Hietzing
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Hietzing
Hietzing
ka gmahde Wiesn
Konzept zur Geschichte eines Wiener Gemeindebezirkes
homedia
Diese Arbeit ist eine Zusammenfassung der auf www.1133.at veröffentlichten Arbeiten inklusive der dort angeführten Literaturliste und darüber hinausgehender eigener Recherchen zur Geschichte des 13. Wiener Gemeindebezirks Hietzing.
Entwurf, Stand April 2025
Medieninhaber: homedia Josef Holzapfel, 1130 Wien
Copyright: Josef Holzapfel, 1130 Wien
Gestaltung: Josef Holzapfel, 1130 Wien
Lektorat: kommt
Druck: kommt
Bestellungen dieses Buches: wenn gedruckt
Internet: www.1133.at
ISBN: kommt
Buchcover
Frühlingsblumen, Ölmalerei von Alois Weissenbacher
1955, Bildgrösse 50 x 40 cm
Butterblume
Gänseblümchen
Primel
Himmelschlüssel
Veilchen
Leberblümchen
Aurikel
Klee
Erika
Krokus
Kuhschelle
Hirtentäschel
Löwenzahn
Alois Weissenbacher, akademischer Maler in Wien Hütteldorf,
war der Vater von Mag. Gerhard Weissenbacher,
Akademischer Maler und Buchautor (In Hietzing gebaut)
in Wien Ober St. Veit.
Das Bild wurde unter anderem während der
Wiener Festwochenausstellung 1956 in Hietzing gezeigt.
Hietzing
Die Wurzeln der Heimatkunde 18
Der Blick vom Satzberg auf Hietzing 29
Die Katastralgemeinden Hietzings 30
Die steinzeitlichen Siedlungen am Gemeindeberg 39
Steinzeitlicher Bergbau am Gemeindeberg 42
Die karolingische Einwanderung 60
Der Ungarnsturm und die Salzburger Annalen 61
Ladislaus Sunthaym und der Babenberger Stammbaum 65
Die Godtinesfeld-Urkunde und die Feldmühle 72
Die Wassermühlen an der Wien 80
Das Ende der deutschen Einwanderung 88
Die ersten kartographischen Darstellungen 89
Die ersten bildlichen Darstellungen der Region 91
Schönbrunn und seine Folgen 93
Als die Häuser Nummern bekamen 95
Hietzing
Die Orts- und Namensentstehung 113
Der Sitz des Forstmeisters 114
Die Katastralgemeinde Auhof 115
Die neue Ortsgemeinde Hadersdorf-Weidlingau 116
Abtrennung und teilweise Verbauung 117
Die Katastralgemeinde Auhof kommt nach Wien 119
Die Grenzen und Grenzsteine 125
Der Deutsche Orden und das Stift Klosterneuburg 140
Die Siedlungsstruktur ab dem 15. Jahrhundert 141
Die Kapelle als Wallfahrtsort 145
Gerichtsbarkeit und Pfarre 146
Die Entwicklung Hietzings nach dem Neubau des Schlosses Schönbrunn 148
Vergleich der Verbauung 1755 und 1819 152
Die Herkunft und soziale Stellung der Besitzer 154
Das Gasthaus zum „Schwarzen Hahn“ 157
Die Eingemeindung nach Wien 161
Die Bebaung des Bereiches nördlich der Hietzinger Hauptstraße 163
Dittrich Edler von Eberstahl 167
Ferdinand Fuchs und Baron Tucher 169
Das weitere Schicksal des Hietzinger Hofes 189
Die Familien Sedlar und Reiss 189
Hietzing
Die Besonderheiten des Hietzinger Hofes 194
Das Kino im Hietzinger Hof 199
Schloss und Kirchen in Lainz 207
Das Schloss Lainz und die Gesellschaft Jesu 209
Die Evangelische Friedenskirche in Lainz 213
Katholische Ordenskirche Maria - Heil der Kranken 213
Die profanen Gebäude in Lainz 215
Das Gartenpalais de Pauli von Enzenbühl – Villa Schey 215
Die selbstständige Gemeinde Lainz 225
Die Eingemeindung nach Wien 225
Die Verkehrsanlagen in Lainz. 226
Die Sankt Veiter Pfarrkirche 236
Das Erzbischöfliche Schloss Ober St. Veit 238
Die selbstständige Gemeinde 249
Die Enklave Neu Ober St. Veit 250
Der Altstadterhaltungskomplex Ober St. Veit 265
Von der Mühle zum Herrensitz 270
Die Katterburg wird zum Jagdschloss der Habsburger 271
Der Neubau des Schlosses beginnt 272
Hietzing
Ortschaft im Dunkel der Geschichte 277
Die selbstständige Gemeinde Speising 282
Die Verkehrsanlagen in Speising 286
Das gesellschaftliche Leben in Speising 287
Die Eingemeindung nach Wien 289
Die Zwischen- und Nachkriegszeit 290
Die Bürgermeister seit 1868 308
Die Eingemeindung nach Wien 310
Eine politische Kleinwelt geht unter 317
Der neue Gemeindebezirk Hietzing 320
Umbenennungswelle bei den Straßennamen 321
Das verlorene örtliche Zusammengehörigkeitsgefühl 321
Der politische Bezirk Hietzing-Umgebung 323
Das Kaiser-Jubiläums-Spital 341
Der Operationsbunker im Krankenhaus Hietzing 345
Hietzing
Das Leiden in Krieg und Seuchen 363
Festungsbauwerke und Kasernen 368
Die Burg auf dem Gemeindeberg 368
Das Festungsbauwerk hinter Schönbrunn 369
Die k.u.k. Bunkeranlagen im Lainzer Tiergarten 371
Die Belagerungen vor den Weltkriegen 374
Das Kriegsende aus verschiedenen Perspektiven 388
Die Räumung der Bossi-Fabrik 389
Staatliche und private Initiativen 406
Lager für Kriegsgefangene und Flüchtlinge 418
Die allmähliche Normalisierung 419
Hietzing
Das Alltagsleben im Frieden 435
Die Geschichte unseres Waldes 440
Die menschliche Bedrohung und der Naturschutz 443
Die Pflege und Bewirtschaftung durch die MA 49 446
Der Wald als Erholungsraum 450
Der Wald als Refugium für Tiere und Pflanzen 451
Schokoladeproduktion und Kolonialzucker-Raffinerie 463
Hofwagenfabrik J. Rohrbacher 466
Färberei Winkler & Schindler 472
Hutfabrik Giuseppe Bossi (+Nfg.) 478
Ledergalanteriewarenfabrik Weidman 479
Schnitt-, Stanzen- und Preßwarenerzeugung Karl Kalischka 483
Exkursion Häuserkonskription 487
Die Zuwanderung im 19. Jahrhundert 492
Über das Leben in den Kümmerlhäusern 498
Sozialer Wohnbau in Hietzing 507
Verdichtung versus Denkmalschutz 517
Die Absiedelung des Gewerbes 521
Das Bezirkszentrum erstarkt 521
Die römische Wasserleitung 523
Hietzing
Die Brunnstuben am Hagenberg 529
Sonstige private Wasserleitungen 530
Die erste Hochquellenleitung 531
Die zweite Hochquellenleitung 535
Eine Reminiszenz: Die Eröffnung der unteren Wiental-Linie und der Verbindungsbahn 553
Die Geschichte der Straßenpflasterung 555
Eine bekämpfte Straßenplanung 559
Vom Holzsteg zur Kennedybrücke 562
Alles neu durch die Regulierung der Wien 572
Das Post-, Telegraphen- und Telephonwesen 576
Allgemeines zur Elektrifizierung 580
Die Elektrifizierung in den Straßen und Wohnungen 581
Die Rettungsgesellschaften 586
Die Sanatorien und soziale Einrichtungen 595
Das Armenhaus der Gemeinde Hietzing 596
Von der Meierei zum Sanatorium am Himmelhof 596
Von der Heilanstalt zur Schule für allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege 609
Die Institute der Speisinger Straße 105 und 109 615
Die Rothschild-Stiftung und das Neurologische Krankenhaus Rosenhügel 620
Eine kurze Bildungsgeschichte 625
Die Entwicklung des Volksschulbaus 630
Maria Theresia und Josef II. 630
Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts 631
Die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts 632
Die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert und die Zwischenkriegszeit 635
Waldschule Dr.-Schober-Straße 1 640
Die Schulen des Konvents der Dominikanerinnen in der Schloßberggasse 17 641
Hietzing
Der Sportplatz vor dem Schloss Schönbrunn 767
Der Ober St. Veiter Sport-Schützen-Verein (OSSV) 770
Friedrich Julius Bieber (1873 – 1924) 785
Schwester Innozentia Bögl (1823 – 1907) 786
Robert Demmer (1926 – 2011) 787
Helene Gössl (1911 – 2006) 790
Hans Götzinger (1867 – 1941) 791
Karl Hentschel (1827 – 1898) 792
Carl Alexander Anselm Freiherr von Hügel (1796 – 1870) 793
Vinzenz Jerabek (1875 – 1963) 794
Dr. Josef Kraft (1879 – 1945) 796
Heinrich Lammasch (1853 – 1920) 798
Johann Malfatti, Edler von Monteregio (1775–1859) 801
Gunther Martin (1928 – 2014) 802
Gabriel Melchior de Messey (1748 – 1806) 803
Dr. Franz Xaver Meyer (1933 – 2017) 804
Robert Messner (1906 – 1999), Topograf 805
Professor Fritz Moravec (1922 – 1997) 806
Clemens Papak (1931 – 2018) 808
Alfons Petzold (1882 – 1923) 809
Erna Reitmeyer (1918 – 2002) 811
Professor Georg Saatzer (1926 – 2004) 813
Heinrich Schönich (1844 – 1926) 814
Franz Schütz (1892 – 1962) 815
Dr. Richard Seitter (1910 – 1998) 815
Kaplan Hans Spitzer (1901–1945) 816
Professor Felix Steinwandtner (1937 – 2012) 817
Dr. Theodor Stöhr (1928 – 2010) 819
Prof. Otto Stradal (1911 – 1982) 820
Professor Georg Strnadt (1909–1980) 821
Alexander (Sándor) Ungar (1882 – ...) 823
Sonia Wachstein (1907 – 2001) 825
Josef Weidman (1844 – 1905) 826
Alexander Wunderer (1877 – 1955) und Franz Schmidt (1874 – 1939) 831
Hietzing
Eduard Diem: Sonnenaufgang
Ölfarbe auf Faserplatte, 1956,
20,0 x 30,0 cm
(Ausschnitt)
Hietzing
„Willst du
ins Unendliche schreiten,
Geh nur im Endlichen
nach allen Seiten.“
Mit diesem Goethe-Zitat beginnt das erste Heimatbuch zum 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing seine „Einstimmung“.
Ich beschäftige mich nun seit über 20 Jahren mit Regionalgeschichte, genauer: mit Ortsgeschichte. Der Bedarf dafür ergab sich aus der Tätigkeit für das „Ober St. Veiter Blattl“, dem Druckmedium des hiesigen Kaufleute-Vereines. Zur Auflockerung der kaufmännischen Inhalte erwiesen sich lokalhistorische Beiträge als sehr gut geeignet. Die Basis für diese Beiträge waren Recherchen in Archiven, Bibliotheken, Grundbüchern und Interviews von Zeitzeugen und deren Nachkommen, in erster Linie aber die reichlich vorhandene und sich ständig erweiternde Literatur. Alleine seit dem Beginn meiner journalistischen Tätigkeit sind – unter anderem – folgende Werke veröffentlich worden (als Internetlink gekennzeichnete Titel sind auf www.1133.at verfügbar oder näher erklärt):
2003 Boberski, Heiner und Dostal, Friederike, Herausgeber: Ober St. Veit – eine Pfarre erneuert sich. Festschrift zur Innenrenovierung und Altarweihe im Jahr 2002 und zur Gemeindeerneuerung im Jahr 2003
2004 Klötzl, Gebhard: Die Fabriken des Wientals. In: Penzinger Museumsblätter Heft 61.
2006 Steinwandtner, Felix: Wien-Hietzing. Erfurt: In der Reihe Archivbilder der Sutton Verlags GmbH, ISBN-13:978-3-89702-971-2
2009 Holzapfel, Josef: Historisches Ober St. Veit. Handwerks-, Gewerbe- und Vereinsgeschichte. Wien, Interessensgemeinschaft Kaufleute Ober St. Veit.
2012 Holzapfel, Josef: Friedrich Julius Bieber, ein Afrikaforscher wohnhaft in Wien-Hietzing. Hietzinger Schriftenreihe, Herausgeber: Bezirksmuseum Hietzing, 1130 Wien
2015 Klötzl, Gebhard: Von Bürgermeistern und Affären. Die Gemeinden Ober St. Veit und Unter St. Veit 1848–1891. Wien: Verlag homedia
2020 Gerstbach, Heinz: Das geheimnisvolle Godtinesfeld. Veröffentlicht im April 2020 auf www.1133.at
2022 Gerstbach, Heinz: Die Römische Wasserleitung durch Hietzing nach Vindobona. Siedlungen zur Römerzeit im Bezirk Hiet
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zing und römische Straßen in seiner Umgebung. In: Fenster in die Vergangenheit. Lokalgeschichtliche Schriftenreihe des 13. Wiener Gemeindebezirkes – Hietzing. Ausgabe 10. Hrsg. Bezirksmuseum Hietzing, Wien. ISSN 1560-7461, ZDB-ID 2285373-X.
In den Jahren davor erschienene regionalgeschichtlich interessante Arbeiten sind unter anderem:
Gerhard Weissenbacher: In Hietzing gebaut. Architektur und Geschichte eines Wiener Bezirkes. Wien: Verlag Holzhausen, Band I 1996 ISBN 3-85493-004-6 und Band II 1998 ISBN 3-900518-93-9. Von allen lokalhistorischen Werken der jüngeren Zeit enthält der erste Band dieses Werkes die ausführlichsten Ortsgeschichten zu den heutigen Hietzinger Bezirksteilen.
Ausführliche Ortsgeschichten enthält auch das ebenfalls 1998 erschienene zweibändige Werk Wilhelm Twerdys: Beiträge zur Geschichte des Wienerwaldes. Budapest; Schwarzach; Bruck a.d. Leitha: Heimat-Verlag, 1998. Es basiert auf der systematischen Auswertung von Herrschaftsakten, Bereitungsbüchern, Grundbüchern, Pfarrbüchern, Originalurkunden und, soweit angesichts der Fülle möglich, auch auf der vorhandenen Literatur. Den roten Faden für diese Systematik bildete das Ortsnamensbuch von Heinrich Weigl. Zusätzlich erfolgten genealogische Arbeiten zu den damaligen Ministerialfamilien mit Einbezug der Familienwappen. Den ersten Band füllt ausschließlich der Text mit den Besitz- und Verwaltungsgeschichten der Wienerwaldorte, inklusive derjenigen auf dem Boden des 13. Wiener Gemeindebezirks Hietzings, mit Ausnahme des außerhalb des Wienerwaldes gelegenen Alt-Hietzing. Doch dieses wurde von Walter Weinzettl (siehe www.1133.at/Bericht 743) schon in den 1950er-Jahren mit Schwerpunkt seiner siedlungs- und sozialgeschichtlichen Entwicklung weitgehend erforscht.
Twerdys Ausführungen enden allerdings mit der Errichtung der freien Gemeinde nach 1848, Weinzettl schon früher. Die Aufzeichnungen und Dokumente der folgenden Zeit inkl. der Fülle an Zeitungsberichten wären einer systematischen Auswertung leicht zugänglich, erfolgt ist sie bisher allerdings bloß auf Basis der Gemeindeakten für die selbstständigen Ortsgemeinden Ober- und Unter St. Veit durch Gebhard Klötzl.
Darüber hinaus weise ich auf die vom Club 13 herausgegebene Schriftenreihe „Fenster in die Vergangenheit“ hin, in deren Rahmen Margarete Platt im Jahr 1999 die Flurnamen aller Bezirksteile Hietzings erforschte.
Mein jüngstes Bestreben war es, eine möglichst konzise Zusammenfassung der vorhandenen Literatur zu bieten und gegebenenfalls um aktuelle Erkenntnisse zu ergänzen. Mit dem Einverständnis der jeweiligen Autoren habe ich für diesen Zweck passende Abschnitte vor allem aus den zuvor angeführten Werken übernommen. Detailinformationen zu vielen in diesem Buch angesprochenen Themen und umfangreichere Literaturangaben
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Bilder am rechten Seitenrand dieser und der Vorseite: Ausschnitte aus dem kolorierten Stich „Ein Strauß-Conzert beim Domayer“
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dazu bietet die Plattform www.1133.at, oft sogar einen online-Zugriff auf digitale Ausgaben zitierter Werke. Eine umfangreiche Literaturliste bietet der Bericht Nr. 266 auf www.1133.at.
Diese Art Zusammenfassung schien mir geboten, weil fast alle Bücher nur mehr antiquarisch oder in Archiven und Bibliotheken erhältlich sind, viele Werke mit ihrer Spezialisierung und Detailfülle das allgemeine Interesse überschreiten und vor allem: Es gibt keine aktuell aufliegende und im Buchhandel erhältliche Geschichte des 13. Wiener Gemeindebezirks Hietzing und seiner Bezirksteile.
Das Buch ist in sieben Abschnitte gegliedert:
Zum Abschluss ein letzter Hinweis: Dieses Buch beschränkt sich auf die möglichst nüchterne Beschreibung von Ereignissen und Taten, die sich als relevant für das Bezirksgeschehen erwiesen haben oder dieses in ein bezeichnendes Licht rücken können. Hier wird kein Versuch unternommen, diese Dinge aus heutiger Sicht zu bewerten oder aus ethischen Gründen zu unterdrücken. Als Beispiel erlaube ich mir in der Folge eine Textstelle einzufügen, deren Wiedergabe gerne vermieden wird, weil der Autor als „belastet“ gilt.
Josef Holzapfel
Hietzing
Nach Robert Hohlbaum
„Der Kronprinz“
aus dem Novellenband „Himmlisches Orchester“
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Das war ein Walzer, wie er ihn nur manchmal im Halbtraum gehört hatte, viel zu schön, als dass man‘s wirklich machen könnte. Der das komponiert hatte, der konnte ja viel mehr als er! Er stieg auf den Sessel, auf den Tisch, der Beifall schwoll, immer wieder von ihm befeuert. Zum zehnten Male wohl verneigte sich der Dirigent, zu dumm dass man das Gesicht nicht sah in der elenden Beleuchtung! Da plötzlich stieg der Mond auf über dem Dach des Pavillons, rund und groß, noch verdecken ihn ein paar Äste, endlich ist er wieder frei, scheint dem jungen Kapellmeister mitten ins Gesicht – der alte Strauß steht auf dem Tisch, die beifallschlagenden Hände erstarren, der rufende Mund verstummt, mit weitaufgerissenen Augen schaut er in das monderhellte Gesicht...
... es ist der Schani, sein Sohn!
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Die Heimatkunde, um auch die heute weniger gebräuchliche Bezeichnung für jenes an der Wende vom 18. ins 19. Jahrhundert aufkommende Schulfach mit bodenständigen Inhalten zu verwenden, hat ihre Wurzeln in der Primärarbeit von Standesvertretungen, Kommissionen und Vereinen. Darüber hinaus entstand mit der wachsenden Mobilität auch ein allgemeines Interesse an Reiseberichten, später auch an Reiseführern, mit lokalhistorischem Inhalt.
Natürlich gibt es zahlreiche ältere Geschichtsquellen mit Erkenntnissen über die Zeit vor und nach Beginn des Schrifttums in der jeweiligen Region, doch sind diese in der Regel sehr grundsätzlichen und überregionalen Inhaltes und basieren oft auf mündlichen Überlieferungen. Als der erste österreichische Historiker im modernen Sinn wird gerne der schwäbische Priester Ladislaus Sunthaym bezeichnet (* um 1440 in Ravensburg , † Ende 1512/Anfang 1513 in Wien). In seinen Forschungen zu den Babenbergern spürte er allen Quellen nach und auf seinem Manuskript basiert vieles, das wir über die Babenberger, aber auch über die österreichische Geschichte überhaupt zu wissen glauben.
Modernere geschichtliche Standardwerke, etwa die 24-bändige von 1885 bis 1902 erschienene landeskundliche Enzyklopädie „Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild“, das sogenannte Kronprinzenwerk, oder das jüngste dreibändige Monumentalwerk zu Wien, im Böhlau Verlag herausgegeben von Peter Csendes und Ferdinand Opll „Wien – Geschichte einer Stadt“ (ISBN 978-3-205-98892-2) sind ebenso bloß zu übergeordneten Fragen nutzbar, weil ein Fokus auf einzelne Ortsgemeinden jeden Rahmen sprengen würde.
Lokalgeschichtliche Werke beginnen deshalb meist mit allgemeinen nicht ortsspezifischen Dingen wie Erd- und ältere Menschenzeitalter bis ins urkundlich noch dünn besetzte Mittelalter um sich dann auf Basis dichter und detaillierter werdender Quellen auf ihr Dorf oder Gebiet zu konzentrieren. Auch dieses Buch beginnt mit überregionalen Dingen und kann sich nur allmählich auf Hietzing fokussieren.
Die für die Aufzeichnung der engeren Hietzinger Regionalgeschichte relevanten Autoren beginnen in den 1670er-Jahren mit Georg Matthaeus Vischer, dessen Stiche oft die ältesten Darstellungen von Dörfern und Gebäuden einer Region sind, und dem etwa gleichaltrigen Land Compaß von Stephanus Sixsey. Der Reigen an genaueren topografischen Beschreibungen der Wiener Vororte beginnt in den 1820er- und 1830er-Jahren
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mit Adolf Schmidl (1835–39), Johann Gabriel Seidl (1826) Franz Schweickhardt Ritter von Sickingen (1833) und Franz Carl Weidmann (1823–27). Von diesen dehnt sich ein weiter und dichter Bogen zu den rezenteren Autoren, wie sie in den Literaturhinweisen genannt wurden bzw. wie ich sie in der Vorbemerkung zu diesem Buch aufgezählt habe. Dabei ist zu beobachten, dass – grob gesprochen – die Autoren bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts Hietzinger Ursprungsorte nur als einen von vielen erwähnen und sich erst Werke seit den 1870er-Jahren, also seit dem aufkommenden Vereinswesen, auf einzelne Dörfer bzw. dann auch Wiener Gemeindebezirke konzentrieren. Meist handelt es sich dabei um die Ergebnisse ehrenamtlicher Recherchen.
Im Kultur-Kapitel wird unter „Das Geschriebene“ ab Seite 652 etwas genauer auf die Literatur und andere in Textform vorliegende Geschichtsquellen eingegangen.
Ein wichtiger Kristallisationspunkt heimatkundlicher Tätigkeiten sind die Heimatmuseen, im städtischen Bereich eher Bezirksmuseen genannt. Diese sind jedoch im Gegensatz zur Literatur relativ junge Institutionen, die in Wien ab dem Anfang und der Mitte des 20. Jahrhunderts eingerichtet wurden. Oft sind sie aus in privaten Räumen ausgestellten Privatsammlungen hervorgegangen. Ihr Unterhalt basiert in der Regel auf öffentlichen Förderungen. Ab 1936 wurden in Wien nur noch von einem Verein erhaltene Bezirksmuseen gefördert. Dies führte zur Aufgabe kleinerer Museen bzw. Sammlungen aber auch zu deren Zusammenlegung und dem Aufbau geordneterer Strukturen.
Das erste Museum, das die Geschichte eines Wiener Stadtteils professionell repräsentierte, war das 1923 von Hans Pemmer und Karl Hilscher gergründete Bezirksmuseum in Meidling. 1964 konstituierte sich der Verein „Arbeitsgemeinschaft der Wiener Bezirksmuseen“ als Dachorganisation und Rechtsträger von 23 Bezirksmuseen und sechs Sondermuseen.
Die Geschichte des Hietzinger Bezirksmuseum war 1956 in der Wiener Zeitung nachzulesen. Als im Jahre 1949 der damalige Bezirksvorsteher Chefredakteur Otmar Hassenberger gegenüber einer Reihe gleichgestimmter Männer und Frauen, darunter auch Carl Muck, dem Verfasser des Beitrages in der Wiener Zeitung, dem Gedanken Ausdruck verlieh, dass ein Bezirk mit einer historischen Vergangenheit wie Hietzing ebenso ein Heimatmuseum besitzen könnte wie viele andere Wiener Bezirke, fand er allgemeine Zustimmung. Die Schaffung eines Proponentenkomitees, die Einreichung der Satzungen (die Heimatmuseen waren damals – wie weiter oben ausgeführt– in die Rechtsfigur eines Vereines gekleidet, heute haben die Bezirksmuseen keine Rechtspersönlichkeit mehr), die erste Generalversammlung – und das Hietzinger Heimatmuseum hatte Bestand, vorläufig allerdings nur am Papier.
Während die damals schon eröffneten acht Bezirksmuseen Wiens von früher her über einen festen musealen Fundus ver
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Die Geschichte des Hietzinger Bezirksmuseums folgt einem Beitrag von Carl Muck in der Beilage zur Wiener Zeitung
vom 4. März 1956
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fügten, besaß das Hietzinger Heimatmuseum weder Geld noch Mitglieder und schon gar keine musealen Gegenstände und war somit gezwungen, aus dem Nichts etwas zu schaffen. Da waren es zu allererst die in der Gruppe für Kultur und Volksbildung, die der Amtsführende Stadtrat Hans Mandl leitete, vereinten Dienststellen, die mit Subvention und Zurverfügungstellung von Einrichtungsgegenständen und Museumsstücken der jungen Institution halfen, die ersten Schritte tun zu können. Diese bestanden darin, dass man durch Flugblätter, Kurzvorträge usw. bei der Lehrerschaft, den Elternvereinen und auch den Schülern das Interesse für ein Heimatmuseum zu wecken versuchte. Es dauerte Jahre, bis die ersten Erfolge zu verzeichnen waren. Der Krieg hatte hier alle Quellen im vollsten Sinne des Wortes verschüttet und diese wieder zum Leben zu erwecken, war die eigentliche Aufgabe der Funktionäre des Hietzinger Heimatmuseums. An dessen Spitze standen damals Bezirksvorsteher Florian und Alt-Bezirksvorsteherstellvertreter Babor.
Als Ende 1953 im Amtshaus des 13. Bezirkes sogar zwei Räume durch das Auflassen der Kartenstellen frei und diese dem Heimatmuseum zugesprochen wurden, war es nach Adaptierungsarbeiten im Mai so weit, dass das Hietzinger Heimatmuseum der Öffentlichkeit übergeben werden konnte. Am 24. Mai 1954 nahm der Bürgermeister der Stadt Wien Franz Jonas die Eröffnung vor, besichtigte mit dem gleichfalls erschienenen Vizebürgermeister Weinberger und den Amtsführenden Stadträten Mandl und Dkfm. Nathschläger das Museum und war voll des Lobes über das Geleistete.
Nun ein kurzer Gang durch das damalige Hietzinger Heimatmuseum, das nach den 1891 eingemeindeten Vororten Hacking, Ober- und Unter-St. Veit, Alt-Hietzing, Lainz und Speising gegliedert war:
Im ersten Raum war an der sogenannten Schönbrunner Wand unter anderem zu sehen, wie sich ursprünglich J. B. Fischer von Erlach das kaiserliche Lustschloss (Kupferstich von Delsenbach) vor
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Foto aus dem Bezirksmuseum Hietzing mit den Portraits der Leitung des neu gegründeten Vereines „Hietzinger Heimatmuseum“
Hietzing
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stellte, für dessen Verwirklichung aber selbst einer Kaiserin Maria Theresia das nötige Geld fehlte. Der Hofarchitekt Anton Freiherr von Pacassi brachte sodann das Schloss samt Nebengebäuden in die vollendete Form, in der wir es heute noch bewundern können (Caneletto-Bild 1759). Wo in der Fasangartenkaserne die wiedererstandene österreichische Wehrmacht Einzug gehalten hatte, war einstmals nur kaiserliches Jagdrevier, und eine Jagdhütte mit Jägern (1879) war als Bild an der Wand zu sehen. In der Vitrine an der Fensterseite lag ein kleines Holzkreuz mit metallenem Korpus; das Holzkreuz war aus den Planken der Fregatte Novara gefügt, die bekanntlich in den Jahren 1857–1859 die Welt umsegelte und 1867 den Leichnam des in Mexiko erschossenen Erzherzog Maximilian unter dem Kommando des Admirals Tegetthoff heimführte. Aus Alt-Hietzing, dessen Erinnerungsstücke im gleichen Raum beherbergt waren, hob der Zeitungsartikel nur das Dommayersche Kasino hervor, wo Johann Strauß (Sohn) seine ersten Triumphe feierte und dort stand, wo sich heute das Parkhotel Schönbrunn in der Hietzinger Hauptstraße Nr. 12–14 erhebt, und den Gasthof „Zum schwarzen Hahn“. Erinnerungen an die große Tragödin am Wiener Burgtheater Charlotte Wolter (Gräfin O‘Sullivan) und ihre nicht geringere Gegenspielerin Katharina Schratt (Baronin Kiss von Itebe) waren ebenfalls an der Wand zu sehen. Das solide Biedermeierhaus Gloriettegasse 9 / Ecke Wattmanngasse mit einem prachtvollen bis zur Weidlichgasse sich hinziehenden Park mit uraltem Baumbestand stand im Eigentum der Schratt und war durch Jahrzehnte das Buen Retiro des greisen Monarchen Franz Joseph.
Doch weiter zum nächsten Raum, wo an der Wand mit der Beschriftung „Lainz“ die Meierei Wambacher zu sehen war, einstmals ein beliebtes Ausflugsziel der Wiener. Damals in einem Jahr feierte das ebenfalls in Lainz (Anm: tatsächlich liegt das Spital in Speising) liegende Krankenhaus der Stadt Wien (ehemals Kaiser-Jubiläums-Spital) den 50jährigen Bestand und das anschließende Altersheim hatte dieses Jubiläum bereits zwei Jahre zuvor. Zu Ober St. Veit, dem wohl landschaftlich schönsten Teil Hietzings, wurde angemerkt, dass von der einst hier blühenden Weinkultur soviel wie nichts übriggeblieben war. Der Weinhütereinzug beim alten Puraner, einer ehemals in der Schweizertalstraße 4 bestandenen Gastwirtschaft, erinnerte in einem hier ausgestellten Bild daran und damals in natura der einzige noch existierende Weingarten des Gasthauses „Zur schönen Aussicht“ unterhalb des Ober St. Veiter Friedhofes. Hingewiesen wurde noch auf die „Einsiedelei“, einstmals gastliche Stätte für Nachmittagsausflüge, damals Altersheim, Dolls Gastwirtschaft „Stock im Weg“, das damals dem polnischen Grafen Lanckoronski gehörige „Faniteum“ mit seinem Prachtpark und den bereits der Geschichte angehörigen Ober St. Veiter Faschingszug usw. Einer Persönlichkeit besonderer Art, die in der Schweizertaistraße 16 (1857) geboren wurde und am Ober St. Veiter Friedhof (1932) ruht, wurde in diesem Raum ebenfalls
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gedacht – des Rudolf Freiherrn von Slatin-Pascha. Das bei Brockhaus in Leipzig 1896 erschienene Werk „Feuer und Schwert im Sudan“, das in der Literatur-Vitrine zu sehen war, erzählte von seinem wechselvollen Schicksal und seiner 11-jährigen Gefangenschaft von 1884 bis 1895 in der Gewalt des Mahdi. Die Stadt Wien ehrte das Andenken an diesen mutigen Österreicher, der als englischer General starb, durch Benennung eines zum Tiergarten führenden Gassenzuges in Ober St. Veit.
Auch einer zweiten Persönlichkeit wurde hier Erwähnung getan, der Afrika zum Schicksal wurde, nämlich des großen österreichischen Afrikaforschers Dr. med. Emil Holub. Die Ergebnisse seiner geographischen und ethnologischen Forschungen sind in seinen beiden Werken „Sieben Jahre in Südafrika“ (1872–1879) und „Von der Capstadt ins Land der Maschukulumbe“ niedergelegt. Die im letzteren Buch geschilderte Reise in den Jahren 1883–1887 machte sein erst 18-jähriges ihm angetrautes „Röschen“ mit und ertrug mutig alle Entbehrungen und Gefahren einer damaligen Reise per Ochsenkarren und zu Fuß. Rosa Holub wurde damit ebenfalls zur Afrikapionierin und lebte seit dem bereits 1902 erfolgten Tod ihres Mannes in der Wattmanngasse.
Der dritte und letzte Raum des Hietzinger Heimatmuseums war der Kleine Sitzungssaal der Bezirksvorstehung Hietzing, dessen Wände mit Werken in Hietzing lebender Künstler geschmückt waren. Die Professoren Laserz, Lex, Nemec, Schaffran und Zakovsek sowie Hofrat Passini waren mit Ölgemälden, Aquarellen und Zeichnungen vertreten, die Motive aus Hietzing wie dem Lainzer Tiergarten zum Gegenstand hatten.
Dies wurde im Rahmen des Artikels aus der Vielfalt von nicht weniger als fast 700 Inventarstücken herausgegriffen. Wer aber mehr um Hietzings Vergangenheit, aber auch Gegenwart wissen wollte, wurde höflichst zum Besuch dieses damals jüngsten Heimatmuseums, deren Zahl in Wien unterdessen auf 14 angestiegen war, eingeladen. Jeden Mittwoch von 14 bis 16 Uhr und Sonntag von 10 bis 12 Uhr war das Hietzinger Heimatmuseum im Amtshaus, XIII., Hietzinger Kai 1, für jedermann ohne Eintrittsentgelt zugänglich. Schulen und Vereinen wurden über vorherige Anmeldung auch andere- Besuchszeiten zugestanden.
Dies war der virtuelle Gang durch die Räume des damaligen Heimatmuseums, wie er 1956 in der Wiener Zeitung nachgezeichnet wurde. Die intensive Sammlungstätigkeit wurde fortgesetzt und 1961 konnte das Museum in das ehemalige Schulgebäude der Volksschule Hietzing Am Platz 2 übersiedeln. 1971 wurde dieses „Heimatmuseum“ in „Bezirksmuseum Hietzing“ umbenannt.
1998 bis 2000 wurde das Gebäude von der Stadt Wien generalsaniert und ein Zubau im Zwischenraum zur öffentlichen Schule errichtet. Die Eröffnung erfolgte unter dem Museumsleiter Felix Steinwandtner durch Kulturstadtrat Peter Marboe.
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Um der Bevölkerung die Geschichte und das Kulturgut des Bezirkes näherzubringen und sie für das Museum zu interessieren, sind gedruckte Publikationen unerlässlich. Das Bezirksmuseum begann seine Reihe an Museumszeitschriften im Jahr 1978 mit dem Heft 1. Das Thema war eine Sonderausstellung von Zinnfiguren. Der damalige Museumsleiter Harry Glöckner stellte darin Peter Ewald Kovar vor, Österreichs damals einzigen Zinnfigurengraveur. Das Heft enthielt über den farbig illustrierten Katalog der Ausstellung hinaus auch eine kurzgefasste „Chronik von Hietzing“. Die Ausstattung wurde als gut bezeichnet und das Interesse war rege.
Die im Rahmen dieser Heimatmuseen vorangetriebene Forschungen zur Regionalgeschichte konnte allerdings immer schon auf die Arbeit anderer historisch-wissenschaftlicher Gesellschaften bzw. Vereine zurückgreifen, die durch Stadt oder Land unterstützt wurden. Deren Aufgabe war und ist es, die Heimat-, Regional- oder Landesgeschichte zu erschließen und die Erkenntnisse durch Veröffentlichungen, Tagungen etc. publik zu machen.
Für Hietzing relevant ist der Verein für Geschichte der Stadt Wien, früher Altertumsverein zu Wien. Er besteht seit 1853 und entfaltete eine reiche, von der Stadt geförderte publizistische Tätigkeit, u. a. die quartalsmäßig erscheinenden Wiener Geschichtsblätter.
Für Hietzing und die in ihm zusammengefassten einst niederösterreichischen Vorortegemeinden noch relevanter ist der Verein für Landeskunde von Niederösterreich.
Gegründet im Jahr 1864 als Verein für Landeskunde von Nieder-Österreich in Wien firmiert er nach mehreren Umbenennungen seit 1981 als „Verein für Landeskunde von Niederösterreich“, seit 1997 mit Sitz in St. Pölten. Moritz Alois Becker gab die Initiative zur Vereinsgründung.
Wie in Wien entstand auch in Niederösterreich ab den 1970er-Jahren eine Verflechtung mit anderen Landeskundlichen Instituten bzw. Archiven.
Die früheste Publikation des Vereines für Landeskunde von Nieder-Österreich waren die Blätter für Landeskunde von Nieder-Österreich. Als für Hietzing lokalhistorisch interessant sei zum Abschluss dieses Kapitels ein Beitrag von Franz Kornheisl im Heft Nr. 7 des ersten Jahrganges, ausgegeben am 5. August 1865, angeführt (Rechtschreibung angepasst, um Fotos erweitert):
Die Einsiedelei bei St. Veit nächst Wien
Die prächtigen Umgebungen, welche Wien vor vielen anderen Hauptstädten Europas auszeichnen, sind weit und breit berühmt. Der Wiener, man muss es gestehen, weiß dieses Geschenk der Natur auch zu schätzen. An Sonn- und Feiertagen der besseren Jahreszeit ziehen so große Scharen der Wiener Bevölkerung hinaus ins Grüne, dass die Verkehrsmittel häufig nicht ausreichen. Zu den bekanntesten Orten in der Umge
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Mitteilungen in den Blättern für Landeskunde von Nieder-Österreich die Einsiedelei bei
St. Veit nächst Wien
betreffend
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gend Wiens gehört die Einsiedelei zwischen Lainz und Ober St. Veit. Auf einem Hügel gelegen bietet sie eine der reizendsten Aussichten nach der Residenz und nach allen Richtungen der Windrose. Das Gebäude der Einsiedelei, in welchem seit mehr als dreißig Jahren eine Gastwirtschaft sich befindet, ist ziemlich ansehnlich, hat ein Stockwerk und nach zwei Außenseiten hin eine lange Fensterreihe. Dies so wie ein Türmchen über der Einfahrt des Hauses gibt dem Gebäude ein klosterähnliches Aussehen und veranlasste ohne Zweifel die Sage, dass hier einmal ein Kloster bestanden habe. Allein die Einsiedelei war nie ein Kloster. Ihre Geschichte ist nach den Aufzeichnungen des Pfarrgedenkbuches von Ober St. Veit (Band A Seite 119 und Band D Seite 486) folgende:
Im Jahre 1747 beschlossen der Rollist in der kaiserl. Reichskanzlei Leopold Zetl und der Stallmeister des Prinzen von Hildburghausen ihre Ämter nieder zu legen und ein einsames Leben
Die Einsiedelei im Brequin-Plan 1755. Ein grob genordeter Ausschnitt aus der Landkarte mit dem übersetzten Titel „Karte der Umgebung von Schönbrunn und jener von Laxemburg, aufgenommen von November bis Dezember 1754 und April 1755“. Sie kann schon als relativ genauer Vorläufer der vier Österreichischen Landesaufnahmen gesehen werden und zeigt auch den Ober St. Veiter Gemeindeberg mit der damaligen wirklichen Einsiedelei. Sie zeigt allerdings erstaunlicher Weise bereits den Grundriss des späteren, von Ignatz Leopold Strodl errichteten Neubaus.
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„Aussicht von der Einsideley bey St. Veit“ nach dem Original im Historischen Museum der Stadt Wien
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zu führen. Sie bekamen von dem Regel-Pater der Franziskaner das Kleid der Einsiedler des h. Antonius. Der erste erhielt den Namen Bruder Arsenius, der zweite den Namen Konrad.
Sie baten den damaligen Erzbischof von Wien Kardinal Kollonitz um die Erlaubnis, auf dem erzbistumlichen Landgute St. Veit eine Wohnung für zwei Personen bauen zu dürfen. Der Kardinal ließ ihnen nicht nur einen anständigen Platz im Weingebirge, eine Viertelstunde von St. Veit, allwo ein frisches Wasser aus dem anliegenden Berge hervorquillt, anweisen, sondern spendete auch einen ansehnlichen Beitrag zu den Baukosten. Mit diesem Beitrage, mit ihrem eigenen Gelde und den Spenden von Guttätern bauten sie im Jahre 1748 die Einsiedelei, deren Baurechnung auf 1540 Gulden 30 Kreuzer sich belief. Die Klause bestand aus zwei Kammern, einer Küche und einer ungeweihten Kapelle. In der Kapelle hing ein Marienbild und das Kapellentürmchen hatte eine Glocke, welche von Joseph Primminger zu Wien im Jahre 1746 gegossen wurde. Die beiden Brüder durften die Einsiedelei nur unter der Bedingung beziehen, „dass sie jeder Zeit unter der geistlichen Gerichtsbarkeit des jeweiligen Pfarrers stehen, dass sie die ihnen zukommenden Kirchendienste verrichten, ohne Erlaubnis des Pfarrers nicht ausgehen, des Sammelns für alle Zeit sich enthalten und entweder von ihren eigenen Mitteln, einer anständigen Handarbeit oder auch von dem Almosen der Guttäter ohne allem Überlauf und Beunruhigung der Untertanen sich ernähren.“ Es dauerte aber kaum ein Jahr, so trennte sich wegen Verschiedenheit der Gesinnungen der Frater Konrad von seinem Mitbruder Arsenius und verlangte die Zurückzahlung der von ihm aufgewendeten Baukosten. Als die Sache vor den Kardinal kam, erhielt Bruder Konrad den Auftrag, seinen Anteil an der Einsiedelei entweder selbst zu bewohnen oder denselben unentgeltlich seinem Mitbruder zu überlassen, welcher ohnehin den größeren Teil der Baukosten bestritten hat. Auf dieses hin verließ Bruder Konrad freimütig die Einsiedelei.
P. Roman aus dem Orden der Franziskaner, welcher damals die Bruderschaft der Einsiedler leitete, wollte dem Arsenius einen anderen Frater beigeben und versuchte, die Einsiedelei seinem Orden als Eigentum zuschreiben zu lassen. Beides misslang und Kardinal Migazzi gesellte dem Arsenius den Bruder Hilarion bei, welcher früher Herrschaftskoch war. Als die Herrschaft St. Veit im Jahre 1762 an die Kaiserin Maria Theresia verkauft wurde, kam Frater Hilarion in das erzbischöfliche Schloss nach Neudorf und Arsenius blieb wieder allein. Nach der Aufhebung der Einsiedler-Bruderschaft durch Kaiser Joseph II. im Jahre 1782 kaufte der Wiener Handelsmann Ignaz Leopold Strodl bei der Versteigerung am 14. September 1782 die Einsiedelei um 350 Gulden, riss die alte Klause nieder, verpflanzte das Missionskreuz auf den St. Veiter Pestfreithof, kaufte zwei Weingärten, führte ein ordentliches Wohngebäu
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Die Einsiedelei bei Ober St. Veit. Kolorierte Umrissradierung von Johann Vinzenz Reim (1796–1858, Architekt, Zeichner und Kupferstecher). Diese Darstellung zeigt die Einsiedelei als Ausflugsziel mit vielversprechender Aussicht (siehe Terrassen und Aussichtswege). Das Gebäude in der Mitte ist das von Ignatz Leopold Strodl nach dem Abbruch der alten Klause um 1782 errichtete Wohngebäude, links die neuen vermutlich von Andreas Seifert errichteten Gasträume inkl. Tanzsaal und Weinkeller, und rechts die erweiterten Wirtschaftsgebäude inkl. Kuhstall, weiteren Stallungen und Wagenremisen. Das zweite Bild zeigt den Gebäudekomplex des späteren St.-Josefs-Heims im Jahr. Das dritte Bild zeigt den vermutlichen ehemaligen Weinkeller der Einsiedelei, der zuletzt als Wirtschaftsraum des St.-Josefs-Heims diente. Im Hintergrund der Stiegenaufgang zum ehemaligen Gastraum, fotografiert am 14. Jänner 2008.
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de mit Stallungen auf, machte eine Zufahrt, ließ durch den erzbischöflichen Schlossgärtner Schmid einen kleinen Park und zwei Obstgärten anlegen und benutzte die Besitzung zum Sommeraufenthalte. Im Jahre 1810 kam die Einsiedelei um den Preis von 11.980 Gulden Bankozettel aus dem Besitze der Familie Strodl an den k. k. Kabinetscourier Joseph Kraus. Von diesem kaufte sie 1815 der Grundrichter und Webermeister zu Fünfhaus Friedrich Schwarsee um 8000 Gulden W. W., verlängerte das Haus an der Westseite und baute einen Kuhstall. Dessen Witwe verkaufte die Besitzung im Jahre 1817 an den Hof-Federschmücker Joseph Schwer um 11.000 Gulden W. W. Von diesem kaufte sie im Jahre 1823 Andreas Seifert für 3000 Gulden C. M.. Durch Regierungsdekret vom 6. Juni 1827 und 9. September 1830 „erhielt er das Recht auszuschänken und auszukochen.“ Er verwandelte die von Strodl angelegte Zufahrt in eine bequeme Straße, baute einen ordentlichen Weinkeller, neue geräumige Stallungen und Remisen für sich und die Gäste. Seit dieser Zeit ist die Einsiedelei, welche von dem Gebäude der Brüder Arsenius und Konrad nichts mehr hat als den Namen, eine Gastwirtschaft geblieben.
Soweit dieser für die Gemeinde St. Veit hochinteressante Beitrag, auf dem viele weitere Arbeiten fußen, auch derjenige auf www.1133.at/Bericht 49. Dieser veranschaulicht das weitere Schicksal der Einsiedelei bis zu ihrem Abbruch im Jahr 2017. Einige Fotos aus dieser Chronik sollen diesen Punkt abschließen.
Wirklich abschließend sei noch eine wesentliche Erleichterung der privaten Regionalforschung gelobt: Alte Primärunterlagen wie Urkunden, Urbare (Besitzverzeichnisse), Grundbücher, Pfarrmatriken und Pfarrgedenkbücher, aber auch Pläne, Bücher und Zeitungen werden zunehmend ins Internet gestellt und sind somit leicht auffindbar und auswertbar. Das führt allerdings zu einer Informationsflut, die den Einzelnen vor noch größere Probleme stellt, als die ehemals analoge Recherche. Eine weitere voraussehbare Folge ist der Ersatz menschlicher Arbeit durch themenbezogene Auswertungen künstlicher Intelligenzen (KI).
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Vom Bau zum Abbruch: Ein im Zeitraffer dieses Buches häufig zu findender Ablauf. Links das St.-Josefs-Heim während der Bauarbeiten im Jahr 1909 mit dem damals noch niederen Gebäudeteil, in dem die Kapelle untergebracht wurde. Unten rechts die geduldige Statue des heiligen Josef während der Abbrucharbeiten im Jahre 2017
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Der Blick vom Satzberg auf Hietzing von Osten nach Westen
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Das Wappen des 13. Bezirks besteht aus fünf Teilen. In der Mitte ist eine möglicherweise namensgebende Sage Hietzings dargestellt: Ein verstecktes Marienbild befreit vier an einen Baum gekettete Bauern mit den Worten „Hüats enk!“ („Hütet Euch!“). Ringsum sind die Wappenschilder der Bezirksteile Hacking (Hacken auf rot-weiß-rotem Hintergrund), Sankt Veit (Heiliger Vitus auf blauem Hintergrund), Speising (Pelikan, der seine Jungen mit Bluternährt) und Lainz (silberner Hirsch) angeordnet.
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(Siehe Vorseite) Vom Hütteldorfer Satzberg aus bietet sich ein wundervoller Blick über ganz Wien und in das Wiener Becken mit seinen angrenzenden Bergen. Vor allem aber blickt man auf den zu Füßen liegenden 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing. Der Bezirk bedeckt eine große vom Wienfluss und seinen Nebenflüssen geschaffene Ebene und die angrenzenden Berghänge. Vor nicht allzu langer Zeit hatte diese Ebene ein vollkommen ländliches Aussehen und beherbergte eine Anzahl von malerischen Dörfern, die zu den ältesten Ansiedlungen der Region zählten und schon in der ersten Periode der Regenten Österreichs aus dem Hause Babenberg blühten. Die Geschichte dieser Dörfer und des aus ihnen hervorgegangenen Wiener Gemeindebezirkes ist der Gegenstand dieses Buches. Die Voraussetzung für die prosperierende Entwicklung der Ansiedelungen waren diese große Ebene mit ihren natürlichen Ressourcen und die angrenzenden Hügel, die Sicherheit gaben. Sie fanden schon in der Steinzeit gut dokumentierten Zuspruch.
Der Ursprung all dessen liegt in den tektonischen Gegebenheiten, und diese gehen auf die Kreidezeit zurück.
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Die hier sichtbaren Katastralgemeinden sind mit Ausnahme der Katastralgemeinden Auhof und Schönbrunn im wesentlichen ident mit den ehemaligen Ortsgemeinden.
Sie wurden mit Wirksamkeit
1. Jänner 1892 zum 13. Wiener Gemeindebezirk. Die KG 01201 Auhof wurde nach dem zweiten Weltkrieg Hietzing zugeordnet. Die weiteren Besonderheiten sind im Plan vermerkt.
Plan von Hietzing auf Basis Stadt Wien - ViennaGIS
Druckdatum: 01.12.2024. Verstärkt eingezeichnet
wurden die Grenzen des Bezirkes (rot) und der
einzelnen Katastralgemeinden (blau).
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Dieses Foto einer Baugrube in den St. Veiter Klippen zeigt die geologische Vielfalt des Kalkgesteins aus dem Jura nach seiner Verformung und Verwitterung.
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Das Kapitel „Urgeschichte“ beschreibt die frühen Grundlagen der menschlichen Zivilisation in möglichst übersichtlicher Weise: Die unendlich lange geologische Entwicklung unseres Planeten und – verglichen dazu – das kurze Aufblitzen der Menschheit. Die Erkenntnisse über den Menschen der Urzeit bilden sich aus den Befunden der archäologischen Ausgrabungen.
Der Übergang von der vorgeschichtlichen (= die Urzeit) zur geschichtlichen Zeit, für die es schriftliche Aufzeichnungen gibt, ist regional höchst unterschiedlich und findet in diesem Buch vor allem im Kapitel zur deutschen Einwanderung in unsere Region statt.
Eigentlich verdanken wird schon den Römern die ersten schriftlichen Quellen, die auch für unsere Region Geltung haben, doch beziehen sie sich meist auf das Castell und die Zivilsiedlung namens Vindobona und niemals speziell auf das Hietzinger Gebiet. Alles, was wir zur römischen Besiedlung des Hietzinger Bodens zu wissen glauben, beziehen wir aus archäologischen Quellen. Ich erlaube mir daher, die Beiträge zu den Kelten und den Römern noch unter dem Kapitel „Urgeschichte“ eingeordnet zu lassen.
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Heimatkundliche Werke beginnen oft mit den geologischen Verhältnissen der jeweiligen Region. So auch der erste Band des Hietzinger Heimatbuches aus dem Jahr 1925, in dem sich Anton Zach ausführlich mit der Landschaft und deren geologischem Aufbau beschäftigt. Für seine Darstellung konnte er auf einige ältere Arbeiten zurückgreifen.
Mit geologischen Forschungen in unserer Region begonnen hat Johann Baptist Anton Karl Cžjžek, als er Kalkvorkommen im vorherrschenden Sandsteingelände des Lainzer Tiergartens suchte, und zwar im Auftrag des k. k. Oberstjägermeisteramtes. In der von ihm 1847 veröffentlichten „Geognostischen Karte der Umgebung Wiens“ sind unter anderem auch die St. Veiter Klippenhügel als „Alpenkalk“ vermerkt. Unter Alpenkalk verstand die damalige Geologie die verschiedensten Ablagerungen der Alpen im Mesozoikum. Das Mesozoikum bzw. Erdmittelalter begann vor rund 252 Millionen Jahren und endete vor rund 66 Millionen Jahren, es wird in Trias, Jura und Kreide unterteilt.
Diese geologische Zeitskala zeigt die einzelnen Abschnitte in der Entstehung der Erde. Sie überspannt einen Zeitraum von über vier Milliarden Jahren. Die erste, für unsere Region relevante Ära ist das Erdmittelalter (das Mesozoikum) mit den Perioden Trias, Jura und Kreide. Das Erdmittelalter begann vor ca. 252 Millionen Jahren und dauerte bis vor ca. 66 Millionen Jahren.
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In einer Ergänzung 1852 erwähnte Cžjžek auch die roten bis grünen Hornsteine im „Malmkalk“ (damalige Bezeichnung für den weißen Kalk der Oberen Jura) bei St. Veit unweit der St. Veiter Einsiedelei (= Gemeindeberg).
Weitere Namen auf dem Erkenntnisweg der örtlichen Geologie sind Hauer (1850 und 1853), Peter (1854), Paul (1859), Stur (1860), Karrer (1867) und Griesbach (1868). Nach einer Zeit geringeren Interesses an den Juraklippen der Wiener Umgebung brachte die immer intensiver werdende Durchforschung der Alpen und auch des Wiener Beckens eine beträchtliche Zahl an Studien, die auch die St. Veiter Klippenserie betrafen: Neumayr (1886), Uhlig (1890 und 1907), Keller (1891), wieder Stur (1894, 1899), Hochstetter (1897), Toula (1897), Schaffer (1904, 1906 und 1927), Spitz (1910), Kober (1912 und 1926), Schlesinger (1919 und 1921), Götzinger (1920), Amon (1927) und Scheurlen (1928).
Diese Namen auf der einschlägigen Literaturliste werden nur wenigen Experten vertraut sein. Ihre – sicher nicht vollständige – Aufzählung an dieser Stelle soll zeigen, dass das mittlerweile umfangreiche Wissen über die regionale Geologie sehr viele Quellen hat und darin die Erkenntnisse aus zahlreichen Aufschließungsstellen (Steinbrüche, Brunnen, Baugruben, gezielte Grabungen) zusammengefasst sind. Auf diese Arbeiten konnte auch der ab 1904 publizierende Dr. Friedrich Trauth, von 1936 bis 1948 Direktor der Geologisch-Paläontologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien, aufbauen. Er wird als bester Erforscher der geologischen Geschichte des Lainzer Tiergartens und seiner Umgebung gesehen. Sein Hauptwerk zu diesem Thema: „Geologie der Klippenregion von Ober-St. Veit und des Lainzer Tiergartens“ aus dem Jahr 1928 ist bis heute maßgeblich.
Mit dem Mesozoikum beginnen also die für die Entstehung unserer Landschaft relevanten Erdzeitalter. Damals entstand das Material unseres Bodens aus meist organischen Ablagerungen am Meeresboden. Weitere Schichten aus den unterschiedlichsten Zerfalls- und Verwitterungsprodukten legten sich darüber, waren den unterschiedlichsten tektonischen Bewegungen ausgesetzt, wurden übereinander und ineinander geschoben und vielfach zerrissen. Letztendlich bildeten die Ablagerungen des Wienflusses und seiner Zubringer im jüngsten Erdzeitalter, dem bis heute währenden Holozän, die weiten Ebenen zwischen den Hügeln. Dazu gehört auch das für Hietzing wesentliche Veitinger Feld.
In unserem Boden, der vor allem aus dem Flysch des Wienerwaldes (Sedimente meist aus Ton- und Sandsteinen) und den schottrigen Ablagerungen jüngerer Zeit besteht, ist demnach vom massiven Kalkstein bis zum feinsten Ton alles zu finden. Auf diese Materialvielfalt kann hier nicht näher eingegangen werden. Einen Eindruck gibt der auf der folgenden Seite abgebildete Ausschnitt aus einer Detailkarte für das Ober St. Veiter Klippengebiet.
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Hietzing im Erdmittelalter
– Land unter
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Ausschnitt aus der Detailkarte des Klippengebiets von Ober St. Veit. Nach Aufnahmen von F. Trauth, H. Küpper und R. Janoschek, entworfen von R. Janoschek, gezeichnet von E. Slama.
In: Mitteilungen der Geologischen Gesellschaft in Wien,
47. Band 1854
Dieses Material formt allerdings nicht nur unsere Landschaft, sondern ist auch von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung und wurde je nach Bedarf und Vorkommen unterschiedlich genutzt. An den markanten Erhebungen St. Veits, wo die älteren, härteren Gesteine durch die jüngeren Schichten, eben den Wienerwald-Flysch, an die Oberfläche dringen (= St. Veiter Klippen), wurden sie in Steinbrüchen abgebaut. Zu nennen ist vor allem der Glasauer Steinbruch am Südhang des Girzenberges, in dem Mergel und Mergelkalke gewonnen wurden. Der Glasauer Steinbruch erwies sich dabei auch als die meistzitierte Fundstelle von Ammoniten. Fossilien sind ja ein wesentlicher Anhaltspunkt in der Bestimmung der Art und des Alters der Gesteine. Am Gemeindeberg, an der Stelle des Faniteums, wurde Quarzsandstein für den Straßenbau gewonnen. Zu nennen sind auch der Steinbruch nördlich des Hietzinger Friedhofs, der für die Fundamente des Schlosses Schönbrunn Verwendung gefunden haben soll und die Steine des Tiergartens, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts zum Bau der Tiergartenmauer verwendet wurden. Im flachen Veitinger Feld gab es Tonvorkommen, die für die einst dort angesiedelte Ziegelbrennerei nutzbar waren. Auch der Wienfluss war ein ergiebiger Lieferant: Der Abbau seines Schotters, der vor allem für den Straßenbau Verwendung fand, führte an manchen Stellen schon sehr früh zu künstlichen Eintiefungen.
Im Zusammenhang mit der in der Folge thematisierten steinzeitlichen Siedlungstätigkeit ist aber ein – schon 1852 von Cžjžek
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Die geologischen Schichten gemäß geologischer Karte der Bundesanstalt für Geologie.
Blau gefärbt sind die zutage tretenden St. Veiter Klippen aus dem Jura und hellblau gefärbt sind die Materialablagerungen des Wienflusses und des Lainzerbaches. Sie sind die vor allem auf das Holozän zurückgehenden jüngste Schicht und damit der letzte wesentliche Schritt in der Entstehung der Ebene zwischen Alt-Hietzing und St. Veit. Schon diese vereinfachende geologische Karte zeigt weitere Gesteinsschichten, deren Besprechung hier zu weit führen würde. Die Erdkräfte vermischten die aus den verschiedensten Perioden stammenden Gesteinsschichten bis zur Undefinierbarkeit.
erwähntes – Gestein besonders wichtig: der Kalk aus dem Jura, weil er auch Hornsteine mitführte. Diese entstehen bei der Verdrängung des Kalziumkarbonates durch Siliziumdioxid, also durch Verkieselung des Kalks. Hornsteine waren ein wesentlicher Rohstoff der Steinzeit, weil sie sehr hart sind und muschelförmig brechen. Damit konnten aus ihnen die verschiedensten scharfkantigen Werkzeuge erzeugt werden. Der in unserer Region dominierende Hornstein wird Radiolarit genannt, weil seine Entstehung auf die Ablagerungen der Strahlentierchen (= Radiolarien) mit ihrem kieseligen Skelett zurückgeht.
Die Nutzung des Radiolarit erfolgte nach heutigen Erkenntnissen in unserem Raum über einen Zeitraum von mindestens 20.000 Jahren. Die frühe Verwendung im Paläolithikum (Altsteinzeit) beweisen die Funde in der Titlgasse. Der bergbaumäßige Abbau von Radiolarit fand aber erst ab dem Neolithikum bis in die Bronzezeit statt. Zu dieser Phase kommt die Forschung – wie weiter unten dargelegt wird – erst in jüngster Zeit zu hochinteressanten Ergebnissen, insbesondere im Bereich der St. Veiter Klippen.
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Nirgends in unserer Region treten die Kalksedimentschichten so schön zutage wie im Steinbruch Rosental.
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Das Holozän, populärwissenschaftlich auch Nacheiszeitalter genannt, ist der bis heute andauernde Teil der jüngsten Ära der Erdgeschichte, der Erdneuzeit (Känozoikum). Das Holozän begann vor 11.700 Jahren, zur Zeit eines bereits sehr fortgeschrittenen steinzeitlichen Menschen, der relativ kurz vor seiner ersten Revolution stand, der „neolithischen Revolution“. Das ist der Übergang von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaftsweise, also zu Viehhaltung und Ackerbau. Die Urgeschichte des Menschen definiert sich – wie schon eingangs angeführt – vor allem durch das Fehlen schriftlicher Aufzeichnungen und der Archäologie als einzige Erkenntnisquelle. Archäologische Erkenntnisse gewinnt man in erster Linie durch Ausgrabungen. Die Grafik auf der rechten Buchseite zeigt die wichtigsten Ausgrabungsstätten in der Region, von der Altsteinzeit bis in die Zeit der Einwanderung der Awaren und Slawen. Die meisten Fundstellen liegen außerhalb der historischen Ortskerne, was an den besseren archäologischen Möglichkeiten im unverbauten Gebiet, aber auch an den Zerstörungen späterer Bauperioden liegen kann.
Dass es schon in der Altsteinzeit menschliche Aktivitäten auf Hietzinger Gebiet gab, belegen Funde bei einem Haus in der Titlgasse. 1969 wurde dort Reste eines Mammutstoßzahnes sowie Abschlagmaterialien von Steinwerkzeugen entdeckt. Diese Zeugnisse aus der Zeit zwischen 25.000 v. Chr. und 20.000 v. Chr.
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Die Archäologie beschäftigt sich mit der Erforschung
alter Kulturen, und zwar vor allem mit der Steinzeit
und den Metallzeiten, der Antike und dem Mittelalter
bis zum regional sehr unterschiedlichen Auftreten
von Schriftzeugnissen.
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Aus Hornstein geschlagener Faustkeil, fotografiert am
14. Jänner 2013 im Naturhistorischen Museum Wien
Archäologische Fundstellen in einem Plan unbekannten Datums aus dem Bezirksmuseum Hietzing (ist zu aktualisieren). Der ideale Zeitpunkt, um für die Hietzinger Geschichte von der erdgeschichtlichen Zeitskala auf die urgeschichtliche zu wechseln, ist die Jungsteinzeit (das Neolithikum). In Mitteleuropa beginnt die Jungsteinzeit mit der Bandkeramik zwischen etwa 5.600 und 4.900 v. Chr.
sind der älteste urgeschichtliche Besiedelungsnachweis im Wiener Raum. Wenige Funde sind der Mittelsteinzeit zuzuordnen. Zahlreicher sind die Funde aus der Jungsteinzeit: Sie sind vom Schönbrunner-, Girzen-, Gemeinde- und Nikolaiberg sowie vom Roten Berg, in den Bereichen der Wenzgasse und der Auhofstraße 221 bekannt.
Das steinzeitliche Interesse an der Region liegt an den bereits erwähnten Juraklippen. Oder genauer gesagt, an den Hornsteinen bzw. spezieller den Radiolariten, die im Kalk dieser Klippen eingeschlossen sind. Das sind kieselsäurehaltige Gesteine, d.h. Silizite (SiO2), von großer Härte und muschelförmigem Bruch. Daraus konnten verschiedene Werkzeuge geschlagen werden. Das Paradebeispiel ist der Faustkeil, die Hornsteine konnten aber auch zu Werkzeugen wie Beilen, Klingen, Bohrern oder Schabern verarbeitet werden. Die Farbe variiert je nach Pigmentanteil zwischen rötlich, grünlich, bräunlich und schwarz.
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Zahlreiche Fundorte belegen eine sehr weitläufige Besiedelung der das Wiental begleitenden Hangbereiche. Sie reichen von Meidling über Schönbrunn bis zu den St. Veiter Klippenbergen und darüber hinaus.
Der Höchste von ihnen, der 320 Meter hohe Gemeindeberg, bot abgesehen von der Nähe des Hornsteines auch sonst ideale Voraussetzungen für eine steinzeitliche Siedlung. Seine steil abfallenden Hänge machten ihn zu einem idealen Verteidigungspunkt, der wildreiche Wald, die Quelle im Südosten und die Gewässer in den Niederungen boten eine ausreichende Versorgung. Es gab Lehm für den Mauerbau und zur Geschirrerzeugung, Sandstein als Reib- und Klopfsteine.
Allerdings war der Hornstein nach der Einschätzung eines frühen Archäologen sehr brüchig und für eine Verarbeitung nur schlecht geeignet. Die Mangelhaftigkeit der hier erzeugten Artefakte wurde jedenfalls nicht auf die fehlende Kunstfertigkeit der Handwerker zurückgeführt, sondern auf das widerspenstige Material, das die Vollendung einer bestimmten gewünschten Form nicht gestattete. Spätere Archäologen jedoch nannten den hier gefundenen Stein vorzüglich.
Mehreren Quellen zufolge wurde bereits in den 1880er-Jahren von der Existenz einer jungsteinzeitlichen Siedlung am Gemeindeberg ausgegangen. Mit damals erfolgten nicht wissenschaftlichen Grabungen wird der Historienmaler Ignaz Spöttl in Zusammenhang gebracht. Der Erste, der den Vermutungen nach einer prähistorischen Ansiedlung am Gemeindeberg in Ober St. Veit in wissenschaftlicher Weise nachging, war der Maler und Anthropologe Ludwig Hans Fischer. Er tat es im Auftrag der Anthropologischen Gesellschaft. Es waren die hier vorkommenden Jaspise (so bezeichnete Fischer die hier auffindbaren Hornsteine)
Diese Bildtafel zum 1898 gedruckten Beitrag Ludwig Hans Fischers über die neolithische Ansiedelung am Gemeindeberg zeigt einige im Rahmen der Ausgrabung geborgene Gefäße und Scherben aus Ton.
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Einige der Exponate wie der in der Bildtafel oben als Fig. 25 dargestellte kesselförmige Topf mit Henkeln sind im Naturhistorischen Museum ausgestellt. Der Topf wird der Badener Kultur im Zeitraum zwischen etwa 3.500 und 2.800 v. Chr. zugerechnet. Fotografiert am 14. Jänner 2013
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und die Formation der Hügel, die ihn eine prähistorische Ansiedelung an dieser Stelle vermuten ließen. Bald wurde seine Annahme durch den Fund von zahlreichen Topfscherben bestätigt. Es war die erste prähistorische Ansiedelung, die auf Wiener Boden entdeckt wurde. Die Studien, die er über seine Funde erstellte, auch diejenige aus dem Jahr 1898 über die Grabung am Gemeindeberg, galten lange Zeit als grundlegende Publikationen.
Die relevante Nordseite des Berges, der heute vollkommen bewaldet ist, war zur Zeit der frühesten Grabungen nur teilweise von Buschwerk und Bäumen bewachsen. Noch früher gab es dort auch Weingärten. Der vorgefundene Siedlungsbereich erstreckte sich nicht weit unterhalb der Spitze beginnend in der Breite des gesamten Nordhanges etwa 200 Schritte hinab. Hier standen zahlreichen Hütten auf eigens dafür geschaffenen Plattformen. Ihre Wände bestanden aus mit Lehm verstrichenen Holzstangen. Die Länge der Wände betrug 4–5 Meter. Die Feuerstellen waren unmittelbar neben der Hütten. In solchen rechtwinkeligen Hüttenräumen waren die meisten Artefakte zu finden und zuweilen lagen solche Massen an Tonscherben beisammen, dass sie wieder ganz oder teilweise zusammengesetzt werden konnten. Wegen des hart gebrannten Wandbewurfes und verbrannter Artefakte musste angenommen werden, dass diese Häuser oder Hütten durch Feuer zerstört worden waren.
Die große Ansammlung an Knochen ermöglichte es, näheres über den Speisezettel der vor rd. 5000 Jahren hier lebenden Menschen zu erfahren: Sie jagten Hirsch und Reh, hielten Schafe, Ziegen, Schweine und Hunde. Es wurden auch Fisch- und Muschelreste gefunden. An Pflanzen waren nur Getreidekörner (Gerste) und verkohlte Kerne der Kornelkirsche (Dirndl) nachzuweisen.
Die ergrabenen Gegenstände gingen an das Naturhistorische Museum, an das Museum der Stadt Wien (Wienmuseum) und an die Universität Wien.
Die ergiebigen Funde am Gemeindeberg und deren hohe Bedeutung für die Erforschung der Wiener Vorgeschichte hielten das Interesse an diesbezüglichen Grabungen hoch. Als nächster grub hier Jaroslav Czech von Czechenherz, finanziert mit einer Subvention der Gemeinde Wien. 1920 bis 1923 forschten der Fachlehrer Josef Fritz Kastner und sein Berufskollege Karl Moßler, leider überschattet von persönlichen Animositäten. 1924 wurde unter der Leitung von Dr. Josef Bayer, Direktor im Naturhistorischen Museum, eine, wie er es nannte, erste systematische Grabung auf Wiener Boden am Gemeindeberg durchgeführt. 1948/49 gab es ein Fortsetzung dieser Grabung, die jüngste Grabung fand in den 1960er-Jahren statt. Natürlich waren immer wieder private Funde bis hin zu illegalen Raubgrabungen festzustellen.
Wegen der großen Ausdehnung konnte niemals das gesamte Terrain aufgedeckt werden, sondern nur einzelne Bereiche mehr
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oder weniger gründlich erforscht werden. Dennoch waren die Ergebnisse auch dieser Grabungen außerordentlich reichhaltig. Gefunden wurden viele verzierte und unverzierte Gefäßbruchstücke, aus denen sich vollständige Stücke zusammenstellen ließen. Restaurierbare Amphoren lagen oft nur zerdrückt am Boden. Weiters Spinnwirtel, Spulen, Beile, Hämmer, Pfeilspitzen, auch Kernstücke unfertiger Gegenstände und Abschläge, Klopf-, Reib- und Mahlsteine, Pfriemen und Meißel aus Knochen. Insbesondere auf Grund der Gefäße können die Gegenstände zwei großen mitteleuropäischen Kulturen des Spätneolithikums bzw. der Kupferzeit (frühe Badener Kultur/Bolerázgruppe, 4. Jahrtausend und Jevišovice-Kultur, 3. Jahrtausend v. Chr.) zugeordnet werden.
In der Jungsteinzeit (Neolithikum) wurden die Menschen sesshaft, Tiere und Pflanzen wurden domestiziert und eben gebrannte Tongefäße verwendet. Es wurde aber auch die Metallverarbeitung entwickelt. Mit Ausnahme eines an beiden Enden zugespitzten Pfriemens aus Kupfer wurde aber am Gemeindeberg nichts Metallenes gefunden, das dieser Epoche zuordenbar wäre.
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Foto der Grabung
am Gemeindeberg
vom 29. April 1948. Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
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Schon im Rahmen früher Grabungen wurde wegen der zahlreichen Hornsteinfunde in der Region, wegen des jungsteinzeitlichen Dorfes am Gemeindeberg und wegen der dort geborgenen Artefakte aus Stein vermutet, dass es hier auch eine umfangreiche Werkzeugproduktion gegeben haben muss, die Waffen und Werkzeuge im Tauschhandel „exportierte“. In der Siedlung selbst wurden jedoch keine Hinweise auf eine größere Werkstätte dieser Art entdeckt. Eine der bis heute offenen Fragen betrifft daher die tatsächliche Herkunft des verwendeten Hornsteins. Weder am Gemeindeberg noch anderswo in Ober St. Veit wurden nämlich Belege eines bergwerksmäßigen Abbaus des Gesteins gefunden. Eine nicht eindeutige Ausnahme bildet die Steinschlägereien am Flohberg zwischen Gobergasse und Steinhardtgasse und dessen Umgebung, wo eine gewaltige Fülle an dort verarbeiteten Hornsteinen in erstaunlicher Farbenpracht (rot, gelb, blau, grün, violett in allen möglichen Farbenkombinationen) gefunden und auch eine Tagbau vermutet worden war. Dollinger/Wenty berichteten darüber im Jahr 1962.
Drei Beispiele der Funde aus dem Tagbau beim Flohberg:
1) Hellgelber Klopfstein (Quarzit, Donaugeröll);
2) Langovaler Schaber, dunkelgrau, dreiflächig, sorgfältige Endretusche mit rechtsseitiger Spitze;
3) Gefäßbruchstück mit feinsten Sandkörnchen gemagert. Zier: rundlicher Knopf.
© Sammlung Gerhard Trnka
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Weitere Hornsteinfunde vom Flohberg
Dollinger, Erhard; Wenty, Karl in: Österreichischer Berg- und Hütten-Kalender. Wien: Montan-Verlag, 1962
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Das hier und am Gemeindeberg verwendete Material kann aber auch von außerhalb geholt worden sein, vielleicht aus dem Lainzer Tiergarten. Dort besichtigten im Jahr 2015 Archäologen in einer Kooperation zwischen OREA/ÖAW und der Stadtarchäologie Wien altbekannte Fundstellen und im Zuge von Begehungen in den folgenden Jahren wurden weitere Fundstellen (bis dato insgesamt 15) entdeckt. Eine Grabung wurde aber wegen der Vielzahl ehemaliger Steinbrüche (Tiergartenmauer) unterlassen.
Wirklich bekannt ist im Wiener Raum nur das neolithisch-frühkupferzeitliche „Hornsteinbergwerk“ auf der Antonshöhe in Wien-Mauer (5. Jahrtausend v. Chr.), gerne auch als „Österreichs ältestes Industriedenkmal“ bezeichnet. Aufgrund der geologischen Bedingungen ist aber abzusehen, dass dies nicht die einzige Stelle sein kann, an welcher in prähistorischen Zeiten in unserem Raum Hornstein und vor allem die spezielle Hornstein-Varietät Radiolarit abgebaut wurde.
Ein erster Erfolg zu dieser Frage stellte sich im Jahr 2018 ein. Im Zuge der Verbreiterung eines Waldweges im Rahmen von Waldarbeiten auf dem Gemeindeberg wurde im Jahr 2017 auch ein gewachsener Abschnitt verwitterten Kalkgesteins freigelegt, und zwar nordwestlich der bisherigen Ausgrabungsstätten. Zwei zufällig vorbeikommenden Archäologen fiel auf, dass der gewachsene Stein an einer Stelle künstlich durchbrochen und später mit anderem Material wieder verschüttet worden war. Doch wer sollte sich die Mühe gemacht haben, eine Grube in den Stein zu schlagen? Angesichts des prähistorisch reichen Bodens war ein Hornsteinbergwerk naheliegend.
Dies fügte sich gut in ein seit 2016 unter dem Titel „BergbauLandschaftWien“ (BLW) laufendes Projekt, das sich der Erforschung der neolithischen Silizit-Abbaustellen in und um Wien widmet. Im Rahmen des Projektes fanden nach langen Vorarbeiten Geländearbeiten in Form von Erkundungen und punktuellen Grabungen statt, bis hin zu einer Kartierung der prähistorischen Landschaft, die sowohl die Bergbaubefunde als auch die Siedlungslandschaft miteinbezieht.
Speziell für die Prospektion am Gemeindeberg formierte sich aus diesem Interessentenkreis ein Team aus Archäologen und Geologen, um diese Vermutung einer Bergbautätigkeit im Rahmen einer zeitlich und räumlich begrenzten Grabung zu überprüfen. Nach einem mühsamen Behördenmarathon, dem sich auch die Stadtarchäologie unterziehen muss, war es im Mai 2018 soweit: Ein interdisziplinäres Team aus Mitarbeitern von Stadtarchäologie, dem Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie der Uni Wien und dem Institut OREA von der Akademie der Wissenschaften (dessen Mitarbeiter Dr. Michael Brandl leitete auch die Grabung) deckte die Stelle in einer Größe von rd. vier Quadratmetern auf.
Bald stieß man auf eine Lage rötlichbraunen Radiolarits, allerdings war diese unangetastet geblieben und ihr entlang weiter
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Siehe zu diesem Kapitel insbesondere:
Schmitsberger, Oliver;
Brandl, Michael;
Penz, Martin: Neu entdeckte Radiolaritabbaue
in Wien. Bedeutung und Nutzung
der St. Veiter Klippenzone
im Neolithikum
in: Archaeologia Austriaca, Band 103/2019, 163–174
© 2019 by Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
und die darin enthaltenen reichlichen Literaturhinweise.
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Archäologische Prominenz am Gemeindeberg.
Univ. Prof. Dr. Gerhard Trnka vom Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie an der Uni Wien (ganz rechts),
Mag. Martin Penz von der Stadtarchäologie (dritter von links) und Dr. Michael Brandl von der OREA/ÖAW (dritter von rechts) sowie weitere Mitarbeiter am 30. Mai 2018.
in den Stein gegraben worden. Offensichtlich war der gefundene Hornstein von nicht ausreichender Qualität, und die steinzeitlichen Bergleute hofften auf besseres Material weiter unten. Der Hauptzweck, nämlich der Nachweis bergbaulicher Tätigkeit am Gemeindeberg, war allerdings erfüllt, und Ende Mai wurde die Grabung beendet. Wie tief die steinzeitliche Grabung ging, welche Methoden verwendet wurden (verwendetes Werkzeug, Materiallockerung durch Feuer etc.) und welche Qualität weiter unten zu finden ist, muss einer späteren Grabung vorbehalten bleiben.
Ein interessantes Ergebnis brachten erste 14C-Datierungen, die ein Objekt dem Mittelneolithikum (in Mitteleuropa zwischen 5000 und 4500/4300 v. Chr.) zuordneten. Das passt zwar zu dem regelrechten „Bergbau-Boom“, der damals in der Sankt Veiter Klippenregion geherrscht haben dürfte, es passt aber weniger zur Siedlung am Gemeindeberg, deren älteste Datierungen etwa 1000 Jahre später beginnen.
Die Dimensionen der bisher unterschätzen neolithischen Radiolaritgewinnung wurde durch eine neuerliche Grabung im Oktober 2019 bekräftigt. Im Umfeld der Grabung des Jahres 2018 wurde die südliche Kante des Forstweges in beiden Richtungen über etwa 100 Meter freigelegt und an fast allen Stellen Abschläge und Kerne (Nuclei) gefunden.
Obwohl die diesbezüglichen Forschungen nach wie vor erst am Anfang stehen, gilt es als gesichert, dass hier ein prähistorisches Bergbaugebiet von europäischem Rang vorliegt. Die Anfänge des Wiener Radiolarit-Bergbaus dürften spätestens im Altneolithikum (Linearbandkeramik) gelegen haben, eine Blütezeit scheint er im Mittelneolithikum (Lengyelkultur) erlebt zu ha
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ben. Eine offenbar intensive spätneolithische „Nachnutzung“ ist ebenfalls belegt.
Die Ausdehnung des Bergbaugebiets reicht vom Gütenbachtal im Südwesten bis zum Komplex Roter Berg/Girzenberg/Trazerberg im Nordosten und verfügt über seitliche „Ausreißer“ wie Antonshöhe und Baunzen. Das entspricht einem (Kern-)Gebiet von etwa 5,5 Quadratkilometern. Dabei sind jedoch die eigentlichen Abbaustellen nicht isoliert zu sehen, sondern inklusive umgebender regulärer Siedlungen, (temporärer) Spezialsiedlungen und „Sondernutzungsstellen“. Insgesamt handelt es sich um eine infrastrukturelle Bergbauumgebung für Produktion und Distribution, dessen sozioökonomische Dimension erst zu erfassen ist.
Das war der Endstand der Grabung 2018.
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Ein Nucleus (Kern eines Abschlages) im Großformat. Schön sind die Negative der von ihm getätigten Abschläge zu erkennen. Der grüne Farbton ist genauso wie der rötliche typisch für die hier gefundenen Radiolarite.
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Aus der Bronzezeit und der Eisenzeit gibt es nur wenige archäologische Fundstellen. Die Eisenzeit beginnt in unserem Raum um 800 v. Chr. mit der Hallstatt-Kultur und endet mit dem Auslaufen der La-Téne-kultur. Wir wissen von einer Nord-Südverbindung durch unsere Region, die vielleicht schon zu dieser Zeit bestanden hatte. Wegen des versumpften Lainzerbach-Tales führte sie den Osthang des Roten Berges entlang über den Lainzer Sattel. Zwischen Veitingergasse und Tolstojgasse fand man einige Gräber mit Beigaben aus der Eisenzeit, u. a. ein 75 cm langes Schwert.
Die Kelten – ein Sammelbegriff für eine Vielzahl mittel- und westeuropäischer Völker – sind ab dem fünften Jahrhundert vor Christus schriftlich nachweisbar. Griechische Geschichtsschreiber verorteten damals den Siedlungsraum der Kelten im Westen Europas. Massive Wanderbewegungen führten sie dann auch quer durch Mitteleuropa.
Etwa 200 v. Chr. wurde mit dem keltischen Königreich das erste Staatsgebilde auf österreichischem Boden gegründet. Der bedeutendste unter den in diesem Königreich zusammengeschlossenen keltischen Stämmen waren die Noriker, sie gaben dem Reich seinen Namen: Königreich Noricum. Der unter anderem auch im Wiener Raum lebende keltische Stamm wird als Boier bezeichnet. Dieser Name soll in den Gebietsnamen Böhmen und Bayern mitschwingen.
Die Beziehungen zwischen dem Königreich und den Römern waren zunächst friedlich, führten zu guten Handelsbeziehungen und einer wirtschaftlichen Blüte Noricums. Dass auch der Wiener Raum zum norischen Gebiet zählte, erfahren wir durch den Historiker Velleius Paterculus der um Christi Geburt einen keltischen Zentralort „Carnunto, qui locus regni Norici“ (Carnuntum, im Königreich Noricum gelegen) erwähnte.
Die hier lebenden keltischen Ureinwohner hatten eine beachtliche kulturelle Vergangenheit und „Gesittungshöhe“. Sie kultivierten den Boden, verstanden sich auf die Viehzucht. Im Gegensatz zu den alten Germanen, die keinen inneren Trieb zur Städtegründung hatten, verfügten die Kelten Noricums schon über größere Ortschaften, in denen es auch Gewerbe gab. Diese Kelten sollen für die Errungenschaften der römischen Kultur sehr aufgeschlossen gewesen sein. Der Handel florierte, es kamen viele Einwanderer vornehmlich aus Oberitalien. Die Bewohner des Königreiches Noricum nahmen allmählich die Sprache der Römer an und begannen, sich als Angehörige des Römerreiches zu betrachten.
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Im Wiener Stadtgebiet gibt es viele Streufunde mit keltischem Bezug. Reiche Funde wurden im Lainzer Tiergarten zwischen Laaber und altem Dianator entdeckt, dort allerdings nicht nur zu den Kelten, sondern auch zur späteren awarischen und römischen Besiedelung. Eine an dieser Stelle reichlich fließende Quelle hatte wahrscheinlich immer wieder Jäger und Siedler angezogen, heute versorgt sie den Ort Laab im Walde.
Mit der römischen Besetzung und Einverleibung des Gebietes im Rahmen des Alpenfeldzuges von Kaiser Augustus um 15 v. Chr. endet die Urgeschichte Niederösterreichs. Den römischen Schriften verdanken wir auch Hinweise zur vorrömischen Besiedelung. Die Bedeutendste dieser frühen Quellen ist die Schrift über das Leben des heiligen Severin, die dessen Schüler Eugippius im Jahre 511 n. Chr. verfasste. Diese Schrift gilt überhaupt als eine der bedeutendsten Frühquellen für die Geschichte und Kulturgeschichte Österreichs.
Der heilige Severin verbrachte eine lange Zeit im Donauraum, und zwar bis zu seinem Tod im Jahr 482. In diesen letzten Jahrzehnten des fünften Jahrhunderts löste sich die Römerherrschaft in den Alpenländern infolge des Vordringens der Germanen auf. Der heilige Severin hatte seinen Sitz in Mautern (Favianis), sein Einflussbereich reichte bis Passau (Batavis). Die Germanen, die Eugippius stets als „barbari“ (Ausländer, Barbaren) bezeichnete, waren anfangs auf vereinzelten Plünderzügen ins Land gekommen, dann überschwemmten sie es und vernichteten einen Großteil der römischen Einrichtungen und Lebensweise. Von dieser Zeit der nordischen Besitznahme an fehlt wieder für Jahrhunderte jegliche geschichtliche Aufzeichnung.
Was den religiösen Glauben der Einheimischen betrifft, so gefährdete er die römischen Einrichtungen in keiner Weise und manche altnorische Gottheit erfuhr freundliche Aufnahme in den heidnischen Kult der Römer. Aus römischen Schriften erfahren wir von der Landesgöttin Noreja, dem Sonnengott Belenus (später als Apollo verehrt), von einem Kriegsgott Tutates, vom Frühlingsgott Marmogius, von der Ackerbaugöttin Sirona und von der Beschützerin der Pferde und Maultiere Epona.
Die Ausbreitung des Christentums in Italien blieb natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die Provinzen, die christlichen Märtyrer beeindruckten auch dort. Im Rahmen des Regenwunders vom 22. Juni 172 n. Chr. (ein Gewitter rettete römische Soldaten vor dem Verdursten) wurde das erste Auftreten von Christen im österreichischen Raum bezeugt. Norische Bischöfe wurden ab der Mitte des vierten Jahrhunderts genannt. Die Heidenbekehrung erstarkte dann auch in Noricum und als Severin in Ufernoricum zu wirken begann, gab es hier bereits ein verwurzeltes christliches Kirchenleben mit Klöstern, Kirchen und Klausen.
Stichwort Ufernoricum: Die Provinz Noricum war mittlerweile zweigeteilt, nördlich des binnenländischen Norikums (Noricum mediterraneum) lag nun Ufernoricum (Noricum ripense) mit den
Vindobona als Legionslager entstand um 50 n. Chr. Zur Namensherkunft gibt es bloß Vermutungen, eine davon ist ein in der nähe gelegener keltischer Hof. Abgeleitet wird der Name aus dem Keltischen mit den beiden Gliedern „vindo-“ für „weiß“ und „-bona“ für „Quelle, Fluss“ etc. oder „Siedlung/Dorf“. Die Zusammensetzung der beiden Teile bleibt der jeweiligen Vorliebe überlassen. Vindo könnte auch eine Name gewesen sein.
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Eine der frühesten schriftlichen Quellen zu unserer Region:
Das Leben des heiligen Severin von Eugippius, übersetzt und erläutert von Dr. Mauriz Schuster, Wien: Verlag der Ringbuchhandlung 1946.
Die Erläuterungen von Mauritz Schuster beinhalten auch Hinweise zur vorrömischen Besiedelung.
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südlich der Donau gelegenen Landstrichen Nieder- und Oberösterreichs, also inklusive unserer Region, aber ohne Vindobona als westlichster Legionsstandort Pannoniens.
Die Entwicklung der neuen Provinzen diente vor allem der Sicherung des Reiches gegen Norden, dem waren die vorzüglichen Straßen zur raschen Truppenverlegung zu verdanken. Damit nicht genug wurde eine große Verteidigungslinie südlich der Donau (der Limes) angelegt. Dieser Limes bzw. die an ihm angelegten oder bereits existierenden Legionslager wie Vindobona waren es wohl, die weitere römische Soldaten und Zivilbevölkerung auch in unsere engere Region brachten, auch in den Wienerwald hinein und den Wienfluss hinauf.
Dementsprechend gibt es eine ganze Reihe von interessanten Fundplätzen in unserem Raum. Sie weisen auf einen Besiedlungsschwerpunkt im 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. hin:
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Archäologische Fundplätze aus der Römerzeit im Bereich Roter Berg / Küniglberg. Dieser Plan wurde aus Anlass des Fundes einer Bronzelampe erstellt (Planbearbeitung: S. Uhlirz / Ch. Öllerer).
Aus: Öllerer, Christoph: Eine römische Bronzelampe aus Wien-Hietzing und die kaiserzeitliche Besiedlung westlich des Legionslagers von Vindobona. In: Fundort Wien – Berichte zur Archäologie 23/2020, Seite 46ff
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Darüber hinaus stieß man auf viele Kleinfunde und einen Dachziegel mit dem Stempel der X. Legion.
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Römischer Dachziegel im Bezirksmuseum Hietzing
Die römischen Schriften, auch die des Eugippius betreffen jedoch Orte wie Mautern, Tulln und Vindobona etc. oder überregionale Räumlichkeiten. Sie sagen nichts zu Ereignissen auf dem Boden des heutigen Bezirkes Hietzing. Mit einer Ausnahme: Ein bei der Wienflussregulierung ausgegrabener Altarstein aus dem Jahr 268 n. Chr. Heute steht er im Römermuseum am Hohen Markt. Das Interessante ist die Inschrift auf seiner Vorderseite. Die Bedeutung dieser Inschrift wurde von den Archäologen seit seiner Auffindung im Jahr 1899 kontroversiell interpretiert, auch darüber könnte man ein gesondertes Buch schreiben. Wir interessieren uns nur für ein, in diesen Stein gemeißeltes Wort: Acaunus. Es ist noch gut sichtbar und so ziemlich das einzige von Beginn an Unbestrittene an der Inschrift. Es handelt sich um die damalige Bezeichnung des Wienflusses. Oder besser gesagt, um den Namen einer regionalen Wassergottheit, die man im Wienfluss personifiziert sah. Unbestritten ist auch, dass es sich bei diesem Acaunus um die ca. 1750 Jahre alte Erstnennung des Wienflusses handelt, und damit ist es auch die älteste Schrift, die man mit unserer Region in Zusammenhang bringen kann, zumindest insofern, als wir jetzt wissen, dass die Römer „unseren Fluss“ Acaunus nannten.
