Hofbauer: Der Wienfluss

Auszug aus der Wieden-Darstellung Karl Hofbauers
1864

Im Osthange des Wienerwaldes – hinter dem Dorfe Pressbaum – aus zwei Klüften des Kaiserbrunnberges entspringend, erreicht nach 3 ½ Meilen langem Laufe das hiesige Gemeindegebiet, durchläuft dasselbe – nachdem er die südöstlichen von den nordwestlichen Vorstädten und der inneren Stadt scheidet, - in einer Länge von einer Stunde und mündet zwischen dem östlichen Stadtglacis und der Weißgerbervorstadt in den Wiener-Donau-Kanal. Vorzeitlich, da sich der Wienfluss noch einer beträchtlichen Strömung zu erfreuen hatte, boten seine Ufer einen weit erquicklicheren Anblick denn heute, und war streckenweise auch der Lauf des Flusses ein anderer. In mehrfachen Krümmungen schlängelte sich sein klarer Wasserspiegel grünenden Rebhügeln entlang, bis in die Nähe des Kärntnerthores. Hier, am alten Spitale der Wiener Bürger, wandte sich das Flußbett plötzlich nordostwärts an die Niederungen und Erdabhänge unter der Karlskirche und der Rabengasse; wie in Vischers Perspektivansicht der Stadt Wien vom Jahre 1640 (in Braun’s Städtebuch schon 1618, dann bei Merian 1649 und 1677) deutlich zu erkennen ist. Nur der abgeleitete Mühlbach blieb der oberen Richtung des Flusses treu. Dass auch die Wien in früherer Zeit in mehrere Arme verzweigt gewesen – für diesen Umstand zeugen nicht nur der Name Konradswörth (Werd oder Insel), sondern auch die zahlreichen Weiher und Lachen, welche ihre Ausläufer gebildet hatten. So erwähnen die Steuerregister noch zu Ende des 17. Jahrhunderts eine Froschlacke zunächst der Schleifmühle. Schlager führt im Jahre 1456 den „Permanns Weyher pey des Permann Hof an der Wienn“ (vor der Karlskirche – dem Permansthurm am Rennweg gegenüber); 1471 eine Lacke außerhalb des Klagbaumes auf der Wieden – die im nämlichen Jahre zuzuschütten begonnen wurde; 1467 den Königsweyher (Königsteich) in er Schöffstraße, und 1478 einen Weyher hinter dem Heiligengeistspitale an. Eine Bürgerspitals-Urkunde vom Samstag nach Maria Lichtmesse (9. Februar) 1370, nennt einen „Michel in dem Weyher“ als Schaffer im Klagbaum.

Mit Bezug auf die Namensableitung des Wienflusses, schreibt weiland Pezzl (1786) Folgendes: „Hat die Stadt ihren Namen von diesem Flusse, oder hat der Fluß seinen Namen von der Stadt? … Einige alte Chronisten sagen, die erste Gründung der Stadt schreibe sich von der Zeit her, da Flalvius unter Trajan die römischen Legionen an der Donau commandirte. Er legte hier eine Schanze an, welche nach dem Namen ihres Erbauers Flaviana genannt wurde. Aus diesem Wort machte man mit der Zeit den verkürzten Namen Viana, und endlich Vienna, die heute noch übliche Benennung unserer Stadt. Wenn es mit dieser Herleitung seine Richtigkeit hat, so muß der Bach seinen Namen von der Stadt geerbt haben. Dem sei, wie ihm wolle. So viel ist gewiß, daß dieses unbändige Flüßchen bisher der Stadt mehr Schaden als Vortheil zugezogen hat. Die geringen Vortheile, welche es gewährt, bestehen darin, daß ein paar Hundert daran wohnende Wäscherinnen seine Wasser benützen; daß es ein paar Mühlen treibt, und den Fiakern aus jener Gegend zur Pferdeschwemme dient. Dagegen hat es Schaden, zu Hunderttausenden an Werth, schon angerichtet. Bei dem Schmelz des Schnees; bei plötzlichen Wolkenbrüchen; bei anhaltendem Regenwetter schwillt dieser Bach, den man in trockenen Sommertagen zu Fuß überschreiten kann, gählings zu einer verderblichen Höhe; überflutet die angränzende Dörfer und Vorstädte, füllt Keller, untergräbt Häuser, zerreißt Brücken und Stege; und richtet noch mancherlei Unheil an.“

