Von Göttern, Vulkanen und Totenkult

Ober St. Veiter unterwegs. Ein Bericht über eine Reise durch Indonesien von Anton Schmoll.
02.08.2019

Zentral am Äquator liegt Indonesien – mit über 17.000 Inseln der größte Inselstaat der Erde. Jede davon ist so unverwechselbar wie ihre Bewohner mit den unterschiedlichen Kulturen, Bauten und Religionen. Auf Java, Bali und Sulawesi kann man diese zauberhafte Vielfalt erleben.

Es ist ein waghalsiges Abenteuer, die Straße zu überqueren während der Rushhour in Jakarta, der Hauptstadt Indonesiens. Morgens und abends gibt es fast kein Durchkommen, da mehrere Millionen Javanesen in der Stadt arbeiten und so zu Verkehrschaos und Smog beitragen. In beiden Fahrtrichtungen sind die Hauptverkehrsadern so voll mit Motorrollern, dass kaum mehr Platz für ein weiteres Vehikel zu sein scheint.

Hier in Jakarta gibt es Millionen Mopeds, die ihre Abgase in die Luft blasen. Die „Normbeladung“ sind drei Personen – inklusive Kinder können es aber auch fünf sein. Für uns bleibt es ein Rätsel, wie dieses Verkehrschaos nach ungeschriebenen Gesetzen ohne viele Unfälle funktioniert.

Das Sultanat Yogyakarta

Szenenwechsel: Gemächlich fahren wir mit einer Fahrrad-Rikscha und können in aller Ruhe das Alltagsleben von Yogyakarta beobachten. Die Stadt ist Javas kulturelles Zentrum. Hier leben viele Künstler, es gibt zahlreiche Galerien, die Stadt ist das Zentrum für traditionelle Batikkunst und javanisches Puppenspiel.

Yogyakarta hat innerhalb Indonesiens einen Sonderstatus, denn es ist ein Sultanat. Dies quasi als Dank, dass die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg Zentrum der Unabhängigkeitsbewegung war, wobei der Vater des derzeitigen Sultans eng mit dieser Bewegung kooperierte.

Wir besuchen den königlichen Kraton, den javanischen Sultanspalast, in dem heute noch 25.000 Menschen leben: Mitglieder der Sultansfamilie, Soldaten, Wächter und Höflinge. In der Fotogalerie des riesigen Palastes, der aus einigen offenen Pavillons und wenigen geschlossenen repräsentativen Räumen sowie viel Hof- und Gartenfläche besteht, können wir uns überzeugen, wie sehr der Sultan heute noch verehrt wird.

Borobudur – Abbild des Universums

Nicht weit von Yogyakarta liegt der Borobudur-Tempel (siehe Startfoto). Er ist das größte buddhistische Baudenkmal der Welt und wurde um das Jahr 780 während der Sailendra-Dynastie errichtet. Mehr als zwei Millionen Steinblöcke wurden dafür
vom Fluss Progo zur Baustätte geschafft, bearbeitet und kunstvoll aufgeschichtet.
Das Bauwerk ist voller buddhistischer Symbole und stellt die Nachbildung des Universums dar. So hat der Grundriss die Form eines quadratischen Mandalas.

Die Stufenpyramide besteht aus sechs quadratischen Ebenen, drei kreisförmigen
Terrassen und einer zentralen, die Spitze bildenden Stupa. Die Terrassen symbolisieren die drei kosmischen Sphären des Mahayana-Buddhismus: die Sphäre der Wünsche, die Sphäre der Form und die Sphäre der Formlosigkeit. Auf einem fünf Kilometer langen Weg kann man auf den unteren Terrassen fein gearbeitete Reliefs bewundern: 1.300 Szenen aus dem Leben Buddhas – von seiner Geburt bis zu seinem Eintritt ins Nirwana – sind hier in Stein gehauen.

Prambanan – Symbol des Hinduismus

Als Mitte des 9. Jahrhunderts die buddhistische Herrschaft von der hinduistischen
Matram-Dynastie abgelöst wurde, errichtete man als steinernes Symbol für diesen Sieg einen gigantischen Tempelkomplex – den Prambanan. Die ursprüngliche Anlage umfasste 232 (!) Bauten, deren Mauerwerk ohne Mörtel zusammengefügt war.

Der Hindu-Göttertrinität entsprechend sind die drei größten Schreine den Göttern Shiva (dem Zerstörer), Vishnu (dem Bewahrer) und Brahma (dem Schöpfer) geweiht. Aufwendig gemeißelte Reliefs erzählen sehr detailliert Episoden aus den zwei großen Hinduepen Mahabharata und Ramayana. In einer spektakulären Tanzaufführung
wird für uns die Geschichte des Königssohns Rama auf besondere Weise lebendig.

