Die Realgewerbe

Exzerpt aus Dr. Richard Pelikans Buch über das Realgewerbe, mit besonderer Brücksichtigung der für Niederösterreich geltenden Bereiche.
1910

Die Realgewerbe gehen auf jene Zeit zurück, als das Recht auf Gewerbeverleihung noch jeder Grundherrschaft auf dem Land zustand und von ihr als einträgliche Einnahmsquelle ausgiebig genützt wurde. Regelmäßig wurden dafür Kaufschillinge, jährliche Geld- oder Naturalzinse und Taxen bei späteren Besitzveränderungen ausbedungen und im Gegenzug ausschließliche Besitzreche innerhalb eines bestimmten Gebietes zugesichert. Schon ursprünglich waren die Realgewerbe in radizierte und verkäufliche zu unterscheiden. Die radizierten konnten nur mit der Realität, auf die sie verliehen worden waren, verkauft werden und die verkäuflichen waren unabhängig veräußerbar und auch belastbar. Dort, wo ein geeignetes Grundbuch bestand, wurden die radizierten Gewerbe auch eingetragen. Die Bezeichnung war nicht immer konsequent und zeitweise sind alle Arten als „radiziert“ bezeichnet oder „radiziert“ und „verkäuflich“ synonym gebraucht und die „verkäuflichen“ erst später (um die Wende von 18. ins 19. Jahrhundert) als eigene, nicht radizierte Klasse abgesondert worden. Auch wurde verlangt, über die verkäuflichen Gewerbe in den Magistraten und bei den Obrigkeiten ordentliche Vormerkungsprotokolle zu führen, aus denen Besitz und eventuelle Verpfändungen hervorgehen.
Bald wurde aber auch die Schädlichkeit der Realgewerbe für das Gewerbe erkannt und der unter Maria Theresia wesentlich erleichterte Zugang zu den Gewerben verringerte ihre Berechtigung. Es begannen Maßnahmen zur Einschränkung, insbesondere zu den verkäuflichen, nicht auf Häuser radizierten Gewerben. Eine Verordnung aus 1774 macht Gewerbeveräußerungen bewilligungspflichtig. Ein Hofdekret aus dem Jahr 1776 verbietet dann den Magistraten und Obrigkeiten auch, „neue Gewerbe und besonders Handlungen“ auf Häuser zu radizieren. Den Weiterverkauf und die Vererbung bestehender Realgewerbe musste man wohl akzeptieren, denn ein striktes Weiterverkaufsverbot würde Familien ihr gutgläubig investiertes Geld nehmen und Pfänder wertlos machen. Ziel war es aber, die Anzahl dieser Privilegien nach und nach zu vermindern und endlich einmal diesen „Unfug“ gänzlich abzustellen. Immer stärker wird darauf gedrängt, dass Gewerbeverleihungen nur personell sein dürfen und mit dem Tod der Person erlöschen. Oberbehörden konnten aber in Einzelfällen nach wie vor Gewerben die Realeigenschaft zuerkennen. Es wurden auch begleitende Maßnahmen zur Einschränkung der Realgewerbe überlegt und ergriffen, zum Beispiel der Normalpreis, der bei verkäuflichen Gewerben die Überschreitung des ursprünglichen Kaufpreises oder eingetragenen Wertes bei späteren Veräußerungen verbietet. Ist kein Wert ersichtlich, so gilt eine behördliche Schätzung. Ein geringerer Verkaufspreis ist neuer Normalwert. Für radizierte Gewerbe sollte die Normalpreisregelung nicht gelten, auch wenn dies wegen unpräziser Definitionen nicht immer klar war.