Die an der Donau lebende, nunmehr stark romanisierte Mischbevölkerung – ursprünglich lebte hier der keltische Stamm der Boier – fühlte sich den sie bedrängenden germanischen Barbaren gegenüber in ihrer Bildung gewaltig überlegen, waren ihnen aber schließlich unterlegen. Ihr Schicksal war mit der Donaubefestigung eng verknüpft, doch wurde sie schon ab 166 n.
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Ich zeige auf den Römerstein, fotografiert im Römermuseum am Hohen Markt am 9. Juli 2013
Der Ausschnitt des Römersteins mit den noch erkennbaren Buchstaben für Acaun(us). Gelb punktiert habe ich sie auf dem Foto nach oben versetzt nachgezeichnet.
Chr. immer wieder durch Markomannen, Quaden, Vandalen etc. überschritten.
Anfang des fünften Jahrhunderts intensivierten sich die Angriffe. Mit dem Tod Attilas im Jahr 453 verstärkte sich die feindliche Bedrängung weiter, bis die Rugier das niederösterreichische Donauland unter ihre Herrschaft brachten, mit Stein als ihrem Zentrum. Die Rugier waren ein ostgermanischer Stamm, von dessen Plünderungszügen Eugippius reichlich berichtet. Noch schlimmer erging es den Bewohnern weiter westlich, die fast ständigen Übergriffen plündernder Germanenstämme (Alamannen, Thüringer, Heruler) ausgesetzt waren. Severin organisierte daraufhin die Abwanderung der betroffenen romanischen Bevölkerungsgruppe in die letzte verbliebene römische Enklave um Favianis (Mautern). Seine Verhandlungen erreichten, dass sie dort unter einem gewissen Schutz durch die Rugier noch relativ unbehelligt leben konnten.
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Die überragende Persönlichkeit Severins, der als schlichter Mönch ohne kirchliches Amt als eigentliches Oberhaupt der Kirche Ufernorikums galt, dürfte sich somit beruhigend ausgewirkt haben. Sogar Germanenfürsten und Odoakar, ein weströmischer Offizier germanischer Herkunft und nach der Absetzung des Romulus Augustulus 476 „König von Italien“, suchten seinen Segen.
Im Jahr 488, wenige Jahre nach Severins Tod, zerstörte Odoakers Bruder Onoulf das Reich der Rugier in Noricum. Damals waren der Großteil der römischen Befestigungsanlagen Ufernoricums vernichtet und die restlichen ohne zureichende Mannschaften. Daher war das Gebiet trotz des Sieges Odoakars gegen die germanische Übermacht nicht zu halten und es fiel der Entschluss zur Räumung des nördlichen Grenzraumes. Damit sollte einer eventuellen neuen Reichsbildung die wirtschaftliche Grundlage entzogen werden. Welcher Teil der Bevölkerung zu der „überwiegenden Mehrheit“ gehörte, die das Land verlies bzw. evakuiert wurde, bleibt unklar. Die diesbezügliche Übersetzung aus Eugippius lautet weniger nüchtern:
„Zufolge einer Weisung seines Bruders (Anm.: König Odoakars) befahl nun Onoulf sämtlichen Römern, nach Italien abzuwandern. Da führte man denn die ganze Bevölkerung, wie aus dem Heim der ägyptischen Knechtschaft, aus diesem Gebiete fort, wo sie unter der täglichen Rohheit unaufhörlicher Plünderungen geschmachtet hatte, und sie sah die Prophezeiungen des heiligen Severin sich erfüllen... Mit uns zogen ... die ganzen Provinzbewohner, die nun die Ortschaften am Donaustrande verließen, nach verschiedenen Gegenden Italiens pilgerten und dort neue Heimstätten erhielten.“
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Gerhard Weissenbacher: Traum III
Kreide, Pastell, 2003/04, 52,2 cm x 72,2 cm
(Ausschnitt)
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Die Germanen fallen in Rom ein.
Heute wird der Begriff „Völkerwanderung“ zunehmend kritisiert, da es nicht „Völker“ waren, die umherzogen, sondern vielmehr Kriegerverbände mit heterogener und fließender Zusammensetzung auf der Suche nach Beute und Versorgung. Das ändert allerdings nichts an der ungebrochenen Verwendung dieses Begriffes.
Als originäre Ursache für diese Wanderbewegungen wird ein um 300 erfolgter Klimasturz in Innerasien gesehen, der die Weideflächen und Viehbestände der dort lebenden Nomadenvölker verringerte. Das scheint der Grund für die Abwanderung eines Teiles dieser Stämme nach Westen gewesen zu sein. Chinesische Quellen sprechen von den durch „Hun“, westliche Quellen von den durch Hunnen geführten altaischen Stämmen, die im südlichen Russland erschienen, das Ostgotenreich in der Ukraine zerstörten und damit die europäische Völkerwanderung auslösten.
Ein erster Hunneneinfall an der Donaugrenze wird für 375 n. Chr. notiert, bald darauf werden Gruppen von germanischen Völkern und Hunnen im wiennahen Pannonien angesiedelt. Vieles im vorhergehenden Abschnitt Beschriebene war eine Folge dieser Bewegungen. Doch ist vieles von erheblichen Unsicherheiten begleitet, mit unterschiedlichen Interpretationen des Geschehens als logische Folge. Darüber hinaus ist die Zahl der – oft nur für kurze Zeit relevanten – Stämme bzw. Völker verwirrend umfangreich. Hauptinformationsquelle ist nach wie vor die Archäologie, schriftliche Quellen setzen erst allmählich ein.
Es folgt eine konzise Darstellung der prominenteren auch in Niederösterreich auftretenden Volksstämme.
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Die Goten hatten sich – wie andere Völker auch – nach Attilas Tod 453 aus der Hunnenherrschaft befreit. Auf Basis eines Föderatenvertrages (Vertrag von Römern mit Nichtrömern) mit dem Weströmischen Reich siedelten sich Teile der Ostgoten unter den Königen Valamir, Thiudimir und Vidimir in Pannonien an. Von 455–471 waren sie Herren in einem Reich mit dem Land um Neusiedler- und den Plattensee als das Zentrum und der Drau als südliche Grenze. Diese Herrschaft umfasste wohl auch den Raum um Wien. Die Gegend weiter westlich blieb – wie im vorigen Kapitel beschrieben – unter der Herrschaft der Rugier mit dem Zentrum ihres Reiches um Stein.
Die Goten in Pannonien mussten sich der Angriffe verschiedener Stämme erwehren, unter anderem der Skiren, eines Stammes, der sich erst spät aus hunnischer Herrschaft gelöst hatte. Im Zuge der Auflösung des Skiren-Stammes zog Odoaker, der zum römischen Offizier gewordene älteste Sohn des Skirenfürsten Edika, mit einer Gefolgschaft von Skiren und Herulern nach Italien, wo er 476 das weströmische Kaisertum stürzte. Im Rahmen dieser Wanderbewegung hatte Odoaker den heiligen Severin in seinem Kloster in Mautern besucht.
Der Gotenkönig Thiudimir hatte einen Sohn der als Theoderich (der Große) eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der spätantiken Völkerwanderungszeit wurde. Nach seinem Sieg über Odoaker herrschte er in Italien und fungierte zeitweise auch als Herrscher des Westgotenreiches. Theoderich gilt als Gründer des Ostgotenreichs Italien im Jahr 493 und als historisches Vorbild für Dietrich von Bern („Theoderich von Verona“) in der germanisch-mittelalterlichen Heldendichtung.
Das Rugierreich war ja – wie ebenfalls aus dem vorherigen Kapitel hervorgeht – im Jahr 488 von Odoakers Bruder Onoulf zerstört und die römische Bevölkerung nach Italien geführt worden. Dieser teilweise entvölkerte Raum kam um das Jahr 500 unter die Hegemonie der Heruler. Sie könnten ein germanischer Stamm gewesen sein oder nur ein aus Mitgliedern mehrerer Stämme zusammengesetzter Heerhaufen. Ihre Herrschaft reichte vom ehemaligen Rugierland und dem Marchfeld bis nach Pannonien. Doch schon im Jahr 508 wurden sie von den Langobarden besiegt und verschwanden wieder.
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Siehe unter anderem:
Gutkas, Karl, Herausgeber: LandesChronik Niederösterreich. Wien: Verlag Christian Brandstätter 1990
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Für die Geschichte dieses Volkes stehen neben den archäologischen Funden auch frühmittelalterliche Schriftquellen zur Verfügung, etwa die „Historia Langobardorum“ des Paulus Diaconus (* zwischen 725 und 730, † wohl vor 800), die nach 770 entstand.
Im Jahr 505 übersetzte das Volk die Donau und nahm eine Ebene, die „Feld“ genannt wurde, in Besitz, das heutige Tullnerfeld. Dort machten sie sich die verbliebene romanische Bevölkerung Untertan und besiegten drei Jahre später die Heruler. Um 530 erreichten sie den Höhepunkt ihrer Macht. Seit 526 gibt es auch im Wiener Becken Gräber dieses Volkes.
Von den Gepiden bedrängt schlossen sie 567 mit den seit etwa 560 in Südrussland lebenden Awaren ein Bündnis. Im Fall eines Sieges sollten die Awaren das gesamte Siedlungsgebiet der Gepiden erhalten und dazu noch zehn Prozent des langobardischen Viehbestandes. Noch im gleichen Jahr wurden die Gepi
Völkerwanderungen zwischen dem 4. und 8. Jahrhundert (commons.wikimedia.org).
Die Forschungsergebnisse zu den in dieser Karte genannten „Völkern“ oder „Stämmen“, erfahren einen ständigen Wandel. Die ältere Forschung hatte eine biologische Abstammung der diversen Verbände vorausgesetzt. Heute werden sie nicht mehr als konstante Einheiten oder Abstammungsgemeinschaften gesehen, sondern als ständig wechselnde (Zweck-) Gemeinschaften unterschiedlicher Gruppen. Anschließend konnten sie eine eigene Identität auf Basis von Herkunftsgeschichten entwickeln. Beispielsweise wurden die Langobarden bei ihrem Zug nach Italien im Jahr 568 von Gepiden, Thüringern, Sarmaten, Sueben, Pannoniern Norikern und Sachsen begleitet, wie der Mönch Paulus Diaconus im dritten Buch seiner Geschichte der Langobarden (Historia Langobardorum) berichtet.
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Paulus Diaconus (auch Paulus Diakonus) oder Paul Warnefried war ein langobardischer Geschichtsschreiber und Mönch. Als sein wichtigstes Werk gilt seine „Historia Langobardorum“.
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den geschlagen. Dennoch verließen die Langobarden 568 gemeinsam mit Teilen anderer Germanenstämme den Donauraum und errichteten in Norditalien ein Königreich. 774 wurde dieses italienische Königreich von Karl dem Großen unterworfen. Von ausgedehnten Gräberfeldern abgesehen habe die Langobarden keine Spuren in Niederösterreich hinterlassen.
Auch die Bewegung der Awaren – ein Stamm mongolischer Herkunft – war die Folge einer Bedrängnis durch andere Völker. Einige Stämme, die sie auf ihrem Zug nach Westen unterwarfen, schlossen sich ihnen an.
Nach 568 begann ihre 250 Jahre dauernde Herrschaft in Pannonien, die sich zeitweise auch über große Teile Niederösterreichs inkl. Wien erstreckte. Zu dieser Zeit strömten Slawen in das Donaubecken ein und besiedelten es unter awarischer Oberhoheit. Die Herrschaft der Awaren wurde nach einer Niederlage 626 vor Konstantinopel und durch Slawenaufstände, vor allem demjenigen unter der Führung des Franken Samo in der Gegend von Wien, geschwächt. Nach Samos Tod wurde sie – in geringerer Machtfülle – erneuert.
Der Begriff „Aware“ wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr früh für die Oberschicht des Awarenreiches verwendet und sagte somit immer weniger über ihre Herkunft aus.
Im Laufe des achten Jahrhunderts gehörten das Viertel unter dem Wienerwald zum awarischen Herrschaftsbereich. Mit den Bayern, die das Viertel ob dem Wienerwald beherrscht haben dürften, bestanden zeitweise gute Kontakte. Als der Baiernherzog Tassilo III. von den Franken bedrängt wurde, soll es sogar zu einer Kooperation mit den Awaren gekommen sein. Die Enns wurde zur Grenze des Awarenreiches.
Nachdem schließlich Karl der Große nach dem Sieg über die Langobarden durch die Absetzung des bayerischen Herzogs Tassilo III. auch die Macht in Baiern übernommen hatte, kam es gegen Ende des 8. Jahrhunderts zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Awaren und Franken (inkl. Bayern), auch zu Auseinandersetzungen der Awaren untereinander, in denen die Awaren allmählich unterlagen. Es kam zur Gründung der sogenannten Awarenmark des Frankenreiches, zuerst westlich des Wienerwaldes, dann auch östlich davon.
Zu Beginn des 9. Jahrhunderts gab es noch Awarenaufstände und ein Awarisches Fürstentum, doch verloren die Awaren sehr rasch ihre Bedeutung als politische Macht und werden im Laufe dieses Jahrhunderts immer seltener Nachweisbar. Dennoch fanden die Magyaren bei ihrer Landnahme in der Panonnischen Tiefebene am Ende des 9. Jahrhunderts immer noch eine awarisch geprägte Kultur vor.
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Die ersten archäoloigichen Nachweise der Awarenherrschaft in unserem Raum gehen auf den Bau der Verbindungsbahn 1860 zurück. In dessen Zuge wurden mindestens vier awarische Reitergräber und einige Frauengräber aufgedeckt. Leider wurde damals nicht exakt dokumentiert, vieles wurde zerstört, u. a. auch einige Latène-Gräber, sodass die Funde nicht mehr genau lokalisierbar sind. Sie dürften zu einem Gräberfeld, das Teil eines militärischen, vielleicht auch politischen Zentrums war, gehört haben. Die Beigaben bestanden u. a. aus Ohrschmuck, einer Mantelschließe, Goldblech-Zierbeschlägen, Bronzeschnallen, Pfeilspitzen, Äxten sowie aus Eisen geformten Waffen (Beil, Säbel) und Steigbügeln.
1910 stieß man bei einem Wasserleitungsbau in der vier Jahre vorher angelegten Spohrstraße auf mindestens sechs awarische Gräber und mindestens eine latènezeitliche Bestattung an der Kreuzung Spohrstraße, Schrutkagasse, Tolstojgasse. 1953/54 wurde in der Dostojewskijgasse 30 beim Aushub für ein Wasserbecken ein awarisches Grab zerstört, 1955 in der Dostojewskijgasse 28 ein Grab angeschnitten.
Aus der Spätawarenzeit (achtes Jahrhundert) stammen jene drei Gräber, die im Juni 1956 im Bereich Käthe-Leichter-Gasse 17/Spohrstraße 4 gefunden wurden. Beigaben waren Feuerschläger aus Eisen, Rasiermesser und je eine Bronze- und Eisenschnalle. Ein bayrisches Gefäß bestätigt die Handelskontakte. Im selben Jahr fand man in der Fichtnergasse 4 ein Gefäßrandfragment. In der Nähe der Awarengräber wurde auch ein frühbairisches Grab (das bisher einzige, östlich der Enns aufgefundene) gefunden. Auch das deutet auf damals gutnachbarlichen Beziehungen der Awaren mit den Baiern.
Für die Zeit nach den Niederlagen gegen Karl den Großen wurden in Niederösterreich keine awarischen Gräberfelder mehr belegt.
„Der Ursprung des Namens ‚Slawen‘ ist in der sprachwissenschaftlichen Forschung noch ungeklärt“. So fasst Wikipedia (abgerufen im Dezember 2024) den Stand der Namensforschung zusammen. Die geäußerten Vermutungen sind verwirrend und würden den Platz hier sprengen. Ähnlich ist es auch mit der Herkunft der Slawen. Hier wird die Diskussion als „lebhaft und noch keineswegs abgeschlossenen“ bezeichnet. Im Wesentlichen gibt es zwei Ansätze: Die eine (klassische) verfolgt die Grundannahme, dass die Slawen ein Ursprungsgebiet („Urheimat“) haben. Hier werden oft der Raum nördlich der Karpaten und östlich der Weichsel genannt. Die andere modernere These meint, dass sich die slawischen Völkerschaften erst auf der Wanderung oder am Ankunftsort gebildet haben („Ethnogenese“).
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Historische Grundsatzdiskussionen wie hier über Sprache und Herkunft der Slawen gibt es letztendlich auf allen Gebieten ohne schriftliche Quellen oder nur mit frühen, nicht eindeutigen oder sich widersprechenden Quellen. Die Flut an Deutungen entzieht sich einer konzisen Darstellung.
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Schließlich nutzten die Slawen den von den Langobarden verlassenen Raum und breiteten sich dort – wie vorhin zu den Awaren schon angeführt – unter awarischer Oberherrschaft aus. Südslawische Stämme kamen in die Alpentäler und ins Alpenvorland, nordslawische Stämme ins Waldviertel, an der Donau trafen beide Gruppen aufeinander. Die Slawen errichteten viele Siedlungen, dies offensichtlich im Gegensatz zu den meist umherziehenden und damit nomadisch lebenden Stämmen dieser Zeit.
Der Aufstand der Slawen im Jahr 626 führte zur Gründung eines eigenständigen Reiches, zu dem auch Teile Niederösterreichs gehörten. Das Reich stand unter der Führung des fränkischen Adeligen Samo und reichte im Westen bis zur Melk. Nach dem Tode Samos 658 zerfiel das Reich und Teile Niederösterreichs kamen abermals unter awarische Herrschaft. Mittlerweile waren jedoch im Westen die Bayern mächtig geworden und entfalteten eine eigene Siedlungstätigkeit.
Das Reich der Awaren wurde – wie auf der Vorseite dargestellt – vernichtet und die Awaren selbst vertrieben. Die Slawen erlangten nun eine gewisse Eigenständigkeit. Ihre Siedlungen dürften die karolingische Phase und die ungarische Herrschaft im zehnten Jahrhundert überdauert haben und verschwanden erst in der zweiten deutschen Siedlungswelle. Viele Ortsnamen, besonders am Abhang des Wienerwaldes, dokumentieren die Anwesenheit der Slawen im Wiener Raum, z. B. Liesing (lesu/lesnica = Waldbach), Mödling (medlihha = langsam rinnendes Gewässer) oder Döbling (topl = sumpfige Stellung). Im Namen „Trazerberg“ (früher Grazerbühel ) dürfte „gradec“, slawisch „kleine Burg“, stecken. Die slawische Herkunft des Namens Lainz ist umstritten.
Für die Archäologie sind die Gräberfelder der Slawen mit ihren meist typisch awarischen Beigaben nur sehr schwer von jenen der Awaren zu unterscheiden. Erst mit der abnehmenden Bedeutung der Awarenmacht ist eine Differenzierung zu erkennen, und es gibt seit dieser Zeit eigene slawische Begräbnisplätze.
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Die Ausbreitung der slawischen Sprache im 5. bis 10. Jahrhundert. (Wikipedia, Creative Commons)
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Während um 530 im östlichen Niederösterreich die Langobarden herrschten, bildete sich im oberen Donaugebiet der Stamm der „Männer aus Baja“, der Bajuwarii oder Bayern. Reste von Rugiern, Skiren, Sueben und Markomannen, aber auch provinzialrö-mischer Bevölkerung waren mit Westgermanen zu einem neuen großen Stamm verschmolzen. Um die Mitte des 6. Jahrhunderts standen sie unter langobardischem Einfluss, dann gerieten sie in Abhängigkeit von den Franken.
Bayerische Siedlungen gab es in größerer Dichte im Gebiet der Traun, östlich der Enns können aus der Frühzeit nur wenige Siedlungen archäologisch nachgewiesen werden. Ortsnamen bezeugen aber auch hier größere Siedlungstätigkeit in Kleinweilern und lockeren Haufendörfern. Die Bayern übernahmen darüber hinaus städtische Lebensformen von der Vorbevölkerung, auch den römischen Bischofssitz Lorch. Die Führung des Stammes hatten die Agilolfinger inne, die vermutlich von den Franken eingesetzt waren.
Um 760 scheinen sie das Viertel ob dem Wienerwald beherrscht zu haben und erhielten 763 in einem Abkommen für die Kirche auch Missionsmöglichkeiten in Pannonien zugestanden. Zu dieser Zeit entstand in St. Pölten das erste Kloster auf niederösterreichischem Boden, das von den Adeligen Autkar (Ottokar) und Adalbert begründet und mit Benediktinern aus Tegernsee besiedelt wurde. Die Bayern waren bereits im 6. Jahrhundert christianisiert worden. Als Bonifatius die bayerische Kirchenorganisation aufbaute, erhielt das Bistum Passau das Donautal zugesprochen.
Doch als sich der bayerische Herzog Tassilo III. aus der fränkischen Oberhoheit lösen wollte, wurde er 788 von Karl dem Großen abgesetzt und in ein Kloster verbannt. Das von ihm 777 gegründete Kloster Kremsmünster hielt die Erinnerung an ihn aufrecht. Auch unter fränkischer Herrschaft war der Bayernstamm für die spätere Geschichte Niederösterreichs maßgebend.
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Karl der Große, seit 768 König des Fränkischen Reiches und seit 800 auch Römischer Kaiser.
Dieses Fresko Raffaels in einem der vatikanischen Säle zeigt
diese Krönung.
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Das Fränkische Reich war der bedeutendste Nachfolgestaat des 476 untergegangenen Weströmischen Reiches und die mächtigste Reichsbildung in Europa seit der Antike. Den Höhepunkt seiner Macht und Ausdehnung erreichte das Frankenreich unter der Herrschaft Karls des Großen (768–814).
Als die Macht über Bayern durch die Absetzung des bayerischen Herzogs Tassilo III. gesichert und die Awaren besiegt waren, konnte sich das Frankenreich Karls des Großen nach Osten ausdehnen. Es entstand eine Mark (die Awarenmark) zum Schutz gegen den Osten, die als Ursprung unserer heutigen Siedlungsstrukturen gesehen werden kann. Das eroberte Land wurde in Besitz genommen und damit weltliche Gefolgsleute, geistliche Würdenträger, Bistümer und Stifte, vorwiegend aus Bayern, belehnt. Die neuen Grundherren erwarben Arbeitskräfte, indem sie ihrerseits das Land weiter verliehen. Die belehnten Bauern entstammten entweder der bereits ansässigen Bevölkerung oder waren zugewanderte, meist bajuvarische Siedler. Die kirchliche Aufsicht erhielt das Bistum Passau.
Dies betraf vor allem das Land zwischen Enns und Wienerwald. Östlich des Wienerwaldes herrschten vorläufig awarische Teilfürsten, später slawische Fürsten. Der Siedlungsaufbau machte Fortschritte, doch begannen ab der Mitte des 9. Jahrhunderts die Grenzkämpfe mit den benachbarten Mährern, die schließlich zu großer Unsicherheit führten. Am Beginn des 10. Jahrhunderts war die Donau nur mehr bis Mautern in der Hand der Franken; kurz darauf brach ihre Herrschaft völlig zusammen.
Fürst Swatopluk, den die Franken zur Herrschaft in Mähren verholfen hatten, vertrieb sie aus seinem Land und dehnte sein Reich über Teile Niederösterreichs aus. Die erforderliche stärkere Befestigung im Osten des Frankenreiches geschah durch die Anlage von Burgen im Traisental (Herzogenburg, Wilhelmsburg). Die Kriege mit Mähren hielten an, bis mit den Ungarn eine neue Macht im Donauraum entstand, die sowohl die Frankenherrschaft in Österreich als auch das Großmährische Reich zerstörte. Die unterbrochene karolingische Einwanderungsbewegung hatte nicht lange gedauert.
Im 9. Jahrhundert hatte sich allerdings auch das Fränkische Reich selbst im Zuge von Erbfolgestreitigkeiten grundlegend verändert: Auf Basis des Vertrages von Verdun im Jahr 843 war es in das Westfrankenreich Karls des Kahlen (Ursprung des späteren Frankreich) und das Ostfrankenreich Ludwigs des Deutschen (Ursprung des späteren Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation) geteilt worden (ein Mittelreich existierte nur kurz).
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Mit dem Ungarnsturm kann ein im Stift Admont aufbewahrter Band in Zusammenhang gebracht werden, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Der Einband dieser gesammelten Handschriften stammt aus dem 15., der Kern aus dem 12. Jahrhundert, und vorne drauf steht „Interpretatio Isidori de nominibus“, also die bekannte Etymologie des Bischofs Isidor von Sevilla (ca. 560 bis 636), in der er versuchte, das gesamte weltliche und geistliche Wissen seiner Zeit zu vereinen und festzuhalten. Das wurde zum Standardwerk des Mittelalters und fand sich in jeder Klosterbibliothek, weil es auch die beliebteste Übung der damaligen Mönchsschüler war, das abzuschreiben.
Es dauerte bis in die 1920er-Jahre, bis das wahre Geheimnis dieses Bandes durch den damals jungen „kaum der Schulbank entwachsenen“ (Wortlaut von Universitätsprofessor Dr. Hans Voltelini in der Neuen Freien Presse vom 23. März 1922) österreichischen Historiker Ernst Klebel entdeckt wurde: Weiter hinten enthielt er eine Abschrift der heute längst verschollenen Salzburger Annalen (historiographische Aufzeichnungen des bayerisch-österreichischen Raumes vom 8. bis 10. Jahrhundert). Und diese enthalten eine beträchtliche Anzahl wichtiger und großenteils neuer Notizen über Kämpfe gegen die Ungarn. Gleich in der ersten dieser Notizen zum Jahr 881 heißt es: „Primum bellum cum Ungaris ad Weniam. Secundum bellum cum Cowaris ad Culmite“. Dr. Harry Bresslau, einer der bedeutendsten Mediävisten seiner Zeit und Mitherausgeber der Monumenta Germaniae Historica, hielt sie in einer Abhandlung aus dem Jahr 1923 von ganz besonderer Bedeutung für die ungarische Geschichte. Während damals nach dem ersten Angriff der Magyaren im Jahre 862 erst wieder 892 bis 894 als Söldner für König Arnulf von Ungarneinfällen in deutsches Gebiet die Rede war, haben sie dieser Notiz zufolge schon etwa ein Jahrzehnt früher das Reichsgebiet heimgesucht. Die Nachricht dieser Annalen gewinnt aber noch höhere Bedeutung durch die Nennung von Wien. Das aber bezweifelte Bresslau im Gegensatz zu den damaligen Historikern und bezog sich auf namhafte Germanisten. Sie warfen ein, dass sich die Urform von Wien lange vor 881 von „Wenia“ zu „Wienne“ verändert hatte und daher nicht unser Wien gemeint sein konnte.
Tragisch für unsere Region war die vernichtende Niederlage des von dem Markgrafen Liutpold geführten bairischen Heerbanns am 4. Juli 907, die in vielen Quellen der Zeit ihren Wiederhall gefunden hatte. Durch die Notizen in diesen Annalen wurde auch der Schlachtort bekannt, nämlich Preßburg.
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Dieser im Stift Admont aufbewahrte Band mit einer Handschriftensammlung aus dem 12. Jahrhundert enthält
unter anderem die
„Annales Juvavenses maximi“. Sie bringen unsere Region von der Vorgeschichte in die Geschichte. Der Einband aus dem 15. Jahrhundert ist mit weißem Leder überzogen und trägt einen aufgeklebten Zettel mit den Worten „Interpretacio Ysidori de nominibus“. Diese Fotografie wird mit freundlicher Genehmigung des Benediktinerstiftes Admonts – http://www.stiftadmont.at – wiedergegeben.
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Das ist die für uns, für Wien, wesentliche Seite. Hier der Eintrag zum Jahr 881: Nach dem Satz „Sol obscuratus est a tercia usque ad sextam horam.“ bei dem es sich um die Aufzeichnung einer Sonnenfinsternis handelt, kommt der für uns wesentliche (hier rot hervorgehobene) Satz: „Primum bellum cum Ungaris ad Weniam.“ (Secundum bellum cum Cowaris ad Culmite). Übersetzt wird dies gedeutet: „Erstes Gefecht mit den Ungarn bei oder an der Wien“.
Was diese Annalen sonst noch über Ungarnkämpfe bringen, war in der Hauptsache bereits bekannt, unter anderem der große Sieg Herzog Arnulfs am Inn vom Jahr 913. Mit der Regierung Herzog Arnulfs beginnt der eigentlich wichtigste Abschnitt dieser Annalen, der über die Beziehungen Baierns zum Reich neues Licht verbreitete. Der mächtige Baiernherzog Arnulf scheint in Baiern, ähnlich wie Heinrich in Sachsen, eine im wesentlichen unabhängige Stellung eingenommen zu haben, und auch nachdem König Konrad durch die Heirat mit Kunigunde (913) sein Stiefvater geworden war, haben wir keine Kunde davon, dass der König und der Herzog einander nähergetreten wären; einige Jahre später ist es vielmehr zum Kampf zwischen ihnen gekommen.
Insgesamt bezeichnet Bresslau diese Annalen, die ja letztendlich nur das Ergebnis einer Abschreibeübung junger Mönche sind, als ein schwachen und ungeschickter Auszug aus einem Annalenwerke, das, wenn es ganz erhalten wäre, zu den wertvollsten Quellen für die so lückenhaft überlieferte Geschichte der zweiten Hälfte des 9. und der ersten des 10. Jahrhunderts gehören würde. Aber die Originalquelle ist verloren wie so viele andere, und damit werden solche oft nur aus einem Satz bestehende Auszüge zur Basis einer nach wie vor fließenden Deutung der mittelalterlichen Vorgänge.
Von dieser Diskussion unbekümmert hat sich die Geschichtsforschung auf das Jahr 881 als das Jahr der Erstnennung Wiens geeinigt und lässt nur offen, ob es sich um die Siedlung oder den ihr den Namen gebenden Fluss handelt (siehe Ferdinand Opll: Nachrichten aus dem mittelalterlichen Wien. Zeitgenossen berichten. Böhlau, Wien u. a. 1995, Seite 17 und Wien – Geschichte einer Stadt von Peter Csendes und Ferdinand Opll 2001, Band I, Seite 62/63).
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Die Buchstaben zu „ad Uueniam = Weniam“. Diese eine Zeile in den Salzburger Annalen ist noch aus einem weiteren Grund sensationell, weil ihr zufolge könnten die Auseinandersetzungen mit dem ungarischen Reitervolk – nach heutiger Geschichtsdeutung –
bei uns am Wienfluss begonnen haben.
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Die vielen Auseinandersetzungen mit den Ungarn kulminierten zu einer großen Schlacht auf dem Lechfeld bei Augsburg, die zu einer vernichtenden Niederlage der Ungarn wurde. Dieser Sieg im Jahr 955 war der Grundstein der weiteren deutschen Geschichte, insbesondere der auflebenden bedeutendsten Wanderungswelle in den Osten und damit in unsere Region.
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Erinnerungen an dieses Ereignis im öffentlichen Raum gibt es nicht viele. Ich kenne nur diesen Ulrichstein in Augsburg mit der unten abgebildeten Gedenktafel. Otto I. wurde auch erster Kaiser (962) des Heiligen Römischen Reiches, das bis zur Niederlegung der Reichskrone durch Franz II. am 6.8.1806 währte.
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Die nun wieder einsetzende Einwanderung, die vor allem bayrische Siedler in unsere Region brachte, ist eng mit den Markgrafen und Herzögen der Babenberger verbunden. Daher wird diese wichtige Einwanderungswelle „Babenberger Kolonisation“ genannt. Allen Darstellungen zu den Babenbergern sollte aber ein Name vorangestellt werden: Ladislaus Sunthaym (ein schwäbischer Priester, * um 1440 in Ravensburg , † Ende 1512/Anfang 1513 in Wien). Sunthaym wird gerne als der erste österreichische Historiker im modernen Sinn bezeichnet, weil er bereits mit kritischen Methoden ans Werk ging. Gewissenhaft spürte er allen Quellen nach, und deshalb brauchte er einige Jahre bis zur Vollendung seines Manuskriptes. Auf diesem basiert vieles, das wir über die Babenberger, aber auch über die österreichische Geschichte überhaupt wissen. Auf ihn geht auch die Festschreibung des Beinamen vieler Fürsten aber auch des Namens „Die Babenberger“ zurück.
Auf Basis von Sunthayms Manuskript wurde von Hans Part der heute im Stift Klosterneuburg aufbewahrte Babenberger-Stammbaum, ein riesiges Triptychon, erstellt. Er ist ein einzigartiges Werk, sowohl seiner Größe als auch seinem Thema nach. Das über acht Meter breite und fast vier Meter hohe Tafelbild zeigt nämlich nicht nur die Figuren und Wappen des behandelten Geschlechts, sondern stellt in seinem Mittelteil jeden Babenberger in einer Szene aus seinem Leben vor. Diese 27 Szenen bieten ein
Die nebenstehend beginnende Beschreibung des Babenberger-Stammbaumes fußt auf folgenden Werken:
Röhrig, Floridus: Der Babenberger-Stammbaum im Stift Klosterneuburg.
Wien: Edition Tusch 1977
Der heilige Leopold – Landesfürst und Staatssymbol. Wien: Katalog des NÖ Landesmuseums,
Neue Folge Nr. 155, 1985
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Der Babenberger-Stammbaum, fotografiert im Stiftsmuseum Klosterneuburg
am 30. Jänner 2013.
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überaus anschauliches Bild vom Leben im Spätmittelalter. Darüber hinaus zeigen sie viele alte Ansichten von österreichischen Städten und Klöstern. Die Seitenflügeln des Triptychons zeigen die Porträts der Ehefrauen und Töchter. Mit dieser Detailfülle wurde der Stammbaum zur Quelle der meisten bildlichen Darstellungen von Babenbergern und den historischen Ereignissen.
Den Anlass für die Entstehung des Babenberger-Stammbaums bot die Heiligsprechung Markgraf Leopolds III. Er war schon zu Lebzeiten der „milde Markgraf“ genannt worden, und bald nach seinem Tode begann die Verehrung seiner Grabstätte im Stift Klosterneuburg. Natürlich förderte der Klosterneuburger Konvent die Verehrung seines Stifters.
Die herzogliche Familie scheint sich aber erst im 14. Jahrhundert für den Kult des frommen Markgrafen in öffentlich sichtbarer Weise interessiert zu haben. Als erster unternahm Herzog Rudolf IV. offizielle Schritte, um eine Heiligsprechung seines berühmten Vorgängers zu erreichen. Das war Teil seines politischen Konzeptes, um seinem Lande und seinem Hause erhöhten Glanz zu verschaffen, und nichts konnte das nationale Prestige mehr heben, als ein Nationalheiliger. Daher setzte sich Herzog Rudolf sogleich nach seinem Regierungsantritt beim Papst für die Heiligsprechung des Markgrafen Leopold ein. 1358 eröffnete Papst Innozenz VI. den Prozess. Als aber der Herzog 1365 starb, schlief der Prozess wieder ein. Erst Kaiser Friedrich III. gelang es genau hundert Jahre später, das Verfahren wieder aufleben zu lassen.
In Rom wurde das allerdings als eine rein politische Angelegenheit eingeschätzt und wenig Begeisterung für die Kanonisation eines österreichischen Landesfürsten gezeigt. Ein Teil der deswegen erforderlichen Anstrengungen war es, möglichst viel Quellenmaterial über das Leben und die Verehrung des from
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Das 13. Rundbild des Stammbaumes zeigt Leopold III. den Heiligen mit zwei früh verstorbenen Söhnen, im Hintergrund die Klöster Klosterneuburg, Heiligenkreuz und Klein-Mariazell. Fotografiert am 30. Jänner 2013
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men Markgrafen zu sammeln. Statt dem zurückhaltenden Kaiser übernahm schließlich das Stift Klosterneuburg die Förderung der Heiligsprechung. Es bestritt die Kosten des Verfahrens und betrieb den Prozess mit Nachdruck an der Kurie. Gegen Ende des Jahres 1484 konnte das langwierige Verfahren abgeschlossen werden, und am 6. Januar 1485 nahm Papst Innozenz VIII. den Markgrafen unter die Heiligen der Kirche auf.
Der neue Heilige wurde im Volk, das ihn schon früher verehrt hatte, sehr rasch populär. Es setzten Wallfahrten zu seinem Grab ein, und diesen Pilgern sollte auch die Gestalt, die Umwelt und die Familie des neuen Heiligen nahegebracht werden. So entstand der ganze Komplex um den Babenberger-Stammbaum.
Propst Jakob Paperl (1485–1509) beauftragte gleich nach der Kanonisation des Markgrafen einen Mann mit der Ausarbeitung dieses Projektes, den seine historischen Kenntnisse und sein Interesse an der Geschichtsforschung dafür empfahlen: den schwäbischen Priester Ladislaus Sunthaym. Seine Arbeit fand eine dreifache Verwendung. Im Jahre 1491 erschien er in Basel im Druck. Zur selben Zeit wurde er im Stift Klosterneuburg kunstvoll auf acht große Pergamentblätter geschrieben und mit Miniaturen reich geschmückt. Vor allem aber diente er als Grundlage für das Monumentalwerks des Babenberger-Stammbaums.
Bis spätestens zum Ende des 18. Jahrhunderts, als es in die damalige Stiftsbibliothek kam, war der Stammbaum in Kreuzgang aufgestellt, wo er unter der Feuchtigkeit litt. Das auf Holz gemalte Werk musste daher im Laufe der Jahrhunderte des Öfteren restauriert werden. Vor allem im unteren Bereich splitterte die Farbe ab und ganze Teile wurden unter verschiedenen Gesichtspunkten ersetzt oder sogar übermalt. Als in den Jahren 1834–1842 das Stift seine letzte Erweiterung und die Bibliothek einen neuen Saal bekam, stellte sich das Holz der Stammbaum-Tafeln als total vermorscht heraus und die ganze Malerei wurde auf Leinwand übertragen. Das restaurierte Werk kam aber nicht mehr in die Bibliothek sondern an verschiedene nicht ganz geklärte Standorte, unter anderem beim oder im Marmorsaal und
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Die acht im Stiftmuseum präsentierten Pergamentblätter mit der von Sunthaym recherchierten Babenberger-Geschichte.
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in die Schatzkammer. Wegen der unzureichenden Übertragung auf Leinwand waren weitere Restaurierungen notwendig, und Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es letztendlich als stark verunstaltet beurteilt. Unnütz aufgetragene Schichten wurden entfernt und Teile neu überarbeitet.
Der Vergleich mit frühen Kopien zeigt, dass die Überarbeitungen in manchen Partien zu erheblichen Veränderungen gegenüber dem Urzustand geführt haben. Zum Beispiel war die heute nur schwer verständliche Jagdszene in der rechten unteren Ecke in einer alten Miniatur viel deutlicher und überdies durch die Inschriften erklärt. Sie stellt dar, wie nach der Legende Leopold I. zu seiner Mark Österreich kam. Der Kaiser – nach der Inschrift ist es Heinrich I. (919–936), während in Wirklichkeit der erste Babenberger von Otto II. (961–983) belehnt wurde – befindet sich hoch zu Ross auf der Jagd, doch sein Bogen ist zerbrochen und liegt neben ihm auf dem Boden. Da springt der junge Leopold von Babenberg herbei und reicht dem Kaiser seinen eigenen Bogen. Mit ihm erlegt der Kaiser alsbald den Hirsch, der links neben dem Baumstamm steht. Zum Lohn für diesen Freundesdienst soll der Kaiser dem Babenberger die Mark Österreich verliehen haben. Darauf weist der neben Leopold liegende Erzherzogshut hin. Diese Szene ist auf dem heutigen Stammbaum im 19. Jahrhundert recht farblos und ohne jede Dramatik neu gemalt worden. Auch fehlt die Beziehung zu Markgraf Leopold I. Die hinter dieser Szene sichtbare Burg soll die Burg auf dem Kahlenberg, dem heutigen Leopoldsberg, darstellen.
1951–1965 wurde der Babenberger-Stammbaum in den Werkstätten des Bundesdenkmalamtes durchgreifend Restauriert. Soweit möglich wurde dem Werk der ursprüngliche Zustand zurückgegeben, dennoch findet sich im unteren Bereich so gut wie nichts mehr vom ursprünglichen spätgotischen Zustand. Seit der Restaurierung ist das Werk im neu eingerichteten Stiftsmuseum in den sogenannten Erzherzogszimmern ausgestellt.
Das erste Bild in diesem untersten Bereich zeigt den ersten Markgrafen des mittlerweile „Marcha Orientalis“ (Mark im Osten, später „Ostarrîchi“) genannten Gebietes, Markgraf Leopold I., der „Durchlauchtigte“ später meist der „Erlauchte“. Er war von 976–994 Markgraf von Österreich. Leopold wurde im Jahre 976 von Kaiser Otto II. mit der Mark Österreich belehnt. Anlass dazu war wohl der Aufstand Herzog Heinrichs II. von Bayern, in den auch Markgraf Burkhard (der Rüdiger von Bechelaren des Nibelungenliedes) verwickelt war. In dessen Burg im heutigen Pöchlarn dürfte Leopold seinen ersten Sitz gehabt haben. Über den Ursprung seines Geschlechtes, der Babenberger, sind sich die Forscher bis heute nicht einig. Sicherlich bestanden genealogische Beziehungen zu Schwaben, doch war Leopold keinesfalls, wie Sunthaym schreibt, ein Herzog in Schwaben gewesen. Aus der Burg Melk vertrieb er den Grafen Sizzo (von Sunthaym Gyso genannt), der zur Partei des aufständischen Bayernherzogs
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gehörte. Ob der Markgraf selbst schon in Melk seinen Sitz aufschlug und ob das weltliche Kanonikerstift schon zu seiner Zeit bestand, ist ungewiss. Markgraf Leopold starb am 10. Juli 994 in Würzburg als Opfer eines Meuchelmordes, der einem anderen gegolten hatte. Er wurde im Dom zu Würzburg begraben und nicht im Stift Melk, wie Sunthaym auf Grund verschiedener Chroniken berichtet.
Der Beiname des Markgrafen als der „Durchlauchtige“ ist sehr allgemein und trifft nach altem Sprachgebrauch auf jeden Fürsten zu. Sunthaym hat ihn jedoch auf Leopold I. fixiert. Später sagte man meist „der Erlauchte“. Wie alle unteren Partien hat diese Darstellung besonders stark gelitten und wurde daher im 19. Jahrhundert weitgehend übermalt. Vor allem die Köpfe zeigen fast durchwegs die typischen Züge der Romantik. Etwas besser ist der Hintergrund erhalten, aber auch die Darstellung des Stiftes Melk hat einige Änderungen erfahren.
Im Vordergrund spielt sich ein Zusammenstoß zwischen Österreichern und Ungarn ab. Die von rechts heranrückenden Österreicher mit der Fünf-Adler-Fahne schlagen die Ungarn in die Flucht. Diese rücken mit ihrem Banner, das nach dem alten ungarischen Wappen von rot und weiß mehrfach geteilt ist, nach links ab. Tatsächlich wurden während der Regierungszeit Leopolds I. die Grenzen seiner Mark nach Osten hinausgerückt, wobei man die Ungarn zurückdrängte.
Im Hintergrund ist auf hohem Burghügel Melk dargestellt, die älteste Abbildung des berühmten Klosters. Vor dem Kloster steht der Markgraf mit einem Kanoniker. Dieser trägt die im Mittelalter
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Die Rundbilder zeigen nicht nur den jeweiligen Markgrafen in einer relevanten Landschaft, sondern auch ein relevantes Ereignis. Im Rundbild Leopold I. ist es der Sieg des Baiernherzogs Heinrich der Zänker und Leopolds I. über die Ungarn im Jahr 991, mit Melk im Hintergrund. Mit diesem Sieg erweiterte sich die östliche Mark, die zuvor bis etwa zum Beginn des Wienerwaldes reichte, über den Wienerwald das Marchfeld und das Wiener Becken hinaus bis an die March und die Fischa. Erst nach diesem Sieg, also um das Jahr 1000, konnte auch die Einwanderung in das Wiental beginnen. Im Vordergrund des Bildes spielt sich ein Zusammenstoß zwischen Österreichern und Ungarn ab. Die von rechts heranrückenden Österreicher mit der Fünf-Adler-Fahne schlagen die Ungarn in die Flucht. Diese rücken mit ihrem Banner, das nach dem alten ungarischen Wappen von rot und weiß mehrfach geteilt ist, nach links ab.
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Ausschnitt aus dem Rundbild mit dem ersten Babenberger:
Leopold I. mit einen Kanoniker auf dem Melker Burghügel während der Einführung
der Chorherren. Melk war damals, nach Pöchlarn, der Sitz der Babenberger, später wurde es Klosterneuburg und ab der Mitte des 12. Jahrhunderts, als die Markgrafschaft zum von Baiern unabhängigen Herzogtum aufstieg, wurde es Wien.
für Chorherren übliche Tracht: weißen Talar und ein Almutium (Schulterkragen) aus Pelz. Diese kleine Szene soll die Einführung der weltlichen Kanoniker in Melk bedeuten, von der wir allerdings nicht sicher wissen, ob sie schon unter Leopold l. geschah. Das Wappen des Markgrafen ist gespalten. Vorne zeigt es den Fünf-Adler-Schild, hinten in Gold drei schwarze Löwen. Dies ist das Wappen, das man den Staufern als Herzögen von Schwaben zuschrieb und deshalb auch für die frühen Babenberger als richtig ansah. Mit Leopold I. hat es historisch nichts zu tun.
Das letzte Bild des Mittelteiles des Babenberger-Stammbaumes zeigt mit Rudolf II. den Streitbaren den letzten österreichischen Herzog aus dem Geschlecht der Babenberger. Er fiel 1246 in der Schlacht an der Leitha gegen den Ungarnkönig Béla IV.
Die zwei Meter breiten Seitenflügel des Stammbaumes zeigen die Frauen der Babenberger in reicher Kleidung. Von spezieller Bedeutung ist Markgräfin Agnes auf dem rechten Flügel mit einem Modell der Stiftskirche in der Hand.
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Der Babenberger-Stammbaum. Markgräfin Agnes mit einem Modell der Stiftskirche. Fotografiert am 30. Jänner 2013
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Eine Karte mit dem Fortschritt der deutschen Einwanderung. Je dünkler der Orangeton, umso älter die deutsche Besiedelung. Die erste Einwanderungswelle, nach ihrem Verursacher „Karolingische Einwanderung genannt“ war von wahrscheinlich eher geringerer Stärke (sie dürfte eher nur einer politischen Inbesitznahme entsprochen haben). Der auf dieser Karte bis an die March reichende, im blasseren Orange gehaltene deutsche Siedlungsbereich war in dieser Ausdehnung wohl erst eine Folge der nächsten Einwanderungswelle.
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Um die Jahrtausendwende wurde also das Gebiet in Besitz genommen, vor allem auch mit Schenkungen von Gebieten an die Getreuen. Eine dieser Schenkungen ist in der Godtinesfeld-Urkunde aus dem Jahr 1015 dokumentiert. Sie ist damit nur 19 Jahre jünger als die berühmte Ostarrichi-Urkunde, in der Österreich erstmals genannt wird. 2015 wurde das 1000-jährige Jubiläum dieser Urkunde gefeiert, allerdings unter relativ geringer öffentlicher Anteilnahme. Völlig konträr zum früheren Hype um die Ostarrichi-Urkunde. DI Heinz Gerstbach hielt zwei Vorträge, den ersten im Mai 2015 in der Bezirksvorstehung. Er hat auch ein sehr informatives Skriptum über die Urkunde verfasst, das in einer erweiterten Form auf www.1133.at/Bericht 1374 gelesen werden kann.
Im September 2015 präsentierte ich eine Jubiläumstafel zur 1000-jährigen Geschichte der Region aus Ober St. Veiter Sicht. Sie beschreibt wesentliche Stationen dieser 1000-jährigen Geschichte. Heute hängt sie in der Volksschule Ober St. Veit. Schließlich, im Dezember 2015 hatte sich dann der Mediävist Dr. Klaus Lohrmann in einem Vortrag der Urkunde angenommen. Auch sein Vortrag kann auf www.1133.at nachgelesen werden. Im Mai 2016 erschien sein umfassender Artikel über die Godtinesfeld-Urkunde im Jahrbuch des Vereines der Freunde der Geschichte Wiens.
Mit diesen Zeilen wird der Kern der in der Urkunde dokumentierten Schenkung formuliert: Kaiser Heinrich II. schenkte auf Bitten des Dompropstes Poppo dem Domkapitel von Bamberg
„30 königliche Hufen aus seinem Eigentum zu Godtinesfeld im Gaue Osterriche in der Grafschaft des Grafen Heinrich mit allem Zugehörigen, Knechten, Mägden, Hofstätten, bebauten und unbebauten Ländereien, Mühlen, Wasser und Wasserläufen, Weiden, Wäldern, Jagden, Wegen und weglosem Land, Abgaben und Einkünften und allen Nutzungen mit der Bestimmung, dass Propst Poppo und seine Nachfolger darüber zum Nutzen der Brüder frei verfügen können.“
(Poppo und Markgraf Heinrich waren Brüder, Söhne des ersten Markgrafen Leopold I.) Diese Urkunde, die als erstes Dokument in genauerer Weise auf unsere Region bezieht – so lautet zumindest die aktuelle Auffassung – wurde seit ihrem Auffinden kontroversiell diskutiert. Die Hauptpunkte der Diskussion waren folgende Fragen:
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DI Heinz Gerstbach am 11. Mai 2015 während seines Vortrages über die Godtinesfeld-Urkunde im Festsaal des Amtshauses Hietzing
Josef Holzapfel am 6. September 2015 während der Präsentation seiner Milleniums-Tafel im Garten der Pfarre Ober St. Veit.
Dr. Klaus Lohrmann während seines Vortages über die Urkunde am 3. Dezember 2015 im Wiener Stadt- und Landesarchiv
Den gegenwärtigen Stand der Forschung zu den wesentlichen Fragen im Zusammenhang mit der Godtinesfeld-Urkunde hat Heinz Gerstbach in seiner Arbeit folgendermaßen zusammengefasst:
Die militärische Aktion des bayerischen Herzogs Heinrich II. gegen Ungarn im Jahr 991 hatte die Zurückdrängung der Magyaren von den Höhen des Wienerwaldes nach Osten über das Wiener Becken hinaus, wahrscheinlich über die Leitha bis Hainburg zur Folge. Das eroberte Gebiet im Flachland könnte
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Ein Foto der Godtinesfeld-Urkunde, präsentiert im Bezirksmuseum Hietzing
von den Siegern „Godtinesfeld“ – Gottesfeld genannt worden sein. Diese Landschaft im heutigen Wiener Becken wird sich bis zum Abhang des Wienerwaldes, an dem der Gebirgsrandweg verlief, erstreckt haben. Genauere Hinweise auf Grenzen und Größenverhältnisse gibt es allerdings nicht.
Aufgrund der Ereignisse von 991 war das bisher ungarisch beherrschte Gebiet (abgesehen von anderen, früheren Besitzverhältnissen) Königsgut geworden. Deswegen heißt es in der Schenkungsurkunde auch „XXX regales mansos nostrae proprietatis“. Jedenfalls wird das Gebiet der Schenkung an das Domkapitel von Bamberg in der von mir beschrieben Landschaft Godtinesfeld gelegen sein. Die Frage nach diesem Gebiet „in loco qui dicitur Godtinesfeld“ dürfte bei den Fachleuten inzwischen unbestritten sein: Es wird allgemein im Bereich des jetzigen Wiener Gemeindebezirkes Hietzing angenommen. Ohne Bezug darauf haben sich die späteren Ortschaften Hietzing, St. Veit, Hacking, Lainz und Speising entwickelt.
Wegen der „vita“ Heinrichs II. führe ich den Namen Godtinesfeld auf die Erlebnisse des Schenkenden als Sohn des Kriegsherren von 991 und auf seine religiöse Einstellung zurück. Der Zusammenhang zwischen den Bezeichnungen Godtinesfeld und Gottesfeld bietet sich auch wegen des Namens der Gottes
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feldmühle an, die 1389 von Otto, dem „Churtzhals“und seiner Gemahlin Margret gekauft wurde, wie verschiedene Forscher darlegen. Später hieß diese Mühle nur mehr Feldmühle. Eine Gasse in Unter St. Veit erinnert an sie.
Die Gründe für die Schenkung an das Domkapitel von Bamberg vom 5. Juli 1014 gemäß dem Dokument DD.H.II.Nr.318 umfassend 30 Königshufen waren wie dargelegt wahrscheinlich Folgen des Krieges und des überragenden Sieges von 991. Sie hatte neben der Besiedlung des Landes auch die militärische Sicherung des Gebirgsrandweges gegen Gefahren aus dem Osten zur Aufgabe.
Die Größe der Schenkung „Godtinesfeld“ hat umgerechnet wahrscheinlich 9,5 bis 10 km² umfasst und war etwa so groß wie das heute bewohnte Gebiet des 13. Wiener Gemeindebezirkes. Sie reichte wohl im Hinblick auf die Struktur der damals entstehenden kleinen Ansiedelungen über das Wiental im Norden und im Süden bis Mauer oder Hetzendorf und war der Start für die Entwicklung unseres Landes.
Die Suche nach den Wohnsitzen der „Godtinesfelder“ ist trotz vieler Versuche, sie aufzufinden, bisher gescheitert. Bekannt ist zwar, dass persönliche und familiäre Kontakte ab 1114 weit über das Gebiet der eigentlichen Schenkung hinausreichten, es wurde aber keine Stelle nachgewiesen, an der Personen, die sich mit Namen nach Godtinesfeld nannten „zu Hause waren“. Eine seltsame Sache!
Soweit die Zusammenfassung der Einschätzungen Heinz Gerstbachs.
Die letzten Besitzer der Feldmühle kamen zu der Erkenntnis, dass man mit Grundverkäufen ein besseres Geschäft machen konnte, als mit einem Gewerbebetrieb. 1906 parzellierten sie
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Ein Grundbuchsblatt zur späteren Feldmühle aus dem 17. Jahrhundert: Hier wird die Mühle als „Mühl am Gotsfeld bey St. Veith mit ihrer Zugehörung“ bezeichnet. Ähnliche Bezeichnungen gehen zurück bis zur Erstnennung der Mühle im Jahr 1364 (Diözesanarchiv Wien: Kopialbuch über die Kaufbriefe von St. Veit und anderen Gütern fol. 10559 und 10560): Item die mull zu Gottesfeld (item von der mull zu Gotsfeld). Diese Bezeichnung wurde für alle Historiker zum ausreichenden Beleg zur ungefähren Ortsbestimmung dieser geschenkten 30 Königshufen.
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Bei dieser Mühle im Gottesfeld handelt es sich um die spätere, im Veitinger Feld gelegene, Feldmühle, eingezeichnet in alle historischen Landkarten wie zuletzt in der Franzisco-Josephinischen Landesaufnahme 1872 (im roten Kreis).
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den Vorderteil des Mühlenareals und 1913 den rückwärtigen Teil. Dabei entstanden auch Gassen wie die Hügelgasse und die Neblingergasse. Alles wurde abverkauft, nur die spätere „Moservilla“ samt großem Garten behielten sich die Besitzer zurück.
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Der südliche Trakt der Feldmühle in der Höhe der heutigen Auhofstraße 78, gegenüber der Einmündung der Feldmühlgasse
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Die Auhofstraße 74 bis 78 heute
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Die spätere Feldmühle war früher die Gottesfeldmühle und sie lag im Gottesfeld. Aber die umliegende Ebene zwischen den alten Ortskernen von St. Veit an der Wien und Hietzing ist gerade einmal 3 Kilometer lang. Bei einer Breite dieser Fläche von 1 bis 1,5 Kilometer kommt man auf eine Fläche von vielleicht 4 Quadratkilometer. Wir wissen aber aus dem vorigen Kapitel, dass die in der Godtinesfeldurkunde genannte Schenkung von 30 Königshufen etwa 10 Quadratkilometer entsprochen hat. Das könnte dann auch die späteren Orte Hacking, Hütteldorf, Baumgarten, Penzing und Lainz umfasst haben. Aber eben: könnte. Was sich Poppo wirklich ausgesucht hat, wissen wir nicht, weil das Gottesfeld in den urbarialen Aufzeichnungen des Domstiftes Bamberg mit Ausnahme dieser Urkunde nicht aufscheint, zumindest gemäß Auskunft des Staatsarchives Bamberg vom 11. Juni 1997. Es gibt zwar später, vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum 13. Jahrhundert, Personen, die sich nach einem Gottesfeld nannten, sie haben Urkunden mitunterschrieben, aber zur Lokalisierung von Gottesfeld gibt das keine Hinweise.
Es gibt Vermutungen, dass sich Bamberg von diesem Besitz bald wieder getrennt hatte, z.B. weil er für Bamberg zu entlegen
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Die obere Satellitenaufnahme zeigt die mögliche Lage und Größe der in der Godtinesfeld-Urkunde genannten Schenkung. Die untere Aufnahme zeigt die Lage des Veitinger Feldes.
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war oder mit dem Wechsel von Propst Poppo als Bischof nach Trier die persönlichen Bande zu dieser Region weggefallen waren. Gesichert ist aber die Verbindung vom größeren Gottesfeld zum kleineren späteren Veitinger Feld.
Im Zuge der deutschen Einwanderung wurden Siedlungen gegründet und bestehende Siedlungen erweitert. Es bildeten sich die Ortsgemeinden, die bis heute als Teile des 13. Wiener Gemeindebezirks bestehen blieben. Nach dem zu vermutenden Rückzug der Bamberger Besitzer etablierten sich neue Herrschaftsgebilde, wobei sich das Bistum Wien und das Stift Klosterneuburg als die wirkmächtigsten Grundherren herausstellten. Im späteren Kapitel der „Ortsgeschichten kurz und bündig“ werden die wesentlichen Stationen in der Geschichte der einzelnen Ortsgemeinden in eigenen Abschnitten dargestellt.
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Über das Alter der Wassermühlen am Wienfluss kann nur spekuliert werden, ihr Einsatz schon zur Zeit der frühen Babenberger Siedlungstätigkeit im 10. Jahrhundert ist aber anzunehmen. Schon die vorhin besprochene Godtinesfeld-Urkunde aus dem Jahr 1015 führt als Vertragsgegenstand auch Mühlen an. Damals waren die Babenberger längst zu Markgrafen Ostarrichis aufgestiegen, doch im Wiental wurden sie erst später zur dominierenden Kraft. Während der intensiven Besiedelung im 11. und 12. Jahrhundert war es das Grafengeschlecht der Formbacher auf Stift Göttweig, das eine Siedlungsbewegung von St. Pölten bis Purkersdorf und durch das Wiental führte. Bis zum Aussterben ihres Geschlechtes Mitte des 12. Jahrhunderts wird ihnen Besitz auf beiden Ufern der Wien bis östlich von Gumpendorf zugeschrieben. Damit verfügten sie über die ihnen zugeschriebene Kompetenz im Mühlenbau hinaus auch über die organisatorischen Möglichkeiten und über die zum Bau der Mühlbäche und Mühlen erforderlichen Rohstoffe in dieser Region. Die Bedeutung des historischen Wien und dessen Einfluss auf die Mühlen stieg erst im 12. Jahrhundert als Hauptstadt des neu geschaffenen Herzogtums Österreichs. Die ersten Urkunden, die einen Mühlbach und Mühlen vor der Stadt bestätigen, stammen aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts.
Aus der Entstehungsgeschichte der Mühlen folgt, dass die meisten Mühlen ursprünglich im Besitz der Landesherren oder ihrer Gefolgsleute standen. In der Folge versuchten viele andere, Einfluss auf die für die Versorgung so wichtigen Mühlen zu bekommen, das waren in erster Linie geistliche Orden und Wiener Bürger.
Die Hauptaufgabe der Mühlen war das Malen von Getreide, bald aber auch anderer geeigneter Lebensmittel. Im Zuge der Gewerbeentwicklung dehnte sich die Nutzung der Wasserkraft zunehmend auf den Nicht-Lebensmittel-Bereich aus. Genannt werden der Betrieb von Sägen, Schmiedehämmern und Schleifsteinen, das Schleifen von Holz und anderen Materialien und Stampfmühlen.
Die Mühlen waren oft auch Ausgangspunkt einer weitergehenden Wirtschafts- und Siedlungsentwicklung. Die Mühlbäche und Mühlen brauchten Holz und technische Einrichtungen, das brachte Händler und Handwerker in ihre Nähe. Zur Lagerung des unfertigen und fertigen Mahlgutes entstanden Nebengebäude, der Transport erforderte geeignete Verkehrswege und Stege. Die Kunden, die oft lange warten mussten oder als Mühlgäste den Mahlgang gemeinsam mit den Mühlknechten durchführ
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ten, mussten versorgt werden. Der Bau von Gasträumen und die über den eigenen Bedarf hinausgehende Erzeugung von Bier und Wein waren die logische Folge. Bierbrauereien, Bäckereien und Wirtshäuser waren häufig zu beobachtende Nebenbetriebe, Weingärten bildeten meist ohnehin einen Teil des Besitzes.
Zu einem effizienten Betrieb von Mühlen sind Wehre zum Aufstauen des Flusses und davon abgeleitete Mühlbäche notwendig. Im Bereich des Wienerwaldes hatte jede Mühle ihren eigenen Werkskanal, manchmal war das sogar nur ein abgeleiteter Nebenarm der Wien. Im flacheren Wiener Bereich lagen an jedem der langen Mühlbäche mehrere Mühlen untereinander. Man kann sogar behaupten, dass fast alle Mühlen auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde Wien von einem einzigen Mühlbach betrieben wurden, der sich vom Mariabrunner Wehr bis zum Donaukanal erstreckte und der an den vier weiteren Wehranlagen dazwischen bloß die Seite des Flusses wechselte. Die vier weiteren Wehre waren das Wehr zwischen Baumgarten und St. Veit bei der heutigen Preindlgasse, das Große oder Meidlinger Wehr, das Steinerne oder Gumpendorfer Wehr und ein Wehr nahe der Innenstadt. Alle Mühlen des Wienflusses waren somit „in Serie“ geschaltet, niemals parallel, und jeder Müller wachte eifersüch
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Diese Zeichnung um das Jahr 1781 zeigt die Nutzung des Wienflusses und seiner Nebenflüsse durch Mühlen. Es sind auch Teiche und ehemalige Klausen eingezeichnet.
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tig, dass kein Wasser abgezweigt wurde. Natürlich hat jede Regel ihre Ausnahmen: Die 1803 errichtete Neumühle in St. Veit hatte einen eigenen, oberhalb von St. Veit abgeleiteten Mühlbach; vom 1793 errichteten Gaudenzdorfer Wehr unterhalb des Meidlinger Wehrs wurde Wasser nach links zur Pfeifferschen Lederfabrik geleitet, die Hundsmühle wurde von einem in Reinprechtsdorf entspringenden Quellbach betrieben und die Staubmühle bei der Stubenbrücke vom Wasser des Wiener Neustädter Kanals; eine 1780 aufgelassene „Gaudenzdorfer Mühle“ (CNr. 127 bzw. später Steinhagegasse 9) ist noch nicht hinreichend erforscht.
Bei der Betrachtung dieses ineinandergreifenden Systems an Wehranlagen und Mühlbächen wird klar, dass dies nur als herrschaftsübergreifende Gemeinschaftsarbeit organisiert und durchgeführt werden konnte und mit erheblichem, von vielen zu tragendem Arbeitsaufwand verbunden war.
Die Darstellung des Mühlenbestandes an der Wien zu einem bestimmten Zeitpunkt wird durch die vielen Änderungen im Laufe der über tausendjährigen Geschichte erschwert. Die Ursachen für diese Änderungen sind vielfältig. Überschwemmungen waren meist für die Zerstörung der teuren Wehre verantwortlich, Kriege und Brände für die Zerstörung der Mühlen. Manche Mühlen wurden an gleicher oder anderer Stelle wieder aufgebaut, andere wurden aufgegeben. Auch der Name bleibender Mühlen konnte sich über die Jahrhunderte mehrmals ändern. Sie wurden ja oft nach ihren Besitzern (Landesfürsten, Bistümer, Stifte, Klöster, Adelige, Bürger etc.) oder nach ihren Pächtern benannt und diese wechselten eben häufig. Auch topografische Bezeichnungen hatten oft nur kurzen Bestand.
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„Die Forstakademie in Mariabrunn“. Ein Holzstich nach einer Zeichnung von J. Brunner. Eine seltene Ansicht, die auch das Mariabrunner Wehr zeigt.
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Anton Schachinger zählt in seinem Buch über den Wienerwald für das 17. Jahrhundert 16 Mühlen, davon 1 in Purkersdorf, 1 in Gablitz (Gablizbach), 1 in Hadersdorf (Mauerbach), 1 in Hacking, 1 am Gluthafen, 1 in Hütteldorf, 1 in Baumgarten und 9 Mühlen weiter stadteinwärts. Zählt man die im Franziszeischen Katasterplan eingezeichneten Mühlen, kommt man alleine auf dem Gebiet des heutigen Wien auf die Zahl 14. Addiert man alle bekannten Mühlenstandorte an der Wien und an ihren Nebenflüssen, so kommt man auf die Zahl 32.
Die schwankende und durchschnittlich geringe Wasserführung der Wien setzte der Größe der Mühlen eine natürliche Grenze. Sie hatten zwei oder drei Gänge (Anzahl der Mahlwerke, in der Regel ident mit Anzahl der Mühlräder) und nur ganz wenige verfügten über vier Gänge (z. B. die Faistmühle bei Hietzing und die Bärenmühle). Für die Heumühle sind anfangs sogar fünf Mühlgänge dokumentiert. Damit waren sie mit den meisten Mühlen im Wienerwald vergleichbar, doch an der Schwechat standen Mühlen mit bis zu sechs und an der Leitha mit bis zu zehn Gängen und mit dementsprechend höherer Produktionsleistung.
Der erste Mühlbach und seine Mühlen fielen den wachsenden Verteidigungsanlagen Wiens zum Opfer. Nach der Ersten Türkenbelagerung 1529 wurde die eine oder andere nicht wieder aufgebaut, nach der zweiten Türkenbelagerung 1683 war die der Heiligengeistmühle folgende Bärenmühle (abgesehen von der später entstandenen Staubmühle bei der Stubenbrücke) die unterste Mühle an der Wien.
Das eigentliche Mühlensterben war vor allem eine Folge der übermächtigen Konkurrenz durch die mit Dampfmaschinen betriebenen Großmühlen. Die Nutzung der Dampfkraft setzte in diesem Bereich allerdings erst um 1880 massiv ein, also zu einer Zeit, als an der Wien fast keine Mühlen mehr in Betrieb waren. Diesen hatte schon früher die sehr unterschiedliche Wasserführung der Wien zugesetzt – vom Anfang des 19. Jahrhunderts wird oft monatelanger Stillstand wegen Wassermangels berichtet – oder sie waren dem Siedlungsdruck gewichen – u. a. wurde der Gumpendorfer Mühlbach 1847 und der Wiedner Mühlbach 1856 verschüttet. Das nahe Gaudenzdorfer Wehr bestand bis zum Hochwasser 1875. Dass die Rolle der Wien als Mühlwasser in Wien zu Ende ging, störte aber eher nur die romantischeren Gemüter, denn die meisten Bewohner hielten die Mühlbäche mit dem Wasser der verschmutzen Wien für gesundheitsschädlich und befürworteten die Zuschüttung. Auch der gewonnene Platz und das wegfallende Verkehrshindernis waren willkommen.
Einen langen Existenzkampf führten die Anrainer des Mühlbaches durch Unter St. Veit und Hietzing, obwohl das Wehr bei der heutigen Preindlgasse schon im Katasterplan 1819 nicht mehr eingezeichnet war. Zunächst bekamen die Feldmühle in Unter St. Veit und die Faistmühle in Hietzing das Wasser von dem bei St. Veit abgeleiteten neuen Werkskanal der 1803 gegründe
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te Neumühle. Als der versandete, wurde im Bereich des alten Wehres eine Trogbrücke errichtet und das Wasser des jenseitgen Mühlbaches über die Wien herübergeholt. Noch 1884 wurde ein langwieriger, vor allem von der Faistmühle in Hietzing betriebener Streit über die Reparatur vor allem der Trogbrücke geführt. Doch bald darauf ist die Faistmühle abgebrannt.
Die Trogbrücke im Jahr 1898. Sie hatte das ehemalige Wehr an dieser Stelle ersetzt und führte den Mühlbach in der Höhe Preindlgasse über den Wienfluss. Mühlen waren zu dieser Zeit keine mehr in Betrieb, die Trogbrücke aber hatte trotz der bereits weit fortgeschrittenen Regulierungsarbeiten bis dahin überlebt. Danach ist sie nicht mehr nachgewiesen.
Die Feldmühle in einem Einreichplan aus dem Jahr 1898. Ihr ursprünglicher Name „Mühle im Gottinesfeld“ oder „Gottesfeldmühle“ weist auf eine bereits im 11. Jahrhundert an dieser Stelle bestandene Mühle. Der Plan zeigt die Mühlengebäude an beiden Seiten des Mühlbaches nördlich der Auhofstraße, vis-a-vis der Feldmühlgasse. Links die Geleise der Verbindungsbahn.
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Ein anderer Einreichplan zeigt den Grundriss der Hietzinger Mühle mit einem 1863 geplanten aber nicht gebauten Raum für einen maschinellen Antrieb. Dargestellt sind Mühle, Mühlbach, Radstube und rechts das Wohngebäude Konskriptionsnummer 33 (heute Lainzer Straße 10). Ein großer Teil des Mühlenareals im Nordosten war zu „Carl Schwenders neue Welt“ geworden. Das Wohngebäude besteht heute noch.
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Dieses Foto zeigt die aktuelle Ansicht der Südwestfront des ehemaligen Wohnhauses der Hietzinger Mühle. Der Fassade sind die zahlreichen Umbauten des Gebäudes in den 300 Jahren seines Bestandes anzusehen. In alter Zeit hieß die Mühle „Mühle im Gern“, später Faistenmühle. Rechts schließt der 1820 errichtete Zubau an (gelb gestrichen).
Der Mühlbach unter dem Haus Lainzer Straße 10. Vor Errichtung des Zubaus wurde der Werkskanal eingewölbt; nach Schließung der Mühle geriet er in Vergessenheit. Vor einigen Jahren wurde er wiederentdeckt und das Gewölbe unter dem Stiegenhaus aufgebrochen. Er ist an beiden Seiten abgemauert und dient jetzt als Keller. Gemeinsam mit dem Mühlbachrest neben dem Linienamt an der Linzerstraße ist er der letzte Zeuge der früher von Mariabrunn bis zum Donaukanal führenden Werkskanäle.
Für die Nachfahren der letzten Müllersfamilie Petter waren die Stapel mit alten Mühlsteinen ein beliebter Spielplatz. Das Foto stammt aus den Jahren 1964/65.
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Die Hietzinger Mühle war bis 1886 in Betrieb. Einige Schilder bezeugen die Verwendung des Gebäudes nach Schließung
der Mühle.
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Zum Zeitpunkt der Regulierung um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert wurde am Wienfluss in Wien keine Wassermühle mehr betrieben und auch diese Trogbrücke verschwand. Trotzdem musste das durch die Regulierung wegfallende Mariabrunner Wehr wegen bestehender Wasserrechte durch neue Ableitungen aus dem Wienfluss und dem Mauerbach ersetzt werden und der obere Mühlbach durch Hütteldorf und Baumgarten blieb bestehen. In den 1920er-Jahren war allerdings nur mehr der Hütteldorfer Teil des Mühlbaches bis zum Halterbach in Betrieb, und nur mehr das Hütteldorfer Bad dürfte sein Wasser verwendet haben.
Nach dem Ende der Mühlen erinnerten viele Straßennamen und mache Flurbezeichnung an sie. Mit der Eingemeindung der Vororte nach Wien sind diese Hinweise aber weniger geworden, schließlich durfte es im erweiterten Wien jeden Straßennamen nur einmal geben. Die heutige Ullmannstraße etwa hieß einst – wie viele andere Gassen auch – Mühlbachgasse. Trotzdem blieb die Stadt reich an Hinweisen zu den alten Wassermühlen, ganz dicht z. B. in der Wieden, wo die Mühlgasse den Verlauf des Mühlbaches nächst dem noch bestehenden Gebäude der Heumühle in das Stadtbild zeichnet und Wehrgasse, Heumühlgasse und Schleifmühlgasse eng beieinander liegen. In Hietzing erinnert die Feldmühlgasse an die einstige Feldmühle.
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Die Hietzinger Kirche 1662. Der davor eingezeichnete Mühlbach floss zur 1512 verödeten Schleifmühle „zunegst des prikhls gegen der martersäulen“ und dann durch den kaiserlichen Tiergarten nach Meidling. An Stelle der Schleifmühle steht heute das Kaiserstöckl.
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Im Jahr 1246 starb mit Friedrich II. der letzte Babenberger. Im folgenden Erbfolgestreit obsiegt Ottokar II. durch Heirat mit Friedrichs Schwester Margarete. Er vereinigte die babenbergischen Länder mit Böhmen und setzte die Besiedelung des Landes fort. Mit der Schlacht auf dem Marchfeld im Jahr 1278 (eine der größten Ritterschlachten des Mittelalters) kam das Gebiet unter habsburgische Herrschaft und wurde zu deren Kernland. Damit verebbte auch die intensive Zuwanderung. Spätestens mit dem Ende der mittelalterlichen Kolonisationszeit im 13. Jahrhundert war die Siedlungsstruktur der Dörfer auf dem Gebiet des heutigen Wiener Gemeindebezirkes Hietzing angelegt. Die landwirtschaftlichen Dörfer veränderten sich in den folgenden Jahrhunderten nur geringfügig, die Verkehrs- und Bauflächen dieser Dörfer haben sich in den Zentren der heutigen Bezirksteile großteils bis in die Gegenwart erhalten. Sie werden im Kapitel „Ortsgeschichten“ dargestellt.
Diese Bildtafel des
Grillparzer-Denkmals
im Wiener Volksgarten
zeigt eine Szene aus
König Ottokars Glück und Ende. Der König von Böhmen
kniet vor seinem Feind
dem Deutschen Kaiser
Rudolf von Habsburg,
um mit Böhmen und Mähren belehnt zu werden.
Der Anfang vom Ende Ottokars.
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Gedenkstein zwischen Dürnkrut und Jedenspeigen. Er erinnert an die Schlacht auf dem Marchfeld 1278. In den beiden Gemeinden Dürnkrut und Jedenspeigen wird seit dem Jahr 2003 abwechselnd ein Mittelalterfest im Gedenken an die Schlacht veranstaltet.
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Die ältesten kartografischen Darstellungen Wiens sind oft eine Mischung aus planlichen, (vogel-)perspektifischen und bildlichen Darstellungen. Der älteste Plan von Wien ist der sogenannte Albertinische Plan aus den Jahren 1421/22, der auch den Wienfluss außerhalb der Stadtmauern zeigt. Die erste topografisch informative Ansicht Wiens mit dem Wienfluss ist die Tafel „Die Flucht nach Ägypten“ des Schottenaltars. Sie entstand um 1470 und zeigt im Hintergrund die Stadt Wien mit der Wieden. Diese Darstellungen konzentrieren sich eben auf das historische Wien.
Ein bedeutendes Dokument des spätmittelalterlichen Wien, das über den Bereich hinausblickt, ist die Rundansicht des Nürnberger Malers, Druckers und Verlegers Niclas Meldemann. Dessen historisches Schlachtengemälde zeigt die Stadt inklusive Wienfluss während der Türkenbelagerung 1529 aus der Vogelschau und reicht bis an die heutigen Grenzen der Stadt, kann die dortigen Siedlungen aus großer Entfernung aber nur mit Türmen etc. andeuten. Eine der ersten Karten, die auch einen Teil der Ansiedlungen am oberen Teil des Wienfluss zeigen, ist die Österreich-Karte des 1585 veröffentlichten „Mercator-Atlas“.
Bereits über eine teilweise hohe Authentizität verfügen bahnbrechende Planwerke wie der Albertinische Plan, der Plan von
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Der Brequin-Plan aus dem Jahr 1755 zeigt noch, wie diese Gegend über lange Jahrhunderte ausgesehen hat, natürlich mit Ausnahme von Schloss samt Schlosspark Schönbrunn, die schon weit gediehen waren. Der Wienfluss mäandert wie seit Jahrtausenden durch die Ebene. Die Ebene diente der Landwirtschaft mit Ackerbau und Viehzucht. Direkt an die Höfe der Bauern schlossen der Haus- und Obstgarten und dahinter ein Gartenacker an. Die großen Ackerflächen wurden meist genossenschaftlich genutzt. Auch die Viehhaltung erfolgte gemeinschaftlich durch einen gedungenen Viehhalter. Und alle Dörfer waren noch großteils Weinbauerndörfer, die Abhänge des Wienerwaldes waren mit Weingärten bedeckt.
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Hier eine Zusammenstellung der die St. Veiter Ortsgemeinden betreffenden Franziszeischen Katasterpläne 1819, also 64 Jahre nach dem Brequin-Plan aus dem Jahr 1755. Im Veitinger Feld, das als solches auch bezeichnet wird, überwiegen die Felder, am südlichen Rand die Wiesen. An den Hängen zum Wienerwald überwiegen nach wie vor die Weingärten.
M. Bonifatius Wolmut, die kolorierten Handzeichnung von Leander Anguissola und Johann Jacob Marinoni und die Huber’sche Szenografie. Sie reichen aber kaum über den Linienwall (heutiger Gürtel).
Der älteste kartografisch exakte Plan für unsere Region ist der handgezeichnete Plan des aus Lothringen stammenden Karographen Jean Brequin de Demenge aus dem Jahr 1755. Er zeigt die Umgebungen von Schönbrunn und Laxenburg (links unten ein genordeter Ausschnitt).
Die erste umfassende Landesaufnahme im Herrschaftsbereich der Habsburger war die Josephinische, auch Erste Landesaufnahme. Für unsere Region wurde sie 1773 unter der Regentschaft von Maria Theresia begonnen und 1781 unter Joseph II. abgeschlossen. Den Anstoß zu dieser Landesaufnahme gaben militärische Überlegungen, folgende Kartenwerke dienten auch steuerlichen Zwecken.
Die kartographischen Darstellungen erreichten mit den Franziszeischen Katasterplänen, der Urmappe zu den späteren Katasterplänen, ab 1819 ihren Höhepunkt.
Den für unsere Region bedeutenden Fortschritt machten die kartografischen Darstellungen, die unter Erzherzogin Maria Theresia nicht mehr nur militärischen, sondern auch steuerlichen Zwecken zu dienen begannen.
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Viele der Orte entlang des Wienflusses nennen einen Kupferstich von Georg Matthäus Vischer (1626–1696) aus der „Topographia Austriae Inferioris“ als ihre erste bildliche Darstellung. Die ersten Ansichten entstanden in den 1670er-Jahren. Sie werden in das Kapitel „Ortsgeschichten kurz und bündig“ eingefügt.
Die frühesten mehr oder minder authentischen Bilder über die Gegenden um das Veitinger Feld verdanken wir vor allem der 1773 gegründeten Akademie der bildenden Künste, in der sich eine eigene Landschaftsklasse etablierte, und ihrer Vorläufer, die hervorragende Landschaftsmaler hervorbrachten. Anlass waren die in diesem Jahrhundert auftauchenden Neigung zur Natur und der Vision, ihre Wirklichkeit festzuhalten, wobei auch das untere Wiental eine beliebte Kulisse für dieses Zeichnen und Malen nach der Natur bildete. Die durchsichtigen Wasserfarben auf weißem Papier erwiesen sich für die Raum und Lichtprobleme in freier Natur als optimal, und die mit freiem Pinselstrich festgehaltene künstlerische Stimmung einer möglichst realistischen Landschaft waren weitere Voraussetzungen für den Erfolg. Die notwendigen Auftraggeber fanden sich über den Adel hinaus im neuen Bürgertum. Zu dieser beginnende Blüte des Wiener Aquarells gehören auch die darauf aufbauenden druckgrafischen Werke.
Wienfluss-Bilder gibt es von Jakob und Rudolf von Alt, Johann Adam Delsenbach, Josef Fide-Fußnecker, Joseph Heideloff, Laurenz Janscha, Joseph Orient, Tobias Raulino, Franz Josef Sandmann, Emil Jakob Schindler, Johann Varrone etc. und von zahl
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Joseph Orient, Blick auf Schönbrunn und den Wiener Vorort Meidling, mit Feder überzeichnetes Aquarell vor 1747 (Albertina, Wien). Rechts von Schönbrunn ist auch Hietzing und St. Veit mit Kirche und Schloss auszunehmen. Dies Bild scheint – mit Ausnahme von G. M. Vishers Ansichten – die älteste topografisch brauchbare Ansicht unserer Region zu sein. Es wird gerne an den Anfang von Abhandlungen über das erst später einsetzende Jahrhundert des Wiener Aquarells gegeben.
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Laurenz Janscha, St. Veit und Umgebung, Aquarell um 1795 (Albertina, Wien). Eine ebenfalls recht frühe Darstellung, die schon mehr über das in den Mariengraben geschmiegte Angerdorf St. Veit erahnen lässt, und auch die Umgebung inkl. Baumgarten, Hütteldorf und Hacking mit Schloss Hacking zeigt.
reichen moderneren Künstlern. Große Verbreitung fanden die Werke von Kupferstechern wie Carl Schütz und Johann Andreas Ziegler. Sie vervielfältigten hervorragende Werke anderer Künstler oder waren selbst Maler. Meist kolorierte Ansichten aus der näheren und weiteren Umgebung von Wien erschienen zuerst um 1795 bei F.X. Stöckl, dann bei Artaria in Wien.
Die ersten fotografischen Ansichten stammen aus den 1870er-Jahren.
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Die Zeit Maria Theresias war in Fortführung der Aufklärung ihres Vaters Karl VI. von bahnbrechenden Reformen in fast allen politischen und wissenschaftlichen Bereichen gekennzeichnet. Ihre Ära von 1740 bis 1780 war aber auch der Startschuss für massive Änderungen in unserer Region.
Mit dem Neubau des Schlosses Schönbrunn, das unter Maria Theresia im Wesentlichen seine heutige Gestalt erhielt, und mit der kaiserlichen Hofhaltung setzte ein Wandel ein, der das Ortsbild Hietzings und seine soziale Struktur grundlegend veränderte. Adelige und Bürger, aber auch Schmarotzer und Spekulanten wurden angezogen. Nicht nur der Weinbau, der schon an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert den ersten Rückgang verzeichnete und nach der Türkenbelagerung 1683 weitgehend dem Ackerbau gewichen war, verschwand endgültig, sondern auch das Interesse an jeder Landwirtschaft. Das Vermieten bot viel einträglichere Verdienstmöglichkeiten.
Die neue Bautätigkeit betraf zuerst das Gelände zwischen der heutigen Hietzinger Hauptstraße und der Dommayergasse. Ab dem Jahr 1755 entstanden die ersten Häuser in unmittelbarer Nähe des späteren Hietzinger Hofes und an der Hietzinger Hauptstraße zwischen Kirche und Wienfluss. Dann waren auch die Gründe südlich der Hietzinger Hauptstraße und der Lainzer Straße betroffen, und schließlich entstand das Gassennetz südlich der Altgasse zwischen Lainzer Straße und Maxingstraße.
Die damit verbundene rege Bautätigkeit schildert anschaulich Adalbert Stifter in seinen 1844 erschienenen „Landpartien“:
„Da ist zum Beispiel Hietzing, ein Dorf am Ende des Schönbrunner Parks, wo es im Sommer so gedrängt ist, wie fast in keinem Teil der Stadt selbst. Das Dorf vergrößert sich aber auch so, dass es eigentlich eine Stadt ist, mit Gassen, in denen man sich in der Tat vergehen kann.“
Kürzer, aber fast noch heftiger war die Zeit Maria Theresias als Besitzerin der Grundherrschaft St. Veit an der Wien. Diese Zeit kann als der Startschuss für die massiven Änderungen in dessen Ortsbild gesehen werden, vor allem die von ihr Projektierte neue Verbindungsstraße nach Hietzing (die heutige Hietzinger Hauptstraße). Ihre breite und geradlinige Anlage zerstörte einen Teil des alten Ortskernes, und die abgerissenen Bauernhäuser wurden durch bürgerliche, teilweise bereits einstöckige Häuser ersetzt. Die neue Straße bildete neben der heutigen Auhofstraße und der heutigen Trazerberggasse eine weitere Entwicklungsachse für das im 19. Jahrhundert einsetzende massive Wachstum Hietzings und der beiden St. Veits.
Über diese massiven Änderungen im Ortsbild hinaus verlor St. Veit in der Zeit nach Maria Theresia auch seinen führenden Rang als wichtigste Ortsgemeinde im Raum. Hietzing war bis in Maria
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Theresias Zeiten bloß ein kleines Dorf, sowohl hinsichtlich der Fläche als auch seiner Bewohner. Die gesamte Fläche der zur Grundherrschaft Klosterneuburg gehörigen Gemeinde Hietzing, die im wesentlichen dem heutigen Bezirksteil Hietzing („Alt-Hietzing“) entspricht, betrug im Jahr 1819 nicht ganz 194 Joch (rd. 1,1 Quadratkilometer). Die damalige Grundherrschaft St. Veit verfügte über mehr als 800 Joch. Der Grundbesitz der Herrschaft reichte bis nach Hietzing herunter, selbst der Bereich um das spätere Hietzinger Bräu gehörte dazu. Für 1428 wurden in Hietzing 17 bewohnte Güter bezeugt, und sogar in der Zeit Josephs II. zählte Hietzing nur 29 Häuser bzw. 273 Einwohner. St. Veit an der Wien mit seinem Erzbischöflichen Schloss hatte über all die Jahrhunderte seiner früheren Geschichte um die 90 Häuser und über 800 Einwohner. Außerdem befand sich der Sitz des auch für Hietzing zuständigen Landgerichtes in St. Veit. Das Stift Klosterneuburg als Grundherr Hietzings war für die niedere Gerichtsbarkeit zuständig.
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Schönbrunn in einer alten Ansicht. Künstler und Datum unbekannt
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Das Eingangsportal des
Großen Michaelerhofes, Kohlmarkt Nr. 11, mit der aufgemalten Konskriptionsnummer 1152
Volkszählungen aus militärischen und steuerlichen Gründen waren zur Zeit Maria Theresias schon fast Routine, die Ergebnisse allerdings meist unbrauchbar. Eine lang diskutierte und im Jahre 1769 unterzeichnete Verordnung sollte den Genauigkeitsrad dieser Zählungen entscheidend heben, und zwar aus zwei Gründen: Erstens wurde gleichzeitig mit einer neuerlichen „Seelenkonskription“ (Volkszählung) auch eine Häuserkonskription befohlen und zweitens verzichtete man auf die oft schlampige Hilfe der Grundherrschaften. Bald nach der Veröffentlichung der endgültigen Entscheidung im März 1770 zogen daher Kommissionen aus militärischen und zivilen Beamten durch Österreich und Böhmen, um alle bewohnbaren Häuser zu nummerieren und die Bewohner zu beschreiben. Sie erledigten ihre Arbeit zügig, Wien und Niederösterreich wurden von Oktober 1770 bis Oktober 1771 bereist.
Städte, Märkte und jedes Dorf wurden separat erfasst. Die Kommissionen begannen ihre Arbeit entweder mit dem Haus eines Ortes, auf das sie als erstes stießen oder mit einem repräsentativen Gebäude in der Mitte, etwa dem Sitz der Grundherrschaft. Zunächst malte einer der Kommissionsschreiber ein schönes „Nº“ samt arabischer Zahl in schwarzer Farbe über die Tür des Hauses (nur in Wien waren die Nummern rot). Danach trat die Kommission ein und der Sprecher befragte den Herrn des Hauses über Zahl und Zusammensetzung der Bewohner und militärisch verwendbaren Zugtiere. Die Angaben wurden soweit möglich mit Extrakten aus den Kirchenbüchern verglichen und in Listen eingetragen. Von den aufgemalten Hausnummern sind nur wenige erhalten, eine davon ist diejenige des Großen Michaelerhofes, Kohlmarkt Nr. 11 (Konskriptionsnummer 1152).