Von Überschwemmungen, welche der tückische Waldstrom herbeigeführt hatte, liest man schon in frühester Zeit. 1295 schwoll die „Wienn“ von Regengüssen so sehr an, daß das ganze Burgerspittl unter Wasser gestanden und die Kranken mit genauer Noth gerettet werden konnten. Im Jahr 1405 „um Gotzleichnams-Octav (wie die Chronik sagt) seynd die Guzz (Güsse) so groß gewesen, daz das Wasser überall auf dem Marchfeld über das trayde gieng und ze Wienn in das Spital und auf der Wüden hinder Sannd Antoni und hinder dem heiligen Geist, in ped Chirichen (beide Kirchen) gerunnen.“ Ferner heißt es 1670: „Unweit Wien ereigneten sich in diesem Jahr im Gebürge drey Wolken Brüch, regnete auch durch zwey gantzer Tag und Nacht, daß die Wässer, insonderheit die Wien, sich so heftig und gähling ergossen, daß die umliegenden Vorstädte, und andere Oerter nicht allein den 4. Juli in der Nacht zwischen 11 und 12 Uhr fast gäntzlich in’s Wasser gesetzt, sondern auch vie Häuser eingerissen, die schönste Lust- und Weingärten überschwemmt, auch viel Leute in Häusern, die in ihrer besten Ruhe gelegen, ertränckt, und überaus großer Schaden verursacht worden ist. Ja es ist ein solches Gewässer gewesen, daß ihrer viel vermeinet, Gott würde das menschliche Geschlecht mit einer Sündfluth straffen!“ - So berichtet Pater Fuhrmann. Arg wütheten die entfesselten Fluthen des Wien-Flusses aum 5. Juni 1741; an diesem Tage wurden die neugeschaffenen Anlagen Schönbrunn’s verwüstet, die Bärenmühle und viele Wohnhäuser zertrümmert. Um ähnlichen Elementarereignissen vorzubeugen, wurden auf Befehl der Kaiserin Maria Theresia noch in selbem Jahre die vorzüglichsten Quellen des Wienflusses und der einmündenden Wildbäche abgeleitet. Seitdem vermag die Wien zwar weniger zu schaden – ist aber dafür zu einem die Luft verpestenden Sumpfe eingeschrumpft. Zur weiteren Annehmlichkeit für die Umgebung wurden die Ufer, wie überhaupt die ganze Glacisfläche rings um Wien, bis zu Ende des verflossenen Jahrhunderts auch als Hutweide benützt – gewiß kein unpassender Rahmen für ein Bild, wie jenes der brausenden Wien! Schon am 30. Oktober 1772 hatte der Stadtrath den Fleischhauern verboten, auf dem Glacis ihre Schafe, Schweine und Ochsen weiden zu lassen; nur ist diese Verordnung trotz öfterer Erneuerung jahrelang unbeachtet geblieben; ähnlicherweise wie heutzutage das Reit-Verbot auf gewissen Plätzen respektirt wird.

Im Jahre 1787, bis zu welchem Zeitpunkte der Wienfluß lediglich seiner eigenen Laune überlassen war, kam es endlich zu einer Regulierung desselben. Seine zerklüfteten Ufer wurde ausgeschüttet und mit Weiden bepflanzt, das Bett streckenweise vertieft und eingeebnet. Der Sandwurf an der Wien, früher im Eigenthum des k. k. Hofbauamtes, wurde am 12. März 1787 der Stadtgemeinde überlassen, und der Sandpächter Franz Faber für seinen Rücktritt vom Pachte mit 900 fl. Entschädiget. Die steinerne Wehre bei Gumpendorf wurd im Jahre 1808 neu hergestellt; der Kostenaufwand von 40.000 fl. traf gemeinschaftlich die Besitzer der Schleifmühle, Bärenmühle und erzbischöflichen Heumühle. Im Sommer 1856 erfolgte die Abtragung dieser Wehre, nachdem die Kommune (am 11. Juni) die Wasserrechte der ebengenannten drei Müller um den Betrag von 102.750 fl. eingelöst hatte; worauf der gesundheitsschädliche Mühlbach verschüttet und ein großer Theil seines Bettes zur Straßenerweiterung verwendet werden konnte.

Die im Jahre 1848 zur Beschäftigung der erwerbslosen Arbeiter begonnene Umlegung des Wienflußbettes in der Nähe des Mondscheinsteges, wurde mit Rücksicht auf die schon projektirte Stadterweiterung nach Kurzem wieder eingestellt.

Quellen:
Hofbauer Karl: Die Wieden mit den Edelsitzen Conradswerd, Mühlfeld, Schaumburgerhof und dem Freigrunde Hungerbrunn. Historisch-topografische Skizzen zur Schilderung der Vorstädte Wiens. Wien: Karl Gorischek’s k.k. Universitäts-Buchhandlung, 1864

Übertragen von hojos
im April 2014