Auch die Gewerbeordnung 1859 belässt die zu Recht bestehenden radizierten und verkäuflichen Realgewerbe unverändert und verbietet aber jegliche Neugründung. Damals gab es Kronländer, in denen Realgewerbe bestanden, darunter Niederösterreich und andere, in denen diese früher erloschen waren, wie in den früheren illyrischen Provinzen und solche, in denen sie mangels Vorschriften nie anerkannt werden konnten, wie in Dalmatien. Allerdings musste ein Realgewerbe als zu recht bestehend nachgewiesen werden, um nach der neuen Gewerbeordnung anerkannt zu werden. Bei radizierten Gewerben war die Eintragung des Gewerbes im Grundbuch, zumindest mit einer kurzen Bezeichnung wie z.B. „Gasthaus“ Voraussetzung für den Beginn eines Verfahrens zur Bestätigung der radizierten Eigenschaft eines Gewerbes.
Die in dem exzerpierten Buch dargestellten Bestätigungsverfahren (Beweisverfahren, Fristen etc.) und deren Feinheiten werden hier nicht weiter beschrieben. Im Wesentlichen wurde geprüft, ob das radizierte Gewerbe nach Maßgabe aller relevanten bisherigen Vorschriften – dazu gab es viele, teilweise auch widersprüchliche – zu Recht besteht. Wesentliche Voraussetzung waren der Nachweis, dass das Gewerbe seit 22.4.1743 (32 Jahre vor dem Verbot neuer Radizierungen 1775) ununterbrochen in den Gewährbüchern enthalten war oder seit 1756 mit dem Ausdruck „Haus und Gewerbe“ in das ständische Giltbuch eingetragen und nach einem höheren Maßstab versteuert worden war. Bei verkäuflichen Gewerben musste bewiesen werden, dass das Gewerbe schon vor 1775 bestanden hat, dass es schon vor diesem „Normaljahr“ unter einem Privatrechtstitel (Geschenk, Abtretung, Kauf, Verheiratung, Erbschaft etc.) von einem Besitzer auf den anderen mit obrigkeitlicher Bestätigung übertragen worden war oder dass nach besonderer Erhebung bereits eine Bestätigung einer Oberbehörde über die Verkäuflichkeit vorliegt. Wurde die radizierte Eigenschaft anerkannt, war dies im Grundbuch einzutragen, im anderen Falle gab es die Möglichkeit der Berufung an einer höheren Stelle. Nach eingetretener Rechtskraft der negativen Entscheidung war das im Grundbuch eingetragene Gewerbe zu löschen.
Über die verkäuflichen Gewerbe sind Vormerkbücher zu führen, die für jedes Gewerbe ein gesondertes Blatt mit Besitzstand, Veränderungen mit Beziehung auf den Wert inkl. Pfandrechte haben. Geführt wurden diese Vormerkungsprotokolle ursprünglich von den Grundbuchsbehörden nach Art der Grundbücher. 1841/42 kam man zu der Ansicht, dass sie nicht wie Realitäten zu behandeln sind (z.B. mit der Möglichkeit er Eintragung von Pfandrechten), sondern wie bewegliche Sachen. Statt dem Justizbereich wurden politische Behörden zuständig.
Festzuhalten ist auch, dass radizierte und verkäufliche Gewerbe nur den Besitz der jeweiligen Gewerbe bedeuten, nicht aber das Recht auf Ausübung. Der Inhaber benötigt dem zufolge für die Ausübung keinen gesonderten Gewerbeschein oder eine Konzession, muss aber sehr wohl die in der Gewerbeordnung geforderte Eignung besitzen. Andernfalls muss er einen geeigneten Vertreter oder Pächter einsetzen.
Erlöschen können die Realgewerbe durch Verzicht, radizierte durch den Untergang der Realität, wenn das Gewerbe nicht mit Bewilligung der Behörde auf eine andere Realität übertragen werden kann.

Quellen:
Pelikan, Dr. Richard: Die Realgewerbe. Nach amtlichen Quellen im Auftrage des k. k. Handelsministeriums verfasst von Dr. Richard Pelikan k. k. Ministerialsekretär. Verlag von Moritz Perles, k. u. k. Hofbuchhändler
I., Seilergasse 4. Wien 1910.

Exzerpiert von hojos ohne Gewähr für die Richtigkeit
im Juni 2009