Der Donnerwurm

22.07.2002

Herrlich ist es hier im Park. Der Frühling erwacht, wir sehen und fühlen seine Vorboten, die Sonne wärmt uns bereits. Unsere Behausungen sind schöner und großzügiger geworden, wir können uns ganz auf unsere artgerechten Tätigkeiten konzentrieren. Selbst die zu Besuch weilenden Zweibeiner scheinen sich mit uns zu freuen, sie wirken heiter und unbeschwert, ihre Aura der Wichtigkeit scheint verflogen.

Doch plötzlich, von weit her hört man schon den Lärm, alles hält inne, reckt die Köpfe, hält sie schief. Was ist das, ist es gefährlich? Was sollen wir tun? Das fragen sich die meisten, die ersten flüchten schon, suchen Deckung, stecken den Kopf in den Sand. Sollen wir uns zum Kampfe stellen? Es gibt noch Unentschlossene.

Das Ungeheuer, ein solches muss es wohl sein, nähert sich unbeirrt, wird lauter, dröhnt, läßt den Boden erzittern. Wir alle spüren es, die Reihen der zum Kampfe bereiten werden schütterer.

Da! Jetzt kommt es um die Ecke, unaufhaltbar, ein großer gelber Wurm. Enorme Energie gebraucht er, alleine um sich fortzubewegen. Sein Herz an der Spitze schlägt gewaltig, mit fortlaufendem Getöse. Unvorstellbar, wenn dieses Monster sich erhebt, brüllt, vielleicht sogar Feuer speit und sein Kreislauf auf Touren kommt, schon alleine der Lärm würde uns töten und möglicherweise auch der Gestank, den es zusätzlich verbreitet.

Selbst die Tapfersten sind sind jetzt weg. Wären sie geblieben, hätten sie eine unglaubliche Begebenheit erlebt.

Das Monstrum stoppt, doch es lärmt unvermindert, der Gestank wird intensiver. Und jetzt! Jetzt laufen auch die Zweibeiner, sie laufen aber nicht davon, wie zu erwarten war, wo sie doch neben vielen anderen Vorrechten auch das Privileg des freien Herumlaufens haben. Nein, sie laufen nicht weg, sie laufen hin, hin zum Ungeheuer, wie wenn sie es bekämpfen wollten. Sie setzen aber keine verzweifelten Kampfhandlungen, ihre schmächtigen Körper hätten wohl nichts ausgerichtet, sondern sie werfen sich ihm unerschrocken in den Schlund. Sie müssen das wohl in der Absicht tun, sich für uns, die Perlen dieses Tiergartens, oft die letzten ihrer Art, zu opfern und uns so zu retten.

Gottseidank, sie haben Erfolg. Satt und zufrieden zieht der gelbe Wurm von dannen, der Lärm verebbt, der Gestank verfliegt, und wir können wieder hervor aus unseren Verstecken, die Ruhe und die gute Luft zu genießen, die Sonne und unsere Pflichten.

hojos
2002