Leider sind die Listen dieser ersten Häuseraufnahmen abhanden gekommen und wir wissen daher nicht verlässlich, welchen Weg die Kommission durch die Dörfer genommen hat. Die Nummerierungen ist in der Folge je nach Dorf unterschiedlich oft geändert worden und es bedürfte eines mühsamen Vergleiches der in den Grundbüchern nachträglich angemerkten Konskriptionsnummern, um die Verschiebungen zu erfassen. Die ältesten
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durchgehenden Häusernummerierungen, die wir heute noch haben, sind in der Regel die 1819/1820 aus Anlass der Franziszeischen Landesaufnahme erneuerten. Sie können sich von den ursprünglichen durch Kauf und Verkauf von grundherrlichen Rechten über diverse Liegenschaften und durch die Veränderung im Hausbestand unterscheiden. Ein Beispiel nächst Hietzing sind die Verkäufe der Herrschaft St. Veit an an das Stift Klosterneuburg (im wesentlichen die Faistmühle und das Gasthaus zum Schwarzen Hahn, ursprünglich Nº 24 – Nº 30, ab 1779 Nº 124 – Nº 130) und die Teilung in Ober- und Unter St. Veit (1771 gab es im Bereich Unter St. Veits vermutlich nur die Feldmühle, 1820 bereits 33 Häuser).
In den 50 Jahren von der Erstkonskription bis zur Franziszeischen Landesaufnahme haben sich somit nicht nur die Menschen sondern auch die Reihenfolge der Hausnummern geändert. Trotzdem mag das Nachempfinden des Weges der Kommission auf Basis dieser ältesten verfügbaren Häusernummerierungen von Interesse sein. Einerseits wird sich die Nummerierungsfolge im Kern der Ortschaften nicht wesentlich verändert haben, andererseits ist es reizvoll, Namen zu nennen, selbst wenn es sich meist um die Enkeln oder fremde Nachfolger der ursprünglich angetroffenen Personen handelt. Hier wollen wir es am Beispiel Ober St. Veits probieren.
Mit Sicherheit wurde die Kommission von einer Delegation des Dorfes empfangen: Dem Pfarrer, den Dorfobrigkeiten und wahrscheinlich auch von einer Schar Kinder. Ihr aufgeregtes Lärmen begleitete die ganze Amtshandlung und beschleunigte sie sogar, denn das Erscheinen der Beamten war solcherart nicht zu überhören. Die St. Veiter wussten schon aus der Kirchenpredigt von dem neuen Rekrutierungssystem und den bevorstehenden Maßnahmen, trotzdem beäugten sie den seltsamen Vorgang misstrauisch.
Anhand des auf der folgenden Seite abgebildeten Planes können Sie den hier nachgezeichneten Weg verfolgen. Der Weg ist durch die rote Linie markiert. Die Beamten begannen mit dem Erzbischöflichen Schloss (daher Haus Nº 1) und wandten sich über Pfarrhof und Schule (Haus Nº 2 und Nº 3) zum Haus Nº 4, heute Erzbischofgasse 4. Von da führte der Weg in die Neustift Gasse (heute Schweizertalstraße) und die Häuser auf der rechten Seite bekamen Nº 5 – 14, das waren allesamt Häuser von Weinbauern. Das noch bestehende Haus Nº 14 (heute Schweizertalstraße 18) war das letzte auf dieser Gassenseite. Gegenüber die Nº 15 (es gehörte dem Herrn Puranner aus der bis in die jüngste Geschichte bekannten Weinhauerdynastie) war überhaupt das einzige auf seiner Seite. Die Häuser ab der Nº 16 standen nicht mehr zur Neustift Gasse gewandt, sondern zur damaligen Schulgasse. Erst nach der Einwölbung des Marienbaches bildete diese Gasse einen durchgehenden Bogen zur Einsiedeleigasse mit Namen Bognergasse, heute Vitusgasse.
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Ober St. Veit durch den
K.K. Kataster, aufgenommen um das Jahr 1820, unter Hervorhebung der erhalten gebliebenen Bauten (im Original rot, hier nur etwas dünkler), verändert durch das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen im Jahr 1971. Unterschiedlich zur Originalmappe des Franziszeischen Katasters sind die Grundrisse der Gebäude vereinfacht, und statt der Parzellen- und Grundstücksnummern wurden die Häusernummern eingetragen. Die Ableitung des Mühlbaches erfolgt im Original weiter flussaufwärts. Die rote Linie markiert den Weg der Beamten, beginnend mit dem Schloss Ober St. Veit.
Überall Weinbauernhäuser, erst auf der Maria Theresien Straße (heute Hietzinger Hauptstraße) kamen andere Professionen zur Geltung: Nº 25, das Haus der Anna Maria Nawecker, Fassbinderin, Nº 26 das Haus des Johann Kaiser, Fleischhauer und Nº 27, das Haus des Andreas Seiferth, Wirt. Der kaufte 1823 die Einsiedelei und schuf daraus die bekannte Gaststätte. Ein Unikum muss die Nº 28 gewesen sein, nur 7,50 Quadratklafter (ca. 27 m²) groß, zwischen Marienbach, Maria Theresien Straße und Einsiedeleigasse eingezwängt, soll es dennoch einen Weinhauer beherbergt haben.
Auch dieser Platz St. Veits hatte sich vor und nach dem Besuch der Kommissare stark verändert. Zunächst wegen der neu angelegten Maria Theresien Straße, die schnurgerade vom Marienbach zu den ersten Häusern Hietzings geführt wurde (vorher erreichte man Hietzing über die heutige Auhofstraße), der damit verbundenen Einwölbung des Marienbaches und später wegen der Verlängerung dieser Einwölbung. Häuser mussten weichen, neue wurden gebaut. Überlebt hat hier nur das Haus Nº 26 (Hietzinger Hauptstraße 153). An der Überbrückung des Marienbaches muss übrigens auch der heilige Nepomuk gestanden sein, der erst später an seine heutige Stelle an der Firmiangasse versetzt wurde.
Und weiter begleiten wir die Kommissare, die Einsiedeleigasse hinauf und hinunter, auch hier ausschließlich Weinbauern. Die Schlangenlinie der Beamten durch das Dorf war jedoch keine Folge der Gastfreundschaft der besuchten Weinbauern, sondern
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Die Quellen für diese Beschreibung einer Häuseraufnahme:
Protokolle zum Franziszeischen Kataster.
Tantner, Anton: Ordnung der Häuser, Beschreibung der Seelen - Hausnummerierung und Seelenkonskription in der Habsburgermonarchie; Dissertation zur erlangung des Doktorgrades der Philosophie aus dem Fachgebiet Geschichte, eingereicht an der Geistes- und Kulturwissenschaftlichen Faktultät der Universität Wien, 2004.
Steinwandtner, Felix: Die Straßen Hietzings. In: Fenster in die Vergangenheit: Lokalgeschichtliche Schriftenreihe des 13. Wiener Gemeindebezirkes. Herausgegeben vom Club 13 - Hietzinger Forum für Politik und Wirtschaft. Wien 1999.
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der kürzeste Weg zu allen Häusern. Im Haus Nº 43, am Eck zur damaligen Feld Gasse (im oberen Teil heute Trazerberggasse), trafen sie den zweiten Wirten des Ortes, den „Bestandwirth“ Michael Bergmann und die Feld Gasse weiter unten im Anwesen Nº 47 den einzigen Adeligen des Ortes, Michael Edler von Held. Er mag es als unerhört empfunden haben, nach dem gleichen System wie der einfache Schuhmacher vis à vis erfasst zu werden. Ein Vorbote der Demokratisierung sozusagen.
An der Feld Gasse und dem nachher begangenen Teil der Maria Theresien Straße hatte der Ort bereits begonnen, den Graben des Marienbaches zu verlassen. Das Haus Nº 52 des Bäckermeisters Jakob Hofbauer und die benachbarten Häuser des Hutmachers und des Gradltragers lagen zwar noch am Marienbach, die Nummern 54 bis 70 (ein Wundarzt, ein Schlossermeister, der Schullehrer, ein Weissgeschirrmacher und weitere Weinbauern) ragten aber schon weit ins Veitinger Feld.
Und endlich – schließlich war St. Veit nicht nur ein Weinbauernort – stießen die Kommissare auf die Milchbauern: In der nach ihnen benannten „Bauern Zeile“, noch früher „Pauernzeill“. Zwar waren sie auch hier keineswegs in der Mehrheit, aber alle, die es im Ort gab, waren hier versammelt. Unter ihnen auch Michael Glasauer, der Patron des heutigen Gassennamens. Dazwischen und daneben wieder Weinbauern, aber auch ein Fassbinder, ein Zimmermeister, eine Tischlerin, ein befugter Tandler zu Wien, ein Buchhalter, das Haus des Gemeindehirten und sogar das eines Regierungsrates aus Wien. Die Häuser am Marienbach waren schwer zu „consignieren“: Der Bach mäanderte zwischen ihnen und einmal bildeten sie mit der Bauern Zeile eine Gasse und einmal mit der Hauer Zeile (1770 noch Praittenzeill, heute Firmiangasse). Deren Name passte genau, sie wurde ausschließlich von Weinbauern bewohnt, nur eine Schuhmacherin hatte sich zwischen sie gedrängt und ein Zinshaus der Gemeinde. Ganz oben noch, am Eck zur Maria Theresien Straße, siedelte der Krämer des Ortes, Joseph Pattig; sein Haus bekam die Nº 100.
Das Ende des Beamtenweges war im Haus Nº 126, der Kanzlei des erzbischöflichen Grundherrn samt Meierei und Wohnung des Verwalters. Die Meierei ist als „Vitushaus“ erhalten geblieben. Doch nein, drei verstreute Gebäude weiter außerhalb (und auch außerhalb des Planes oben) mussten noch besucht werden: Das stattliche Anwesen des Wasenmeisters Karl Eder bekam die Nº 127 (heute Angermayergasse 1), die Einsiedelei die Nº 128 und am anderen Ende die Feldmühle die Nº 129. Damit war aber Schluss und es stand fest: St. Veit hatte 129 bewohnte Häuser. So wäre es zumindest gewesen, hätte die Häuserkonskription im Jahre 1820 stattgefunden. Im Jahre 1771 gab es noch zusätzlich die sieben Häuser nächst Hietzing, dafür vielleicht andere, vor allem die auf der projektierten Maria Theresien Straße noch nicht.
Alles in allem war St. Veit ein traditionelles Wein- und Milchbauerndorf mit relativ wenig Gewerbe. Dieses etablierte sich zu
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nächst vorwiegend in der neuen Ansiedelung bei der Feldmühle, die in der Franziszeischen Landesaufnahme 1819/1820 schon als eigenes Dorf behandelt wurde. Die Auhofstraße war im Bereich Ober St. Veits völlig unbesiedelt. Die Gebäude mit den Nummern 130 bis 135 gab es zur Zeit der Erstkonskription noch nicht, sie wurden erst später errichtet.
Damit waren auch schon die Schwächen der Konskriptionsnummern vorauszusehen: Die neuen Häuser wurden chronologisch nach ihrer Errichtung nummeriert, die Nummern zusammengelegter oder abgebrochener Häuser fielen weg. Im Laufe der Zeit war keine Ordnung mehr erkennbar. Umnummerierungen, die wegen der weitreichenden Folgen allerdings sehr restriktiv gehandhabt wurden, halfen nur kurz. 1862 wurden daher zusätzlich die heute noch gebräuchlichen straßenweisen Ordnungsnummern eingeführt, zunächst in Wien. Die Konskriptionsnummern wurden bis zur Umstellung des Grundbuches, die im Jahre 1874 begann, weitergeführt. Dann sind sie langsam verschwunden.
Zurück zum Haus Nº 135, im Plan ist es mit der Legende „Neue Mühle“ eingezeichnet. Diese Mühle war Vorbote der ersten Fabriken Ober St. Veits. Einen Beitrag über diese Fabriken und deren Schicksal ist ab →Seite 462 im Kapitel über die Industrie zu finden.
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Mit diesem Revolutionsjahr betreten wir einen Zeitraum, den Gebhard Klötzl in seinem Buch „Von Bürgermeistern und Affären“ anhand der Ortsgemeinden Ober St. Veit und Unter St. Veit von beispielloser Genauigkeit beschrieben hat: Die Zeit vom Revolutionsjahr 1848 bis zur Eingemeindung der selbstständig gewordenen ehemaligen Wiener Vororte nach Wien 1890–92. Die Ausführungen diese Kapitels basieren in gekürzter Weise auf diesem Buch.
Zunächst beschreibt Gebhard Klötzl die drei Wahlen, die es in diesem „tollen Jahr 1848“ gegeben hat und deren Mechanismen:
Die Wahlen für die konstituierende deutsche Nationalversammlung in Frankfurt am 26. April, besser bekannt als „Versammlung in der Paulskirche“. Es handelte sich dabei um eine mittelbare Wahl. In einer Urwahl waren Wahlmänner zu wählen, die dann in Wiener Neustadt für den Wahlbezirk Wr. Neustadt den (einen) eigentlichen, nach Frankfurt zu entsendenden Abgeordneten und seinen Ersatzmann wählten, für das Viertel unter dem Wienerwald waren es insgesamt fünf. Der in Speising wohnhafte Beamte und Schriftsteller Johann Baptist Weis, der pseudonym die berühmten, mundartlichen Hans-Jörgel-Briefe herausgab, berichtete über diesen Vorgang recht gallig: „Die Wahl eines Deputirten nach Frankfurt is vorbei, aber i muß sag‘n, daß er wenigstens in Neustadt, wo wir mit unserem Urwahlbezirk St. Veit und Hietzing zug‘wiesen war‘n, sehr unkonstitutionell ausg‘fallen ist.“ J.B. Weis war selbst ein gewählter Wahlmann des Ober St. Veiter Wahlsprengels und schildert sehr interessant, wie er voller Erwartungen nach Wiener Neustadt fuhr und dort ein aufgeregtes Durcheinander vorfand, um schließlich draufzukommen, dass großteils schon vorher Absprachen stattgefunden hatten. Es war eine Komödie…, „denn die Deputirten war‘n schon bestimmt, bevor wir no zur Wahl g‘schritten sein.“ Wieweit die Unzukömmlichkeiten wirklich gingen, und wieweit sich der Herr Rechnungsrat aus Speising nur übertölpelt fühlte, weil er mit der Welt der Politik nicht so vertraut war, muss hier offen bleiben.
Am 2. Mai fand die Wahl der Abgeordneten aus dem Bauernstande (vorgesehen waren zwölf) für den niederösterreichischen Landtag statt. Die Wahl war ebenfalls indirekt. Dazu kamen die Hausbesitzer jedes Ortes unter Vorsitz des Ortsrichters und der beiden ältesten Geschworenen zusammen und wählten einen Wahlmann, der seinerseits zum eigentlichen Wahlvorgang am 4. Mai 1848 entsandt wurde
Als ob es der Wahlen noch nicht genug gewesen wäre, fanden am 17. Juni, immer noch desselben Jahres 1848, die Wahlen der Wahlmänner für die konstituierende Reichstagsversamm
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lung der Habsburgermonarchie statt, wegen seiner späteren Flucht vor den Wiener Revolutionswirren nach Kremsier besser bekannt als „Kremsierer Reichstag“. Diesmal war das ganze Viertel unter dem Wienerwald bloß in sechs riesige Wahlbezirke geteilt, für die je ein Ort als zentraler Wahlort bestimmt wurde. Hietzing mit Schönbrunn, Lainz mit Rosenberg und Speising, Ober St. Veit, Unter St. Veit, Hacking und weitere 56 (!) Orte, die in etwa den ganzen heutigen 12., 15. und 23. Wiener Gemeindebezirk und die Gegend bis Mödling umfassten, bildeten einen Wahlbezirk, dessen zentraler Wahlort Perchtoldsdorf war. Dorthin mussten also die Wahlberechtigten reisen, um ihre Wahlmänner zu wählen, die dann ihrerseits am 21. Juni die Reichstagsabgeordneten wählten. Wieviele Leute bei den damaligen Verkehrsverhältnissen tatsächlich mühsam nach Perchtoldsdorf gefahren oder zu Fuß marschiert sind, ist leider nicht überliefert – vielleicht war es von den Behörden so gewollt, dass die neue Demokratie ein wenig gebremst wurde.
Ein weiteres bemerkenswertes Ereignis dieses Jahres war die Errichtung einer Nationalgarde (Bürgerbewaffnung), die vom Kaiser am 14. März 1848 zugestanden und deren Aufstellung vom Minister des Innern am 8. April angeordnet worden war.
Der Kreishauptmann des Viertels unter dem Wienerwald, zu dem auch „unsere“ Orte gehörten, rief wegen vorgekommener und noch zu befürchtender Überfälle auf Fabriken alle wehrfähigen Gutgesinnten zur Bewaffnung auf. Die fehlenden Waffen sollten zunächst durch Stöcke ersetzt werden. Man kreierte innerhalb kürzester Zeit eine Uniform, Adjustierungsvorschriften und ein Dienstreglement. Grundregel war, in Orten über 1000 Einwohnern jedenfalls eine Nationalgardekompanie aufzustellen, in kleineren Orten dann, wenn dazu eine unbedingte Notwendigkeit bestand. Der Kreishauptmann ordnete jedoch mit Kundmachung vom 23. April für Fabriksorte auch unter 1000 Einwohnern generell die Aufstellung einer Nationalgarde an. Alle wehrfähigen Männer vom 19. bis zum 50. Lebensjahr kamen zum Eintritt in Frage, soferne sie die Kosten für Uniform und Bewaffnung selbst aufbringen konnten – damit waren die sozialen Unterschichten de facto ausgeschlossen.
Nach diesen Kriterien war also in Ober- und Unter St. Veit sowie in Hacking je eine örtliche Nationalgardekompanie aufzustellen. Die Einzelheiten des Nationalgardewesens in diesen Orten sind aber kaum überliefert. Eine der doch überlieferten Begebenheiten ist die Schießstätte, die die Ober St. Veiter Nationalgardekompanie im Ober St. Veiter Gemeindewald errichtete. Später wurde sie für Zwecke eines Schützenvereines hergerichtet und weiter benützt. Ihre Reste sind noch heute an der Zufahrtsstraße zum Gasthaus „Zum Lindwurm“, schräg gegenüber der Weidmankapelle, im Wald zu sehen.
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Die Nationalgardekompanien der Dörfer waren entgegen einem in der lokalgeschichtlichen Literatur anzutreffenden Irrtum keineswegs die „Vorhut der Revolution“. Vielmehr erfüllten sie durch regelmäßiges Patrouillieren und Wachehalten rund um die Uhr eine wichtige lokale Sicherheitsfunktion in stürmischen und unsicheren Verhältnissen, denen die alten „Grundwachter“ nicht gewachsen waren und um die sich das staatliche Militär nicht kleinräumig kümmern konnte.
Die Tätigkeit der St. Veiter Nationalgarde endete allerdings sehr bald, nämlich mit ihrer Entwaffnung im Oktober 1848. Am 2. Dezember erließ das Kreisamt den Befehl, ausdrücklich auch an alle Nationalgarden, die ärarischen und privaten Waffen abzuliefern. Ihre materiellen Hinterlassenschaften (Geld, Munition und diverse Requisiten) übernahm die Gemeinde. 1851 forderte die Bezirkshauptmannschaft Hietzing alle Gemeindevorsteher auf, alle noch etwa vorhandenen Waffen und sonstigen Requisiten der ehemaligen Nationalgardekörper abzuliefern – die Gemeinde St. Veit sandte daraufhin drei noch vorhandene Trommeln ein. 1856 ließ die Statthalterei im Bezirk Hietzing nochmals „unauffällige Nachforschungen“ durchführen, ob irgendwo noch verbotene Nationalgardefahnen, Trommeln oder Waffen vorhanden seien – es fand sich nichts mehr. Mit Patent vom 22. August 1851 wurden alle Nationalgarden auch formell aufgelöst. Zu diesem Zeitpunkt war die Sicherheitsverwaltung durch die Errichtung der Gendarmerie neu organisiert worden.
Darüber hinaus blieben die Ortschaften im Bereich des heutigen 13. Wiener Gemeindebezirkes im Sturmjahres 1848 relativ unbehelligt. Zweifellos gab es sehr viel Aufgeregtheit, Angst und innere Anteilnahme an den Geschehnissen in der Stadt Wien, über die man wegen der räumlichen Nähe gut informiert war. Das einzige konkret fassbare Ereignis spielte sich am 14. März 1848 ab: In der Nacht von 13. auf 14. März und den ganzen 14. März über kam es in dem industriellen Ballungsraum Fünfhaus – Sechshaus – Braunhirschen, ebenso am gegenüberliegenden Wienufer in Meidling und Gaudenzdorf zu schweren Ausschreitungen und Plünderungen. Deren Höhepunkt war die Niederbrennung der Baumwolldruckfabrik Gebrüder Granichstädten in Sechshaus, worin sich teils der Hass von erwerbslos gewordenen Arbeitern auf die neuen Maschinen manifestierte, teils aber auch nur krimineller Pöbel austobte. Am Morgen des 14. März zog nun eine Schar Druckergesellen, eine Art Sturmtrupp, das Wiental stadtauswärts und drang gezielt in verschiedene Fabriken ein, um auch hier die Maschinen zu zerstören. In St. Veit wurden solcherart alle Maschinen der Druckfabrik Benjamin Spitzer in der Auhofstraße (h. Nr. 120) zerstört, in Hacking spielte sich ähnliches in der Baumwolldruckerei Bossi (heute Hackinger Straße 50) ab, woran die örtlichen Arbeiter und die örtliche Bevölkerung aber nicht beteiligt waren. Am Abend des 15. März kehrte wieder Ruhe ein.
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In Hietzing kam an einem nicht mehr überlieferten Tage des Jahres 1848 das Gerücht auf, „Revolutionäre“ seien im Anmarsch. Allgemeine Panik machte sich breit, der Wirt Bauer vom Gasthaus „Zum Weißen Engel“ verpackte sein gesamtes Silbergeschirr in Kisten und versteckte es im Eiskeller, sein Bargeld vergrub er im Garten. Nachdem ganz Hietzing drei Tage lang vergeblich auf die Revolutionäre gewartet hatte, erkannte man, dass man einer Gerüchtehysterie aufgesessen war.
In Hacking kam es zu einem Zwischenfall, der die Gereiztheit und Orientierungslosigkeit jener Tage spiegelt: Im Haus Hacking Nr. 10 sang die Gattin des Chemikers Ignaz Marck bei offenem Fenster die Kaiserhymne. Daraufhin drangen einige Ortsbewohner in das Haus ein, beschimpften Ignaz Marck als „schwarzgelben Halunken“ bedrohten ihn mit dem „Abstechen“ und verprügelten ihn so sehr, dass er ärztlicher Hilfe bedurfte. Man findet selbigen Ignaz Marck übrigens in der Mitgliederliste der Hackinger Kompanie der Nationalgarde unter dem Kommando des Hackinger Ortsrichters Martin Brell, die übrigen Mitglieder waren lauter Hackinger Hausbesitzer – das Establishment also.
Ein nur unvollständig überliefertes Dokument ausgestandener Ängste im Dorf Hacking sind auch die Briefe der Baronin Scharnhorst an die Gräfin Eveline Sickingen-Hohenberg. Baronin Scharnhorst hielt sich vom Frühjahr bis Anfang Oktober 1848 im heute nicht mehr bestehenden Hackinger Schloss als Gast des Schlossherrn, des Prinzen Gustav Wasa, auf und berichtete von dort in Briefen laufend über ihre Erlebnisse. Zumeist gibt sie nur die neuesten (Schreckens-) Nachrichten aus der Stadt Wien wieder. Über den 6. Oktober, den Tag des Mordes an Kriegsminister Latour, berichtet sie:
„Nach einer Stunde kehrte er [Prinz Wasa, Anm.] mit den schrecklichsten Nachrichten zurück. Er berichtete von dem Morde Latours und dem Auflauf des Volkes, dem der Kommandierende die Zugänge der Stadt offen gelassen hatte... Es wurde die ganze Nacht unter dem Donner der Kanonen und dem Sturmgeläute aller Glocken Wiens und der umgebenden Ortschaften St. Veit, Hütteldorf, Hietzing etc. [Hacking und Unter St. Veit hatten keine Kirchen, Anm.] die Koffer gepackt. Der Lärm der Geschütze erschien uns so nahe, als wohnten wir vor der Linie. Die Nationalgarden der umliegenden Ortschaften gaben sich Signale der Wachsamkeit. Schüsse fielen auf Schüsse, als wären wir im Zentrum einer Schlacht. Ich trat mehrere Male hinaus auf meinen Balkon des Hackinger Schlosses, der die Aussicht auf die Stadt hat. ... Um 6 Uhr erhielten wir die Nachricht, der Kaiser werde um 8 Uhr unter einer Militärbedeckung von 5000 Mann und 8 Kanonen aufbrechen und Hacking passieren. Alles wurde in Bereitschaft gesetzt, um uns dem Hofe anzuschließen, der um ½ 9 Uhr vorüberzog.“
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Am 7. Oktober flüchteten die Schlossbewohner aus Hacking im Schutze des kaiserlichen Evakuierungskonvois Richtung Westen.
In Speising veranstaltete in der Nacht von 11. auf 12. Juni 1848 der Grünhüter (Flurhüter) der Gemeinde Lainz, Kaspar Griger, zusammen mit dem Lainzer Brüderpaar Jakob und Martin Meister und einer Handvoll weiterer Personen eine der im Revolutionsjahr so modernen „Katzenmusiken“ vor dem Haus zweier pensionierter kaiserlicher Hauptmänner in Speising (Johann Georg Frick und sein Schwiegersohn Johann Rußler). Hauptmann Frick schickte seinen Kutscher zum Speisinger Ortsrichter Augustin Wimmer (der dann der erste Bürgermeister Speisings werden sollte) um Abhilfe, vergeblich, jener ließ ihm nur ausrichten, er „könne nichts tun“, wollte es in Wahrheit offensichtlich nicht. Daraufhin ging sich Hauptmann Frick am folgenden Tag direkt zum Kreisamt für das Viertel unter dem Wienerwald in Wien beschweren und erreichte ein sofortiges Schreiben desselben sowohl an die Grundherrschaft Mauer als auch an die Herrschaft St. Veit als zuständige Landgerichtsinhaberin, das den Auftrag enthielt, in Speising einzuschreiten und durch sofortiges Amtshandeln Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Mit dem untätigen Ortsrichter Wimmer nahm man nicht einmal Kontakt auf. Über den Hergang des Exzesses (wurden die Herren Hauptleute nur angelärmt oder auch gefährlich bedroht?) gingen anschließend vor Gericht die Versionen stark auseinander.
Für Ober St. Veit sind Zwischenfälle solcher Art nicht zu verzeichnen. Die Pfarrchronik vermerkt, dass es der Energie des entschlossen und treu zum Kaiser stehenden Ortsrichters Michael Premreiner zu verdanken gewesen sei, dass in Ober St. Veit keine ähnlichen Exzesse wie an anderen Orten vorgefallen sind. Wenn auch „Exzesse“ ausgeblieben sein mögen, so kann man sich doch aufgrund der Vorfälle in der unmittelbaren Nachbarschaft, um die man sicherlich wusste, vorstellen, wie angespannt die Atmosphäre auch hier gewesen sein muss. Von idyllischen Verhältnissen war man zweifellos weit entfernt. Im Verlauf des Sommers 1848 gab es oftmaliges Alarmtrommeln und Ausrücken der St. Veiter Nationalgardekompanie. Am 6./7. Oktober gab es das von Baronin Scharnhorst in ihrem Brief (siehe oben) beschriebene Bereitschafthalten mit Abfeuern von Alarmschüssen. Am 12. Oktober tauchten von den Höhen des Laaerberges kommend zwei kroatische Kompanien des Banus Jelačić auf und entwaffneten am 14. Oktober kampflos die Ober- und Unter St. Veiter Nationalgarde ebenso wie alle anderen Gardekompanien des Wientales bis Meidling. In Ober St. Veit zwangen die Kroaten den Josef Fellner zur kostenlosen Bereitstellung von Hafer für ihre Pferde und zum Schotterführen. Der Unter St. Veiter Ortsrichter Valentin Karl musste sein Bestes geben, um die verlangte Einquartierung von 15 kroatischen Fußsoldaten und einigen Mann Kavallerie zu bewerkstelligen. Am 20. Oktober wurde die aufständische Stadt eingeschlossen und der Belagerungszustand
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erklärt. Die Beschießung Wiens und seine Erstürmung am 31. Oktober 1848 erlebten die Menschen in unserer Region dann nur mehr aus der Beobachterperspektive.
Ein individuelles Revolutionsschicksal gibt es noch zu berichten: Der seinerzeitige Stifter der Unter St. Veiter Jakobsglocke, anno 1848 noch in einem hölzernen Glockenstuhl, heute im Kirchturm hängend, Jakob Flebus, verlor mit der Revolution Existenz und Karriere. Dieser, ein gebürtiger Triestiner, erwarb 1840 im Alter von 30 Jahren eine Landesbefugnis zur Hutmacherei in Mariahilf und etablierte weitere Niederlassungen in Brünn, Graz und Triest, einige Jahre lang gingen die Geschäfte blendend. In Unter St. Veit kaufte er sich einen Wohnsitz. 1847 wurde er zu einem Opfer der Wirtschaftskrise und musste zur Vermeidung eines Konkurses seine sämtlichen Fabriken liquidieren. Er, der ganz unerwartet auf die Verliererseite Geratene, schloss sich daraufhin den Wiener Aufständischen des Oktober 1848 an. Am 3. April 1849 wurde er dafür von einem Militärgericht zu vier Jahren schweren Kerker verurteilt, seine Fabrikantenkarriere war zu Ende.
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Eine der großen Umwälzungen im Gefolge der Revolution von 1848 war die vom Kremsierer Reichstag beschlossene Grundentlastung, die Kaiser Ferdinand zur Erlassung des Allerhöchsten Patentes vom 7. September 1848 über die „Aufhebung des Unterthänigkeitsverbandes und Entlastung des bäuerlichen Besitzes“ bewog. Hauptgegenstand dieses Patentes war die Aufhebung des grundherrlichen Untertänigkeitsverhältnisses und der Grundherrschaften überhaupt. Hier wird nicht auf die Details dieser umwälzenden Änderung und die daran geknüpften Regelungen über die Entschädigung der enteigneten Grundherren eingegangen, sondern auf die praktischen Auswirkungen in der Region.
Äußerlich blieb für die Untertanen zunächst alles beim Alten, denn die Patrimonialbehörden (also die Grundherrschaften und die Patrimonialgemeinden) hatten die Gerichtsbarkeit und die politische Amtsverwaltung provisorisch bis zur Einführung landesfürstlicher Behörden fortzuführen. Einziger Unterschied war, dass sich in Verwaltungsangelegenheiten die bisherigen Fertigungsklauseln wie zum Beispiel „Herrschaft St. Veit a.d. Wien (Datum, Unterschrift)“ in „Amtsverwaltung St. Veit a.d. Wien (Datum, Unterschrift)“ änderte, in Landgerichtsfällen blieb die Bezeichnung „Landgericht St. Veit a.d. Wien“ gleich.
Das Engagement der nur mehr provisorisch weiter amtierenden Grundherrschaften war entsprechend gering, auch wenn sie ihre Aufwendungen vom Staat ersetzt erhielten. Der Aufbau des
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staatlichen Verwaltungsapparates war daher dringend, doch bis ins Frühjahr 1849 tat sich nichts. Der erste Reformschritt war die Erlassung des Provisorischen Gemeindegesetzes vom 17. März 1849, das die Konstituierung „freier Gemeinden“ vorsah, aber in der praktischen Umsetzung bald stecken blieb.
Nach weiteren Fort- und Rückschritten ist aus dem Einsetzen der ersten Aktenstücke zu ersehen, dass die neue geschaffene Bezirkshauptmannschaft Hietzing erst Anfang 1850 tatsächlich tätig wurde. Untergebracht war sie zunächst in Hietzing Nr. 118 und 119 (= heutige Wattmanngasse 16 – 18).
Damit hatten die Grundherrschaften von ihren ursprünglichen Agenden nacheinander die allgemein-politischen, die Steuereinhebung, die Gerichtsbarkeit über schwere Polizeiübertretungen und Polizeivergehen und die sogenannte Administrativgerichtsbarkeit abgegeben. Nur die – restliche – Gerichtsbarkeit, die dem neuen Bezirksgericht Hietzing bzw. an dem Landesgericht Wien zugedacht war, hatten sie noch, ferner ein paar Restagenden der Lokalverwaltung, die die neuen Ortsgemeinden übernehmen sollten. Für diese Restkompetenzen war die Infrastruktur der alten Grundherrschaften – Gebäude und Personal – aber überdimensioniert.
Doch ab April 1850 hatten die Grundherrschaften der Wiener Vororte reihum das Warten auf den ausständigen Rest der Gerichts- und Verwaltungsreform satt und stellten ihren restlichen Amtsbetrieb ein. Das führte dazu, dass es eine Reihe von Kompetenzen von überhaupt keiner Behörde wahrgenommen wurden. Brisanterweise befand sich unter diesen wochenlang herrenlosen Agenden auch die Erteilung des (damals in Niederösterreich noch nicht abgeschafften) politischen Ehekonsenses, also der behördlichen Erlaubnis zur Heirat, ohne deren Vorliegen kein Pfarrer die Trauung vollziehen durfte. Der Unmut in der Bevölkerung nahm deshalb in den folgenden Wochen bedrohliche Ausmaße an, der Ruf nach der „guten alten Zeit“ (vor 1848) wurde laut.
Mit 1. Juli 1850 nahm endlich das Bezirksgericht Hietzing seine Tätigkeit auf. Es war ein „Bezirksgericht II. Klasse“ für Zivil- und Strafsachen und zunächst im Klosterneuburger Herrschaftshaus in Hietzing Nr. 2 untergebracht. Zu seinem Sprengel gehörten alle Katastralgemeinden des heutigen 13. Bezirks sowie Teile des heutigen 14. und 23. Bezirks. Im Vergleich zu den grundherrlichen Miniaturgerichten – allein für den Bereich des heutigen 13. Bezirkes waren vier verschiedene zuständig gewesen – war das eine recht bürgerfreundliche Konzentration.
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Oft zitiert wird die programmatische Präambel des Provisorischen Gemeindegesetzes 1849: Die Grundfeste des freien Staa
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tes ist die freie Gemeinde. Eine Ortsgemeinde war nach diesem Gesetz in der Regel die als selbstständiges Ganzes im Franziszeischen Kataster vermessene Katastral-Gemeinde, oder mehrere derselben, die bereits tatsächlich eine einzige selbstständige Ortsgemeinde bildeten.
Die bedeutende Neuerung liegt sicherlich in der erstmaligen Rechtsgarantie auf einen autonomen Wirkungskreis, der der obrigkeitlichen Direkteinmischung versperrt bleibt. Dies geschah durch Zweiteilung des Wirkungskreises der neuen Ortsgemeinden: in den autonomen, von Staatskontrolle freien, und in den übertragenen Wirkungskreis, der die vom Staat übertragenen Geschäfte umfasst. Die Gemeindemitglieder wählten einen Gemeindeausschuss und dieser einen Gemeindevorstand mit dem Bürgermeister an der Spitze. Die Bezeichnung des Ortsoberhauptes als Bürgermeister war bis dahin nur in den Städten üblich gewesen.
Als großes Problem erwies sich die Zusammenlegung von bisherigen Ortsgemeinden z. B. sollten nach dem ursprünglichen Plan Ober- und Unter St. Veit mit Ober- und Unterbaumgarten zu einer einzigen Ortsgemeinde „St. Veit“ zusammengelegt werden.
Im neuen politischen Bezirk Hietzing gab es noch weitere Rebellionen: Vorder- und Hinterbrühl wollten nicht Zusammengelegt werden, Brunn – Maria Enzersdorf verspürte Sezessionsgelüste gegenüber Perchtoldsdorf. Penzing, Hietzing, Schönbrunn, Hetzendorf und Altmannsdorf wehrten sich ebenfalls gegen Vereinigungspläne. Fünfhaus konnte nicht mit Sechshaus und der Braunhirschengrund südlich der Mariahilferstraße verwahrte sich gegen jeden Anschluss in irgendeiner Himmelsrichtung (die Gebietshoheit der Braunhirschner Nachbarn Reindorf und Rustendorf hatte man ohnedies nicht anzutasten gewagt).
Am 12. März 1850 berichtete Bezirkshauptmann Graf Coudenhove an die Statthalterei, er habe die Probleme größtenteils durch Eingehen auf alle Wünsche gelöst, um die Gemeinden nicht gleich anfangs gegen die Bezirkshauptmannschaft zu stimmen. Von den 73 Patrimonialgemeinden des Bezirks, welche zu 56 neuen Ortsgemeinden geformt werden sollten, waren 71 mit der jeweils vorgesehenen Lösung zufrieden. Nur zwei Gemeinden erhoben rechtsförmlich Einspruch – eine davon war Unter St. Veit.
Aus der Anknüpfung der Bildung der neuen Ortsgemeinden an die vorhandenen Katastralgemeinden des Steuerkatasters ergab sich für St. Veit an der Wien schon die erste Schwierigkeit: Obwohl die Orte Ober und Unter St. Veit räumlich getrennt und sozial höchst gegensätzlich waren, waren sie von den Vermessungsbeamten des Kaisers Franz aus nicht mehr bekannten Gründen rein steuer- und vermessungstechnisch zu einer einheitlichen Katastralgemeinde zusammengefasst worden. Innerhalb dieser einen Katastralgemeinde hatte es aber rechtlich zwei Gemeinden patrimonialen Typs mit zwei gesonderten Ortsrichtern gegeben, was
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vielleicht verwaltungstechnisch eine Anomalie, durch die örtlichen Verhältnisse aber vollkommen gerechtfertigt war. Doch der rigorosen Grundregel, wonach eine selbstständig vermessene Katastralgemeinde niemals zerstückelt werden dürfe fiel die bisherige Selbstständigkeit der Gemeinde Unter St. Veit zum Opfer. Aus den bisherigen Gemeinden Ober und Unter St. Veit wurde die Ortsgemeinde St. Veit an der Wien. Von einem Gesamt-St. Veit auch mit Baumgarten wurde aber doch abgesehen. Unter St. Veit fühlte sich zu einem Außenposten des einen Fußmarsch entfernten Ober St. Veit degradiert, und die folgenden St. Veiter Streitigkeiten um Sitze, Vermögen, Grenzen und eine schließlich doch durchgesetzte Sezession könnten ein eigenes Buch füllen.
Das neue Gemeindewahlrecht war ein Zensuswahlrecht, das die Stimmen der Wahlbürger nach ihrer Steuerleistung gewichtete. Der schließlich festgelegte Mindestzensus für die Landgemeinden war ein Gulden Jahressteuerleistung – wer darunter lag, war vom Wahlrecht ausgeschlossen. Das war relativ hoch und schloss im Grunde alle vermögenslosen Schichten vom Wahlrecht aus, ohne dass sich eine absolute Anzahl der davon betroffenen Personen noch feststellen ließe. Außerdem darf man sich eine Gemeindeausschusswahl des Jahres 1850 nicht wie heutzutage einen „Wahlsonntag“ vorstellen: Die nach der Steuerleistung gebildeten Wählerkurien (Wahlkörper) versammelten sich am festgesetzten Wahltag zu einer ebenfalls genau festgesetzten Uhrzeit, und zwar jede Kurie für sich, benützt wurden dafür die Extrazimmer von Wirtshäusern. Die 1. Kurie war ein exklusiver Zirkel, quasi das Dorfpatriziat unter sich, die 3. Kurie dagegen eine mittelgroße Versammlung. Mangels erhaltener Wahlakten von den Gemeindeausschuss-Wahlen ist die Anzahl der Wahlberechtigten und die Wählerverteilung auf die Kurien überwiegend unbekannt.
Zum Erscheinen bei diesen Wählerversammlungen waren nur die Männer berechtigt. Ein Frauenstimmrecht gab es in der Form, dass Ehefrauen durch ihren Gatten und ledige bzw. verwitwete Frauen durch einen bevollmächtigten Mann ihres Vertrauens eine Stimme abgeben konnten. Wahlpflicht bestand keine.
Die Wählerversammlung musste von einem Emissär der Behörde geleitet werden, deren beschränkte Personalkapazität zwang zur Staffelung der Wahlen im Bezirk Hietzing, Hacking etwa wählte erst einen Tag später als St. Veit (15. Juni 1850).
Zur Abstimmung rief der Wahlleiter jeden einzelnen Wähler aus der Liste auf. Diese mussten vortreten und der Wahlkommission mündlich und öffentlich ihre Wahl für den Gemeindeausschuss bekannt geben. Die Abwesenden verloren ihr Wahlrecht. Für jeden neuen Namen legte die Wahlkommission einen eigenen Zettel an und machte darauf ein Strichlein, wurde derselbe Name ein weiteres Mal genannt, kam darauf ein zweites Strichlein und so fort. In den unteren Kurien konnte diese Prozedur einige Stunden in Anspruch nehmen. Gewählt war jeder, der eine rela
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tive Stimmenmehrheit für sich hatte. Wenn der Wahlkommissär noch anwesend war, wurden gleich nach der Abstimmung in allen Kurien die gewählten 18 Gemeindeausschussmitglieder zusammengerufen um aus ihrer Mitte den Bürgermeister und die Gemeinderäte zu wählen; unter „Gemeinderäte“ verstand man damals die dem Bürgermeister beigeordneten Vorstandsmitglieder der Gemeinde, also quasi deren „Regierung“.
Für St. Veit an der Wien wurde noch am 14. Juni 1850 der Kaufmann Michael Schmid zum ersten Bürgermeister gewählt. Der bisherige (Ober) St. Veiter Ortsrichter und Weinhauer Michael Premreiner wurde einer der Gemeinderäte.
Aus der Funktionsdauer von drei Jahren, die dem soeben gewählten Ausschuss, den Gemeinderäten und dem Bürgermeister zugedacht war, wurden infolge mehrer Verschiebungen der Neuwahlen und dementsprechender provisorischer Mandatsverlängerungen fast unglaubliche elf Jahre!
Vorerst aber war mit den Wahlen der entscheidende Durchbruch in der Errichtung der seit über einem Jahr gesetzlich vorgesehenen „freien Gemeinden“ erzielt worden.
Zum Abschluss dieser Prozedur war allerdings noch der durch die neuen Funktionäre zu leistende Eid vorgesehen. Dem provisorischen Gemeindegesetz hätte ein Amtseid vor versammeltem Gemeindeausschuss in die Hände des ältesten Ausschussmitgliedes und ein Eidesprotokoll an die Bezirkshauptmannschaft gereicht. Den St. Veitern war das aber zuviel der josephinischen Nüchternheit, ein Angelobungshochamt würde diesem besonderen Augenblick des Anbruchs einer neuen Ära viel eher entsprechen. Der Zufall wollte es, dass dem durchgestandenen Wahltag der 15. Juni mit dem Fest des Heiligen Vitus folgte, das St. Veiter Patrozinium also. Dieser höchste kirchlichen Lokalfeiertag wurde traditionell mit einem feierlichen Hochamt begangen, an dem selbstverständlich auch alle Gemeindeausschussmitglieder teilnahmen, und damit war es ja auch ein „versammelter Gemeindeausschuss“. Also wurde das Hochamt spontan zum Angelobungshochamt erweitert, und Pfarrer Anton Angermayer nahm den Bürgermeistern und Gemeindevorständen (nicht den gewöhnlichen Ausschußmitgliedern) in Gegenwart des Bezirkshauptmannes feierlich den Amtseid ab.
Der Gemeindeausschuss der Ortsgemeinde St. Veit an der Wien trat dann am 7. Juli 1850 unter Vorsitz von Bürgermeister Michael Schmid zu seiner ersten Sitzung zusammen. Das erhaltene Sitzungsprotokoll ist von großer Nüchternheit und zeigt, dass man in der ersten Sitzung sich ohne feierliche Einleitung sofort den allernächstliegenden Fragen zugewandt hat: der Beschaffung eines geeigneten Lokales zur Führung der Kanzleigeschäfte und der Anschaffung von Aktenkästen, Stühlen und diversem Kanzleiinventar. Der ganze Umbau vom alten System der Grundherrschaft mit ihren Patrimonialgemeinden auf das neue System
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staatlicher Behörden und gewählter Gemeindevertretungen war nun vollendet.
Bezirkshauptmann Paul Graf Coudenhove hatte es übrigens geschafft, in allen 56 neuen Gemeinden seines Bezirkes die Konstituierung erfolgreich zu Ende zu bringen. Das ließ er denn auch gehörig feiern. Am 4. Juli 1850 wurden in allen Kirchen des Bezirkes vormittags Festmessen gelesen, an welche sich Festversammlungen anschlossen, die als Bürgerfeiern zur Einleitung der neuen Ära gedacht waren. Um 9 Uhr abends dieses Tages gab es eine Festbeleuchtung mit Feuern in allen Ortschaften und auf allen markanten Höhen des Bezirkes Hietzing. Doch die Erinnerungen an die Revolutionsereignisse von 1848 waren noch frisch und daher ging der Bezirkshauptmann keine Risiken ein. Für den Fall des Ausartens der Feiern standen in Hietzing ein Gendarmeriekorps und Militärpolizeiwachen bereit. Den Gemeindevorständen schärfte er überdies ein, neben jeder Feuerstelle Löschgeräte für den Notfall bereit zu halten. Doch es verlief alles glatt und harmonisch, obwohl der Menschenandrang enorm war, allein im Ort Hietzing sollen etwa 40.000 Leute auf der Straße gewesen sein.
Neben den Höhenfeuern erregte besonders der Blumenschmuck und die aufwendige Sonderbeleuchtung der Hietzinger Villen im Umkreis des Schlosses Schönbrunn die Bewunderung der Zeitgenossen. Zahlreiche lichterumrahmte Kaiserbilder wurden in die Fenster gestellt. Auf Einladung der Gemeindevorstehung von Hietzing begab sich Kaiser Franz Joseph samt seinen Adjutanten zu Pferd von Schönbrunn auf die Höhe des Küniglberges oberhalb der Villa Malfatti und beobachtete von dort das Spektakel. Die Eltern des Kaisers und einige Hofwürdenträger kamen im offenen Wagen nach. Der Weg des Kaisers wurde von Menschenspalieren gesäumt, die Kaiserhymne erklang. Der bekannte Theaterdirektor Carl Carl überraschte den Herrscher mit einem Feuerwerk, das er aus dem Park seiner Villa in der Gloriettegasse abfeuern ließ. Sogar die sonst so raunzerischen Hans Jörgel-Briefe ließen ihre Hauptfigur diesmal wohlwollend sagen:
„Da bin i‘ nun mutterseelenallein g’standen und hab‘ nunter g’schaut von der Höh. Ja, s’war ein Feuer, was i‘ hab‘ leuchten g’sehn, aber ein Freudenfeuer. 57 Gemeinden haben in dankbarem Jubel eine Beleuchtung veranstaltet, wie man sie in solcher Großartigkeit vielleicht no nit g’sehn hat“.
Nach dem Bericht des Bezirkshauptmannes folgte das Auge des Allerhöchsten Hofes entzückt den vielen Freudenfeuern und fand die gesamte Feier liebreichste Aufnahme von Seite seiner Majestät.
Bereits am 6. Juli 1850 verlieh Kaiser Franz Joseph dem tüchtigen Bezirkshauptmann Paul Graf Coudenhove das Ritterkreuz des Franz Josephs-Ordens wegen der raschen und befriedigenden Durchführung der Bildung der Gemeinden in seinem Bezirk.
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Hans Götzinger:
Fronleichnamsprozession in Ober St. Veit
Aquarell, 1933
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Diese Darstellung der historischen Entwicklung der Bezirksteile Hietzings baut – wie allen anderen Themen dieses Buches – auf die vorhandene Literatur auf, hier vor allem auf die Werke von Gebhard Klötzl, Wilhelm Twerdy, Walter Weinzettl und Gerhard Weissbacher. Eine Ausnahme bilden die Ortsgeschichten von Lainz und Speising, die zusätzliche von Heinz Gerstbach gesammelte Informationen aus Pfarrbriefen beeinhaltet. Darüber hinaus werden die Ergebnisse eigener Recherchen eingearbeitet.
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Es soll ein Dorf namens Au mit einem Ansitz eines gleichnamigen Geschlechts gegeben haben. Beides ist heute nicht mehr zu lokalisieren, es wird aber angenommen, dass das Dorf an beiden Seiten des Wienflusses lag und der feste Ansitz nicht mit dem späteren Auhof ident sein muss. Eine Urkunde aus dem 16. Jahrhundert lässt den Schluss zu, dass die Herrschaft Auhof bis zur ehemaligen Kirche Weidlingau reichte. Weidlingau könnte also ein mit dem Namen eines Widunc versehener Teil des alten Au sein.
Die erste, nicht zu bestreitende Nennung eines Ansitzes Au ist die Folge eines in den Jahren 1195 bis 1196 beendeten Rechtsstreites um einen Weingarten in Baumgarten. Die diesbezügliche Eintragung im Formbacher Traditionsbuch nennt neben Ministerialen aus Liesing, Hacking, Hütteldorf, St. Veit, Breitensee und Baumgarten auch ein Ulricus de Haviwa als Zeugen der Entscheidung Herzog Friedrichs.
Bis 1236 wird Haviwa zu Ouen (genannt wird ein Wulfing de Ouen) und 1264 zu Ow (auch Aw, Aue; genannt werden Heinrich, Rudiger, Ulrich und Wolfker von Ow als Zeugen einer Schenkung).
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Der Eingang in den Auhof
Foto: Bezirksmuseum Hietzing
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1276 schenkte Albero von Arberg den Johannitern in Wien den Hackenberg und eine Manse (unselbständiger Hof) in Aw, die Johanniter wurden auch Inhaber des Lehens. Rudolph von Habsburg bestätigte und wiederholte diese Schenkung im Folgejahr mit der Feststellung, dass der Auhof Eigengut, also kein Lehen des Reiches wäre. Der geschenkte „Hackenberg“ wurde bereits 1569 „Sant Johannsberg“ genannt, er ist in den Karten des Wiener Waldes als Johannser Wald mit dem Johannser Kogel (377 m) verzeichnet und ist damit nicht der weiter östlich und ebenfalls im Lainzer Tiergarten liegende heutige Hackenberg.
Der Hof zu Au (auch „Hof gen Au“) mit Holz, Feld und Dorf hatte ab 1318 Besitzer, die sich nicht nach „Au“ nannten, darunter auch Niclas von Eslarn, Wiener Bürgermeister 1316 und 1317. Dann spricht die Literatur von einem Verkauf des Auhofes durch König Friedrich an das Kloster Maria Magdalena, was dem Obereigentum durch die Johanniter widerspricht. 1529 berichtete Schwester Constantia von Maria Magdalena, dass „unser Maierhof und Gesess der Au bei Weidlingsau durch die Türken verbrennt, verheert und verwüstet worden sei“.
1558 wurde der Auhof von Kaiser Ferdinand erworben und zum Sitz des bisher im Schloss Purkersdorf amtierenden Forstmeisters gemacht. Der Schätzungsbericht nennt die Güter, die zu dem Hof gehörten: Die Au zunächst bei dem Hof, ein Holz, vier Berge oder Leiten Holz, die Schallautzer Berge, dann der Berg von St. Laurentz, ein Berg hinter Weidlingau, genannt Magdalena Holz, Holz in der Grienau, 12 Tagwerke Wismad auf dem Gluthafen gelegen, die Wiese zwischen dem Häckinger Berg und der Wien, genannt Sandwiese, die Wiese Kienbergerin bei „Unser Frauen öden Kirchen zu Weidlingau“, die Wiese genannt Kirchner, 8 Tagwerke groß, eine Wiese mit 7 Tagwerken neben dem Wolfsgarten, gesamt 148 TGW sowie zwei Fischwasser auf der Wien und auf dem Mauerbach.
Die Berichte über die im Auhof amtierenden Forstmeister dokumentieren wiederholte Bau- und Renovierungsarbeiten; erwähnt werden ein Bräuhaus, ein Wächterhaus für den Wolfsgarten, ein Häusl für die Forstknechte, ein Gefängnis zur Verwahrung von Wildpretschützen, später fünf Gefängnisse, ein „Jäger- oder Leitgebhäusel“ (später das Gasthaus Wolf in der Au) etc.
Nach der Errichtung der Tiergartenmauer wurde der Auhof zum Verwaltungszentrum für dieses Jagdgebiet. Nicht bekannt ist allerdings, ob der Landesfürst auch das Obereigentum dieses Besitzes von den Johannitern, die sich schon Malteser nannten,
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Quellen
Opll, Ferdinand:
Liesing - Geschichte des 23. Wiener Gemeindebezirkes und seiner alten Orte.
1982: Jugend und Volk Wien
Twerdy: Geschichte des Wienerwaldes,
siehe www.1133.at/Bericht 836
Weissenbacher: In Hietzing gebaut
Protokolle zum
Franziszeischen Kataster
Verordnungen und Gesetze
Heimatrunde Hubertus
Wikipedia
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erworben hat. Jedenfalls verkaufte Reichsgraf Joseph von Colloredo, Großprior des Malteserordens, 1791 den Johannser Wald mit Wiesengründen an das Obrist Hof- und Landjägermeisteramt.
Die Katastralgemeinden gehen auf eine Grundsteuerreform Josefs II. zurück und bezeichnen ein im Grundbuch erfasstes Gebiet. Ursprünglich waren sie mit den bestehenden Gemeinden ident. Ab 1817 erhielten die Katastralgemeinden durch den Franziszeischen Kataster ihre bis heute wirksame Ausprägung. Die Mappe 20 der Katasterpläne für das Viertel unter dem Wienerwald zeigt die damalige Steuergemeinde Auhof mit dem k.k. Thiergarten.
Skizze der Mappe 20 des Franziszeischen Katasterplanes. Sie zeigt Auhof und die damalige Fläche des k.k. Thiergartens, wie sie unter Joseph II. ummauert wurde. Der spitze vogelkopfförmige Fortsatz im Osten ist der in der ersten Hälfe des 20. Jahrhunderts abgetrennte Teil (inkl. Auhofer Trennstück) mit der übertrieben gezeichneten Ecke Speisinger Straße/ Wittgensteinstraße. Die Flächen der nicht-habsburgischen Eigentümer wurden später in Rot hinzugefügt.
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Als Grundeigentümer werden außer dem dominierenden vereinigten k.k. Obersthof-Landjägermeisteramt- und Niederösterreichischen Waldamt, die Herrschaften Mauer, Erlaa, Hacking, Inzersdorf, Kalchspurg, Schotten, Vösendorf, die Pfarrherrschaft Hütteldorf und mit minimalem Anteil eine Handvoll Weinhauer aus St. Veit angeführt (abgesehen von Wäldern, Wiesen, Äckern etc. im Untereigentum). Das Häuserprotokoll listet außerhalb des Tiergartens zwei einstöckige und fünf ebenerdige Häuser und einen Weinkeller, die den Auhof und die Häuser beim späteren Wolfen in der Au repräsentieren. Innerhalb der Tiergartenmauer werden einige jagd- und forstwirtschaftliche Häuser aus Holz oder Stein dokumentiert. Als letztes wird eine Ruine auf der Nikolaiwiese angeführt. Die hohen Konskriptionsnummern der
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Der Auhof, Mariabrunn und Umgebung im Franziszeischen Katasterplan aus 1819.
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wenigen Häuser (106–111, nicht alle Gebäude haben eine Nummer) lassen vermuten, dass die erste Häuserkonskription in den 1770er-Jahren gemeinsam mit Hütteldorf oder mit Purkersdorf als Sitz des Waldamtes vorgenommen wurde.
Mit der Aufhebung der Grundherrschaften nach der Revolution 1848/49 entstanden neu strukturierte politische Gemeinden (selbstständige Ortsgemeinden). Aus den Katastralgemeinden Auhof, Hadersdorf (mit Mariabrunn, Hainbach und der Rotte Knödelhütte) und Weidlingau wurde die Ortsgemeinde Hadersdorf-Weidlingau gebildet. Der Faßlberg, der gesamte Maurer Wald und das Gebiet der späteren Siedlung Auhofer Trennstück gehörten noch zur selbstständigen Gemeinde Mauer.
Die Ortsgemeinde Hadersdorf-Weidlingau inkl. der Katastralgemeinde Auhof wurde vom „Gesetz vom 19. Dezember 1890 betreffend die Vereinigung mehrerer Gemeinden und Gemeindetheile mit der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien ...“ und der Schaffung des 13. Wiener Gemeindebezirks Hietzing nur teilweise berührt. Nach § 2 des neuen Gemeindestatutes umfasste der neue 13. Bezirk Hietzing die „bisherigen Ortsgemeinden Lainz, Hietzing, Penzing, Breitensee, Ober- und Unter St. Veit, Hacking, Baumgarten, die Catastralgemeinden Schönbrunn und Speising, dann die einbezogenen Theile von Mauer, Hütteldorf und Hadersdorf mit Auhof“. Gemäß der Beschreibung der Wiener Gemeindegrenzen verblieben der eingefriedete Auhof und der ummauerte Lainzer Tiergarten in Niederösterreich.
Anmerkung: Die Bezeichnung von Speising als Katastralgemeinde ist unrichtig, es war eine Ortsgemeinde.
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1912 entstand das Auhofer Trennstück. Das zur Gemeinde Mauer bei Wien gehörende Stück außerhalb des nunmehr verkleinerten k.k. Thiergartens (eben das „Auhofer Trennstück“) war zunächst für die Theresianische Akademie und dann für die Tierärztliche Hochschule gedacht. Schon damals wurde eine teilweise noch bestehende neue Mauer zwischen heutiger Anatourgasse und Aschergasse errichtet.
Ab 1920 verwaltete der mit Staatsgesetz vom 18. Dezember 1919 geschaffene Kriegsgeschädigtenfonds den Tiergarten und die Hermesvilla. In diesem Jahr begann auch die Bebauung im Auhofer Trennstück mit der Errichtung der Siedlung gleichen Namens. In Vinzenz Chiavaccis Illustrierter Wochenzeitschrift „Wiener Bilder“ wird diese Tätigkeit anlässlich der Eröffnung des Siedlerheims am 2. Juli 1922 so beschrieben:
Ein leuchtendes Beispiel von Tatkraft, Opferwilligkeit, Fleiß und Ausdauer haben die Siedler vom Auhofer Trennstück in Mauer gebracht. Sonntag, den 2. Juli, fand die Eröffnung ihres Siedlerheimes statt, welches einen 800 Personen fassenden Vortragssaal, ein Beratungszimmer, zwei Kanzleiräume, Wirtschaftsraum, Erfrischungsraum sowie eine Wohnung enthält. Gleichzeitig wurde von den Siedlern der Kinderspielplatz an die Kinderfreunde und der Sportplatz an die Sportler übergeben. Um das Siedlerheim hat sich der Obmann Reidl Hans große Verdienste erworben.
Das Siedlerheim im Auhofer Trennstück in Mauer. Zeitungsfoto der feierliche Einweihung am 2. Juli 1922. Im Vordergrund ist auch die Feldbahn zu sehen. Sie verführte das Baumaterial, das mit der Straßenbahn in den Nachtstunden angeliefert wurde. Foto aus Chiavaccis „Wiener Bilder“ vom 9. Juli 1922
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Ing. Christian Gold von der Heimatrunde Hubertus hat die Geschichte des Auhofer Trennstückes genauer beschrieben. 1921 wurde der Grundstein für den Bau der Siedlung Friedensstadt gelegt. Zu Beginn der dreißiger Jahre entstanden die Zollwache-Siedlung (1931/32) und die Polizei-Siedlung (1932/33), 1953 wurde die Kongreß-Siedlung gebaut.
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Rodungsarbeiten vor der Siedlungstätigkeit in der Friedensstadt ca. 1921.
Sammlung Heimatrunde Hubertus
1934/35 wurde die Tiergartenmauer von der heutigen Ecke in der Nähe des Umkehrplatzes am Ende der Joseph-Lister-Gasse (Hörndlwaldtor) bis zur heutigen Ecke Wittgenstenstraße/Modl-Toman-Gasse nach innen versetzt; die alte „Schlucker“-Mauer besteht an einzelnen Stellen noch heute, entlang der Speisinger Straße wurden die letzten Stücke in den 1930er-Jahren entfernt und das Material zur Errichtung von Siedlungshäusern verwendet.
Die Besiedelung der ehemaligen Gebiete des Lainzer Tiergartens im Bereich des Lainzer Baches.
1 Siedlung Auhofer Trennstück (SAT, 1920), 2 Friedensstadt (1921), 3 Leitenwald,
4 Friedenshöhe,
5 Sicherheitswache (1932/33),
6 Zollwache (1931/32),
7 Heimscholle, 8 Heimat,
9 Siedlung am Hang,
10 Kongresssiedlung (1953), 11 Kleingartenanlage am Lainzerbach,
12 Kleingartenanlage am Hermestor. Eingezeichnet sind auch die Mauern: großteils abgerissene alte Mauer (rot gepunktet), erneuerte alte Mauer (rot), 1912 errichtete und als Grundstücksgrenze teilweise noch bestehende Mauer (blau), 1934 errichtete neue Mauer (grün). Erstellt auf Basis einer Unterlage der Heimatrunde Hubertus.
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Auf der anderen Seite des Tiergartens wurde zur Linderung der Not nach dem Ersten Weltkrieg das Gebiet zwischen Auhofwiese und Grünauer Graben von der Staatsbahndirektion Wien West gepachtet, um Eisenbahnern den Bau einer Kleintierfarm zu ermöglichen („Eisenbahner Farm Auhof“). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Areal in 145 Kleingartenlose für Bundesbahnbedienstete aufgeteilt, allerdings erst 1984 als „Erholungsgebiet Kleingarten“ rechtlich anerkannt.
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Nach der Auflösung des Kriegsgeschädigtenfonds wurden Auhof und Tiergarten vom Eigentümer Republik Österreich der Stadt Wien zur Betreuung überlassen (Vertrag vom 19. Jänner 1938).
Noch im selben Jahr kam die Katastralgemeinde Auhof auch politisch zu Wien, denn sie wurde am 15. Oktober 1938 (Schaffung von „Groß-Wien“) nach Wien eingemeindet. Der äußerste Norden (nördlich des Wienflusses) wurde dem neuen 14. Gemeindebezirk, Penzing und der Lainzer Tiergarten dem neu geschaffenen 25. Gemeindebezirk, Liesing, zugewiesen. Das außerhalb der damaligen Katastralgemeinde Auhof gelegene Gebiet des Auhofer Trennstücks und der Auhof selbst (?) kamen zum 13. Gemeindebezirk Hietzing.
Es wäre hier zu weit führend, auf die teilweise nur kurzfristig wirksamen Gebietsänderungen im Rahmen der Rückführung von eingemeindeten Gebieten nach Niederösterreich einzugehen. Tatsache ist, dass mit dem Endstand des Jahres 1956 auch der Lainzer Tiergarten Teil von Hietzing geworden war. Damals wurde auch die Katastralgemeinde Auhof in ihren heutigen Grenzen festgelegt, also einschließlich Teile des Bierhäuselbergs sowie der vormals zur Katastralgemeinde Mauer zählenden Gebiete im südlichen Lainzer Tiergarten (Faßlberg, Teil des Maurer Walds nördlich der Tiergartenmauer, Siedlungen südlich der Kalmanstraße). Damit kann gesagt werden, dass nahezu die gesamte historische Katastralgemeinde Auhof inkl. Maurer Anteile im Lainzer Tiergarten zu Hietzing gehört und einen wesentlichen Bezirksteil darstellt. Ausnahme von dieser Regel sind Gebiete nördlich des Wienflusses und ein Teil des Lainzer Tiergartens, der mit dem Bau der Westautobahn abgetrennt wurde und heute teilweise zu Penzing gehört. Darauf befindet sich unter anderem das stark frequentierte Einkaufszentrum Auhof, das in dem Mitte der 1960er-Jahre entstandenen Industriegebiet Auhof seinen Anfang nahm. Zum Ausgleich wurde der Tiergarten 1960 um Flächen in Laab im Walde erweitert; sie zählen allerdings nicht zur Katastralgemeinde Auhof und auch nicht zu Wien.
In Zahlen ausgedrückt erstreckt sich die Katastralgemeinde Auhof über eine Fläche von 2.554,61 ha, wovon 2.532,61 ha in Hietzing und 22 ha in Penzing liegen. Den größten Teil der Katastralgemeinde nimmt mit 2.450 ha der Lainzer Tiergarten ein.
Das Gebäude des historischen Auhofes ist bis heute erhalten geblieben und beherbergt eine Forstdirektion des Lainzer Tiergartens. Reste eines Nebengebäudes, das gewölbte Decken aufweist, könnte das Gefängnis für Wilbretschützen gewesen sein. Durch die Regulierung der Wien, der Anordnung von Staubecken, dem Bau der Westbahn und letztlich auch der Autobahn, umliegender Verbauung inkl. Umspannwerk hat das Gebiet um
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den Auhof seinen ursprünglichen Charakter verloren. Das Auhofer Trennstück auf der anderen Seite des Lainzer Tiergartens ist – vom Hörndlwald und dem Napoleonwald abgesehen – ein großflächig verbautes Gebiet. Der von einer schützenden Mauer eingefasste Lainzer Tiergarten als größte Fläche Auhofs ist seit 1941 ein Naturschutzgebiet und Wiener Erholungsraum ersten Ranges.
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In diesem Kapitel wird ein umfassenderer Blick auf den vorhin oft genannten Lainzer Tiergarten als Teil des Wienerwaldes geworfen. Zum besseren Verständnis gehe ich in ein paar Blitzlichtern ganz weit zurück zum historischen Anfang dieses Gebietes im Mittelalter, zu Beginn als kurze Rekapitulation der „Wanderungen“.
Das Weströmische Reich war zerfallen, doch Rom blieb der Amtssitz des Bischofs aller Bischöfe. Die Mission brachte das Christentum zu den Germanen, und deren Fürsten lernten Gottes allerhöchste Legitimation zu schätzen. Karl der Große war anno 800 der erste Herrscher Westeuropas, der sich vom Papst zum Kaiser krönen ließ. Aber erst die mittelalterlichen Herrscher späterer Generationen ab Otto I. erhoben den dauerhaften Anspruch, nach Gottes Willen die Nachfolger der römischen Kaiser der Antike und damit auch die weltlichen Oberhäupter der Christenheit zu sein, über allen anderen Königen. Das Heilige Römische Reich – später auch Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation – war entstanden. Über die Klöster sickerte allmählich auch die antike Kultur in diesen Raum.
Die Ottonen festigten das Reich nach Osten gegen die Einfälle der Ungarn, die österreichischen Markgrafen trugen wesentlich zur endgültigen Sicherung der östlichen Grenzen bei. Das war um die Wende vom ersten zum zweiten Jahrtausend. Zum Dank wurden sie vom Kaiser mit großen Ländereien in diesen neuen Gebieten beschenkt. Durch mehrere solche Schenkungen wurde
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Ansichtskartenmotiv aus den 1930er-Jahren mit dem Försterhaus am Hirsch'gstem, davor Edelhirschen
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Quellen:
Amon, Rudolf und Trauth, Friedrich: Der Lainzer Tiergarten einst und jetzt. Wien/Leipzig/Prag: Schulwissenschaftlicher Verlag A. Haase, 1923
Amon, Rudolf und Trauth, Friedrich: Der Lainzer Tiergarten und seine Umgebung. In: Führer für Lehrwanderungen und Schülerreisen, Hrsg: Prof. Dr. Leo Helmer, Heft 10, Wien: Deutscher Verlag für Jugend und Volk, 1930
Gergely, Thomas u. Gabriele/Prossinagg, Hermann:
Vom Saugarten des Kaisers zum Tiergarten der Wiener. Die Geschichte des Lainzer Tiergartens – entdeckt in einem vergessenen Archiv.
Wien: Böhlau, 1993
Prossinagg, Hermann; Lutterschmied, Hanndes; Mrkwicka, Alexander; Pernkopf, Harald: Der Lainzer Tiergarten einst und jetzt. Hrsg. anlässslich des 100-Jahre-Jubiläums des Tiergartens: MA 49 – Forst- und Landwirtschaftbetrieb der Stadt Wien. Wien 2019
Siehe auch www.1133.at/Bericht 562
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der Babenberger Markgraf Heinrich I. zum persönlichen Eigentümer des Waldgebietes zwischen Piesting und Donau – dem späteren Wienerwald. Die Grafschaft und später das Herzogtum Österreich blieben aber ein vom Kaiser aus der Reichsmasse verliehenes Reichslehen. Nach dem Aussterben der Babenberger und dem Ende Ottokars von Böhmen übernahmen die Habsburger mit Rudolf I. als römisch-deutschem König das Babenberger-Lehen und der Wienerwald wurde zu ihrem persönlichen Besitz. Ab dem 15. Jahrhundert stellten die Habsburger auch alle deutschen Könige bzw. römisch-deutschen Kaiser.
Um das Jahr 1500 nahm die Verwaltung des Wienerwald-Gebietes eine entscheidende Wendung durch eine von Kaiser Maximilian I. ausgehende Neuorganisation. Fortan gab es einen Waldmeister mit einem Kaiserlichen Waldamt im Schloss Purkersdorf als Verwaltungszentrum und ihm unterstellte weitere Organe. Durch Tausch und Kauf wurde dieser habsburgische Grundbesitzes laufend erweitert, ein wesentlicher Schritt aus unserer auf den Lainzer Tiergarten konzentrierten Sicht war der 1560 erworbene und vorhin beschriebene Auhof mit seinen Forsten und Wiesen.
Die Hauptnutzung des Waldes bestand in der Jagd oder besser gesagt im Recht auf den Wildbestand dieses riesigen Gebietes. Dieses Recht war allerdings bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ohnehin ein Vorrecht der Landesfürsten und Adeligen. Im Zuge der Industrialisierung gewann der Wald als Rohstofflieferant zunehmend an Bedeutung. Der Bereich des dem Waldamt Purkersdorf zugehörigen Lainzer Tiergartens und dessen Jagdrecht blieb auch dann im Besitz der Habsburger, als Erzherzogin Maria Theresia 1755 den kaiserlichen Waldbesitz in das Eigentum des sich allmählich bildenden Staates übertrug. Diese Übertragung, die vornehmlich finanzielle Motive hatte, blieb allerdings ein Jahrhundert lang unklar und umstritten. In dieser Zeit schärfte sich einerseits die Unterscheidung zwischen kaiserlichem Vermögen und Staatsvermögen und begann andererseits der Grundbesitz auch das Jagdrecht einzuschließen. Zuletzt wurde die Erhaltung des kaiserlichen Jagdrechts mit Pachtverträgen abgesichert. Schließlich wurde der Begriff des „k.k. Hofärars“ eingeführt und mit der „allerhöchsten Entschließung“ vom 26. August 1855 endgültige Klarheit geschaffen: Die Waldungen und der übrige staatsärarische Besitz im k.k. Thiergarten gingen unentgeltlich in das Eigentum des Hofärars. Damit wurde der Tiergarten quasi ins Eigentum Kaiser Franz Josephs „privatisiert“.
Doch zurück in frühere Jahrhunderte: Das Gebiet des Tiergartens war bis ins 17. Jahrhundert sehr zerstückelt. Die noch erhaltenen Flurnamen des Königskloster-, Laurenzer-, Schotten-, Jakober-, Dorotheer- und Augustiner Waldes und zugehörige Wiesen sowie das Kaiserspitalmais, die Kleine Spitalwiese und der Bürgerspitalwald belegen, dass hier sechs Klöster und zwei Spitäler Besitz hatten. Zwei Bischofswiesen, ein Bischofsmais
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und der Bischofswald erinnern daran, dass auch die Bischöfe von Wien mit ihrem Sommersitz in St. Veit an der Wien Grundbesitz im Tiergarten hatten. Natürlich gibt es im Tiergarten noch viele andere erhaltene oder abhanden gekommene Flurnamen die ehemalige Besitz- oder Nutzungsrechte anzeigen.
Seine konkrete Gestalt und Ausdehnung nahm der Tiergarten mit dem Patent Maria Theresias vom 4. April 1772 zur Schaffung des Lainzer Tiergartens an. Innerhalb des mit einer Mauer einzufriedenden Areals lagen der Königskloster Wald, die Dorotheer Wiese, der Jacober Wald, die Lorenzer Wiese, der Schottenwald, das Bischofsmais, der Vösendorfer Wald, der Erlaaer Wald und der Maurer Wald. Der ab 1781 durch Josef II. errichteten Mauer um den Tiergarten ging ein hölzerner Zaun voraus. Schon davor hatten sich vom Wildschaden betroffene Orte wie Mauer mit Wildzäunen beholfen: von sämtlichen Grundbesitzern zu erhaltende „sehr kostbare, 7 Läden hohe weitläufige Planken“. Näheres zu der von Philipp Schlucker in den Jahren von 1782 bis 1787 errichteten Mauer um den Lainzer Tiergarten enthält www.1133.at/Bericht 100.
Obwohl die Habsburger neu gestiftete Klöster wie die oben genannten immer wieder mit Waldbeständen begütert hatten, war und blieb es ihr nachhaltiges Bestreben, den landesfürstlichen Waldbesitz zu arrondieren und Fremdbesitz durch Kauf
„Mappa über den Kayserlichen Wienner Wald“. Kopiert von Francisco Flameck (1759) nach einer Karte von Johann Jakob Marioni (1726). Dieser – hier in etwa genordete – Ausschnitt zeigt die östliche Hälfte des späteren Lainzer Tiergartens vom Auhof (bzw. Wienfluss) bis vor Kalksburg. Der landesfürstliche Besitz ist bräunlich gefärbt, der gesamte Bereich um die nach Wien weisende Waldgrenze war im Besitz anderer Eigentümer (Herrschaften, Orden etc.). Im grünen Kreis die Stelle an einem Zubringer des Gütenbaches, an der sich der dreieckige weiter unten zu besprechende Grenzstein befindet. Die Deutung von Grenzsteinen muss die in diesem Plan eingetragenen Waldbesitzungen und den Verlauf der Landgerichts-Grenzen mit berücksichtigen. Viele historische Waldbezeichnungen bleiben hier jedoch ungenannt. © Österreichische Nationalbibliothek Wien, E 31.456-C
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oder Tausch zu übernehmen. Dass dies auch für den Tiergarten galt, zeigt schon ein St. Veit an der Wien betreffendes Beispiel: der Kauf von Schloss und Herrschaft St. Veit durch Erzherzogin Maria Theresia im Jahr 1762. Kardinal Migazzi kaufte die Herrschaft 1779 zwar zurück, doch ohne den dazugehörigen Waldbesitz, der beim kaiserlichen Waldamt verblieb. Im Zuge der Klosteraufhebungen durch Josef II. kamen innerhalb der dann schon bestehenden Mauer weitere Flächen dazu. Große Teile des Tiergartens gelangten unter Kaiser Franz I. ins hofärarische Eigentum. 1823 hatten noch die Gemeinde Mauer, die Herrschaften Mauer, Inzersdorf, Erlaa, Vösendorf, das Stift Schotten und der Deutsche Ritterorden Grundbesitz im Tiergarten. 1830 gab es Waldabtausche mit dem Stift Schotten (gegen Wald im Haltertal), dem Bürgerspital und den Herrschaften Vösendorf, Erlaa, Inzersdorf und Mauer. 1856 hatten nur mehr das Gut Inzersdorf und die Gemeinde Mauer Grundbesitz im Tiergarten. Der Fasslberg bei Mauer wurde 1913 von Kaiser Franz Josef I. als letzter Fremdbesitz im Tiergarten erworben. Erst dann bekam der Tiergarten das Gepräge eines konsequenter abgesperrten Wildparks.
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Karte des Lainzer Tiergartens aus Amon, Rudolf und Trauth, Friedrich: Der Lainzer Tiergarten einst und jetzt, 1923
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Heute ist der Lainzer Tiergarten Teil des 13. Wiener Gemeindebezirkes Hietzing und Schutzgebiet nach mehreren Richtlinien. Er blieb weitgehend unverbaut, verfügt aber trotzdem – oder gerade deswegen – über ein beachtliches Kulturgut: Über Grenzsteine, die hier häufiger anzutreffen sind, als anderswo.
Grenzen gibt es von alters her. Oft fallen sie mit natürlichen, nur schwer überwindbaren Hindernissen wie Bergkämmen oder Flüssen zusammen, manchmal dienen markante natürliche Punkte (z. B. ein Felsen oder eine Eiche, von dessen altslawischer Bezeichnung auch das Wort Grenze stammen soll) als Anhaltspunkt für Grenzverläufe, später auch vom Menschen geschaffene Einrichtungen wie gesetzte Bäume, Furchen, Gräben, Wälle und Mauern, Holzpflöcke und eben auch Grenzsteine. Sehr alte Grenzverläufe beschreiben die ab 1572 erhaltenen Grenzbeschreibungen in den Waldbüchern:
Moderner und wesentlich genauer sind die Grenzbeschreibungen „des k.k. Thiergarten mit dehsen enclavierten Waldbestaenden“ in den Protokollen des Franziszeischen Katasters 1819, die in den schon sehr präzisen Katasterplänen nachvollzogen werden können. Siehe dazu www.1133.at/Bericht 1455.
Größte Relevanz für den heute noch existierenden Bestand an historischen Grenzsteinen hat das Transkript der Grenzbeschreibung des „in den k.k. Tiergarten der Löbl. Herrschaft Inzersdorf angehörigen Waldbestand“. An dieser Grenze ist der dichteste Bestand an historischen Grenzsteinen innerhalb des Lainzer Tiergartens erhalten.
Ein weiteres Beispiel ist die Grenzbeschreibung der Gemeinde St. Veit an der Wien. Sie nennt neben älteren Steinen viele Grenzsteine aus dem Jahr 1818, die offensichtlich anlässlich dieser Begehung gesetzt wurden. Siehe www.1133.at/Bericht 875.
Wenn wir nun die Grenzen im Bereich des heutigen Lainzer Tiergartens über die letzten Jahrhunderte seiner Geschichte verfolgen, so werden wir auf verschiedene Arten von Grenzen stoßen:
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Siehe dazu auf der Internetseite www.1133.at/Bericht 561
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In unserer Region haben Grenzsteine meist einen rechteckigen Grundriss mit abgerundetem oder flachem Kopf und sind aus lokaler Gesteinsart. Auf dem Kopf ist oft der Verlauf der Grenze durch eine Kerbe eingemeißelt. Auf den beiden flachen Seiten sind die Anfangsbuchstaben, Wappen oder Symbole der Eigentümer jener Gebiete, denen die jeweilige Seite zugewandt ist. Manchmal blieb die Rückseite leer, und der zweite Anlieger verwendete einen eigenen Stein. Oft wurden diese Zeichen durch die Jahreszahl der Grenzbegehung und die Nummer des Steines ergänzt. Die Nummer konnte auch auf der Schmalseite angebracht und für beide Anlieger ident oder unterschiedlich sein. Die Lage der Grenzsteine wurde auf verschiedene Art und Weise gesichert, oft legte der „Feldschieder“ Scherben aus beständigem Material, sogenannte „(stumme) Zeugen“ ganz tief in das Loch, ehe er den Stein setzte.
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Grenzstein Nr. 75. Er liegt im Inzersdorfer Wald und ist bereits stark erodiert. Der Blumenkorb als Zeichen des Dorotheerklosters und die Jahreszahl 1536 sind aber noch gut erkennbar. Fotografiert am 31. Dezember 2022
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Bei uns soll es Grenzsteine ab dem 14. Jahrhundert gegeben haben, der älteste von mir im Lainzer Tiergarten gefundene Grenzstein trägt die Jahreszahl 1536.
Ihre „Glanzzeit“ hatten sie im 17. und 18. Jahrhundert, als manche von ihnen zu wahren Kunstwerken gerieten. Ab dem 19. Jahrhundert wurden sie wieder einfacher und meist nur mit den Initialen der Eigentümer versehen.
Anlass zum Setzen der Grenzsteine waren Änderungen in den Eigentumsverhältnissen, Änderungen der Grenzverläufe, der Ersatz abhanden gekommener Grenzmarken, gemeinsame Grenzbegehungen aus verschiedenen Anlässen etc. Im Wienerwald wurden im 16. Jahrhundert mehrere Anläufe zur Grenzbeschreibung und Ausmarkung unternommen, aber erst 1572 mit der oben angeführten Grenzbeschreibung im Waldbuch abgeschlossen. 1622 folgte eine weitere und von 1674 bis 1678 folgte die im Leopoldinischen Waldmarkbuch niedergelegte. Die meisten für das Leopoldinische Buch gesetzten Steine trugen das Jahr 1677. Zahlreiche der später gesetzten Steine zeugen von der Ausmarkung unter Maria Theresia von 1777 bis 1778.
Ein späterer Anlass zur Erneuerung von Ausmarkungen waren die Grenzbegehungen für den genannten Franziszeischen Kataster 1819, jedoch nur für den Inzersdorfer Wald, die anderen Grenzsteine waren vorhanden und wurden nur aufgenommen. Die hier beschriebenen bzw. neu gesetzten Grenzsteine verloren jedoch bald ihre praktische Relevanz, denn die meisten nicht habsburgischen Waldungen wurden in den folgenden Jahrzehnten im Rahmen von Tauschgeschäften dem Hofärar eingegliedert.
Eine letzte Erneuerung von Grenzsteinen, die Waldbesitz innerhalb des Lainzer Tiergartens belegten, war wohl die 1863 erfolgte Ergänzung bzw. Erneuerung der Steine um den Inzersdorfer Wald. Gesetzt wurden Grenzsteine mit dem Zeichen H.I. für die Herrschaft Inzersdorf, der Jahreszahl 1863 und den Nummerierungen von I bis XXXI (siehe Foto auf der Vorseite).
Der Hauptanteil der heute noch im Wald stehenden historischen Grenzsteine entfällt auf jene, die in den Grenzbegehungen 1819 für den Waldbesitz der Herrschaft Inzersdorf und der Gemeinde Mauer festgehalten wurden. Diese beiden Wälder waren ja am längsten in nichtärarischem Besitz. Von den 32 Grenzsteinen um den Schottenwald sind nur mehr drei Stück auffindbar, von der Grenze um den Erlaaer Wald habe ich über die mit dem Inzersdorfer Wald gemeinsamen hinaus noch zwei Stück gefunden. Alle anderen Steine sind verbliebene Einzelstücke anderer Waldgrenzen.
Häufig beschrieben werden allerdings auch noch jüngere Grenzsteine, doch dabei handelt es sich offensichtlich um die Ausmarkung von Revier- und Jagdgrenzen, wie sie zum Beispiel im Situationsplan aus dem Jahr 1823 eingezeichnet sind. Hier ist vor allem die Linie von der Tiergartenmauer bei der Baderwiese (Stein Nr. 1) über das Rohrhaus und nördlich des Kaltbründel
Hietzing
Dieses und die zwei folgenden Fotos zeigen zwei beieinander stehende Grenzsteine im Bereich zwischen Inzersdorfer Wald und Stockwiese: einen großen dreieckigen Stein, weil hier drei Waldgrenzen zusammentreffen, und einen kleinen jüngeren, nur auf einer Seite beschriebenen Stein. Das oberste Foto zeigt die der Stockwiese zugewandte Seite des dreieckigen Grenzsteines mit der Inschrift „IHS“ für Jesus, die von den Jesuiten als Symbol ihres Ordens verwendet wird, CV für „Collegium Viennense“ und die Jahreszahl 1704. Diese Wiese war früher im Besitz der Jesuiten. Versteckt neben dem Stein steht der 1863 gesetzte kleinere der Herrschaft Inzersdorf als Ergänzung zum alten „ST“ (siehe drittes Foto).
Das zweite Foto zeigt die der ehemaligen Herrschaft Erlaa zugewandte Seite des dreieckigen Steines, beschriftet mit „Convict St. Barbara“.
Die dritte Seite ist dem Besitz der ehemaligen Herrschaft Inzersdorf (heute eben der Inzersdorfer Wald) zugewandt, das übereinander gezeichnete „ST“ steht für den Gutshof Steinhof, einer eigenen Herrschaft innerhalb von Inzersdorf.
Fotografiert am 5. Dezember 2022
128
Grenzstein aus dem Jahr 1778 mit MT für Maria Theresia. Er markierte die Grenze zwischen Schottenwald und hofärarischem Besitz, heute Hüttgrabenwiese. Fotografiert am 28. Dezember 2022
Hietzing
Einer der um das Areal der Hermesvilla gesetzten Grenzsteine,
fotografiert am
19. Dezember 2015
berges vorbei zum Hirschgestemm und weiter bis zur Tiergartenmauer im Glasgraben (Stein Nr. 32) zu nennen. Von diesen Steinen sind noch ca. 16 Stück vorhanden. An der Nordseite tragen sie durchgehend das Zeichen H für Hütteldorfer Revier, an der Südseite von der Baderwiese bis zum Dreieckstein Nr. 21 an der Weggabelung von der Hubertuswarte zum Hirschgestemm das Zeichen L für Lainzer Revier und ab dann das Zeichen Lb für Laaber Revier. Der Dreieckstein trägt auch die Jahreszahl 1838. Diese Steine haben wohl alle auf dieser Linie liegenden und obsoleten Grenzsteine, vor allem diejenigen um den damals eingetauschten Schottenwald verdrängt.
Diese Reviereinteilung wird auch durch einen Bericht der k. k. Landwirtschafts-Gesellschaft aus dem Jahr 1857 bestätigt, in dem es auf Seite 346 heißt (Hinweis von Dr. Elisabeth Knapp):
Der Thiergarten ist in 3 Reviere eingetheilt, nämlich in das Hütteldorfer, Lainzer und Laaber Revier, von denen jedes ein Wirthschaftsganzes bildet und von einem k. k. Hofjäger, der zugleich auch Förster ist, verwaltet wird. Die Oberleitung führt ein k. k. Forstmeister im Auhofe. Als untergeordnetes Schutzpersonale sind noch 3 Hausjäger, 4 Thierwächter und 7 Jägerjungen angestellt...
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Von der Natur bedrängter Grenzstein mit der Aufschrift „L“ für Lainzer Revier
Hietzing
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LTG Grenzstein Nr. 21a. Der schöne Grenzstein des Königinklosters aus der Ausmarkung 1615, der an der Weggabelung zum Adolfstor steht, ist der letzte aus der Gruppe dieser Grenzsteine, der noch an seinem angestammten Platz steht. Der kleinere Grenzstein der Herrschaft St. Veit ist nicht mehr auffindbar. Er ist einer der beiden unter Denkmalschutz gestellten Grenzsteine. Fotografiert
am 3. September 2011
Allerdings gibt es noch eine Grenzstein-Besonderheit im Lainzer Tierarten: 1882–1886 ließ Franz Joseph I. die Hermesvilla als Refugium für Kaiserin Elisabeth errichten und die zugehörige unmittelbare Umgebung mit Grenzsteinen kennzeichnen. Diese schön gestalteten Steine sind heute noch vorhanden und viele von den Wegen aus gut sichtbar.
Heute werden die verbliebenen Grenzsteine kaum beachtet, doch für den Kundigen sind sie steinerne Geschichtsbücher. Viele dieser alten Zeugen einstiger Grenzverhältnisse – soweit sie noch gab – wurden allerdings schon vor dem Ersten Weltkrieg entfernt und teilweise beim Lainzgrabenstadl verwahrt, bis sie als Pflastersteine Verwendung fanden. Andere wurden von schwerem Gerät überfahren. Einige sind umgefallen und werden allmählich vom Erdreich verschluckt. Nur zwei dieser alten Zeitzeugen wurden unter Denkmalschutz gestellt.
Einer davon steht östlich des Weges von der Baderwiese zum nunmehr geschlossenen Adolfstor (einst Hackenbergtor). Einst standen dort zwei Steine, der kleinere, abhanden gekommene trug die Buchstaben SV und die Jahreszahl 1615, der größere noch vorhandene trägt in einem Kreis das Zeichen OCO = O(fficium), CO(nventus) = Gebiet (Amt) des Klosters und ebenfalls die
Jahreszahl 1615. Sie erinner(te)n an den Verkauf des damaligen Schallautzer Waldes an die Äbtissin des Königinklosters (damals „Königl. Neustift in Wien“) am 26. September 1615 und die anschließend mit 14 Steinen erneuerte Ausmarkung. Der Königinklosterwald grenzte an St. Veiter Weingärten und die Wälder von St. Veit, des Bistums Wien und St. Lorenz.