Der hinduistische Prambanan-Tempelkomplex. Er umfasste einst 232 Bauten. © Dr. Anton Schmoll
<p><b>Der hinduistische Prambanan-Tempelkomplex</b></p><p>Er umfasste einst 232 Bauten.</p><p><i>&copy; Dr. Anton Schmoll</i></p>

Die Naturbühne des Bromo

Neben kulturellen Höhepunkten kann Java aber auch mit Naturerlebnissen aufwarten. So wie jeder Besucher wollen auch wir zum Vulkan Bromo. In Reiseführern haben wir von den spektakulären Sonnenaufgängen gelesen, und
so machen wir uns bereits kurz nach 3 Uhr früh mit Geländewagen auf dem Weg zu einem benachbarten Gipfel. In der Dunkelheit stolpern wir auf glitschigen Pfaden zum Aussichtsplatz, wo sich bereits andere Touristen befinden. Eingehüllt in dicke Jacken und mit Skimützen beginnt nun das lange Warten auf den Sonnenaufgang. Doch aus den erhofften spektakulären Fotos wird nichts – außer einer dichten Nebelwand gibt es nichts zu sehen.

Also geht es in wilder Fahrt weiter zum Krater des Bromo. Wir erblicken die vor Millionen Jahren entstandene Caldera, die mit einer Ausdehnung von 8,5 mal zehn Kilometern zu einer der größten weltweit zählt. Kaum aus dem Jeep draußen, werden wir von Männern mit Pferden belagert, die uns einen Ritt zum Vulkankrater anbieten. In schnellerem Tempo reiten wir über den Vulkansand zum Kraterrand. Nur noch ein sportlicher Anstieg mit 250 Treppenstufen – und dann bietet sich uns ein gewaltiger Blick in den dampfenden Kraterschlund.

Aus der Tiefe hören wir Brodeln und Zischen, nach Schwefel riechende Dämpfe steigen auf. Wie es Tradition ist, werfen wir Blumen in den Krater, um den Zorn des vulkanischen Gottes zu besänftigen. Und wir haben tatsächlich allen Grund, uns zu bedanken: Denn als wir bei der Abfahrt einen Blick zurück werfen, ist der Bromo bereits wieder in Wolken gehüllt. Wir aber haben ihn bei Sonnenschein erlebt.

Aus dem Kraterschlund des Bromo steigen Schwefeldämpfe. © Dr. Anton Schmoll
<p><b>Aus dem Kraterschlund des Bromo steigen Schwefeldämpfe</b></p><p><i>&copy; Dr. Anton Schmoll</i></p>

Beeindruckender Totenkult auf Sulawesi

Auf der Insel Sulawesi ist unser Ziel das Land der Toraja, eines der bedeutendsten
Altvölker von Indonesien. Dazu nehmen wir eine lange Anfahrt in das Hochland von Südsulawesi auf uns, das inmitten von Reisfeldern liegt und von einem Karstgebirge umgeben ist. Durch diese Gebirgsketten ist die Region von den Nachbargebieten abgeschnitten und hat sich dadurch ihre kulturelle Identität bewahrt.

Die Häuser der Toraja, Tongkonan genannt, sind alle gegen Norden ausgerichtet und fallen durch ihre spezielle Bauweise auf: Große, auf steinernen Sockeln ruhende Holzpfeiler tragen das ohne Nägel errichtete Wohngebäude. Das Satteldach hat die Form eines Schiffsrumpfs. Diese ungewöhnliche Dachkonstruktion gibt Hinweise auf die Herkunft dieses altmalaiischen Volkes, dessen Vorfahren mit Booten aus China kamen. Eine Legende gibt noch eine andere Interpretation für die geschwungene Form: Der Mensch kommt vom Himmel und geht wieder zurück in den Himmel. Auf dem Mittelpfosten vor dem Haus werden die Hörner der geopferten Büffel aufgehängt – ein Zeichen für den Wohlstand der Familie und gleichzeitig ein Symbol für die Ahnenverehrung.

Ein Wohnhaus der Toraja. © Dr. Anton Schmoll
<p><b>Ein Wohnhaus der Toraja</b></p><p><i>&copy; Dr. Anton Schmoll</i></p>

Das Leben mit dem Tod

Berühmt ist das Toraja-Land vor allem für seinen Totenkult und die außergewöhnlichen Totenzeremonien. Tod und Begräbnis sind bei den Torajas die wichtigsten Ereignisse im Leben. Dabei bestimmt der Status des Verstorbenen, wie aufwendig die Totenfeier auszurichten ist. Ein Begräbnis dauert oftmals vier Tage lang. Es werden dafür eigene Unterkünfte für die Gäste aufgebaut, was bis zu vier Monate in Anspruch nehmen kann. Für die Verpflegung werden Büffel und Schweine geschlachtet. Bei bekannten Persönlichkeiten, zu deren Begräbnis mehrere Hundert Menschen kommen, ist das eine äußerst kostspielige Angelegenheit.

