Glück und Ende des Wiener Versorgungsheimes

Zusammenfassung der historischen Fakten und der Bürgerversammlung vom 8. April 2010
08.04.2010

1) Die Entstehung des Versorgungsheimes

Nach der Eröffnung des Versorgungshauses in Liesing im Jahr 1877 war für lange Zeit nichts geschehen, um dem wachsenden Bedarf an geschlossener Armenpflege im Raum Wien Rechnung zu tragen. Die Bevölkerungszunahme und vor allem die 1892 erfolgte Eingemeindung der Vororte mit ihrerseits völlig ungenügender Armenversorgung führten zu einer Überfüllung der vorhandenen Häuser. Noch schlimmere Folgen drohten von der 1901 in Kraft tretenden Heimatgesetznovelle 1896, die für Menschen mit zehnjährigem Aufenthalt in Wien ein Anrecht auf die Armenversorgung vorsah. Dringende Abhilfe war notwendig. Nach rd. zweijähriger Überlegungsphase gelangte man zur Einsicht, dass neue Kapazitäten auf Wiener Boden vorzuziehen seien und am 28. 11. 1900 beauftragte der Stadtrat den Magistrat mit der Ausarbeitung eines Projektes für ein Versorgungshaus mit einer Kapazität von 2000 Pfleglingen inkl. Erweiterbarkeit auf 4000 Pfleglinge. 1901 wurde der Bau auf – mit Wimpissinger-Gründen arrondierten – Gemeindegründen im 13. Bezirk grundsätzlich und in Gemeinderatssitzungen der Jahre 1902 (24 Objekte inkl. der 6 Pavillons für 2200 Betten) und 1903 (erweitert auf 10 Pavillons) im Detail genehmigt. Die Baukosten von über 9 Mio. Kronen wurden mit dem Verkauf der Versorgungshaus-Realität in der Spitalgasse an den Wiener k. k. Krankenanstaltenfonds um 4,5 Millionen Kronen, Geldern aus Anleihen, aus Stiftungen (Ehepaarheime und Wildsches Stiftungshaus) und dem Verkauf von Wertpapieren des allgemeinen Versorgungsfonds finanziert. Die Ausstattung des Mittelpunktes der Anlage, der herrlichen Kirche zum hl. Karl Borromäus, wurde gespendet. Eröffnet wurde das Versorgungsheim Lainz am 12.7.1904. Damaliger Bürgermeister war Dr. Karl Lueger.

2) Der Bestand des Versorgungsheimes

Die Gebäude waren nach damals modernsten Standards errichtet und für ein geschlossenes System der kommunalen Altersfürsorge konzipiert. Versorgt wurden mittellose Bürger, nur zwei Pavillons (XV und XVI) und ein Isolierhaus (XVII) waren für Kranke eingerichtet.

Ab 1922 begann die Umwandlung von Belagsheimen zu Krankenheimen (1922 die Heime X und III und 1929 das Männerheim VIII und nach Adaptierungen der Pav. XVII für "bettlägrige, nicht gemeingefährliche Geistessieche"). Während die ursprünglichen Heime Zimmer mit einem bis acht Betten enthielten, hatten die Krankenheime auch Säle mit 16 Betten. Die ursprüngliche Aufgabe, Unterbringung, Bekleidung und Verpflegung armer, alter Menschen, rückte immer mehr in den Hintergrund. 1930 standen bereits 9 Krankenheime zur Verfügung, von den 5575 damals vorhandenen Betten wurden 3220 rein spitalsmäßig geführt und die übrigen 2355 Betten von Pfleglingen belegt, die zwar dauernd ärztliche Behandlung, aber keine ständige Krankenpflege benötigten. Hauptmotiv für die zentrale Fürsorge für chronisch Kranke war die Einsparung der kostspieligen Krankenabteilungen in den kleineren Armenanstalten. Mit den Veränderungen verbunden war die Umbenennung von "Wiener Versorgungsheim" über "Versorgungsheim der Stadt Wien-Lainz", "Pflegeheim der Stadt Wien-Lainz" zum heutigen Geriatriezentrum "Am Wienerwald".

