uns leiden kann, wie der Herr Pfarrer in der Schul gesagt hat.“ Aber halt gar so frieren lassen! Dass das Jesukindl nur eine Docken (=Puppe) gewesen ist, an das hat der Bub nicht gedacht.

Wie der Aloisl dann mit seinem Vater von der Kirche heimkommen ist und ihm die Mutter eine Schüssel voll Mettenwürste (= Blut- und Leberwürste, die nach der Mette aufgetischt werden) hingestellt hat, ist dem Buben vor Heißhunger das Mitleid mit dem Jesukind vergangen, und er hat sich so angepampft, dass er nimmer Pfaff hat sagen können. Erst wie er ins Bett geschloffen ist und die Mutter die kalte Tuchent über ihn gezogen hat, ist ihm das frierende Christkindl wieder eingefallen. „So viel hat‘s mir eingelegt, so brav ist‘s gewesen, das Christkindl“, hat der Bub sinniert, „und jetzt muss es schier nackt in der kalten Kirche liegen…“

Der Vater und die Mutter haben in der Kammer geschlafen und so haben sie nicht gehört, wie der Aloisl gegen früh im Stüblbett hinten zum Umwälzen und Stöhnen angefangen hat und im Traum vom Christkind geredet hat, dass sie es doch um Gottes willen zudecken sollen.

Das Kinder im Schlaf reden, das ist nichts Seltsames, überhaupt wenn sich eins so trommelrund vollgestopft, wie selmal der Aloisl mit den Mettenwürsten. Aber das geschieht nicht alle Weihnacht, dass der Mesner, wenn er in der Früh in die Kirche Gebetläuten geht, in der Krippe kein Christkindl mehr findet, wie damals am Christtag in Hammerau. Wenn der alte Jogl auch gleich den Pfarrer aufgeweckt und gemeldet hat: „Gelobt sei Jesus Christus. Herr Pfarrer, ‘s Christkindl haben s‘ uns gestohlen“, so hat sich der Pfarrer doch keinen anderen Rat gewusst, wie dass er ihn angeschrien hat: „Allerweil trag ich dir auf, du sollst die Kirche über Nacht absperren. Aber du folgst ja nicht. Ich sag’s ja. Ich sag’s ja. Jetzt stehln s‘ uns ‘s Christkindl. So eine Schande!“ Aber alles suchen hat nichts genutzt, das Christkindl ist weg gewesen.

Diesen Christtag hat der Pfarrer seine Frühmesspredigt so angefangen: „Liebe Pfarrkinder! Wie wir heute in der Nacht nach der Mette auseinandergingen, ist, wie ihr alle gesehen habt, dass Jesukindlein noch friedlich und lächelnd im Kripplein gelegen. Heute früh, als der Messner Kirche Gebetläuten kam, war es von ruchloser, frevlerischer Hand entwendet. Ich habe angesichts dieser teuflischen Tat nur den einen Wunsch, Gott gebe es, dass der Dieb nicht eines meiner Pfarrkinder ist, sondern vielleicht ein Zigeuner oder sonst ein herumstreifender Unchrist.“

Die Hammerauer haben an diesem Christtag die weiteren Worte der Festpredigt kaum mehr gehört, und was sie während der Messe miteinander getuschelt haben, das ist dann vor der Kirche, im Wirtshaus und am Heimweg laut besprochen worden, und der Diebstahl hat bei Jung und Alt seine Verdammnis gefunden.

Die Riedererleut sind auch, wie jeden Song und Feiertag in der Messe gewesen, und wie sie heimkommen sind, ist die Riednerin gleich ins Stübl gegangen den Aloisl aufwecken, dass er ins Hochamt zurechtkommt und dass sie ihm das vom gestohlenen Christkindl hat erzählen können. Aber der Bub hat geglüht vor Fieber, und wie ihn die Mutter gerüttelt hat, hat er fantasiert: „Gelt, do is’s worm!“ Die Riednerin hat vor Angst ihren Mann gerufen. Dem sind gleich die vielen Mettenwürste eingefallen, die der Aloisl in der Nacht gegessen hat, und er hat den Buben aufgedeckt.