Um sich das leisten zu können, fangen die Menschen sehr früh an, für das Begräbnis zu sparen. Manchmal dauert das einige Jahre. Das ist auch der Grund, warum der Tote nicht sofort begraben, sondern die Leiche noch einige Zeit zu Hause aufbewahrt wird. Der Tote ist konserviert und liegt in einem separaten Raum. Er wird dabei übrigens nicht als tot, sondern als krank betrachtet. Die Angehörigen sprechen mit ihm, und es werden ihm auch regelmäßig Mahlzeiten gebracht.

Bei der eigentlichen Begräbniszeremonie stört es überhaupt nicht, dass wir als Touristen dabei sind. Wir bringen Geschenke mit, plaudern mit den Einheimischen und können das Geschehen aus nächster Nähe beobachten. Ein Zeremonienmeister leitet die Feierlichkeiten und regelt den Ablauf. Insgesamt eine würdige, aber keinesfalls bedrückende Stimmung.

Nach der mehrtägigen Beerdigung werden die Särge der reicheren Leute in Grabkammern bestattet, die in Felswände gemeißelt wurden. Davor sitzen die Tau-Taus in Felsnischen und schauen auf uns herunter. Das sind aus Holz geschnitzte Figuren, die die Kleidung der Toten tragen und nach deren Ebenbild angefertigt wurden. Einmal im Jahr wird das Grab geöffnet und der Tote neu angezogen.

Eine Tontenzeremonie der Toraja. © Dr. Anton Schmoll
<p><b>Eine Tontenzeremonie der Toraja</b></p><p><i>&copy; Dr. Anton Schmoll</i></p>

Bali – Insel der zehntausend Tempel

Bali gilt als die Insel der Götter und der zehntausend Tempel. Die Religion spielt im Alltag eine große Rolle. Die Balinesen glauben an die allmächtigen Kräfte der Natur und an die Beseeltheit der Umwelt. Daneben spielt auch hier der Ahnenkult eine große Rolle. Nach ihrer Vorstellung ist die Welt zweigeteilt, was in Gegenüberstellungen wie Licht und Finsternis, Sonne und Mond oder Gut und Böse zum Ausdruck kommt. Durch das Zusammenwirken dieser Gegensatzpaare wird jede Existenz erst möglich. Daher muss neben den Göttern auch den Dämonen gehuldigt werden.

Diese farbenfrohe Kultur begegnet uns auf Schritt und Tritt bei religiösen Zeremonien, Ritualen und unzähligen Festen. So können wir in unserem kleinen Ressort im touristisch noch nicht so überlaufenen Norden beobachten, wie die Schwiegertochter des Hauses jeden Morgen ihre Opfergaben zu den kleinen Altären und Schreinen in der Anlage bringt.

Jedes Gehöft verfügt hier über einen Familien- oder Haustempel. Darin befinden sich auch die Schreine für die Ahnenverehrung. Daneben gibt es die Dorftempel, wobei die meisten Dörfer davon drei besitzen. Besondere Verehrung genießen die neun sogenannten Reichs- oder Nationaltempel. Als heiligster Tempel der Insel gilt der Pura Besakhi am Hang des Vulkans Gunung Agnung.

Einen Tempel betritt man durch ein gespaltenes Tor, das die Gegensatzpaare symbolisiert. Eine weitere Besonderheit der balinesischen Tempel sind die Meru, auf einem Sockel errichtete Holzkonstruktionen mit unterschiedlich vielen, pagodenartig gestaffelten Dächern, die mit Palmwedeln bedeckt sind. Sie symbolisieren den Weltenberg Meru, den Sitz der Götter.

Bali gilt als die Insel der zehntausend Tempel. © Dr. Anton Schmoll
<p><b>Bali gilt als die Insel der zehntausend Tempel</b></p><p><i>&copy; Dr. Anton Schmoll</i></p>

Feste und Zeremonien

Aufgrund der Vielzahl an Familien-, Sippen-, Tempel- oder Dorffesten wird auf Bali praktisch das ganze Jahr über irgendetwas gefeiert. Wir haben Gelegenheit, an mehreren Zeremonien teilzunehmen. Mit bewundernswertem Geschick balancieren Frauen farbenprächtige Opfergaben aus Reiskuchen, Früchten und Blumen auf ihrem Haupt, die sie den Priestern übergeben. Bei jedem Fest sind die Tänze fixer Bestandteil. Fast jedes Dorf kann eine Tanzgruppe und sein eigenes Gamelan-Orchester vorweisen. Bereits im Kindesalter beginnen die kleinen Mädchen mit der langen Ausbildung. Denn bei den meisten Tänzen sind Chorographie und alle Bewegungen genau festgelegt. Auch wenn wir die Inhalte nicht verstehen, sind für uns das Gebärdenspiel der Hände und Finger sowie das kontrollierte Spiel der Augen ein faszinierendes Schauspiel.