Für weitere Informationen zu den Grenzsteinen im Lainzer Tiergarten siehe www.1133.at/Bericht 561. Dort ist auch die umfangreiche Literatur aufgelistet.
Hietzing
Bezeichnungen von Dörfern mit einer „ing“-Endung werden meist auf den Namen eines frühen Grundherren zurückgeführt. Demnach war man hier „bei den Leuten des Haggo“ – den „Haggingern“.
Natürlich waren sie nicht die ersten Siedler an dieser Stelle, denn Funde in der Auhofstraße 221 belegen die Anwesenheit jungsteinzeitlicher Siedler, und beim Nikolaitor wurde eine kleine römische Siedlung lokalisiert. In der Babenberger- und Habsburger-Zeit bestand auch bei der Nikolai-Kapelle eine Ansiedelung („oberes Hacking“), aber diese ist wahrscheinlich zur Zeit der ersten Türkenbelagerung abhanden gekommen.
Den Ursprung des heutigen Hacking stellen sich die Historiker als kleine Häuseransammlung in der Nähe einer Furt vor, deren Anfänge in die deutsche Erschließung ab dem 10. Jahrhundert zurückreichen. Den ersten schriftlichen Nachweis enthält eine Urkunde aus dem Jahr 1156: Unter den als Zeugen angeführten Gefolgsleuten der Babenberger ist auch ein „Marcwardus de Hakkingin“. Dieses Rittergeschlecht dürfte seinen Stammsitz in Hacking in der Mitte des 13. Jahrhunderts aufgegeben haben.
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Hacking
Eine Darstellung unbekannten Datums. Am Fuße des Hagenberges sind das Schloss samt Kapelle und Wirtschaftsbauten zu sehen, weiter rechts die Dächer des Dorfes. Ganz rechts im Bild, am gegenüberliegenden (nördlichen) Wienflussufer, die Hackinger Mühle. Davor das ländliche von der Milchwirtschaft geprägte Leben.
Hietzing
Die Herrschaft ging an die Rußbacher und bald an die Habsburger, die ihre Gefolgsleute damit belehnten.
Das weitere Schicksal des Ortes samt Burg ist sehr wechselhaft. Die Liste der Gutsherren ist lang und deren Erfolg in Erhaltung und Aufbau der Herrschaft sehr unterschiedlich. Zeiten des Wachstums wechselten mit seuchen- und kriegsbedingtem Verfall, insbesondere nach den Türkenbelagerungen. Die Zahl der Hütten bzw. Häuser im Dorf schwankte über die Jahrhunderte zwischen 14 und 25.
In den 1630er-Jahren gelang es einem Oswald Hundseder (Hundtsöder), Hacking aus der Herrschaft der Habsburger herauszukaufen und zu seinem freien Eigentum zu machen. Nachfolgende Besitzer waren u. a. Christoph Abele von und zu Lilienberg und die Edlen von Hacque.
1778 wurde die Herrschaft Hacking vom Deutschen Ritterorden erworben, und er war der letzte Grundherr bis zur Auflösung der Grundherrschaften ab 1848. Die Reste des Gasthofes „Zum Deutschen Orden“ und die Deutschordenstraße im heutigen Hütteldorf erinnern an ihn. Erster Bürgermeister von Hacking wurde Vinzenz Heß. Letzter Bürgermeister bis zur Eingemeindung nach Wien 1892 war der Bäckermeister Michael Pfeiffenberger. Damals hatte Hacking über 110 Häuser und knapp 1000 Einwohner.
Der Franziszeische Katasterplan aus dem Jahr 1819 zeigt noch das alte Dorf an beiden Seiten des Wienflusses, allerdings schon mit 35 Häusern. Ähnlich dörflich fand es auch J. G. Seidl im Jahr 1826 vor, aber er beschreibt bereits „einige recht niedliche Landhäuser“. Die Inbesitznahme durch Biedermeiersommerwohnungen und -häuser hatte begonnen.
Die weitere Entwicklung folgte der Auhofstraße bis zur Nikolai- bzw. Eustachiuskapelle im Lainzer Tiergarten, eroberte auch den Nordhang des Hagenberges mit heutiger Vinzenz-Heß-Gasse und Schloßberggasse.
Der Entwicklungsraum des Dorfes war aber durch den Tiergarten, den Wienfluss und den Nachbarort St. Veit an der Wien eingeschränkt. Deshalb kann Hacking auf ein bauliches Erbe an Biedermeiersommerwohnungen und -häusern verweisen, das zum Teil besser erhalten ist als in Ober St. Veit, für Gründerzeit- und Jugendstilvillen ließ die beschriebene Enge aber nur mehr wenig Platz.
Darüber hinaus prägen die 1885/86 errichtete Dominikanerinnenkirche in der Schloßberggasse 17 mit anschließendem Kloster, Schulgebäude und großem Park und das ab 1930 von den Schwestern vom Göttlichen Heiland betriebene St.-Josef- Krankenhaus das heutige Ortsbild. Das Spital und seine Nebenhäuser sind in den mehrmals erweiterten Baulichkeiten des 1888 von Univ. Prof. Dr. Moritz Rosenthal gegründeten „Sanatoriums
Quellen
Mlejnek, Emil:
Hacking, Bezirksteil des 13. Wiener Gemeindebezirks, Versuch einer Darstellung.
Im Selbstverlag
Twerdy: Geschichte des Wienerwaldes,
siehe www.1133.at/Bericht 761
Weissenbacher: In Hietzing gebaut
Protokoll zum Franziszeischen Kataster 1819
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Zu den Dominikanerinnen siehe den Beitrag ab →Seite 641
Hietzing
für Nervenleidende“ zwischen Seuttergasse und Auhofstraße untergebracht.
Das älteste bestehende Gebäude Hackings und auch der weiteren Umgebung ist die Nikolai-Kapelle, deren erste Erwähnung in das Jahr 1321 als „(...) sand Nichlas chapelle auffe leit (...)“ fällt. Stilistische Merkmale weisen in die Zeit um 1200. Der Ort Hacking war pfarrlich geteilt. Eine Hälfte unterstand der Pfarre St. Veit, die andere der Pfarre Penzing. 1663 bewilligte Bischof Friedrich Philipp Graf Breuner auf Bitte von zwölf Hausbesitzern in Hacking die Umpfarrung nach St. Veit, weil diese gewohnt waren, wegen des kürzeren und gefahrloseren Weges – es musste nicht mehr die bisweilen Hochwasser führende Wien überquert werden – dort dem Gottesdienst beizuwohnen.
„Vestung und Schloss Häckhing“ (Bezeichnung aus 1667) stand an der Stelle des späteren Jugendgästehauses Hütteldorf-Hacking. Die von Erdwall und Graben umgebene Burg überragte das Dorf, und mit ihrer Lage an der Enge des Wientals war sie ein strategisch wichtiger Punkt.
Die Anlage hat gleich dem Dorf immer wieder große Zerstörungen und Jahre des Verfalles hinnehmen müssen. Erst mit der Erweiterung 1722 näherte sich das Schloss der endgültigen Form.
Über die längste Zeit des Bestandes waren Grundherrschaft und Burg- bzw. Schlossbesitz in einer Hand. Erst der Deutsche Orden als letzter Grundherr verkaufte das Schloss samt Zugehör (Brunnstube, Garten und Nebengebäude) separat, und es ging dann von Hand zu Hand. Namhafte Besitzer waren ab 1827 Louise Plaideux, Baronesse von Mainau, ab 1832 Prinz Gustav von Wasa, Sohn des im Exil lebenden Schwedenkönigs Gustav Adolf IV., und von 1879 bis 1898 die Familie des aus belgisch-deutschem Adel stammenden Josef Prinzen von Arenberg. Umbauten von 1826 bis 1833 gaben Schloss und Zubauten auch in den Details die endgültige Form.
133
Die Festung Hacking
Dieser Stich von Georg Matthaeus Vischer aus dem Jahr 1672, knapp vor der Zerstörung im Zuge der zweiten Türkenbelagerung, zeigt die Burg als stattlichen Bau, zu dessen Anlage auch eine Kapelle gehörte. Die Kapelle wurde in einem Bericht aus dem Jahr 1667 als eine uralte Kapelle beschrieben, in der die Erzherzöge von Österreich, als sie noch die Grundherren Hackings waren, den Gottesdienst besuchten. Die Kapelle soll auch den Dorfbewohnern zugänglich gewesen sein. Unterhalb der Burg steht der Wirtschaftshof, im Tal liegen die Häuser des Dorfes.
Hietzing
1956/57 wurde das Schloss abgerissen und an seiner Stelle das Jugendgästehaus errichtet. Mehr zum Hackinger Schloss finden Sie unter www.1133.at/Bericht 604.
Gemäß Protokoll zum Franziszeischen Kataster 1819 können den im Plan auf der folgenden Seite eingetragenen Konskriptionsnummern folgende Hausbesitzer zugeordnet werden:
1 Ludwig Amüller, Druckfabrik
2 Deutscher Orden, Herrschaft Hacking, (Gasthaus)
3 + 4 Markus Kornegg, Müllermeister (Hackinger Mühle)
5 Johann Brukmüller, Hauer
6+7 Michael Fischer, Hauer
8+9 Anton Simon, Caffeesieder, Wien
10 Anton Waldbauer, Hauer
11 Georg Neumann, Webermeister
12 Johann Hörnsdorfer, Hauer
13 Anton Bellmann, Brauergeselle
14 Josef Theiß, Hauer
15 Joseph Nagler, Koch, Wien
16 Johann Schmuck, Hauer
17+18 Johann Schimpf, Roßhändler, Wien (Schloss)
19 Theodor Jäger, ?, Wien
20 Franz Wagner, Fabrikant, Wien
22 – 28 Gebrüder Meisl, Großhändler, Wien
29 Lipp‘sche Konkursmasse
30 Johann Breiner, Hauer
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Hacking im Franziszeischen Katasterplan 1819. Eine Bearbeitung aus dem Jahr 1974. Darin sind die 1974 noch bestehenden historischen Gebäude, die 1858 eröffnete Westbahn, der Verlauf des regulierten Wienflusses und die damalige Stadtbahn rot eingezeichnet.
Hietzing
31 Andreas Hödl, Hauer
32 Josef Donner, Zimmergeselle
33 Ignaz Waberer, Schustermeister
34 Carl Lederer u. Hartnagel, Lederer
35 Johann Wieser, Maurergeselle
36+37 Gemeinde Hacking
Wie die alten Berichte und Bilder zeigen, lebten die Hackinger vorwiegend von der Landwirtschaft, zuletzt vor allem von Vieh- und Milchwirtschaft. Der Wein spielte auch hier eine Rolle, doch wird er schon 1673 von Stephan Sixley zu den schlechtesten Sorten gezählt und war von zunehmend untergeordneter Bedeutung. Der Franziszeische Kataster 1819 zählt allerdings noch acht Weinhauer in Hacking, doch müssen deren Weingärten außerhalb (z.B. in St. Veit) gelegen gewesen sein.
Sehr früh spielte auch das Gewerbe eine nennenswerte Rolle. Die Lederei am linken Wienufer wurde schon vor 1684 errichtet, weitere Manufakturen sind seit 1724 nachweisbar. Für 1770 werden ein Schuster, ein Schneider, ein Webermeister und ein Ledermeister aufgezählt. Trotzdem war das kleine Hacking mit eigenem Gewerbe nur schlecht versorgt. Nach heftigen Einsprüchen von Hütteldorfer, Baumgartner und St. Veiter Bäckermeistern durfte der Müller erst ab 1833 auch backen, und die erste Fleischerei öffnete im Jahr 1841. Mit der Schankgerechtigkeit im herrschaftlichen Gasthaus war allerdings auch das Greißlereirecht verbunden.
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Kolorierte Lithographie nach einer Zeichnung von B. de Ben um 1820. Links Kirche und Schloss Ober St. Veit. In der Mitte die Vorgängerbauten des Konvents der Dominikanerinnen. Damals waren sie im Besitz der Gebrüder Meisl. Die Dominikanerinnen begannen mit ihrem Werk im Jahr 1870. Ganz rechts mit rotem Dach ist das Schloss Hacking und davor ein großes Wirtschaftsgebäude zu sehen. Aus Kirchliche Topografie von Österreich
Hietzing
Der Mühlbach, an dem die Hackinger Mühle und die Lederei lagen, wurde beim Mariabrunner Wehr abgeleitet und betrieb auch die Mühlen in Hütteldorf und in Oberbaumgarten, ehe er in der Höhe des Preindlsteges in die Wien zurückfloss. Einen Teil des Hackinger Ledereibetriebes erwarb um 1827/28 in einer Versteigerung der k. u. k. Cottondruckfabrikant Franz Maurer. Er stattete die ehemals an der Ecke der heutigen Hackinger Straße/Deutschordenstraße gelegene Kattunmanufaktur mit 35 Drucktischen aus und baute eine Bleicherei an. 1831 wurde die Zitz- und Kattunmanufaktur mit einer Walzendruckmaschine ausgerüstet. 1846 kaufte Gustav Seidel (1880–87 Bürgermeister von Hacking) die Anlage und richtete eine Baumwoll- und Seidenfärberei mit Merzerisieranstalt zur Veredelung der Wolle ein.
Impulse bis Hacking brachten auch die – letztendlich missglückten – Versuche Maria Theresias, in Wien und auch im Wiental die Seidenraupenzucht heimisch zu machen. Bis um 1972 lebende Maulbeerbäume beim Nikolaitor waren die letzten Zeugen dieser Episode.
Die am 15. Dezember 1858 in Betrieb gegangene Westbahn erforderte Grundstücksabtretungen auf der linken Wienseite und brachte dann auch Hacking näher an die Stadt Wien, mit allen positiven und negativen Auswirkungen.
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Die Färberei Seidel in Hacking. Darstellung um das Jahr 1900.
© Sammlung Klötzl
Hietzing
Das Hauptgebäude in der Darstellung oben wurde zur Gastwirtschaft
„Zum Deutschen Orden“.
Dieses heute noch bestehende Gebäude erinnert an die ehemalige Grundherrschaft.
Eine Zeichnung von Arthur Vögel aus dem Jahr 1965. Die Bildbeschreibung des Künstlers: „Michael Steinböck, Gastwirtschaft zum Deutschen Orden“, am Wienfluss, Ecke Hackingerstraße/ Deutschordenstraße, 14. Bezirk. Unmittelbar nach Vollendung dieses Blattes wurde der alte Schanktisch herausgenommen, ein neuer, recht scheußlicher, eingebracht. ... Das Haus gehörte ehedem dem Deutschen Orden. Originalgewölbe aus dem 16. Jahrhundert (sagt der Wirt).“
137
Die Hackinger Mühle in einem Bild unbekannten Datums aus dem Historischen Museum
der Stadt Wien
Hietzing
Ein einfacher, 1830 erneuerter Holzsteg über die Wien an der Stelle der heutigen Zufferbrücke verband die beiden Ortsteile und schuf eine Verbindung zur Linzer Straße, dem bedeutendsten Verkehrsweg nach Westen. Am 8. Juli 1878 wurde die „Franz Karl-Brücke“ eröffnet, welche den Steg und die seit alters her benützte Furt ersetzte. Die Brücke wurde nach Erzherzog Franz Karl (1802–78), dem Vater Kaisers Franz Josephs I., benannt. Seit 1934 heißt sie „Zufferbrücke“ nach dem Brückenbauingenieur Josef Zuffer (1850–1909). Siehe auch das Kapitel Brücken ab →Seite 560.
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Eine Lithographie von Tobias Dionys Raulino um das Jahr 1820. Sie zeigt den Hackinger Steg und die Furt davor. Rechts ist ein Teil der gewerblichen Ansiedlung am nördlichen Wienflussufer zu sehen (von links nach rechts): Zwei Gebäudeteile der Hackinger Mühle (die eigentliche Mühle mit Mühlbach und die Lederei waren dahinter), das große und das kleine Gebäude beiderseits des Torbogens waren der bis 1877 gehaltene letzte Besitz des Deutschen Ordens in Hacking mit dem herrschaftlichen Wirtshaus. Rechts davon beginnt die Druckfabrik. Foto Bezirksmuseum Penzing
Hietzing
Seit der Eingemeindung der Vororte nach Wien, abgeschlossen 1892, gibt es zweierlei Hietzings: Das – eingemeindete – Dorf Hietzing und den neu geschaffenen 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing. Hier geht es um das ehemalige Dorf Hietzing. Wenn also in diesem Kapitel von „Hietzing“ gesprochen wird, ist das Dorf gemeint. In allen folgenden Kapiteln wird das Dorf als „Alt-Hietzing“ bezeichnet. Ein Kunstname, den es nie gegeben hat, der aber die Unterscheidung erleichtert.
Hietzing war früher „ziemlich klein und unansehnlich“, wie es Dr. Wolfgang Pauker in seinen „Regesten“ bezeichnete, doch hatte es mit seiner „lieblichen Dorfkirche“ einen bemerkenswerten Anziehungspunkt. Diese war schon in frühester Zeit ein Wallfahrtsort, darüber hinaus bescherte ihr die Nähe zum kaiserlichen Jagdschloss prominente und spendable Kirchengänger.
Das Jagdschloss wurde zur Kaiserlichen Residenz und mit den sommerlichen Aufenthalten Maria Theresias nahm auch das weltliche Dorf einen – allen anderen Dörfern der Umgebung vorauseilenden – Aufschwung.
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Hietzing Am Platz in einem kolorierten Stich unbekannten Datums. Er zeigt die Kirche vor der Erweiterung 1865–1866 und die anschließenden Häuser. Vorstehend das Herrenhaus mit dem markanten Erker und anschließend das Gebäude, in dem das Gemeindegasthaus untergebracht war (CN. 2, heute Am Platz 2). Darin stiegen vor allem die Wallfahrer ab.
Hietzing
Daraus folgt, dass frühe Recherchen und Schriften, die im 17. Jahrhundert begannen, vor allem die Geschichte der Kirche zum Inhalt haben. Unter den überlieferten Autoren ragen die in Hietzing als Seelsorger tätigen Regularen des Stiftes Klosterneuburg hervor.
Bis in die Mitte des 20. Jahrhundert wurden die für die Lokalgeschichte wertvollen Informationen aus Grundbuchsaufzeichnungen, beginnend mit dem Theresianischen, Josefinischen und Franziszeischen Kataster, nur mäßig genutzt. Die Kombination dieser Informationen mit den im Spätmittelalter einsetzenden Besitzerlisten ermöglichte dann die heutigen Erkenntnisse zur wirtschaftlichen und sozialgeschichtlichen Entwicklung. Mit frühen Arbeiten zur Hietzinger Regionalgeschichte besonders hervorgetan haben sich Walter Weinzettl und Anton Schachinger. Den jüngsten profunden und den gegenwärtigen Stand der Regionalgeschichte Hietzings zusammenfassenden Beitrag enthält Gerhard Weissenbachers im Jahr 1996 fertiggestellter (und längst vergriffener) erster Band von „In Hietzing gebaut“. Ich erlaube mir daher – natürlich mit dem Einverständnis des Autors – das „Hietzinger Rad“ nicht neu zu erfinden, sondern diesen Beitrag in der Folge mit einigen Kürzungen und Ergänzungen wiederzugeben.
Hietzing leitet seinen Namen von „Hezzo“, einer im niederen Adel gebrauchten Kurzform für „Heinrich“, ab; die Endung „-ing“ bei Ortsnamen ist für die bajuwarische Besiedelung im frühen Mittelalter typisch. „Hietzing“ bedeutet also „Ort, an dem die Leute des Hezzo wohnen“.
Erstmals genannt wird der Ort „Hiezingen“ um 1120/30; um 1130 erwähnt der Klosterneuburger Traditionskodex einen Rupertus de Hezingen als Schenkungszeugen. Ab 1200 ist die Form „Hizzing“ oder „Hiezing“ gebräuchlich; die heutige Schreibung „Hietzing“ ist 1548 erstmals belegt.
1253 tauschte der Deutsche Ritterorden unter dem Komtur des Deutschen Hauses für Österreich und Steiermark, Ortolf von Traiskirchen, mit dem Propst von Klosterneuburg, Konrad, einen Meierhof in „Hyezingen“ gegen Besitzungen in Stockstall, Ziersdorf und Dürnbach und übergab dabei die an der Stelle der heutigen Pfarrkirche stehende Kapelle; sie war mit zwei Weingärten und 18 Eimern Wein Bergrecht dotiert. Dieser Vertrag wurde 1255 bestätigt. Das älteste Verzeichnis der Einkünfte des Stiftes von Klosterneuburg, das Urbar aus dem Jahre 1258, nennt den genauen Besitzstand: danach gab es in Hietzing beiderseits der heutigen Altgasse, der Hauptzeile der Siedlung, acht „beneficia“ (beneficium=Lehen) und sieben „curtes“ (Curtis=Hofstatt), von
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Quellen:
Weinzettl, Walter:
Hietzing. Seine siedlungs- und sozialgeschichtliche Entwicklung bis 1820.
Schachinger, Anton:
Der Wienerwald etc.
Weissenbacher, Gerhard:
In Hietzing gebaut
Franziszeischen Katasterplan 1819 und Protokolle
Grundbücher
Siehe auch die Literaturliste auf www.1133.at/Bericht 266
Hietzing
denen eine leer stand. Ein Beneficium ist eine abgabenpflichtige Bauernwirtschaft mit Haus und Äckern. Es konnte groß oder klein sein, ein oder mehrere Landgüter (villae) umfassen oder auch nur einige Hufen (mansi). Der Curtis war ein kleines Haus, manchmal auch unter Einschluss von Feldern und Wiesen, dessen Pächter meist Lohnarbeiter waren und geringere Abgaben leisten mussten.
Die Bewohner Hietzings unterstanden zunächst der Verwaltungsstelle für die Außenbesitzungen des Stiftes („officium“) in Nußdorf; ab 1340 wurden die Einnahmen aus Hietzing – die Zahl der Ämter war mittlerweile vermehrt worden – im „Meidlinger Amt“ notiert. Das Urbar von 1340 verzeichnet keine „curtes“ mehr, sondern eine „curia“ (bestehend aus sechs Benefizien) sowie ein ganzes und drei Drittelbenefizien. Eine Curia war eine Vereinigung von mehreren Benefizien zu einem Meierhof, der ursprünglich Mittelpunkt einer lokalen Wirtschaft, später nur mehr ein größeres Bauerngut ohne besondere rechtliche Stellung war.
Das Stift Klosterneuburg erwarb im Laufe der Zeit alle grundherrlichen Rechte. So verzichtete z. B. auch Rudlo, genannt „Hyetzinger“, 1263 gegen eine lebenslängliche Rente auf sein Erbteil in Hietzing, das der letzte Fremdbesitz gewesen war.
Die Dienstleistungen der Untertanen mussten entweder direkt an das Stift, an den Meierhof in Hietzing oder an die Hietzinger Kapelle, die dadurch eigene Mittel zu ihrer Versorgung bekam, erbracht werden. Nach einer Verwaltungsreform im frühen 16. Jahrhundert, wahrscheinlich unter Propst Georg Hausmannstetter, gingen die meisten Einkünfte direkt an den Grundherrn, das Stift.
Für 1428 sind in Hietzing 20 bewohnte Güter bezeugt, fünf Wohnstätten bei der Kirche (an der Stelle der heutigen Häuser Am Platz 1 und 2, an der geraden und an der ungeraden Seite der heutigen Maxingstraße 1–13), die anderen an der Dorfstraße, der heutigen Altgasse. Das Benefizium der Kapelle wurde spä
Hietzing 1258–1428. Hier wird versucht, die Lage der Wohnstätten nach den Einträgen in den Klosterneuburger Urbaren der Jahre 1258 und 1340, sowie nach den Aufzeichnungen im ältesten Dienstbuch 1428 festzustellen. Unsicher bleibt 1258 die Lage der Hofstatt 4, eine bis in die Neuzeit bestehende Baulücke zwischen den Hofstätten 3 und 5 lässt den eingetragenen Standort vermuten. Das Urbar von 1340 verzeichnet Hofstätten nicht. Der Hofstätter ist kein Vollbauer, er kann unserem Kleinhäusler verglichen werden. Von den sechs Benefizien 2–7 bilden zunächst vier, dann alle sechs eine Curia. Ein Benefizium ist Bauernwirtschaft mit Haus und Äckern. Mit dem Einsetzen des ältesten Dienstbuches (1428) betritt der Topograph gesicherten Boden, die Besitzerreihen der verzeichneten Häuser lassen sich von da an bis zur Gegenwart verfolgen. Eine Grafik von Koppe nach Walter Weinzettl
141
Hietzing
ter mit den Nebenhäusern zum Pfarrhof vereinigt. Nördlich der Siedlung erstreckte sich eine mehr oder weniger offene Fläche bis zum Augelände am Wienufer, die wegen der häufigen Überschwemmungen nur als Viehweide genutzt werden konnte. Südlich, am Hang des Küniglberges – benannt nach dem kaiserlichen Prokurator Wolfgang Künigl, der im 16. Jahrhundert die Güter der Pfarre Hütteldorf verwaltete –, lagen nur einige Äcker, dafür aber ausgedehnte Weingartenfluren. Der Küniglberg selber war von Gestrüpp überwuchert und diente als Weide, ebenso das Heideland östlich des Hetzendorfer Weges (Maxingstraße). Auf dem Heideland befand sich ein seit dem 14. Jahrhundert urkundlich nachweisbarer Steinbruch. Möglicherweise wurde hier Material für den Bau des Stephansdomes gewonnen. Noch im 19. Jahrhundert hießen die Äcker auf dem Boden des heutigen Hietzinger Friedhofes „Auf der Haid in der Steingruben“. Der Steinbruch lieferte auch Material zum Bau von Schloß Schönbrunn.
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Hietzing 1796. Unter anderem sind der Steinbruch östlich des Hetzendorfer Weges, die Weinrieden Oberschoß, Mitterschoß und Unterschoß, sowie die Faist-Mühl eingetragen. Aus der kartographischen Sammlung des WStLA
Hietzing
143
Der Weinbau war lange Zeit die wichtigste Einnahmequelle der Hietzinger. Bis zur Zweiten Türkenbelagerung 1683 verlief die Grenze zwischen Acker- und Weingartenland von Atzgersdorf über den Bereich des Schönbrunner Schlossparks zum Wienerberg. Die Fluren zwischen dem Wienerwald und dieser Linie waren bis 1683 fast ausschließlich Weinland.
Der Weinbau war zwar nicht die älteste Bebauungsform, aber es wurde, da die Nachfrage nach Wein groß war, viel Ackerland in Weingärten umgewandelt und auch viel Gebüsch zur Anlegung von Weinfluren gerodet. Der Höhepunkt des Weinbaus vom 13. bis zum 15. Jahrhundert entspricht einer wirtschaftlichen und kulturellen Blütezeit Wiens. 1525 gab es in Hietzing mit Ausnahme einiger Hausgärten nur noch Weinfluren.
Die Weingründe waren nicht mit dem Besitz eines Hauses verbunden, sondern einzeln verkäuflich oder verpachtbar. Viele Anlagen waren daher nicht Besitz ansässiger Hietzinger, sondern gehörten Bewohnern der umliegenden Dörfer Penzing, Speising, St. Veit, Baumgarten, Meidling, Lainz, Hütteldorf und Gumpendorf oder Bürgern der Stadt Wien.
Im Dienstbuch von 1428 sind zwei große Rieden verzeichnet: Hietzingerberg-Oberschoß und -Unterschoß. Im 18. Jahrhundert gab es drei Rieden: das Unterschoß (Gloriettegasse-Weidlichgasse), das Mitterschoß (Weidlichgasse-Hanselmeyergasse) und das südlich anschließende Oberschoß.
Die Abhängigkeit vom dominierenden Weinbau führte zu extremen Auswirkungen von Verwüstungen aller Art, denn es dauert mehrere Jahre, bis neu gesetzte Weinstöcke Erträge lieferten.
Blick vom Küniglberg auf die Lainzer Straße,
Ecke Gloriettegasse. In der Bildmitte das Kaiserstöckl. Kolorierte Lithografie vermutlich nach einer Zeichnung von Tobias Dionys Raolino, um 1825.
Historisches Museum
der Stadt Wien
Hietzing
Dennoch erlebte das Dorf nach den Verwüstungen der Türkenbelagerung 1529 einen neuen Aufschwung als Weinort, da die ungarische Konkurrenz wegen der Besetzung des Landes durch die Türken ausfiel. Bald gab es wieder so viele Weinanbauflächen, dass die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln gefährdet war. Die Landesfürsten erließen daher Einschränkungen und Verbote: z. B. wurde 1595 verfügt, dass nur solche Gründe, welche nicht mit dem Pflug bearbeitet werden könnten, für den Weinbau verwendet werden dürften.
An der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert ging der Weinbau vor allem infolge der Aufsplitterung der Besitztümer zurück. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts wurden die nicht bewirtschafteten Weingärten wieder in Ackerland umgewandelt. Im Gewährbuch – in ihm wurden Zahlungen, die der Hausbesitzer oder Hausmieter an den Grundherrn zu leisten hatte, festgehalten – verzeichnet der Schreiber im Jahr 1641 zum ersten Mal in Äcker umgewandelte Weingartengründe (15/11 fol. 109 v.).
Während der Türkenbelagerung 1683 wurden die Kulturen des Weinbaus abermals total verwüstet und Wendungen wie „völlig ruinirt und verderbt“ oder „totaliter verwuest und ruinirt“ kehren immer wieder und nur einzelne Weingartenbesitzer machten nach dem Abzug der Türken ihre Besitzansprüche geltend. Auch das Bemühen der Grundherrschaft um den Wiederaufbau hatte keinen Erfolg. Das praktische Ende des Weinbaus hatte über die Katastrophe hinaus auch wirtschaftliche Gründe. Die (spätere) Theresianische Fassion verzeichnete auch die Bodengüte. Mit Ausnahme eines mittelgut klassifizierten Teiles der Ried Hietzingerberg-Oberschoß zählten alle Überländgründe zu den schlechten Böden. Hietzing bot in der Folge ein trostloses Bild, die Bevölkerung verarmte, und es folgte eine vollkommene soziale Umschichtung.
Das Stift Klosterneuburg, das schon vorher eine recht ansehnliche Eigenwirtschaft aufgebaut hatte, wurde nun – soweit
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Der in Hietzing als Beichtvater tätige Chorherr Ernest Saur hat 1662 eine Beschreibung über die zahlreichen Wunder der „Maria Hiezingensis“ verfasst. Darin ist auch diese Zeichnung mit der bisher ersten bildlichen Darstellung der Kirche. Auf dieser ist auch der Bildstock, der Weg nach St. Veit und der damals noch durch die heutige Hauptstraße fließende Mühlbach zur Chattermühle zu sehen. Rechts von der Hietzinger Kirche ist das Gebäude für die Klosterneuburger Stiftsherren bzw. Administratoren und Wirtschaftsverwalter, später der Pfarrhof zu sehen. Die Kirche, die auch während des Einfalls ungarischer Truppen unter Stephan Boczkay 1604/05 abgebrannt war, wurde unter Prälat Thomas Rueff wieder aufgebaut. Die Mariensäule war erhalten geblieben. Der Grundstein des Gebäudes für die Klosterneuburger Stiftsherrn, dem späteren Pfarrhof, war 1630 gelegt worden.
Hietzing
die Gründe nicht als Äcker vergeben werden konnte – zu einer Vermehrung der Dominikalgründe förmlich gezwungen. Damals besaß Klosterneuburg in Hietzing 13 untertänige Häuser und war Besitzer des Pfarrhofes, der beiden Höfe und eines weiteren Hauses.
1346 wird erstmals eine Mühle „an dem Gern“ (= Faistenmühle) genannt. Die Bezeichnung verweist auf ihre Lage zwischen Lainzer Straße und dem Vorläufer der heutigen Auhofstraße. Dieser Winkel wurde als „Gern“ bezeichnet. Nach einem späteren Besitzer nannte man sie „Faist-Mühl“. Dieser Name ist erstmals 1751 urkundlich belegt. Ein Rest des einst ausgedehnten Mühlengebäudes ist das Haus Lainzer Straße 10. Zu den Wassermühlen an der Wien siehe ab →Seite 80.
In das Jahr 1467 fällt die Errichtung der Schleifmühle durch den Müller Wolfgang Herczog und seine Gattin Elsbeth („negst an dem khayl. thüergartten gelegen“, „zunegst des prikhls gegen der martersäulen“). Gespeist wurde sie durch einen Nebenarm der Wien, verstärkt durch den Lainzerbach. Um 1512 war der Besitz verödet. Unter Maria Theresia baute man an Stelle der Schleifmühle das Kaiserstöckl für ihren Leibarzt Gerhart van Swieten.
Der Bildstock (siehe Bild auf der Vorseite) stand an der Abzweigung der alten Hietzinger Dorfstraße von der Straße nach St. Veit. In der Kirchlichen Topographie des Erzherzogtums Österreich (1835–40) wird er als „am Weg nach St. Veit“ stehend beschrieben. Heute befindet er sich an der nördlichen Außenmauer der Hietzinger Pfarrkirche.
Die Kapelle dürfte schon im 14. Jahrhundert einige Bedeutung erlangt haben, denn die Gemahlin Albrechts II., des Weisen, Johanna von Pfirt, stiftete 1340 auf dem Brigitta-Altar eine ewige Messe für ihr eigenes und ihrer Vorfahren Seelenheil. Die Kapelle muss also mehrere Altäre besessen haben. 1394 wurden in einem Ablassbrief des Papstes Bonifatius IX. allen, welche die Kapelle besuchten und zu ihrer Erhaltung beitrugen, Ablässe gewährt. Damals wurde die Kapelle mit ziemlicher Sicherheit renoviert. Zwischen 1414 und 1419 erfolgte eine wesentliche bauliche Erweiterung und die Weihe auf den Titel „Mariae Geburt“.
Im Zuge des Türkensturmes 1529 zerstörten die Truppen des Paschas von Anatolien, Chossan Michalogli, die Kirche und zehn Wohnstätten. Zu dieser Zeit spielt die Legende von der wundersamen Befreiung der vier von Janitscharen gefangenen Männer durch eine Marienerscheinung, die ihnen „Hiet's enk!“ zugerufen haben soll. Davon habe der zerstörte Ort, dessen Name vergessen worden sei, seinen neuen Namen erhalten.
Heute steht der Bildstock an der nördlichen Außenmauer der Pfarrkirche, allerdings handelt es sich nur um einen Abguss des Bildstockes, hier fotografiert am 16. August 2011, kurz nach der Wiederaufstellung. Zu sehen ist die Seite mit der Schutzmantelmadonna. Der restaurierte Originaltabernakel des Bildstockes wurde im Bezirksmuseum Hietzing aufgestellt.
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Hietzing
Dank dieser Legende erfreute sich Hietzing während und nach der folgenden Aufbauphase wachsender Beliebtheit als Wallfahrtsort („Mariae Hietzing“). Vergangene und kommende Kriegsnot und Epidemien, besonders die Pest von 1713, förderten das religiöse Empfinden und das Flehen um Schutz und Vergebung. Wallfahrten, vor allem zu beliebten Marienverehrungsstätten, waren ein Fixpunkt im Jahreskalender vieler Gemeinden, Bruderschaften und anderer Vereinigungen. Die Marienverehrung überstand auch die Reformation, die hier nicht besonders wirksam wurde, denn 1618 sollen noch alle Einwohner katholisch gewesen sein.
Die wachsende Beliebtheit als Wallfahrtsort erforderte im 17. Jahrhundert einen Ausbau der Seelsorge. Um 1630 soll der Grundstein zum neuen Pfarrhof gelegt worden sein. Kanoniker traten an die Stelle der bisher dem aus Säkularklerus genommenen Benefiziaten. Das Leutpriesterhaus entsprach den Anforderungen nicht mehr und musste erweitert werden. Um 1642 kaufte das Stift vom Fleischhauer Georg Renschenkhl ein Haus, während der dazugehörige Hofstattgrund dem Besitzer verblieb. 1680 erwarb Klosterneuburg auch das Nebenhaus um 350 Gulden von Stefan und Agathe Schädel. Von Bauarbeiten begleitet entstanden das (Chor-) Herrenhaus und das Gemeindegasthaus, in dem auch die Wallfahrer übernachteten.
Von Klosterneuburg wurde alljährlich zu Mariae Geburt (8. September) eine Prozession nach Hietzing geführt, 1767 wurde sie auf das Fest Mariae Heimsuchung (2. Juli) verlegt. 1738 wurden in Hietzing angeblich 20 Messen pro Tag gelesen, annähernd 6000 Menschen sollen jährlich die hl. Kommunion empfangen haben. Die Wallfahrten nach Hietzing sollen bis 1772 stattgefunden haben.
Die Gerichtsbarkeit, mit Ausnahme der über Leben und Tod, oblag dem Stift Klosterneuburg als Grundherr. Der von ihm bestellte Richter hielt jedes Jahr am St. Georgen-Tag einen Banntaiding, einen Gerichtstag, ab. Jeder Ansässige hatte hier bei Strafe zu erscheinen. Zwei Wochen später fand ein Nachtaiding statt. Wegen der Kleinheit des Ortes mussten sich – zumindest bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts – die Einwohner Hietzings zum Banntaiding in Meidling einfinden. Der Stiftsdirektor Lamprechtshauser schreibt in der Meidlinger Banntaiding-Handschrift: „(...) müssen die Hietzinger allbei genn Mewrling zu dem pantäding kommen; sind der Hietzinger alle nur sechzehn.“
Während also das Stift Klosterneuburg die Grundherrschaft und damit die niedere Gerichtsbarkeit ausübte, galt die Kirche in Hietzing als Filiale der Pfarre von Penzing, das vor allem durch seine Lage an der Hauptstraße nach Westen (heutige Linzer Straße) größere Bedeutung hatte. Diese Situation führte zu einem Rechtsstreit über das Patronat. Die Pfarre Penzing lag nämlich
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Ausschnitt aus dem Hietzinger Bezirkswappen mit der Darstellung der Legende. Über dem Hochaltar der Kirche soll sich seit uralten Zeiten ein vielverehrtes Gnadenbild unserer lieben Frau befunden haben. Als im Jahre 1529 Wien von den Türken belagert wurde, verbargen die Bewohner Hietzings das Bild unserer lieben Frau auf einem schattenreichen Baum in der Nähe der Kirche. An diesen Baum wurden in einer Nacht vier arme gefangene Landleute von den Türken angebunden. Jegliche Rettung schien aus geschlossen. Da wandten sich die Armen in heißem Gebet zur Mutter Gottes und baten um Hilfe. Und siehe da, als sie eine zeitlang gebetet hatten, da leuchtete plötzlich ein heller Lichtglanz durch die Zweige des Baumes, unter welchem sie standen. Sie schauten empor und erblickten das ihnen wohlbekannte Bild unserer lieben Frau mit dem göttlichen Kinde auf dem Arme. In demselben Augenblicke fielen die Ketten und Bande, womit sie gefesselt waren, von ihren Händen und Füßen, sie waren frei und eilends suchten sie Schutz im nahen Waldgebirge vor dem Feinde. Die Kunde von dem wunderbaren Ereignisse in Hietzing hatte sich bald im ganzen Land verbreitet; von Nah und Fern kamen Leute, welche aus dem eigenen Munde der glücklich Geretteten hören wollten, was sich mit ihnen zugetragen hatte.
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in dem von den Habsburgern lange zur Stärkung ihrer Bedeutung angestrebten und schließlich 1469 von Papst Paul II. eingerichteten Bistum Wien, während Klosterneuburg zur Diözese Passau gehörte. Der Seelsorger wurde vom Klosterneuburger Propst vorgeschlagen und musste vom Wiener Bischof bestätigt werden. Diese Vorgangsweise ist für 1506 und 1518 belegt. 1531 wollte aber der Pfarrer von Penzing, Johann Zuckenriegl, die Stelle in Hietzing erlangen, der Propst Georg Hausmannstetter stellte ihn jedoch trotz einer Empfehlung Ferdinands I. nicht ein. Der Pfarrer wandte sich an den päpstlichen Nuntius Vincenzo Pimpinella, der ihm das Benefizium mit jährlichen Einkünften von drei Mark Silber aus eigener Machtvollkommenheit verlieh. Dagegen wandte sich Propst Hausmannstetter an Rom mit dem Hinweis, er wolle die von den Türken zerstörte Kirche wieder aufbauen, könne dies aber nur tun, wenn sie dem Kloster gehöre. Als Schiedsrichter wurde der neue päpstliche Nuntius Pietro Paulo Vergerio angerufen, der 1534 aufgrund eines Gutachtens des Abtes vom Schottenstift, Konrad Weichselbaum, auf eine Inkorporierung der Kirche in das Stift entschied. Dies bedeutete die Übertragung der seelsorglichen Betreuung an die Chorherren in Klosterneuburg. Der Rechtsstreit war damit aber nicht beendet; Johann Fabri (Heigerlein), Bischof von Wien, beschwerte sich bei der Regierung über den Eingriff in seine Jurisdiktion und löste damit eine sich über drei Jahre hinziehende Auseinandersetzung mit dem Stift aus. 1538 verfügte die Regierung schließlich zugunsten Klosterneuburgs. Die Streitigkeiten, in die später auch Passauer Bischöfe involviert waren, flammten jedoch immer wieder auf.
Der Josephinismus brachte bedeutende Änderungen im Pfarrwesen von Hietzing. Am 24. Dezember 1782 hob Joseph II. im Zuge der Pfarrneuordnung die geistliche Betreuung Hietzings durch die Klosterneuburger Chorherren auf und unterstellte die Kirche wieder der Pfarre Penzing als Filiale. Hietzing zählte damals nur 273 Einwohner; deshalb wurde die Bitte der Gemeinde an den Kaiser um Pfarrerhebung im März 1783 abgewiesen. Der Pfarrer von Penzing trachtete während der nächsten Jahre, die Erhebung seiner Filiale zur Pfarre zu verhindern, doch die Nähe zu Schönbrunn ließ den Ort wachsen. Am 10. Dezember 1785 erklärte sich Propst Floridus Leeb von Klosterneuburg bereit, die Filiale zu einer eigenen Pfarre zu erheben und die seelsorgliche Betreuung durch Stiftsgeistliche ausüben zu lassen. Im folgenden Jahr genehmigte Joseph II. die Errichtung einer Pfarre Hietzing, die nun mit der Filiale Schönbrunn 839 Einwohner zu betreuen hatte.
Hietzing
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Bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unterschied sich Hietzing in seiner wirtschaftlichen, sozialen und baulichen Struktur kaum von den umliegenden Dörfern. Größere Bedeutung als Hietzing hatte St. Veit mit seinem Erzbischöflichen Schloss und mit dem Sitz des Landgerichtes. Erst der Neubau des Schlosses Schönbrunn brachte einen Wandel. Die kaiserliche Hofhaltung wurde ein Anziehungspunkt für Adelige und Bürger, aber auch für Schmarotzer und Spekulanten. Die soziale Struktur des Ortes änderte sich grundlegend. Das Interesse am Ackerbau schwand, das Vermieten bot einträglichere Verdienstmöglichkeiten.
Vor 1683 war nur ein Haus im Besitz von Wienern, von 1683 bis 1720 waren es bereits fünf Häuser. In ihnen lebten der Pfarrer, ein Ziergärtner, ein Briefträger, ein Zimmermeister und ein Hofmaler. In den folgenden Jahrzehnten verstärkte sich die Entwicklung der Neuansiedlungen in einer Weise, die das Ortsbild wesentlich prägte.
1787 wurde ein Friedhof am oberen Teil des Hetzendorfer Weges errichtet, zuvor war der Penzinger Friedhof zuständig. Bereits 1794 wurde der Friedhof erweitert, 1817 erneut vergrößert und mit Zypressen und Trauerweiden bepflanzt. Eine mündliche Überlieferung, der zufolge ein alter Friedhof beim heutigen Haus Maxingstraße 6 bestanden haben soll, an dem sich ein zur Hälfte eingemauerter Bildstock mit den Jahreszahlen 1619 und 1897 befindet – die erste Hausanlage erfolgte hier 1786/87 –, findet keine Bestätigung.
1789 wurde die erste ca. 260 m2 große Schule am heutigen Am Platz 2 errichtet. Die Kosten trug das Stift Klosterneuburg. Das mit Wohnräumen und einem Hof ausgestattete Gebäude bot für ca. 90 Schüler Platz. Leiter war der jeweilige Pfarrer. 1829 wurde die Schule in ein neues Gebäude neben dem ehemaligen Meierhof in der heutigen Fasholdgasse 8 verlegt, wo sie bis 1866 blieb. Seither befindet sie sich wieder Am Platz 2. Bis 1899 war sie in jenem Trakt untergebracht, der heute das Bezirksmuseum beherbergt; in diesem Jahr erfolgte in geringem Abstand zum alten Schulhaus der dreigeschoßige Zubau für 12 Klassen. In dem alten Bau lagen ab 1899 die Aufnahmskanzlei, eine Schuldienerwohnung sowie das Konferenz- und Lehrmittelzimmer. Ein Gang im ersten Stock verband die beiden Trakte. 1968 wurde ein weiterer Anbau hinzugefügt.
Immer mehr Adelige, Hofbedienstete und Wiener Bürger zogen nach Hietzing und erwarben hier Grundbesitz. Als Sommeraufenthalt bevorzugten den Ort z. B. der Königlich preußische Gesandte, der Kurfürstlich sächsische Gesandte, Joseph von Sonnenfels, Franz Alois von Zeiller, der Schöpfer des noch heute geltenden Bürgerlichen Gesetzbuches, der Schriftsteller Franz
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Xaver Karl Gewey und Lord Stewart, der spätere Marquis von Londonderry, außerordentlicher Gesandter von England in Wien.
Um 1780 ist ein Teil der Nordseite der Hietzinger Hauptstraße (CN. 13–19, etwa zwischen den heutigen Hausnummern 18–28) durch sieben Häuser verbaut, ebenso schon Teile der Südseite. In der josephinischen Zeit (1780er-Jahre) begann dann die Verbauung der heutigen Hietzinger Hauptstraße vom Kirchenplatz Richtung Wienfluss (Häuser CN. 8, 9, 10). In diesem Zusammenhang wird erstmalig Ablösung von Zehent und Robot erwähnt. Einen Querschnitt durch die Baubewegung gestattet die Josefinische Fassion, in die alle ertragfähigen Grundstücke aufgenommen, nach ihrer topographischen Lage benannt und nummeriert wurden. Später diente zur Festhaltung der neuen Besitzverhältnisse das 1792 angelegte „Ansiedlungsgrundbuch“ des Stiftes.
Weitere Baustellen in den folgenden Jahren (die eingeklammerten Zahlen sind die späteren Konskriptionsnummern): 1788 (7), 1791 (6), 1794 (30), 1796 (20, 21, 22), 1798 (27). Anmerkung: Hier handelt es sich um von den Franziszeischen Mappen 1819 abweichende jüngere Konskriptionsnummern.
Jeder Untertan hatte die Gewähr zu nehmen, Grunddienst zu leisten und nach Fertigstellung des Baues Robotgeld zu bezahlen. Die in der Nähe des Wienflusses Wohnenden sollten bei Hochwasser keinen Anspruch auf Hilfe von Herrschaft oder Gemeinde haben, sondern selbst Sicherheitsmaßnahmen treffen.
In weiterer Folge wurden im Jahr 1800 wurden neun, 1801 sieben, 1802 eine, 1803 neunzehn, 1804 fünfundzwanzig und 1805 neun Baustellen vergeben. Die Kriege mit Napoleon unterbrachen diese rege Bautätigkeit. Nachdem 1806 noch sechs Baustellen genehmigt worden waren, erfolgten bis 1819 nur vier Grundbucheintragungen. Immerhin stieg die Gesamtzahl der Häuser in Hietzing von 29 im Jahr 1788 auf 173 im Jahr 1819. Darunter fällt auch die Verbauung der linken Seite der unteren Lainzer Straße bis zur Gloriettegasse. Im weiteren Verlauf der Lainzer Straße kam es erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Verbauung mit großteils bürgerlichen Landhäusern und vereinzelten freistehenden Villen. Ein Beispiel hiefür ist die nicht mehr bestehende Villa Kirsch in der Lainzer Straße 89.
Die damit verbundene rege Bautätigkeit schildert anschaulich Adalbert Stifter in seinen 1844 erschienenen „Landpartien“:
„Da ist zum Beispiel Hietzing, ein Dorf am Ende des Schönbrunner Parks, wo es im Sommer so gedrängt ist, wie fast in keinem Teil der Stadt selbst. Das Dorf vergrößert sich aber auch so, dass es eigentlich eine Stadt ist, mit Gassen, in denen man sich in der Tat vergehen kann.“
Wer in der Nähe des Schlossparks ein Haus bauen wollte, musste die Zustimmung des Hofbauamtes einholen. Es wurden allerdings nur zwei Stock hohe Bauten (ca. 15 m hoch) genehmigt. Ein typisches Beispiel für einen adeligen Wohnsitz in unmittelbarer Nähe des Schlosses stellt die 1793 für Raimund Wetzlar
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von Plankenstern erbaute Villa XAIPE dar (heutige Schönbrunner Straße 309, Katastralgemeinde Schönbrunn, ehemals Katastralgemeinde Obermeidling).
Wegen der Unrentabilität durch die beschränkte Grundausnützung und infolge der hohen Grundpreise konnten sich hier nur wohlhabende Leute ein Haus leisten. Wohnungen in Hietzing zählten lange Zeit zu den teuersten im Umkreis von Wien.
Adolf Schmidl schrieb im 1835 erschienen ersten Band seines Werkes „Wien's Umgebungen auf zwanzig Stunden im Umkreise“:
„Überall, wohin der Blick sich wendet, erfreut ihn der Anblick der wogenden Aehrenfelder, der schattigen Waldberge und der prächtigen Anlagen und Villen, wodurch der Reichthum und Geschmack ihrer Besitzer die Gegend um Hietzing zu verschönern wußte.“
Frédéric Chopin, der sich 1831 in Wien aufhielt, schreibt an seine Familie:
„(...) – Aber es gibt Tage, da man keine zwei Worte aus mir herauspressen, mit mir überhaupt nicht zurande kommen kann; und dann fahre ich für dreißig Kreuzer nach Hitzing oder irgendwo in die Umgebung Wiens, um mich zu zerstreuen.“
Interessante Beispiele für Bauten des Adels in Hietzing in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind u. a. die auch als „Schloss“ bezeichnete Villa am Hetzendorfer Weg, heutige Maxingstraße 24 (Villa Thienne de Rumbek), die um 1830 errichtete Villa des kaiserlichen Leibarztes Johann Malfatti am nördlichen Abhang des Küniglberges, die 1850 für Erzherzog Ferdinand Maximilian, den späteren Kaiser von Mexiko, auf der Höhe des Schönbrunner Hügels am Hetzendorfer Weg erbaute „Villa Maxing“ und die um 1840 für den Naturforscher und Reiseschriftsteller Karl Alex
Die Malfatti-Villa auf dem Küniglberge. Nach einem Ölgemälde aus dem Jahr 1826 gezeichnet von Milan Junko.
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ander Anselm Freiherr von Hügel errichtete Villa in der Auhofstraße 15. Der Bau wurde 1854 von Ludwig Wilhelm Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel erworben. Die vier Bauwerke sind nicht mehr erhalten. Das heute noch bestehende sog. „Braunschweigschlössl“ in der Auhofstraße 18 ist eine Dependance der ehemaligen Villa des Herzogs.
Eines der letzten in Hietzing vor 1918 für den Adel großzügig angelegten Gebäude ist die Villa in der Hietzinger Hauptstraße 42c, die seit 1952 dem polnischen Staat gehört. Das Anwesen wurde 1902/03 von Josef Hudetz gebaut und 1913 für den aus böhmischem Adel stammenden Vinzenz Freiherr von Gecmen-Waldek und seine Frau Margherita von Ludwig Schmidl zu einem Herrschaftshaus erweitert. Zu der Anlage gehörten auch die im selben Jahr hauptsächlich für Dienstboten errichteten und ebenfalls repräsentativ wirkenden Gebäude in der Auhofstraße 19, 19a und 19b. Im Haus 19 gab es u. a. eine Kegelbahn mit Gesellschaftssalon; an der Auhofstraße befand sich weiters ein stattliches, 1906 gebautes Glashaus. Bis auf letzteres sind – zum Teil stark verändert – noch heute alle vier Gebäude dieses Besitzes erhalten. Durch den Garten floss einst der Mühlbach zur Faistenmühle in der Lainzer Straße.
Manche Villen bargen bedeutende Kunstsammlungen, z. B. die Antikensammlung des Ministerialsekretärs Karl Ritter von Hartl in der Auhofstraße 15 oder die Plastiken-Sammlung Wix de Zsolna in der Reichgasse (heutige Beckgasse) 30.
Im Zuge der regen Bauentwicklung überlagerte eine gartenstadtähnliche Besiedelungsform die alten blockartigen Fluren des Dorfes Hietzing. Die Verbauung erfolgte planmäßig mit einem modernen Gassennetz südlich der Altgasse. Hauptdurchzugsstraße war der Hetzendorfer Weg (heutige Maxingstraße).„Von dieser langen Hauptgasse ziehen sich zu Rechten mehrere Seitengassen hinein. Die Häuser, aus welchen sie gebildet werden sollen, sind Theils im Entstehen, Theils der Vollendung nahe.“ Die Aufschließungsstraßen „Erste doppelte Hauptgasse“, später Neue Gasse (heutige Wattmanngasse), „Zweite doppelte Gasse“ bzw. „Untere Zwerchgasse“, später Allee-Gasse und in ihrer Verlängerung Schmied-Gasse (beide bilden die heutige Trauttmansdorffgasse) wurden als Parallelen zum Hetzendorfer Weg angelegt. Außerdem plante und verwirklichte man die „Obere lange Zwerchgasse“ (heutige Gloriettegasse) und die „Mittlere Zwerchgasse“ (heutige Woltergasse).
Die alten Dörfer der Umgebung wurden in die der Barockzeit entsprechende Landschaftsgestaltung und Gartenanlage einbezogen: Vom Westtor des Schönbrunner Schlossparks führt eine Achsenstraße nach Ober-St. Veit (ehemals Maria-Theresia-Straße, heute Hietzinger Hauptstraße); von der Gloriette aus wurde 1775 eine Allee in der Achse der Gloriettegasse mit Blickrichtung auf die Ober-St. Veiter Kirche angelegt.
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„(...) die Gloriettegasse, eine breite Straße, welche einen Rasenplatz mit Alleen enthält, von seiner Form scherzweise das 'Bügeleisen' genannt. Hier ist es schon viel ländlicher. Pferche vor den Häusern, offene Abzugsgräben beurkunden die Entfernung von dem eleganten Theile des Dorfes.“ Auf dem Rasenplatz fanden Aufführungen von wandernden Schauspielern und Zirkusleuten statt.
Der 1906 abgerissene sog. „Matschakerhof“ in der Gloriettegasse 11 war ein Beispiel für die ehemals bäuerliche Siedlungsform. In der Trauttmansdorffgasse 31 steht das letzte äußerlich noch relativ unveränderte Bauernhaus von Alt-Hietzing, ein ebenerdiger Bau, in dessen linkem Hoftrakt ein Dachbodenaufzug für Heu eingerichtet war; zwei Pferdeköpfe in der Dachgaupe weisen auf die ehemalige Funktion als Stallgebäude hin.
Einen Überblick über den Bauzustand zu Beginn der intensiven Verbauung vermittelt die über direkten Auftrag der Kaiserin von Jean Brequin 1754 gezeichnete Karte der Umgebung Schönbrunns und Laxenburgs. Der Franziszeische Katasterplan zeigt die Situation im Jahr 1819. Die gesamt Fläche der zur Grundherrschaft Klosterneuburg gehörigen Gemeinde Hietzing betrug im Jahr 1819 193 Joch und 858,55 Quadratklafter. Ein Joch (im 18. Jahrhundert als Niederösterreichisches Joch und später als Katastraljoch bezeichnet) hat 1600 Quadratklafter zu umgerechnet je 3,597 m², das ergibt für ein Joch rd. 5.755 m². Daraus errechnet sich für die damalige Gemeinde Hietzing, die im wesentlichen dem heutigen Bezirksteil Hietzing („Alt Hietzing“) entspricht, eine Gesamtfläche von 1.113.724 Quadratmetern, bzw. rd. 1,1 Quadratkilometern. Die damalige Grundherrschaft St. Veit verfügte über mehr als 800 Joch. Der gesamte heutige 13. Gemeindebezirk Hietzing inkl. Schönbrunn und großer Teile des Lainzer Tiergartens hat 37,7 Quadratkilometer.
Die Nutzung der Flächen Hietzings 1819 zeigt folgende Tabelle:
Benützungsart |
Joch |
Quadratklafter |
---|---|---|
Bauparzellen |
18 |
206,99 |
Äcker |
60 |
812,40 |
Wiesen |
14 |
699,29 |
Hutweiden |
12 |
815,76 |
Gemüsegärten |
3 |
636,55 |
Obstgärten |
60 |
885,66 |
Weingärten |
0 |
301,00 |
Waldungen |
3 |
162,71 |
Teiche |
0 |
0 |
Sand/ Schottergruben |
0 |
0 |
Bachparzellen |
2 |
998,09 |
Wegparzellen |
14 |
1036,39 |
Hietzing
Benützungsart Joch Quadratklafter Unbenützter Boden 0 84,80 Unbenützbarer Boden 6 618,94
Die Aufstellung auf der Vorseite ist im Vergleich zu anderen Gemeinden leider sehr ungenau, denn ihr fehlt der separate Ausweis von Ziergärten und Englischen Anlagen, die es schon gegeben hat, und der Gottesacker.
Obwohl durch den Einfluss Schönbrunns das Interesse an jeder Landwirtschaft verschwunden war, überwiegt noch immer der Flächenanteil von Äckern, Weiden und Obstgärten. Diese landwirtschaftlichen Flächen stehen auch im Kontrast zu den Ständen/Berufen der damaligen Hauseigentümer Hietzings, unter denen sich kein einziger Landwirt mehr befand. Dies ist ein gewaltiger Unterschied zu den Nachbardörfern wie Lainz und St. Veit, wo die Landwirtschaft, vor allem der Weinbau, noch eine dominierende oder zumindest namhafte Rolle einnahm. Natürlich gab es in Hietzing noch den herrschaftlichen Meierhof, aus dem viele dieser Flächen bewirtschaftet wurden und rund 15 Joch standen im Besitz der Gemeinde, dabei handelte es sich meist um Weidegründe. Den weitaus größten Anteil an Ackerland hatten Besitzer
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Der Brequin-Plan 1754/55 ist der älteste kartografisch exakte Plan für den Südwesten Wiens und gilt als ein früher Vorläufer der späteren Landesaufnahmen. Dieser genordete Ausschnitt zeigt noch das bäuerliche Maria Hietzing unmittelbar vor Beginn der intensiven Bautätigkeit. Der Hausbestand beschränkt sich auf den Kirchenplatz und den Bereich um die heutige Altgasse. Der aus St. Veit kommende Mühlbach passiert die Faistenmühle (Hietzinger Mühle), vereinigt sich neben den beiden Gebäudeteilen des Gasthofes „Zum schwarzen Hahn“ mit dem Lainzer Bach und durchfließt dann das noch völlig unverbaute Gelände nördlich der heutigen Hietzinger Hauptstraße. Allerdings gab es hier bereits einen großen angelegten Garten, zu dem drei Brücken über den Mühlbach führten. Die Faistmühle und der „Schwarze Hahn“ standen damals noch im Besitz der Gemeinde St. Veit.
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gehobener sozialer Stellung mit dem ordentlichen Wohnsitz in Wien, die in der Regel auch in Hietzing Häuser ihr Eigen nannten. Unter ihnen finden wir mehrere Adelige. Eine auffallende Persönlichkeit ist der Hof- und Gerichtsadvokat Dr. Theophil Sandmann, der im Laufe der Zeit nicht weniger als 17 % der Überländgründe erwarb. Sein Besitz liegt nicht geschlossen beisammen, der Jurist war offenbar Grundspekulant oder wollte in der Napoleonischen Ära leicht erworbene Kapitalien sicher anlegen. Dann folgten die „Einheimischen“ mit nicht ganz 10 Joch. Das können einige der zahlreichen „Gastwirte“ gewesen sein, die Äcker besaßen und diese nach wie vor bestellten, oder Kleinhäusler, die sich auf den Äckern einen bescheidenen Lebensunterhalt erarbeiteten. Der Anteil der Besitzer aus den Orten der Umgebung betrug nur 9 % der Überländgründe, doch können auch Flächen in ihrer Pacht gestanden sein.
Durch den rasanten Zuzug ergab sich eine soziale Teilung, denn der alte Ortskern um die Altgasse blieb den eingesessenen Klein
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Ausschnitt aus dem Franziszeischen Katasterplan 1819. In einer Bearbeitung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen 1971. Er zeigt bereits das Ortsbild des modernen Villenortes, das mittlere und spätere 19. Jahrhundert brachte keine wesentliche Vermehrung des Baubestandes und der verbauten Fläche. Er zeigt Hietzing mit seiner damals schon sehr ausgedehnten Verbauung. Auch die heutige Hietzinger Hauptstraße war längst angelegt, der Mühlbach verlief nördlich von ihr. Rot hervorgehoben sind jene alten Gebäude, die zumindest bis 1971 existierten. Eingezeichnet sind auch die alten Hausnummern (Konskriptionsnummern, CN). Die Häuser CN 1 und 2 zeigen noch den Grundriss der Häuser auf dem Startbild dieses Kapitels und werden im Protokoll als herrschaftliche Wohn- und Wirtschaftsgebäude bezeichnet. Das Haus CN 3 gehörte dem Bäckermeister Franz Hartmann.
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bauern und Taglöhnern, während im neuen Ortsteil meist Leute gehobener sozialer Stellung wohnten (Adelige, Wiener Bürger und Hofbedienstete), die in Hietzing oft nur den Sommer verbrachten. Zusammenfassend lassen sich über die gesamte Ortsgeschichte hinweg folgende Besitzergruppen unterscheiden:
Über Wein- und Ackerbau wurde bereits berichtet. Im Haus CN. 3 war seit 1692 das Bäckerhandwerk eingetragen, im Haus CN. 43 waren bis ins späte 18. Jahrhundert Schneider tätig. Außer diesen für ein Dorf unentbehrlichen Gewerben gab der Steinbruch auf der Heide einigen Arbeitern Lebensunterhalt.
Im 18. Jahrhundert wurde dann während des Aufenthaltes des Hofes in Schönbrunn das vermieteten der besseren Räume
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an Hofbedienstete zum lukrativen Geschäft. Fast bei jedem der nicht allzu großen Häuser waren ein oder mehrere Zinszimmer vermerkt, die fallweise erkleckliche Summen eintrugen. Aus diesen kurzfristig dem Hofpersonal vermieteten Räumen entstanden die seit dem Ende des 18. Jahrhundert so beliebten Sommerwohnungen.
Mit dem Aufschwung des Ortes wurden auch andere Gewerbe lebensfähige: es gab einen Chirurgen (Wundarzt), einen Apotheker (die Apotheke befand sich schon damals im Hause CN. 17, jetzt Hietzinger Hauptstraße 24), einen Kaffeesieder, einen Schlosser, einen Uhrmacher und einen Webermeister, auf dem Ansiedlungshaus CN. 52 ruhte die Fleischhauergerechtigkeit.
In der Trauttmansdorffgasse (ehemals Allee- bzw. Schmiedgasse) Nummer 13 befand sich der ebenerdige, erst 1961 abgerissene Bau der Gemeindeschmiede. In dieser Gasse siedelten sich u. a. wohlhabende Handwerker an, die fast ausschließlich für den kaiserlichen Hof arbeiteten. Innerhalb dieses „eleganten Theiles“ Hietzings, in der Trauttmansdorffgasse 18, wurde 1816 von Joseph Kornhäusel ein festes Theater (Hietzinger Theater) gebaut, in dem auch Ferdinand Raimund öfters auftrat. Nach dem Abbruch des Baues errichtete man an dieser Stelle ein dreigeschoßiges Gebäude, in dem u. a. die Gemeindeverwaltung und später auch das Bezirksgericht untergebracht waren.
Eine bedeutendere Industrie vermochte sich in Hietzing aber nicht zu entwickeln. Der Versuch, Maulbeer- und Seidenkultur an der Wien heimisch zu machen, misslang, auch Versuche in anderen Branchen blieben im Projektstadium stecken. Mehr Be
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„Domayer‘s Kasino, Ansicht gegen die Hietzinger Kirche um 1850“. Bild im Besitz des Parkhotels Schönbrunn. Es zeigt die Hietzinger Hauptstraße zu der Zeit, als das Bezirksgericht Hietzing seine Tätigkeit aufnahm. Zu sehen sind von links nach rechts das Kaiserstöckl, der Eingangsbereich zum Schönbrunner Schlosspark, die Hietzinger Kirche vor der Erweiterung, das Klosterneuburger Herrschaftshaus und rechts im Vordergrund Dommayers Casino. Das Klosterneuburger Herrschaftshaus fiel teilweise der Erweiterung der Kirche 1865 – 1866 zum Opfer. An der Stelle des rechten, zurückgesetzten Gebäudeteiles befindet sich heute das Bezirksmuseum Hietzing.
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deutung und längere Lebensdauer besaß vermutlich die 1808 genannte Wachsleinwandfabrik in der Gloriettegasse 13 (Haus CN. 85), deren erster Besitzer, Stephan Edler von Wohlleben, k. k. Rat und Bürgermeister von Wien war, 1811 die Essig- und Likörfabrik des Mathias Fresidy in der Wattmanngasse 25 (Haus CN. 96) und die Teppichfabrik des Wilhelm Greul, „(...) welche unter die ältesten Fabriksanstalten gehörte und Tapeten lieferte, die über 30000 Gulden zu stehen kamen.“
Den Bedürfnissen der Sommergäste diente das 1810 vom Schottenfelder Seidenfabrikant Matthias Opferkuch an der Wien in der heutigen Dommayergasse 8–10 (früher Bad-Gasse) errichtete Reinigungsbad; 1819 umfasste der Komplex Druckfärberei, Badgebäude, Waschhütte und Holzlage.
Eine überproportionale Rolle spielten in Hietzing die Gasthäuser, zuerst wegen der Wallfahrtstätigkeit und dann wegen der Anziehungskraft des kaiserlichen Hofes. Einkehrgasthaus für die Wallfahrer war wohl vor allem das herrschaftliche Schankhaus (CN. 2 = Am Platz 2, Protokoll Nr. 48), das während der Zweiten Türkenbelagerung niedergebrannt wurde.
Am Beginn der heutigen Auhofstraße, an der Stelle des heutigen „Café-Restaurant Dommayer“, das mit dem alten „Casino Dommayer“ nur den Namen gemeinsam hat, war 1649 ein „Schenckhauß“ gebaut worden (CN. 27, Protokoll Nr. 29). Es blieb bis 1796 im Besitz der Gemeinde St. Veit. In diesem Jahr erwarben Karl und Katharina Schakoller das Anwesen mit Garten und zugehöriger Gast- und Schankgerechtigkeit. Sie waren auch schon
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Der Gastbetrieb „Zum schwarzen Hahn“, ca. 1890. Das Gasthaus lag zwar am
Rande Hietzings, gehörte jedoch zur Grundherrschaft des Erzbistums Wien. Die Gemeinde St. Veit hatte im Jahre 1649
den damals „öden Grund“ vom Grundherrn erhalten und darauf das Schankhaus gebaut. 1902 wurde an seiner Stelle
das „Ottakringer Bräu“, später „Hietzinger Bräu“, errichtet (Auhofstraße 1). Das oben abgebildete Schild des Schwarzen Hahnes war bis vor kurzem an der Fassade des Hietzinger Bräu angebracht.
Hietzing
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Besitzer eines neueren, ebenerdigen Gebäudes an der Stelle des heutigen Restaurants „Hietzinger Bräu“, das in einem Plan aus der Zeit um 1765 mit der Benennung „Neuer Hann“ eingezeichnet ist. Vor dem Haus standen Kastanienbäume, und zwei kleine Brücken führten über das offene Gerinne des nahe vorbeifließenden Lainzerbaches. Die Bezeichnung „Zum Schwarzen Hahn“ fand bereits um 1700 Verwendung. Sie steht möglicherweise mit dem ehemaligen Brauchtum des Huhnopfers in St. Veit in Zusammenhang. 1888 erfolgten ein Umbau der „Restaurations-Localitäten“ und eine Vergrößerung des damals bereits angegliederten Hotelbereiches durch Stadtbaumeister Josef Wenz; 1902/03 errichtete Stadtbaumeister Franz Vock nach Plänen von Franz von Neumann einen Neubau, die Restauration und Pension „Ottakringer Bräu“. Der Garten und die gedeckte Veranda boten Platz für ca. 2000 Personen. In den beiden Obergeschoßen war die Pension mit Familienappartements (je drei bis vier Wohnräume, Bad, WC, Dienerzimmer) untergebracht. Neben der axialen Beziehung dieses Gebäudes zu Schloss Schönbrunn bestehen auch innerhalb der Fassade formale Anklänge an den Barockbau.
Der „Hahnwirt“ hatte aber auch mit der Überleitung zum neueren Hietzing zu tun, als er in das Kaffehausgeschäft einstieg. Etabliert hatte sich dieses Gewerbe allerdings ebenfalls schon in der josefinischen Zeit: 1783 soll für Augustin Breitenbach und seine Frau Theresia gegenüber dem Schönbrunner Kaiserstöckl ein „Coffee Haus“ mit Garten errichtet worden sein.
1817 soll es der Hahnwirt Reiter in ein „Caffeh- und Traiteurhaus“ umgewandelt haben. Seine Tochter heiratete den Sohn des zugewanderten Kammachers Mathias Thomayer, der gemäß Häuserprotokoll 1819 dieses Haus CN. 10 (im Protokoll Nr. 17, dort noch alte CN. 8, später Hietzinger Hauptstraße 12) bereits besaß. Der Sohn hieß Ferdinand Thomayer (1799–1858), fortan „Dommayer“ und übernahm das Kaffeehaus.
Er machte es zu einem Begriff für ganz Wien. Nach dem Abbruch von neun benachbarten Häusern errichtet er das „Dommayersche Casino“ mit der Adresse Hietzinger Hauptstraße 12 (später 10–14). Als Vorläufer dieser Einrichtung könnte das Nobelgasthaus „Zum goldenen Lamm“ in der Wattmanngasse 7 angesehen werden, wo man beliebte Bälle und Volksbelustigungen veranstaltet. Den Umbau zum Casino führte Josef Leistler, der Baudirektor des Fürsten Liechtenstein, aus. Der aus Italien stammende Begriff Casino wurde in Wien zum Modewort für Lokale, die Gasthaus mit Kaffeehaus verbinden und in denen Tanz- und Konzertsäle eingerichtet waren.
1833 wurde im Zuge eines Umbaus ein neuer Tanzsaal errichtet, zu dessen festlicher Eröffnung mit den Klängen des von Johann Strauß Vater geleiteten Orchesters sich die Spitzen der
Hietzing
Wiener Gesellschaft einfanden. Das Casino wurde zum Veranstaltungsort großer Bälle, hier wurden Walzer von Josef Lanner, Johann Strauß erstmals aufgeführt.
Der 15. Oktober 1844 war für Hietzing und die Familie Strauß ein großer Tag. Johann Strauß Junior feiert auf dem Podium in Dommayers Casino, das sonst sein Vater innehatte, mit dem Walzer „Gunstwerber“ sein Debüt. Er gewann die Gunst des Publikums, aber auch die Verzeihung seines Vaters, der von dem renitenten „Schani“ einen „ehrlichen“ Broterwerb gefordert hatte, da ihm jede „Spur von Talent fehlte“.
Nach dem Tod Ferdinand Dommayers 1858 erbte sein Sohn Franz (gest. 1900) den Besitz (jetzt EZ 11 KG Hietzing, Konskriptionsnummer 12, später Hietzinger Hauptstraße 16?) und führte das Unternehmen weiter.
Doch auch diese Zeit verblasste. Da Hietzing seine Bedeutung als Ausflugsziel immer mehr verlor, geriet das Casino in finanzielle Schwierigkeiten, sodass Franz Dommayer 1889 gezwungen war, den Besitz (EZ 11) inkl. der im selben Jahr von Katharina Dommayer geerbten Liegenschaften EZ 9 (Häuser Konskriptionsnummer 9 und 10, Hietzinger Hauptstraße 12 und 14) mit Kaufvertrag vom 6. April 1889 an den in Wien sehr bekannten Restaurateur Paul Hopfner und seine Frau Franziska zu verkaufen.
1907/08 wurde dann an der Stelle des Casinos „Hopfners Park-Hotel Schönbrunn“ errichtet. Das wieder hatte große Auswirkungen auf den Hietzinger Hof: Dieser war zu diesem Zeitpunkt tech
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Straßenszene vor Dommayer's Casino aus „Hitzing: Große Ansichtenserie von Wiens Umgebungen Nr. 5“,
Tobias Raulino 1830
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nisch hoffnungslos veraltet und dem neuen Konkurrenten nicht gewachsen. Aber das war ein Vorgriff auf den folgenden Punkt.
Nach der feierlichen Eröffnung nutzen vor allem die Gäste von Kaiser Franz Joseph I. das erstklassige Parkhotel für ihren Aufenthalt. Sie bewohnen die Suiten des Hauses zumeist mit ihren Familien samt Personal für mehrere Wochen und fühlen sich dank des hohen Komforts wie am Kaiserhof.
Ab 1930 war das Hotel vollständig im Besitz der Familie Hübner. Nach dem Krieg diente als Offizierskasino der englischen Besatzungstruppe und wurde erst 1954 feierlich wiedereröffnet. Viel Prominenz wie Peter Alexander, Conny Froboess, Hans Albers und Asta Nielsen war dann gerne im Parkhotel zu Gast. Der österreichische Komponist und Dirigent Robert Stolz zählte zu den Stammgästen.
Nach einem Brand wurde das Hotel 1963 modernisiert und zur damals größten Hotelanlage Wiens erweitert. Das seit 1999 von den Austria Trend Hotels & Resorts betriebene Parkhotel wurde nach einer umfassenden einjährigen Renovierung und Modernisierung 2011 wiedereröffnet.
Ein bis in die jüngste Zeit bekannter Gasthof war der „Weiße Engel“ Am Platz 5. Der alte Bau stand schon vor 1750. Franz Schubert war mit seinen Freunden Gast; Josef Lanner, Johann Strauß Sohn und Franz von Suppé gaben hier Konzerte. Das Gebäude wurde 1898 durch einen Neubau mit einem Restaurant gleichen Namens ersetzt. An der Stelle Hietzinger Hauptstraße 3 errichtete man 1907 nach Plänen von August Belohlavek das Hotel „Zum Weißen Engel“. In dem Nachbargebäude Am Platz 6/Hietzinger Hauptstraße 1 richtete Carl Witzmann 1936 das „Café Gröpl“ ein. In dem von Künstlern gerne besuchten Café waren u. a. Musiker des Schönberg-Kreises und Rainer Maria Rilke zu Gast. Heute befindet sich hier eine Bank und das „Café am Platz“.
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Hopfners Park-Hotel Schönbrunn, nach der Natur aufgenommen von Franz Witt im Jahr 1908. Diese Ansicht wurde in einem knapp nach der Eröffnung herausgegebenem Plakat verwendet.
Hietzing
Ein weiteres Vergnügungsetablissement war von 1867 bis etwa 1882 zwischen Lainzer Straße, Neue-Welt-Gasse und Hietzinger Hauptstraße die „Neue Welt“. Nach dem Niedergang des Unternehmens parzellierte man den Grund, legte Aufschließungsstraßen an, und es entstand ein neues Villenviertel, das „Hietzinger Cottage“.
Die politische Selbstständigkeit des bis dahin auf über 300 Häuser gewachsenen Ortes Hietzing endete 1892. Gemeinsam mit Hacking, Lainz, Ober St. Veit, Speising, Unter St. Veit und anderen, nördlich des Wienflusses gelegenen Orten, die heute den 14. Gemeindebezirk bilden, wurde er zum 13. Wiener Gemeindebezirk. Da er diesem auch den Namen gab, sollte er als Bezirksteil „Alt-Hietzing“ genannt werden.
Am Platz. Stich von Hinze um 1875 (?). Links das 1871 errichtete Denkmal Kaiser Maximilians. Hinter der Laterne steht mit der Adresse Am Platz 5 der Gasthof „Weißer Engel“. In der Bildmitte ist ganz hinten der Eingang in die „Neue Welt“ zu sehen. Rechts steht an der Hietzinger Hauptstraße das Haus des Apothekers Winkler, davor der Eingang zum
„Hotel Vogelreuther“.
© Bruno Bohdal
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Der Gasthof
„Zum Weissen Engel“
im vor 1898 abgebrochenen Gebäude am Platz 5 und die Konditorei Cafe,
Am Platz 6, im Jahr 1898
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Das Hotel „Zum Weissen Engel“ in der Hietzinger Hauptstraße 1. Architekt: August Belohlavek in Wien. Heute ist es ein Büro- und Geschäftshaus. Foto aus der Beilage zur „Wiener Bauindustrie-Zeitung 1907/1908
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Dem Hietzinger Hof, dessen Entstehungsgeschichte in die Zeit der alten Ortsgemeinde zurückreicht, sei hier – gleich im Anschluss an die Ortsgeschichte Hietzings – ein eigenes Kapitel gewidmet. Während Etablissements wie etwa ein „Dommayer“ in keiner lokalhistorischen Betrachtung ungenannt bleiben, ist der Hietzinger Hof nahezu gänzlich aus der kollektiven Erinnerung verschwunden. Dennoch spiegeln sich in seiner Geschichte und der seiner langjährigen Besitzerfamilie Todt fast alle prägenden Momente des vom monarchischen Glanz profitierenden Hietzings wider. Vom Bauboom ab der Mitte des 18. Jahrhunderts angefangen bis zu den großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts und der Zeit darnach. Ausnahmsweise belasse ich hier eine detailliertere Darstellung.
Der Dominikalgrund nördlich der Hietzinger Hauptstraße um den Bereich des späteren Hietzinger Hofes war trotz der verteuern
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Hietzing
Hietzinger Platz und Umgebung. Aquarell anonym um 1765. Vom Platz Richtung St. Veit führt die 1764 gebaute Hauptstraße (heute Hietzinger Hauptstraße). Auf dem Boden des späteren Hietzinger Hofes (roter Kreis) befindet sich die ausgedehnte, als „Modetis Wohnhaus“ bezeichnete Anlage. Davor fließt der offene, um den Lainzerbach angereicherte Mühlbach, eine Brücke führt darüber.
Oberhalb (westlich, der Plan ist nicht genordet) stehen folgende Gebäude (von unten nach oben):
Bäcker (Bächen)-Haus und Bäcker-Stadl (die Gebäude der späteren Apotheke Winkler)
Boltzhoferisches Haus
Weberisches Haus
Zimmer-Butzer-Haus
Alter Hann
Neuer Hann - Wirthshaus (Würthe-Haus)
Unterhalb (östlich) des Modeti-Hauses folgen das
Zaunerisch(e) Haus,
ein Heigestel (Heugestell)
und dann an das Schlossareal angrenzend das Kaiser-Haus.
© Albertina Mappe 24,
Umschlag 5 Nr. 1
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den Auflagen (Zustimmung des Hofbauamtes, nur zwei Stockwerke) sehr rasch verbaut. Die Bautätigkeit begann ca. 1755 und schon das Aquarell auf der Vorseite aus dem Jahr 1764 zeigt sechs Häuser: Das Boltzhoferische Haus (CN. 18, Baubewilligung 1755), das Weberische Haus (CN. 19, 1760/61), das Bäcker Haus (später Apotheke, CN. 17, Baubewilligung nicht angegeben), Mo
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Ausschnitt aus dem Franziszeischen Katasterplan 1819. In einer Bearbeitung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen 1971. Er zeigt das Zentrum von Alt-Hietzing mit der heutigen Altgasse. Auch die heutige Hietzinger Hauptstraße war längst angelegt. Der eingezeichnete Mühlbach verlief nördlich der Hietzinger Hauptstraße. Rot hervorgehoben sind jene alten Gebäude, die zumindest bis 1971 existierten. Eingezeichnet sind auch die alten Hausnummern (Konskriptionsnummern).
detis Wohnhaus (CN. 16, ?, das Areal des späteren Hietzinger Hofes), die späteren CN. 15 (1779 einem Untertanen übergeben), 14 (um 1791 erbaut) und das Zaunerische Haus (CN. 13, ?) und ein Heustadel.
Der Ausschnitt aus dem Katasterplan des Jahres 1819 (Fassung 1971, statt Protokollnummern sind hier die Konskriptionsnummern der Häuser eingezeichnet) zeigt nördlich der Hietzinger Hauptstraße im Bereich des späteren Hietzinger Hofes drei Häuser mehr und zwar die Konskriptionsnummern
10 = neu 12, 12 = neu 14 und 13 = neu 15.
Das Gebäude an der Stelle des Hietzinger Hofes hatte die alte CN. 14, im Rahmen der Häuserzählung 18.. bekam es die Nummer 16.
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Der Brequin-Plan 1755 zeigt an der Stelle des späteren Hietzinger Hofes die erste Kultivierung in diesem Gebiet nördlich des Straßenzuges. Diese untere heutige Hietzinger Hauptstraße vom Schlosspark bis zur Abzweigung der Lainzer Straße gab es schon vor der 1764 gebauten Verlängerung hinauf bis St. Veit.
Das wenig später entstandene Aquarell zeigt die Situation im Jahr 1765. Aus der „ersten Kultivierung“ im Brequin-Plan war ein stattliches Gebäude geworden, das mit großem Abstand zur Straße (nördlich des Mühlbaches) die gesamte Grundbreite der späteren EZ 14 einnimmt. Es wird als „Modetis Wohnhaus“ bezeichnet.
Zusammen mit den davor und dahinterliegenden Grünflächen sind hier bereits die Flächen abgesteckt, die später die EZ 14 der KG Hietzing ausmachen werden. Leider gibt es keine bildliche Darstellung des Gebäudes, die seine äußere Form und die Anzahl seiner Stockwerke zeigt.
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Links Ausschnitt aus dem genordeten Brequin-Plan 1755. Die Kultivierung in der Bildmitte ist in etwa der Platz des späteren Hietzinger Hofes. Die Verkehrswege herum entsprechen heute in etwa der unteren Hietzinger Hauptstraße, der Dommayergasse und der Eduard-Klein-Gasse. Der Raum innerhalb dieser Linien war komplett unverbaut. Das rechte Aquarell aus 1765 (ebenfalls genordet) zeigt bereits die ersten Häuser auf den dann nachhaltig bestehenden Bauflächen insbesondere Modetis Wohnhaus als Vorgängerbau des späteren Hotels.
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Der Franziszeische Katasterplan 1819 zeigt denselben Bau. Im zugehörigen Häuserprotokoll, Mappennummer 23, Haus Nr. 14, wird er sehr allgemein und die tatsächliche Nutzung kaum berücksichtigend als Wohn-, Nebengebäude samt Hofraum mit einer Fläche von 444,60 Quadratklafter (ca. 1.600 Quadratmeter) bezeichnet. Hauseigentümer ist der Hof-Agent Dittrich Edler von Eberstahl.
Das hier euphemistisch als „Wohngebäude“ bezeichnete Bauwerk ist von enormer Ausdehnung. Im Häuserprotokoll zum Franziszeischen Katasterplan 1819 wird dafür eine Fläche des Gebäudes samt Hofraum von 444,6 Quadratklafter (= rd. 1.600 Quadratmeter) ausgewiesen. Abgesehen vom Gebäudekomplex der Hietzinger Mühle war es damit das größte profane Bauwerk im Ort, eigentlich schon ein Schloss.
Mit den zugehörigen Überlandparzellen 57 (Englische Anlage) 58 (Gemüsegarten) und 59+60 (Englische Anlage) muss es sich um ein Anwesen mit einer Fläche von ca. 5.000 Quadratmeter gehandelt haben.
Ausschnitt aus dem Franziszeischen Katasterplan 1819. Das Haus auf der Bauparzelle Mappen Nummer 23, damals Haus CNr. 14 (später erhielt des die CNr. 16, die gesamte Liegenschaft wurde zur EZ 14) war das erste Bauwerk auf diesem Grund und behielt seine Form bis in die 1870er-Jahre.
Die Grundbücher des 18. und 19. Jahrhunderts liegen im Wiener Stadt- und Landesmuseum. Der Termin ist noch ausständig. Daher ist diese Eigentümerreihe noch unvollständig.
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Vorweg ein paar Zeilen der Schriftstellerin Marie von Glaser, die den damaligen Zuzug nach Hietzing so beschrieb:
„Der Adel, die Esterhazys, Wengheims, ging mit dem Beispiel voran. Dann kamen die Pidoll und Malfatti, die sich in Hietzing niederließen; das vornehme Bürgertum folgte nach.“
Sie waren also bekannt die Pidolls und nun wissen wir, wo genau sie sich in Hietzing niederließen. Die Malfatti freilich wählten den Osthang des Küniglberges und damit genau genommen Lainzer Grund. Der Malfattipark mit dem Malfattischlössl in seiner Mitte wurde zum größten Anwesen in der Gegend. Das alte Schloss wurde demoliert, als die Familie Taussig an seiner Stelle ein neues Gartenschloss errichtete. Johann Paptist Malfatti war ein berühmter und wohlhabender Arzt, der unter anderem zum Leibarzt Erzherzog Karls und der Erzherzogin Maria Beatrice von Modena-Este und des Herzog von Reichstadt (Sohn Kaiser Napoleon I.) avancierte.
Nun aber zurück zu den weniger bekannten Pidolls. 1854 wurde das Eigentumsrecht für Franz, Ignaz und Anton Freiherren von Pidoll zu Quintenbach und für Amalie Freiin von Ambrozy, geborene Freiin von Pidoll zu Quintenbach zu vier gleichen Teilen einverleibt. Offenbar hatten sie die Liegenschaft von einem Vorfahren geerbt. Der hatte sie wohl vom Edlen von Eberthal erworben, aber das ist noch zu recherchieren.
Die Liegenschaft blieb bis 1882 im Besitz der Familie Pidoll, wobei Ignaz Freiher von Pidoll zu Quintenbach 1869 die Anteile seines Bruders Anton und seiner Schwester Amalie käuflich erwarb. 1870 erbte er auch den Anteil seines Bruders Franz.
Wie die Pidolls die Liegenschaft nutzten ist unbekannt, für die erste Besitzergeneration wird es wohl der Sommersitz gewesen sein, die nächste dürfte Wohnungen eingerichtet und diese vermietet haben.
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Dieses Inserat in Gustav Heines „Fremden-Blatt“ vom 17. Mai 1863 unterstützt die Funktion der „Villa Pidoll“ als Mietobjekt.
Veröffentlicht in „Neues Wiener Tagblatt“ vom 3. November 1912
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Mit Kaufvertrag vom 5. September 1882 erwarb Ferdinand Fuchs die gesamte Liegenschaft. Grundbücherlich besaß er sie bis ins Jahr 1888, als er sie mit Kaufvertrag vom 5. Mai 1888 an Theodor Freiherr von Tucher weitergab. In dieser Periode von 1882 bis 1888 dürften die Umbauten in Tucher's Namen begonnen haben.
Ein Hotel soll es allerdings schon in den 1870er-Jahren, also noch in der Pidoll-Zeit, gegeben haben. Im Jahr 1883 soll es zum Hotel-Etablissement und „Café Union“ umgewandelt worden sein. Der Situationsplan rechts aus dem April 1883 zeigt als rot schraffierte Fläche den Grundriss dieses „Café Union“. Ein neuer, tieferer Gebäudetrakt hatte eine Hälfte des Altbaus ersetzt, die andere Hälfte (grau schraffiert) blieb erhalten.
Die einzige bildliche Darstellung dieses Etablissements zeigt es in diesem neuen Gebäudeteil. Laut den Plänen war das eingeschoßige Gebäude tiefer als der Altbestand und ragte vorne und hinten über die Baulinie des Altbestandes hinaus. Der ausgedehnte Vorgarten zur Straße hin blieb aber bestehen.
Schon vor 1886, also während der Zeit, als die Lokalität noch im grundbücherlichen Besitz des Ferdinand Fuchs stand, wurde der Betrieb im Namen des Besitzers der freiherrlich Tucherschen Brauerei zu Nürnberg, Theodor Freiherr von Tucher, erheblich ausgeweitet: Dem Café Union wurde ein Restaurationsbetrieb mit großem Tanzsaal angeschlossen. Der Saalanbau entstand im Garten anstelle des hinteren alten (ostseitigen) Gebäudeflügels und fasste ca. 1000 Personen. Die Decke dieses mit einem hohen Mittelschiff und mit Renaissanceelementen ausgestatteten Raumes wurde von 22 Säulen aus weißem Stuckmarmor getragen. Die Wandgemälde stellten in Bezug zur Herkunft Baron Tuchers Ansichten von Alt-Nürnberg dar.