Im Laufe der Zweiten Republik vermehrten sich die medizinischen Abteilungen auf elf. Die Forschung (siehe "In der Versorgung", S. 279ff) beklagt allerdings die – verglichen zur Ersten Republik – geringere Informationsdichte. Sogar die Dienstjahre und biografischen Eckdaten der Stationsleiter sind höchst lückenhaft. Darüber hinaus wird festgestellt, dass die Stellung des Versorgungsheims/Altersheims Lainz in der Zweiten Republik eher im Schatten der dynamischen Weiterentwicklung der Medizin jener Zeit bleibt. "Geriatrie als Wissenschaft entwickelte sich in Österreich von anderen Zentren aus, wobei die wissenschaftspolitischen Gegebenheiten der Fünfziger und Sechziger Jahre das durchaus vorhandene Potential in Lainz marginalisierten" (In der Versorgung, S 282).

Ende der 70er-Jahre wurde der Pflegealltag durch technische Neuerungen erleichtert und das bis dahin geltende Pflegeverständnis ("Warm-Satt-Sauber") durch das der aktivierenden Pflege abgelöst. Die zu betreuenden Menschen wurden allerdings auch immer pflegebedürftiger. Gekennzeichnet waren die folgenden Jahre auch von laufenden, kostspieligen Adaptierungsarbeiten, um den steigenden Standards zu folgen.

Oft kritisiert wurde die Entwicklung seit Mitte der 1990er-Jahre. Einer der Vorwürfe diagnostizierte eine Zwei-Klassen-Betreuung ("richtige Patienten" versus zu Sozialfällen abqualifizierte Langzeitpflegefälle). Seit 1994 hielt sich auch der Vorwurf der Zertrümmerung gewachsener Strukturen, ohne brauchbare Alternativen zur Verfügung zu haben. Auch die Kommunikation mit den Entscheidungsträgern hatte sich verschlechtert, und vorgebrachte Ideen wurden ignoriert. Ein Bericht des Wiener Pflegeombudsmannes Dr. Vogt nach Beschwerden und Berichten in den Medien zeichnete das Bild eines von der Gemeinde vernachlässigten Betriebes. Unklare Hierarchien und Kompetenzen, fehlende Führungsqualitäten, zu viel ungeschultes Personal, schlechtes Arbeitsklima, Kluft zwischen eigenem Pflegeverständnis und Praxis und eklatanter Personalmangel waren die Unzulänglichkeiten, die insgesamt einen akuten Pflegenotstand ergaben. Dies hatte mit den Morden im Krankenhaus Lainz 1991 nichts zu tun, aber die ursächlichen Strukturmängel waren ähnlich. Die niedere Bewertung und Anerkennung dieses Berufsfeldes durch die Allgemeinheit wurde als Nährboden solcher Zustände angeklagt.

All diese Mängel konnten aber nicht verdecken, dass große Teile des medizinischen und pflegenden Personals ihren Beruf in engagierter Weise ausüben. In zahlreichen Interviews anlässlich der 100-Jahres-Feier am 10. 9. 2004 wurde von den Patienten und deren Angehörigen große Zufriedenheit zum Ausdruck gebracht. Durch die Verringerung auf 1200 Betten hat sich auch die Belagsdichte (max. 4-Bett-Zimmer) deutlich verringert.

3) Das absehbare Ende des Versorgungsheimes

Mehr als hundert Jahre war die Anlage dem Wohl alter und kranker Menschen gewidmet. Die Anlage steht unter Denkmalschutz, in ihrer Gesamtheit sollte sie als Kulturerbe ersten Ranges betrachtet werden. Trotzdem ist sie nun ihrerseits an der Reihe, der Finanzierung aktueller Vorstellungen der Gemeinde Wien zu dienen. Die geriatrischen Vorstellungen tendieren weg von großen Einheiten hin zu kleineren Wohn- und Pflegeheimen (max. 350 Betten), die den Forderungen des 2004 im Wiener Gemeinderat beschlossenen Geriatriekonzepts entsprechen.