Da ist neben dem Aloisl das verschwundene Christkindl aus der Kirche gelegen! –

Der Riederer ist erst käsweiß geworden und hat um sich gegriffen, ob er wacht oder träumt. Dann hat er den Aloisl vor Zorn aufgerissen, geschüttelt und geschupft: „Mistbub, du – du – wo hast das Christkindl her?! Du! – Du?“

Aber der Aloisl ist nicht zu sich gekommen und hat nur alleweil gefiebert: „nicht aufdecken! Es muss ja schön warm haben.“

Ist dem Riederer nichts anderes übrig geblieben, wie denn Aloisl wieder ins Bett zu legen und das Christkindl, sorgsam unterm Mantel versteckt, in den Pfarrhof zu tragen. Nun, der Pfarrer hat da freilich Augen gemacht wie der Riederer, der angesehenste Bauer im Dorf, mit dem Christkindl angerückt ist und gestottert hat: „Herr Pfarrer, wie‘s zu meinem Bubm ins Bett gekommen ist, weiß ich nicht. Das werden wir erst hören, wenn der Aloisl zu sich kommt. Derweil fiebert er noch. Ich bitte euch nur eins, verraten S‘ derweil nichts von der Geschichte. Ich könnte ja nimmer unter die Leut gehen.“

So ist beim Hochamt das Christkind schon wieder auf seinen Platz im Krippl gelegen, und es hat sich herumgesprochen, dass der reuige Dieb das gestohlene Gut von selber zurückgebracht hätte. Wer es aber gewesen ist, das hat niemand gewusst.

Derweil hat die alte Schmiedin den Aloisl in die Kur genommen und hat ihm ein Trankl gekocht, dass ihm, bevors noch Mittag gewesen ist, die Mettenwürst wieder ausgetrieben hat. Da ist der Bub ruhiger geworden, und wie nach dem Essen der Herr Pfarrer selber nachschauen gekommen ist, da ist er wieder hell im Köpfchen worden, hat zum Flennen angefangen und gebeichtet: „der Herr Pfarrer – hat in der Schul gesagt – dass das Christkind – soviel für uns – hat frieren müssen – und da hat‘s mich so erbarmt – und wie ich‘s in der kalten Kirchen – habe liegen sehen – hat‘s mich noch mehr erbarmt – und dann hat mir geträumt – ich bin aufgestanden – es ist noch finster gewesen – und bin in die Kirche hinübergegangen – und hab das Christkindl heimtragen – und zu mir gelegt – dass es warm hat.“

„Bist du nicht am Ende wirklich aufgestanden und hast dir das Christkind geholt?“ Hat der Pfarrer gefragt, der den Zusammenhang schon geahnt hat.

„Ich weiß es nicht“, hat der Aloisl gegrübelt, „aber ich meine, mir hat‘s träumt.“

Wie sie dann drauf kommen sind, dass dem Aloisl sein Gewandl nicht beim Ofen gelegen ist wie sonst, sondern auf der Bank beim Fenster, da hat es nimmer anders sein können, wie dass der Bub im Fieber aufgestanden ist, sich angezogen hat und das Christkindl holen gegangen ist. Hintennach ist auch dem Knecht eingefallen, dass er in aller Herrgottsfrüh die Haustür gehen hat gehört.

Der Pfarrer hat jetzt nicht am End eine Strafpredigt losgelassen, sondern ganz im Gegenteil den Aloisl seinen lieben, dummen Buben genannt. Und wie er fortgegangen ist, da hat er sich auf der Gred (= gepflasterte Streifen vor dem Haus) draußen heimlich die Tränen aus den Augen gewischt vor Rührung über die Einfalt des kleinen Bübls.

Der Aloisl ist am andern Tag schon wieder pumperlgesund gewesen – aber die Dienstboten müssen die Geschichte mit dem Christkindl doch weitererzählt haben, weil ihn die Dorfkinder vor der Kirche gleich mit: „Ui, der Christkindldieb!“ empfangen haben.

Zum Glück ist der Pfarrer dazu gekommen und hat den Kindern ein für alle Mal verboten, den Aloisl so zu schimpfen. Ja, der Pfarrer hat über den Riedererbuben sogar eine schöne Predigt gehalten und darauf hingewiesen, dass der Heiland auch diesen Buben gemeint hat, wenn er gesagt hat: „lasset die Kleinen zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich“, in dem der Aloisl in seinem kindlichen Unverstand und noch dazu im Fieber das Christkindl heimgetragen hat, nur um es in sein warmes Bett zu legen; also aus Mitleid – nicht aus Habsucht, und das ist keine Sünde, sondern ein gutes Werk vor Gott dem Herrn, der in unsere Herzen sieht.

Das Schimpfwort Christkindldieb hat der Pfarrer damit ausgelöscht. Aber das die Hammerauer von nun an, wenn sie vom Aloisl geredet haben, „der Christkindl“ sagten, das ist nicht mehr zu ändern gewesen. Dem Aloisl ist sein Leben lang „der Christkindl“ geblieben, nicht am Ende als Spottname, sondern als ehrenwerter Rufname, ja er ist sogar auf den Hof übergegangen, wo es heute noch „beim Christkindl“ heißt.

Quellen:
Der getreue Eckart, Monatsschrift für das deutsche Haus, 9. Jahrgang Teil 1, Wien: Eckart-Verlag Adolf Luser 1931/32, S 203ff

Übertragen von hojos
im Dezember 2014