Die Gastzimmer des Restaurants an der Straßenseite befanden sich noch im Altbestand, im Garten gab es bereits ein Sommerorchester.
Bald wurde erkannt, dass das Orchester inmitten des Tanzsaales zuviel Platz wegnahm, und Baron Tucher erwirkte im Jahr 1886 eine Genehmigung für einen Orchester-Zubau an der Nordseite des Saalgebäudes.
Mit Kaufvertrag vom 5. Mai 1888 erwarb Theodor Freiherr von Tucher die gesamte Liegenschaft auch grundbücherlich und gleich darnach nahm er die weitere Vergrößerung des Betriebes in Angriff. Der zugehörige Plan ist mit 30. Mai 1888 datiert. Der Rest des ursprünglichen Gebäudes aus den 1760er-Jahren wurde abgebrochen und an seiner Stelle dem Gebäudeteil des Café Union ein symmetrischer Bau angeschlossen. Es entstand ein respektables Bauwerk mit 15 Fensterachsen, dass in seiner Grundanlage bereits den späteren Hietzinger Hof erkennen ließ. Aber vorerst wurde es zum „Hotel Vogelreuther“. Es hatte zwei
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Das Etablissement
der freiherrlich Tucherischen Brauerei zu Nürnberg in der Hietzinger Hauptstraße 22
in einem Aquarell von Josef Sager aus dem Jahr 1887. Rechts davon ist ein Teil der noch bestehenden rechten Hälfte des Vorgängerbaus zu sehen. Demnach hätte es sich um ein etwas höheres, aber ebenfalls einstöckiges Gebäude gehandelt. Allerdings war das neue Gebäude tiefer als das alte und ragte vorne und hinten über die Baulinie des Altbestandes. Damit ist das Aquarell in dieser Hinsicht nicht authentisch.
©Historisches Museum der Stadt Wien
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Der Geometerplan aus dem April 1883 zeigt die Situation mit dem Neubau (rot schraffiert) anstelle des (von der Hietzinger Hauptstraße aus gesehen) linken Gebäudeflügels, in dem das Café Union untergebracht war. Der verbliebene Altbestand ist grau schraffiert.
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Rechts oben ein späterer Plan (mit der Front zur Hietzinger Hauptstraße an der unteren Seite) und links oben ein dementsprechender Situationsplan. Sie zeigen die weitere Entwicklung unter dem neuen Eigentümer Baron Tucher. Dem Café Union wurde ein Restaurationsbetrieb mit großem Tanzsaal angeschlossen. Die Gastzimmer befanden sich noch im Altbestand, der neue Tanzsaal trat an die Stelle des hinteren Gebäudeflügels. Im Garten gab es bereits ein Sommerorchester. Links unten der Plan für die Hofansicht des monumentalen Tanzssales.
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Oben der Plan für der Orchester-Zubau und links dessen auf der Rückseite angebrachte Genehmigung durch den (letzten) Hietzinger Bürgermeister Hanselmayer vom 20. Oktober 1886. Durch die Eingemeindung nach Wien 1891 endete die Selbstständigkeit Hietzings als Ortsgemeinde.
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Restaurationsräume in altdeutschem und in „modernem“ Stil. Der Baumeister war Josef Wenz.
Der Name kommt von dem Hotelier C. Vogelreuther, vermutlich hatte er diesen Betrieb von Baron Tucher gepachtet.
Der vom k.k. Hof-Baumeister Josef Wenz unterschriebene Plan mit einem Gebäudeschnitt und dem Grundriss des neuen Stockwerkes und des neuen Dachbodens vom 30. Mai 1888
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Das Hotel Vogelreuther, wie es nach dem Umbau des Etablissements durch Baron Tuchner in der Hietzinger Hauptstraße 22 entstanden war. Es lässt bereits das spätere Hotel Hietzinger Hof erkennen. Die sieben Fensterachsen auf der linken Seite waren das
Café Union.
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Entwurf (oben) und
Einreichplan (unten)
von Stadtbaumeister Josef Kopf
für einen Zubau. Im Entwurf wurde er „Spielhaus“ bezeichnet, im Einreichplan war es ein „Hofsalon“. Der Plan wurde
am 3. Februar 1893 genehmigt und wird wohl gleich verwirklicht worden sein. Im späteren Hietzinger Hof wurde der Anbau zum Billardzimmer.
Der Einreichplan zeigt auch den Situationsplan mit dem damaligen und während des gesamten Bestandes nur mehr in Marginalien veränderten Grundrisses der Gebäude.
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Gustav und Olga Todt brachten das Hotel unter dem Namen Hietzinger Hof zu seiner Blüte und größten Ausdehnung. Sie erwarben die Liegenschaft mit Kaufvertrag vom 4. Februar 1897 je zur Hälfte. Der Kaufpreis betrug 130.000 Gulden österreichischer Währung. Bezeichnet wurden die Liegenschaften als EZ 14 mit Haus CNr. 304 und EZ 277 mit Haus CNr. 16.
Vom Kaufpreis wurden 64.900 Gulden bar bezahlt, für den Rest wurden bestehende Kredite übernommen.
Das Ehepaar Todt betrieb das Hotel zunächst weiter als Hotel Vogelreuther, wenige Monate später war es bereits das Etablissement Hietzinger Hof.
Der Betrieb scheint gut gelaufen zu sein, dann schon bald nach dem Kauf im Jahr 1897 verwirklichte das Ehepaar Todt ein Großprojekt: die Aufstockung des an sich schon voluminösen Gebäudes. Planung und Angebotseinholung dauerten bis ins Jahr 1900. Die zügig fertiggestellte Aufstockung führte – mit Ausnahme eines Dachausbaus 1940 – zur endgültigen Ansicht des Hietzinger Hofes mit einer Fassade, die Stilmerkmale aus der Barockzeit aufwies. Der dreigeschoßige, symmetrische Bau hatte natürlich nach wie vor 15 Fensterachsen, erfuhr aber durch den Rundbogeneingang und die darüberliegenden Erker sowie durch
Der Kauf des Hotels Vogelreuther durch das Ehepaar Todt fand kaum einen Niederschlag in den Tageszeitungen. Eine Ausnahme ist diese Kurzmeldung im Deutschen Volksblatt
vom 9. Mai 1897 (links).
Das Inserat zum festlichen Eröffnungskonzert
erschien ebenfalls im
Deutschen Volksblatt (unten).
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Schon im Oktober 1897
firmierte der Betrieb als Etablissement „Hietzinger Hof“. Hier das Deutsche Volksblatt vom 31. Oktober 1897 mit einem Inserat für ein Militär-Konzert. Diese Konzerte wurden regelmäßig jeden Sonn- und Feiertag bis zum Ende der Monarchie veranstaltet und permanent beworben.
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Die komplette Familie Todt ca. im Jahr 1899 (von links nach rechts):
Hermann, Lina, Mutter Olga mit ihrer jüngsten Tochter, der 1898 geborenen Rosl, Maria, Vater Gustav, Olga.
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die an dieser zentralen Stelle aufwendig gestaltete Attika eine wesentlich stärkere Betonung der Mitte. Über der vierten und 12. Achse war die als Balustrade ausgebildete Attika segmentbogenförmig abgeschlossen; in den Bogenfeldern befanden sich – von Ranken bekrönt – die Aufschriften „Café“ bzw. „Restaurant“. Das relativ stark vorspringende Dachgesims trug wesentlich zur betont horizontalen Ausrichtung des Baues bei. Synchron zu den Aufschriften lag links vom Eingang das Café und rechts das Restaurant. Das Hotel bot in den Sälen 1500 Personen, in den Gärten 3000 Personen Platz. Die 60 Gästezimmer waren mit Möbeln aus Mahagoniholz eingerichtet. Mit den Gastgärten bedeckte die gesamte Anlage eine Fläche von rund 5800 m2.
Das alles unterstrich die Stellung des Betriebes als eines der besteingerichteten und vornehmsten Hotels in Hietzing. Hier ist allerdings die Frage zu beantworten, welche andere Hotelbetriebe es es zu dieser Zeit in Hietzing überhaupt gab. Das übermächtige Park-Hotel und das Hotel „Zum weissen Engel“ entstanden erst 1907, andere Betriebe vermieteten wohl Zimmer, konzentrierten sich aber auf Bewirtung und Unterhaltung.
In einer 1904 erschienenen Werbeschrift wird der Betrieb wenig zurückhaltend und reich bebildert folgendermaßen beschrieben (in originaler Orthografie):
Zu einem „Wien West“ im modernen Sinne, der Villenkolonie des Berliner Tiergartenviertels ebenbürtig, hat sich das ehemalige Dorf Hietzing, nunmehr ein Teil des XIII. Bezirkes der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien im Laufe des letzten Jahrzehntes entwickelt. – Eine grosse Anzahl herrlicher Villen dient hervorragenden Würdenträgern und Grossindustriellen, Künstlern und anderen Zelebritäten Wiens zum Aufenthalte und wenn drinnen in der Stadt bereits die todte Saison begonnen hat, herrscht in Hietzing noch immer ein fröhliches Leben, da sich seine Bewohner nur auf kurze Zeit von dem schönen Fleckchen Erde trennen wollen, um etwas Alpen- oder Seeluft zu atmen.
Auch die Bewohner der anderen Stadtteile besuchen Hietzing gern, um sich in seinen schönen Villenstrassen zu ergehen und die reinere Luft zu atmen, die von den nahen Vorbergen des Wienerwaldes hereinströmt. Nicht den geringsten Anziehungspunkt Hietzings bildet eine Reihe altberühmter Gaststätten, unter welchen das Hotel „Hietzinger Hof“ als die bedeutendste in erster Linie zu nennen ist.
Das Hotel „Hietzinger Hof“ in Wien, XIII/1, Hietzinger Hauptstrasse Nr. 22, in der nächsten Nähe von Schönbrunn und der Stadtbahn-Station Hietzing, sowie an der Strassenbahn gelegen, ist ein Familienhotel ersten Ranges, mit allem modernen Comfort ausgestattet. Das Hotel erfreut sich eines lebhaften Besuchs von Seiten der vornehmen Familien Wiens. Das Hotel „Hietzinger Hof“ steht unter der persönlichen Leitung seines
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Am 30. September 1899 genehmigter Einreichplan für die Aufstockung, unterzeichnet vom dann bauführenden Baumeister Heinrich Staud.
Ein am 11. Dezember 1899 genehmigter Auswechslungsplan zeigt nur geringfügige Änderungen (Verlegung des Badezimmers mit der Badewanne).
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In grundsätzlichen Belangen ist das Hotel „Hietzinger Hof“ in Gerhard Weissenbachers Standardwerk „In Hietzing gebaut“ beschrieben.
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Besitzers Herrn Gustav Todt und wurde von diesem im Jahre 1897 von Theodor Freiherrn von Tucher in Nürnberg käuflich erworben; bis dahin wurde es als Spezial-Ausschank der bestrenommierten Nürnberger Freiherrlich von Tucher'schen Brauerei betrieben.
Im Jahre 1883, als Hietzing noch eine Dorfgemeinde war, und als schönstes Dorf von Niederösterreich galt, wurde der Grundstein zu dem jetzigen Hotel-Etablissement gelegt, und war das damals noch kleine Hotel und Cafe „Union“ mit seinem schönen Vorgarten, seinen Terrassen, sowie seinen schönen, hohen und luftigen Interieurs ein Anziehungspunkt der besten Kreise Wiens. Nachdem im Jahre 1885 Baron Theodor von Tucher dieses kleine Hotel „Union“ mit seinem über 1 Joch grossen Garten-Terrain gekauft hatte, vergrösserte er es durch einen zweiten anstossenden Hoteltrakt mit Terrassen und 2 separierten Restaurationsräumen, der eine ein altdeutsches Zimmer mit Holzplafond und Nürnberger Ansichten in gediegener Oel-Malerei, sowie geschmackvollen Blei-Verglasungen mit dem Freiherrlich von Tucherschen Familien-Wappen; der andere ein Speisesaal in modernem Styl, welcher ausser der Restauration häufig für Hochzeiten, Banketts und sonstige gesellschaftliche Reunions Verwendung findet.
Rückwärts im grossen Garten in Verbindung mit der Restauration wurde ein Prachtsaal zur Abhaltung von Concerten, Bällen etc. erbaut, welcher einen Fassungsraum von ca. 1000 Personen hat. Dieser Saalbau, im Renaissancestyl gehalten, mit einem hohen Mittelschiff, ist von 22 Säulen in weissem Stuckmarmor getragen und mit moderner Malerei und Wandgemälden von Alt-Nürnberg geziert.
Im Jahre 1899–1900 wurde abermals ein grosser Um- und Neubau des „Hietzinger Hofs“ durch seinen jetzigen Besitzer vorgenommen.
Das ganze Hotel-Etablissement bietet nunmehr 4500 Personen – bei bequemen Sitzplätzen – Raum, und zwar 3000 in den Gärten, 1500 in den Saallokalitäten.
Das Hotel erhielt damals einen II. und III. Stock mit 60 Zimmern, alle gross und luftig, und einen breiten Corridor, welcher durch einen hellen Lichteinfall und die mit Aufsätzen gezierten Doppeltüren einen überaus günstigen Eindruck auf den Besucher macht.
Die Zimmer selbst sind im modernen, englischen Styl gehalten und gefallen besonders durch die einfachen, glatten Mahagonimöbel. Die Betten (teils englische Messingbetten, teils Mahagoni) sind durchaus mit besonderer Sorgfalt ausgestattet und befriedigen selbst die verwöhntesten Ansprüche. Der Aufenthalt im „Hietzinger Hof" wird durch ein gut geschultes Hotelpersonal, durch zuvorkommende Aufmerksamkeit und Sauberkeit angenehm gestaltet. Jeder Gast fühlt sich wohl und kommt gerne wieder. Die im Sommer an schönen Abenden
Bilder auf der näcjsten Seite:
oben das Hotel Hietzinger Hof in seiner Endausbaustufe in einem Foto aus den 1910er-Jahren und unten der große Fest- und Konzertsaal, wie er von Baron Tucher 1885 hergestellt wurde (Foto vor 1904)
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Der unermüdlich reisende Herr Baedeker ging sogar noch weiter. Er bezeichnete Hietzing als das schönste Dorf Österreichs. Siehe: Martin, Gunther: Hietzinger Geschichten, Seite 7
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stattfindenden Militär-Concerte in dem herrlichen Vorgarten, der einzig in Wien ist, sowie die an Sonn- und Feiertagen bei jeder Witterung im rückwärtig gelegenen Park, eventuell im Saale stattfindenden Concerte vereinigen ein vornehmes Publikum, welches den Garten bis auf den letzten Platz zu füllen pflegt. Speisen und Getränke sind vorzüglich, die Gumpolds-kirchner Eigenbauweine bilden eine besondere Spezialität, welche von Herrn Todt seit Jahren mit Vorliebe betreut wird. Wir empfehlen unseren lieben Gästen diese kleine Erinnerung an den „Hietzinger Hof“ und bitten um gütige weitere
Empfehlung desselben.
Die Broschüre wird mit der Beschreibung des Kaiserlichen Lustschlosses Schönbrunn abgeschlossen.
Die Bilder auf dieser und den Folgeseiten zeigen ein luxuriöses Ambiente mit großzügigen Räumen, solide vertäfelt und stilsicher möbliert. Mit der Aufstockung des Hotels dürfte aber keine Anhebung des Standards einhergegangen sein. Das wurde wohl nicht als erforderlich empfunden, war doch das übernommene Hotel Vogelreuther noch relativ jung. Heizung (Kachelöfen in den Zimmern) und sanitäre Einrichtungen (Aborte und Bad mit Badewanne am Gang, in den Zimmern Waschtische mit Wasserkrug und Lavoirs) entsprachen den damaligen gehobenen Ansprüchen. Dass das Gebäude jetzt über drei Etagen verfügte, wurde vermutlich übersehen, denn sonst hätte man gleich einen Aufzug eingebaut und nicht wenig später mit dem einholen von diesbezüglichen Offerten begonnen. Andere Angebote betrafen Zentralheizungen in den Restaurationsräumen.
Der Zeitpunkt der abschließenden Investition wird sich bald als unglücklich herausgestellt haben, denn die Spirale im Luxussegment, die vor allem die sanitäre Aufrüstung in den Zimmern bzw. Wohneinheiten betraf, begann sich unaufhaltsam zu drehen. Acht Jahre später eröffnete an Stelle von Dommayers Casino Hübners Park-Hotel Schönbrunn, und es hatte nicht nur einen besseren Standort, sondern setzte auch neue Maßstäbe hinsichtlich des gebotenen Luxus.
„Die Zeit“ vom 12. Juni 1908 weiß zu berichten:
„Die bestrenommierte Restaurationsfirma Paul Hopfner & Sohn hat in Schönbrunn, vis-a-vis dem kais. Lustschloß, unter dem Namen „Park-Hotel Schönbrunn“ ein Etablissement errichtet, das in jeder Beziehung als Sehenswürdigkeit bezeichnet werden kann. Das Haus, das mit allen Errungenschaften der modernen Hoteltechnik ausgestattet ist, liegt im gesündesten Teile Wiens. Eingerichtet mit jedem denkbaren Komfort, enthält das Hotel siebzig Appartements, jedes Zimmer in Verbindung mit Vorraum und Badezimmer. Überaus luxuriös und vornehmen Stils ist der Festsaal, passend für große Gesellschaften und Konzerte. Alle übrigen Lokalitäten, kleinere Gesellschaftsräume, Lesezimmer usw., sind hochmodern und gediegen eingerichtet...“
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Die Altdeutsche Wein- und Bierstube, wie sie noch von Baron Tucher 1885 eingerichtet wurde
Der Speisesaal in einer Aufnahme vor 1904
An erstklassigen Hotels hatte Wien damals noch nicht sehr viele, und das Park-Hotel wird mit seiner Eröffnung wohl in eine neue Luxus-Kategorie vorgedrungen sein: „An einem derart großstädtischen Hotel, in so reizender landschaftlicher Lage, hat es in Wien bisher gefehlt“ weiß „Der Fremdenverkehr“ vom 20. September 1908 zu berichten.
Aber so weit war es noch nicht. Im Jahr 1900, als sich der Hietzinger Hof in neuer Pracht präsentierte, war er der Platzhirsch in der Nähe des „kaiserlichen Lustschlosses“, der die größte Kapazität mit dem höchsten Komfort verband. Das Werbetalent des Inhabers Gustav Todt dürfte aber überschaubar gewesen sein, die Spuren, die er in den redaktionellen Teilen der Tageszeitungen und in deren Anzeigenteilen hinterließ, sind gering und kein Vergleich mit dem Aufsehen, dass die Eröffnung des Park-Hotels ver
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Der Cafésalon
Der Billardsalon
ursachte. Selbst die Broschüre, aus der auf den Vorseiten zitiert wurde, war nur ein kleines und sparsames Heft im Format 19x12 Zentimeter. Bloß die Ankündigungen der Militär-Konzerte zieht sich in kleinformatigen Inseraten durch einzelne Tageszeitungen.
Im Kontrast zur überschwänglichen Beschreibung des Hotels in der Werbebroschüre steht auch die Preistafel, die „überaus mäßige Preise“ verheißt.
Die Jahre bis zum Ersten Weltkrieg verliefen unspektakulär. Die weitere Investitionstätigkeit beschränkt sich auf eine Renovierung des Kaffeehauses mit teilweiser neuer Einrichtung, kleineren Verbesserungen im sanitären Bereich (Toiletten im Garten), Eiskeller, Gewächshaus, Überdachungen, Bodenbeläge etc. Ein Bestreben betraf die Erweiterung des Musikpavillons im
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Der Korridor
Ein Wohnzimmer
Ein Schlafzimmer
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Vorgarten des Cafés. Pläne im Jahr 1908 sind entweder nicht genehmigt oder nicht durchgeführt worden.
Zentrum der großen Veranstaltungen im Hietzinger Hof war natürlich sein großer Fest- bzw. Konzertsaal, der auch vielen glanzvollen Bällen den adäquaten festlichen Rahmen gab. Ein Aufsehen erregender Höhepunkt im Versuch, die Attraktivität des Hietzinger Hofes durch weitere kulturelle Veranstaltungen zu heben, war die Eröffnung der Arena im Garten hinter dem Festsaal. Darüber und über das daraus hervorgehende Park-Kino wird später berichtet.
Oben der Umschlag der im Jahr 1904 herausgegebenen Broschüre und rechts die darin befestigte Preistafel
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Genehmigter Einreichplan zur gleichzeitig mit der Aufstockung durchgeführten Neugestaltung des Eingangsbereiches und des Vorgartens mit einem Musikpavillon links und einem Pavillon samt Logen rechts. Spätere Versuche, den Musikpavillon dem Pavillon samt den Logen rechts anzugleichen, misslangen oder wurden nicht durchgeführt.
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Eines der großformatigen Inserate, mit denen das
Park-Hotel Schönbrunn
beworben wurde
Das Ende der Ära Todt im Hietzinger Hof zeichnet sich mit dem frühen Ableben Gustav Todts im Jahre 1915 ab. Mit Einantwortungskurkunde vom 19. September 1916 erbte Olga Toth nunmehr auch die Hälfte ihres Mannes, und sie war nun alleine für den großen Betrieb verantwortlich.
Der einzige Sohn des Besitzer-Ehepaars Gustav und Olga Todt, der im Jahr 1889 geborene Hermann Todt, war in Deutschland geblieben und hatte keinerlei Ambitionen gezeigt, den Betrieb zu übernehmen. Auch die 1886 geborene älteste Tochter Maria, die einen Hauptmann Brandsch geheiratet und mittlerweile fünf
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Der linke Vorgarten vor dem Café samt Musikpavillon oben ohne und unten im Betrieb
etwa im Jahr 1910
Der rechte Vorgarten samt Pavillon und Seitenlogen vor dem Restaurant etwa im Jahr 1910
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Die Parte Gustav Todts.
Er wurde im Familiengrab am Hietzinger Friedhof begraben.
Söhne hatte, kam als Nachfolgerin nicht infrage. Auch die anderen Töchter wollten nicht oder waren noch zu jung.
Die vielen Schicksalsschläge – gegen Ende des Ersten Weltkrieges im April 1818 verlor sie auch ihren einzigen Sohn Hermann –, die schwierige Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und die erdrückende Konkurrenz durch das Park-Hotel zwang die Witwe Olga Todt, den Betrieb zu verkaufen. Das war im Jahr 1919.
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Nach dem Ersten Weltkrieg tritt die Eigenschaft des Hietzinger Hofes als Hotelbetrieb gegenüber seinem Wert als Spekulationsobjekt zurück. .
Mit Kaufvertrag vom 2. Dezember 1919 erwerben Valerian und Josefine Sedlar, 1040 Wohllebengasse 16 die Liegenschaft inkl. Gasthaus-, Hotel- und Kaffeehauskonzession um eine Million Kronen. Ferner kaufen sie die komplette Einrichtung des Hotels, des Kaffeehauses und der Gastwirtlokalitäten um 700.000,– Kronen. Der Mitverkauf der Konzessionen ist eher eine Eigenwilligkeit des Vertrages, den handelbare Realgewerbe gibt es nicht mehr. Die Verkäuferin verpflichtet sich aber, den Erwerb der Konzession durch eine geeignete Person zu unterstützen.
Übernommen wird auch der Bestandsvertrag mit dem Lizenzinhaber des Park-Kinos, Herrn Wilhelm Zeller. Von den Käufern wird der Verkäuferin bis zu deren Tod auch das Recht eingeräumt, den Zugang zum Haus E.Z. 280 in der Eduard-Klein-Gasse 23 auf einem Gehweg durch das Hotelareal zu nutzen.
Abgegolten wird der Kaufpreis durch Übernahme von Darlehen und Verbindlichkeiten in Höhe von rd. 385.000 Kronen, Pflichtteilsforderungen der minderjährigen Töchter Olga und Rosa Todt in Höhe von zusammen 50.000 Kronen, einen Barbetrag in Höhe von rd. 665.000 Kronen. Die restlichen 600.000 Kronen werden auf 10 Jahre bis 1. Dezember 1929 gestundet.
Der angeschlossenen Inventarliste zufolge verfügte das Hotel über 15 komplett eingerichtete einbettige Zimmer, 30 komplett eingerichtete doppelbettige Zimmer und 12 Personalzimmer.
Hotel und Inventar samt Konzession wurden mit Vertrag vom 28. November 1919 ab 1. Dezember 1919 auf 10 Jahre an Herrn Viktor Petz, Hausbesitzer in Wien V., Schönbrunner Straße Nr. 92 verpachtet. Zur Konzession wird aber festgehalten, dass die Verpächter die Konzession erlangen und eine Genehmigung für Herrn Petz als Geschäftsführer oder Pächter durchsetzen. Als Pachtschilling wurden für die ersten zwei Jahr 130.000 Kronen vereinbart, dann 150.000, und zwar ohne indexmäßige Vorsorge für Teuerungen.
Auch dem Pachtvertrag wurde eine Inventarliste mitgegeben. Sie zeigt, dass das Hotel durch den Krieg wohl gelitten hatte (vor dem Krieg waren drei Garnituren Bettwäsche vorhanden, nachher war es nur mehr eine) aber noch voll möbliert war und sich in der sanitären Ausstattung der Zimmer nichts geändert hatte. Allerdings war das in jedem Stock vorhandene Badezimmer „modernster Ausstattung“ mit fließendem Kalt- und Warmwasser.
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Herrn Petz wurde auch ein Vorkaufsrecht für die Realität einverleibt, dieses aber mit 4. Februar 1920 wieder gelöscht und schon mit Kaufvertrag gleichen Datums die Realität vom Ehepaar Sedlar an Salomon und Ida Reiss in Wien II., Große Stadtgutgasse Nr. 7 weiterverkauft. Als Konzessionsinhaberin wurde aber weiterhin Frau Olga Todt genannt und angeführt, dass sie diese Konzession bereits unter der Bedingung, dass sie auf Herrn Valerian Sedlar übertragen wird, zurückgelegt hat. Herr Sedlar wiederum verpflichtete sich, alles für die Weitergabe der Konzession an die Käufer zu unternehmen.
Als Kaufpreis wurden 1,2 Mio. Kronen für die Realität und 0,8 Mio. Kronen für Einrichtung und die Konzessionsübergabe, somit insgesamt 2 Mio Kronen vereinbart. Zuletzt waren es noch 1,7 Mio. Kronen. Zu den als Kaufpreisteil übernommenen Schulden gesellte sich die Restkaufpreisforderung von Frau Olga Todt über 600.000 Kronen. Die Pflichtanteile an die minderjährigen Töchter wurden offensichtlich bezahlt. Das Ehepaar Sedlar erzielte bei dieser Transaktion innerhalb von drei Monaten einen Gewinn von über 300.000 Kronen mit einem Kapitaleinsatz von weniger als 700.000 Kronen.
Die Bestandsverträge mit dem Pächter Viktor Petz und dem Linzenzinhaber des Park-Kinos wurden übernommen.
Unter der neuen Besitzerschaft stach der Hietzinger Hof und seine Teilbetriebe Café, Restaurant und Hotel weniger durch seine ordentliche Geschäftsgebarung hervor, denn durch „Unstimmigkeiten“ im Umfeld der handelnden Personen. Im folgenden Beispiel spielten wiederum die Konzessionen eine Rolle:
Das Café Hietzinger-Hof wurde kürzlich behördlich gesperrt, da es von seinen derzeitigen Pächtern, dem Ehepaar Rudolf und Julie Riedel ohne Konzession betrieben wurde. Die Angelegenheit dieser Konzessionsverpachtung durch Salomon Reiß beschäftigt Straf- und Zivilgerichte sowie Verwaltungsbehörden.
Hofrat Dr. Schwartz beim Zivillandesgericht hatte sich mit einer Klage zu befassen, die das Ehepaar Riedel gegen Reiß auf Rückstellung einer Kaution von 50.000 Schilling erhoben hat. Am 26. Juli 1928 war in der Kanzlei des Dr. J. Stroh ein mündlicher Pachtvertrag zwischen dem Ehepaar Riedel und Reiß zustande gekommen nach welchem das Ehepaar Riedel das Café und Restaurant Hietzinger-Hof samt Inventar und den Kaffeehaus- und Restaurationskonzessionen aus die Dauer van zehn Jahren pachtete. Das Ehepaar Riedel erlegte eine Kaution von 50.000 Schilling und verpflichtete sich zur Zahlung eines Pachtschillings von sieben Prozent des Bruttoumsatzes, welcher Pachtzins auf acht Prozent erhöht werden sollte, wenn die Nahrungs- und Genußmittelabgabe um 2 Prozent herabgesetzt werden sollte. Reiß garantierte einen Jahresumsatz des Kaffeehausbetriebes von 120.000 Schilling.
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Der Kampf um das
Café Hietzinger-Hof –
Das Kaffehaus ohne Konzession. Bericht im (Neuigkeits) Welt Blatt vom 1. Oktober 1930
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In dem Vertrag übernahm Reiß keinerlei Gewährleistung für die dem Ehepaar Riedel zur Verfügung gestellte Kaffeehaus- und Restaurationskonzession. Reiß besaß nämlich nur eine einheitliche Konzession für den Hotelbetrieb und die damit verbundenen Kaffeehaus- und Restaurationsbetriebe. Im August 1928 eröffnete Riedel den Kaffeehausbetrieb. Die Bemühungen, die einheitliche Konzession zu teilen, blieben ohne Erfolg und das Magistratische Bezirksamt Hietzing und das Bundesministerium für Handel und Verkehr hat das gestellte Ansuchen aus Teilung der einheitlichen Konzessionen abgewiesen. Es ist diesbezüglich noch eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof anhängig.
Über Anzeige der Kaffeehausgenossenschaft wurden Riedel und Reisz wegen Betriebes des Cafés Hietzinger-Hof ohne Konzession zu 50 Schilling Gewerbestrafe verurteilt und schließlich ist das Kaffeehaus in den letzten Tagen gesperrt worden.
Das Ehepaar Riedel begehrt nun die Rückstellung der Kaution und behält sich ausdrücklich Schadenersatzansprüche vor, weil Reiß ihnen das Kaffeehaus in Kenntnis dessen, daß er für dasselbe keine separate Konzession besitze, verpachtet hatte.
Salomon Reiß wendete ein, daß er im guten Glauben, daß die Behörden ihm die Teilung der Konzession bewilligen werden, das Hotelrestaurant verpachtet habe, während er den Betrieb des Hotels sich selbst vorbehielt.
Der Senat vertagte die Verhandlung zur Durchführung der von beiden Seiten angebotenen Beweise.
Das Grundbuch gibt folgende Auskunft:
Aufgrund des Erkenntnisses der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Wien, vom 15. Juli 1938 wurde gemäß der 2. Verordnung zum Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vom 18. März 1938 in Verbindung mit dem Erlass des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Inneren vom 23. März 1938 das Eigentumsrecht an der EZ 14 für die Reichsführung SS, Verwaltung samt München.
Aufgrund des Erkenntnisses vom 15. Juli 1938 und des Richtigstellungserkenntnisses der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Wien vom 19. Jänner 1939 wurde das Eigentumsrecht für die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, Körperschaft des öffentlichen Rechts mit dem Sitz in München einverleibt.
Am 21. September 1945 wurde aufgrund § 1 des Verbotsgesetztes vom 8. Mai 1945 das Eigentumsrecht für die Republik Österreich einverleibt.
Aufgrund des Bescheides der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Burgenland, Dienstelle für Vermögenssicherung und
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Das Erkenntnisdokument vom 15. Juli 1938, mit dem die EZ 14 zugunsten der Reichsführung SS eingezogen wurde. Ein halbes Jahr später, mit Erkenntnis vom 19. Jänner 1939, wurde festgestellt, dass die SS als Schutzstaffel der NSDAP eine Parteigliederung ohne eigener Rechtspersönlichkeit und ohne eigenem Vermögen ist und daher die NSDAP selber als Eigentümer der Liegenschaft einzutragen ist.
Rückstellungsangelegenheiten vom 1. Juni 1951 wurde das Eigentumsrecht zu je einem Drittel für Amalie Klara Werner (geb. Reiss), Manfred Reiss und Max Reiss einverleibt.
Mit Vertrag vom 24. Oktober 1955 verkauften die in England und Israel beheimateten Nachfahren der Vorkriegsbesitzer die Liegenschaft an Herrn Eduard Hirschfeld. Als Kaufpreis wurden 1.750.000 Schilling vereinbart.
Eduard Hirschfeld, Kaufmann in Wien XIII., Küniglberggasse 63 verkaufte die Gesamtliegenschaft fünf Jahre Später an die Zentralsparkasse der Gemeinde Wien. Im Kaufvertrag vom 25. Mai
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bzw. 17. Juni 1960 wird der Bestand auf der Liegenschaft folgendermaßen beschrieben:
Von der Hietzinger Hauptstraße aus gesehen rechts das sogenannte Kinogebäude mit einer verbauten Kubatur von 12.000 m3, in dem sich das Parkkino Hietzing und die Hotelräumlichkeiten des Hotels „Hotel Hietzinger Hof“, das Parteilokal der SPÖ Hietzing, das Parkespresso und der Parkkeller Hietzing befanden.
In dem Gebäudetrakt links von dem Kinogebäude befanden sich Mieter und das Büro des Dir. Hirschfeld.
Im rückwärtigen Gartenteil war eine Holzbaracke als „Clubhaus“ eingerichtet.
Auf dem Vorplatz waren sechs Doppelvitrinen und drei einfache Vitrinen aufgestellt.
1945 war das Gebäude, in dem während des Zweiten Weltkriegs SS-Soldaten stationiert waren, durch einen Bombentreffer schwer beschädigt und 1948 teilweise abgetragen worden. Im Zuge der Errichtung des Einkaufszentrums Hietzing, EKAZENT, wurde das Hotel und seine Theater- und Unterhaltungsräumlichkeiten gänzlich abgetragen.
Ausgangspunkt des EKAZENTS war eine 1958 vom Institut für Raumplanung im Einvernehmen mit der damals unter der Leitung von Roland Rainer stehenden Stadtplanung durchgeführte Untersuchung über die Nahversorgung der zu dieser Zeit im Einzugsbereich des Verkehrsknotenpunktes um die Kennedybrücke wohnenden rund 125 000 Bewohner durch. Von diesen konnten 19 000 den Knotenpunkt innerhalb von 15 Minuten zu Fuß erreichen. Das EKAZENT sollte die bis zu diesem Zeitpunkt unzureichende Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfes verbessern. Die Geschäfte wurden nach einer Untersuchung des Wiener Institutes für Standortberatung ausgewählt und platziert.
Die Initiative zum Bau dieses 6000 m2 Grundfläche umfassenden Zentrums wurde von der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien ergriffen; 1961 übertrug man die Planung an Traude und Wolfgang Windbrechtinger.
Im Herbst 1995 wurde eine Renovierung der gesamten Anlage abgeschlossen, die Passage zur Eduard-Klein-Gasse erhielt eine Glasüberdachung.
Der Kaufpreis waren 11.150.000 Schilling, dem auf der Liegenschaft lastende und andere Schulden Hirschfelds von rd. 2,5 Mio. Schilling gegengerechnet und der Rest bar zu bezahlen war.
Mit Kaufvertrag vom 17., 26. und 29. März 1978 erwarb die Wiener Allgemeine Beteiligungs- und Verwaltungsgesellschaft m.b.H. die Gesamtliegenschaft.
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Aquarell zu einem
nicht verwirklichten Entwurf
für eine Sommerbühne
im Hietzinger Hof
Am 10. Jänner 1907 erhielt Alois Minkus (rekte Pollaczek) die Bewilligung der Wiener Theaterkonzession zur Errichtung einer Arena im Garten des Hietzinger Hofs von 15. Mai bis 15. September 1907 bis 1912. Erlaubt wurden mit dem Erlass des k. k. Statthalters „theatralische Vorstellungen in deutscher Sprache und zwar: Possen, Singspiele, Operetten und einaktige Lustspiele“, wobei Minkus sowohl „in artistischer als auch in technisch-administrativer Beziehung für die klaglose Führung des Unternehmens ausschließlich verantwortlich“ zeichnete. Minkus begann daraufhin mit der Adaptierung des Gartens, doch schon im März wurde bei einer Besichtigung festgehalten, dass in baulicher Hinsicht zu viele Mängel bestanden und daher keine Genehmigung für ein „Rauchtheater“ im großen Saal des Etablissements Hietzinger Hof seitens der Theater Lokal-Kommission für Wien gegeben wurde. Erst neuerliche Sicherheitsmaßnahmen führten zu einer Genehmigung des neuen Sommertheaters.
Bereits kurz vor Eröffnung der neuen Spielzeit legte Minkus mit 14. Juli 1908 seine Konzession „zu Gunsten des Eigentümers des Hietzinger-Hofes Gustav Todt“ zurück. Mit 31. Juli desselben
Quelle:
https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Arena_im_Hietzinger_Hof
Wiener Stadt- und Landesarchiv, M.Abt. 104, A 8: 15 -
Hietzinger Arena
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Jahres erhielt Gustav Todt auch die offizielle Konzession, die auch für das Folgejahr noch einmal erneuert wurde, jedoch für weitere Jahre mit Bescheid der Theaterkonzession nicht erteilt wurde. Der Aktenbestand endet mit einem Schreiben der Wiener Theaterkommission vom 1. April 1909, doch blieben noch in den nächsten zehn Jahren die beliebten Sonn- und Feiertagsmilitärkonzerte ein beliebter Treffpunkt im großen Garten des Hotels.
---ooo---
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Unter sehr günstigen Auspizien wurde am 15. d. M. die neuerbaute Hietzinger Arena im großen Garten des bekannten Etablissements „Hietzinger Hof“ eröffnet. Mit der Errichtung eines Sommertheaters ist einem dringenden Bedürfnisse der Bevölkerung dieses vornehmen Bezirkes und der benachbarten Gemeinden nach anregender Unterhaltung und angenehmer Zerstreuung entsprochen und ein langgehegter Wunsch vieler wiener Kunstfreunde erfüllt worden. Seit Jahren wurde die Gründung eines Theaters in Hietzing projektiert und niemals kamen die unter schiedlichen Projektanten über das Wollen hinaus. Bald hieß es, man wolle in diesem Bezirke ein großes Operntheater errichten, bald wieder sprach man von einer Schauspielbühne, die mit ihren Vorstellungen mehr nach dem Geschmack der Lebewelt geführt werden solle, aber man kam – wie gesagt – nie über das Wollen hinaus.
Eines Tages wurden die Wiener mit der in sämtlichen Zeitungen erschienenen Nachricht überrascht, dass Mitte Mai im Garten des „Hietzinger Hof“ eine Arena eröffnet wird, dass dort vorwiegend Operetten und Possen zur Aufführung gebracht werden, dass der Gründer und Direktor dieser zweiten wiener Sommerbühne Herr Alois Minkus sei, ein in den weitesten Kreisen gänzlich unbekannter Mann, und dass es diesem gelungen sei, alle Hindernisse und Schwierigkeiten, welche sich der Verwirklichung seines Planes entgegenstellten (was ja bei uns bekanntlich immer der Fall zu sein pflegt, wenn es sich um die Gründung eines Unternehmens handelt), zu beseitigen. Und tatsächlich hat Direktor Minkus den in Aussicht genommenen Eröffnungstermin – 15. Mai – pünktlich eingehalten. Damit hat er eine vollwertige Probe seiner Energie und zähen Ausdauer in der Verfolgung eines angestrebten Zieles abgelegt. Die von ihm begründete Arena präsentiert sich ungemein adrett, die Bühne ist zierlich ausgestattet und praktisch gebaut, das von ihm engagierte Ensemble ist vortrefflich und weist einige in Wien bestakkreditierte Kunstkräfte auf und in dem tüchtigen Oberregisseur Herrn Eugen Grünau hat er einen vortrefflichen künstlerischen Berater und Helfer gefunden, der sich bemüht, der jüngsten wiener Bühne ein gutes Renommee zu verschaffen. Der Sekretär Herr Max Schulhof, ein Sohn des in der Theaterwelt rühmlichst bekannten Sekretärs des Josefstädter Theaters Herrn Fr. Schulhof, leitet die Verwaltung dieses Theaterunternehmens in mustergültiger Weise, ganz nach den bewährten Prinzipien seines Vaters. Die Eröffnungsvorstellung, über die wir an anderer Stelle berichten, hatte einen sehr schönen Verlauf. Es ist zu hoffen, dass Direktor Minkus in seinen Bestrebungen, in absehbarer Zeit ein ganzjähriges Theater in Hietzing zu errichten, allseits kräftigst unter stützt wird und es ist zu wünschen, dass seine Arena sich eines stets regen Besuches erfreut.
Der Humorist, 20. Mai 1907
Alois Minkus, Direktor der Hietzinger Arena in Wien.
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Mit einem von Jul. Horst geschickt verfassten szenischen Prolog „Die neue Herrschaft“ wurde am 15. d. M. Wiens zweites Sommertheater glücklich eröffnet. Das große Gartenparkett des Etablissements „Hietzinger Hof“, in welchem sich die Arena befindet, war bis auf das letzte Plätzchen von einem distinguierten Publikum besetzt, das den hübsch empfundenen und gut gemeinten Worten Horsts, die in eine Huldigung für den Schlossherrn von Schönbrunn ausklangen, und welche von den Damen v. Effner, Danninger, Lind und Herrn Roland schlicht und einfach rezitiert wurden, lebhaften Beifall spendete. Sodann wurde die seit mehr als 26 Jahren in Wien nicht gegebene Operette „Olivette“, von Chivot lind Duru, Musik von E. Audran, zur Aufführung gebracht. Die an feinen und graziösen Piecen reiche Musik fand auch jetzt, ganz so wie seinerzeit im Carltheater, viele Freunde, ohne jedoch eine nachhaltige Wirkung zu erzielen. Und so wie damals wurde die originell komponierte, melodiöse Farandole zum Schluss des zweiten Aktes, sowie das Lachquartett im dritten Akt zur Wiederholung begehrt, ohne dass dadurch ein anderer als ein Achtungserfolg erzielt werden konnte. Das Libretto mutete bereits vor 27 Jahren als veraltet an; seither ist es natürlich noch älter, aber nicht besser und kurzweiliger geworden. Die Zeiten der Operettenverschwörungen, der Tenoristen-Heldentaten und der Baritonisten-Intrigen sind endgültig vorüber.
Heute amüsiert man sich höchstens noch an Ereignissen in der Operettenwelt wie z. B. „Fiasko“ oder „Die Verschwörung und der Einbruch der Cartschagen und Wallneren in Berolina“, die epochchal wirken und hoffentlich noch lange aktuell bleiben werden.
– Die von Herrn Regisseur Grünau effektvoll inszenierte Aufführung machte einen freundlichen Eindruck. Dekorationen und Kostüme waren geschmackvoll und farbenprächtig. In erster Linie sind die Damen Nording (Gräfin) und Danninger (Olivette) zu nennen, die sich um das Gelingen ihrer schwierigen Partien erfolgreich bemühten. Frl. Nording besitzt eine schöne, klangvolle und kräftige Sopranstimme, singt mit Geschmack, sieht sehr hübsch aus und spielt mit gemessener Würde. Frl. Danninger, die muntere temperamentvolle Soubrette, musste in der Durchführung der ihrer Individualität völlig ferne liegenden Rolle ihrem Naturell Gewalt antun. Sie tat es aber mit Geschmack. Die Titelpartie verlangt zur künstlerischen Wiedergabe eine stimmkräftige Sängerin. (Seinerzeit wurde diese Rolle von Antonia Schläger kreiert.) Die Herren Lunzer, Roland und Kretschmer brachten ihre Partien wirksam zur Geltung. Der Tenorist Herr Stingl hatte einsolches Trema, dass er seine Gesangsnummern tremolierte. In kleineren Rollen machten sich die Damen Caligaris, Lind, Therese Herzfeld, sowie Herr Alpassy angenehm bemerkbar. Der starke Chor und das schwache Orchester taten vollauf ihre Schuldigkeit.
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Der Humorist, 20. Mai 1907
zweiter Beitrag
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Kapellmeister Bloch dirigierte die Aufführung mit Umsicht und Energie.
Wenn es jemals einer Künstlerin gelungen ist, sich die Gunst des Publikums geradezu im Fluge zu erobern, so ist dies bei der ersten Sängerin am Sommertheater „Hietzinger Arena“ der Fall, bei Frl. Betty Nording, welche seit Eröffnung dieser Bühne, d. i. seit 15. Mai d. J., fast allabendlich in ersten Partien beschäftigt ist und sich mit ihren Erfolgen in die erste Reihe unserer Operettensängerinnen gestellt hat. Die junge Künstlerin, eine Schülerin Meister Gothov-Grüneckes, ist eine Sängerin par excellence, voll Musikgefühl, geschmackvollem Vortrag und brillanter Technik, mittels der sie ihre prächtigen Stimmmittel – einen volltönenden Sopran von tadelloser Reinheit und Höhe – geradezu vortrefflich zu verwerten versteht. Als Ninette in Thuls reizender Operette „Ninettens Hochzeit“, noch mehr aber als Donna Mercedes in Hugo Koblers „Der Rosenjüngling“ und ganz besonders als Mimosa in Jones' weltbekannter Operette „Die Geisha“ hatte sie reichlich Gelegenheit, ihre Vorzüge wirken zu lassen und das mächtige, glockenhelle Organ der Sängerin übertönte sieghaft Chor und Orchester. Die Grazer werden in kurzem diese strebsame Künstlerin kennen und schätzen lernen, die sich – Dank ihrer Energie und ihrem rastlosen Fleiße – aus der bescheidenen Stellung einer sogenannten Solodame, als welche sie am Carltheater und am Theater a. d. Wien ihre Bühnentätigkeit begann, zu einer von Publikum und Presse anerkannten ersten Kunstkraft entwickelte. Frl. Nording ist ab 1. September l. J. Mitglied der Vereinigten Theater in Graz.
Der Humorist, 1. August 1907
Betty Nording
Operettensängerin
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Wegen mangelnder Rentabilität der Sommerbühne wurde sie zu einer „der vornehmsten, schönsten und geräumigsten Kinematographentheater Wiens“ umgebaut.
Das Kino wurde am 30. April 1910 unter der Leitung von Direktor Wilhelm Zeller eröffnet, der dafür die nötige Lizenz einbrachte. Zeller war einer der versiertesten Fachleute in der Kinobranche. Bereits 1904 schien er als Geschäftsleiter der damals größten Kinematographenfirma L. Preiss auf, die ihre Vorstellungen im Sophiensaal oder ein Jahr später im Zirkus Schuhmann gab. Zeller selbst pachtete später für ein Jahr den Zirkus Schuhmann und gab eine Saison lang Vorstellungen auf eigene Rechnung.
1911 folgten weitere Renovierungen, um den gehobenen Ansprüchen des Hietzinger Publikums gerecht werden zu können. Erst als die besondere Leistungsfähigkeit des Unternehmens allseits bekannt und auch anerkannt worden war, fand das Theater seinen verdienten Aufschwung auch in finanzieller Hinsicht. Durch den vollständigen Umbau von 1911 war die Hietzinger Arena nun ein „in allen Teilen höchst elegantes, allen Ansprüchen des vornehmsten Publikums in jeder Hinsicht ent-sprechendes Kinematographentheater“.
Das „Rainer Park-Kino“ konnte schon damals mit technischen Besonderheiten aufwarten. Durch die Projektion von hinten auf eine mit einer Glasschicht überzogene, eigens konstruierte Leinwand konnte das Rauchen im Saal erlaubt werden. Dadurch waren die Rauchschwaden für den Kinobesucher nicht sichtbar. Der Vorführungsraum musste dafür allerdings 16 Meter hinter dem Theatersaal eingerichtet werden.
Das Lichtspieltheater war eines der größten Wiens: Mit einem Fassungsraum von 800 Personen, 12 Logen, 11 Meter Höhe und 14 Ausgängen konnte man es wahrhaft als Theater bezeichnen. Auch für Musik war gesorgt und zwar durch das Künstlerorchester A. Dietz, das die täglichen Vorstellungen um 18 bzw. 20 Uhr begleitete. Am Mittwoch und Samstag, sowie an Sonn- und Feiertagen wurde auch um 16 Uhr eine Vorstellung gegeben.
Kino war damals überhaupt ganz anders als heute. Nicht ein zwei- bis dreistündiger Film allein, sondern etwa zehn Programmpunkte brachten Abwechslung in den Kinoabend.
Begonnen wurde meist mit einem Marsch der Kinokapelle, gefolgt von einer Ouvertüre oder einem Walzer. Anschließend folgten Kurzfilme (z.B. Naturaufnahmen) oder kleine Possen und Sketches. Nach einer Pause wurde im 2. Teil des Programms oft ein großes „Sittendrama“ in mehreren Teilen gebracht, dessen Aufführung sich durch den wöchentlichen Programmwechsel über Monate ziehen konnte. Als Abschluss spielte das Orchester den obligaten Schlussmarsch.
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Die Geschichte
des Kinos im
Hietzinger Hof nach einer im Jahr 1990 herausgegebenen Broschüre zur Rettung des
Park-Kinos
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Wilhelm Zellers polizeiliche Lizenz zum Betrieb eines Kinos, die aus dem Jahr 1907 stammte, lief am 30. September 1926 aus. Am 21. September 1926 richtete der seit über zwei Jahren in New York weilende Wilhelm Zeller folgendes Radiogramm an seinen Rechtsanwalt:
„Erbitte Park Kinolicenz roem 13 Hauptstrasse 22 mit bisherigem Geschäftsführer Hans Wazda zu erneuern. Bin längstens am ersten Jänner ständig in Wien. Wilhelm Zeller“.
Da das neue Wiener Kinogesetz vom 11. September 1926 in vielerlei Hinsicht strengere Maßstäbe ansetzte, stellte sich die Erneuerung der Kinolizenz für Zeller als sehr schwierig heraus. Zellers Lizenz wurde nur befristet verlängert und per 29. Juli 1927 musste der Betrieb des Park-Kinos wegen Baufälligkeit sogar eingestellt werden.
Kurzfristig wurde ein Neubau in der Lainzer Straße 4 erwogen, doch einigte sich Zeller mit seinem Partner Salomon Reiss auf die Verlegung in den Konzertsaal des Hietzinger Hofes, der ebenfalls Reiss gehörte. Am 13. Oktober 1928 konnte das Kino in dem nach Plänen von Prof. Carl Witzmann umgebauten Saal wiedereröffnet werden.
Um die Konzession für den neuen Saal und die ab 1. Jänner 1929 neu zu vergebende Lizenz suchte nicht nur Wilhelm Zeller
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Das Familien-Programm vom 14. bis 20. Juli 1911 zeigt die vielen Programmpunkte eines Kinoabends
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an, sondern auch der Zentralverband der Landesorganisationen der Kriegsinvaliden und Kriegshinterbliebenen Österreichs, die nunmehr dem zweiteren zugesprochen wurde.
Gemeinnützige Organisationen waren nämlich nach dem neuen Wiener Kinogesetz bevorzugt zu behandeln. Der Zentralverband war damit neben seiner Lizenz für das Park-Kino Meidling in der Koflergasse 3 auch im Besitz der Lizenz für das Park-Kino Hietzing.
Zeller, der in dieser problematischen Entscheidung des Magistrats einen Entzug seiner Existenzgrundlage sah, protestierte heftig, und es entwickelte sich ein langwieriger Rechtsstreit, der noch Jahre später den Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof, wie auch die Wiener Landesregierung beschäftigen sollte.
Bereits am 29. Oktober 1929 entschied der Verwaltungsgerichtshof, dass „auch für den Verkehr zwischen Behörden und Parteien, ebenso wie im privaten Geschäftsverkehr, das ungeschriebene Gebot von Treu und Glauben Geltung habe“. Deshalb sei die Lizenz an Zeller zu vergeben. Die Wiener Landesregierung weigerte sich aber jahrelang standhaft, eine entsprechende Regelung zu treffen.
Zellers Rechtsanwalt, Dr. Franz Steif, richtete mehrere Aufsichtsbeschwerden einerseits gegen den Wiener Magistratsdirektor Dr. Hartl, andererseits auch gegen Bürgermeister Seitz. Die Verweigerung der Herausgabe einer für Zeller positiven Entscheidung würde „eine glatte Rechtsverweigerung und einen glatten Verfassungsbruch bedeuten“, insbesondere, da der damalige Magistratsdirektor selbst Mitglied des Verfassungsgerichtshofes sei und eine Entscheidungspflicht der Wiener Landesregierung aufgrund der Verfassung und des Allgemeinen Verwaltungs-Verfahrensgesetzes bestünde.
Zellers Anwalt hatte es schwer. Er konnte dem Wiener Bürgermeister nur drohen, sich in einer Audienz beim Bundeskanzler dafür einzusetzen, dass im Zuge einer Verfassungsreform nicht mehr der Wiener Magistrat in letzter Instanz entscheiden solle. Es war ihm auch nicht möglich aus der Causa Park-Kino ein Politikum zu machen, da aufgrund der politisch gespannten Zeit die Gefahr einer antisemitischen Hetze gegen Salomon Reiss bestand und der freiheitlich gesinnte Dr. Steif „nicht politischen Gegnern des freiheitlichen Gedankens Material liefern wollte“.
Die Rechtsverweigerung wurde nicht behoben. Zellers Anwalt in einer Aufsichtsbeschwerde vom 6. März 1933: „Ich füge noch hinzu, hochgeehrter Herr Bürgermeister und Landeshauptmann, dass meiner Erfahrung nach und nach Erfahrung des Kollegenkreises der Rechtsanwaltschaft keine Behörde Österreichs, keine andere Landesregierung, insbesonders kein Gericht Österreichs eine derartige Nichtbefolgung einer verfassungsmäßig auferlegten Entscheidungspflicht sich bisher zuschulden kommen ließ“.
Die Familie Zeller war mittlerweile finanziell fast am Ende. In einem erschütternden persönlichen Brief an Dr. Steif vom 5. Mai
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1933 berichtete Zellers Frau: „Seit Tagen leide ich mit meinen Kindern bitterste Not, wusste nicht, wo Brot hernehmen.“ Sogar an Selbstmord dachte sie schon, doch durch die Hilfe von guten Freunden, die Lebensmittel brachten, wurde sie errettet.
Der Prozess trieb immer seltsamere Blüten und kam zu keinem Ende. Am 8. Juni 1933 erreichte Zeller der Bescheid, dass sein Ansuchen um Verleihung der Konzession unterbrochen wurde, da Salomon Reiss beim Bezirksgericht Gloggnitz eine Klage gegen Zeller eingebracht hatte. Es sollte zuerst die Vorfrage geklärt werden, ob Zeller überhaupt berechtigt wäre, sich um eine Konzession zu bewerben.
Da gab es nämlich noch eine alte Geschichte: Zeller hatte am 15. Oktober 1929 gegen eine geringe Entschädigung auf seine Anteile am Park-Kino zugunsten der anderen Besitzer verzichtet, als er sich gerade in einer finanziellen Zwangslage befunden hatte.
Seine Gegner hätten diese Zwangslage „in ausbeuterischer und sittenwidriger Weise ausgenützt“. Der Wert des Park-Kinos hätte damals 600.000 – 1 Million Schilling betragen, womit der 1/4-Anteil Zellers mit mindestens 200.000 Schilling zu bewerten gewesen wäre.
In Wirklichkeit bekam Zeller, der von Exekutionen verfolgt wurde und vor der Delogierung stand, wesentlich weniger. Salomon Reiss, der Zellers Anteile überschrieben bekam, übernahm nur eine Steuerverpflichtung in Höhe von 12.650 Schilling und zahlte Zeller 4000 in bar, wovon 1.300 Schilling sofort seinen Gläubigern überwiesen wurden.
Erst 1935 zeichnete sich schließlich eine Lösung in dieser höchst komplizierten Affäre ab, indem Zeller die Konzession und die Geschäftsführung zurückgegeben werden sollte. Doch ob dies wirklich so war, darüber schweigen die Akten und kann auch hier nicht berichtet werden.
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Das am 13. Oktober 1928 im Konzertsaal des Hietzinger Hofes wiedereröffnete Park-Kino-Hietzing in einem Foto aus dem Jahr 1929. Das Theater, welches 8 bzw. (unterhalb der mittleren Deckenwölbung) 10 Meter hoch, 20 Meter breit und 32 Meter lang war, besaß eine geräumige Bühne mit Schnürboden, vor der sich die hochziehbare Projektionsfläche befand. Vor der Bühne befand sich der Raum für das Orchester, unterhalb derselben waren die Garderoben der Musiker untergebracht. Das Parkett erstreckte sich bis zur Rückwand des Saales, oberhalb deren sich eine Galerie mit Logen entlang der Brüstung befand. Besondere Erwähnung verdiente auch die überaus geräumige Projektionskabine, in der vier Projektionsapparate und zwei Scheinwerfer installiert wurden und die ein bequemes Arbeiten gestatteten.
Zur Eröffnung zeigte man das amerikanische Lustspiel „Die zwei Männer meiner Frau“.
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1945 wurde das Hotel durch einen Bombentreffer arg in Mitleidenschaft gezogen, doch im Kino konnte bald wieder gespielt werden. Nach Abriss des Hotels integrierte man das Kino in das EKAZENT. Das dem Wiener Gartenbau-Kino nachempfundene, neu gebaute Lichtspieltheater wurde im Mai 1964 eröffnet. 1978 umgebaut und verkleinert, bestand es bis Ende 1989. Von September 1991 bis Ende 1992 wurden die ehemaligen Kinoräume für Theaterzwecke genutzt, 1995 zu Geschäftsräumen umgebaut.
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Der Eingang zum Park-Kino (oben) und Vorräume (mitte), fotografiert um Jahr 1930. Der Betrieb war nach Baufälligkeit der alten Räumlichkeiten in dem großen und geräumigen ehemaligen Konzertsaal des Hotels „Hietzinger Hof“ untergebracht. Vor dem Eingang des Theaters wurde eine Freitreppe angelegt, die zu dem überdachten, hell erleuchteten Portal führte. Hier befand sich auch die Kasse. Der frühere Restaurantgarten des Hotels „Hietzinger Hof“ verschwand vollständig. An seiner Stelle wurde ein Vorplatz angelegt, so dass das Theater, im Gegensatz zu dem alten Park-Kino, das von außen unsichtbar hinter dem Hof des Hotels lag, direkt von der Straße aus gesehen und erreicht werden konnte. Vom Portal aus gelangte man in die ausgedehnten Vor- und Warteräume, in denen sich die Garderobe sowie, durch Glaswände abgesondert, das Buffet befanden. Das Foto unten zeigt den veränderten Eingang zum Park-Kino im rechten Gebäudeteil des Hietzinger Hofes in einen Foto vom 21. April 1944. Das Foto zeigt auch den anstelle des ehemaligen Restaurantgartens angelegten Vorplatz.
Alle Fotos stammen aus dem Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek.
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Auch Schach wurde im Hietzinger Hof gespielt. Dokumentiert ist dies erst ab dem Jahr 1924, als es zur Gründung einer Sektion des Schachklubs Hietzing im Hotel „Hietzinger Hof“ kam. Er wurde zur Stätte des bald einsetzenden weiteren Aufstiegs dieses Klubs. Hier standen dem Klub ideale Klubräume zur Verfügung, und so war es nicht verwunderlich, dass gerade diese Sektion binnen kurzem großen Zulauf zu verzeichnen hatte.
Im Jahre 1926 erschien erstmals, als Nachrichtenblatt gedacht, eine Vereinszeitung. Die Mitgliederzahl war bereits auf 170 angewachsen.
Am 10. Dezember dieses Jahres gab es den ersten internationalen Höhepunkt Hietzings: Weltmeister Raoul Capablanca trat im Klublokal zu einer Simultanvorstellung an. Er sollte nicht der einzige Weltmeister sein, den Hietzing als Gast begrüßen konnte: Dr. Emanuel Lasker (allerdings schon entthront), Dr. Alexander Aljechin, Dr. Max Euwe und Wassilij Smyslow folgten ihm in diesem Beginnen.
Doch der Kampf gegen die Gefahren war noch immer nicht zu Ende: Das Café Hietzinger-Hof wurde 1931 gesperrt. Wohl blieb dem Klub das Spiellokal erhalten, die Situation wurde aber dort unhaltbar. So reifte zum ersten Mal der Plan eines eigenen Schachheims. Es gelang. Am 10. März 1931 wurde im Café Mariahilf (also auf der belebtesten Geschäftsstraße Wiens) in eigenen Räumen die Sektion Mariahilf gegründet und schon vier Wochen später, am 9. April, feierlich eröffnet.
Der Verein erlebte Höhen und Tiefen, die einsetzende Arbeitslosigkeit sowie interne Probleme führten zum Niedergang des Klubs und zum Verlust der aufgebauten Lokalitäten. 1936 war als Klublokal nur mehr das Café Schönbrunn übrig geblieben, das sich jedoch als zu klein erwies, weshalb Hietzing am 23. Mai 1936 wieder in den Hietzinger Hof zurückkehrte.
Doch schon am 5. Jänner 1937 wurde die Übersiedlung ins „Stammkaffee“ beschlossen, da das Verhältnis zum Inhaber des Hietzinger Hofes einen Weiterverbleib des Klubs in diesem Lokal unmöglich machte. Seither ist das Café Aigner Spiellokal des Schachklubs Hietzing geblieben, und die Namen „Hietzing“ und „Aigner“ werden in der Geschichte für immer miteinander verbunden bleiben.
Bericht in der Zeitschrift
„Die Bühne“ über eine im Hietzinger Hof am 26. Juli 1926 gespielten Partie im Rahmen des internationalen Schach-
Meisterturniers zu Wien
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Der Hofopernsänger Carl Mayerhofer in einer Lithografie von Josef Kriehuber aus dem Jahr 1858.
Carl Mayerhofer war auch ein exzellenter Schachspieler. Vielleicht hat er im Hietzinger Hof sowohl gesungen als auch
Schach gespielt. Seinen Lebensabend verbrachte er in seinem Haus in Hietzing, begraben ist er in einem Ehrengrab lauf dem Hietzinger Friedhof.
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Die älteste Urkunde (siehe Abbildung rechts oben) aus 1313 bezeugt einen Kauf von zwei Weingärten in Lainz – Lventz – für das Kloster Aldersbach bei Passau, den Otte der Hofmeister von Gneussendorf und sein Bruder und Geselle Heinrich vom Verkäufer, einem Peter Pilgrims Sohn, durchgeführt haben. In der Urkunde ist auch die gerichtliche Beurkundung durch den Rat und den Richter Leupolt von Krems festgehalten: „Gesch. 1313 an S. Pangratzen tag ze Chrems in der stat“, also am 12. Mai 1313. Die bayrischen Klöster hatten großes Interesse für Weingärten in unserer Gegend, weil sie guten Wein für die Gottesdienste brauchten.
Auch die zweite bekannte Urkunde betrifft wenig später aus 1317 den Tausch eines Weingartens zu Atzgersdorf des Abtes von Kloster Baumgartenberg gegen einen Weingarten zu Luntz an dem Miesenchobel (später „Miss in Kögeln“) an das Kloster St. Clara in Wien.
In den „Beiträgen zur Geschichte des Wienerwaldes“ hat Wilhelm Twerdy außer den genannten Urkunden zahlreiche weitere
Lainz in einem Aquarell um das Jahr 1850. Zu sehen ist die heutige Lainzer Straße mit der Kirche und dem davor gelegenen Pfarrhof (das Haus mit dem steilen Satteldach). In der unteren Bildmitte ist der mit Ufermauern versehene Lainzerbach zu sehen. Abbildung aus: Gerhard Weissenbacher, „In Hietzing gebaut“, Band I, Seite 47
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Das älteste Dokument mit dem Namen „Lventz“ (Lainz) aus dem Jahre 1313. Foto: Bayerisches Hauptstaatsarchiv
Twerdy: Geschichte des Wienerwaldes,
siehe www.1133.at/Bericht 779
Weissenbacher: In Hietzing gebaut
Protokoll zum Franziszeischen Kataster
Zusätzliche Angaben von Heinz Gerstbach.
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das Bistum Wien in den Besitz des Ortes. 1780 wurden schließlich Lainz und Speising der Herrschaft St. Veit unterstellt, unter dessen Landgericht sie sich schon vorher befunden hatten. Mit dem Ende der Grundherrschaft 1848 entstand die selbstständige Ortsgemeinde Lainz, die dann 1892 gleich ihren Nachbargemeinden Teil des 13. Wiener Gemeindebezirkes Hietzing wurde.
Die später dem Patrozinium der Hl. Dreifaltigkeit geweihte Lainzer Kirche wurde 1421 gebaut; um sie herum legte man den Friedhof an.
1683 war das Gotteshaus so baufällig, dass man es abreißen musste. Auf Anordnung von Kardinal Sigismund Graf von Kollonitsch wurde die Kirche 1736/37 neu gebaut. Der Friedhof lag nun an der Westseite der Kirche und bestand bis in die 1830er-Jahre. Wegen Platzmangels wurde 1830 auf Betreiben des Lainzer Schlossbesitzers Graf Josef Tige eine neue Begräbnisstätte an der heutigen Fasangartengasse 21 gewählt. Dieser Friedhof existierte bis 1894 und wurde dann zur Parkanlage. Seit 1876 befindet sich der Lainzer Friedhof auf der Höhe des Stranzenberges.
Pfarrlich gehörte Lainz bis 1783 zu Penzing und wurde dann herausgelöst. Die neue Pfarrgemeinde zählte inkl. der Filialpfarre Speising (247) und zwei Ziegelöfen zu Rosenberg (22) 581 Seelen. Das Pfarrhofgebäude in der Lainzer Straße 154 (CNr. 30) soll 1750 erbaut worden sein.
Zur Zeit der Pestepidemien im späten 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erlangte Lainz wegen seines Patroziniums, der Hl. Dreifaltigkeit, eine überregionale Bedeutung. Die Hl. Dreifaltigkeit wurde als Schutz vor der Pest angerufen, und mangels einer anderen im Wiener Bereich bis zur Epidemie von 1679 diesem Patrozinium unterstellten Kirche wurde Lainz ein Zentrum der Pestwallfahrt. Laut Pfarrchronik trug dazu auch bei, dass die Lainzer Bevölkerung in den großen Pestjahren 1679 und 1713 von der Seuche verschont blieb. Die Dreifaltigkeitssäule aus dem Ende des 17. Jahrhunderts beim Haus Lainzer Straße 117 verweist auf dieses Patrozinium. Sie stand bis zum Bau der Verbindungsbahn am oberen Ende der heutigen Titlgasse. Im 19. Jahrhundert versiegte allmählich der Zustrom der Wallfahrer.
Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet die Wallfahrt der Münzer. Im Haupt-Münzamt wurde bei der großen Pest des Jahres 1679 kein Einziger der Angehörigen und deren Familien, die ebenfalls im Gebäude waren, angesteckt, weil der energische Münzmeister Matthias Mittermayer rechtzeitig aus seiner Münzstätte eine Festung machte, genügend Lebensmittel besorgte und niemanden ein- und aus gehen ließ. Damit machte er das
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Die aus dem Ende des
17. Jahrhunderts stammende Säule, die zum Dank für eine Gebetserhörung von einem gewissen F. V. errichtet wurde. Die Rundsäule auf Vierkantsockel trägt eine Dreifaltigkeitsgruppe („Gnadenstuhl"). Sie stand ursprünglich am oberen Ende der heutigen Titlgasse. Von dort musste sie dem Bau der Verbindungsbahn weichen. Fotografiert am
13. Dezember 2024
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Haus zum Bollwerk gegen die tödliche Krankheit. Erst nach neun Monaten konnten die Eingeschlossenen diese „Festung gegen die Pest“ gesund verlassen. Seit damals pilgern die Münzer jährlich bis heute aus Dankbarkeit zur Dreifaltigkeitskirche in Lainz, am 3. Oktober 2024 war es zum 345. Mal!
Anlässlich des 300-Jahr-Jubiläums 1979 wurde eine besondere Münze herausgebracht, vorne mit der Lainzer Kirche und auf der Rückseite das Hauptmünzamt Wien.
Auch in der alten Lainzer Kirche befindet sich eine Gedenktafel zur Erinnerung an dieses Ereignis. Die Mittermayergasse in Hietzing wurde 1894 nach Matthias Mittermayer von Waffenberg (1651–1708), der von 1679 bis 1708 Wiener Münzmeister war, benannt.
Die am 10. Juni 1979 vom Hauptmünzant herausgegebene Medaille zur 300. Wallfahrt der Wiener Münzer nach Lainz
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Die 1736/37 neu gebaute Kirche mit dem Friedhof an deren Westseite. Den Friedhof gab es bis in die 1830er-Jahre, der Zwiebelturm muss wohl den Restaurierungen des 19. Jahrhunderts zum Opfer gefallen sein.
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Obwohl schon 1365 ein „Hof zu Lainz“ erwähnt wurde, ist der Ort, an dem er sich befunden hat, unbekannt.
Ebenso ist nicht dokumentiert, wann das Schloss Lainz errichtet wurde. Nach den fachlichen Meinungen soll es nach dem Ende der Bedrohung durch die Türken um 1700 erbaut worden sein. Im ältesten Grundbuch des Wiener Stadtarchivs von 1741 wurden ohne Zeitangabe verschiedene Besitzer dieses Schlosses angeführt.
Das älteste bekannte Gemälde von Lainz aus dem Jahre 1795 von Joseph Heideloff befindet sich im Wien Museum und besitzt folgende Originalbeschriftung: „Gegend bey Laintz nächst Schönbrunn von der Mitternachtseite am Feldwege nach St. Veit bei Abendzeit im Monat Mai. Datierung: Den 12ten Mai 795, gemalt den 9ten Juli“.
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Das Schloss Lainz 1795 in einem Gemälde von Joseph Heideloff (Ausschnitt). Da der Künstler seine „Naturaufnahmen“ stets mit Ort, Tag und Stunde versah, kommt ihnen besondere topographische Bedeutung zu. Typischerweise hat sich Heideloff auch hier im Vordergrund bei der Arbeit verewigt. © Wien Museum
Der Blickwinkel des Malers reicht von Tiergarten rechts bis zu den – hier allerdings nicht erkennbaren – Weingärten an den Südhängen des Küniglberges, links im Bild. Im Tal sind die Dächer einiger Häuser des Dorfes zu sehen. Das Schloss verdeckt die Lainzer Kirche, von der nur der Turm über dem Mittelrisalit des Schlosses zu sehen ist.
Das Schloss ist heute Teil des Kardinal-König-Hauses und wurde nachweislich 1830 von Graf Josef Tige ausgebaut. Erworben hatte er den Besitz aber erst 1832: Seine Gattin Gräfin Franziska von Tige, geb. Gräfin Apponyi, die hier schon früher gewohnt haben dürfte, hatte ihn gekauft. Gemäß dem Lainzer Taufbuch wurde der älteste Sohn Ernst des Grafen Josef Tige und der Franziska am 26. Juli 1829 in Lainz geboren.
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Der Grundbesitz des Schlosses, das zur Zeit der Entstehung des oben dargestellten Gemäldes nach wie vor im Besitz der Familie Tige stand, umfasste mehr als zwölf Joch, ging also weit über den heutigen Park hinaus, der nur vier Joch misst. Zu den übrigen Flächen gibt es keine konkrete Information.
Die Gräfin Franziska starb 1863, der Graf Josef 1870, der ganze Besitz soll schon 1865 an deren sechs Kinder übertragen worden sein.
Der Schlossherr Graf Tige war ein großer Wohltäter der Kirche, so spendete er 1869 eine Mariazeller Marienstatue, vielleicht jene, die heute in der Werktagskapelle der neuen Konzilsgedächtniskirche ihren bevorzugten Platz hat.
Im Jahr 1884 verkauften die Geschwister Tige Schloss und Park gegen eine Leibrente an die „Gesellschaft Jesu“ (Jesuiten), die darauf ihren bisherigen Besitz in Brunn am Gebirge, den Wällischhof, aufgaben. Die Jesuiten zogen noch im selben Jahr 1884 in das gräfliche Schloss ein, es sollte der Ausbildung des Ordensnachwuchses dienen und den Raummangel der Jesuiten in Wien beheben helfen.
1885/86 fügten die Jesuiten dem im Kern spätbarocken Gebäudekomplex die neoromanische Herz-Jesu-Kirche nach Plänen von Johann Mick hinzu. Den Bau der Kirche und des neuen Westflügels hatte Fürstin Polixena Esterhazy finanziert.
Weil das Schlössl für die Bedürfnisse der Jesuiten bald zu klein war, wurde im Jahr 1889 der große Westflügel angebaut, das sogenannte Exerzitienhaus. Exerzitien sind geistliche Übungen, die auf Ignatius von Loyola, den Gründer des Jesuitenordens, zurückgehen.
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Lainz 1856. Dieses Bild aus dem Wien Museum zeigt Lainz ebenfalls von Norden mit dem Schloss, der Kirche und einigen Häusern am Abhang des Küniglberges.
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Da weder die Lainzer Pfarrkirche noch die Jesuiten-Kirche dem vergrößerten Platzbedarf gerecht werden konnten, musste die „Klosterkirche“, wie sie von der Bevölkerung genannt wurde, 1965 dem Neubau des Sozialen Bildungshauses des Jesuitenordens und der Konzisgedächtniskirche weichen.
Das ursprüngliche Kollegium und Exerzitienhaus wurde später den veränderten Inhalten entsprechend zum heutigen Kardinal-König-Haus ausgebaut.
Die neue Konzilsgedächtniskirche für die Lainzer Pfarrgemeinde wurde im Hinblick auf das II. Vatikanische Konzil benannt und hat den Gründer des Jesuitenordens Ignatius von Loyola als Patron. Geplant wurde sie vom Tiroler Architekten Josef Lackner und 1968 eingeweiht. Sie entspricht in besonderer Weise den Anforderungen an die durch das Konzil erneuerte Liturgie. Die quaderförmige Kirche aus Leca-Beton-Fertigteilen ohne Turm ist ein eindrucksvoller Bau. Die Glocken auf dem Turm der alten Pfarrkirche werden weiter von der Pfarre verwendet, obwohl die bisherige Pfarrkirche der Syrisch-Orthodoxen Kirche zur Verfügung gestellt wurde.
Die 1884 gekommenen Jesuitenpatres unterstützten neben ihren Ordensaufgaben auch die Arbeit der Weltpriester der Pfarre Lainz. Deren letzter und bedeutender Pfarrer war Anton Schrefel, der 1935 im entstanden neuen Siedlungsgebiet auch die Kirche „St. Hubertus“ im früheren Teil des Lainzer Tiergartens gründete. 1945 übernahmen die Jesuiten die Leitung der Pfarre Lainz, zu der auch Speising gehört, und besitzen sie bis jetzt.
Ein bedeutender Teil des Jesuitenkollegs ist der ca. vier ha große ehemalige Schlosspark und ein besonderes Gebäude im Park ist das Gewächshaus, das viele barocke Schlösser besaßen. Auch das Schloss Lainz hatte ein solches Gewächshaus, das noch immer besteht. Ein Gewächshaus soll es nach den Vorstellungen
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Lainz mit Jesuitenkollege. Diese „Correspondenz-Karte“ wurde oft als Ansichtskarte per Post verschickt. Auf ihr sieht man eine heute verschwundene Hausecke mit Gaslaterne, dann den Ostflügel des Jesuiten-Kollegiums, die Herz-Jesu-Kirche, ein Stück des alten Schlosses, davor die Nebengebäude, die später von der Pfarre als Jugendheim verwendet wurden (siehe auch späteres Bild mit Dampftramway). Das einstöckige Gebäude südlich der noch schmalen Jagdschloßgasse war das sog. „Radlereck“ (wegen der beliebten Parfümerie Radler) und links davor das noch ebenerdige Gebäude des Gasthauses „Eder“
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des Ordens auch bleiben, aber im umfassenden Sinn, für Pflanzen, für Kultur und für ein Zusammensein der Menschen, wie es auch schon in der Barockzeit üblich war.
Beim Zufluss des Lackenbaches an der heutigen Jagdschloßgasse zum Lainzer Bach stand seit 1728 eine von Eleonore Stirbek gestiftete Johannes-Nepomuk-Säule. Später wurde sie durch eine gusseiserne Statue ersetzt, die vor dem Bau der neuen Kirche zunächst in die Jagdschloßgasse versetzt wurde. Seit wenigen Jahren steht sie wieder in der Nähe des alten Platzes am Kardinal-König-Platz, eine hervorragend renovierte und bronzierte Statue des Heiligen (siehe Foto auf der nächsten Seite).
Eine Bemerkung zum „Jagdschloß“: Ein solches ist in Lainz historisch nicht verbürgt, das Gebäude wurde nur „Sommergebäude“ oder „Sommerschlösschen“ genannt. Die „Jagdschloßgasse“ hieß bis 1894 Einsiedeleigasse. Wahrscheinlich wurde damals der Name des Schlosses Lainz wegen der Nähe zu den früheren kaiserlichen Jagdgebieten im Sprachgebrauch fälschlicher Weise als „Jagdschloß“ bezeichnet, richtig wäre der Hinweis auf die Hermesvilla als kaiserliches Jägerhaus gewesen (siehe Felix Steinwandtner, Die Straßen Hietzings).
Ein Blick von oben zeigt gut die Situation der Lainzer Kirchen und des Bildungshauses: Im Hintergrund die alter Lainzer Pfarrkirche, im Zentrum die neue Kirche, umgeben von den Gebäuden des Bildungshauses, des jetzigen Kardinal-König-Hauses. Deutlich ist im Anschluss an den neuen Zubau das alte Schloss Lainz zu erkennen.
Zum Fest „125 Jahre Jesuiten in Lainz“am 16. Oktober 2009 hat Pater Klaus Schweiggl SJ einen Vortrag gehalten, der die Geschichte des Jesuitenkollegs anschaulich darstellt. Ein diesbezügliches pdf-Dokument kann unter www.kardinal-koenig-haus.at/media/vortrag_p_schweiggl.pdf heruntergeladen werden
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Motiv aus dem Lainzer Friedhof mit der Grabstelle der Jesuiten im Mittelgrund links. Dem Augenschein nach wird der Fiedhof nur schwach „bestorben“ und er verwandelt sich allmählich in eine Parklandschaft mit darin verstreuten Gräbern. Entsprechend gepflegt könnte er an den Friedhof St. Sebastian in Salzburg erinnern. Fotografiert am 17. Jänner 2025
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In den bisherigen Texten bezogen sich die Begriffe Kirchen und Pfarren auf die katholische Kirche. Der evangelische Kirchenbau wurde erst 1781 mit dem Toleranzpatent Josephs II. möglich. Die Kreuzkirche (Augsburger Bekenntnis) in der Cumberlandstraße in Penzing (bis 1938 Bezirk Hietzing) war die erste für Hietzing zuständige evangelische Kirche, sie wurde 1930/31 erbaut.
Schon vor dem Zweiten Weltkrieg überlegte man in der evangelischen Gemeinde Hietzing, im Raum Lainz eine Kirche zu errichten. Nach dem Krieg erbaute dann eine von Pfarrer Heinrich Meder gegründete „Neusiedler-Baugenossenschaft“ die sogenannte „Wartburg-Siedlung“ bei der Joseph-Lister-Gasse. Die Siedlung sollte Flüchtlingen, die aus den deutschsprachigen Gebieten Osteuropas kamen und die meist evangelisch waren, in Wien eine neue Heimat bieten. Viele flohen damals z.B. aus Siebenbürgen in Rumänien.
1956 wurde der Vikar Erwin Schneider in die neue Predigtstelle berufen. Anfang 1957 bewilligte der Oberkirchenrat die Errichtung der Tochtergemeinde Lainz. Die Besucher der Predigtstation Lainz feierten ihre ersten Gottesdienste in der Kapelle des Versorgungsheimes (späteres Geriatriezentrum am Wienerwald). Unmittelbar nach der Gründung als Hietzinger Tochtergemeinde Lainz begannen aber intensive Bauverhandlungen zum Bau der neuen Kirche.
In den Jahren 1957–1960 wurde gebaut: Es entstand zunächst das Pfarrhaus samt Kindergarten und anschließend die Friedenskirche. Die Kirchweihe erfolgte am 27. November 1960 durch Bischof Dr. Gerhard May. Selbstständige Pfarrgemeinde wurde Lainz knapp ein Jahr später, am 1. Oktober 1961. Der erste Pfarrer, Erwin Schneider, trat mit Juli 1962 sein Amt an und sollte es fast ein Vierteljahrhundert ausüben. Flächenmäßig umfasst die Pfarrgemeinde Wien-Lainz den zentralen Teil des 13. Wiener Gemeindebezirks. Der große Bereich nördlich des Roten Bergs und des Küniglberges gehört zur Pfarrgemeinde Wien-Hietzing (Kreuzkirche, 1140 Wien), das Gebiet südlich des Lainzerbaches zur Pfarrgemeinde Wien-Liesing (Johanneskirche, 1230 Wien). 2022 gehörten der Lainzer Pfarrgemeinde 827 Evangelische an.
Die kleine Kirche „Maria, Heil der Kranken”, Versorgungsheimstraße 72 war ursprünglich die Hauskapelle des Kamillianerklosters und wurde zusammen mit dem Kloster 1910 erbaut. Sie befindet sich im linken Gebäudeteil des Klosters, das von einer kleinen, mit Bronzeblech gedeckten Kuppel und einem Kreuz gekrönt wird. Seit dem Jahr 1927 rief von dort die Kamillusglocke zu Gebet und Gottesdienst. Im selben Jahr wurde auch ein Zugang von außen geschaffen und mit einem Mosaik gekrönt. Es
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Der heilige Nepomuk vor der Konzilsgedächtniskirche, fotografiert am
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Beschreibung der Pläne auf der nächsten Seite. Ganz oben Lainz im Franziszeischen Katasterplan 1819, in der Mitte eine 1974 auf Basis des vorigen Planes erstellte Nachzeichnung (Messner-Plan), in der die Verbindungsbahn und jene Gebäude aus 1819, die 1974 noch bestanden haben (teilweise bestehen sie bis heute), rot eingezeichnet sind und unten Lainz in der Franzisco-Josephinischen Landesaufnahme 1872. Im Unterschied zu den Nummerierungen im Franziszeischen Katasterplan (Nummer der Hausparzelle) zeigt der Messner-Plan die Konskriptionsnummern (CNr.) der Häuser.
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Im 1820 erschienenen zweiten Band der Kirchlichen Topographie von Österreich (S. 164) wird schon für das Jahr 1737 in Lainz eine Schule genannt. Das um 1840 errichtete und 1872 von den Gemeinden Lainz und Speising je zur Hälfte gekaufte Schulhaus in der Lainzer Straße 148 wurde 1908 durch ein von Baumeister Matthäus Bohdal errichtetes neues Schulgebäude in der Steinlechnergasse 5–7 ersetzt. Siehe dazu die →Seite 635.
Am damaligen Ende von Lainz gegen Speising wurde vor der heutigen Versorgungsheimstraße (Lainzer Straße 162) ca. 1750 das Gartenpalais de Pauli von Enzenbühl (CNr. 27 im Messner-Plan) erbaut. Bauherr war vermutlich der Besitzer der Apotheke „Zum Roten Krebs“ am Hohen Markt Christoph Lorentz de Pauli. Sein Sohn Ignaz Franz Gabriel de Pauli wird 1756 als Besitzer genannt. 1754/55 ist das Palais auf dem Brequin-Plan eingezeichnet.
1820 ist in der Liste der Hausbesitzer Emanuel Karysy, Großhändler, Wien genannt. Die spätere Besitzerin Hermine Baronin von Schey veranlasste 1867 verschiedene Umbauten. Den anschließenden großen Park gab es nicht mehr, er reichte ursprünglich weit über die jetzige Verbindungsbahn hinaus.
Beim alten Ortsanfang, vor den Neubauten Lainzer Straße Nr. 117 steht heute die Dreifaltigkeitssäule. Dort machte ursprünglich der Lainzer Bach, der den ganzen alten Ort Lainz durchflossen hat, einen Bogen in Richtung Hietzing. Zahlreiche Stege verbanden beide Seiten der Dorfstraße, die „Hauptstraße“ genannt wurde und teilweise nur auf der Ostseite des Baches verlief. Beim „Wambacher“ war eine breitere Brücke, ab dort führte die Straße auf der Westseite nach St. Veit und Hietzing.
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zeigt den Ordensgründer Kamillus von Lellis, wie er einem Kranken das Kruzifix reicht. Das Kloster ist ein schlichtes Gebäude, das zunächst den Eindruck einer gründerzeitlichen Villa erweckt. 2023 hat sich der Orden der Kamillianer aus der Seelsorge des 13. Bezirkes zurückgezogen und die Kirche für die Öffentlichkeit geschlossen.
Die Kirche St. Karl Borromäus im Geriatriezentrum Am Wienerwald (GZW) wird im Zusammenhang mit dem Versorgungsheim ab →Seite 337 beschrieben.
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Der Wambacher-Hof ist eine der ältesten Institutionen von Lainz. Das Anwesen mit dem ehemaligen großen Wirtschaftshof der eingesessenen Familie Wambacher auf der Lainzer Straße Nr. 121–123 (CNr. 1) bestand wahrscheinlich schon seit 1589, worauf ein eingemauerter Stein mit dieser Jahreszahl hinweist. Seinen Namen verdankt die spätere Meierei dem Richter und Ortsvorsteher Franciscus Seraphicus Wambacher (1792–1871),
Wambachers Meierei mit dem markanten Taubenschlag in einer Ansichtskarte um 1910. Ein eingemauerter Stein mit der Jahreszahl 1589 wird für die Altersbestimmung von Teilen dieses Anwesens herangezogen.
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Diese Abbildung, die auch im Bezirksmuseum ausgestellt ist, zeigt das Gartenpalais de Pauli als aquarellierte Federzeichnung von Salomon Kleiner, 1756. Rechts im Hintergrund erkennt man die Ober St. Veiter Kirche.
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Das Gebäude Lainzer Straße 131 in drei Ansichten:
Ganz oben als Fleischhauerei und Gastwirtschaft zur deutschen Eiche des Herrn Habesohn, darunter, ca. 1928, firmierte die Fleischhauerei bereits als jene des Herrn Girg (das Foto zeig die Lieferung eines auf der Messe gekauften Ochsen) und links die Ansicht des Lainzer Platzes gegen Ende der 1940er-Jahre. Das Gebäude Lainzer Straße 131 ist jenes links mit dem Pferdefuhrwerk davor.
der 1832 die Konzession zum Führen einer Jausenstation erhielt. Die Milchmeierei war seit langem ein beliebter gastronomischer Betrieb. Von 1884 bis zur Eingemeindung 1891 war Karl Wambacher Bürgermeister von Lainz. Das Foto unten um 1910 zeigt den damaligen Hof der Meierei Wambacher mit einem „Taubenkobel“. Früher gab es solche Taubenhäuser in vielen Bauernhöfen.
Nach einer Anzahl von niedrigen Gebäuden wurde im hinteren Teil des Grundstückes Lainzer Straße Nr. 127 (etwa an Stelle der CNr. 3) ein weiteres bedeutendes Gebäude errichtet, die Villa Dollarprinzessin.
Der Operettenkomponist Leo Fall ließ eine bestehende zweigeschossige Villa 1909/10 adaptieren und umbauen, die noch heute in Privatbesitz besteht. Leo Fall nannte sie wegen des großen Erfolges seines gleichnamigen Stückes „Villa Dollarprinzessin“. Das ursprüngliche Gebäude wurde 1866/67 für Josef Lipansky (von Beruf Militärbauverwalter) errichtet, der 1880 –1883 Lainzer Bürgermeister war. Nach ihm gehörte das Grundstück August und Juliane Kirsch, bis es Leo Fall in Besitz nahm, der später auch das Nachbarhaus Nr. 129 erwarb. Im diesem Gebäude von 1894 waren verschiedene Geschäfte untergebracht, ein Peitschenstockerzeuger und eine Glaserei. In guter Erinnerung vieler älterer Leute war die Konditorei, zuerst von Alois Pohoralik und dann vom legendären Alois Pollinger geführt, dem von einem begeisterten Kunden sogar ein eigener Bericht gewidmet wurde (M. Czelechowski „Von einer Wiener Konditorei“). Im späteren Neubau des Gebäudes 129 von 1965 befand sich bis vor kurzem die Filiale der Raiffeisenbank. Der Plan 1819 zeigt hier noch Giebelseitig zur Straße gerichtete kleine Bauernhäuser, der Plan 1872 bereits neuere mit der Längsseite parallel zur Straße gebaute Häuser.