Es sind aber nicht nur die Feste und schönen Landschaften, die auf Bali eine besondere friedvolle und harmonische Atmosphäre entstehen lassen – es sind die Menschen. „Die Götter haben Bali das ewige Lächeln geschenkt“, sagt ein Sprichwort. Und es ist wahr – überall auf der Insel werden wir von strahlenden, freundlichen Menschen empfangen. So ist es auch nicht schwer, mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen. Bei jedem Fest werden wir gleich eingeladen, Platz zu nehmen, bereitwillig werden die für uns fremdartig wirkenden Abläufe erklärt.

Interessant ist neben den Gegensatzpaaren der Lebensphilosophie noch eine andere Art von Gegensatz: auf der einen Seite das Leben in der Tradition und auf der anderen Seite die Nutzung der Technik des 21. Jahrhunderts. Noch bei keiner Reise konnte ich mit dieser Intensität beobachten, wie rasch sich mein Sohn mit fremden Menschen auf Facebook befreundet.

Feste sind ein faszinierendes, farbenprächtiges Schauspiel. © Dr. Anton Schmoll
<p><b>Feste sind ein faszinierendes, farbenprächtiges Schauspiel</b></p><p><i>&copy; Dr. Anton Schmoll</i></p>

Reisterrassen – die Stufen zum Himmel

Kaum etwas anderes prägt das satte, grüne Landschaftsbild von Bali so sehr wie die vielen Reisterrassen. Sie sind bauliche Meisterwerke und werden von den Einheimischen die „Himmelstreppen zu den Göttern“ genannt. Für viele Balinesen waren und sind sie eine Existenzgrundlage. Für uns Touristen gehören sie zu den landschaftlichen Höhepunkten auf dieser Insel.

In der Nähe des zweithöchsten Vulkans von Bali, dem Gunung Batukau, starten wir im Dorf Jatluih unsere Wanderung. Was wir sehen, wird dem Namen des Ortes mehr als gerecht – denn er bedeutet „wahrlich wunderbar“. Diese malerischen, saftig grünen Reisterrassen gehören zweifelsohne zu den beeindruckendsten von Bali und zählen inzwischen auch zum Weltkulturerbe.

Reis ist in vielen asiatischen Ländern das Hauptnahrungsmittel und bildet morgens, mittags und abends einen festen Bestandteil der Gerichte. Die Arbeit auf den Feldern ist mühsam. Während Männer für schwere Tätigkeiten wie Anlegen von Feldern, Terrassen und Bewässerungsvorrichtungen verantwortlich sind, müssen sich die Frauen vor allem um das Jäten von Unkraut und die Erntearbeiten kümmern. Durch eine stetige Bewässerung – das System stammt aus dem 9. Jahrhundert – kann bis zu drei Mal jährlich geerntet werden.

Bei unserer Wanderung haben wir Gelegenheit, die Reisbauern bei der Arbeit zu beobachten. Während einige den schlammigen Boden mit einem Reisfeldtraktor bearbeiten, gibt es vereinzelt noch Bauern, die ihren Pflug hinter einem Wasserbüffel herziehen. Eine andere Begegnung ist für uns besonders berührend: Kleine Mädchen nutzen das unter Wasser stehende Feld als Planschbecken und haben Freude daran, sich gegenseitig mit Schlamm zu bewerfen. So einen einfachen Kinderspielplatz haben wir noch selten gesehen.

An den Rändern der Felder sind Schreine aufgestellt. Täglich werden hier Opfergaben gebracht. In den kleinen, selbst hergestellten Körbchen aus Palmblättern befinden sich neben Blüten und Räucherstäbchen auch immer einige Reiskörner. Die Balinesen bedanken sich damit für die alte Ernte und bitten gleichzeitig um eine neue, reiche Reisernte. Auch auf den Feldern ist die Spiritualität Balis also allgegenwärtig.

Manche Reisbauern lassen ihren Pflug noch von Wasserbüffeln ziehen. © Dr. Anton Schmoll
<p><b>Manche Reisbauern lassen ihren Pflug noch von Wasserbüffeln ziehen</b></p><p><i>&copy; Dr. Anton Schmoll</i></p>
Kinder nutzen eine Schlammpfütze auf einem Reisfeld als Spielplatz. © Dr. Anton Schmoll
<p><b>Kinder nutzen eine Schlammpfütze auf einem Reisfeld als Spielplatz</b></p><p><i>&copy; Dr. Anton Schmoll</i></p>

Eingestellt von hojos
am 2. August 2019