Im Rahmen der Bürgerversammlung vom 8. 4. 2010 wurde der aktuelle Stand der 2007 begonnenen Überlegungen präsentiert: Sukzessive Absiedlung der Geriatrie von 2011 bis 2015, Baureifmachung des dem Wiener Krankenanstaltenverbundes gehörenden Areals als Wohnbauprojekt durch die Wiener Stadtentwicklung auf Basis des Siegerprojektes von Veit Aschenbrenner und die Verwertung durch Verkauf an einen oder mehrere Investoren/Bauträger. Die Details zu Wohnungsart und Verwertung sind noch völlig offen. Das Krankenhaus Hietzing soll hingegen bestehen bleiben. Dessen 1. Chirurgie (inkl. Herz- und Gefäßchirurgische Abteilung) und 4. Medizinische Abteilung mit Kardiologie werden allerdings in das Krankenhaus Nord verlegt. Die auf dem Gelände der Geriatrie angesiedelten Abteilungen des Krankenhauses Hietzing werden sukzessive dorthin übersiedelt.

Das Interesse an der jüngsten Bürgerversammlung, zu der von allen befassten Instanzen der Stadt und den einbezogenen Unternehmen führende Vertreter gekommen waren, war geringer als zuletzt. Zu Beginn waren etwa 60 Bürger anwesend, gegen dem Ende zu nur mehr an die 20. Die Präsentation gab einen Überblick über alle relevanten Aspekte: die Begründung für die Absiedlung, die Verwertungsentscheidung, das Siegerprojekt, das Verkehrskonzept, den Denkmalschutz und die Art und Weise der Verwertung des 25 ha großen Geländes (ohne Spital und ohne Personalwohnheim). Die Anschließende Diskussion verlief geordnet und – mit Ausnahme des moderierenden BV DI Gerstbach und der Wortmeldung von BV-Stv. Drlik – ohne bemerkbarem Engagement von Bezirksräten und anderen Vertretern der politischen Parteien, nicht einmal der Oppositionsparteien. Nur zur Verkehrssituation wurden die Fragen etwas insistierender.

Das Ende des Geriatriezentrums am Wienerwald und die Versilberung des Areals scheint somit tatsächlich besiegelt. Eine wenigstens teilweise Nutzung für Senioren ist in einem der Gebäudeteile wohl angedacht, darüber hinaus scheint die weitere soziale Nutzung nur dann möglich, wenn sich ein sozialer Betreiber in das Projekt einklinkt und bei Förderungsbedarf beim Fonds Soziales Wien darum einreicht. Von Seiten des Wiener Krankenanstaltenverbundes ist keine Einrichtung in diesem Projekt geplant.

4) Hauptaspekte und Einwendungen (nicht nur aus der Bürgerverersammlung)

Neues Geriatriekonzept: Angesichts der Schwierigkeit, heutzutage einen Platz in der Geriatrie zu bekommen, wirkt die Schließung einer so großen, funktionierenden Einheit und der Ersatz durch vorwiegend auf Einzelzimmerbasis operierende kleinere Einheiten, denen noch dazu Experimentalcharakter nicht abgesprochen wird, sehr "ambitioniert". Das wohnliche Ambiente wird sehr hervorgehoben, doch Einzelzimmer werden von vielen auch als vereinsamend eingestuft. Aus den vorhandenen Publikationen und den Informationen im Internet ist nicht zu erkennen, welche Studien den Ausschlag für dieses Konzept gegeben haben. Das Buch von Franzsika Leeb "wohnen, pflegen, leben – neue Wiener Wohn- und Pflegehäuser" lässt nur Wiener Funktionäre und Architekten zu Wort kommen. Die Absiedlung eines Geriatriezentrums mit 30 Spezialabteilungen, Instituten und Ambulanzen in mehrere kleinere Einheiten wirft Fragen zur Qualitätssicherung und möglicherweise ausufernden Logistik auf. Von Fall- und Projektstudien zur Kostenseite, wo große Einheiten mit umfassender Versorgung wesentlich besser und umweltfreundlicher abschneiden müssten, ist überhaupt nichts zu vernehmen.

Unsanierbare, veraltete Gebäude: Das war immer eines der Hauptargumente gegen die Lainzer Pavillons. In der jüngsten Bürgerversammlung war davon kaum die Rede. Die Stichhaltig dieses Argumentes ist schon wegen der Adaptierbarkeit zu Luxuswohnungen anzuzweifeln. Natürlich sind Generalsanierungen teuer, aber vermutlich trotzdem wesentlich billiger als ein komplett neues Projekt.