Das Haus Lainzer Straße 131 (CNr. 5), dessen Altbausubstanz mindestens bis in das 18. Jahrhundert zurück reicht, beherbergte von 1832 bis 1970 das Gemeindegasthaus. Ursprünglich befand sich dieses in einem Gebäude des Schlosses Lainz. Wegen eines Umbaus musste es 1832 verlegt werden. Der Gasthausgarten mit
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Der Cover des Ober St. Veiter Blatt'ls Nr. 69 mit dem auf den beiden folgenden Seiten wiedergegebenen Bericht über den Julien-Hof
Fortsetzung auf →Seite 221
seinem alten Baumbestand ist heute noch erkennbar. Zu diesem Betrieb gehörten neben Schank und Extrazimmer ein ausgedehnter Saal im linken Seitenflügel, eine 1913 gebaute Veranda, ein Eishaus und eine Räucherkammer. Außerdem sollen in dem Gebäude die Gemeindestube und der Gemeindekotter gewesen sein. 1985 konnte das devastierte Gebäude vor dem Abbruch gerettet werden. Nach der Renovierung und der Umgestaltung des Inneren wurde es zum „Einkaufsgarten“.
Die nächsten Gebäude Nr. 133–141 (CNr. 6 etc.) wurden um 1900 bereits an der zurückgelegten Baulinie errichtet. In ihnen waren und sind verschiedene Geschäfte situiert. Viele Jahre befand sich auf Nr. 133 eine Zweigstelle der Zentralsparkasse. Dann gab es mehere Nahversorgungsgeschäfte, die mehrfach gewechselt haben.
Auf Nr. 139 ist die Lainzer Apotheke zu finden, im Haus Nr. 141 war früher ein Delikatessengeschäft, jetzt der Optiker und die Papier- und Buchhandlung, also wichtige ursprüngliche Nahversorgungseinrichtungen für Lainz.
Auf den Julienhof, Lainzer Straße 147 (CNr. 13), wurde wegen seiner lange diskutierten Geschichte im Ober St. Veiter „Blatt´l“Nr. 69 ausführlich eingegangen. Der diesbezügliche Beitrag auf den Seiten 6 und 7 des Blatt'ls ist auf der kommenden Doppelseite ab →Seite 228 abgebildet. Die während der Sanierung abgetragenen erhaltenswerten Teile des Julien-Hofes wurden nach den Vorschriften der MA19 im gleichen Stil wieder errichtet, verändert wurde das Haus durch den Ausbau des Dachgeschosses. Die bisherige Lücke durch den Abbruch des Hauses Lainzer Straße 149 zum Gebäude Fasangartengasse 1 wurde durch einen Neubau geschlossen.
Ein weiteres bedeutendes Gebäude In der Nähe des Lainzer Zentrums ist das Gebäude Lainzer Straße 155 (neben CNr. 45)/Chrudnergasse 2 (ehemals Brunn-Gasse). Um 1840 wurde ein zweigeschossiges Gebäude mit Seitenflügel errichtet, in dem bis 1876 eine Anstalt für Geisteskranke untergebracht war. 1894 erwarb der Verein „Pension für Offiziers-Witwen und -Waisen Österreich-Ungarns in Wien“ das Gebäude und ließ es 1898 als Pensionshaus adaptieren. Derzeit ist das Gebäude ein Wohnhaus für Bundesangehörige. Eigentümer sind die „Vereinigten Altösterreichischen Militärstiftungen“. An den Besuch des Kaisers Franz Josef im Jahre 1910 erinnert eine Statue im Garten.
Über dem Eingang befand sich ein Teil eines bei Erdaushebungen gefundenen marmornen Lorbeergewindes (Feston, Girlande) wahrscheinlich aus dem 18. Jahrhundert, das später dem Bezirksmuseum übergeben wurde und derzeit in einer Vitrine im Amtshaus vor der Bezirksvorstehung Hietzing zu sehen ist. Die „Privatheilanstalt für Gemüths- und Nervenkranke“ wurde später von der Chrudnergasse in das 1872 errichtete Gebäude in der Jagdschloßgasse 25 verlegt. Dort richtete die Stadt Wien 1924 die Krankenpflegeschule Lainz ein Siehe →Seite 609.
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Interessant sind die beiden letzten Grundstücke auf der Westseite der Lainzer Straße bis zur Ortsgrenze von Speising an der heutigen Verbindungsbahn.
Das Gebäude Lainzer Straße 170 (errichtet 1898) ist ein schlösschenartiger Bau mit einer dem Garten zugewandten Hauptfront. In ihm hat die „Wohltäterin“ der Gemeinde Lainz Katharina Biraghi mit ihrer Familie gewohnt, nach der die genannte Gasse bezeichnet wurde, die zuerst ab der Lainzer Straße so hieß. Katharina – oder nach anderen Berichten ihre früher verstorbene Tochter Marianne Biraghi – hatte 20.000 Gulden für ein Armenhaus oder eine Kinderbewahranstalt gestiftet. Dies wurde später durch Beschluss der Stadt Wien in einen Beitrag für ein Stiftungsbett zur Ausstattung des neuen Versorgungsheimes umgewandelt.
Am Lainzer Friedhof befindet sich die Gruft der Familie Biraghi. Im Personalverzeichnis der Erzdiözese Wien aus 1902 heißt es auf Seite 95, Nr. 45: „Zwei Kath. Biraghy´sche Privat-Kapellen (Lainzerstr. 170 u. i. neuen Friedhofe)“.
Das inzwischen abgebrochene Gebäude Lainzer Straße Nr. 172 hatte eine bemerkenswerte Geschichte. Den 1899 errichteten Bau besaß 1903 Anton Langer und 1906 Karl Langer. Er wurde nach den Bauakten 1906 vom Verein „Philanthropia“ erworben und dort das „Erste israelitische Rekonvaleszentenheim für arme jüdische Frauen und Kinder“ errichtet. In der NS-Zeit wurde es enteignet und 1939 der „NS-Wohlfahrt“ übergeben. 1940 wurde ein „NSV-Mütterheim“ darin untergebracht. Nach dem Krieg übernahm das Gebäude die Gemeinde Wien und übergab es 1951 dem Zentralkrippenverein, der es bis vor wenigen Jahren führte.
Wegen des Platzbedarfes für die Baustelle des Lainzer Tunnels wurde das Gebäude 2003 abgetragen. Der Zentralkrippenverein übersiedelte unter dem neuen Namen „Biwa Kinderwohngemeinschaft Laaerberg“ in den 10. Bezirk.
Nach dem Ende der Bauarbeiten des Lainzer Tunnels und der Fertigstellung des Sicherheitsausstieges, in dem sich eine Statue der Hl. Barbara als Patronin der Bergarbeiter befindet, wurde eine große Wohnhausanlage errichtet.
Gegenüber der alten Lainzer Kirche aus der Fasangartengasse kommend floss der Lainzer Bach durch die Ortschaft. Seine Quellen sind großteils im Lainzer Tiergarten, er ist ein Zubringer des Wienflusses in Hietzing. Bevor er die Ortsgrenze von Lainz erreichte, floss er durch das Gebiet der späteren Siedlungen im Anschluss an den Lainzer Tiergarten und durch Speising. Damals hatte er oft Hochwasser. Eine Hochwasser-Marke an der Außenwand der alten Lainzer Pfarrkirche ist etwa 1,4 Meter über dem heutigen Straßenniveau!
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Nochmals Lainz im Messner-Plan, weil darin die hier genannten Konskriptionsnummern eingezeichnet sind.
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Gemäß Protokoll zum Franziszeischen Kataster 1819 können den im Plan oben eingetragenen Konskriptionsnummern folgende Hausbesitzer zugeordnet werden:
1. Franz Wambacher, Hauer, Lainz
2. Jakob Hochgrassel, Hauer, Lainz
3. Joseph Irmsteiner, Hauer, Lainz
4. Anton Kusterer, Hauer, Lainz
5. Schoderböckische Erben, Lainz
6. Joseph Asenbauer, Hauer, Lainz
7. Joseph Hallermayer, Hauer, Lainz
8. Michael Schenk, Hauer, Lainz
9. Karl Meyer, Tischler, Lainz
10. Johann Amann, Hauer, Lainz
Um die Hochwassergefahr des Lainzerbaches einzuschränken, errichtete man schon früh im Ortsgebiet auf beiden Seiten des Baches Ufermauern (siehe Aquarell am Beginn dieses Lainz-Beittrages); Stege verbanden die Fahrwege, die auf beiden Seiten des Baches entlangführten.
Der Lainzerbach und seine Beileitungen sind inzwischen alle kanalisiert, 1895/96 und 1903 erfolgte die Ableitung in den neuen Sammelkanal unter der Speisinger und der Lainzer Straße. Durch diese Kanalisierung wurde die Errichtung von breiteren Straßen (Lainzer Straße und Speisinger Straße) möglich, auf denen zunächst die Dampftramway und später die städtischen Straßenbahnen verkehren konnten und können.
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11. Johann Melchart, Hauer, Lainz
12. Joseph Fasset, Hauer, Lainz
13. Sigmund Nothhardt, Hauer, Lainz
14. Joseph Loth, Hauer, Lainz
15. Severin Gerhold, Hauer, Lainz
16. Joseph Parz, Hauer, Lainz
17. Michael Pantlitschko, Hauer, Lainz
18. Kaspar Jäger, Hauer, Lainz
19. Johann Truminger, Bauer, Lainz
20. Joseph Doppler, Hauer, Lainz
21. Joseph Schnaitter, Weber, Lainz
22. Franz Schnaitter, Linienbauer, Lainz
23. Michael Fuchs, Bauer, Lainz
24. Joseph Nusterer, Hauer, Lainz
25. Johann Staindl, Hauer, Lainz
26 + 27. („Gartenpalais de Pauli“) Emanuel Karysy,
Großhändler, Wien
28. Heinrich Joseph Babtiste, k.k. Hofsekretär, Wien
29. Michael Schwecherl, Hauer, Lainz
30. Pfarrhof
31. + 32. Martin Melchart, Hauer, Lainz
33. Josef Fuchs, Bauer und Michael Fuchs, Greißler, beide Lainz
34. Michael Melchart, Hauer, Lainz
35. Andrä Weismann, Hauer, Lainz
36. + 37. (Schloss Lainz) Joseph Ritzenthaler,
Schneider, Wien
38. Gemeinde Lainz, Wirtshaus, Lainz
39. Michael Haresleb, Hauer, Lainz
40. Philipp Gober, Milchmann, Lainz
41. Johann Pandasch, Hauer, Lainz
42. Joseph Gerrerstorfer, Hauer, Lainz
43. Franz Parz, Hauer, Lainz
44. Georg Steindl, Hauer, Lainz
45. Franz Kripl, k.k. Hofjäger, Lainz
46. Ignatz Hanga, Zimmermann, Lainz
47. Joseph Weninger, Fleischhauer, Lainz
Wie die obige Liste der Hausbesitzer aus dem Jahr 1819 zeigt, war, wie fast überall in der Region, nach wie vor der Weinbau die Haupteinnahmenquelle. Von den 47 konskribierten Häusern standen 29 im Besitz von Weinhauern und drei im Besitz von Bauern, andere Gewerbe waren nur in geringer Zahl vertreten. Weinanbaugebiet war vor allem der südwestliche Abhang des Küniglberges, manche Weinbauern hatten jedoch auch andere Besitzungen, vor allem das Tal des Wlassakgrabens hinauf bis St. Veit. Zusätzlich werden von Beginn an die Landwirtschaft mit Ackerbau und Viehzucht die Grundlagen gewesen sein. Eine Darstellung von Lainz zählt im Jahr 1824 17 Pferde, 2 Ochsen und 139 meist im Stall gehaltene Kühe. In manchen Quellen werden
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die Holzschlägerung und -verarbeitung sowie die Kohlenbrennerei und Pechsiederei als früher Haupterwerbszweig der Bewohner von Lainz genannt.
Das Schloss Lainz und das Gartenpalais de Pauli waren zu diesem Zeitpunkt aus adeligen Händen in den Besitz von bürgerlichen Geschäftsleuten gekommen.
Bald nach dieser Bestandsaufnahme hat sich das wirtschaftliche Bild gründlich geändert. Die Weinhauer verschwanden (Trockenheit, Reblaus etc.) oder wechselten wegen des großen Bedarfes der wachsenden Stadt Wien zur Milchwirtschaft.
Auch Herr Franz Wambacher in der Lainzer Straße Nr. 123 (CNr. 1) bezeichnete sich 1819 noch als Weinhauer. Er brachte es zum Ortsrichter und war geschickt genug, sich zum stadtbekannten Meiereibesitzer hochzuarbeiten, in dessen Haus die Mitglieder des kaiserlichen Hofes verkehrten. Die Milch war wegen ihrer hohen Qualität geschätzt und wurde nach Schönbrunn und in die Hofburg geliefert. Der Betrieb besteht bis heute und wird als Heurigen-Restaurant geführt.
Eine andere Milchmeierei wurde von der Familie Steinböck in der Lainzer Straße 139 (CNr. 7 oder 8) betrieben.
Die Mobilität stieg, die Stadt rückte immer näher, und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verblasste der Dorfcharakter. Die Geschäftsleute bauten ihre Villen und Häuser, die Gewerbelandschaft wurde vielfältiger, doch der Industrie war Lainz nie ein attraktiver Boden.
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Das noch dörfliche Lainz in einem Aquarell um 1820, also zum Zeitpunkt des hier dargestellten Häuserprotokolls. Der Blick geht über die heutige Lainzer Straße und die westlich angrenzenden Häuser zur Lainzer Kirche. Rechts ist ein Teil der ehemaligen Nepomuk-Kapelle an der Einmüdung des Lackenbaches in den Lainzerbach zu sehen.
Das Haus links (östlich der heutigen Lainzer Straße) ist wohl das ehemalige Haus CNr. 7 des Hauers Josef Hallermyer, die gegenüberliegenden Häuser vor der Pfarrkirche waren vermutlich die Häuser CNr. 33 (Familie Fuchs mit Greißlerei) und 34 (Hauer Michael Melchart).
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Nach den turbulenten Ereignissen im Zusammenhang mit dem Revolutionsjahr 1848 wurde als Folge der Aufhebung der Grundherrschaft die selbstständige Gemeinde Lainz gegründet. Auch die neuen Verwaltungsbehörden und Gerichte sowie dass Grundbuch wurden installiert. Über diese Entwicklung wird später berichtet. Der Umstellungsprozess dauerte bis 1850/51.
Das Gemeindegasthaus, in dem auch das Gemeindeamt von Lainz seinen Sitz hatte, wurde schon beschrieben. Die Bürgermeister der neuen Gemeinde waren:
Lainz hatte eine Feuerwehr, die auch bei Großbränden in anderen Gemeinden aushalf.
Wie in vielen bis 1991 selbstständigen Gemeinden waren auch die politischen Vertreter und die Bevölkerung von Lainz zu einer Eingemeindung in die Stadt Wien negativ eingestellt. Gebhard Klötzl schreibt in seinem Buch „Von Bürgermeistern und Affären“ nicht nur über St. Veit sondern auch kurz über die Diskussionen in den anderen Gemeinden unseres Bezirkes, so auch in Lainz (siehe nächstes Hauptkapitel über Hietzings Metamorphose).
Nach der Eingemeindung ab 1892 veränderte sich das Bild des neuen Stadtbezirkes entscheidend, das gilt auch für Lainz.
Durch die starke Bevölkerungszunahme und die vielen Neubauten stieg auch der Bedarf an neuen sozialen und humanitären Einrichtungen. Die älteste davon war das Lainzer Versorgungshaus – später Geriatriezentrum am Wienerwald – das 1902 bis 1904 auf den bis dahin landwirtschaftlich genutzten Flächen westlich von Lainz errichtet wurde, aber heute auch schon Geschichte ist.
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Im ausgehenden 19. Jahrhundert war die Dampftramway ein wichtiges Verkehrsmittel, die von Hietzing entlang der heutigen Lainzer Straße und der Speisinger Straße Verbindungen von Wien und bis nach Mödling herstellte und zahlreiche Haltestellen hatte. Sie wurde ab 1907 schrittweise durch Straßenbahnen (59, 60, 360) ersetzt.
Über die ab 1859 errichtete Verbindungsbahn wird die einem eigenen Kapitel ausführlich berichtet. Sie hatte in Lainz eine Haltestelle zwischen Veitingergasse und Jagdschloßgasse. Die beiden Bahnsteige waren über einen Steg verbunden, der noch 1968 bestand. Die Haltestelle war auf beiden Seiten der Bahntrasse von der Jagdschloßgasse und der Veitingergasse durch Wege erreichbar. Diese Station Lainz wurde später aufgelassen und der Steg anlässlich der Elektrifizierung der Bahnlinie abgebrochen. Bei der Jagdschloßgasse wurde ein neuer Betonsteg errichtet, der inzwischen wegen verschiedener Schäden gesperrt ist.
Die Haltestelle Speising lag nicht weit entfernt knapp südlich an der Grenze zur Nachbargemeinde Lainz. Dort war eine wichtige Umsteigestelle zur Dampftramway und später zur Straßenbahn. Diese Station besteht noch und wurde 1989 als einzige Haltestelle des 13. Bezirkes in das neue Schnellbahnnetz eingebunden.
Das Stationsgebäude der Dampftramway in Lainz befand sich nach der heutigen Kreuzung der Lainzer Straße mit der Fasangartengasse und dem Lainzer Bach. Ein Nachfolgegebäude blieb noch längere Zeit bestehen und wurde nach Umbauten für Geschäfte verwendet. Das Foto unten zeigt dieses ehemalige Stationsgebäude im März 1969.
Steg bei der ehemaligen Haltestelle Lainz der Verbindungsbahn, fotografiert im November 1968
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Das Dorfleben wird sich in Lainz von anderen Gemeinden nicht wesentlich unterschieden haben. Die Informationen sind leider spärlich.
Der „Gesangsverein Speising-Lainz“ feierte 1953 im Restaurant Eder (Lainzer Straße 144) das 60. Bestandsjahr mit einem Ball. 1954 und 1955 wurde ebenfalls zu Bällen eingeladen und zwar jeweils unter dem Titel „Narrenabend“. Über das dorfübergreifende Faschingsleben in Lainz und Speising berichtet das Faschingskapitel ab →Seite 717.
Die Lainzer Straße im Bereich der einmündenden Jagdschloßgasse vor 1908. Zu sehen ist außer der Dampftramway in erster Linie die von 1886 bis 1965 bestandene Herz-Jesu-Kirche des Jesuitenordens hinter dem Nebengebäude des ehemaligen Jagdschlosses links an der Ecke zur Jagdschloßgasse. Beide mussten 1965 dem Sozialen Bildungshaus und der Konzils-Gedächtniskirche weichen.
Der Bereich zwischen Lainzer Pfarrkirche und Jagdschloßgasse um das Jahr 1910. Das kleine Gebäude mit der Markise und den Kutschen davor ist die Lainzer Straße 144, einst das Gasthaus Gober, später das Gasthaus Eder, jetzt ein chinesisches Restaurant. Die Kirche ist heute die Syrisch-orthodoxe Kirche St. Ephrem.
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Eine alte Eintrittskarte in das Tonkino Lainz, sie könnte für den 6. Jänner 1939 gewesen sein.
Im Gasthaus Trinkler (Lainzer Straße 151) hatte der Bienenzuchtverein Ortsgruppe Wien II seinen Sitz. Überliefert ist die Festrede des Altobmanns Othmar Löhnert anlässlich der 50-Jahr-Feier im Mai 1971.
Im Josefsaal der Pfarre in den Räumen des alten Meierhofes an der Jagdschloßgasse wurde durch viele Jahre von der Pfarrjugend Lainz Theater gespielt. Auch im Gasthaus Eder gab es einen Saal mit Bühne, der oft für Theateraufführungen und Feste genützt wurde.
Das beliebte Ton-Kino von Lainz in der Waldvogelstraße am Rand der Siedlung Lockerwiese gibt es auch nicht mehr, daneben
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Auf der Kuppe des Küniglberges waren Wiesen, im zu Lainz gehörigen höchsten Punkt des Küniglbergs stand eine 1883 errichtete neugotische Kapelle, die oft Malfattikapelle genannt wird, richtig aber Hummelkapelle heißen sollte. Sie wurde zur Erinnerung an J. Hummel, den Gründer des „Neuigkeiten Weltblattes“, erbaut. An seinem Sterbetag wurde hier alljährlich eine Messe gelesen. Den gebräuchlichen Namen erhielt sie vielleicht von dem unweit gelegenen, einst größten Privatbesitz Alt-Hietzings, dem Malfattipark mit dem Malfattischlössl in seiner Mitte. Das alte Schloss wurde demoliert, als die Familie Taussig an seiner Stelle ein neues Gartenschloss errichtete. Johann Paptist Malfatti war ein berühmter und wohlhabender Arzt, der unter anderem zum Leibarzt Erzherzog Karls und der Erzherzogin Maria Beatrice von Modena-Este und des Herzog von Reichstadt (Sohn Kaiser Napoleon I.) avancierte.
Im Sommer 1938 musste die Kapelle dem Bau einer Flak-Kaserne weichen. Sie wurde abgetragen und auf das Gelände des ehemaligen Lainzer Friedhofes an der Ecke Fritz-Moravec-Steig / Fasangartenstraße versetzt. Seit 1990 heißt die Örtlichkeit „Malfattipark“.
war die „Gastwirtschaft zum Waldvogel“ von Gustav Zika, die wie auch andere Gasthäuser ein gern besuchter Treffpunkt war. Dort befindet sich jetzt ein Supermarkt.
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Ein Foto aus dem Seemann-Archiv mit Blick auf den Küniglberg vom Roten Berg aus gesehen. Die villenmäßige Verbauung der ehemaligen Weingärten ist schon weit fortgeschritten, doch auf dem unverbauten Plateau steht noch die Hummel-Kapelle. Rechts weiter entfernt das Zentrum von Lainz mit der Kirche und dem Exerzitienhaus der Jesuiten, dominant vor dem Küniglberg der Schulbau in der Veitingergasse 9. Er wurde 1933/1934 von der Gemeinde Wien im neuen Siedlungsgebiet am Rand von Lainz und Ober St. Veit als Volksschule und Hauptschule nach Plänen des Architekten Hans Stöhr errichtet. 1945 wurde die Schule nach dem Schulreformer Otto Glöckel benannt.
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Die Flak-Kaserne auf der Kuppe des Küniglberges wurde in atemberaubenden Tempo errichtet, sie war von Haus aus für die Luftraumverteidigung vorgesehen. Mitbestimmend war die gute Funkverbindung auf dieser exponierten Lage. Die Kaserne bedeckte etwa die Fläche des heutigen ORF-Geländes. Wie die Maria-Theresien-Kaserne überlebte auch die Kaserne auf dem Küniglberg den Luftkrieg um Wien mit geringen Schäden. Nach
Der Spatenstich zur Kaserne auf dem Küniglberg (aus den Berg-Alben)
Aufnahme aus dem Jahr 1970. Allmählich weicht die Kaserne dem im Bau befindlichen ORF-Zentrum. Foto: ORF
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Oben: Ausschnitt aus dem Generalregulierungsplan 1904.
Er zeigt die Kapelle am Küniglberg mit dem Hinweis auf das Patrozinium „Heilige Familie“ und nördlich davon den ausgedehnten Park um die Villa Malfatti mit der Adresse Küniglberg 1.
Oben links: die Hummelkapelle auf dem Küngiglberg
im Jahre 1931
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dem Krieg wurden die Kasernen von der englischen Besatzungsmacht benützt. Im Jahr 1951 wurde von dieser auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne am Küniglberg ein Feldflugplatz angelegt. Die zwischen den Gebäuden angelegte 30 Meter breite und 300 Meter lange Start- und Landebahn war nur für einmotorige Flugzeuge geeignet.
Die Flakkaserne wurde bald aufgegeben und zuletzt, am 6. Mai 1955, auch die Rollbahn auf dem Küniglberg. Das Gelände wurde dann von einige Firmen genutzt. Die verfallende Kaserne – eine geplante Radarstation wurde wegen des Landschaftsschutzes verworfen – wurde schließlich abgetragen und nach jahrelangen, schon 1960 begonnenen Planungen 1969 mit dem Bau des heutigen ORF Zentrums begonnen. 1976 war es fertiggestellt.
Die Fasangartenkaserne wurde nach dem Staatsvertrag als Ausbildungskaserne für das Bundesheer adaptiert.
Zwischen Schönbrunn und dem Wienfluss hatte es ein weiteres britisches Flugfeld für kleine Flugzeuge gegeben, das im Sommer 1945 errichtet worden war. Dessen Flugbetrieb blieb ebenfalls bis zum Abzug aus Österreich im Jahr 1955 aufrecht.
Villenviertel entstanden in Lainz erst ab dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. 1904 errichtete der Erste Wiener-Beamten-
Die Siedlung Lockerwiese um das Jahr 1930. Der Blick weist von der Camillanergasse auf die zum Hauptplatz erweiterete Faistauergasse mit dem dominierenden Sgraffito von Georg Samwald.
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Am Tag der Wiener Bezirksmuseum 2017 wurde auch in Hietzing das Thema „Gemeindebauten“ behandelt und eine interessante Ausstellung präsentiert. Hier der Blick auf die Plakatwand zur Lockerwiese vor der Wand mit Foto und Modellen zur Werkbundsiedlung
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Bau-Verein die Siedlung „In der Hagenau“, auch „Beamten-Cottage“ genannt. Von der Wohnungs-Genossenschaft „Ostmark“ wurde ab 1913 die Ostmarksiedlung oberhalb der Fasangartengasse gebaut.
Beliebte und oft besprochene Ziele architektonisch interessierter Besucher sind die Siedlung Lockerwiese um die geschwungene Faistauergasse (1928–1932 und 1938–1939) und die Werkbundsiedlung zwischen Jagdschloßgasse und Veitingergasse (1930–1932). Die Siedlung Lockerwiese ist die zweitgrößte Garten Stadtsiedlung von Wien, die Gemeinde Wien war der einzige Bauträger. Bei dieser Siedlung mussten die Mieter keine händische Eigenleistung mehr erbringen, wie es bis dahin bei anderen Siedlungsbauten üblich war. Die Siedlung Lockerwiese umfasst jetzt 599 Reihenhäuser und 25 Geschoßbauten mit 186 Wohnungen (Stand 2016 lt. Wiener Wohnen).
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Ein etwas ungewöhnlicher und nur kurze Zeit genießbarer Blick auf das Hauptgebäude der Werkbundsiedlung, fotografiert am 21. März 2017
Der informative Kiosk innerhalb der Werkbundsiedlung als Aussenstelle des
Bezirksmuseums Hietzing
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Drei Ansichten vom Abhang des Küniglberges. Die Erste ist mit dem Jahr 1899 datiert und meines Wissens das einzige Foto aus Lainz, das noch einen Weingarten zeigt. Die zweite Ansicht stammt aus den 1920er-Jahren und das Panorama unten wurde am 30. Juli 2005 fotografiert (zwei Teile). Seit der Verbauung des Küniglberges und dessen Verwaldung gibt es kaum noch öffentlich zugängliche Stellen mit dieser Aussicht.
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Wer in die Vergangenheit St. Veits blickt, erkennt bald ein ausgesprochen wechselhaftes Schicksal. Als eine der ältesten Ansiedlungen der Region weit vor den schützenden Mauern Wiens gelegen, war es allen kriegerischen Einfällen und gegen die Hauptstadt anstürmenden Heerscharen schutzlos ausgeliefert. Seuchen (1713 die Pest und 1832 die Cholera) und Naturkatastrophen taten ihr Übriges, sodass der Ort wiederholt in Trümmer gelegt, seine Einwohner dezimiert und er in seiner Entwicklung weit zurückgeworfen wurde. Vorteile aus der Nähe zu Wien und aus dem Sommersitz der Habsburger in Schönbrunn, die schöne Lage des Ortes, der nahe Wienflusses und nicht zuletzt die über Jahrhunderte währende prominente Grundherrschaft begünstigen den mehrmaligen Wiederaufbau.
Auf den Hügeln am westlichen Rand des Veitinger Feldes wurde eine Feste gebaut und eine dem Heiligen Veit (wegen der damals in den Urkunden vorherrschenden lateinischen Sprache auch „Sancto Vito“) geweihte Kirche. Wegen der Sicherheit dieses Platzes gegenüber den Überschwemmungen des Wienflusses und anderen Gefahren dürften dort auch der Ort entstanden sein. Er bekam den Namen des Schutzheiligen und bald wurden
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St. Veit ohnweit Wien 1780. Ein sehr detailtreuer Stich von Johann Ziegler. Das Schloss und die barocke Pfarrkirche sind in ihrem heutigen Erscheinungsbild zu sehen. Im Vordergrund ist gerade eine Weinernte im Gange. Der Weinbau war eine wichtige Lebensader des Dorfes.
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lokale Begebenheiten nur mehr damit in Zusammenhang gebracht.
Das tatsächliche Alter St. Veits ist allerdings nicht bestimmbar. Der erste bekannte schriftliche Hinweis auf den Ort St. Veit an der Wien ist die Folge eines im Jahr 1195 beendeten Rechtsstreites um einen Weingarten in Baumgarten. Die Niederschrift ist im Formbacher Traditionsbuch erhalten. Zwei der angeführten Zeugen („Albertus et Ernst de Sancto Vito“) stammten aus Sankt Veit. Der Bezug auf das richtige St. Veit wird durch die benachbarte Herkunft anderer Beteiligter bestätigt. Ab dem 13. Jahrhundert werden Urkunden mit Hinweisen auf St. Veit häufiger. Ab dem 14. Jahrhundert geben sie auch Hinweise auf Flurnamen, die sich bis heute – teilweise in Straßenbezeichnungen – erhalten haben: Zum Beispiel am „stockigen Weg“ oder in den „Linsäckern“.
Die Auflistung der Zeugen in der Urkunde aus dem Jahr 1195 enthält auch Albert und Ernst von St. Veit. Weitere Zeugen sind unter anderem Otto, Erchenbret von Hacking, Marquard von Ütelndorf, Ulrich von Haviwa (Auhof?), Wichpot von Prantense (Breitensee), Hermann von Pomerio (Baumgarten). Somit beziehen mehrere Orte ihre Erstnennung aus dieser Urkunde.
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Das Ortsgebiet St. Veits war von allen heute zum 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing gehörenden ehemaligen Wiener Vororten das ausgedehnteste. Es reichte von den Abhängen des Lainzer Tiergartens bis zur heutigen Lainzer Straße mit dem Wienfluss als nördliche Grenze und dem fruchtbaren „Veitinger Feld“ in seiner Mitte.
Für lange Zeit war St. Veit an der Wien wohl auch der wichtigste Ort im Umkreis, denn bis zum Ende der Grundherrschaft war hier auch der Sitz des Landgerichtes mit der Zuständigkeit für Baumgarten, Hacking, Hietzing, Lainz, Penzing und Speising.
Als Besitzer der Feste und Herrschaft St. Veit wurden ab 1315 die Herren von Topel genannt und von diesen erwarb Herzog Rudolf IV., der Stifter, 1361 Schloss und Herrschaft. Nach Arrondierungen des Besitzes um weitere Zukäufe übertrug ihn Herzog Rudolf 1365 gemeinsam mit der Herrschaft Lainz und Speising der Domprobstei zu St. Stephan als Stiftungsausstattung.
Klötzl: Von Bürgermeistern und Affären
Kraft, Josef: Aus der Vergangenheit von Ober-St. Veit. Wien: Europäischer Verlag, 1952
Twerdy: Geschichte des Wienerwaldes,
siehe www.1133.at/Bericht 340
Weissenbacher: In Hietzing gebaut
Protokoll zum Franziszeischen Kataster
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1468 wurde aus der Domprobstei St. Stephan das Bistum Wien. Die Bischöfe und ab 1722 die Erzbischöfe blieben bis zum Ende der Grundherrschaften 1850 die Grundherren St. Veits und behielten bis 1985 das seit den Herren von Topel bestehende Patronat. Im Rahmen dieses Patronates stand dem Vorschlagsrecht zur Besetzung der Pfarrerstellen die Pflicht zur baulichen Erhaltung der Kirche gegenüber. Dem verdankt Ober St. Veit wohl auch seine prächtige Kirche.
Diese kontinuierliche Besitzgeschichte wurde zweimal unterbrochen: 1762 verkaufte Kardinal Christoph Migazzi Schloss und Herrschaft St. Veit um 85.000 Gulden an Maria Theresia. In diese Zeit fällt die von ihr angelegte direkte Straßenverbindung des St. Veiter Schlosses mit Schönbrunn, die heutige Hietzinger Hauptstraße. 1779 kaufte Kardinal Migazzi die Herrschaft St. Veit mit dem Schloss von Kaiserin Maria Theresia zurück. Der früher dazugehörige Waldbesitz verblieb aber beim kaiserlichen Waldamt Purkersdorf. Eine auf diesen Interimsbesitz zurückgehende de
Auf einer Nachzeichnung des Bréquin-Plans 1755 von Frau Magarete Platt in der Broschüre „Die Flurnamen von Ober St. Veit und Hacking“ sind auch die früheren Straßenbezeichnungen zu sehen. Diese hatten, mit leichten Abwandlungen, über Jahrhunderte bestand. Das wissen wir vor allem aus den Grundbüchern, die bis ins 14. Jahrhundert zurückreichen. Der jüngste dieser Straßenzüge ist wohl „Auf der Neustift“, 1408 „auf die Newstifft“, später Teil der Neustiftgasse, 1894 in Schweizertalstraße umbenannt. Dieser Ortsteil ist offensichtlich der am spätesten Angelegte und „Bestiftete“. Mit rund 100 Häusern war St. Veit für Jahrhunderte das größte Dorf der Region und dank prominenter Grundherrschaft (seit 1365 Kapitel zu St. Stephan und ab 1469 Bistum Wien) auch politisches und kulturelles Zentrum.
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Die obere Hietzinger Hauptstraße mit Schloss und Kirche
in dem ältesten bekannten
Foto aus dem Jahr 1869
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Sanct Veith an der Wienn in einem Kupferstich von Georg Mathaeus Vischer (1626–1696) aus Topographia Austriae Inferioris. Die erste Ausgabe dieser Ansichten entstand 1672 bis 1679. Dieser Stich von Georg Mathäus Vischer ist die älteste bekannte Ansicht des alten St. Veit. Im Wesentlichen zeigt sie die alte spätgotische noch wehrhafte Landkirche und das vor kurzem erbaute Schloss.
solate Finanzlage führte 1793–1808 zur Verpachtung der Herrschaft an einen Michael Schwinner. Dieser widmete 1803 auf dem landwirtschaftlichen Boden zwischen der heutigen Feldmühlgasse und der heutigen Hietzinger Hauptstraße einen Bauplatz für 100 Häuser zur Erschließung neuer Steuereinnahmen durch meist gewerbliche Zuwanderer: das einem eigenen Ortsrichter unterstellte Neudörfl, bald Unter St. Veit genannt.
Die in bevorzugter Lage auf einem Hügel gelegene Pfarrkirche von Ober St. Veit ist einer der eindrucksvollsten Sakralbauten des 13. Bezirkes. Die Anfänge einer Kirchenanlage an dieser Stelle reichen in das 12. Jahrhundert zurück. Die früheste – indirekte – urkundliche Nennung einer Pfarre St. Veit, und damit auch einer zugehörigen Kirche, ist der zwischen 1260 und 1298 verfasste Brief des Pfarrers Helias von St. Veit an den Amtmann von Baumgarten.
Die heute noch unter dem Chor existierende Unterkirche stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit von diesem frühesten Bau. Sie weist über einem mächtigen polygonalen Mittelpfeiler ein Kreuzgewölbe auf.
1433 gab Domprobst Wilhelm Tuers der Kirche vor allem durch Versetzen der Seitenwände ein wesentlich größeres Haupthaus. Davon berichtet noch heute die an der Außenwand angebrachte, rote Marmortafel. Ein Stich von G.M. Vischer aus dem Jahre 1672 zeigt diese spätgotische, noch wehrhaft angelegte Landkirche.
Zur eingangs schon genannten wechselhaften Geschichte und den schlimmen Zeiten gehörten die Plünderungen durch die Söldnerheere des Königs Matthias von Ungarn bald nach 1480, vor allem aber die Türkenzüge 1529 und 1683, die auch der Kirche stark zusetzten. Diese Schäden dürften allerdings bis zu ihrem Neubau 1742 immer nur notdürftig behoben worden sein. 1742 wurde der gotische Altbau abgerissen (bis auf Unter
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Die stark verwitterte Marmortafel an der Außenwand der Kirche: „Anno Domini 1433 fundatum est templum hoc a domino Wilhelmo Tuers praeposito Viennae“ (Im Jahr 1433 wurde dieses Gotteshaus aufgerichtet von dem Herrn Wilhelm Tuers, Propst zu Wien)
Quelle zur Pfarrkirche u. a. Klötzl, Gebhard – Boberski, Heiner:
700 Jahre Pfarre Ober St. Veit. Wien: Eigenverlag der Pfarre Ober-St. Veit 1987
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Die Ober St. Veiter Pfarrkirche. Fotografiert am 25. April 2009
Das Innere der Ober St. Veiter Pfarrkirche. Fotografiert am
23. Mai 2003
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Die Unterkirche der Pfarrkirche Ober St. Veit, fotografiert am 23. Mai 2003. Um 1800 war sie noch eine geweihte Kapelle, in der sich Altarfiguren der Gottesmutter und des hl. Johannes befanden. Der Altartisch stammt aus dem Jahr 1745. 1904 wurde die Verbindung mit der Oberkirche abgemauert.
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kirche, Altarraum und unterer Turmhälfte) und durch Erzbischof Sigismund Graf Kollonitsch die heute noch bestehende barocke Kirche errichtet. Matthias Franz Gerl war der Baumeister.
Über mehrere Gebäude- und Fassadenrenovierungen sowie Veränderungen im Kircheninneren hinausgehend wurde 1994 ein Kapellenneubau an die Stelle einer 1965 errichteten Taufkapelle errichtet.
Die Vorgängerbauten des Erzbischöflichen Schlosses gehen bis in das 12. Jahrhundert zurück. Die Grundzüge der heutigen Anlage stammen aus den Jahren 1650–54, als Bischof Philipp Friedrich Graf Breuner das Schloss neu aufbaute und um drei Trakte erweiterte.
Die von Erzbischof Sigismund Graf Kollonitsch beauftragten Renovierungs- und Adaptierungsarbeiten gehen auf die Jahre 1725 bis möglicherweise 1745 zurück und bestanden u. a. in der bis heute erhaltenen Fassadengestaltung. Durchgeführt wurde die Erneuerung mit großer Wahrscheinlichkeit von Matthias Gerl d. J. der ja auch den Neubau der Kirche plante. Wahrscheinlich erst im Zuge dieser Bauveränderungen wurde der noch auf dem Vischer-Stich von 1672 (siehe Vorseiten) erkennbare Schlossturm abgetragen.
Das Schloss diente den Bischöfen und Erzbischöfen als Sommeraufenthalt. Auf den von 1762 bis 1779 währenden Besitz von Maria Theresia wurde bereits hingewiesen. In dieser Zeit ließ sie das Schloss von ihrem Hofbaumeister Nikolaus Pacassi umbauen und verschönern. Unter anderem wurden die exotischen Male
Quellen zum Schloss unter anderem Weissenbacher, Gerhard: In Hietzing gebaut: Architektur und Geschichte eines Wiener Bezirkes. Wien: Verlag Holzhausen, Band I 1996, S. 96 ff.
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Noch ein Blick zurück: Die Weihe der für die Weltkriegsverluste nachgegossenen Ersatzglocken durch Kardinal Piffl (verdeckt unter dem Bischofsstab) am 17. Mai 1928. Rechts im Vordergrund Kooperator Franz Maierhofer, das Buch haltend Kooperator Michael Buschnan.
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reien von Johann Bergl angebracht. Nach dem Rückkauf stellte Kardinal Migazzi in einem Großteil des Schlosses ein Exerzitienhaus mit Herbstwohnungen für Alumnen ein.
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Die ebenerdigen Zimmer im östlichen Trakt des Schlosses Ober St. Veit enthalten Fresken des Malers Johann Bergl (geboren 1718 in Königshof, gestorben 1789 in Wien). Diese Fresken zeigen exotische Meerlandschaften, üppige Parks mit Gewächsen der südlichen Zonen, alles mit wilden Tieren und verschiedenen Szenen staffiert und durch Früchte und Vögel belebt. Fotografiert am 17. Dezember 2012
Der Ostflügel hat im zweiten Stock eine Galerie mit Fresken eines unbekannten Meisters aus dem 18. Jahrhundert. Die 1945 stark beschädigte Malerei wurde 1966 durch das Bundesdenkmalamt restauriert. Nach einem Brand im Mai 1996 war eine Generalsanierung notwendig, die fast ein Jahr in Anspruch nahm. Sie wurde vom Bundesdenkmalamt zusätzlich zur Versicherung, die nur die Reinigung finanziert hätte, mitgetragen. Fotografiert am 17. Dezember 2012
Über einem gering profilierten Kranzgesims sitzt das Ziegelwalmdach mit interessant geformten Schornsteinen. Im Inneren haben sich die Rauchfangkehrer vergangener Jahrhunderte verewigt. Fotografiert am 17. Dezember 2012
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Auch Kardinal Gustav Piffl (1913–32) stellte den Bau als Alumnat zur Verfügung; 1928 wurde der erste Jahrgang eröffnet. 1937 richtete man im Schloss ein Caritas-Altersheim ein, von 1964 bis 2013 war das Seminar für kirchliche Berufe darin untergebracht, heute ist es das diözesane Missionskolleg Redemtoris Mater.
Durch Kardinal Kollonitsch wie auch durch Bischof Johann Josef Graf Trautson (1751–57) waren zahlreiche bedeutende Kunstschätze in das Schloss gekommen. Darüber berichtet ein ausführlicher Beitrag in der Österreichischen Kunsttopografie 1908.
Die von Kardinal Kollonitsch 1742 neu angelegte mit drei Springbrunnen versehene Parkanlage wurde von Bischof Trautson inkl. Glashaus erweitert. 1809 wurde der Park von den Franzosen verwüstet und die ursprüngliche Situation später nicht mehr wiederhergestellt.
Ein interessantes Detail der Schlossanlage ist ein unterirdischer Gang, der von einem an der Nordwestseite des Palais gelegenen Keller an der Nordseite der Kirche entlang in zum Teil gekurvter Form bis zur Firmiangasse führte. Ursprünglich endete er in dem offen fließenden Marienbach. Aufgrund der Dimension und des geknickten Verlaufes ist der Gang mit großer Wahrscheinlichkeit als Fluchtweg konzipiert und später als Kanal verwendet worden. Siehe dazu die Beschreibung in „Unterirdisches Hietzing“.
Ein anderer ziegelgemauerter Gang führt in ca. zwei Meter Tiefe unter dem Park vor der Kirche zum Wolfrathplatz. Sein Querschnitt gleicht einer auf den Kopf gestellten Birne. Der Gang ist nur gebückt begehbar. Mit großer Wahrscheinlichkeit mündete er in die mittelalterliche Kelleranlage unter dem Wolfrathplatz, die 1899 beim Bau der Dampftramway zum großen Teil zugeschüttet wurde.
Für einen Gang, der laut mündlicher Überlieferung bis in das Wiental führen soll, gibt es keine Belege.
Gemäß Protokoll zum Franziszeischen Kataster 1820 können den im Plan rechts oben eingetragenen Konskriptionsnummern folgende Hausbesitzer zugeordnet werden:
0Erzbischof Fürst Hohenwarth, Kirche
1Erzbischof Fürst Hohenwarth, Schloss
2Johann Wanzka, Pfarrer
3Gemeinde St. Veit, Schulhaus
4Georg Gaubmann, Hauer
5Jackob Geiger, Hauer
6Joseph Gaubmann, Hauer
7Joseph Reiter, Hauer
8Michael Huber, Hauer
9Michael Pantlitschko, Hauer
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10Michael Linner, Hauer
11Sebastian Pamstl, Hauer
12Johann Buchhamer sen., Hauer
13Franz Föhrmann, Hauer
14Lorenz Schott, Hauer
15Sebastian Puranner, Hauer
16Joseph Eisenbauer, Hauer
17Joseph Gaubmann, Hauer
18Joseph Rinpold, Hauer
19Jackob Konrad, Hauer
20Michael Stampfer, Hauer
21Johann Buchhamer sen., Hauer
22Martin Preitner, Hauer
23Anna M. Premreiner, Hauerin
24Karl Kornprobst, Hauer
25Anna M. Nawecker, Binderin
26Johann Kaiser, Fleischhauer
27Andreas Seiferth, Wirt
28Joseph Schwab, Hauer
29Michael Grois, Hauer
30Martin Hickersberger, Hauer
31Joseph Mosbacher sen., Hauer
32Jackob Sauer, Hauer
33August Reiter, Hauer
34Georg Gaubmann, Hauer
35Georg Hofkirchner, Hauer
36Joseph Hegl, Hauer
37Martin Gaubmann, Hauer
38Franz Mohr, Hauer
39Martin Pirringer, Hauer
40Joseph Nusterer, Hauer
41Leopold Kuster, Hauer
42Joseph Konrad, Hauer
43Michael Bergmann, Bestandwirth
44Joseph Huber jun., Hauer
45Joseph Geiger, Hauer
46Georg Stacherl, Hauer
47Michael Edler von Held, Wechsler in Wien
48Johann Pohl, Schuhmacherin
49Johann Götz, Hauer
50Joseph Müllner, Hauer
51Balthasar Hickersberger, Bauer
52Jackob Hofbauer, Bäcker
53Friedrich Richter, Hutmacher
54Anna Maria Becker, Hauerin
55Georg Berg, Hauer
56Martin Gaubmann, Hauer
57Stephan Gaubmann, Hauer
58Franz Konrad, Hauer
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Sankt Veit im Franziszeischen Katasterplan 1819. Eine Bearbeitung aus dem Jahr 1974. Darin sind die 1974 noch bestehenden historischen Gebäude rot eingezeichnet. Die Feldmühle (Haus CNr. 129) liegt östlich dieses Planausschnittes an Unter St. Veit angrenzend.
59Joseph Kuster, Hauer
60Jakob Ehring, Hauer
61Benedickt Schmidt, Wundarzt
62Benedickt Schmidt, Wundarzt
63Leopold Dorfinger, Hauer
64Willhelm Beer, Schlossermeister
65Lorenz Kuster, Hauer
66Joseph Reigl, Hauer
67Joseph Föhrmann, Hauer
68Lorenz Höberth, Schullehrer
69Leopold Wachner, Weissgeschirrmacher
70Johann Bügel, Hauer
71Georg Mutsch, Hauer
72Georg Geiger, Hauer
73Andreas Seitz, Gradltrager in Wien
74Georg Fahshold, Bauer
75Gottlieb Billy, Bauer
76Anton Glasauer, Bauer
77Emerenzia Glasauer, Bäuerin
78Joseph Scherak, Buchhalter bei der Handlung
79Michael Glasauer, Bauer
80Michael Glasauer, Bauer
81Martin Kuster, Hauer
82Jackob Reigl, Hauer
83Michael Peitl, Hauer
84Andreas Brumer, Hauer
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85Michael Reitter, Hauer
86Jackob Peitl, Hauer
87Magdalena Lenz, Hauerin
88Joseph Kuster, Hauer
89Ignatz Huber, Bindermeister
90Franz Jagendorfer, Zimmermeister
91Michael Glasauer, Bauer
92Johann Paptist Zahlkas, Regierungsrat
93Ignaz Simon, befugter Tandler in Wien
94Gemeinde St. Veit, Viehhirt
95Johann Lang, Hauer
96Joseph Mosbacher jun., Hauer
97Jakob Nuster, Hauer
98Andreas Seitz, Gradltrager in Wien
99Joseph Kornprobst, Hauer
100Joseph Pattig, Krämer
101Anna M. Fischbacher, Tischlerin
102Franz Konrad, Hauer
103Johann Premreiner, Hauer
104Domminick Schattinger, Hauer
105Johann Mohr, Hauer
106Johanna Kellner, Hauerin
107Joseph Huber, Hauer
108Leopold Pernreiter, Hauer
109Michael Schabel, Hauer
110Martin Rothfuchs, Hauer
111Johann Gebharter, Hauer
112Michael Pruckberger, Hauer
113Anton Huber, Hauer
114Anna Maria Kuster, Schuhmacherin
115Leopold Kornprobst, Hauer
116Jakob Satzer, Hauer
117Franz Geiger, Hauer
118Joseph Rucker, Hauer
119Georg Bauer, Hauer
120Gemeinde St. Veit, Zinshaus
121Ferdinand Hörrmann, Hauer
122Stephan Weismann, Hauer
123Michael Kerschbaum, Hauer
124Jakob Prinz, Hauer
125Paul Harmansberger, Hauer
126Erzbischof Fürst Hohenwarth,
Kanzlei und Verwalterwohnung
127Karl Eder, Wagenmeister
128Joseph Schwe, Hoffederschmücker
129Ignaz Baron Leykam,
Wirtschaftsrat bei Fürst Ditrichstein,
Feldmühle
130Mathias Szeyderich, Sattler
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Ober St. Veit 1907, Aquarell gezeichnet Bajicek. Das Bild gibt noch einen Eindruck vom bäuerlichen Ober St. Veit. Die Häuser liegen am Kirchenhügel, unten im „Veitinger Feld“ liegen die Ackerflächen. Die früher auf den Wienerwaldhängen dominierenden Weingärten waren allerdings schon im 19. Jahrhundert verschwunden.
131Johann Schmidt, Freyschlächter
132Andreas Rinpold, Hauer
133Theresia Kokl, Hauerin
134Michael Bauderer, Hauer
135Michael Pfannel, Müllner
136Lorenz Linner, Wundarzt, Baustelle
Haupterwerbszweige der St. Veiter waren von Anfang an der Ackerbau, die Milchwirtschaft und in besonderem Maße der Weinbau. Den intensiven Weinbau für die gesamte Klippenzone des Wienerwaldes bestätigt unter anderem die Wienkarte von Georg Matthäus Vischer aus dem Jahr 1670. Als nennenswerter Exporteur landwirtschaftlicher Produkte ist St. Veit an der Wien allerdings – mit Ausnahme der später besonders florierenden Milchproduktion – niemals aufgefallen.
Einen Eindruck von der Zusammensetzung der Flächen gibt die folgende Tabelle aus dem Protokoll zum Franziszeischen Ka
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tasterplan 1820. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist darin noch die mittelalterliche Flächennutzung erkennbar.
Ein Teil der Weingärten, der Äcker und des Waldes war schon in frühesten Zeiten in auswärtigem Besitz, Eigentümer waren die Kartause Mauerbach, Wiener Spitäler, Kirchen, Bürger etc. Für die lokale Wirtschaft förderlich erwiesen sich die Wiener Bischöfe, die nicht nur die Grundherren waren und Kirche und Schloss erhielten, sondern das St. Veiter Schloss auch zu ihrem Sommersitz erkoren hatten.
Allerdings hatte der St. Veiter Wein nicht die Qualität, um die Probleme des 19. Jahrhunderts zu überdauern. Dies ist schon in der frühen Beschreibung der Landwirtschaft Ober St. Veits im Rahmen der „Darstellung des Erzherzogthums Oesterreich unter der Ens“ von Franz Xaver Schweickhardt evident. Der 1833 gedruckte siebente Band zum „Viertel unterm Wienerwald“ schreibt dazu auf den Seiten 54 und 55:
Die Bevölkerung von hier beträgt 277 Familien, 589 männliche, 628 weibliche Personen und 315 Schulkinder. Der Viehstand umfasst 56 Pferde und 143 Kühe. Die Einwohner, größtentheils Kleinhäusler, sind Hauersleute, welche wenig Ackerbau, dagegen mehr die Weinpflege und hauptsächlich einen Milchhandel nach Wien treiben. Sie besitzen Hausgärten, jedoch haben sie nur wenig Obst. In guten Jahren ist der St. Veiter Wein als ein wohlschmeckender Gebirgswein gesucht, in schlechten Jahrgängen aber sauer und nur gering im Werthe. Das hiesige Klima ist sehr gesund aber scharf, und die Gegend starken Winden ausgesetzt. – Das Trinkwasser ist gut.
Auf Seite 64 wird nochmals auf die Landwirtschaft eingegangen:
Die meisten Erzeugnisse sind Wein und Milch, welch letztere die Einwohner täglich zum Verkaufe nach Wien führen, was ihnen den besten Erwerbszweig liefert. Vorzügliches Augenmerk wird auf die Wiesenkultur gerichtet. Nach diesem Zweige folgt
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die Rebenpflege; ganz gering aber ist der Ackerbau, der bloß Korn, Gerste und Hafer liefert. Obst gibt es wenig. ... Fischerei gibt es keine und die Jagdbarkeit besteht bloß aus einigen Hasen.
Das ehemalige Weinhüterhaus an der Adolfstorgasse. Das Kreuz gegenüber steht heute noch, die Weingärten hinter dem Kreuz schon lange nicht mehr, sie verschwanden um 1925. Zu dieser Zeit wurden auch fast alle Weingärten am südlichen Hang des Gemeindeberges aufgegeben.
In der Mitte eines der ältesten Fotos des Areals um das ehemalige Gasthaus „Zur schönen Aussicht“ in der Gemeindeberggasse 71 in dessen erster Ausbaustufe. Ersichtlich sind zwei schmale Weingärten, die sich den Hang hinauf bis zur Häuserzeile an der Gemeindeberggasse zogen. Der linke Weingarten führte zur „Schönen Aussicht“, der rechte ganz schmale zum Haus der Familie Tropp. Sie waren Bauern und hatten Pferde, Kühe, Schweine und Ziegen. Das waren die letzten Weingärten Ober St. Veits, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg verschwanden.
Ein Blick in den historischen Weinkeller des Heurigen Schneider-Gössl in der Firmiangasse 11, fotografiert am 4. Oktober 2009. Die alten, noch aus Döltls Zeit stammenden Fässer warten auf ihr absehbares Ende. Den uralten mit Steinen ausgemauerten Brunnen gibt es nach wie vor (Bild unten).
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Der Weinbau kämpfte somit schon damals mit Problemen und die bevorstehenden Katastrophen wie die anhaltende Trockenheit, die aus Amerika eingeschleppten Pilzkrankheiten und schließlich das Auftreten der Reblaus 1872 vernichteten die Altkulturen. Nur wenige Rieden wurden neu bepflanzt. Wurden 1819 noch 123 Joch Weingärten gemessen, so waren es 1891 nur mehr 20 Joch. Waren 1819 noch 92 von 101 landwirtschaftlich tätigen Hausbesitzern Weinbauern, so gab es 1880 nur mehr sechs Weinhauerfamilien: Kuster, Pohl, Purraner, Mohsbacher, Höflinger, Reigl und Riel. Die letzten Weingärten am südlichen Hang des Gemeindeberges und in der Adolfstorgasse verschwanden um 1925, ein ganz kleiner unterhalb der „Schönen Aussicht“ zur Wlassakstraße gelegener nach dem Zweiten Weltkrieg.
Einen Ersatz schaffte die steigende Milchnachfrage aus Wien und schon in Schweickhardts Bericht wird vom „Augenmerk auf die Wiesenkultur“ gesprochen, wohl anstelle ehemaliger Weingärten. Der Höhenflug der lokalen Milchwirtschaft lässt sich auch am Viehbestand ersehen: Im Jahr 1833 gab es 143 Kühe, im Jahr 1869 zähle man bereits 273 und im Jahr 1880 378 Kühe. Darüber hinaus hatte es Ober St. Veit 1869 118 Pferde, 101 Schweine, 62 Ziegen und 92 Bienenstöcke gegeben. 1851 wurde eine öffentliche Viehschwemme errichtet und bis 1859 besaß die Gemeinde stets zwei Stiere, dann wurden sie verkauft.
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Der Hof des Hauses Hietzinger Hauptstraße 143, ca. im Jahre 1905: Die Milchbauernfamilie Wimpissinger mit zwei Dienstmägden und vier Schweizer. Das Holzgebäude rechts beherbergte unten den Stall für die Ochsen und Pferde und oben das Lager für landwirtschaftliche Werkzeuge und Geräte. Das gemauerte Gebäude hinter dem Treppenaufgang enthielt oben den Getreidespeicher und unten die Küche und Wohnräume. Ganz hinten der neueste, das Areal gegen die Hietzinger Hauptstraße abschließende Gebäudeteil, der die moderneren, bürgerlich-repräsentativen Wohnräume enthielt.
Hietzing
Das Geschäft mit der Milch verlangte auch den Frauen große Mühe ab: Sie fuhren um 4 Uhr früh in die Vorstädte und in die Stadt, um ihre Erzeugnisse zu verkaufen. So wurde z. B. die Milch der Meierei Eisenhuber in der Firmiangasse 5 an einem Stand bei der Mariahilfer Kirche angeboten (Weissenbacher: In Hietzing gebaut, Band I, Seite 33).
Aber auch die Milchwirtschaft und mit ihr die Reste des Ackerbaus mussten der Verstädterung Ober St. Veits weichen. Die letzten Meiereibesitzer in Ober St. Veit waren die Familien Glasauer (Glasauergasse 34, bis 1946) und Wimpissinger (Hietzinger Hauptstraße 143, bis 1962). Auch die Familie Ruckenthaler in der Vitusgasse 6 wird als eine der letzten Meiereien genannt. Nach 1945 und bis in die 1950er-Jahre soll man von hier aus die Kühe zur Weide auf die Himmelhofwiese getrieben und bis in die 1960er-Jahre im Stall gehalten haben. Die letzten Kühe haben Ober St. Veit am 27. Jänner 1978 verlassen, als auch das St.-Josefs-Heim am Stock im Weg die Kuhhaltung beendete. Die Milchwirtschaft hatte den Weinbau bloß ein Jahrhundert überlebt.
Die malerische Landschaft, die gute Luft und die nachziehende Gastronomie lockten mithilfe der im selben Jahrhundert verbesserten Verkehrsverbindungen zahlreiche Sommergäste und Ausflügler nach Ober St. Veit, und die freien Flächen wurden – wie Jahrzehnte zuvor in Hietzing – zunehmend mit Villen und Landhäusern verbaut. Trotzdem machen die verbliebenen Grünflächen, die teilweise auch verwaldeten, und der historische Dorfkern frühere Beschreibungen wie die folgende aus der
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Ein eigenes, teilweise sehr kräftiges Leben im Ort führten die Gärtnereien, die durch ihre forcierte Bodennutzung auch im dichter besiedelten Raum einen wesentlichen Beitrag zur Versorgung leisten konnten. Das Foto unten zeigt den Gartenbau Viktor Baumgartner im Jahre 1905: Im Hintergrund das Wohnhaus, links davon die Burschenkammer für den Gärtnergesellen, davor der Vorraum. Links im Bild ein abgedecktes Pulthaus, die damalige Form der Glashäuser mit ca. 1 Meter unter Erdniveau vertiefter Sohle. Zur Beheizung wurden „Kanalheizungen“ durch das Erdhaus geführt, in der Nacht musste zweimal (meist billiges Knorpelholz) nachgelegt werden. Zur Nordseite war die Anlage mit Erde bedeckt, die Sonnenseite gewandten Fenster wurden für die Nacht mit Brettern bedeckt. Rechts Viktor Baumgartner, Gärtmer in zweiter Generation, vor dem ersten beidseitigen Glashaus mit Bleifenstern.
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Biedermeierzeit nachvollziehbar: „Ober St. Veit hat offenbar von allen Dörfern um Schönbrunn die schönste Lage und ist ein stattliches Dorf von 141 Häusern, 1600 Einwohnern, meistens Weinbauern und Milchmeier (der Ort hat bei 150 Kühe)“. (Adolf A. Schmidl: Umgebungen Wiens, 1835–1839).
Ganz anders entwickelten sich die Wienflussnahen Gegenden. Dort siedelten sich vorwiegend Handwerker und Industriebetriebe an. Sie zogen ein Heer von Zuwanderern an, die als arme, in kleinen Mietwohnungen lebende Arbeiterschicht einen deutlichen Kontrast zu den vornehmen Villengegenden schufen.
Als eine der Folgen der Revolution 1848 wurden die Grundherrschaften aufgehoben und an ihrer Stelle staatliche Verwaltungsbehörden und Gerichte installiert. Für die Ortsgemeinden wurde die Gemeindeselbstverwaltung eingerichtet, Ober- und Unter St. Veit wurden dabei allerdings zur Ortsgemeinde „St. Veit an der Wien“ zusammengefasst. Das Gemeindehaus befand sich auf dem Grundstück Hietzinger Hauptstraße 164. Der St. Veiter Gemeindekotter verblieb im ehemaligen Amtshaus der Grundherrschaft, dem späteren Mesnerhaus (CN 126, Firmiangasse 1). Die Eintragungen im Gewährbuch wurden nun statt „Vor dem Grundbuch der Herrschaft St. Veit“ mit „Vor dem Grundbuch der Amtsverwaltung St. Veit a. d. Wien“ unterschrieben.
Der Umstellungsprozess währte bis 1850/51. Letzter Ortsrichter von St. Veit war der Milchmeier Michael Premreiner und erster Bürgermeister wurde der Kaufmann Michael Schmid. Die letzte grundbücherliche Eintragung über Abgaben, die an die Herrschaft St. Veit zu entrichten waren, ist mit 16. Oktober 1848 datiert.
Die Gerichtsbarkeit und Grundbuchsangelegenheiten werden den staatlichen Gerichten übertragen. Für St. Veit zuständig ist das Grundbuchamt des k.u.k. Bezirksgerichtes Hietzing.
1867, wirksam erst ab 1870, kam es zur Trennung der beiden Ortsteile Ober- und Unter St. Veit, um schon 22 Jahre später mit der Gründung des 13. Wiener Gemeindebezirkes in diesem
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Der Trennungsplan 1868
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wieder zusammengeführt zu werden (Gesetz vom 19. Dezember 1890, in Kraft getreten mit 1. Jänner 1892).
Aus der endgültigen Entscheidung der Grenzziehungsfrage war auch eine Kuriosität entstanden: die Enklave „Neu-Ober St. Veit“. Durch den neuen Ortsteil Unter St. Veit wurde das alte Territorium St. Veits in zwei Teile zerschnitten und insgesamt 16 Häuser der Lainzerstraße, die heutigen Nummern 57 – 83, waren zu einer winzigen, zwischen Unter St. Veit und Hietzing gelegenen aber zu Ober St. Veit gehörenden Enklave geworden. Fallweise wurde dafür auch die Bezeichnung „Neu-Hietzing“ verwendet.
Der Weg der Neu-Ober St. Veiter zu ihrem zuständigen Gemeindeamt war nun wesentlich weiter als zum nahegelegenen Zentrum Hietzings. Die Zugehörigkeit dieser Häuserzeile war für die Gemeindeverwaltung Ober St. Veits vielleicht auch eine Prestigefrage, sicher aber eine Finanzfrage, denn es handelte sich um eine sehr vornehme Häuserzeile mit durchwegs biedermeierlichem und teuer vermietbarem Landhausbestand. Der sogenannte Mietzinskreuzer, eine Steuer in Höhe von zwei bis fünf Kreuzern auf jeden bezahlten Mietzinsgulden, in Ober St. Veit erhob man seit 1866 stets drei Mietzinskreuzer, waren eine substanzielle Einnahmenquelle für die Gemeinde.
Die Bewohner von Neu-Ober St. Veit waren aber aus vielerlei Gründen mit dieser Lösung und den sich daraus ergebenden Kuriositäten unzufrieden und richteten mehrere, allerdings erfolglose Petitionen an verschiedene Stellen. Erst 1883 platzte dem
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Die Lainzer Straße in einem Foto des Archives Seemann vor 1907. Auf der linken Seite die Häuser Nr. 73 aufwärts und auf der rechten Seite Nr. 50 bis Nr. 60. Zur Zeit der Aufnahme gehörten diese Häuser bereits zur KG Hietzing, bis 1870 waren sie Teil von St. Veit an der Wien, bis 1883 waren sie Teil der Enklave Neu-Ober St. Veit. Die Lainzer Straße war zur Zeit der Aufnahme noch unbefestigt, nur die Gehsteige und Teile der Gleise der Dampftramway gepflastert. Der Ober St. Veiter Teil der Lainzerstraße erhielt 1868 eine Gasbeleuchtung, die sommerliche Bespritzung der Gassen in der Enklave erfolgte auf Kosten Ober St. Veits – man wollte den Bewohnern offenbar das Verbleiben bei Ober St. Veit schmackhaft machen.
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Landesausschuss der Kragen, und zwar im Zusammenhang mit einem Kanalbauprojekt, vor allem aber wegen der kleingeistigen Einsprüche Ober St. Veits gegen die von der Dampftramwaygesellschaft Krauß & Co. seit 1881 projektierten Tramwaylinie von Hietzing über Rodaun nach Mödling. Noch im selben Jahr einigte sich Ober St. Veit mit Hietzing auf eine Pauschalentschädigung von 2500 fl. für den künftigen Steuerausfall und trat die Enklave ab. Das unnatürliche Kuriosum „Neu-Ober St. Veit“ hatte sein Ende gefunden.
Über das Gaststättenwesen im alten St. Veit ist wenig überliefert. Aber genau so wie in vergleichbaren Dörfern werden auch bei uns alle Entwicklungsstufen von der privaten Gastfreundschaft über die kirchlich oder herrschaftlich organisierte bis zur gewerbsmäßig betriebenen Gaststätte durchlaufen worden sein.
Wesentliche Vorbedingungen für das Gaststättenwesen haben wohl auch in unserer Region die Erzeugung und der Ausschank von Wein und anderen alkoholischen Produkten geschaffen. Von der – durch herrschaftliche Bestimmungen und Begehrlichkeiten dominierten – Entwicklung des Schankrechtes, sei hier abgesehen und der Fokus auf St. Veiter Besonderheiten gelegt.
Auch hier bildete sich allmählich der berufsmäßig konzessionierte Gastwirt heraus, der auch Speisen und Unterkunft für Fremde anbot. Meist lag er in der Nähe der Kirche und war gleich ihr zum gesellschaftlichen Mittelpunkt der Gemeinde geworden.
Während im städtischen Bereich ab dem 18. Jahrhundert Kaffee, Tee und Kakao an die Stelle des Weins zu treten begannen, ging diese Entwicklung an Dörfern wie St. Veit an der Wien vorbeigegangen. Von der Zeit an, in der die Gastwirtschaften in der Regionalgeschichte St. Veits auftauchen, war der Wein das gastronomische Rückgrat und blieb es bis zuletzt. Einer Predigt im Jahr 1789 zufolge waren die Wirtshäuser die ganze Nacht über mit Säufern besetzt.
Die älteste Spur dieser Einrichtungen findet sich in den Grundbüchern spätestens ab dem 16. Jahrhundert, als von dem auf der Praittenzeil stehenden Zechstüberl CNr. 103 (Firmiangasse 8) die Rede ist. Es blieb lange in diesem Haus und wurde von den Familien Schöls und Linner bewirtschaftet.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts gab es auf der Miethstatt bereits zwei Gasthäuser. Ein anderer Gasthof, der sich im Zusammenhang mit St. Veit weit zurückverfolgen lässt, lag weit vor den „Toren“ St. Veits, am Hietzinger Rand des Veitinger Feldes, dort wo die St.-Veiter-Straße (heute die Auhofstraße) Hietzing erreichte. Er diente weniger den Einheimischen, sondern trotz aller Abgeschiedenheit des Dorfes den Fremden. Die Pfarrkirche in St. Veit hatte über lange Zeit den Status einer Wallfahrtskirche. Wie in anderen, dem heiligen Veit gewidmeten Kirchen war auch
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Das bis vor kurzem am Ottakringer Bräu, Auhofstraße 1, angebrachte Schild des Schwarzen Hahns
Exzerpiert aus Holzapfel, Josef: Historisches Ober St. Veit, Handwerks- Gewerbe- und Vereinsgeschichte. Wien, 2009
Die kabarettreifen Vorkommnisse während der Zeit der Enklave „Neu-Ober St. Veit“ sind im Buch Gebhard Klötzls „Von Bürgermeistern und Affären“ festgehalten.
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in ihr das Huhnopfer üblich. Am 15. Juni, dem Veitstag, wurden junge meist schwarze Hähne mit zusammengebunden Beinen auf den Altar gelegt. Von diesem Brauchtum hatte die Gaststätte wohl auch ihren Namen abgeleitet, sie hieß „Zum schwarzen Hahn“, und aus diesem Brauchtum bezog sie ihr Hauptgeschäft als Raststätte der Pilger auf dem Weg nach St. Veit.
Das Gasthaus lag zwar am Rande Hietzings, gehörte jedoch zur Grundherrschaft des Erzbistums Wien. Die Gemeinde St. Veit hatte im Jahre 1649 den damals „öden Grund“ vom Grundherrn erhalten und darauf das Schankhaus errichtet. Die Grundbücher führten seitdem „Richter und Gemeinde St. Veit“ als Besitzer und bestätigten Abgaben von einem „Schanckhaus bey Hietzing“, oder „Leutgebhaus (oder Leuthgebhäusl) und Garten auf der Wien“. Schön lässt sich daraus der Brauch des Leitgebens als Ursprung dieser Schank ablesen. Mit der Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts endete das Huhnopfer und damit auch der Pilgerstrom als Hauptgeschäft des „Schwarzen Hahns“. Das Gasthaus und der Garten wurden 1794 von Privaten ersteigert. Der „Schwarze Hahn“ bestand bis 1900, dann (1902) wurde von Moritz Edler von Kuffner an seiner Stelle das „Ottakringer Bräu“ errichtet. 1987 wurde es von Eva und Ewald Plachutta als „Hietzinger Bräu“ übernommen.
Ein weiteres in die Vergangenheit zurückverfolgbares Gasthaus war das im Haus Konskriptionsnummer 120 (heute Firmiangasse 13). Dieses Haus hatte die Gemeinde St. Veit im Jahre 1648 von der Kartause Mauerbach erworben und über lange Zeit als Gemeindehaus verwendet. Im Erdgeschoß war ein stets verpachtetes Gasthauslokal untergebracht. Das Haus besteht noch, wurde aber 1832 von der Gemeinde gegen andere Gebäude eingetauscht.
Die Zahl der Dorfbevölkerung St. Veits war bis ins 19. Jahrhundert überschaubar und für deren Bedarf genügten wenige
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Eines der ältesten Fotos eines St. Veiter Gastbetriebes: „Zum schwarzen Hahn“, ca. 1890. Das Gasthaus lag zwar am
Rande Hietzings, gehörte jedoch zur Grundherrschaft des Erzbistums Wien. Die Gemeinde St. Veit hatte im Jahre 1649
den damals „öden Grund“ vom Grundherrn erhalten und darauf das Schankhaus gebaut. 1902 wurde an seiner Stelle
das „Ottakringer Bräu“ errichtet (Auhofstraße 1).
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Gasthäuser. Unter den Hausbesitzern gemäß Protokoll zum Franziszeischen Kataster aus dem Jahre 1820 gab es den Wirten Andreas Seifert im Haus Konskriptionsnummer 27 (heute Hietzinger Hauptstraße 149) und den Bestandwirt Michael Bergmann im Haus Konskriptionsnummer 43 (Einsiedeleigasse 5). Gemeinsam mit dem Wirten im Haus Konskriptionsnummer 120 (Gemeindehaus in der Firmiangasse 13) und dem Schwarzen Hahn werden das wohl alle Gasthäuser des Ortes zu dieser Zeit gewesen sein.
Aber das sollte sich jetzt rasch ändern. Waren die Menschen bisher nur auf Reisen, wenn sie aus beruflichen oder anderen Gründen mussten, so strömten sie jetzt aus purem Vergnügen scharenweise hinaus in die Natur. Ausflug und Wirtshausbesuch gingen natürlich Hand in Hand und die Gastronomie profitierte, de schönen Landschaft wegen auch die in St. Veit.
Andreas Seifert aus der Hietzinger Hauptstraße Nummer 149 war einer der Ersten, der diesen neuen Trend nutzte. Er kaufte dem Handelsmann Ignatz Leopold Strodl im Jahre 1823 die Einsiedelei ab und errichtete dort eine Gaststätte mit Meierei. Es wurde ein gemütlicher Ausflugsort mit Tanzsaal, zweistufigem Garten, herrlichem Park und weiter Fernsicht über ganz Wien. Über Jahrzehnte strömten die Ausflügler dorthin. Ein anderes, viel späteres Beispiel ist das Weinhaus Doll am Stock im Weg.
Gemäß Franz Xaver Schweickhardt befanden sich im Ober St. Veit des Jahres 1833 „nebst einem hübschen Kaffeehaus auch mehrere Gasthäuser, wovon jenes an der Anhöhe gelegene, wo vordem die Einsiedelei stand, eine vorzügliche Erwähnung verdient“.
Sich wirklich durchsetzen und zum Vergnügen werden konnten diese Massenbewegungen aber erst mit der Verbesserung der Transportmittel. Die harten Reisewagen wie zum Beispiel der Zeiselwagen waren um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert durch gefederte, in Riemen hängende Kutschen ersetzt worden. Dazu gehörte vor allem der vor dem Gemeindegasthaus Magd
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Das „Buen retiro“des Ehepaares Weidman wurde zu Alfred Dolls Weinhaus Doll am Stock im Weg (Ghelengasse 44). Dieses Foto aus dem Jahr 1913 zeigt den gut besuchten Gastgarten. Heute ist es das Gasthaus Lindwurm.
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len (an der Ecke Hietzinger Hauptstraße/Glasauergasse) haltende Stellwagen. Er wickelte bis zum Einsatz der Dampftramway 1887 den größten Teil dieses Ausflugsverkehrs ab.
Aber nicht nur der Tourist brachte der Ober St. Veiter Gastronomie gewaltigen Aufschwung, sondern auch der gleichzeitig stattfindende tiefgreifende demografische Strukturwandel. Einwanderer aus vielen Teilen der Monarchie überfluteten den Ort förmlich, und deren Lebensweise und Geselligkeit brachte insbesondere dem Gastgewerbe einen wahren Höhenflug.
Schließlich stieg die Zahl der Gaststätten auf ca. 40 und alle kamen auf ihre Rechnung. Einige dienten vorwiegend den Ausflugsgästen, die meisten aber waren Treffpunkte der Einheimischen und Sitz der zahlreichen Vereine (siehe folgendes Kapitel), wobei jede soziale Gruppe „ihre“ Wirtshäuser hatte. Die Fabrikarbeiter vom Winkler & Schindler und die Dienstnehmer der zahlreichen Werkstätten im Bereich der Amalienstraße hatten genauso ihre eigenen Lokale wie die alt eingesessenen Bürger von St. Veit oder die aus der Stadt neu hinzugezogenen Beamten und Pensionisten.
Die Wirtshäuser waren der Mittelpunkt des Privatlebens, andere Vergnügungen kannten die Menschen kaum. Auto, Fernsehen und alle anderen Verlockungen des Konsums gab es nicht. Nach Hause zog es niemand, denn die eigene Wohnung war meist notdürftig und klein. Man trank, aß, kommunizierte und sang herzhaft, die Burschen rauften regelmäßig. Niemand musste um den Führerschein bangen, der Vollrausch war die Normalität. Die Menschen trugen ihr ganzes Geld dorthin, solange es eben reichte. Die Wirten hatten ihre Freude. Der Wirtshausbesuch war keine reine Männersache mehr, zunehmend trafen sich auch die Familien oder wurden von den Familienoberhäuptern in bestimmte Lokale ausgeführt.
Sonntags gab es in den zahlreichen Wirtschaften Musik. Volkssänger, Schrammelmusikanten oder Militärmusikkapellen
Das Gemeindegasthaus Magdlen, Hietzinger Hauptstraße 168.
Hier, wo heute die Gebäudefront der Ober St. Veiter Volksschulen beginnt, stand ein bis zur Straße vorgerücktes Konglomerat aus vier Häusern, in dem sich auch dieses Gasthaus befand. Davor hielt der Stellwagen. Damit war das Gasthaus gleichzeitig eine Art Wartehalle und ein idealer Umschlagplatz für Neuigkeiten. Hier konnte man bei einem Glas Bier mehr erfahren als anderswo. Hier erfuhr auch der Volksschriftsteller Vinzenz Jerabek so manche Episode aus dem Dorfleben und so manche „b’soffene G’schicht“. Diese beschreiben das Wesen des entfesselten Ober St. Veiters aber als recht düster.
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Die 1953 am Haus Hietzinger Hauptstraße 141 angebrachte Gedenktafel erinnert an das erstmalige Erklingen des Deutschmeistermarsches.
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unterhielten das zahlreiche Publikum. Von den in Ober St. Veit aus der Taufe gehobenen Melodien hat wohl der „Deutschmeistermarsch“ von Wilhelm August Jurek (18. März 1893 im Ober St. Veiter Casino, Hauptstraße 141) weltweit den größten Bekanntheitsgrad; das verhältnismäßig junge Lied „I hab’ halt a Faible für Ober St. Veit“ wurde zur St. Veiter Hymne und kann heute noch feuchte Augen machen.
Selbst das mit der Industrialisierung einhergehende Elend tat dem regen Leben in den Lokalen keinen Abbruch. Viele Betriebe überdauerten die Kriege und die schlimme Zeit dazwischen und danach. In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg florierte das Geschäft noch, dann ging es konsequent bergab.
Der wirtschaftliche Aufschwung brachte bessere Wohnungen und viele andere Möglichkeiten, sein Geld auszugeben. Die Jagd nach dem Geld stahl die Zeit und jeder musste eilen. Vor allem aber: Der Rausch wurde zur Ausnahme, die Konsumationen kontrollierter. Das starke Bevölkerungswachstum in der Region konnte die kargen Zeiten für die Wirte nicht lindern. Einer nach dem anderen schloss; heute gibt es in Ober St. Veit gerade noch eine Handvoll an bodenständigen Betrieben.
Zusammenhalt, gegenseitige Hilfe und das gemeinsame Leben von Traditionen waren immer schon der Wesenszug jeder Gemeinschaft – von der Familie bis zum Staat. Ausprägungen und erfasste Bereiche unterliegen natürlich ständiger Wandlung, bei uns stark geprägt vom christlichen Weltbild. Auch wurde die Abgrenzung dieses Bereiches von der Erwerbsarbeit früher weniger deutlich empfunden als heute. Erst die Schärfung des Arbeitsbegriffes im Rahmen der Industrialisierung verdeutlichte den Unterschied von Erwerbsarbeit und Freizeit und damit auch den Unterschied zwischen Erwerbsarbeit und geselligem Bereich.
Ein wesentlicher Teil des jüngeren gesellschaftlichen und kulturellen Lebens war (und ist) in Vereinen organisiert. Die Ver
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Der Heurige Döltl, Firmiangasse 11, in einem Foto aus dem Jahr 1915. Rechts hinter dem Gitarrenspieler ist das Wirtsehepaar Carl und Josefa Döltl zu sehen. Interessant sind die an den Schürzen befestigten Geldtaschen. Heute ist dort der Heurige Schneider Gössl. In dessen Gastgarten wurde vom Duo Tschapek, das Lied „I hab' halt ein Faible für Ober St. Veit“ komponiert.
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einsfreiheit war eine der gefeierten liberalen Verfassungserrungenschaften des Jahres 1867 gewesen. 1870 gab es in Ober St. Veit fünf von Bürgermeister Hentschel – nach seinen Angaben von ihm selbst – gegründete Vereine, nämlich einen Verschönerungs-, einen Kranken- und Leichenverein, einen Spar- und einen Leseverein, ferner einen „Anti-Herr-von-Verein“, in dem jedes Mitglied, das jemanden mit „von“ anspricht oder auf die Anrede „Herr“ vergisst, eine Strafe von drei Kronen in die Vereinskasse zahlen musste.
Von den Aktivitäten des schon 1856 gegründete Verschönerungsverein erfährt man erstmals durch den erhaltenen Jahresbericht von 1866: Neu hergestellt wurde die Parkanlage am Achhammer und steuerte der Verein auch zur Errichtung des Hüterhauses am Hagenberg bedeutend bei, indem dieser Bau auf seine Kosten mit einer Terrasse versehen wurde, wodurch er zugleich als Aussicht und Ruhepunkt dient, heißt es da. Aus dem Vereinsjahr 1868 wird berichtet: Alle Wege wurden zweimal gereinigt, neue Bänke und Bäume gesetzt und durch die besondere Spende Sr. Eminenz des H. Kardinals ein neuer sehr angenehmer Promenadeweg am Girzenberg eröffnet. Der Verschönerungsverein bestand noch lange über die Eingemeindung hinaus, bis in die heutige Zeit weitergetragen wurde aber vor allem die von ihm veranlasste Einebnung der Reste der frühmittelalterlichen Hausberganlage auf dem Gipfel des Gemeindeberges.
Von den weiteren zahlreichen Vereinsgründungen unterschiedlicher Lebensdauer und Prominenz seien hier nur fünf hervorgehoben: der Ober St. Veiter Männergesangverein, der Drahrer-Club, die Schützengilde Tell, die vereinsmäßigen Träger der bis heute andauernden Theaterspiele und schließlich der – schon in den Bildungsbereich hineinragende – Verein zum Besten armer Kinder „Elisabethinum“.
Sehr bemerkenswert ist der Ober St. Veiter Männergesangverein: Damals nahm gerade das „deutsche Sängerwesen“ großen Aufschwung, das in Wien und Umgebung schon eine stattliche Reihe von Männergesangvereinen hervorgebracht hatte. Auf Initiative des damals erst 19-jährigen Volksschullehrers Franz Lauer entstand 1870 auch in Ober St. Veit ein solcher Männergesangverein mit gleich 40 Gründungsmitgliedern, deren Chormeister, später nur noch Ehrenchormeister, jener Franz Lauer über 60 Jahre lang blieb. Anders als die Mehrzahl der übrigen, zum Teil nur kurzlebigen Vereine spielte er im öffentlichen und kulturellen Leben des Ortes eine nachhaltige Rolle. Die Vereinsfahne spendete die Bürgermeistersgattin Maria Hentschel, womit sie zur „Fahnenmutter“ wurde, zusätzlich übernahm noch die angesehene Bürgersgattin Marie Weidlich die Rolle der „Fahnenpatin“. Am 27. Juni 1875 fand die feierliche Fahnenweihe statt. Über dieses Fest existieren noch chronikale Notizen, die einen Eindruck davon vermitteln, mit wieviel Pomp und Festesfreude man damals solche Ereignisse inszenierte:
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Die Mitglieder des Männergesangvereines nach der Festmesse zur 100-Jahr-Feier auf dem Weg ins Vereinsheim im Ober St. Veiter Casino. An der Spitze Fahnenjunker Willi Schnabel mit der Vereinsfahne.
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Feuerwehr und Männergesangverein bei der 50-Jahr-Feier des Männergesangvereines 1920. Links ist ein Teil der Fahne des Männergesangvereines gut zu erkennen. In der Mitte der ersten Reihe sitzt Franz Lauer, geboren 1851 in Ober St. Veit, städtischer Lehrer in Ruhe, Gründer und Ehrenchormeister des Männergesansvereines.
Bei diesem bedeutsamen Fest war ganz Ober Sankt Veit auf den Beinen. Schon in aller Herrgottsfrühe des von einem prächtigen Frühlingswetter eingeleiteten Sonntages, kamen als allen Himmelsrichtungen die Brudervereine angerückt. Hochwürden Pfarrer Josef Wenzel weihte unter einmaliger Massenbeteiligung die Fahne und die Ober Sankt Veiter Sänger sangen die Deutsche Messe von Franz Schubert. Richtig los ging das Fest aber erst am Nachmittag. Nach dem Segen setzte sich ein von allen Seiten bejubelter Festzug in Bewegung. An der Spitze des Zuges marschierte die Jugend von Ober Sankt Veit in Festkleidern. An sie schlossen vierzig teilnehmende Vereine. Alles Sänger von auswärts und jeder Verein mit Fahne. Hinter den Sängern kamen die Ober Sankt Veiter Tell-Schützen. Dann folgte die freiwillige Feuerwehr. Jetzt erst kam die Fahnenmutter mit den Ehrendamen und dem Ober St. Veiter Männergesangverein, allen voran der Fahnenjunker mit der neuen Fahne. Seine stattliche Erscheinung, die durch die altdeutsche Tracht noch gehoben wurde, machte einen ungemein gefälligen Eindruck. Den Abschluss der Fahnenweihe bildete dann ein abendliches Festkonzert beim Frischholz im Ober Sankt Veiter Casino. Der Männergesangverein bestand weit über
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Aus dem Faschingstreiben in Niederösterreich: Der Faschingszug in St. Veit. Handkolorierter Holzstich nach der Originalzeichnung von Wilhelm Gause aus 1899. Wilhelm Gause (1853–1916) war Schüler der Akademie in Düsseldorf und ab 1879 in Wien als Illustrator tätig. Er malte vor allem Genrebilder aus dem Volksleben und Gouachen als Vorlagen für den Holzschnitt.
Ende der alten Gemeinde Ober St. Veit hinaus und wurde – zum gemischten Gesangverein mutiert – erst 1999 aufgelöst.
Eine Drehscheibe des fröhlich-geselligen Lebens von Ober St. Veit war auch der 1886 gegründete Geselligkeits- und Humanitätsverein „Drahrer-Club“. Die treibende Kraft war der Gastwirt Franz Rainer: Jahrzehntelang organisierte dieser Verein am Faschingsdienstag den alljährlichen Ober St. Veiter Faschingszug, der stets um drei Uhr nachmittags vom Gasthaus Rainer, Auhofstraße 141, seinen Auszug hielt und tausende Neugierige bis Wien und Umgebung anlockte. Die älteste Nachricht von einem Faschingszug stammt aus 1864, damals suchte der 25-jährige Zimmerer Josef Geiger bei der Gemeinde an, unter seiner Garantie einen Faschingszug abhalten zu dürfen, was ihm mit dem Bemerken genehmigt wurde, dass bei diesem Zuge alle Unsittlichkeiten und das Publikum belästigenden Vorgänge zu vermeiden sind. Das Vereinsleben und der Faschingszug hielten sich bis 1936 und wurde von Emma Zorga als Narrenzentrum Ober St. Veit wiederbelebt. Mehr zum Fasching auch in Ober St. Veit ist im Rahmen des Kapitels Fasching in Hietzing ab →Seite 717 zu lesen.
Über die 1869 gegründete Schützengilde wird im Beitrag ab →Seite 768 zu den Sportschützen berichtet. Das Kapitel „Gesprochenes“ ab →Seite 665 berichtet auch zu den Ober St. Veiter Theaterinstitutionen.
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Nun zum Ober St. Veiter Verein zum Besten armer Kinder „Elisabethinum“ bzw. dessen vorangehende Einrichtungen. Wilhelm Schmidt eröffnete 1865 im Haus Einsiedeleigasse 3 eine Kinderbewahranstalt. Ohne jegliche öffentliche Unterstützung war er gänzlich auf Spenden angewiesen. Der Bestand dieser Einrichtung war aber nur von kurzer Dauer. Zwei Jahre später wurde nach Bemühungen des Ober St. Veiter Bürgermeisters und Betriebsdirektors der Westbahn, Ing. Alexander Strecker die Kinderbewahranstalt in der Schweizertalstraße 18 untergebracht werden. Texte und Berichte von Zeitzeugen legen nahe, dass bis lange nach dem zweiten Weltkrieg die Unterbringung und Erziehung armer Kinder im Vordergrund stand und vor allem die Intuition der Leitung und später der Schwester Oberinnen den Weg wies. Bald nach dieser Eröffnung, am 18. Juli 1867 wurden die Statuten des „Ober St. Veiter Verein zum Besten armer Kinder und der für diese bestimmten Anstalten“ von der Hohen k. k. nö. Statthalterei genehmigt. Kaiserin Elisabeth übernahm das Protektorat, daher der Beinamen „Elisabethinum“.
Die Vitusgasse mit dem Elisabethinum im Jahr 1910
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In der Mitte
Sr. Innocentia Pögl
im Kreise ihrer Handarbeitsschülerinnen.
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Noch im selben Jahr gelang es der Vereinsleitung, die ehrwürdigen Schwestern vom 3. Orden des hl. Franziskus zur Entsendung einiger ihrer Mitglieder nach Ober St. Veit zu bewegen. Schwester Innocentia Pögl wurde die erste Leiterin des Kindergartens und Oberin der Schwestern. Seitdem liegt – mit Unterbrechungen durch den Nationalsozialismus und den Schwesternmagel – das Schicksal dieser Anstalt in den Händen der Schulschwestern.