Das Projekt: Die Pavillons bleiben erhalten und werden für Wohnungen hergerichtet. An der Rückseite der Pavillons werden Bauteile hinzugefügt und die Dächer werden ausgebaut. Auf freien Flächen werden Sonderbauten errichtet. Insgesamt sollen 900 Wohneinheiten entstehen. Weitere Details (Freilegung alter Ziegelflächen, Wärmedämmung, Materialien etc.) sind noch recht schwammig. Geschäfte und soziale Einrichtungen sind dem Bedarf entsprechen geplant, z. B. in der ehemaligen Zentralküche (Geschäfte etc.) und in der Gärtnerei (ev. Kindergarten). Große Veranstaltungsräume und Kultureinrichtungen können allenfalls in einem der Sonderbauten enthalten sein. Das Areal soll möglichst durchlässig gestaltet und die Grünflächen weitgehend erhalten werden, die Autos in Tiefgaragen versteckt. Vor der Kirche zum Versorgungsheimplatz hin soll sich das Areal öffnen. Das Wege- und Verkehrskonzept folgt mit Ausnahme einer neu zu schaffenden Einfahrt meist den Gegebenheiten, möglichst viele der Straßen sollen abgebaut oder gesperrt werden, eine weitgehende Verkehrsberuhigung wird angestrebt.

Denkmalschutz: Die Pavillons bleiben in ihrer Bausubstanz und den historischen Fassaden erhalten, werden allerdings durch Zubauten und Dachaufbauten stark überformt. Der Denkmalschutz, der die Baulichkeiten bisher nahezu unantastbar machte und ebenfalls als Argument für die schwierige Adaptierbarkeit diente, scheint angesichts der im Siegerprojekt geplanten Eingriffe sehr zahm geworden zu sein. Die vom Vertreter der Initiative für Denkmalschutz gewählte Bezeichnung als "grenzwertig" erscheint da eher verharmlosend. Dazu kommt, dass auf dem Reißbrett akzeptabel erscheinende Lösungen des vorherrschenden wirtschaftlichen Druckes wegen nach der Verwirklichung oft nicht mehr zu erkennen sind und nur mehr wenige der schützenswerten Eigenschaften historischer Bauten bzw. Anlagen aufweisen. Schon heute haben einzelne restaurierte Pavillons Fassaden, die eher zu Disneyland passen.

Verkehr: Am Verkehrskonzept scheint am wenigsten auszusetzen zu sein, auch wenn damit die meisten Anrainerbefürchtungen verbunden sind. Im Vergleich zum heutigen Leben im Geriatriezentrum pflegt es in Wohnviertel viel ruhiger zuzugehen. Die massiven Anrainerproteste scheinen vom längst unzumutbaren (lokalen und überregionalen) Durchzugsverkehr beeinflusst zu sein.

Insgesamt hat jedes Konzept stichhaltige Argumente auf seiner Seite. Die in Österreich sehr schwankenden Ansichten zu den verschiedensten Themen lassen befürchten, dass auch große Einheiten wieder eine Renaissance erleben werden. Doch dann ist das Kulturgut des ehemaligen Versorgungsheimes zertrümmert und nicht mehr verfügbar. Auf so "Kleinigkeiten" wie das Abhandenkommen der jeglichen Klimazielen am nächsten kommenden Feldbahn traut man sich schon gar nicht mehr hinzuweisen.

Quellen:
Arias, Ingrid; Horn, Sonia; Hubenstorf Michael (Hrsg.): "In der Versorgung" Vom Versorgungshaus Lainz zum Geriatriezentrum "Am Wienerwald". Wien: Verlagshaus der Ärzte, 2005. ISBN 3-901488-53-7
Dont, Jakob: Das Wiener Versorgungsheim, Eine Gedenkschrift zur Eröffnung. Wien: Verlag der Gemeinde Wien 1904
Leeb, Franziska: wohnen pflegen leben neue Wiener Wohn- und Pflegehäuser. Wien: Bohmann Druck und Verlag, 2009. ISBN 978-3-85493-170-6

hojos
Wien, am 11. April 2010