Die Anstalt blieb allerdings nicht lange in der Einsiedeleigasse. Auf Bitten der Vereinsleitung stellte bald nach der Gründung Fürsterzbischof Dr. Rauscher den alten Pfarrhof, der an der Stelle des heutigen Elisabethinums stand, unentgeltlich zur Verfügung. 1868 kam auch noch eine Handarbeitsschule („Industrieschule”) für Mädchen bis zum 16. Lebensjahr dazu. Die Raumnot im alten Pfarrhof zwang zu Erweiterungen und nach Ankauf des Pfarrgebäudes durch den Verein gelang die Verwirklichung des schon lange schwelenden Gedankens, hier für die Ober St. Veiter Kinder etwas Vollkommenes zu schaffen. Im September 1906 wurden die neuen Räume in der Vitusgasse 2 eröffnet und am 16. Oktober durch Prälat Johann Menda eingeweiht. An den Feierlichkeiten inkl. Festversammlung nahmen Vizebürgermeister Dr. Josef Porzer in Vertretung des kranken Bürgermeisters Dr. Karl Lueger und weitere Vertreter von Stadt und Bezirk teil.
Die Schicksalsjahre bis nach dem Zweiten Weltkrieg konnten überdauert werden, doch schließlich führt der Nachwuchsmangel zum Abschied der Schulschwestern. Sie werden vorübergehend durch andere Schwestern und dann auch durch weltliches Personal ersetzt. Ab 29. August 2000 gibt es im Elisabethinum keine geistliche Schwester mehr.
Der 2001 gegründete „Schulverein der Schulschwestern vom 3. Orden des hl. Franziskus“ ist aber weiter Träger des Kinderartens, die Kongregation der Schulschwestern die Eigentümerin des Gebäudes.
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Der Brequin-Plan aus 1755 zeigt das alte St. Veit an der Wien kurz vor dem Bau der neuen Straße. Diese Skizze auf Basis des Planes zeigt das Ausmaß des Eingriffes in die alte Bausubstanz. Die Maria-Theresien-Straße ist rot eingezeichnet. .
Die hier anzuführende Ober (auch Unter) St. Veiter Besonderheit, die über das allgemeine Hietzinger Verkehrsthema vom Zeiserlwagen und Stellwagen über die Verbindungsbahn bis zur Stadt- und U-Bahn hinausgehen, sind der lokale Hauptverkehrsweg Hietzinger Hauptstraße und ihre Nutzung als Schienenweg.
Ihre Anlage erfolgte zur Zeit der St. Veiter Grundherrschaft Maria Theresias, so lautete auch ihre erste Benennung: Maria-Theresien-Straße. Vom Bau dieser breit und direkt von Alt-Hietzing nach Ober St. Veit führenden Prachtstraße war vor allem der historische Ortskern St. Veits betroffen. Die neue Straße wurde mitten in das Dorf geschlagen und im Weg befindliche Häuser abgebrochen bzw. verkleinert. Die Keller wurden verschüttet.
Die abgerissenen Bauernhäuser wurden durch bürgerliche, teilweise bereits einstöckige, unterkellerte Häuser ersetzt und hatten immer weniger einen landwirtschaftlichem Hintergrund. Dieses Foto auf der →Seite 235 veranschaulicht den neuen kleinstädtischen Charakter Sankt Veits. Ein großer Teil der alten unterirdischen Gewölbe blieb durch diese Baumaßnahmen unversehrt und über Jahrhunderte hinweg bestehen, teilweise unter den neuen Gebäudezeilen, teilweise aber auch unterhalb des Verlaufes der oberen Hietzinger Hauptstraße. Sie gerieten zunehmend in Vergessenheit. Erst die schwere Belastung der Verkehrsfläche durch die neue Dampftramway ab 1887, die das Straßenniveau langsam einsinken ließ, machte wieder auf sie aufmerksam. Um die Straße zu stabilisieren, mussten alle Hohlräume darunter, also auch die Kelleranlagen, verfüllt werden. Nur die Gewölbe unter den Häuserzeilen blieben frei, aber auch sie wurden im Laufe der Zeit durch unterschiedliche Baumaßnahmen (z. B. Neubau des Buwog-Hauses Ecke Hietzinger Hauptstraße / Einsiedeleigasse
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Aus
Tröscher, Andreas; Schütz, Edgar; Marschik, Matthias:
Das Große Buch der österreichischen Fußballstadien. Göttingen: Verlag Die Werkstatt 2007
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oder Revitalisierung der Gebäude auf der anderen Seite der Einsiedeleigasse) mehrheitlich zerstört.
Diese Straße wurde zur wichtigsten Verkehrsverbindung zwischen den Ortsgemeinden (Ober) St. Veit und Hietzing, später auch Unter St. Veit, und gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit Schienen ausgestattet. Darauf fuhren von 1887 bis 1908 die Dampftramway, betrieben von der Aktiengesellschaft Krauss & Comp., von 1908 bis 1914 die elektrische Straßenbahnlinie 58. 1908 war der Betreiber der Dampftramway von der Gemeinde Wien übernommen und die Linie noch im gleichen Jahr elektrifiziert worden. So wie die Dampftramway kreuzte auch die Linie 58 die Verbindungsbahn niveaugleich und wurde bis Ober St. Veit geführt. Schon damals kam es zu erheblichen Wartezeiten wegen des herabgelassen Schrankens. Der sprunghafte Anstieg des Bahnverkehrs zu Beginn des Ersten Weltkrieges brachte den Straßenbahnbetrieb allerdings fast zum Erliegen (Sperrzeiten bis zu 13 Stunden täglich). Daher trennte man den durchgehenden Verkehr ab 1914 und führte die Linie 58 nur bis zum Bahnschranken in Unter St. Veit. Der Pendelverkehr nach Ober St. Veit wurde der neuen Linie 158 übertragen.
Doch half dies nur bedingt, denn es änderte nichts an den Staus bei geschlossenem Schranken. Anlässlich eines Fußball-Derbys Amateure gegen Rapid vom Februar 1925 fand dies auch einen Nachhall in den Zeitungen. Ein paar Jahre zuvor, am 12. Februar 1922 war das neue Ober St. Veiter Fußballstadion des Wiener Amateur-Sportvereins, kurz „Amateure“, zwischen Auhofstraße und der Premreinergasse eröffnet worden. Die Anlage hatte ein Fassungsvermögen von geschätzt 25.000 Menschen und wurde als die damals modernste Sportanlage ihrer Zeit bezeichnet. Doch ließ der damalige Fußballboom das Stadion gleich wieder zu klein werden und es gab wiederholte polizeiliche Sperrungen wegen Überfüllung.
Das „Sport-Tagblatt“ vom 3. März 1925 berichtete nun über die außer Kontrolle geratende Situation anlässlich des Derbys vom 1. März 1925:
Eine endlos erscheinende Reihe von Autos, wie sie noch nie ein Freudenauer Derby gesehen hat, zog sich von Schönbrunn bis zum Sportplatz in St. Veit dahin, und wenn auf der Verbindungsbahn ein Güterzug die Straße kreuzte, traten Stockungen ein, die den Verkehr schon auf dem Hietzinger Hauptplatze unterbanden. Dazu führte die Straßenbahn und die vorerwähnte Verbindungsbahn unaufhörlich Menschenmassen heran, und schließlich fand sich eine Menge zusammen, die eine Kleinstadt hätte bevölkern können. Das sonst so friedlich dahindämmernde St. Veit, das noch vor einigen Jahren als „Land“ galt, bekam ein völlig verändertes Aussehen. Die alten St. Veiter schüttelten über diese Narrischkeiten der Wiener die Köpfe. Die jungen allerdings nicht, denn sie waren selbst schon
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Der Amateure-Platz
in Ober St. Veit im Jahr 1922. Die gewaltige neue, an die Premreinergasse angrenzende Tribüne des Amateurplatzes und die Holzbänke darunter. Rechts im Hintergrund ist schemenhaft die Ober St.Veiter Kirche erkennbar.
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längst vom Fußballtaumel erfasst worden und schlugen auch diesmal ihr Lager auf dem Sportplatze auf, der eine Menge umfasste, die andre Städte des Kontinents aufbringen.
Um die 50.000 Menschen waren mit dem Automobil, mit der Verbindungs- oder Stadtbahn, mit der „Elektrischen“ oder per pedes gekommen, um die Amateure gegen Rapid spielen zu sehen. Irgendwie fanden 30.000 Einlass, der Rest musste draußen bleiben, wie der Redakteur des „Sport-Tagblatt“ weiter notierte. Hoch zu Ross verkündete schon um drei Uhr die Wache den neu Hinzugekommenen: „Platz überfüllt, kein Einlass mehr möglich.“ Die Menschenmassen ergossen sich sogar auf das Spielfeld, standen direkt an den Outlinien und rund um die Tore geschart, sodass die „Neue Freie Presse“ monierte: „Die Zahl der anwesenden Wachleute war viel zu gering, als dass sie hätten Ordnung schaffen können. (...) Ähnliche Szenen, wie auf dem Sportplatz ereigneten sich dann bei der Endhaltestelle der Straßenbahn, deren Züge dort noch immer umgespannt werden mussten. Die dienstfreie Mannschaft der Straßenbahn war dort gezwungen, Ketten zu bilden und derartig die Garnituren während der Umspannung gegen den Ansturm von gut 20.000 Menschen zu schützen. Was sich dann bei den Kämpfen um die Plätze der jeweils in großen Intervallen heranfahrenden zwei Waggons abspielte, spottet buchstäblich der Beschreibung.“
Das Sicherheitsmanko blieb nicht unerkannt, hatte aber kaum Konsequenzen. In der Generalversammlung vom 18. November 1926 wurde die Änderung des unpassend gewordenen Vereinsnamens in „Fußball-Klub Austria” beschlossen und die Spiele wurden bald anderswo ausgetragen. 1930 wurde das Stadion wegen Baufälligkeit der Tribüne geschlossen.
Der Schranken und die Schienenstränge an beiden Seiten blieben und wurden bis 1958 befahren. Dann musste die niveaugleiche Kreuzung wegen der bevorstehenden Elektrifizierung der
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Verbindungsbahn aufgegeben werden. Die Straßenbahn wurde durch Autobusse ersetzt. Der Wiener Madrigalchor sang 1958 elegisch:
„Nur noch die beiden Schienen
zeug‘n von entschwundener Pracht,
auch diese werd‘n verrost‘n
und schließlich weggebracht...”
So geschah es dann auch, nur ein kleines Schienenstück oberhalb der Fahrschule Hietzing überlebte bis heute.
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Die letzte Fahrt des 158ers am 26. Juli 1958. Die Crew, Trauergäste inkl. Mitglieder des Madrigalchors und Passanten nehmen Abschied von der Elektrischen.
Die letzte Fahrt des 158ers wurde beim Ober St. Veiter Grätzlfest 2008 nachgestellt. Im Bild einige Mitglieder der IG Kaufleute Ober St. Veit und Freunde am 30. Mai 2008 vor dem 158er.
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Die drei räumlich zusammengehörigen Barockhäuser an der Ecke Hietzinger Hauptstraße/Einsiedeleigasse mit den Adressen Einsiedeleigasse 1 und 3 sowie Hietzinger Haupstraße 145 waren dem Verfall preisgegeben und standen vor dem Abbruch. Gerettet wurden sie durch den Wiener Bauunternehmer Ing. Richard Lugner, der sie in den Jahren 1985/86 kaufte und anschließend revitalisierte.
"Altstadterhaltungskomplexes Ober St. Veit", wurde zum Sammelbegriff für Bau- und Denkmalbehörden. Die abwechslungsreiche Geschichte der betroffenen drei Häuser, die bis in das 16. bzw. 17. Jahrhundert zurück verfolgt werden kann, wurde von Dr. Klötzl aus verschiedenen Quellen recherchiert und in seinem in den Wiener Geschichtsblättern veröffentlichten Betrag wiedergegeben. Er kann auch auf www.1133.at/Bericht 73 nachgelesen werden.
Da im Türkenjahr 1683 kein einziges St. Veiter Haus unversehrt blieb, kann davon ausgegangen werden, dass die Häuser Einsiedeleigasse 1, das über die Jahrhunderte das Bäckerhaus von St. Veit war, und Einsiedeleigasse 3 ihre heutige Gestalt dem barocken „Wohnhauswiederaufbau“ nach der Türkenzeit verdanken. Das dritte Hause Hietzinger Hauptstraße 145 entstand erst 1774 im Zuge der Anlegung der „Theresiengasse“ (= Hietzinger Hauptstraße) und wurde vom Inhaber des Nachbarhauses, dem Bäckermeister Jakob Hofstätter, als Haus mit Wohnungen für drei
Aus einem Beitrag von Dr. Gebhard Klötzl in den
Wiener Geschichtsblättern 1997, Heft 4, Seite 250,
siehe www.1133.at/Bericht 73
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Die wesentlichen Gebäude des als „Altstadterhaltungskomplex“ bezeichneten Häuser sind hier zentral im Bild zu sehen. Es ist ein großes Glück, dass es diese Perspektive im Zentrum Ober St. Veits noch gibt und auch den jährlichen Grätzlfesten ihr Ambiente verleiht.
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„Zuleuth“ (Wohnparteien) errichtet. Es handelt sich hier also – sozialgeschichtlich bemerkenswert – um das älteste Mietshaus von St. Veit. Die Initiative dazu hatte die offenbar sozial denkende Grundherrschaft (Erzbistum Wien) gesetzt.
Aus den alten Grundbüchern sind für alle drei Häuser zusammen über die Zeiten mehr als hundert Eigentümer zu entnehmen. Bis zur Wende vom 18. ins 19. Jahrhundert fanden Besitzwechsel meist nur beim Tod der Besitzer durch Erbgang statt, dann setzen häufige, offenbar von Renditenspekulation motivierte Käufe und Verkäufe der Häuser ein.
Gründlich renoviert wurden die drei Häuser im Lauf der Zeit offenbar nie. In den 1920er-Jahren waren sie mit Mietern überfüllt. Der Bauzustand muss schon damals elend gewesen sein, die Baupolizei musste in einem fort einschreiten und Aufträge zur Behebung lebens- und gesundheitsgefährdender Mängel erteilen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Geschäftslokale an der Hietzinger Hauptstraße nach den Bedürfnissen der teils neu einziehenden Geschäftsleute (Wäscherei, Greißler, Drogerie, Papierhandlung, Friseur u. a.) umgebaut. Im Hof befand sich damals noch die Handschuhmacherei Puchhas, die zu besseren Zeiten ein gefragter Lieferant der Wiener Aristokratie, so auch des Thronfolgers Franz Ferdinand, gewesen war.
Die sechziger und siebziger Jahre waren nur noch eine Zeit völligen Verfalls. Die drei Häuser befanden sich in Händen wechselnder desinteressierter Besitzer, die überwiegend nicht hier wohnten und nichts investierten. In der Erwartung künftiger besserer Verwertung, wohl auch in der Hoffnung auf Abbruch der Häuser, ließ man freiwerdende Mietlokale zunehmend leer stehen. Ab den 1970er Jahren mussten die drei Häuser sukzessive gepölzt werden, der Verputz bröckelte ab, der Gesamtzustand wurde immer schlechter. 1977 entging das Haus Hietzin
Das Haus heutige Adresse Einsiedeleigasse 1 stand von 1641 bis etwa 1710 im Besitz der angesehenen Bäcker- und Ortsrichterfamilie Lindemayr. Diese Grabplatte der Bäckermeisterin Katharina Lindemayr (gest. 8.5.1652) ist bis heute in der Außenwand der Pfarrkirche Ober St. Veit erhalten.
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Der Zustand der Häuser vor der Sanierung auf Basis von Fotos aus einem aufgelösten Archiv der MA 37 aus dem Jahr 1974.
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ger Hauptstraße 145 nur aufgrund des Widerstands der Anrainer dem bereits beantragten Abbruch.
Etwa um 1980 wurde die Hietzinger Bezirksöffentlichkeit auf den erhaltungswürdigen barocken Wohn- und Geschäftskomplex aufmerksam, allmählich setzten Sanierungsbestrebungen ein. Interessierte Wohnbaugesellschaften zogen sich jedoch wegen mangelnder Rentabilität wieder zurück und letztendlich kaufte
Ab den 1970er Jahren mussten die drei Häuser sukzessive gepölzt werden, der Verputz bröckelte ab:
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Die Häuser an der Ecke Einsiedeleigasse / Hietzinger Hauptstraße vor und nach der Revitalisierung
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Ing. Lugner , dessen Firma bereits mit Arbeiten beauftragt worden war, den ganzen Altstadterhaltungskomplex, wie er mittlerweile hieß, als Privatperson. Zügig revitalisierte er die Häuser mit seinem eigenen Baubetrieb nach vorliegenden Plänen von Lucas Matthias Lang in den Jahren 1985/86. Die Revitalisierung erhielt 1987 den 3. Stadterneuerungspreis der Wiener Baumeisterinnung. Alle Wohnungen und Geschäfte sind seither auf Mietenbasis vergeben.
Am 20. Juni 1986 wurden die generalsanierten Gebäude mit einer vom Bauherrn selbst gesponserten Operettensoiree im neu geschaffenen Hof festlich eröffnet.
Weitere empfehlenswerte Literatur zu Ober St. Veit und seinen Bauwerken:
Weissenbacher, Gerhard: In Hietzing gebaut: Architektur und Geschichte eines Wiener Bezirkes. Wien: Verlag Holzhausen, Band I 1996 ISBN 3-85493-004-6 und Band II 1998 ISBN 3-900518-93-9
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10 Jahre später erinnerte man sich an die Rettung der Häuser und das schöne Eröffnungsfest. Der Gedanke, den 10-jährigen Bestand der Einkaufspassage mit einem Grätzlfest zu feiern, fand allgemeine Zustimmung. Es war das erste der seit damals jedes Jahr von den Ober St. Veiter Kaufleuten organisierten Grätzlfeste. Auch sie sind auf www.1133.at dokumentiert.
Vorbereitungen für die Eröffnungsfeier
inkl. Operettensoiree
am 20. Juni 1986 mit
Peter Rapp, Ing. Richard Lugner und Magdalena Schneider-Gössl
Im Programm war auch eine Tanzvorführung.
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Das Schloss Schönbrunn fotografiert am 25. Februar 2012 vom Platz vor der Gloriette
Das zu Beginn des 12. Jahrhunderts von Leopold III. gegründete Stift Klosterneuburg verfügte schon sehr früh über Grundbesitz in der Region Meidling und Hietzing. Meidling (Murling) dürfte zum ältesten Ausstattungsgut des Stiftes gehört haben und Hietzing war ab 1263 zur Gänze im Besitz des Stiftes. In den ältesten Aufzeichnungen des Stiftes, dem Traditionskodex und dem Urbar, ist auch der Ort Chatternberch (in unterschiedlichen Schreibweisen) genannt, der an der Stelle des heutigen Schlosses Schönbrunn lag. Dem Testament eines Herbord von Rußbach folgend ist das Gut Chatternberch zwischen 1156 und 1177 an das Stift übertragen worden. Damals wurde Chatternberch zu Hietzing gerechnet, das bis 1340 der Verwaltungsstelle für die Außenbesitzungen des Stiftes („officium“) in Nußdorf unterstand, dann dem neuen „Amt Meidling“. Doch dieses Dorf ist aus unbekannten Gründen bald abhanden gekommen, und nur eine „niederhalb Hietzing an der Wien“ liegende Kattermühle (ebenfalls in den verschiedensten Schreibweisen) ist mit bedeutendem Grundbesitz bestehen geblieben. Diese Mühle, die 1311 erstmals urkundlich erwähnt wird und ebenfalls im Bereich des heutigen Schlosses lag, gehörte allerdings zu Meidling und war damit altes Stiftseigentum.
Pächter der Kattermühle waren für lange Zeit Mitglieder der Familie Neuzel. Der spätere, mit dieser Familie noch verbundene Johann von Nußdorf war es dann, der die Rechte der Familie 1312 an den Propst des Stiftes Klosterneuburg verkaufte.
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Die Mühle hatte in der Folge weitere Pächter, die sich ebenfalls nach der Ansiedlung nannten. Um 1430 kam die Mühle an Erhard Grießer. Dieser war ein mächtiger Mann, unter anderem Kellermeister des Herzogs Albrecht, der für seine Mühle sogar eine Steuerbefreiung, die auch mit der Robotbefreiung verbunden war, erreichte. Als seine Schwester Margret den Linzer Bürger Erhard Vest heiratete, übergab er ihr die Mühle als Ausstattungsgut. Erhard Griesser starb am 24. August 1445 und wurde bei St. Stephan bestattet. Bald darauf war die Kattermühle abgebrannt. 1467 wurde die wieder in Betrieb genommene Mühle an Ernreich Koppel, damaligen Rat der Stadt Wien, verkauft. Doch diesem Kauf stimmte das Stift Klosterneuburg erst 1494 nach Steigerung des Ertrages der Grundstücke (z.B. durch das Aussetzen von Weingärten auf bisherigem Ackergrund) zu.
Bereits 1497 verkauften die Nachfahren Koppels die Mühle an Propst Jacob und den Convent von Neuburg. Das Zubehör der Mühle wird genau angeführt, darunter ca. 50 Joch Äcker. Zum Besitz gehörte damals auch eine Au mit einem darin befindlichem Weingarten. Ab diesem Zeitpunkt gibt es in den Grundbüchern keine Eintragung, die auf eine weitere Verleihung schließen ließe. 1529 wurde die Mühle von den Türken zerstört.
1544 entschloss sich das Stift, die Eigenbewirtschaftung wegen der hohen Unkosten aufzugeben. Propst und Convent gaben die Mühlgründe um 70 Pfund jährlich an Sigmund Kaschler. Obwohl dessen Gehilfe Michael Leitner zum Nachfolger bestimmt worden war, wurde die Mühle nach Kaschlers Tod dem Wiener Stadtanwalt und späteren Bürgermeister Hermann Bayr gegen eine Zahlung von jährlich 40 Pfund leibgedingeweise übertragen. Leitners Klage hatte gegen so einen mächtigen Mann hatte natürlich keinen Erfolg.
Der 29. September 1548, der Beginn der neuen Eigentümerschaft, markiert den Anfang der späteren Bestimmung des Areals, denn Hermann Bayr hatte sofort mit dem Bau eines Herrensitzes begonnen. Ab diesem Zeitpunkt wurde auch die Bezeichnung „Katterburg“ üblich. Das war aber nicht im Sinne des Propstes, denn der wollte nur Mühle und Hof instandgehalten wissen. Doch die Beschwerde des Propstes beim Kaiser beschleunigte die Abkehr von der bisherigen Nutzung des Areals, denn der Kaiser war jetzt auf den neuen Ansitz aufmerksam geworden. Entgegen den Willen des Stiftes musste der Bestandvertrag angepasst werden, nur die gewollte Übertragung von Meidling und Hietzing an den Stadtanwalt konnte verhindert werden. Nach dem Tod Bayrs und seines Sohnes wurde die Katterburg (auch Gatterburg) vom Stift wieder zurückgefordert. Während des Disputes mit den Erbenvertretern bekundete Kaiser Maximilian II. 1.569 sein persönliches Kaufinteresse, dem der Propst zustimmte.
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Siehe dazu www.1133.at/
Bericht 862 und die dort angeführte Literatur
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Somit wechselte das Anwesen per Kaufvertrag vom 8. Oktober 1569 für 4.150 Gulden in habsburgischen Besitz. Betroffen waren das Haus mit zehn oder zwölf Stallungen, die Mühle mit vier Gängen, der Mayerhof mit vielen Zimmern, die Stallungen für Groß- und Kleinvieh inkl. „Schupfen“ und der eingefriedete und mit guten Obstbäumen bepflanzte Garten zwischen der Wien und dem Mühlbach samt großem Weingarten in dessen Mitte. Weiters gehörten umfangreiche Felder zwischen Meidling und Hietzing, Wiesen, Viehweiden und ein „Geraitt“ dazu. 1574 wurde im Tauschweg von der Gemeinde Hietzing weiteres Gebiet dazu erworben. Das Areal umfasste etwa 180 Joch und entsprach – von kleineren Gebietskäufen und Abtretungen in späteren Zeiten abgesehen – dem heutigen Schlosspark.
Der Besitz wurde mit einem Holzzaun eingefriedet und vor allem für Jagdzwecke genutzt. Den vorhandenen Herrensitz ließ Maximilian zu einem zweistöckigem Jagdschloss mit einer Kapelle erweitern. Da die Jagdausflüge nur gelegentlich stattfanden, dürften Unterkunft und Ausstattung sehr einfach gewesen sein.
Die Mühle wurde abgetragen und in kleinerem Umfang außerhalb des Tiergartens in unmittelbarer Nähe zum heutigen Meidlinger Tor wieder aufgebaut; sie bestand bis 1756, zuletzt unter dem Namen Steyrermühle. Nach ihrem Abbruch wurde an ihrer Stelle die von Pferden oder Ochsen angetriebene Wassermaschine des Schlosses, das sogenannte „Amperlwerk“, errichtet.
Von den Nachfolgern Maximilians wurde das Anwesen instandgehalten. Kaiser Matthias soll auch notwendige Wiederherstellungsarbeiten nach den Verwüstungen durch ungarische Söldner im Jahr 1605 veranlasst haben. Ihm wird auch die Entdeckung der Quelle im Jahr 1612 zugeschrieben, die später als „Schöner Brunnen“ namensgebend für das Areal werden sollte. Allerdings muss die Quelle den Jägern immer schon bekannt gewesen sein, vielleicht zeichnete er für die erste Quellenfassung verantwortlich. Dokumentiert ist der Name „Schönbrunn“ erstmals für das Jahr 1642.
Die Witwe Kaiser Ferdinand II., Eleonora von Gonzaga, ließ für ihre Wohnzwecke von 1638–1643 einen Zubau zum bestehenden Schloss errichten. Damit bekam die Anlage das von G. M. Vischer im Jahre 1672 bildlich festgehaltene Aussehen.
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Im Türkensturm 1683 wurde die Anlage zerstört und 1687 gab Leopold I. einen Neubau für seinen Sohn Joseph in Auftrag. Nach längerem Planungsstadium mit pompösen Erstentwürfen kam ab 1696 ein kleinerer Entwurf Johann Bernhard Fischers (Fischer von Erlach), an der Stelle des alten Schlosses zur Ausführung, der bereits das heute bestehende Schloss erkennen lässt. Gleichzeitig wurden auch schlossnahe Gartenbereiche gestaltet. Nach der Fertigstellung des Mitteltraktes geriet der Bau jedoch ins Stocken und wurde später von Joseph I. anders als ursprünglich geplant abgeschlossen.
Die Hochblüte Schönbrunns begann mit der Schenkung des Areals durch Kaiser Karl VI. an seine Tochter Maria Theresia, die schon immer eine Vorliebe für das Schloss und die Gärten gehabt hatte. Unter ihrer Regierungszeit von 1740 bis 1780 wurde Schönbrunn zum kaiserlichen Sommersitz und zum Mittelpunkt des höfischen und politischen Lebens der Monarchie. Schloss und Schlosspark erhielten von namhaften Architekten dieser Zeit (Nikolaus Pacassi, Hetzendorf von Hohenberg etc.) ihre heutige Form inkl. weitläufiger Wirtschaftsgebäude mit Orangerie und Schlosstheater, Botanischem Garten, Gloriette, sonstiger Gartenarchitektur und Menagerie. Letztere wurde 1752 fertiggestellt
Der Khaiserliche Lust und Thiergarten Schenbrunn. Diese Ansicht aus Georg Matthaeus Vischers „Topographia Archiducatus Austriae Inferioris Modernae“ zeigt den Zustand des Schlosses im Jahre 1672. Der linke Teil des Gebäudes ist das alte, wiederhergestellte Jagdschloss Maximilians, rechts anschließend ist der neue, dreigeschoßige, 16-achsige Trakt, den die Kaiserin Eleonora von Gonzaga als Witwe Ferdinands II. (1619-37) zwischen 1638 und 1643 – nach ungesicherter Quelle von Giovanni Battista Carlone – anbauen ließ, zu erkennen. Ein Renaissanceportal führte in dieses „im italienischen Stil“ gehaltenene Schloss. In dem dreiteiligen Gebäude befand sich links eine Kapelle der hl. Magdalena. Der ganze Komplex war zur Wien hin von einer Mauer umgeben, in der Nischen für Stationen des Kreuzweges von Wien nach Mariae Hietzing eingefügt waren, die mit großer Wahrscheinlichkeit der kaiserliche Rat und Hofkammerdirektor ...
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(Fortsetzung der Bildbeschreibung aufder Vorseite)
... Clement von Radolt 1667 hatte errichten lassen. Der Kreuzweg wurde nach den durch die Türken verursachten Schäden generalrenoviert. 1773 verfügte Maria Theresia wegen seines Verfalles den Abbruch und veranlasste die Errichtung eines neuen Kreuzweges in der Hietzinger Kirche.
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und gilt mittlerweile als ältester noch bestehender Zoo der Welt. Die Baugeschichte im Detail ist unter anderem auf der Homepage des Schlosses Schönbrunn dokumentiert.
Der gesellschaftliche Aufstieg Schönbrunns beeinflusste natürlich auch massiv die Entwicklung der umliegenden Dörfer, insbesondere von Hietzing.
Kaiser Josef II., der Schönbrunn weniger liebte als seine Mutter, ließ den Schlosspark 1779 für die Bevölkerung öffnen. Er und seine unmittelbaren Nachfolger bevorzugten andere Residenzen. Allerdings nützte Kaiser Franz II./I. Schönbrunn anfangs des 19. Jahrhunderts Schönbrunn wieder öfters und machte es vor allem nach der zweimaligen Besetzung durch Napoleon (1805 und 1809) vor allem während der Zeit des Wiener Kongresses zum Schauplatz glanzvoller Ereignisse. Im Rahmen einer notwendigen Erneuerung ließ er von 1817–1819 eine neue Fassadengestaltung nach den Plänen des Hofarchitekten Johann Aman ausführen, der der reiche Rokoko-Fassadendekor Pacassis großteils zum Opfer fiel. Damit bekam das Schloss sein heutiges Erscheinungsbild, vermutlich inklusive des „Schönbrunner Gelbs“.
Ab 1848 begann mit der Thronbesteigung Franz Josephs I. die letzte glanzvolle Epoche Schönbrunns in seiner Eigenschaft als Kaiserresidenz. Franz Joseph bewohnte es bis zu seinem Tod am 21. November 1916. In seine Zeit fallen eine durchgreifende Restaurierung und eine modische Anpassung im Inneren, umfassende gärtnerische Erneuerungsarbeiten und die Errichtung des Palmenhauses (1880–1882) auf dem Gelände des Englischen Gartens. Als letztes Bauprojekt des Kaiserhofes wird 1904 neben dem Palmenhaus das Sonnenuhrhaus zur weiteren Unterbringung von Pflanzen errichtet.
Für die Verwaltung Schönbrunns war die Schlosshauptmannschaft Schönbrunn zuständig. Sie scheint seit 1704 in den Schematismen auf, bis 1860 war sie dem Oberstkämmereramt unterstellt, dann dem Obersthofmeisteramt.
Im ab 1817 erstellten Franziszeischen Kataster wurde Schönbrunn in der Mappe 324 als eigene Katastralgemeinde Schönbrunn im Steuerbezirk Hietzing erfasst und 1819 planlich dargestellt. Die Auswirkungen des Endes der Grundherrschaft 1848 auf die Katastralgemeinde Schönbrunn sind noch zu untersuchen.
Schloss und Schlosspark waren in der jüngeren Monarchie Teil des „Hofärars“, also vom Kaiserhaus genutzter Staatsbesitz. Nach der Ausrufung der Republik Deutschösterreich im November
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Schönbrunn im Brequin-Plan um 1755. Dieser schon an die Genauigkeit der späteren Landesaufnahmen heranreichende Plan (nicht genordet) zeigt das Areal zur Zeit Maria Theresias, als Schloss und Park weitgehend ihre heutige Form bekamen. Das Schloss und die Wirtschaftsgebäude waren bereits fertig, Park, Botanischer (Holländischer) Garten, Tiergarten etc. angelegt. Der Gloriette-Hügel war noch nicht angelegt, Gloriette und sämtliche Parkarchitektur fehlten noch. Die Mühle beim heutigen Meidlinger Tor, hier „Königliche Mühle“ genannt, stand vermutlich knapp vor ihrer Stilllegung. Der Wienfluss war natürlich noch unreguliert und wurde auf einer Holzbrücke überquert. Hietzing stand noch am Anfang seiner durch Schönbrunn begünstigten Entwicklung.
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1918 wurden die hofärarischen Liegenschaften – darunter eben auch Schönbrunn – mit Gesetz vom 3.4.1919 in das Staatseigentum übergeführt. Nach der Auflösung der anfangs eingerichteten „Verwaltung des Hofärars“ wurde die Schloßhauptmannschaft – der seit 1896 auch die beiden Inspektorate für die Belange des Gartens und der Menagerie angeschlossen waren – eine Dienststelle des damaligen Bundesministeriums für Handel und Verkehr. Im Jahre 1933 wurde das Gartenreferat (früher Garteninspektorat) von der Schloßhauptmannschaft gelöst und dafür eine dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft unterstellte Verwaltung der Bundesgärten eingerichtet.
1992 wurden Schloss (inkl. Nebengebäude und umfangreicher Gartenarchitekturen) und Tiergarten ausgegliedert und in eigene Gesellschaften eingebracht, die im Eigentum der Republik stehen und selbstverantwortlich zuständig sind.
Die noch in der Monarchie erfolgte Eingemeindung der Vororte nach Wien 1890/92, bei der die Katastralgemeinde Schön
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brunn ein Teil des 13. Gemeindebezirks Hietzing wurde, blieb von geringer Bedeutung für Schönbrunn. Die Katastralgemeinde war ja keine eigene Ortsgemeinde und der Bezirk verfügt rein rechtlich über keinen Einfluss auf privaten Besitz und natürlich auch nicht auf Bundesbesitz. Gute Kontakte der handelnden Personen untereinander ermöglichen es aber, Entwicklungen zu beeinflussen.
Die weitere Verwendung Schönbrunns war durch den Wegfall der Hofhaltung kompliziert geworden. In der Zwischenkriegszeit wurden einzelne Trakte durch amtliche Dienststellen und soziale und betriebliche Einrichtungen oft nur kurzfristig verwendet, Wohnungen eingerichtet, die Wagenburg eröffnet und das Schlosstheater neu genutzt. Ein Teil der Repräsentationsräume diente für Regierungsempfänge. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, der schwere, bis in die 1950er-Jahre reparierte Schäden hinterließ, blieb Schönbrunn der bevorzugte Schauplatz für Regierungsempfänge, jener für J.F. Kennedy und N.S. Chruschtschow 1961 ging in die Geschichte ein.
1924 wurde der Park zum Schutzgebiet mit Bauverbot erklärt, dies aber wenig beachtet. Die Maria-Theresien-Kaserne und die Forstliche Bundesversuchsanstalt im Großen Fasangarten sowie die Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau im Berggarten an der Grünbergstraße reduzierten das Areal deutlich. Der etwa 160 ha große Schlosspark konnte trotzdem seine barocke, die Gesamtanlage prägende Gestaltung inkl. der im 19. und frühen 20. Jahrhundert umgestalteten Partien erhalten.
Heute ist Schönbrunn eines der bedeutendsten und meistbesuchten Kulturgüter Österreichs und Naherholungsraum für die angrenzenden Bezirke. Die Anlagen sind als Parkschutzgebiet, Landschaftsschutzgebiet und Wiener Schutzzone mehrfach geschützt. Das Areal südlich der Gloriette ist „Geschütztes Biotop“. Außerdem stehen die Gesamtanlagen Schloss Schönbrunn und Schlosspark bescheidmäßig unter Denkmalschutz. Seit 1996 sind das Schloss und der Schlosspark UNESCO-Weltkulturerbe. Die Gemeinde Wien scheint allerdings – wie bei zahlreichen anderen Beispielen auch – die Bedeutung dieses Kulturerbes nicht zu respektieren, denn sie hat in der jüngsten Vergangenheit die Verbauung wichtiger Sichtachsen zugelassen.
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Übersichtsplan von Schönbrunn als Beilage in der Schönbrunner Chronik von Josef Glaser
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Schriftliche Belege über das Entstehen der Ortschaft Speising gibt es nicht. Auch über die Herkunft des Namens kann nur spekuliert werden. Das Gebiet ist aber schon seit Jahrhunderten besiedelt, wie Funde in der weiteren Umgebung zeigen. Die Römer bauten eine Wasserleitung aus dem Gebiet der Liesing über Atzgersdorf um den Rosenhügel entlang der Fasangartengasse und um den Küniglberg bis nach Vindobona, der heutigen Innenstadt von Wien. Diese wichtige Wasserversorgung musste durch Stützpunkte gesichert werden. In den Wirren der Völkerwanderung und in den nachfolgenden kriegerischen Zeiten verschwanden eventuell vorhandene Siedlungen, auch die karolingische Kolonisation hatte nicht Bestand.
Erst nach dem Sieg der deutschen Verteidiger unter König Otto I. gegen die magyarischen Truppen in der Schlacht auf dem Lechfeld im Jahre 955 begann die bayrische (babenberger) Kolonisation unseres Gebietes. Die ersten unsere Region betreffenden Dokumente sind die Königsschenkungen von 1002 (Liesing-Triesting) und 1014 (Godtinesfeld).
Die erste urkundliche Erwähnung Speisings stammt aus dem Jahre 1321, und zwar aus einem Kopialbuch des 16. Jahrhunderts (B, Bestand Rentamt, Kaufbriefbuch, fol.26v.). Laut dieser Erwähnung besaß Stephan von Topel neben St. Veit auch Einkünfte aus Lainz und Speising, die er an das Domkapitel zu St. Stephan verkaufte. Das Wiener Bistum als dessen Nachfolger erscheint später auch als Besitzer in Speising.
Speising in einer Ansichtskarte vor 1908. Rechts erkennt man das Eckhaus Feldkellergasse-Gallgasse, das noch existiert (jetzt befindet sich ein Friseurgeschäft darinnen, siehe Foto auf der rechten Seite). Links sieht man die Hofbäckerei Ambros. Sie gibt es natürlich nicht mehr, sie läge heute mitten auf der jetzt überbreiten Feldkellergasse. Sie wurde später auf die gegenüber liegende Seite der Speisinger Straße verlegt, in das Haus, in dem später die „Z“ eröffnete und jetzt die Bank Austria ist. Links vom Haus Ambros sieht man das Geländer des Lainzer Baches, der etwa durch das Areal der heutigen Volkshochschule-Hietzing floss.
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In den „Beiträgen zur Geschichte des Wienerwaldes“ hat Wilhelm Twerdy viele Urkunden sowie zahlreiche Hinweise auf An- und Verkäufe betreffend Lainz und Speising zusammen getragen, auf die die Internetseite www.1133.at im Bericht 779 hinweist: 1355 kauften Thomas der Bergmeister von Lainz und zwei Einwohner von Speising einen Weingarten zu Lainz vom Abt und Convent zu Aldersbach; 1364 wird Thomas von Speising als Bergmeister der Kartause Mauerbach in Lainz, wo er auch wohnte, im Zusammenhang mit einem Verkauf eines Weingartens am Miesenchogel des Friedrich von Speising erwähnt (W. Twerdy, Band I, S. 99). Zahlreiche weitere Rechtsgeschäfte Speising betreffend sind ebenfalls dokumentiert.
Dass Speising als Ortschaft schon lange vor diesen Meldungen existiert hat, ist als sicher anzunehmen. Speising wird möglicher Weise wie auch Lainz als kleine Wohnsiedlung von Holzfällern und Bauern im 11. oder 12. Jahrhundert entstanden sein. Im Historischen Ortsnamenbuch von Heinrich Weigl wird Speising als dokumentierter Ort erst 1355 genannt.
Im Jahr 1365 schenkte Herzog Rudolf IV. der Stifter Speising und Lainz der Wiener Propstei St. Stephan. Im Stiftsbrief des Kollegiatstiftes zu St. Stephan ist das Kirchlehen in Speising angeführt. 1380 wird von einem Hof in Speising berichtet, der dem Wiener Domkapitel dienstbar war.
Als kleines Bauerndorf am Lainzerbach hat Speising lange Zeit keine besondere Aufmerksamkeit erregt. Ungeschützt war es immer wieder den zahlreichen kriegerischen Ereignissen ausgesetzt. Sowohl nach dem ersten wie auch nach dem zweiten Türkenkrieg (1529 und 1683) war die Gegend verwüstet.
Nach dem ersten Türkenjahr 1529 lag im Jahr 1531 in Speising „noch alles im Öden“, wie eine Quelle erzählt. Danach setzte aber ein zunehmender Aufschwung ein. 1591 hatte Speising 27 Häuser und war damit größer als Hietzing mit 17 Häusern.
Die Schäden nach dem zweiten Türkenkrieg 1683 waren noch größer als die aus dem Jahr 1529. Als wieder Friede war, setzte neuerlich eine Zuwanderung aus anderen Gebieten des Landes ein.
Eine interessante Information aus dieser Zeit verdanken wir Alfred Damm, der 2003 in seinem Werk „1700 – Der Speisinger Dienst“ diese Nachkriegszeit ein wenig beleuchtet hat. Diese Unterlagen gehen zurück auf die Jagdleidenschaft des kaiserlichen Hofes und insbesondere von Leopold I. Für seine Treibjagden benötigte er viel Personal, das von den wieder erstandenen Ortschaften rund um den heutigen Lainzer Tiergarten gestellt werden musste. Da der Ausgangspunkt für die Jagden Speising war, hieß die Auflistung der Personen aus den verschiedenen Orten „Speisinger Dienst“. Das Dorf „Spaißing“ bestand aus 20 Häusern,
Twerdy: Geschichte des Wienerwaldes,
siehe www.1133.at/Bericht 779
Weissenbacher: In Hietzing gebaut
Zusätzliche Angaben von Heinz Gerstbach.
Damm, Alfred; 1700 – Der „Speisinger Dienst“: die Bauern einiger Dörfer südwestlich von Wien um 1700. Bánovce nad Bebravou: Vavro, 2003
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Die Perspektive des Fotos auf der Vorseite, fotografiert am
17. Jänner 2025
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die Bewohner mussten zwar nicht an der Jagd selber teilnehmen, waren aber für die Versorgung der Jagdgesellschaft zuständig.
Schon 1612 wird ein Meierhof zu Speising mit sieben Halblehen, der dem Jesuitenkonvent von St. Barbara gestiftet worden war, erwähnt. 1719 gehörte Speising zur Herrschaft Mauer.
1787 wird ein Ried Mayrhöf und ein Ried Winklbraiden genannt, der Ort des zugehörigen Speisinger Meierhofes ist aber nicht bekannt.
In den nächsten 150 Jahren entwickelte sich Speising stetig ohne besondere Vorkommnisse. 1820 – zur Zeit der Erstellung des „Franziszeischen Katasters“ – hatte Speising 403 Grundparzellen und 45 Bauparzellen. Die Grundparzellen waren in erster Linie Äcker und Wiesen, in geringerem Ausmaß auch Weingärten. Mit dem Ende der Grundherrschaft und Schaffung der selbstständigen Gemeindeverwaltung 1861 hatte Speising bereits 750 Einwohner.
Viele Jahrhunderte hindurch hatte Speising keine eigene Kirche sondern gehörte zur Pfarre Penzing. Ab 1727 wurde Lainz gemeinsam mit Speising eine Expositur von Penzing. 1783 wurde eine sogenannte „Lokalkaplanei“ mit allen Rechten einer Pfarre in Lainz errichtet, zu der auch Speising gehörte.
Mit dem Bau des Invalidenhauses wurde 1910 eine dem Hl. Johannes von Nepomuk geweihte Kirche errichtet, die erste Kirche auf Speisinger Boden. Bald danach wurde im neuen Waisenhaus die 1913 eingeweihte Anstaltskirche St. Josef gebaut. Kurz danach folgte die Kapelle im Kaiser-Jubiläums-Spital an der Wolkersbergenstraße.
Eine Pfarre bekam Speising erst viel später. Am 1. Mai 1952 wurde die Pfarrexpositur „St. Johann am Fasangarten“ an der Kirche des Invalidenhauses errichtet, das Pfarrgebiet wurde von der Pfarre Lainz und teilweise von Hietzing und Hetzendorf abgetrennt, 1955 wurde die Expositur zur vollwertigen Pfarre. Da die Kirche bald zu klein war, erbaute die Diözese weiter unten an der Fasangartengasse die Kirche „St. Hemma“ und verlegte die Pfarre Anfang 1967 dorthin. Die bisherige Pfarrkirche St. Johann blieb zunächst Filialkirche von St. Hemma. 1987 wurde im Invalidenhaus eine eigene Militärpfarre errichtet.
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Gemäß Protokoll zum Franziszeischen Kataster 1819 können den im Plan auf der rechten Seite eingetragenen Konskriptionsnummern folgende Hausbesitzer zugeordnet werden:
1 Fuchsinn Theresia, Bäuerin, Speising
2 Polster Jakob, Bauer, Speising
3 Jameck Lorenz, Bauer, Speising
4 Fuchs Ferdinand, Bauer, Speising
5 Wimmer Augustin, Bauer, Speising
6 Müller Joseph, Bauer, Speising
7 Gerhardshuber Peter, Bauer, Speising
8 Kugler Anna, Bäuerin, Speising
9 Reinwald Johann, Bauer, Speising
10 Hermann Kaspar, Bauer, Speising
11 Pfeiffer Anton, Bauer, Speising
12 Mahringer Georg, Bauer, Speising
13 Asenbauer Johann, Bauer, Speising
14 Prager Joseph, Bauer, Speising
15 Perlin Josepha, Bäuerin, Speising
16 Matzler Joseph, Bauer, Speising
17 Pfarringer Georg, Bauer, Speising
18 Lichtenegger Joseph, Bauer, Speising
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Speising im Franziszeischen Katasterplan 1819. Nummeriert sind die Bau- und Grundparzellen. Die hier nicht eingetragenen Konskriptionsnummern der Häuser zeigt der Messner-Plan auf der rechten Seite.
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Speising im Franziszeischen Katasterplan 1819. Eine Bearbeitung aus dem Jahr 1974 (Messner-Plan). Darin sind die Konskriptionsnummern der Häuser und rot die 1974 noch bestehenden historischen Gebäude und die 1860 errichtete Verbindungsbahn eingezeichnet.
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19 Heihz Johann, Bauer, Speising
20 Foitl Johann, Schneider, Speising
21 Fuchs Joseph, Bauer, Speising
22 Fehsner Joseph, Bauer, Speising
23 Hernet Martin, Bauer, Speising
24 Tremmel Jakob, Bauer, Speising
25 Gemeinde Wirthshaus
26 Herrmann Michael, Bauer, Speising
27 Ehenstorfer Ignatz, Bauer, Speising
28 Haagen Christian, Bauer, Speising
29 Asenbauer Michael, Bauer, Speising
30 Meister Joseph, Bauer, Speising
31 Asenbauer Mathias, Bauer, Speising
32 Hainzl Babthist, Bauer, Speising
33 Eister Anton
34 Herrmann Johann
35 Pantlitschko Leopold, Bauer, Speising
36 Meister Jakob, Bauer, Speising
37 Felder Georg, Bauer, Speising
38 Weinrotter Johann, Bauer, Speising
39 Bigler Johann, Bauer, Speising
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40 Prager Andreas, Bauer, Speising
41 Weber Heinrich, Bauer, Speising
42 Bigler Sebastian, Bauer, Speising
43 Nusterer Martin, Bauer, Speising
44 Grüner Johann, Wagner, Speising
45 Merth Joseph, Schmidt, Speising
Auch diese Liste zeigt ein fast rein landwirtschaftliches Dorf, von den 45 Häusern Speisings waren 40 im Besitz von Bauern. Die restlichen Häuser gehörtem einem Schneider, einem Wagner und einem Schmied, bei zwei war der Stand nicht angegeben. Da der Franziszeische Kataster in der Regel zwischen Bauern und Weinbauern unterscheidet, werden die Weingärten Speisings, die überwiegend im Besitz der Speisinger Bevölkerung standen, in keinem Fall der Haupterwerb gewesen sein.
Nach der Revolution des Jahres 1848 veränderte sich auch die Speisinger Verwaltung radikal. Die gewählten Bürgermeister von Speising waren von 1851–1876 Friedrich Fehlinger und von 1877–1891 Ferdinand Weinrother.
Das Restaurant „Zum alten Jagdschloß“ von Rosa Ludescher war auch das Gemeindewirtshaus (siehe Abbildung unten, im Franziszeischen Katasterplan CNr. 25, später Fehlingergasse 39/ Speisinger Straße 51). Hier residierten die Bürgermeister und
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Das Restaurant „Zum alten Jagdschloß“ mit Gemeindeverwaltung und Theatersaal in der heutigen Speisinger Straße 51. Nach dem Abbruch des Gemeindehauses um ca. 1950 wurde an seiner Stelle eine Wohnhausanlage der Gemeinde Wien errichtet.
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fanden die Gemeinderatssitzungen statt. Aus dieser Zeit ist das Siegel der Gemeinde Speising erhalten, das von 1850 bis 1892 verwendet wurde; es zeigt einen Pelikan mit drei Jungen.
Das Gasthaus hatte einen großen „Prachtsaal, in dem die wichtige Sitzungen stattfanden. Vor allem aber war es Heimstätte des „Speisinger Sommertheaters“, in dem die bekannte Schauspielerin Hansi Niese schon als junges Mädchen mit 11 Jahren auftrat. Sie wohnte in der Speisinger Straße 28, wo auch eine Gedenktafel an sie erinnert. Die 1873 gegründete freiwillige Feuerwehr Speisings war ebenfalls im Gemeindehaus untergebracht. Als die Feuerwehr Ende 1926 von der Stadt Wien übernommen wurde, übersiedelte sie in die Speisinger Straße 36. In diesem Areal befindet sich auch das 1926 errichtete (erste) Umspannwerk Speisings. 2022 musste die alte Feuerwehrstation erneuert werden und erhielt einen modernen Straßentrakt.
Das erste Speisinger Postamt (1879 oder 1868?) war in der Feldkellergasse, später in der Speisinger Straße Nr. 22 und befindet sich jetzt im Gemeindebau Speisinger Straße Nr. 41/Gallgasse.
Speising erlebte in dieser Zeit einen großen Aufschwung, es entstanden viele interessante Einrichtungen. Die Feldkellergasse wurde (nach „Wien-Geschichte-Wiki“) vor 1892 nach der Gastwirtschaft „Zum Feldkeller“ benannt, über deren Gründungszeitpunkt die Meinungen weit auseinander gehen. Nach den Unterlagen der damaligen Ortsgemeinde Speising soll der später weithin bekannte „Feldkeller“ vom Realitätenbesitzer Carl Chini 1875 in der Feldkellergasse oberhalb der heutigen Bergheidengasse an der Biegung des Lainzer Baches zur Himmelbaurgasse erbaut worden sein. Allerdings ist der Feldkeller auch schon in der 1872 erstellten Franzisco-Josephinische Landesaufnahme eingezeichnet. Der Franziszeischen Katasterplan zeigt schon 1819 ein kleines Gebäude an dieser Stelle, als Feldkeller hat es erst Robert Messner in seiner Bearbeitung 1971 eingetragen.
Die Gedenktafel für Hansi Niese am Haus Speisinger Straße 28, fotografiert am 16. Juni 2011
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Ausschnitt aus der Franzisco-Josephinischen Landesaufnahme 1872
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Ansicht des Feldkellers um 1960, es war das weitaus älteste Gebäude von Speising. Im Jahr 1971 wurde es abgebrochen und an seiner Stelle ein Wohngebäude errichtet.
Ansicht des Gastgartens des Cafe-Restaurants zum Feldkeller
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Bild oben: Dieser Ausschnitt aus einer Correspondenz-Karte aus dem Jahr 1899 zeigt die Straßenfront vermutlich an der heutigen Bergheidengasse mit dem Gasthausgarten und einem Teil des Gebäudes.
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Auf Initiative von Carl Chini entstand 1885 in der Nähe die „Speisinger Badeanstalt“. Sie hatte zwei Becken, eines für Damen und eines für Herren. Über eine Vorwärmanlage wurde das Wasser aus einem Brunnen den Bassins zugeleitet. Erst später durfte für das Bad Hochquellenwasser verwendet werden, das vom Speicher der Ersten Wiener Hochquellenleitung (Fertigstellung 1873) kam, der auf Speisinger Gemeindegebiet am Rosenhügel errichtet wurde. Das Speisinger Bad gab es bis 1960, anstelle des früheren Vorwärmbeckens besaß es eine große Liegewiese, die bis an den letzten großen Speisinger Bauernhof der Familie Gegenbauer heranreichte. Heute stehen dort große Wohnbauten.
Das letzte noch erhaltene Bauernhaus von Speising stand an der Speisinger Straße 50 und gehörte der Familie Fuchs. Es wurde 1973 abgebrochen und mit Nachbargrundstücken durch einen Neubau ersetzt.
Mit der Abkehr von der bäuerlichen Selbstversorgung bekamen auch in Speising die Handelsgeschäfte eine entsprechende Bedeutung. Als wichtige Anlaufstelle für die Versorgung der Speisinger blieb das „Consum & Specereiwaren“-Geschäft auf der Speisinger Straße 29 in Erinnerung, dessen Warenangebot an Vielfältigkeit kaum etwas zu wünschen übrig ließ. Die k. k. Hofbäckerei Ambros (siehe Startfoto zur Ortsgeschichte von Speising)
Das letzte Bauernhaus
von Speising in der
Speisinger Straße 50.
Foto aus dem Jahr 1968
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Foto unbekannten Datums der Consum-Warenhalle in der Speisinger Straße 40. Der heutige, weiter zrückversetzte Bau an dieser Adresse beherbergt eine Abteilung der MA 42, Wiener Stadtgärten. Rechts verläuft die Speisinger Straße Richtung Bahnschranken.
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Auf die 1860 in Betrieb genommene Verbindungsbahn zwischen West- und Südbahn wird ab →Seite 546 eingegangen. Als sie gebaut wurde, führte sie durch weitgehend unverbautes Gebiet. Mit der Stadterweiterung wurden bisher unbebaute Flächen entlang der Bahntrasse zu Wohngebieten. Weitere Straßen mit Schrankenanlagen, Unterführungen (in Speising bei der Hofwiesengasse) und Brücken wie die Kernbrücke an der Grenze zu Hetzendorf entstanden.
Die Station Speising war eine wichtige Umsteigstelle von der Verbindungsbahn zuerst zur Dampftramway und später zu den Straßenbahnlinien. Zur Erreichung beider Bahnsteige gab es mehrere Stege, zunächst auch einen Verbindungssteg in Speising, der später nach Ende des Personenverkehrs nur mehr als „Gerippe“ bestand und wegen der Elektrifizierung demontiert wurde.
Als nach vielen Jahren ohne Personenverkehr im Jahr 1989 der Schnellbahnverkehr aufgenommen wurde, konnte nur die Station Speising als einzige Haltestelle im 13. Bezirk eine „Wiederauferstehung“ feiern.
an der Kreuzung mit der Feldkellergasse wurde bereits genannt. In der Speisinger Straße 31 war die „Sodawasser- und Limonadenfabrik“ mit Getränkehandel, die unter anderem Namen (Ammersin) noch heute besteht.
Über die in Speising angesiedelte Turmuhrenerzeugung wird im Kapitel über die Industrie im Bezirk auf Seite 483 berichtet. In diesem Kapitel wird auch auf andere Fabriken auf Speisinger Boden eingegangen.
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Die Kernbrücke an der Grenze von Speising zu Hetzendorf, fotografiert am 15. März 1969
Die ursprüngliche Haltestelle Speising der Verbindungsbahn
Für die 1883 von der privaten Firma Krauss & Co errichteten Linie der Dampftramway von Hietzing bis Perchtoldsdorf und später bis Mödling gab es in Speising mehrere Haltestellen: an der Verbindungsbahn, im Zentrum Speisings und beim Linienamt, wo die eingleisige Strecke auch Ausweichen hatte.
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Im Lauf der Zeit wurden die Straßenbahnlinien 59 (Endstelle zunächst bei der Lainzer Kirche, dann in der Gallgasse), 60 (nach Mauer) und 62 (zum Krankenhaus und Versorgungsheim) in Betrieb genommen. Die Linienführung des 60ers wurde außerhalb Speisings verändert, den 59er gibt es nicht mehr.
Das Foto links oben zeigt die Speisinger Straße ab der Verbindungsbahn um 1913. Links im Foto das Café Mucha, das Gebäude ganz rechts ist heute das Restaurant Waldtzeile (ehemals Schlusche, vorher Weide). Das Foto rechts oben, fotografiert Richtung Bahnschranken, zeigt den ursprünglichen Standort des Gasthauses Schlusche.
Unten links eine Ansichtskarte des Gasthauses Wimmer in der
Speisinger Straße 19
Wie in allen kleinen Gemeinden waren die verschiedenen Gastronomiebetriebe wichtige Treffpunkte für die Menschen. Und da gab es in Speising viele. Die bekanntesten war der schon genannte Feldkeller mit seinem großen Gastgarten und einer Kegelbahn sowie das ebenfalls schon genannte Gemeindegasthaus „Zum Jagdschloß“ von Rosa Ludescher in der Speisinger Straße 51 an der Ecke zur heutigen Fehlingergasse.
In der unteren Speisinger Straße, im ersten Haus nach der Ortsgrenze von Lainz, war das Gasthaus Weide ein bekanntes Lokal, das später von der Familie Schlusche übernommen wurde. Heute besteht es immer noch und heißt „Waldtzeile“. Gegenüber gab es das Cafe Mucha. Weiter oben auf Nr. 19 war das Gasthaus Wimmer und dann das erste Gasthaus Schlusche, bevor es auf Nr. 2 übersiedelte.
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Karl Merks Kaffeerestaurant „Zur alten Schmiede“. Es befand sich in dem Anfang der 1950er-Jahre abgerissenen Gebäude der alten Schmiede in der Speisinger Straße 41, hier auf einer Postkarte unbekannten Datums.
Im Haus der alten Schmiede (Speisinger Straße 41) war später ein Gasthaus mit diesem Namen, der Besitzer hieß Karl Merk, unter dessen Namen das Lokal bis 1950 bestand. Im später errichteten Neubau war es dann der „Greiner“. Heute ist darin das Speisinger Postamt.
Darüber hinaus gab es in der Gallgasse 16 / Fehlingergasse das Gasthaus Wendl (vormals Knott) und in der Feldkellergasse war der „Österreicher“ ein beliebtes Lokal. In den letzen Jahren bis zu dessen Schließung war darin die Cafe-Konditorei „Zimtschnecke“. Ebenfalls der Spitzhacke zum Opfer gefallen ist das frühere Cafe Max Müller in der heutigen Versorgungsheimstraße 19 am Beginn der Biraghigasse, später als „Buckingham“ bekannt.
Natürlich wurde in Speising auch gesungen. Bei der Eröffnung des Kaiser-Jubiläumsspitales traten Männergesangsvereine aus verschiedenen Orten auf, unter anderem auch aus Speising. Bekannt ist ein Gesangsverein Speising-Lainz, der offenbar 1893 gegründet wurde, weil er 1953 im Restaurant Eder in Lainz sei 60. Bestandsjahr feierte. Bis 1955 sind Veranstaltungen dokumentiert. Erfreulicher Weise wird diese Tradition fortgeführt, denn seit einiger Zeit hat der Hietzinger Chor Conventus Musicus (gegründet 1983) seinen Standort im Orthopädischen Spital Speising.
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Die ehemaligen Häuser bei der Speisinger Straße 56 im Jahr 1964 Foto: H. Frieser
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Die florierende Wirtschaft hatte Speising zu einer wohlhabenden Gemeinde gemacht und die Speisinger waren der Eingemeindung nach Wien 1890/92 ablehnend gegenübergestanden. Der letzte Bürgermeister Weinrother hob das in der überlieferten Abschiedsrede auch deutlich hervor. Trotz dieser Kritik hatte die per 1. Jänner 1892 vollzogene Eingemeindung nach Wien einen enormen Aufschwung zur Folge.
Mit der Eingemeindung wurde an der Grenze Speisings zu Mauer (Speisinger Straße 104) das neue Linienamt errichtet, das die Einfuhr verzehrungssteuerpflichtiger Lebensmittel zu überwachen hatte. Es ist heute in Privatbesitz und beherbergt neben Wohnungen ein Orthopädiegeschäft und Arztpraxen.
Wegen der großen freien Flächen, die früher landwirtschaftlich genutzt worden waren, konnten am Beginn des 20. Jahrhunderts nach entsprechenden Flächenwidmungen große und wichtige Bauvorhaben verwirklicht werden, die allerdings allesamt überregionale Bedeutung haben und daher im Bezirkskapitel „Das Alltagsleben im Frieden“ ab →Seite 435 beschrieben werden. Dazu zählen das Invalidenhaus am Abhang des Stranzenberges, das Waisenhaus und das Taubstummeninstitut an der Speisingerstraße und das durch die „Nathaniel Freiherr von Rothschildsche Stiftung für Nervenkranke“ gegründete Neurologischen Krankenhaus in der Riedelgasse.
Die konsequente Stadtentwicklung durch die Wiener Behörden betraf allerdings auch die bestehende kleinstrukturierte Bausubstanz Speisings. Als Beispiel werden auf der folgenden Seite Ausschnitte aus den Generalstadtplänen der Jahre 1904 und 1912 dargestellt. Im Zentrum der Ausschnitte liegt die untere Feldkellergasse von der Speisingerstraße bis zum Feldkeller. Die straffiert eingezeichneten projektierten Baulinien und Straßenzüge schneiden teilweise mitten durch bestehende Bausubstanz. 1912 waren das Haus mit der Hofbäckerei Ambros (im Plan 1904 das Haus mit der Nr. 1 mit den V-förmig angeordneten Trakten neben dem Lainzerbach) und andere Häuser bereits geschliffen und die heute bestehenden breiten Straßen teilweise hergestellt.
Die stark steigende Bevölkerungszahl machte nach der Eingemeindung die Gründung zahlreicher weiterer Einrichtungen notwendig. Eine besondere Bedeutung hat darunter die neue Volksschule in der Speisinger Strasse Nr. 44 / Anton-Langer-Gasse. Darüber wird im allgemeinen Beitrag zum Volksschulbau in der Region ab →Seite 630 berichtet.
Diese positive Entwicklung setzte sich bis zum Beginn des Weltkriegs 1914 fort. Danach war mit dem Zusammenbruch des „Alten Österreichs“ auch in Speising alles anders.
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Die Nachkriegszeit und sogenannte Zwischenkriegszeit bremste die Entwicklung, Not und Arbeitslosigkeit gingen auch an Speising nicht spurlos vorbei. Es gab jedoch selbst in dieser Zeit positive Entwicklungen. Durch die Gemeinde Wien wurden verschiedene Wohnanlagen errichtet, um den großen Wohnbedarf zu mildern. Auch neue Betriebe entstanden wie das Autohaus Döber in der Speisinger Straße, das aus einem Fiakerbetrieb hervorgegangen war. Neben dem Wasserreservoir am Rosenhügel wurde eine neue Sendestation der RAVAG errichtet, die mit einer Reichweite von 200 km die stärkste Europas war. Damit der Sendebetrieb durch die Straßenbahn nicht gestört wurde, hatten die Triebwa
Ausschnitte aus den Generalstadtplänen der Jahre 1904 und 1912. Im Zentrum der Ausschnitte liegt die untere Feldkellergasse von der Speisingerstraße bis zum Feldkeller. Straffiert eingezeichnet sind die projektierten Baulinien und Straßenzüge. Allerdings wurde nicht alles verwirklicht.
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Blick auf Speising vom Rosenhügel. Das erste Haus links ist die Gallgasse 72. Im Vordergrund ist ein Teil der unverbauten, mit Feldern bedeckten Bergheide zu sehen-
gen der Linie 60 in den zwanziger und dreißiger Jahren Bügel mit hölzernen Seitenteilen (Pawlik/Slezak „Wiener Straßenbahn-Panorama“, 1982).
Trotz der Rasch fortschreitenden Verbauung verblieben dem Bezirksteil bis in die jüngste Zeit relativ große unverbaute Flächen. In den 1950er-Jahren gab es noch große Felder, vor allem am Abhang der „Bergheide“, von der Atzgersdorferstraße zur heutigen Bergheidengasse, die teilweise auch von den Schwestern vom „Stock im Weg“ in Schwesterntracht auf dem Kutschbock bewirtschaftet wurden. Über die landwirtschaftlich genützten Flächen hinaus gab es zahlreiche Gartenbaubetriebe, von denen manche noch heute bestehen, z.B. die Gärtnereien Rosensteiner und Bock.
Heute befinden sich am Abhang der Bergheide das Hietzinger Bad, eröffnet 1978, und die „Höhere Bundeslehranstalt für Tourismus und wirtschaftliche Berufe“ (1989). Schließlich schloss die intensive Wohnbautätigkeit auch in diesem Bereich die durchgängige Verbauung.
Die folgenden historischen Fotos sollen einen Eindruck von den früheren Ansichten Speisings geben.
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Eine interessante Ansicht von Speising um 1900, fotografiert vom Hang des Küniglberges Richtung Südwesten. Die Blickachse zeigt der nebenstehende Plan. Im Foto oben ist die 1896/97 erbaute Volksschule in der Speisingerstraße 44 zu sehen (1), die Häuserfront links oben (2) steht vis-a-vis der heutigen VHS in der Feldkellergasse, die untere Speisinger Straße (3) verläuft von den Bäumen verdeckt vor der Volksschule. Das Gebäude im Vordergrund steht etwa an der Stelle, wo sich heute die Pacassistraße und die Geneegasse berühren. Quer durch das Foto verläuft die damals noch einspurige Verbindungsbahn, die Lücke unter der Brücke links (4) wird vom Lainzerbach durchflossen.
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Dieses Foto vom 17. Jänner 2025 wurde etwa von derselben Stelle gemacht, wie das Foto oben. Häuser und Vegetation sperren den Blick nach unten.
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Speising beherbergt genauso wie Ober St. Veit noch Grätzln mit dörflichem Ambiente und der ältesten Bausubstanz im Bezirk. In Speising ist es die untere Speisinger Straße, in der auf ca. 17–18 Meter breiten Parzellen ebenerdige, traufenständige, ca. 8–11 Meter tiefe Straßentrakte mit Giebeldächern und in der Regel fünf Fensterachsen sowie einer Einfahrt stehen. Charakteristisch für die alte dörfliche Struktur sind auch die an den seitlichen Grundstücksgrenzen anschließenden ebenfalls ebenerdigen Flügelbauten unter Pultdächern. Diese hofseitigen Bauteile sind von der Straße nicht zu sehen. Es handelt sich dabei insbesodnere um die Häuser Nr. 13 und 15, sowie 19 bis 23. Weitere, noch bestehende historische Bauten sind das heutige eingeschossige Gasthaus „Waldtzeile“ in der Speisinger Straße 2.
Somit bietet die Speisinger Straße zwischen Verbindungsbahn und Feldkellergasse noch genügend historische Bausubstanz, deren Erhaltung aus denkmalpflegerischer und kulturhistorischer Sicht schützenswert erscheint. Die Ergänzung von altem Gemäuer und dahinter liegendem Grünbereich ergibt einen Gassenzug von besonderer Lebensqualität. Die Verkehrsarmut wegen der Sackgassenregelung unterstützt diese historische Atmosphäre.
Mit dem Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg wurde allmählich dieser Wert alter Baustrukturen erkannt und ab den 1970er-Jahren manifestierte sich das in den Wiener Bauordnungen. Das änderte nichts am Tauziehen um diese alten Häuser. Die einen sehen darin schützenswerte Strukturen, die anderen eine störende Baulücke. Mit der Erkenntnis der Schutzwürdigkeit dieses Bereiches ging auch er Wunsch nach Errichtung einer Schutzzone einher. Mittlerweile gibt es zahlreiche Schutzzonen im Bezirk Hietzing, nicht jedoch in der Speisinger Straße.
Der andauernde Verlust erhaltenswerter Bausubstanz hat die verschiedensten Gründe. Manche Häuser sind nach langer Vernachlässigung in so schlechtem Bauzustand, dass nur mehr ein Abbruch möglich ist, andere fallen den bestehenden Flächenwidmungen zum Opfer, die mit einer Bauhöhe von 7,5 Meter in vielen Fällen eine höhere Verbauung zulassen. Auf der Seite mit den ungeraden Ordnungsnummern sind die festgelegten Bauhöhen nur für die ebenerdigen Häuser Nr. 19–25 mit 4,5 Meter dem historischen Bestand angepasst.
Ein immer wieder zu beobachtender Substanzraub folgt auch einem gewissen Dominoeffekt, der von einem bestehenden hohen Gebäude ausgeht. Von der Gründerzeit an war es Allgemeinverständnis, alte Häuser ohne jegliche Würdigung des historischen Altbestands durch hohe Zinshäuser zu ersetzen. Dem folgten auch der Generalregulierungs- und Generalbaulinienplan 1927 und die Plandokumente (PD) 4186 aus dem Jahre 1964 und 4935 aus dem Jahr 1970, die straßenseitig inkl. Erdgeschoß eine dreistöckige Verbauung ermöglichten. Erst mit PD 6300 aus dem
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Die untere Speisinger Straße mit den Nummern 3–39 und 2–40 im Generalstadtplan 1912. Dieser sah einen wesentlich breiteren Straßenzug mit Baulinien quer durch alle Häuser vor. Auch hier wird es wohl am Geldmangel in den schwierigen Kriegs- und Zwischenkriegszeiten gelegen sein, dass er größtenteils nicht zur Durchführung kam.
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Jahre 1992 wurde die derzeit gültige Rechtslage zum größten Teil vorweggenommen und die historische Bebauung entlang der Speisinger Straße durch entsprechende Bestimmungen in ihrer Struktur als erhaltenswert eingestuft. In der Gemeinderatssitzung vom 28. Juni 2006 wurde schließlich das PD 7734 beschlossen, das in der Bauhöhe für die Nr. 19–27 weitgehend dem Bestand folgte, aber die Baulinien um bis zu 5 Meter nach Osten (also nach hinten) verlegte (Anmerkung: für die untere Speisinger Straße sind mehrere Plandokumente relevant).
Eine markante und lange Zeit diskutierte „Erbschaft“ aus der Zeit früherer Höhenliebe war das dreistöckige Haus Speisinger Straße Nr. 27. Bereits vor 1900 gebaut überragte es die benachbarten Häuser, insbesondere die ebenerdigen, Häuser Nr. 19–25. Seine hohen Feuermauern entlang der seitlichen Grundstücksgrenze standen südlich dieser historischen Häuserzeile und raubten einen erheblichen Teil der Sonneneinstrahlung. Das minderte natürlich auch den Wert der einzelnen Häuser dieser Zeile, insbesondere des direkt an das Haus Nr. 27 angrenzenden Hauses Nr. 25. Dessen wohnliche Nutzbarkeit war beeinträchtigt, eine gewerbliche Nutzung wegen der geringen Fläche und des rückläufigen Kleingewerbes ebenfalls. Es war damit nur eine Frage der Zeit, bis die Eigentümer das Interesse daran verloren und eine möglichst günstige Verwertung suchten.
Plan oben: Der aktuelle Flächenwidmungs- und Bebauungsplan zur unteren Speisinger Straße,
Stand 20. Jänner 2025
Bild Links: Die Speisinger Straße von der Kreuzung mit der Feldkellergasse stadteinwärts, fotografiert um das Jahr 1900. Als eines der letzten Häuser auf der rechten Seite sieht man damals schon das Haus Speisinger Straße 27 herausragen.
© Bezirksmuseum Hietzing
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Der spekulative Investor trat zwangsläufig auf und nach turbulenten Verhandlungen, Protestunterschriften aller Anrainer wegen offensichtlicher Ortsbildzerstörung, negativen Stellungnahmen des Hietzinger Bauausschusses und Forderungen nach einer Schutzzone etc. wurde in der Gemeinderatssitzung vom 16. Dezember 2011 der Ergänzungsplan Nr. 7734E mehrheitlich beschlossen. Im Sinne des Investors führte er zu einer erheblicher Aufzonung im Bereich dieser Häuser. Es erinnert an Orwells „Neusprech“ wenn in Entwürfen dieser Art die textliche Einführung Sätze wie die „Bedachtnahme auf das Stadtbild und Vorsorge für die Erhaltung von historisch gewachsenen Strukturen“ oder „Aufgrund der Inhomogenität der Höhenentwicklung
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Die Häuserzeile an der Speisinger Straße mit dem hohen Haus Nr. 27 und den niederen Häusern Nr. 19-25 darunter, fotografiert am 16. Juni 2011
(...) soll nun eine Überarbeitung in Teilbereichen erfolgen, um im Neubaufall die Ausbildung von zu abrupten Höhensprüngen innerhalb von Gebäuden zu vermeiden“. Wie die folgenden beiden Fotos verbleichbarer Perspektive zeigen, wurde genau das gefördert.
Es wäre allerdings zu kurz gegriffen, die Verödung von Häuserzeilen bloß auf diesen „Domino-Effekt“ oder ganz grundsätzlich auf über den Bestand hinausgehende Bebauungsbestimmungen zurückzuführen. Das hat darüber hinausgehend viele Gründe wie das Verschwinden von Geschäften, Gasthäusern und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen, wie die völlig veränderte Bauweise und Haustechnik, wie die steigenden Ansprüche an den Wohnkomfort, wie die Knappheit von Bauland und so fort.
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Die Speisinger Straße 15–27, fotografiert am 16. Juni 2011
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Der Franziszeische Kataster, für Speising aus dem Jahr 1818, zeigt den westlichen Teil des Rosenhügels mit dem Gut Rosenberg als Enklave von Speising. Auf Wien-Wiki wird der Name des 258 Meter hohen Rosenhügels von ausgedehnten Rosenkulturen abgeleitet, die es hier gegeben haben soll und das Gut selbst als Meierhof bezeichnet. Andernorts wird von Ziegelöfen im Gut Rosenberg gesprochen.
Eine bedeutende Neuerung der Ära der selbstständigen Ortsgemeinden war die Anlegung neuer Grundbücher. Obwohl die das Grundbuch führenden Grundherrschaften und die Grunduntertänigkeit seit 1848 Geschichte waren, führte man die alten, nach Grundherrschaften gegliederten und formal veralteten Grundbücher bis in die 1870er-Jahre weiter.
Erst das Reformgesetz vom 2. Juni 1874 sah für Niederösterreich eine vollständige Neuanlegung des Grundbuches vor. Die hiesige Grundbuchsneuanlegung stand unter der Leitung des kk. Bezirksgerichtes Hietzing und wurde durch den Gerichtsadjunkten Clemens Höberth besorgt. Zu den Sprengeln des Bezirksgerichtes Hietzing gehörten alle Katastralgemeinden des heutigen 13. Wiener Gemeindebezirkes sowie Teile des heutigen 14. und 23. Bezirks.
Die Anlegung der neuen Grundbücher konnte wegen Unklarheiten zu den bestehenden Besitz- und sonstigen Rechten oder Verpflichtungen zu einem langwierigen Vorgang werden. Auch gab es Besonderheiten wie Grundherrliches Eigentum, das in den alten Büchern nicht ersichtlich war. Bei einem ersten Termin in den Räumlichkeiten der betroffenen Liegenschaft konnten alle Personen mit rechtlichem Interesse zur Aufklärung der wahren Verhältnisse beitragen, der erarbeitete Entwurf des neuen Grundbuches konnte dann beim zuständigen Bezirksgericht
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Ausschnitt aus dem Franziszeischen Katasterplan 1818 der Gemeinde Speising „Nebst dem zur Herschaft St. Veit a. d. Wien gehörigen Enclavierten Gute Rosenberg“. Der Ausschnitt zeigt an der Stelle des späteren Neurologischen Spitals das Gut Rosenberg mit seinen Gebäuden, parkähnlichen Anlage und den Lehmgruben.
Das Bezirksgericht Hietzing war von 1850 – 1854 in Hietzing, Am Platz 3 und von 1868 – 1978 in der Trauttmansdorffgasse 18. Zwischen diesen beiden Perioden gab es ein „Gemischtes“ Bezirksamt Hietzing in der Trauttmansdorffgasse 18, das auch Gerichtsagenden besorgte.
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eingesehen und Änderungsbegehren innerhalb einer Frist beim Bezirksgericht eingebracht werden.
Für die Anlegung des Grundbuches Rosenberg fand der erste Termin am 10. März 1880 im Haus Nr. 1 am Rosenberg nächst Speising statt. Veröffentlicht wurde die Einladung im Amtsblatt der Wiener Zeitung. Im Mai 1880 wurde zur Überprüfung der Eintragungen und Protokolle im Bezirksgericht Hietzing eingeladen.
Politisch blieb die KG Rosenberg nach der Eingemeindung der Ortsgemeinde Speising nach Wien 1890/92 ein Teil der niederösterreichischen Ortsgemeinde Mauer.
Anfang April 1909 berichten einige Tageszeitungen ziemlich Wortgleich von den positiven Ergebnissen bei Verhandlungen zu Gebietserweiterungen der Stadt Wien, die auch Rosenberg betreffen:
Von der Gemeinde Mauer wird jener Teil der Bezirksstraße einverleibt, der zwischen der Tiergartenmauer und der bisherigen Gemeindegrenze liegt, dann der größte Teil der Katastralgemeinde Rosenberg und einige Parzellen der Katastralgemeinde Mauer nächst dem Rosenhügel. In dieses Gebiet fällt das von der Nath. Freiherrn von Rothschild-Stiftung für Nervenkranke erworbene Areale und der gesamte Privatbesitz der Gemeinde Wien für das große Reservoir am Rosenhügel. Die wesentlichen Punkte der Vereinbarung wegen Einbeziehung eines Gebietsteiles der Gemeinde Mauer besteht darin, daß die Gemeinde Wien sich verpflichtet, der Gemeinde Mauer vom Zeitpunkte der Eröffnung der II. Wiener Hochquellenleitung aus derselben 25 Liter pro Tag und Kopf der jeweiligen Bevölkerungsziffer zu liefern. Die Abgabe des Wassers an die Gemeinde Mauer hat zu dem in Wien jeweils üblichen niedrigsten Wassertarife zu erfolgen. Die Gemeinde Mauer hat die Herstellungen für die Rohrleitung vom Abgangspunkte des Wassers auf ihre Kosten zu veranlassen und verpflichtet sich zu gewissen Konzessionen: hinsichtlich des Baues, der II. Hochquellenleitung. Diese Beschlüsse des Stadtrats werden den Gemeinderat in seiner nächsten Sitzung beschäftigen und müssen natürlicher weise vom Landtage in Form- eines Landesgesetzes bestätigt, bzw. vom Kaiser sanktioniert werden.
Das relevante Landesgesetz wurde am 6. Juli 1910 beschlossen und mit Landesgesetzblatt Nr. 170/1910 veröffentlicht. Der Wiener Kommunal-Kalender nahm diese Gebietserweiterung ab 1911 auf. Von Mauer bei Wien sollen demnach nur die Konskriptionsnummern 276, 279 und 349 einverleibt worden sein, und die Katastralgemeinde Rosenberg als eigene Gemeinde zur Gänze.
Das 1912 eröffnete Krankenhaus nimmt mit seiner Parkanlage noch heute einen großen Teil der Katastralgemeinde ein. In Rosenberg befindet sich auch der 1873 fertiggestellte Wasserbehälter Rosenhügel der ersten Wiener Hochquellenwasserleitung.
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Alle Bezirksteile Hietzings sind mittelalterlichen Ursprungs, nur Unter St. Veit ist viel jünger: Es hat sich an der Wende vom 18. ins 19. Jahrhundert als eigenständige Siedlung auf dem Gebiet der Herrschaft St. Veit an der Wien gebildet.
Von dem, was hier an früheren Siedlungen bestanden haben mag, ist nur die 1364 erstmals erwähnte Gottesfeldmühle, später kurz Feldmühle genannt, geblieben. Sie lag gegenüber der heutigen Einmündung der Feldmühlgasse in die Auhofstraße und war die oberste Mühle an dem vom Wienfluss im Bereich der heutigen Preindlgasse abgeleiteten Mühlbach. Für mehrere Jahrhunderte war sie das einzige Gebäude in der umliegenden Gras- und Ackerbaufläche. 1914 wurde sie abgerissen, heute erinnert nur mehr die Feldmühlgasse an die alte Mühle (zu den Wassermühlen an der Wien siehe ab →Seite 80).
In der Nähe dieser Feldmühle war gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine „wilde“ Ansiedlung aus Häusern Gewerbetreibender entstanden. Legalisiert und weitergeführt wurde diese Siedlungsentwicklung von einem gewissen Johann Michael Schwinner, ab 1. Jänner 1793 Pächter der ganzen Herrschaft St. Veit an der Wien. Er teilte innerhalb der heutigen Straßenzüge Feldmühlgasse - Auhofstraße - Fleschgasse - Hietzinger Hauptstraße einen annähernd quadratischen, für 100 Häuser bemessenen Bauplatz vom Herrschaftsgrund ab und verkaufte ihn parzellenweise ins Untereigentum neuer Siedler.
Klötzl, Gebhard:
Von Bürgermeistern und Affären.
Die Gemeinden Ober St. Veit und Unter St. Veit 1848–1891. Wien: Verlag homedia, 2015. Dieses 2015 erschienene Buch gibt wie kein anderes einen Einblick in die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines ehemaligen Wiener Vorortes auf dem Weg von einer Patrimonialgemeinde zum Bezirksteil.
Weissenbacher, Gerhard:
In Hietzing gebaut
Franziszeische Landesaufnahme, Häuser laut Protokoll vom
20. April 1820
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Die neue Siedlung nannte sich zunächst „Neudörfel“, bald aber schon „Unter St. Veit“ (die Bezeichnung „Ober St. Veit“ etablierte sich parallel dazu) und hatte vermutlich seit 1803 sogar einen eigenen Ortsrichter mit eigenen Geschworenen. Die Franziszeische Landesaufnahme aus den Jahren 1819/20 weist Unter-St. Veit bereits als eigene Katastralgemeinde aus. Der Ort wuchs sehr rasch: 1819 zählte man 33 Häuser und 1833 schon über 90 Häuser mit 884 Bewohnern.
Unter St. Veit in einer 1974 erfolgten Bearbeitung des Franziszeischen Katasterplans 1819. Darin sind die 1974 noch bestehenden historischen Gebäude und die 1860 errichtete Verbindungsbahn rot eingezeichnet. Zu sehen ist der zwischen heutiger Hietzinger Hauptstraße und Auhofstraße entstehende Ort. Er ist durch zwei weitere Wege erschlossen, die zur St.-Veit-Gasse und zur Fleschgasse wurden.
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Das einzige bekannte Foto eines Nebengebäudes der ehemaligen Feldmühle in der Auhofstraße gegenüber der Einmündung der Feldmühlgasse; von der Feldmühle selbst ist keinerlei Bildmaterial erhalten. © Bildarchiv der ÖNB
Die Hausbesitzer, geordnet nach den im Plan oben eingetragenen Konskriptionsnummern (CNr.):
1 Kaspar Lang, Schmied, Unter St. Veit
2 Johann Lindauer, Wagner, Unter St. Veit
3 Johann Ort, Maurer, Unter St. Veit
4 Gottfried Moritz, k.k. Hofsekretär in Wien, Unter St. Veit
5 Franz Thilen, Apotheker, Wien
6 Valentin Karl, Viktualienhändler, Unter St. Veit
7 Leopold Pruckner, Greißler, Unter St. Veit
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8 Johann Peter, Wirt, St. Veit
9 Andreas Weber, Zimmergeselle, Unter St. Veit
10 Ernest Schulz, Kanzleidiener in der Hofkriegsk., Wien
11 Viktoria Mahler v. Mahlenstein, Unter St. Veit
12 Konrad Krehl, Weber, Unter St. Veit
13 Franz Porsche, Weber, Unter St. Veit
14 Valentin Liebich, Tischler, Wien
15 Michael Hofbauer, Weber, Unter St. Veit
16 Ferdinand Ernst, k.k. Oberst, Wien
17 Leopoldine Jäggel, Beamtenswitwe, Unter St. Veit
18 Ignatz Fuhrmann, Zimmermann, Unter St. Veit
19 Fanz Felker, Kammacher, Unter St. Veit
20 Anna Neubauer, Greißlerin, Unter St. Veit
21 Joseph Klee, Binder, Unter St. Veit
22 Michael Ungemach, Bäcker, Unter St. Veit
23 Joseph Huber, Greißler, Unter St. Veit
24 Johann Bougart, Dörrobsthändler, Wien
25 Franz von Heuschauer, Doktor der Medizin, Wien
26 Joseph Killian, Wirt, Wien
27 Franz Perwanger, Glaserer, Wien
28 Bernhart Zauner, Färber, Unter St. Veit
29 Anton Hildenbrand, Schuhmacher, Unter St. Veit
30 Johann Reuschel, Fleischer, Unter St. Veit
31 Johann Buschmann, Seiler, Unter St. Veit
32 Gottfried Moritz, Lederer, Unter St. Veit
33 Gottfried Dünger, Schneider, Unter St. Veit
129 Baron Ignaz Leykam, Wirtschaftsrat bei
Fürst Ditrichstein, Wien
Die Konskriptionsnummer 129 (Feldmühle) gehörte damals noch zu Ober St. Veit und folgte dessen Nummernsystem. Im Rahmen der Franziszeischen Landesaufnahme 1819/20 wurde die alte Häusernummerierung aus 1770/71 erneuert. Ob das für Unter St. Veit auch so war, ist fraglich, weil die Konskriptionsnummern nur bis zur CNr. 28 Ergebnis einer Begehung sein können und von CNr. 29–33 offensichtlich dem Zeitpunkt der Errichtung folgen.
Die durch die Revolution von 1848 ausgelöste Neuordnung der Verwaltung führte zum Verlust der Eigenständigkeit Unter St. Veits im Jahr 1850. Das auf seine Entwicklung so stolze Unter St. Veit war zu einem „Außenposten“ Ober St. Veits degradiert worden und musste sich darüber hinaus eine nachteilige und herablassende Behandlung gefallen lassen. Den als logische Folge anhaltenden Trennungsbestrebungen Unter St. Veits, die letztendlich auch der Gemeindeausschuss der Gesamtgemeinde als „tiefgefühltes und dringendes Bedürfnis“ bestätigte, wurde mit der kaiserlichen Entschließung vom 2.10.1867 (kundgemacht am 28.3.1870) entsprochen, und Unter St. Veit war wieder eine selbstständige Gemeinde.
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Während der ersten Selbstständigkeit im damals noch grundherrlichen St. Veit war es zu keiner Vermögensaufteilung gekommen, jetzt aber folgten eine heiß umkämpfte Vermögenstrennung und eine neue Grenzziehung. Ober St. Veit, das nur das seinerzeit abgetrennte Bauareal als Unter St. Veiter Gebiet anerkennen wollte, musste mit der Entscheidung im Jahr 1870 umfangreiche Gebietsverluste hinnehmen, und die Gemeinde Unter St. Veit wuchs in etwa zur heutigen Größe. Der Gesamtort St. Veit hatte 1861 laut Zählung des Bezirksamtes Hietzing 2715 Einwohner, hievon entfielen 1902 auf Ober- und 813 auf Unter St. Veit.
Die neue Selbstständigkeit währte allerdings nur rd. 20 Jahre, denn 1890/1892 wurde Unter St. Veit gemeinsam mit den umliegenden Orten nach Wien eingemeindet.
Das erste und für lange Zeit einzige Grundstück, das die damalige Patrimonialgemeinde Unter St. Veit erwerben konnte, war der Bauplatz Nr. 50 (heutige St.-Veit-Gasse 48). Hier stellte die Gemeinde im Jahre 1843 als erstes Surrogat einer eigenen Kirche ein Holzgerüst mit einer dem Hl. Jakob geweihten Glocke auf, die zu den Gebetszeiten läutete. Diese Jakobsglocke ist noch erhalten und hängt als eine von drei Glocken im Turm der heutigen Unter St. Veiter Pfarrkirche auf eben diesem Grundstück. Im Jahr der neuen Selbstständigkeit 1867 wurde die 1866 fertiggestellte eigene Kirche „Zur Verklärung Christi“ eingeweiht. Grundstück und Gebäude standen im Eigentum der Gemeinde Unter St. Veit, doch pfarrlich blieb die Kirche bis 1968 eine Expositur der Pfarre Ober St. Veit.
Die strukturelle Entwicklung des jungen Ortes war vor allem in der zweiten Selbstständigkeit stets von Geldnot überschattet. Die Einnahmen aus Gebühren, Steuern und Spenden reichten bei weitem nicht für die erforderlichen und teilweise auch gesetzlich verlangten Einrichtungen: eine Schule, ein Gemeindehaus mit Dienstwohnungen und Arrestzellen, ein Armenhaus, eine eigene Feuerwehr, eine Kanalisation in der Kirchengasse (heutige St.-Veit-Gasse), ein Notspital für Epidemiefälle und die Mitfinanzierung einer Brücke über den Wienfluss. Nur Friedhof brauchte man keinen, da der Ober St. Veiter Friedhof mitbenützt wurde. Das alles sollte zusätzlich zu den laufenden Kosten für Verwaltung, Schule, Kirche und Sicherheit aus eigenem bewältigt werden, nicht einmal für die gesetzlich vorgeschriebenen Einrichtungen gab es eine staatliche Unterstützung. Einige Zeit konnte man sich mit Spenden und Darlehen über Wasser halten, doch schließlich war die Gemeinde vollkommen überschuldet und wurstelte sich mit weiteren Kreditaufnahmen und ohne Finanzkonzept bis ins Jahr 1890. Über Gemeindegrund, der parzelliert und verkauft werden konnte, verfügte die Gemeinde Unter St. Veit nicht.
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Ansichtskarte der Filialkirche in Unter St. Veit. Sie wurde zur Erinnerung an die Glockenweihe am 30. Mai 1926 herausgegeben. Das Gebäude wurde 1965 abgebrochen. Der damalige Bezirksrat Felix Steinwandtner rettete in letzter Minute die drei Terrakotta-Statuen in den Nischen (Immakulata, Christus und Franziskus). Sie sind im Zugang der 1967 eingeweihten neuen Kirche aufgestellt. Das Insert links oben zeigt den 1843 errichteten hölzernen Glockenturm.
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Ein gutes Beispiel für den sehr zögerlichen Aufbau kommunaler Einrichtungen ist die Schule. 1812 wurde in einem gemieteten Klassenzimmer eine vom Ober St. Veiter Lehrer betreute Unter St. Veiter Filialschule eingerichtet. Diese Einrichtung im Haus Nr. 73 (heutige Wittegasse 10) hielt sich jahrzehntelang. Auch zur Zeit der Entstehung der neuen Gemeinde 1867 blieb der Status einer Filialschule der Ober St. Veiter Pfarrschule erhalten. Für 41 Knaben und 39 Mädchen gab es nur einen Unterlehrer und nur ein gemietetes Lehrzimmer. Darin erteilte der Lehrer vormittags von 8–11 Uhr Unterricht für die dritte Klasse, nachmittags von 1–3 Uhr Unterricht für die erste und zweite Klasse gemeinsam. Mehr Klassen gab es nicht. Zusätzlich gab es aber in der Hutfabrik Bossi eine Fabriksschule.
Die Schulaufsichtsbehörde schritt 1868 ein und erteilte der Gemeinde den Auftrag, eine ordentliche Schule mit mindestens zwei Lehrern und mindestens zwei geeigneten Lehrzimmern einzurichten. Erst 1872 wurde das Haus Auhofstraße 49, in dem
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vorher eine Gastwirtschaft untergebracht war, gekauft und zur Schule adaptiert. 1873 beschwerte sich die Gemeinde beim Bezirksschulrat, dass ihr ein zweiter Lehrer vorenthalten wird. Ab 1874 gab es dann gleich zwei weitere Lehrer. Die Zahl der dem „Oberlehrer“ Josef Mantler beigegebenen Lehrer vermehrte sich bis 1891 auf fünf, ebenso die Zahl der Klassen. Nach dem Abbruch des Gebäudes im Jahr 1893 entstand dort das heute noch bestehende Schulhaus.
Eine bis in die Zweite Republik nachwirkende Einrichtung war die 1883 von Franz Mittermüller jun. gegründete „Schutzmannschaft“ als Nebenorganisation der 1875 entstandenen Feuerwehr. Am 2. Dezember 1887 erfolgte ihre vereinsrechtliche Gründung unter dem Namen „Unter St. Veiter freiwillige Rettungsgesellschaft“. Die erste bescheidene Rettungsstation wurde 1888 in einem Lokal Ecke Auhofstraße 72 / St.-Veit-Gasse betrieben. Nach der Vereinigung der Vororte mit Wien übernahm die Unter St. Veiter Rettungsgesellschaft den Rettungsdienst für alle Orte des 13. Bezirkes, weil diese keine vergleichbaren Dienste hatten. Deren Nachfolgeorganisation „Hietzinger Freiwillige Ret
Die Unter St. Veiter Freiwillige Rettungsgesellschaft. Ihre erste Rettungsstation war hier an der Ecke Auhofstraße 72 / St.-Veit-Gasse. Im Ersten Weltrieg war sie zur „Wiener Rettungskolonne vom Roten Kreuz“ geworden.
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tungsgesellschaft“ wurde am 1. Februar 1953 in den Rettungsdienst des Wiener Roten Kreuzes eingegliedert.
Mit 1. Juni 1877 wurde in Unter St. Veit eine Postexpedition eröffnet, die sich weiter entwickelte und im Jahr 1914 an der Adresse Hietzinger Hauptstraße 56 zum staatlichen Post- und Telegraphenamt wurde. Die Filiale besteht nach wie vor, ist aber vom Sparkurs der heutigen Post AG bedroht.
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Schon 1868, früher als in anderen Vororten Wiens, wurde in Unter St. Veit eine Gasbeleuchtung errichtet.
In Unter St. Veit siedelten sich zu Beginn vor allem Klein- und Kleinstgewerbetreibende an, die für ihre Tätigkeit das Wasser des nahen Wienflusses benötigten: Weber (der Volksmund sprach zeitweise vom „Weberdörfel“), Gerber, Färber, und verschiedene Wäscher, vor allem Pferdehaarwäscher. Die Wäscher benutzen den Wienfluss bis in die 1860er-Jahre als Wasserspender und Arbeitsplatz gleichzeitig. Wegen der Verseuchung des Flusses auch in den stadtentfernteren Teilen erließ die nö. Statthalterei am 23.11.1872 ein Verbot der Flusswäscherei im Wienfluss.
Zu den genannten Gewerben gesellten sich, wie das Protokoll zur Franziszeischen Landesaufnahme zeigt (siehe ab →Seite 300), sehr bald auch die „Infrastrukturgewerbe“ wie Greißler, Bäcker, Fleischhauer, Wirte, Schmiede, Wagner, Schneider, Zimmerer etc. Es ist aber davon auszugehen, dass ein Teil dieser Gewerbe nach Ober St. Veit orientiert war, sich aber nur hier ansiedeln konnte oder durfte (etwa der Binder).
Aus den zwei Gastwirten des Jahres 1819 waren bis 1870 fünf geworden: Anton Kremser („Zum roten Rössel“, Hietzinger Hauptstraße 72, Ecke St.-Veit-Gasse 33), Ignaz Kutzenberger („Zum Schwarzen Adler“), Karl Groissinger, Paul Eckhart (Auhof
Das Gasthaus an der Ecke Hietzinger Hauptstraße 86 / Feldmühlgasse. Eine Ansichtskarte aus den 1910er-Jahren. Später war hier die Geisterstube.
Jakob Willraders Restauration an der Ecke Auhofstraße 39 / St. Veit Gasse. © Archiv Fankhauser
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straße 49, Ecke Feldmühlgasse) und Karl Hofbauer. Darüber hinaus gab es eine Bier- und vier Branntweinschenken.
Es gab schon 1819 einen Fleischhauer im Ort; mehr über die frühen Fleischhauer ist über den seit 1872 tätigen Anton Stelzer, Bürgermeister von 1876–88, bekannt. Im Winter soll er ein Rind, im Sommer zwei Rinder pro Woche geschlachtet haben. Die
Der Fleischhauer Fankhauser am ersten Standort in der St. Veitgasse 72. Nur wenige konnten es sich damals (1933) leisten, teure, speziell gemästete Ochsen auf der Wiener Herbstmesse für Nutz- und Schlachtrinder zu kaufen. Daher wurden die ca. 700–800 kg schweren Ochsen auf einem geschmückten Lohnfuhrwerk werbewirksam durch den Bezirk in das Geschäft geführt. An der Adresse St. Veit Gasse 60 bestand der Betrieb bis 1994. © Archiv Fankhauser
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Unter St. Veiter fuhren zum Fleischeinkauf aber gerne auf den Rudolfsheimer Markt, wo das Fleisch billiger war.
Einen tiefen Einblick in die ärmlichen Verhältnisse vieler Gewerbefamilien gibt ein (wegen eben dieser Verhältnisse abgelehnter) Antrag eines gewissen Friedrich Kulf vom 9.10.1871 auf Erteilung einer Berechtigung zur Bierausschank im Haus CNr. 94 (heutige Auhofstraße 80, neben der Verbindungsbahn, das Häuschen steht noch und wurde 2003 generalsaniert). Das Haus bestand aus einem Gassenladen, einem Wohnzimmer, einem Hofzimmer, einer Küche und einem kleinem Keller. Im Gassenladen hatte Friedrich Kulf eine Greißlerei samt Branntweinausschank eingerichtet, im Wohnzimmer einen kk. Tabakverschleiß, im Hofzimmer und der Küche wohnte er mit seinen fünf Kindern.
Mit der Bleiweiß- und Kreidefabrik des Baron Ignaz von Leykam in einem Nebengebäude der Feldmühle begannen sich auch Fabriksanlagen in Unter St. Veit zu etablieren. 1840–58 war darin eine Baumwolldruckfabrik und dann eine Metallwarenproduktion tätig.
Es folgten
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Die zahlreichen Arbeiter dieser Fabriken wohnten nicht nur in Unter St. Veit sondern füllten auch Arbeiterquartiere der Umgebung, z. B. in Ober St. Veit (Stichworte Kümmerlhäuser, Spitzerhaus).
Unterschiedlich zu Ober St. Veit gab es in Unter St. Veit nur eine geringe bäuerliche Tätigkeit, die meist der Eigenversorgung diente (Ziege hinter dem Haus). Mit Herrn Paul Stecher im Haus Nr. 13 hatte sich aber auch ein größerer Milchmeier mit bis zu 40 Kühen niedergelassen. Außerdem gab es fünf kleinere Milchwirtschaften mit 2 bis 10 Kühen. Mit den Gewerbetreibenden siedelten sich aber auch Küchengärtner an, und 1870 soll es in Unter-St. Veit bereits ebenso viele Gärtner wie Gerber (jeweils 11,4% der selbstständigen Unternehmer) gegeben haben.
Zu den Wohnhäusern und Werkstätten der Gewerbetreibenden Unter St. Veits gesellten sich im Laufe der Zeit auch kleinere Landhäuser, aber auch stattliche Villen prominenter Besitzer. So kam es auch in Unter St. Veit zu einem Bevölkerungsgemisch aus Arbeitern, Geschäftsleuten sowie reichen Bürgern und Adeligen aus Wien.
Das letzte erhaltene Unter St. Veiter Gebäude vom Typus des dörflichen Handwerkerhauses war das vom letzten Unter St. Veiter Bürgermeister Heinrich Schönich im Jahre 1882 erbaute Haus in der St.-Veit-Gasse 34 / Ecke Kupelwiesergasse, in dem er Wohnung und Schlosserwerkstätte hatte. Es wurde Anfang 2017 abgebrochen.
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Heinrich Schönich (dritter von links) vor seinem 1882 gebauten Haus Ecke St.-Veit-Gasse / Kupelwiesergasse. Das Foto stammt aus der Zeit um die Jahrhundertwende und zeigt auch noch die in den 1910er-Jahren demontierten Englischen bzw. Wiener Gaskandelaber mit vierscheiniger Laterne. Die schönen Schmiedeeisenarbeiten vor dem Haus gibt es teilweise heute noch, das Haus ist jedoch gefährdet. © Archiv 1133.at
Das Haus St.-Veit-Gasse 34. Fotografiert am 18. Dezember 2016, knapp vor dem Abriss. Die alten Schmiedeeisengitter waren bereits demontiert.
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Berthold Flesch (1868–70), Anton Kremser (1870–76), Anton Stelzer (1876–88) und Heinrich Schönich (1888-91).
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Eduard Diem: Der Kuss
Bronzeguss von Loderer,
das Original war eine Gipsplastik
aus dem Jahr 2000.
Höhe 23 cm
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In diesem für alle Orte wieder gemeinsamen Abschnitt sei ein letztes Mal aus Gebhard Klötzls Buch zusammengefasst, nämlich zu den bemerkenswerten Ereignissen im Zusammenhang mit der Eingemeindung jener Ortsgemeinden nach Wien, die zum neuen 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing geführt haben.
Es kann sich dabei nur um eine grobe Zusammenfassung handeln, denn die vielen Versammlungen, Stellungnahmen, Beschlüsse, Resolutionen, Deputationen, Wankelmütigkeiten, unterschiedlichen (oft auch falschen) Kalküle und Erwartungen füllen für sich Bände. Die Vororte rund um die Großstadt Wien waren ein recht uneinheitliches Konglomerat von insgesamt 40 Gemeinden. Einige von ihnen, wie Ottakring, Fünfhaus oder Rudolfsheim waren industrialisiert und verstädtert, obendrein grenzten sie direkt an das Stadtgebiet an. Andere wiederum, darunter etwa Grinzing oder eben Hacking, Lainz, Speising, Ober St. Veit und Unter St. Veit, hatten ihren ländlichen Charakter bewahrt, lagen weit von der Stadt entfernt, ja waren sogar von ihr noch durch weite, unverbaute Felder getrennt. Ihnen allen war eines gemeinsam: Sie lagen außerhalb der „Linie“, an der kaiserliche Steuerbeamte von allen in die Stadt eingebrachten Waren die sogenannte Verzehrungssteuer erhoben. Diese war eine beträchtliche Einnahmequelle für den Staat, auf die die zeitgenössischen Finanzminister auf keinen Fall verzichten wollten. Die Folge dieser Art von Steuer war, dass das Leben innerhalb der Stadt Wien (samt Vorstädten) teurer war als in den Vororten. Wien empfand das – verständlicherweise – als steuerliche Ungerechtigkeit, gegen die es seit dem Jahr 1869 ankämpfte. Man hätte gerne das ganze Umland in den Steuerrayon einbezogen gesehen, wo dann alle eine mäßige, pauschale Verzehrungssteuer hätten zahlen sollen.
Das Bestehen der zahlreichen, selbstständigen Vorortegemeinden mit autonomen Vertretungskörpern und ganz verschiedenartigen Einrichtungen neben der Gemeinde Wien hatte, aus überörtlicher Sicht betrachtet, einige weitere Nachteile: Es gab keine einheitliche Lenkung kommunaler Angelegenheiten wie der Wasserversorgung, der Kanalisierung oder des überregionalen Verkehrswesens, von einer einheitlichen Wienflussregulierung gar nicht zu reden. Darüber hinaus waren die Finanzen der Vorortegemeinden in den letzten Jahren zunehmend überfordert und die Verschuldung in vielen Fällen bedrohlich geworden.
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Diese Finanznöte hatten auch einige Entwicklungsrückstände im Bereich der Infrastruktur zur Folge: Man muss sich nur die zahlreichen überlieferten Straßenfotos dieser Zeit ansehen: die Straßen ungepflastert, Kothaufen säumten ihre Ränder, Straßenbeleuchtungskörper waren nur sporadisch vorhanden. In den Orten des späteren Bezirks Hietzing hatte am Vorabend der Eingemeindung kein einziger ein zusammenhängendes Wasserleitungs- oder Kanalnetz. Um diese Probleme zu beheben, hätte man freilich nicht gleich alle diese Orte nach Wien eingemeinden müssen, es hätte auch eine Subvention des Landesausschusses genügt, wie sie schon früher des öfteren gewährt worden war.
Umgekehrt hing die gewerblich-industrielle Blüte der Vororte, ihr Bevölkerungszuwachs, ja ihr ganzes Wohlstandsgefüge an der Verzehrungssteuerfreiheit, weshalb sich die Vororte – genauso verständlich – mit Händen und Füßen dagegen wehrten, durch Hinausschiebung der Linien in das Wiener Verzehrungssteuergebiet einbezogen zu werden. So waren also die Eingemeindungsfrage und der Streit um die Hinausrückung der Linienämter eng miteinander verbunden. Der Haupttenor in der ablehnenden Haltung der Betroffenen war dementsprechend vor allem die Angst vor Erhöhung der Lebenshaltungskosten, vor Erhöhung der Miet- und Grundpreise, vor wirtschaftlicher Schädigung des Kleingewerbes, vor einer höheren Belastung mit Gemeindeabgaben; über allem schwebte natürlich der drohende Machtverlust.
Ein verwaltungsgeschichtliches Faktum muss im Rahmen dieser „Vorgeschichte“ noch des Verständnisses halber berichtet werden: Per 1. Jänner 1890 wurde aus den Gerichtsbezirken Hietzing, Purkersdorf und Neulengbach das Gebiet einer neuen Bezirkshauptmannschaft Hietzing gebildet. Der (Gerichts-) Bezirk Hietzing, umfasste das Gebiet von 16 Gemeinden, wovon die zwölf folgenden zur Eingemeindung vorgesehen waren: Hietzing, Hacking, Unter St. Veit, Ober St. Veit, Lainz, Speising, Hetzendorf, Altmannsdorf, Penzing, Baumgarten, Breitensee und Hütteldorf. Mit dem endgültigen Vollzug der Eingemeindung wurde diese Bezirkshauptmannschaft obsolet, da Wien eine Stadt mit eigenem Statut war und der Wiener Magistrat in seinem Gebiet ohnedies die bezirkshauptmannschaftlichen Agenden besorgte. Die Bezirkshauptmannschaft Hietzing wurde daher mit Wirkung vom 31.12.1891 wieder aufgelassen – die ministeriellen Behördenorganisatoren hatten die Eingemeindung also ganz offensichtlich nicht eingeplant gehabt.
Das Damoklesschwert der Eingemeindung schwebte eigentlich schon lange über den Wiener Vororten – so lange, dass man sich daran bereits gewöhnt und damit leben gelernt hatte. Schon 1849 hatte der Minister des Innern, Graf Franz Stadion, anlässlich der Schaffung des provisorischen Gemeindegesetzes, die
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Idee einer solchen Vereinigung. Sie verschwand wieder in der Schublade. Ab 1872 arbeitete eine Kommission unter der Federführung des Finanzministeriums konkrete Pläne zur Ausweitung der Verzehrungssteuerlinie rund um Wien aus. Die Eingemeindung der Vororte war darin nicht zwingend vorgesehen, wurde aber von den Fachleuten als unvermeidliche Folge erwartet. Eine Indiskretion der lange Zeit geheimen Vorbereitungen in der „Wiener Communal-Presse“ am 15. Mai 1877 brachte den Plan in die Öffentlichkeit. Polterszenen im Wiener Gemeinderat und Protestdeputationen der Vororte zum Kaiser waren die Folge. Damit war das Projekt gestorben.
Dieses trotzdem weiter über den Gemeinden schwebende Damoklesschwert und die damit bedrohte politische Eigenständigkeit scheint den Funktionären in den Gemeinden nicht wirklich bewusst gewesen zu sein, zumindest lassen einzelne Sitzungsprotokolle aus den Gemeindeausschüssen eine weitreichende Sorglosigkeit in dieser Hinsicht erkennen. Das änderte sich erst Ende der 1880er-Jahre, als sie durch neuerliche, von großer Ernsthaftigkeit begleitende Bestrebungen nach einer Vereinigung der Vororte mit der Stadt Wien wachgerüttelt wurden.
Hinter der dann tatsächlich verwirklichten radikalen Vereinigungslösung stand einmal der in allen Gremien ab 1861 stark vertretene oder diese sogar beherrschende politische Liberalismus. Hinter ihm standen industrielle Kreise und wohlhabende Wirtschaftstreibende, auch gehobenes Bildungsbürgertum, das von der Beseitigung administrativer Schranken und Grenzen eine Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft erwartete. Die dominant liberale Presse jener Zeit unterstützte diese Bemühungen größtenteils. Das k.k. Finanzministerium war ein wohlwollender Beteiligter des Vorhabens schließlich winkten höhere Steuereinnahmen und Vereinfachungen. Auch große Teile der Wiener Stadtbevölkerung waren dafür, schließlich wurde eine Senkung ihrer Lebenshaltungskosten in Aussicht gestellt. Allerdings wurden sie betrogen, denn die Preise in den eingemeindeten Vororten stiegen dann auf Stadtniveau, und in der Stadt blieb alles gleich teuer.
All diesen sich jahrelang mit mäßigem Erfolg abmühenden Kräften kam ab Oktober 1889 der neuer Statthalter von Niederösterreich Graf Erich Kielmansegg zu Hilfe. Er war ein tüchtiger Spitzenbeamter, der wusste, wie man Verwaltungsreformen nicht nur fordert und diskutiert, sondern sie auch umsetzt. Bei seinem Amtsantritt fand er dieses Anliegen der Eingemeindung der Wiener Vororte vor und machte es sich zu eigen. Zusammenlegungen haben ja zwangsläufig wirtschaftliche und administrative Vorteile; lokalpatriotischen Gefühle in den Ortschaften und Ängste der zahlreichen Gemeindefunktionäre vor dem Verlust von Amt und Ansehen waren für ihn irrelevant.
Viele der Vorortegemeinden waren zu diesen Vorgängen allerdings hauptsächlich auf Informationen aus der Zeitung ange
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wiesen, denn offiziell erfuhren sie davon erst recht spät. Zu einer Positionierung der Gemeinden des vorgesehenen Stadtbezirkes Hietzing kam es erst in den letzten Monaten vor der Fassung des Gesetzesbeschlusses über die Eingemeindung. Es war dies bereits die heiße Phase, in der die Weichen im Hintergrund schon gestellt waren, und in welcher es im Grunde fast nichts mehr zu beeinspruchen gab.
Es mag daher als bloße Formalität gesehen werden, dass die Statthalterei mit Erlass vom 26. Juli 1890 von allen Vororten Stellungnahmen einforderte. Im August 1890, vor Abgabe dieser Stellungnahmen, gab es dann zahlreiche emotionell-ablehnende Versammlungen, unter anderem im Hietzinger Gemeinderatssaal, im Hütteldorfer Brauhaus und wohl die größte mit rd. 400 Vertretern aus der Mehrheit der Vorortegemeinden in Dornbach im Gasthaus „Güldene Waldschnepfe“. Der Hietzinger Bürgermeister Franz Hanselmayer und der auch vor einer Landtagswahl stehende Liesinger Bürgermeistern Maresch traten als Veranstalter und Redner dieser Versammlunen hervor. In einer ähnlichen Stimmung trafen sich übrigens auch die Vertreter der Feuerwehren.
Für einige Wochen gingen die Wogen des Widerstandes ziemlich hoch, wobei sich der Widerstand auf die ländlichen Gemeinden konzentrierte, die nicht unmittelbar an Wien angrenzten. Für kurze Zeit schien das Projekt der Vorortevereinigung sogar abermals gefährdet. Doch wenn man in den von Statthalter Kielmansegg handschriftlich hinterlassenen „Beiträgen zur Geschichte der Vereinigung der Vororte mit Wien“ nachliest, was sich am Höhepunkt der „Widerstandszeit“ im August 1890 aus seiner Sicht abgespielt hat, so ist man eher verblüfft: Nichts! Kielmansegg und mit ihm das halbe politische Wien waren von Anfang August bis zum 8. September auf Urlaub. In dieser Zeit konnte sich der Widerstand der Landgemeinden in Versammlungen und durch Zeitungsartikel ungemein aufplustern, ohne sofortigen Gegenwiderstand auszulösen.
Es gab aber auch prominenteren Gegenwind, der vor allem von der christlichsozialen Opposition unter Dr. Karl Lueger und im niederösterreichischen Landtag vom Abgeordneten Josef Schöffel, dem berühmten „Retter des Wienerwaldes“ angefacht wurde. Sie sprachen sich im Wesentlichen für ein föderalistisches System mit großer Bezirksautonomie aus. Die Christlichsozialen schwenkten dann auf Totalopposition gegen die Vorortevereinigung um. Ihre Mandatare organisierten im Spätherbst 1890 in allen Bezirken und Vororten Wiens Versammlungen ihrer Anhänger. Dort wetterten sie gegen die Vereinigung der ländlichen Vororte mit Wien, weil sie nur zur Allmacht der liberalen Volksbedrücker und -ausbeuter führen und diese Vororte völlig ruinieren
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würde. Eine solche Versammlung fand auch für die Gemeinden Penzing, Hietzing, Lainz, Baumgarten, Speising, Hütteldorf, Hacking und den beiden St. Veits am 17. November 1890 in einem Hietzinger Gasthaussaal statt. Zu dieser Kampagne gehörte auch ein Leitartikel in der neugegründeten, den Christlichsozialen nahestehenden „Hietzinger Bezirkszeitung“ vom 1. November 1890, in welchem zusammenfassend die Position bezogen wird: Eingemeindung stadtnaher Vororte – ja, Einbeziehung von entfernteren Landgemeinden – nein! Unter die Landgemeinden wurden dabei ausdrücklich alle Gemeinden des Bezirkes Hietzing gerechnet.
Auch die sonstige Lokalpresse zeigt oft Verständnis für die Eingemeindungsgegner, vor allem für die Wünsche der rein ländlichen Gemeinden an der Peripherie, die nicht zur Stadt (werden) wollten. Dazu zählten – zumindest zeitweise – das „Wiener Tagblatt“, die den Antisemiten nahestehende Wochenzeitung „Österreichischer Volksfreund“ und die „Wiener Communal-Bezirks-Zeitung“. In deren Rubrik über die Beschwerden hielt der in Speising ansäßige k.u.k. Konsul a.D. Dr. Karl Schedl ein leidenschaftliches Plädoyer gegen die Eingemeindung aller Gemeinden des Hietzinger Bezirkes: Nach den bekannten wirtschaftlichen Argumenten wie der zu erwartende Teuerung, den Steuererhöhungen, den Verlust des Standortvorteiles für das Gewerbe und dem unvermeidlichen Niedergang der Hietzinger Landgemeinden malte er in recht origineller Weise den bevorstehenden Zusammenbruch des Sommerfremdenverkehrs an die Wand (und sollte damit übrigens im Ergebnis Recht behalten): „Unsere Einverleibung mit Wien würde die unausweichliche Folge haben, dass der Erwerbszweig der Vermietens der Sommerwohnungen sich aufhört, dass die Hausbesitzer ihrer Rente verlustig gehen und ihr Besitz, ihr Vermögen, wertlos wird. Denn der Wiener will im Sommer ‚auf’s Land‘ ziehen, nicht aber von seinem Bezirk in einen anderen Bezirk näher der Linie, wobei er noch immer in Wien ist. Ganz besonders fatal sei die Benennung des Hietzinger Bezirkes mit der Unglücksnummer 13, denn so ist mit Sicherheit vorauszusehen, dass fast kein Wiener mehr in unseren Landgemeinden den Sommeraufenthalt nehmen wird. ... Da es doch wohl nicht in der Absicht der maßgebenden Faktoren liegen kann, ... den größten Teil der Bewohner dieser elf Landgemeinden, welche man irrtümlich als Vororte bezeichnete, zugrunde zu richten, wäre es wohl gerecht und angemessen, aus dem politischen Bezirke Hietzing gar keine Gemeinde nach Wien einzubeziehen.“ In der folgenden Nummer ließ man allerdings auch einen namentlich nicht deklarierten Unter St. Veiter Hausbesitzer zu Wort kommen, der die schlechte Verwaltung der Vororte anprangerte, ihre Freunderlwirtschaft und Dorfjustiz, und der Hoffnung Ausdruck verlieh, dass sich durch die Eingemeindung nach Wien diese Zustände bessern würden.
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Am 15. September 1890 lief die Frist ab, die die Statthalterei den Gemeinden für ihre Stellungnahmen gesetzt hatte. Nur zwei Gemeinden stimmten bedingungslos zu – Untermeidling und Rudolfsheim. 23 Gemeinden sprachen ein „Ja – aber“ und versuchten Bedingungen zu stellen. Keine einzige der gestellten Bedingungen wurde übrigens später erfüllt. Ein harter Kern von 13 Gemeinden blieb kompromisslos beim „Nein“. Aus dem neuen Hietzing kamen im Einzelnen folgende Stellungnahmen:
Hacking hatte sich für eine „Ja, aber“-Stellungnahme entschieden: Einverständnis mit der Eingemeindung, aber unter der Bedingung, dass die Grund- und Gebäudesteuer 20 Jahre lang nicht erhöht wird. Das „Ja“ wurde für die Liste der zustimmenden Gemeinden abgehakt, das „Aber“ ging – wie alle anderen – in der Gesetzesmaschinerie des niederösterreichischen Landtages unter.
Lainz entschied sich für die Fundamentalopposition mit scharfem Protest gegen die Eingemeindung und Androhung der Verweigerung einer Durchführung. Daraus wurde natürlich nichts – Lainz übergab genauso sein Vermögen an die Stadt Wien und löste sich ebenso geräuschlos auf wie alle anderen betroffenen Gemeinden.
Speising erklärte sich gegen eine administrative Einverleibung an die Groß-Commune Wien und bezog sich auf die Staatsgrundgesetz gewährleisteten Rechte. Trotzdem wurde Speising zwangsweise einverleibt.
Aus Ober St. Veit wurde die Frage dem Grundsatz nach bejaht. Das „Ja“ wurde aber an Bedingungen geknüpft. Von diesen wurde jedoch nur der geforderte verbleib des Ortsfriedhofs erfüllt, wohl weil er gebraucht wurde.
Unter St. Veit ließ, um dem späteren Ober St. Veiter Schicksal, dass das „Ja“ abgehakt und das „Aber“ ignoriert würde, zu entgehen, den Fragebogen unbeantwortet. In einem kurzen handschriftlichen Schreiben vom 5. September 1890 wurden lediglich die Bedingungen für weitere Verhandlungen mitgeteilt. Doch auf der Gegenseite gab es überhaupt keine Verhandlungsbereitschaft. Vier Tage später, am 9. September 1890, begann im Wiener Gemeinderat die Plenardebatte über den Gesetzentwurf zur Eingemeindung.
Warum sich trotz anfänglicher strikter Ablehnung dann doch viele Gemeinden für ein „Ja“ – mit oder ohne Bedingungen “ entschieden, ist schwer zu ergründen, vielleicht wollte man die Fundamentalopposition wegen der Teilhabe an der zu erwartenden neuen Situation vermeiden.
Am Montag, den 8. September 1890 war das politische Wien einschließlich Kaiser und Statthalter wieder aus dem Urlaub zurück. Um 1 Uhr hatte eine Deputation der Stadt Wien, bestehend aus dem Bürgermeister Dr. Prix und vielen anderen die Ehre, von Seiner Majestät dem Kaiser in besonderer Audienz empfangen zu werden. Se. Majestät berührten mehrere Tagesfragen, darunter
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insbesondere die Frage der Vereinigung der Vororte mit Wien. Se. Majestät bemerkte, dass diese Frage durchgeführt werden müsse; das Material hiezu sei gründlich durchberaten, und unter allen Umständen werde die Einverleibung der Vororte ein großer Fortschritt sein, den alle Gemeinden fühlen werden. Die Deputation wurde hierauf in gnädigster Weise entlassen. Die Liberalen hatten ihre Wünsche also in die richtigen Hofkanäle eingespeist und mit dieser huldvollen Pro-Äußerung des Kaisers den Höchsten Segen für ihre Pläne erhalten. Für denselben 8. September hatte auch eine Abordnung des gerade versammelten christlichsozialen Gewerbetages eine kaiserliche Audienz begehrt, um gegen die Eingemeindungspläne zu protestieren; dieser Audienzwunsch wurde abgelehnt. Auch die von den Landgemeindeversammlungen unter Vorsitz des Hietzinger Bürgermeisters Hanselmayer zwei Mal beschlossene Deputation zum Kaiser kam nie zustande. Die liberale Presse jubelte – es war nun völlig klar, wohin der Zug abgefahren war. Ab nun war jede Widerstandsbewegung gegen die Eingemeindung zur Aussichtslosigkeit verurteilt.
Am 19. Dezember 1890 wurde im Niederösterreichischen Landtag über das Eingemeindungsgesetz abgestimmt und dieses mit 37 gegen 7 Stimmen angenommen. Die christlich-soziale Opposition hatte den Saal verlassen.
Die vom Advokaten Dr. Heinrich Steger vor 400 Vorortevertretern in Dornbach angekündigte Beschwerde vor dem Reichsgericht wurde niemals eingebracht.
Die Haltung des Hietzinger Bürgermeisters Franz Hanselmayer, oder vielmehr deren nachträgliche Änderung, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Hanselmayer gehörte politisch in das liberale Lager. Hanselmayer, den mehr wienerische Geradheit als diplomatische Gefälligkeit auszeichnete, hielt dennoch bis zuletzt am Widerstandskurs fest. Um ihn als Anführer der bezirksweiten Widerstandsbewegung gegen die Eingemeindung unschädlich zu machen, dürften ihm seine liberalen Gesinnungsfreunde den ersten Bezirksvorsteher versprochen haben und lancierten ihn als solchen schon frühzeitig in der Öffentlichkeit. Er wurde dann tatsächlich erster Bezirksvorsteher des neuen Gemeindebezirkes Hietzing (1891 – 1897). Seine liberalen Bürgermeisterfreunde kamen auch nicht zu kurz: Eduard Sauermann von Baumgarten wurde sein Stellvertreter (1891 – 95), Georg Gusenleithner von Penzing sein Nachfolger (1897 – 1907).
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Eingemeindung das Werk liberaler Eliten in Politik, Wirtschaft und Verwaltung war. Dagegen gab es gleichermaßen Zustimmung und Widerstand. Der Widerstand in den an Wien nicht angrenzenden Landgemeinden war breit, aber er kam von den Machtlosen – und hatte daher keinen Erfolg.
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Gemäß des am 19. Dezember 1890 beschlossenen Eingemeindungsgesetzes wurden 40 Gemeinden mit der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien zu einer einzigen Ortsgemeinde vereinigt. Das Gesetz trat mit sofortiger Wirkung in Kraft, jedoch hatten die Gemeindevorstände inklusive ihrer Verwaltungsapparate die Geschäfte bis zur Errichtung der neuen magistratischen Bezirksämter weiter zu besorgen.
Ein allgemeiner, nicht auf eine spezielle Gemeinde bezogner Stimmungsbericht jener Tage besagt, dass in den Vororten teilweise heftige Ablehnung herrschte, da man über die erlittene, äußerst brutale Behandlung erbittert war. Die Energie der nur mehr sporadisch zusammenkommenden Gemeindeausschüsse galt statt irgendwelchen kommunalen Fragestellungen nur noch einem würdigen Abschied durch Ehrungen aller Art. Ehrenbürgerwürden wurden verliehen, Straßen und Gassen wurden benannt, die Verleihung kaiserlicher Verdienstkreuze wurde beantragt, nach Eigensicht verdienstvolle Dienstjahre passierten revue, Dank wurde ausgesprochen.
Die Stunde des endgültigen Abschiedes kam dann Anfang April 1891 nach den Gemeinderats- und Bezirksausschusswahlen für Groß-Wien mit dem letzten Zusammentreten der Gemeindeausschüsse. Je nach Naturell des jeweiligen Bürgermeisters waren sie wohl unterschiedlich geprägt, doch werden die Zeremonien in allen Ortsgemeinden ähnlich abgelaufen sein, wie in Speising: Dessen Bürgermeister Ferdinand Weinrother, ein scharfer Gegner der Eingemeindung, hielt in der letzten Plenarsitzung des Gemeindeausschusses am 7. Mai 1891 eine bewegende Abschiedsrede, in der er seine 24-jährige Tätigkeit für die Gemeinde und seine 18 Bürgermeisterjahre nochmals Revue passieren ließ, dankte allen Gemeinderäten und Ausschussmitgliedern für die langjährige Treue und kündigte an, sein kommunales Wirken in der neu gewählten Bezirksvertretung fortsetzen zu wollen.
Die formal-rechtliche Existenz der Gemeindeausschüsse hatte allerdings schon mit dem Tag der feierlichen Beeidigung des neugewählten Bürgermeisters von Groß-Wien, Dr. Johann Prix, welche Statthalter Kielmansegg am 5. Mai 1891 im Wiener Rathaus vornahm, geendet. Der Gemeindevorstand (Bürgermeister und Gemeinderäte) blieb jedoch noch einige Zeit im Amt, vor allem zum Zweck der Übergabe der Verwaltungsgeschäfte und des Vermögens der eingemeindeten Vororte an die Stadt Wien. Diese erfolgten zwischen dem 6. Juni und dem 3. August 1891. Gleichzeitig wurde der Großteil des vorhandenen Gemeindepersonals in den Personalstand der Stadt Wien übernommen und verblieb vorläufig an seinem alten Dienstort.
Die Übergabe der Geschäfte im Sommer 1891 war wiederum nur formaler Natur, faktisch änderte sich noch über ein halbes
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Jahr lang nicht viel. Die Gemeindeämter arbeiteten bis Ende 1891 mit dem bisherigen Personal am Ort weiter, dies allerdings jetzt namens der Stadt Wien, wobei sie einige neue oder geänderte Rechtsvorschriften zu vollziehen hatten. Der Gemeindevorstand, bestehend aus Bürgermeister und Gemeinderäten, blieb nominell im Amt, wenngleich rechtlich nunmehr bereits dem Wiener Bürgermeister als weisungsgebundenes Hilfsorgan unterstellt. Die Gemeindeausschüsse gab es, wie bereits beschrieben, seit 5. Mai 1891 nicht mehr.
Ganz ähnlich wie die vor der Abschaffung stehenden Grundherrschaften im ersten Halbjahr 1850 keine brauchbare Verwaltungsleistung mehr geboten hatten, ließ auch der Elan in den auslaufend zu Ende amtierenden alten Gemeindeämtern in den letzten Monaten ihres Wirkens sehr nach, und überall dürften in diesen Monaten eher mühsame Zustände geherrscht haben.
„Ein Notschrei aus den Vororten“ titelte am 9. Juli 1891 die „Wiener Bezirkspost“ und schrieb: „Bekanntlich hat die selbstständige Verwaltung der Vororte-Gemeinden zu existieren aufgehört, ohne dass an ihre Stelle eine andere definitive Verwaltung getreten wäre. ... In den Vororten weiß kein Mensch, wohin und an wen er sich in wichtigen Angelegenheiten zu wenden habe. Meistens wird man auf spätere Zeit vertröstet und zwar bis auf die Zeit, wenn die neuen Bezirksämter in Aktion treten werden. Wann dies sein wird, weiß aber bislang kein Mensch. Es ist das ein sehr unhaltbarer Zustand, in welchem die alte Vertretung, die nichts mehr tut, noch nicht begraben, die neue Bezirksvertretung noch nicht in ihr Amt eingesetzt, ja noch nicht einmal konstituiert ist. Es wäre im Interesse der Bevölkerung, wenn diesem Provisorium ein baldiges Ende bereitet werde.“
Von Gesetzes wegen war vorgesehen, dass dieses Provisorium zu Ende geht, sobald der Statthalter von Niederösterreich die Amtswirksamkeit der neu zu errichtenden magistratischen Bezirksämter kundmacht, was er schließlich per 31. Dezember 1891 tat.
Wenn somit kaum noch etwas funktioniert haben mag, die Steuereintreibung war davon ausgenommen. Bis 18. Dezember 1891 mussten die Bewohner mittels aufwendiger Formulare einbekennen, was sie an Pferden, Kühen, Wein und sonstigen Lebensmittelvorräten besitzen. Die Orte lagen ja jetzt innerhalb der neuen Verzehrungssteuerlinie und wurden steuerlich so behandelt, als ob ihre Bewohner alle ihre Vorräte „importiert“ hätten. In den letzten Tagen vor Weihnachten 1891 erschien ein Linienamtsoffizier mit einem Oberaufseher und durchkämmte die Vorratskammern, um die Richtigkeit der Meldungen zu kontrollieren und jedermann die nachzuentrichtende Verzehrungssteuer vorzuschreiben. Der Ober St. Veiter Pfarrer musste für seine 292 Liter (!) Weinvorrat 15 Gulden und 18 Kronen nachzahlen.
Am 1. Jänner 1892 nahm das magistratische Bezirksamt Hietzing seine tatsächliche Tätigkeit auf, gleichzeitig endete der
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provisorische Auslaufbetrieb in den Gemeindeämtern. Die Gemeindekanzleien wurden versperrt und stillgelegt. Das noch diensttuende Personal verschwand als „zugewiesene städtische Akzessisten“ irgendwo in der Magistratsverwaltung. Damit war der Untergang der politischen Kleinwelt dieser Gemeinden auch administrativ vollendet.
In den folgenden Wochen wurden alle ehemaligen Gemeindeämter ausgeräumt und alle Schlüssel eingesammelt, soweit nicht das eine oder andere Gebäude unmittelbar weiter benützt wurde; dies war etwa in Hietzing der Fall, dessen Gemeindekanzlei bis zur Erbauung des Amtshauses am Hietzinger Kai Sitz der neuen Bezirksvertretung wurde.
In Ober St. Veit hingegen kam es zu einem ortsspezifischen Kuriosum. Bisher hatten die beiden Gemeindesekretäre die Gebäudeaufsicht besorgt. Als frischgebackenen städtischen Akzessisten konnte ihnen aber diese mindere Tätigkeit dienstrechtlich nicht mehr abverlangt werden, obwohl sie beide ihre Ober St. Veiter Dienstwohnung behielten. Da es im Gemeindeamt in der Hietzinger Hauptstraße 164 keinen Hausmeister gab, trug sich Bürgermeister Hentschel an, selbst und unentgeltlich bis auf weiteres die Beaufsichtigung des stillgelegten Gemeindehauses samt der Kanzlei zu übernehmen. Dieses Anerbieten nahm der Magistrat, sichtlich erleichtert, an. Am 30. Dezember 1891, bereits in höchster Zeitnot, stellte man Karl Hentschel per Eilboten sein Bestellungsschreiben zum provisorischen Gemeindeamts-Hausbeaufsichtiger zu. Karl Hentschel war damit der einzige unter allen 40 abgetretenen Wiener Vororte-Bürgermeistern, der per Magistratsdekret die Schlüssel zu seiner ehemaligen Wirkungsstätte weiter behalten und sie betreten durfte, wann es ihm beliebte. Wir dürfen es als sicher ansehen, dass das seinen emotionalen Bedürfnissen nach dem Ende seiner 24 Bürgermeisterjahre gut getan hat.
Auf weitere Besonderheiten ehemaliger Vororte und nunmehriger Bezirksteile wird im Abschnitt „Ortsgeschichten“ eingegangen.
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Mit der endgültigen Auflösung aller gemeindlichen Strukturen in den ehemals selbstständigen Ortenehemaligen fielen die wesentlichsten Anknüpfungspunkte für eine örtliche Gemeinschaftsbildung dahin. Es gab keinen Gemeindeausschuss mehr, dessen Mitglieder jeder kannte, mit denen man sich „gut stellen“ konnte, wenn man etwas wollte, oder mit denen man auch streiten konnte, wenn einem die Richtung nicht passte. Es gab keinen patriarchalisch agierenden Bürgermeister mehr, der wie kein anderer die örtliche Identität verkörperte. Wer sich ab 1891 einen Heimatschein ausstellen ließ, fand sich darin nur mehr als heimatberechtigter Wiener Bürger, und nicht mehr als Hackinger, Hietzinger, Lainzer, Speisinger, Ober- oder Unter St. Veiter bezeichnet. Dennoch riss der Faden einer gewissen Gemeinschaftlichkeit nicht völlig ab, wenngleich die neuen Strukturen dafür nur noch beschränkte Möglichkeiten boten.
Die neue Bezirksvertretung Hietzing, damals noch Bezirksausschuss genannt, bestand aus 18 Mandataren. Genau dieselbe Anzahl Mitglieder hatte der letzte Gemeindeausschuss von Ober St. Veit gehabt, in Unter St. Veit waren es immerhin auch 14 gewesen. Da der Bezirk Hietzing bis 1938 auch die ehemaligen Gemeinden Hütteldorf, Baumgarten, Breitensee und Penzing umfasste, war nicht einmal jedem Ort ein Vertreter in diesem Gremium garantiert. Außerdem hatte der Bezirksausschuss weit weniger Rechte, als es die alten Gemeindeausschüsse zuvor gehabt hatten. Die von ihm per Mitsprache eventuell zu beeinflussenden Exekutivorgane waren der Wiener Bürgermeister und irgendwelche Magistratsbeamte. Von „Selbst“-Verwaltung konnte keine Rede mehr sein. Diese Verhältnisse haben sich übrigens bis heute juristisch nicht wesentlich geändert.
Die Namen der Mitglieder des ersten Bezirksausschusses sind auf einer Marmortafel im Foyer des Hietzinger Amtshauses (Hietzinger Kai 1) verewigt, an dessen Neubau im Jahre 1911 sie beschließenderweise Anteil hatten. Die ehemaligen Gemeinden des Bezirkes Hietzing waren mehrheitlich durch „Alteingesessene“ vertreten, von denen ein Teil schon in den früheren Gemeindeausschüssen tätig gewesen war. Mit den ersten Bezirksvertretungswahlen nach dem Ersten Weltkrieg im Jahr 1919 endete diese Kontinuität. Nun hielten die politisch ausgewählten Parteienkandidaten Einzug, deren Bindung an einen Bezirksteil nur mehr sehr relativ zu sehen war.
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Die gemeindeweise organisierten, sonstigen öffentlichen Institutionen wurden nun bezirksweise zentralisiert: Die Ortsschulräte ging in einem (Gesamt-) Hietzinger Bezirksschulrat auf. Die Armenfonds der einzelnen Gemeinden wurden zum Hietzinger Armeninstitut zusammengelegt.
Die ländlich geprägten Orte gerieten voll in den Sog der Verstädterung. Dieser Prozess der zunehmenden Bevölkerungsverdichtung inkl. Ausdehnung städtischer Kultur und Lebensformen auf die bisher ländlichen Bevölkerungsgruppen führt zu Anonymität und einem rationalen Lebenszuschnitt.
Der ehemalige Ortskerne erlitten ein recht unterschiedliches Schicksal: Unter St. Veit, dessen Kern bis auf einige Reste zerstört wurde, steht für das eine Extrem; Ober St. Veit, dessen Ortskern in großen Zügen als Schutzzone erhalten blieb, für das andere.
Unterschiedlich betroffen waren die neuen Bezirksteile auch von der bis 1894 dauernden Umbenennungswelle, während der ein großer Teil der gewohnten Straßennamen verschwand. Im neuen Groß-Wien durfte es jede Gassenbezeichnung nur einmal geben, und da mussten die vielfach vorhandenen „Sackgassen“, „Gartengassen“, „Lange Gassen“, „Feldgassen“ und wie sie alle hießen, eben weichen. Das „Nachsehen“ hatten vor allem jene ehemaligen Orte, die bei der Benennung von Gassen nach verdienten Leuten aus ihrer Mitte immer Zurückhaltung geübt hatten und großteils bei landläufigen Standardbenennungen geblieben waren. Jene Gemeinden hingegen, die ohne Hemmungen viele Gassen nach eitlen Ortsfunktionären benannt hatten, behielten diese Namen – es gab diese Eigennamen ja sonst nirgends in Groß-Wien. Ein Beispiel dafür ist Rudolfsheim und Fünfhaus: Wer heute mit Straßenbahn zum Westbahnhof fährt, kommt an vielen Seitengässchen der äußeren Mariahilfer Straße vorbei, die immer noch von (völlig unbedeutenden) einstigen Ortsgrößen künden: Dadlergasse, Haidmannsgasse, Jadengasse, Rosinagasse, Clementinengasse, Friedrichplatz, und einige andere. Die anderen aber büßten für ihre relative Bescheidenheit. Ihr Gassennetz musste nun für allerlei mittelmäßig bedeutsame, auswärtige Größen herhalten, für die man irgendwo freie Gassen zur Neubenennung brauchte.
Die soziale Umwälzung der Ortsbewohnerschaft, die schon lange vor deren Eingemeindung begonnen hatte, ging in schnellem Tempo weiter. Dies hing vor allem mit dem unentwegten Bau
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neuer Häuser zusammen, in denen sich Zuzügler niederließen, die kein so starkes örtliches Zugehörigkeitsgefühl mehr entwickelten. Oder auch gar nicht entwickeln wollten, wie die „besseren Herrschaften“, die sich die bergseitigen Gegenden hinauf oder in den neuen Vierteln ihre Villen bauten. Mit der Arbeiterschaft in den neu entstehenden, wienflussnahen Mietskasernen, die die Arbeiter der Fabriken Rohrbacher, Winkler & Schindler, Bossi, Flesch und weiterer kleinerer Fabriken beherbergten, gab es schon wegen der sozialen Kluft gar kein Miteinander mehr. Die Schicht der alteingesessenen Wirtschaftsbesitzer und Gewerbetreibenden wurde durch die Zuwandererströme zahlenmäßig immer mehr zur Minderheit, heute ist sie bis auf einen verschwindenden Kreis von zuordenbaren Nachkommen ausgestorben. Exakte Zahlen dazu gibt es nicht, denn alle bevölkerungsstatistischen Erhebungen erfolgten ab 1892 nur noch für den Bezirk als ganzen. Jede ländliche Gemeinde in Österreich kann ihre Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart schreiben (lassen), was ja immer wieder gerne geschieht. Die eingemeindeten ehemaligen Vororte Wiens können das nicht. Ihre Geschichte endet mit dem Jahr 1891, danach haben sie keine eigene mehr.
Viel örtliches Zusammengehörigkeitsgefühl erhalten blieb allerdings im Bereich der Pfarren, die aufgrund des Bevölkerungswachstum sogar um einige bereichert wurden. Einige von ihnen gaben und geben Pfarrbriefe heraus, manche sogar mit geschichtlichen Beiträgen. Zum Beispiel erzählte in Veröffentlichungen der Pfarre Lainz-Speising der Jesuitenpater Richard Karlinger als Chronist manches über Alt-Lainz (ca. ab 1960). Auch später wurden in den Pfarrnachrichten öfters historische Berichte veröffentlicht.
Ein gewisses Regionalgefühl ging und teilweise geht von den lokalhistorisch tätigen Heimatrunden aus, zum Beispiel traf sich von 1985 bis zu dessen Schließung 2014 die „Ober St. Veiter Heimatrunde“ regelmäßig im Gasthaus Haslinger (Rohrbacherstraße 21), bis zu ihrem eigenen Ende 2017 traf sie sich im Heurigenrestaurant Schneider-Gössl (Firmiangasse 11). Die Runde trug lokalhistorisches Material zusammen und schwelgte ein bisschen in Nostalgie. Ihr ist es zu verdanken, dass Ober St. Veit heute von allen ehemaligen Gemeinden des 13. Bezirkes die mit Abstand am besten dokumentierte ist. Heute gibt es auch eine Heimatrunde in St. Hubertus.
Der 1996 gegründete Verein der Ober St. Veiter Kaufleute pflegt die örtliche Identität mit dem in seinen Reihen kreierten Slogan „Ober St. Veit – das Dorf in der Stadt“. Kaufleutevereine gibt es auch in den Bezirksteilen Hietzing, Lainz und Speising. Emma Zorga, heute Ministerpräsidentin des Narrenzentrums Ober St. Veit, hatte vor ihrer einstigen „Alten Weinhütte“ (Hietzinger Hauptstraße 162) eine Ortstafel mit der Aufschrift „Ober St. Veit“ angebracht. So zehrt jeder, der das möchte, auf seine Art noch ein wenig von der Vergangenheit.
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Das markanteste jener „Amtshäuser“, die nach der Eingemeindung der Vororte nach Hietzing errichtet wurden, ist wohl das neue Magistratische Bezirksamt. In den Jahren 1912/13 wurde es nach Plänen von Eduard Larsch ungefähr an der Stelle des Kopfbahnhofes der ehemaligen Dampftramway nach Mauer bzw. nach Ober St. Veit erbaut. Eröffnet wurde es im Jahr 1914. Bis dahin war das Magistratische Bezirksamt in dem 1880 erbauten Haus Wattmanngasse 12 untergebracht.
Der weithin sichtbare, dreigeschoßige Bau wirkt mit seinem 42,5 Meter hohen Turm stadtbildprägend. Als Vorbild der im sog. „Nürnberger Stil“ mit Elementen der deutschen Renaissance gebauten Anlage wird von Mag. Gerhard Weissenbacher der Typus des mittelalterlichen Rathauses genannt.
Bis 1938 beherbergte die Anlage das Magistratische Bezirksamt für den 13. Bezirk, nach der Bezirksteilung jene für den 13. (2. Stock) und 14. (1. Stock) Bezirk.
Die im Zweiten Weltkrieg erfolgten erheblichen Zerstörungen konnten erst 1951 beseitigt werden. Damals wurde die Marmorverkleidung der Wände des Festsaales durch eine Holzverschalung ersetzt. 1977/78 wurde durch Rudolf Pamlitschka ein hufeisenförmiger Zubau an der Dommayergasse errichtet. In diesem Zubau sind Standesamt, Bezirksgericht, Grundbuch und Erweiterungen der Einrichtungen im alten Bezirksamt untergebracht.
Die Einbeziehung der Vororte Wiens zum neuen Gemeinwesen Wien hatte manche Änderung in der administrativen Einteilung Niederösterreichs zur Folge. Die Bezirkshauptmannschaften Hernals, Sechshaus und Währing wurden aufgehoben, die Bezirkshauptmannschaft Hietzing verlor einen großen Teil des bisherigen Gerichtsbezirks Hietzing und musste ihren Namen in Hietzing-Umgebung ändern. In Tulln wurde eine neue Bezirkshauptmannschaft errichtet.
Der politische Bezirk Hietzing-Umgebung umfasste dann die Gerichtsbezirke Hietzing, Purkersdorf und Neulengbach und reichte von den westlichen „Linien“ der Stadt Wien bis zum westlichen Abhang des Wiener Waldes. Die Liebe zu diesem Flecken Erde in der Nähe der Millionenstadt hat den Vorstand der Bezirkshauptmannschaft Hietzing-Umgebung, Primo Calvi, veranlasst, den ihm anvertrauten Bezirk in topographischer, statistischer und historischer Beziehung zu bearbeiten und dem Buch eine Reihe von Illustrationen beizugeben. Der Kunstfreund wird in diesem Buch alles Wissenswerte finden und auf eine Reihe kunsthistorischer Gegenstände in den fern vom Weltverkehr gelegenen Orten des Wiener Waldes aufmerksam gemacht.
Calvi Primo, Darstellung des politischen Bezirkes Hietzing-Umgebung durch um
fassende Beschreibung aller Dörfer, Ortschaften, Kirchen, Schulen, Schlösser, Anstalten und
bemerkenswerter Objecte. Wien 1901. Im Selbstverlag des Verfassers. 484 Seiten
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Aus dem Monatsblatt des
Alterthums-Vereines zu Wien,
VI. Band Nr. 1 und 2., Jänner und Februar, 19. Jahrgang 1902
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Die Siedlungstätigkeit auf dem Gebiet des heutigen 13. Wiener Gemeindebezriks Hietzing war über die langen Jahrhunderte grundherrschaftlichen Besitzes landwirtschaftlich dominiert und verlief in den einzelnen Orten relativ gleichförmig. Die Schwankungen in der Anzahl der Häuser und der Größe der Bevölkerung waren relativ Synchron und vor allem mit den Auswirkungen von Kriegen und Seuchen zu erklären. Das Wachstum insgesamt blieb in einem bescheidenen Rahmen.
Der Umbruch von einer landwirtschaftlichen zu einer städtischen Lebensweise setzte zuerst in der Patrimonialgemeinde Hietzing etwa in der Mitte des 18. Jahrhunderts ein und intensivierte sich in den folgenden Jahrzehnten. Die Gründe waren die Nähe des Kaiserlichen Schlosses und die zunehmende Beliebtheit als Kurort und Sommerfrische. Angelockt wurde Bankiers, Kaufleute, aber auch neureiche Emporkömmlinge und Kriegsgewinner, deren leicht erworbener Reichtum den Luxus eines Sommersitzes in der Nähe Schönbrunns ermöglichte. Viele Baulustige wurden auch durch eingeschränkte Möglichkeiten in der Stadt Wien angelockt. Für die zur Minderheit geratende einheimische Bevölkerung boten der Grundstücksverkauf oder die Vermietung ihrer Häuser bessere Verdienstmöglichkeiten als die karge Landwirtschaft.
Die napoleonischen Kriege unterbrachen diese Entwicklung, doch der Franziszeische Katastralplan 1819/20 zeigt bereits das Ortsbild des modernen Villenortes, das mittlere und spätere 19. Jahrhundert brachte keine wesentliche Vermehrung des Baubestandes und der verbauten Fläche.
Für die anderen Ortsgemeinden auf heutigem Hietzinger Boden zeigt eben dieser Katasterplan noch eine vorwiegend landwirtschaftliche Bodennutzung. Aber auch hier stand die grundsätzliche Änderung unmittelbar bevor, die Gründe dafür waren vielfältig: die grundsätzliche Ballungsenwicklung im Wiener Raum, das den Wienfluss hinaufziehende Gewerbe und schließlich der Niedergang des Weinbaus wegen anhaltender Trockenheit und der Schädlinge. Die im Vergleich zu stadtnäheren Gebieten wohlfeilen Flächen, insbesondere die zu Wiesen gewordenen Weingärten lockten immer mehr Investoren an. Sukzessive wurden auch die Verkehrsmittel verbessert, bis hin zur Dampftramway. Mit ihr war es möglich, in den entsprechend angebundenen
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Vororten zu wohnen und zu stadtnäheren Arbeitsplätzen zu pendeln – ein typisches Kennzeichen beginnender Verstädterung.
Die mittlerweile selbstständigen Ortsgemeinden konnten diese Entwicklung nicht aktiv steuern, empfanden sie aber als „Fortschritt“ und Aufwärtsentwicklung. Wie stark diese Wachstumsschübe ausfielen, zeigen die Zahlen für Ober St. Veit als ehemals größte Siedlung in der Gegend: Über lange Jahrhunderte hatte es um die 100 Häuser, 1857 waren es bereits 220, 1869 274 und 1880 329. Dies und die ebenso gestiegene Bewohnerzahl ließen die Steuereinnahmen in der Gemeindekasse wohl steigen, doch ebenso stiegen die Anforderungen an die Infrastruktur. Um auch mit dem technischen Fortschritt mitzuhalten, stiegen sie sogar überproportional. Schulen mussten vergrößert und neu gebaut werden, auch wegen der zunehmenden Durchsetzung der Schulpflicht. Die anderen Gebäude im Gemeindebesitz mussten erhalten und ebenfalls an die steigenden Anforderungen angepasst werden. Das Netz der Verkehrswege wuchs ebenso wie die Anforderungen an eine staubfreie Versiegelung. Die öffentliche Straßenbeleuchtung war nicht nur zu erweitern, sondern sollte auch von Öllampen auf Gasbeleuchtung umgestellt werden. Auch die Kanalisierung erforderte laufende Verbesserungen und Erweiterungen. Genauso stiegen die Anforderungen an die öffentliche Sicherheit und den Eigentumsschutz, Feuerwehren waren zu organisieren, Sicherheitwachen, Nacht-Patrouillen und Arrestzellen samt Bewachung einzurichten. Natürlich wurden auch die Friedhöfe zu klein und mussten teilweise an anderer Stelle größer angelegt werden.
Die Wasserversorgung war ebenso sicher zu stellen, in den wienerwaldnahen Gemeinden durch Verbesserung der Quellfassungen und Wasserleitungen aus dem Lainzer Tiergarten, anderswo durch größere Brunnen. Bäche sollten eingewölbt werden und die Befestigungen der Ufer vor allem des Wienflusses waren ständig zu reparieren und zu erweitern. Teilweise war man auch für Brückenbauten zuständig und sollte sich darüber hinaus an gemeinsamen Schlachthöfen oder Bezirksgymnasien beteiligen.
Außerdem waren die niederösterreichischen Gemeinden, wozu die hiesigen Ortsgemeinden zählten, verpflichtet, über die Armenversogung hinaus ein Notspital für Seuchenfälle und für schwerkranke Arme bereitzuhalten.
Früher hatte der Grundherr für die damals noch recht bescheidenen Einrichtungen zu sorgen, die jetzt selbstständigen Ortsgemeinden waren diese explodierenden infrastrukturellen Aufgaben ohne entsprechender finanzieller Ausstattung nicht zu stemmen. Selbst üppige Steuererhöhungen und andere Einnahmen wie Gebühren für diverse Gemeindeleistungen und sogar für die Einbürgerung konnten nur Löcher stopfen und die Überschuldung war unausweichlich.
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Gewiss waren nicht alle Gemeinde gleichermaßen betroffen, im schon weiter entwickelten Hietzing mag die Überschuldung geringer ausgefallen sein und das flächengrößte Ober St. Veit hatte immense Reserven vor allem in der ausgedehnten Allmende, vor allem im Veitinger Feld, die zum Gemeindeeigentum wurde und sukzessive verkauft werden konnte (leider mit aller solche Vorgänge begleitenden Korruption). Verschärfend und letztlich fatal für alle wirkte der verbreitete „Kantönligeist“, der eine gedeihliche Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden und entsprechende Kostenteilungen verhinderte.
Diese Situation gab den Befürwortern einer Eingemeindung starke Argumente in die Hand und die erfolgte Eingemeindung mag bei vielen Gegnern derselben doch zu einer erheblichen Erleichterung geführt haben.
Die Folge war ein enormer Rückstau an notwendigen Investitionen in die öffentlichen Einrichtungen, dessen Abbau nun vor allem der vergrößerten Gemeinde Wien zufiel. Ein erheblicher Teil der diesbezüglichen Projekte betraf den neugeschaffenen 13. Wiener Gemeinebezirk Hietzing. Er verfügte immer noch über immense unverbaute Landreserven und lag darüber hinaus am Problem- und Chancenstrag Wienfluss.
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Die Franzisco-Josephinische Landesaufnahme oder Dritte Landesaufnahme ist ein Landkartenwerk der österreichisch-ungarischen Monarchie aus dem 19. Jahrhundert. Sie ist nach Kaiser Franz Joseph I. benannt und wurde 1869–87 aufgenommen. Die für diese Darstellung zusammengefügten Blätter gehen vermutlich auf das Jahr 1872 zurück. Sie visualisieren das vorhin gesagte: Die Verbauung (Alt-)Hietzings ist weit gediehen, zwischen diesem und den anderen Ortszentren liegen enorme unverbaute Flächen, im Norden mäandert der Wienfluss raumgreifend. Im Laufe des folgenden Jahrhunderts wurde das Gebiet mit Ausnahme des Lainzer Tiergartens und der Schutzgebiete vollständig verbaut.
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Dr. Karl Lueger starb am 10. März 1910. Der Kaiser übermittelte dem Gemeinderat folgendes Beileidstelegramm:
Durch das Ableben Ihres Bürgermeisters Dr. Karl Lueger hat meine Haupt- und Residenzstadt Wien einen großen Verlust erlitten und ich spreche aus diesem Anlass der Gemeindevertretung mein aufrichtiges Beileid aus. Was der Verstorbene für Wien geleistet hat, wie er die Residenzstadt auszugestalten, zu schmücken und zu verwalten gewusst und den kaisertreuen patriotischen Sinn der Bevölkerung zu wahren und zu beleben verstanden hat, ist sein bleibendes Verdienst und wird sein Andenken dauernd wach erhalten.
Franz Josef
Nun, „de mortuis nihil nisi bene“ (von Verstorbenen soll man nur Gutes sagen). Dem Diplomaten Kaiser Franz Josef lag das sicher im Blut. Doch war er es, der der Bestätigung Dr. Luegers zum Wiener Bürgermeister den gewichtigsten Widerstand entgegensetzte. Einer der Gründe für die damalige Animosität des Kaisers entspricht der heutzutage fast alleinigen Charakterisierung Luegers: Er war Antisemit. Dass er das im eigentlichen Sinne wohl nicht war, sondern sich in diesem Sinne eher inszenierte, mag folgendes Zitat aus der Arbeiterzeitung vom 11. März 1910 nahelegen:
Am wenigsten fest saßen seine (Luegers anm.) antisemitischen Gesinnungen in ihm. Mit dem politischen Verstand, mit dem Vorsatz ist Lueger Antisemit gewesen, mit dem Herzen nie. Er wäre wirklich riesig gern ein Antisemit gewesen, aber er hat die Juden zu lieb gehabt! Die Küsse, die er mit Juden – von Jgnaz Mandl bis Wilhelm Singer– gewechselt, waren durchaus nicht nur Komödie. Man muss Lueger im Parlament gesehen haben, wenn er nach einer notgedrungen judenfeindlichen Rede aus dem Sitzungssaal in die Couloirs flüchtete und sich‘s sogleich inmitten „seiner Juden“ (wie oft sagte er da mit einem halbwahren Scherz: „Auf meine Juden laß ich nichts kommen!“) bequem machte. Angenehm „schmusen“ konnte dieser durch und durch verjudete Antisemit am besten mit jüdischen Redakteuren. Es steckte natürlich auch in dieser Zuneigung ein bisserl wienerische Falschheit, aber doch noch mehr Echtheit. Wenn ihm im Privatleben ein Jude ernst kommen und ihm seine Judenfeindschaft vorhalten wollte, so war Lueger förmlich gekränkt. Politik und Menschlichkeit hat er immer als zwei streng getrennte Gebiete angesehen. Zu seiner Erholung (zum Beispiel in Karlsbad) liebte er direkt den Umgang mit Juden und Jüdinnen. Sogar der galizische
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Karl Lueger (1844 – 1910)
Wiener Bürgermeister
von 1897 bis 1910)
Dieses Bild befand sich in den Räumen der Bezirksvorstehung Hietzing.
Da Dr. Lueger bereits 1910 starb, das Hietzinger Amtshaus aber 1912–1913 errichtet und am 12. Jänner 1914 feierlich eröffnet wurde, besteht die Vermutung, dass dieses Bild älter ist und in den Räumen der ersten Bezirksvertretung bzw. des früheren Bezirksvorstehers in der Fasholdgasse einen Ehrenplatz hatte.
Es könnte auch aus dem ersten Magistratischen Bezirksamt in der Wattmanngasse 12 stammen. Jedenfalls hat es und auch der leider sanierungsbedürftige Rahmen mit dem Wappen der Stadt Wien ein ehrwürdiges Alter.
Dieses Bild samt Beschreibung wurde im Rahmen des „Tages der Wiener Bezirksmuseen“ am 23. März 2014 ausgestellt und dort fotografiert. Das Thema dieses Tages war „Wien 1914 – das Ende einer Ära“.
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Jude war ihm eigentlich gar nicht unsympathisch, man weiß, dass Lueger sogar für sehr östlich gelegene Bethäuser Geld gespendet hat. Es ist übrigens auch noch erinnerlich, wie er sich seinerzeit entschuldigte, als er öffentlich zu antisemiteln begann. Da sagte er in einer Rede: „Die Juden haben mich so lange für einen geheimen Antisemiten gehalten, sie haben so lange misstraut und geforscht und vermutet – na bis ich halt wirklich ein Antisemit geworden bin.“ An dem Scherze war sicherlich viel Wahres. Luegers Antisemitismus musste erst hervorgekitzelt werden.
Allerdings war er eigentlich überhaupt nicht sehr für Gesinnungen. Er liebte ein ungeordnetes Durcheinander von Meinungen und Anschauungen, aus welchem Wust dann im geeigneten Moment der passende Grundsatz hervorzuheben war. Das Gefäß zur Aufbewahrung dieser ganz kontroversen Gedanken war für Karl Lueger die Wiener „Gemütlichkeit“. In diesem geräumigen Wurstkessel fand alles Platz: Demokratie und Hofdienst, Hausherren- und Arbeiterfreundlichkeit, Judenfreundschaft und Antisemitismus, Deutschnationalismus und Klerikalismus und noch ein Schock sonst unvereinbarer Gegensätze. ...
Dieses Zitat stammt aus einem Beitrag von Stefan Grossmann in der Arbeiter-Zeitung vom 11. März 1910, deren Redakteur er unter anderem war. Öffentliches Interesse erlangten seine sozialkritischen Reportagen und Novellen. Er wurde dem assimilierten Judentum zugeordnet.
Zurück zum Beginn der Karriere Dr. Luegers als Wiener Bürgermeister. Nach der viermaligen Wiederwahl Luegers zum Bürgermeister innerhalb eines Jahres musste der Kaiser 1896 einem Kompromiss zustimmen, der formell noch einen anderen zum Bürgermeister machte, doch am 20. April 1897 trat Dr. Lueger selbst an die Spitze der Wiener Stadtverwaltung und war – „mit nichts als der Gabe und der Attraktion seiner Rede “ – an das Ziel all seines bisherigen Bestrebens gekommen. Doch was waren seine wirklichen Ambitionen? In seinem Buch „Das österreichische Antlitz“ schätzte Felix Salten die eigentlichen Intentionen Dr. Luegers folgendermaßen ein:
Man merkte, dass wirklich ein Gedanke in diesem Mann nach Ausdruck gerungen hat, nicht bloß der Gedanke an den eigenen Erfolg; dass er von einem Traum erfüllt war, nicht bloß von dem Traum des eigenen Aufstiegs: Wien! All dies andere vorher war nur ein Mittel gewesen. Er hätte jedes beliebige Mittel angewendet, selbst ein edles, wenn es nützlich gewesen wäre. Freilich aber hätte er keines so mühelos, so voll aus seinem Wesen heraus, so ganz aus seinen Instinkten gebrauchen können wie diese Taktik und Technik des Gassenhauers, des „mir san mir“!
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Es soll ihm also um Wien gegangen sein. Am Tag seiner Vereidigung konkretisierte er dies durch sein kommunales Programm. Einerseits legte er mit dem geplanten Bau neuer Gotteshäuser in großem Maßstab, insbesondere in den Vorstädten, ein Programm der Evangelisierung vor. Hauptsächlich aber war es ein Programm einer radikalen Modernisierung, das seinesgleichen suchte.
Ohne hier weiter auf machtpolitische Motive, auch in den umfangreichen Kommunalisierungen bis dato gewachsener privater, „ausländischer“ Versorger, auf die Schwierigkeiten in der Finanzierung oder auf andere Facetten einzugehen, sei bloß die eindrucksvolle Liste tatsächlich durchgeführter oder in die Wege geleiteter Projekte genannt:
Einschub Straßenbahnen: Der wichtigste private Betreiber war die Wiener Tramway-Gesellschaft. Deren soziale Defizite nach intensiver Ausbeutung durch privates Kapital hatte der Pfarrer Rudolf Eichhorn in der 1885 veröffentlichten Broschüre „Die weißen Sklaven der Wiener Tramway-Gesellschaft beschrieben und später dann auch Dr. Victor Adler in der sozialdemokratischen „Gleichheit“, 1889 führte das zum öffentlichen Skandal. Aus den bedrückenden Details sei hier die äußere Erscheinung der „Stallschaffer“ (Stallarbeiter) zitiert: Ihre äußere Erscheinung war von Unterernährung, Auszehrung und Überarbeitung geprägt und sie hatten eine Arbeitszeit von 16 bis 21 Stunden. Aber auch die Kutscher und Kondukteure waren nicht viel besser dran, deren tägliche Arbeitszeit betrug 16 bis 18 Stunden, manchmal bis zu 21 Stunden, mit entsprechender Unfallanfälligkeit. Eine andere Gattung von Bediensteten arbeitete vier Stunden und war reich
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lich genährt. Das waren die Pferde und sie waren – im Gegensatz zu den spottbilligen Menschen – sehr teuer.
Mit der sukzessiven Übernahme und der Elektrifizierung des Straßenbahnnetzes durch die Gemeinde Wien wurde die Kapazität erheblich erweitert, der Betrieb blieb aber nach wie vor schlecht organisiert. Eine Besserung brachte ein höchst bemerkenswertes Verkehrsmittel, das in ihrer Planung allerdings noch auf die vorherige Stadtverwaltung zurückgeht und das gemeinsam mit dem Staat verwirklicht wurde:
Geschröpft wurde für diese Vorhaben vor allem die Masse der Stadtbewohner. 75 Prozent aller Steuern belasteten Wohnen und Konsum und damit in überproportionalem Maße die einkommensschwache Unterschicht.
Darüber hinaus werfen ihm Historiker vor, in seiner durchaus beeindruckenden Modernisierung der Stadt die technische gegenüber der sozialen Infrastruktur bevorzugt zu haben: Ausgaben für die Fürsorge, für die Gesundheit, für Bäder, Grünflächen etc. sollen vergleichsweise unterdotiert geblieben sein. Das Armenwesen blieb der privaten christlichen Nächstenliebe überlassen und oblag vor allem den aus den Mittelschichten rekrutierten „Armenräten“. Maßnahmen zur Linderung der dramatischen Wohnungsnot fehlten gänzlich. Auch das kommunale Männerwahlrecht blieb unangetastet, die Forderung nach Abschaffung des Zensus und der Wahlkörper überlebte als Forderung. Die Christlichsozialen wurden zunehmend zu Proponenten des Kapitals gegen die erstarkende Sozialdemokratie. Letztere war es dann, der die Durchsetzung anstehenden Reformen vorbehalten blieben.
Wie immer man Dr. Lueger als Person und Politiker charakterisieren mag, die Errungenschaften seiner Ära waren per Saldo
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enorm und das Lob des Kaisers Franz Josefs in dessen Kondolenz war berechtigt. Auch aus Hietzinger Sicht, denn die respektable Liste des Modernisierungsprogrammes betraf in hohem Maße auch diesen Bezirk.
Abschließend ein Zeitungsartikel vom 17. Oktober 1908 aus „Das Vaterland“ (Seite 9):
In feierlicher Weise eröffnete heute mittags Bürgermeister Dr. Lueger die früher mit Dampf- und nunmehr elektrisch Betriebene Straßenbahnlinie nach Lainz. Die Fahrt ging vom Neuen Markt aus in zwei reich mit Blumen geschmückten Galawagen der Stadt Wien. An derselben nahmen teil: Regierungsrat Englisch vom Eisenbahnministerinm, die Stadträte Schreiner und Rauer, Obermagistratsrat Appel, Funktionäre der städtischen Siraßenbahnen etc. In Hietzing gesellten sich noch Abg. Kunschak, die Stadträte Zatzka und Hraba, sowie die Bezirksvertretung den Festgästen zu. An der Endstation hatte sich eine größere Menschenmenge angesammelt, welche den ersten Zug sympathisch begrüßte. Die Gesellschaft begab sich in Steindls Restaurant „Zur Weintraube“, wo Bezirksvorsteher Karlinger den Bürgermeister Dr. Lueger aufs herzlichste begrüßte. Bürgermeister Dr. Lueger erwiderte, dass er sich freute, nach Hietzing hinaus zu kommen, der Bezirk sei einer der schönsten Wiens. Er bemerkte auch, dass in den nächsten Tagen ein für den dreizehnten Bezirk ganz besonders wichtiges Ereignis bevorstünde, nämlich die Grundsteinlegung für das neue Spital der Gemeinde Wien. Dasselbe wird ein Juwel für die Stadt und den Bezirk sein und dem letzteren eher zum Vorteile als zum Nachteile gereichen. Der Bürgermeister erklärte weiters, dass er bereits Auftrag gegeben habe, Studien zu den Vorarbeiten für die Elektrisierung der ganzen bis nach Mödling reichenden Strecke der Dampftramway zu pflegen. Er schloss mit einem Hoch auf den dreizehnten Bezirk und begab sich sodann ins Rathaus zurück.
Die folgenden Kapitel beschreiben die für Hietzing wesentlichen Projekte der Ära Lueger bzw. der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Andere infrastrukturelle Errungenschaften, die ebenfalls in dieser Ära ihren Ausgang genommen haben, ihre Vollendung jedoch erst in der Zweiten Republik erfahren haben, enthält das Kapitel „Die Zeit des Friedens“.
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Lange Zeit wurde dem Wienfluss sein bis zu 300 Meter breites flaches Flussbett belassen, in dem er nach belieben mäandern und seine raumgreifenden Hochwässer abführen konnte. Die zunehmende Verbauung in den Hochwasserbereich hinein führte dann zu den in der Wiener Geschichte genannten Katastrophen. Diese Katastrophen sollen auch zum Abhandenkommen ganzer Dörfer geführt haben, betrafen aber vor allem die wachsenden Vorstädte Wiens.
Doch auch in jenen ehemaligen Vororte des heutigen 13. Wiener Gemeindebezirkes, die an den Fluss grenzten – Hietzing, Unter St. Veit, Ober St. Veit und Hacking sind da zu nennen – wuchsen ab dem 19. Jahrhundert die Begehrlichkeiten, dem Fluss seinen Platz durch vor Hochwasser sichernde Uferverbauungen streitig zu machen. Die Eigenständigkeit der Dörfer verhinderte jedoch gemeinsame Anstrengungen und die hohen Kosten begrenzten das Ausmaß dieser Anlagen, meist Kaimauern aus Holz oder Stein. Nennenswerte Begradigungen und Schutzbauten waren dann eine Voraussetzung für die 1856 von Wien nach Linz in Betrieb genommene Westbahn (Kaiserin-Elisabeth-Bahn), die ja einen beträchtlichen Teil den Wienfluss entlangführt.
Größere Begradigungen, Vertiefungen und Einengungen betrafen ab dem 18. Jahrhundert zunächst die Vorstädte, ab 1831 inklusive der ersten Sammelkanäle. Größere Baumaßnahmen zum Hochwasserschutz fanden dann auch in unserer Region unter koordinierender Mitwirkung des Landesausschusses im Sommer 1883 statt, wobei auf die anliegenden Gemeinden horrende Kostenanteile abgewälzt wurden.
Nach zahlreichen nicht verwirklichten Ideen für die Regulierung des gesamten Flusses fasste der Gemeinderat 1882 einen ersten Beschluss zur Wienfluss-Regulierung inklusive Errichtung einer Stadtbahn entlang der Wien. Die konkrete Ausführung musste aber bis 1892, also bis nach der Eingemeindung der Vororte, warten. Sie beinhaltete den Umbau und die Erweiterung der Sammelkanäle, die Errichtung von großen Rückhaltebecken beim Auhof und die durchgehende Regulierung des Wienflusses inklusive der Befestigung der Ufer mit solide gemauerten Kais und des Flussbettes mit einer künstlichen Sohle aus Stein oder Beton und inklusive einer Steinmauer zwischen dem Fluss und der Trasse der Stadtbahn und einer teilweisen Einwölbung. Diese stand unter anderem in Zusammenhang mit dem Projekt einer repräsentativen Wientalstraße.
Die tatsächlichen Regulierungsarbeiten begannen 1894 mit der Erweiterung der vorhandenen Cholerakanäle und wurden 1902 beendet, manche Arbeiten wie die Ausgestaltung im Stadtpark erst danach. Die Fundamente für die Einwölbung wurden wie geplant zwischen Hietzing und dem Stadtpark errichtet. Die
Hietzing
Einwölbung selbst sollte in einem ersten Schritt nur von der Elisabethbrücke bis zur Schwarzenbergbrücke reichen und wurde im Zuge der Ausführung sukzessive auf die Strecke von der Leopoldsbrücke (Höhe Schleifmühlgasse) bis zum Stadtpark erweitert. Die Verlängerung der Wienflusseinwölbung um 1914 bis zur Magdalenenbrücke (Rüdigerhof) wurde dem erweiterten Naschmarkt gewidmet. Die Fortsetzung der Einwölbung Richtung Hietzing fiel dem Ersten Weltkrieg zum Opfer. Über die Otto Wagner‘schen Beiträge hinaus geben die Anlagen und die reiche Dekoration von Friedrich Ohmann und Josef Hackhofer einen Eindruck von der somit unrealisiert gebliebenen Idee einer Prachtstraße.
Ein Lageplan der Wasserhaltungen beim Auhof. Vorbecken (Haltung II), Umlaufgraben, Verteilungswerk, Sohlenabstürze, Brücken etc. sowie die Anlagen am Mauerbach wurden im April 1895 in Angriff genommen und in zwei Jahren beendet. Die übrigen Becken entstanden von Ende 1897 bis Ende 1899. Alle Sammelbecken zusammen haben einen Fassungsraum von 1,6 Mio m3. Bei einem damals kalkulierten maximalen Zulauf von 210 Sekundenkubikmeter wären sie in zwei Stunden gefüllt gewesen. In dieser Zeit sollte die Flutwelle ihren höchsten Stand überschritten haben. Aus Wien am Anfang des 20. Jahrhunderts.
Die Eröffnung der ersten Stadtbahnstrecke erfolgte 1898/99. Unabhängig von der Regulierung in Wien wurde bis 1897 der Wienerwaldsee als Nutzwasserreservoir für die Wientalwasserleitung und als Rückhaltebecken errichtet.
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Regulierungsarbeiten bei Mariabrunn. Blick über die Rückhaltebecken III und IV auf den breiteren Damm zwischen Becken IV und V mit der Verbindungsstraße zwischen Wolf in der Au und Auhof und der Auhofbrücke rechts. © BFW
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Die Stadtbahn um 1900
© Österreichische Nationalbibiliothek
Für die Auspflasterung der Sohle wurde die verschiedensten Steine verwendet. An manchen Stellen auch alte Grabdenkmäler.
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde der bestehende Hochwasserschutz als unzureichend beurteilt. Ein extremes Hochwasser hätte zur U-Bahnlinie U4 überschwappen und in weiterer Folge sogar in die U1 eindringen können. 1997 wurde die Funktionsweise des Hochwasserschutzes an die derzeitigen bzw. prognostizierbaren hydrologischen Verhältnisse angepasst.
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Das Ende der Stauanlagen mit dem Abschlussturm im Jahr 1901. Links des Abschlussturmes das untere Wehr der Haltung VII und rechts der Umlaufgraben mit dem damals vereinigten Wienfluss und Mauerbach. Heute wird die Wien durch die Stauanlagen geleitet und fließt erst nach dem Abschlussturm mit dem Mauerbach zusammen.
© Stadtbauamt
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Im Zuge der Verbesserungarbeiten ab 1997 wurden alle Wehrmauern mit diesen Schleusen und Bediengängen ausgestattet.
Das Sperrwerk und die Einmündung des Mauerbaches, fotografiert am 5. März 2014. Der Umlaufgraben und die Rinne des Mauerbaches waren renaturiert und die Staustufe am Ende des Mauerbachs entfernt worden. Heute fließt nur mehr der von rechts kommende Mauerbach in den Umlaufgraben. Zur Umleitung der Wien in die Rückhaltebecken wurde das Bodenniveau hinter den Schleusen des Sperrwerkes um ca. einen Meter angehoben.
Das Sperrwerk bei Mariabrunn, fotografiert von Franz Matzka am 2. März 1968. Bis zu diesem Zeitpunkt flossen Wienfluss und Mauerbach in den hier beginnenden Umlaufgraben. Bei geschlossenen Schleusen sammelte sich das Wasser im Vorbecken dahinter und füllte sukzessive die weiteren Haltungen. © Stadtarchiv Purkersdorf
Das heutige Fassungsvermögen der Auhofbecken und des Wienerwaldsees zusammen beträgt rund 2,7 Millionen Kubikmeter. Damit kann das Hochwasser ca. sieben Stunden lang um 100 Kubikmeter pro Sekunde verringert werden.
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Gegen Ende des 19. Jahrhunderts führte die Bevölkerungszunahme im Raum Wien und vor allem die Vereinigung der – mit Armenhäusern nur unzureichend versorgten – Vororte mit der Gemeinde Wien zu einem wachsenden Bedarf an geschlossener Armenpflege. Dieser Bedarf drohte durch die mit 1. Jänner 1901 bevorstehende Heimatgesetznovelle mit ihren ausgeweiteten Rechten in Bezug auf die Armenversorgung auszuufern. Zunächst wollte man Kapazitäten außerhalb Wiens erweitern. Der Stadtrat hatte aber mittlerweile umgedacht und fand es als Härte, arme alte Wiener fern ihrer Heimat und weit weg von ihren Verwandten, Freunden und bekannten ihren Lebensabend beschließen zu lassen.
Nach eher unglücklichen Zwischenlösungen (dichtere Belegung, Entlastung der geschlossenen Pflege durch höhere Pfründe, Verlagerung in Landesanstalten) begannen 1900 unter dem Vorsitz des Armenreferenten Dr. Weiskirchner die Beratungen über den Bau eines neuen Versorgungshauses. Auch die Überlassung der Versorgungseinrichtungen im 9. Bezirk an den Wiener k. k. Krankenanstaltenfonds zur Errichtung neuer Kliniken zeichnete sich ab. Es folgten mehrere Gemeinderatsbeschlüsse bis ins Jahr 1903, die ausgehend von einer ersten Ausbaustufe für 2000 Pfleglinge schließlich 14 Pavillons für nahezu 3500 Pfleglinge mit Kosten von über 9 Mio. Kronen vorsahen. Die rapide Steigerung des Bedarfes nicht zuletzt wegen der Heimatgesetznovelle und darauf aufbauende Wirtschaftlichkeitsüberlegungen ließen dies geboten erscheinen. Ein Großteil des Geldes stammte aus dem Verkauf der Versorgungshausrealität in der Spitalgasse im 9. Bezirk um 4,5 Mio. Kronen. Erbaut wurde das Neue Versorgungsheim auf einem 353.000m2 großen Teil eines Gemeindeareals in Lainz und Ober St. Veit inkl. zuletzt angekaufter Wimpissinger-Gründe.
Der am Jerusalemer Ölberg gebrochene Grundstein wurde unter Anwesenheit Kaiser Franz Josefs am 7. Oktober 1902 gelegt, der Schlussstein am 15. Juni 1904. Pförtnerhaus, Eiskeller
Aus:
Das Wiener Versorgungsheim, Gedenkschrift zur Eröffnung von Dr. Jakob Dont, Verlag der Gemeinde Wien, 1904
Zur Versorgung siehe auch
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Der Bau des Wiener Versorgunshauses in Wien,
XIII. Bezirk
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und Gewächshaus mitgezählt wurden 31 Gebäude errichtet. Die wesentlichen Gebäude sind je 5 Frauen- und Männerpavillons und je 2 Pavillons als Ehepaarheime und Krankenstationen. Die restlichen Gebäude beherbergen alle weiteren notwendigen Einrichtungen für die Verwaltung und die Versorgung von Leib und Seele. Den Mittelpunkt bildet die im spät romanischen Stil erbaute Kirche zum hl. Borromäus. Ursprünglich war sie in sehr einfacher Ausführung geplant, zahlreiche und wertvolle Spenden der Bürger ermöglichten die heute noch gänzlich erhaltene üppige Ausstattung.
Zu Beginn der Tätigkeit des neuen Versorgungsheimes kamen auf die über 3000 Heimbewohner rund 300 Ärzte und sonstiges Personal. Die Unterbringung mittelloser Bürger nahm den größten Raum ein, der Krankenpflege waren ja nur zwei Gebäude zugedacht. Neben Unterkunft, Verköstigung, Bekleidung und medizinischer Versorgung bekamen die Bewohner auch Taschengeld von umgerechnet 50 Cent pro Tag. Bis zu 500 Pfleglinge wurden aus therapeutischen Gründen und zur willkommenen Aufbesserung des Taschengeldes auch zu Arbeitsleistungen herangezogen. Natürlich musste die Konstitution des Pfleglings die 6-stündige Tagesarbeit zulassen.
Mittelpunkt der Anlage ist die die Kirche zum Heiligen Borromäus. Sie wurde weitgehend aus Spendenmitteln ausgestattet. Ihre Einweihung erfolgte am 18.8.1903. Wesentlicher Innenschmuck der Kirche sind neben 14 Hochrelief-Kreuzwegstationen des Bildhauers Theodor M Khuen die 130 Genossenschaftswappen der Wiener Zünfte, die als fortlaufender Fries angeordnet sind. Die Wappen wurden nach Skizzen von Hugo Gerard Ströhl vom Maler Hans Steidler auf Holz gemalt. Die Kirche ist außen im
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Ausschnitt aus einem Panoramafoto des Versorgungsheimes unmittelbar nach der Fertigstellung
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Jahre 1981 und innen in den Jahren 1993 und 1994 vollständig restauriert worden.
Besonderes Augenmerk gilt der Statue des Hl. Kamillus: Vor ihm, dem Beschützer der Kranken, suchten gerade die Insassen dieses Pflegeheimes immer wieder Trost und viele brennende Kerzen trugen Bitten vor und sagten Dank.
Der Orden der Kamillianer hatte schon im Jahre 1906 die Seelsorge im damaligen Altersheim übernommen und seine Tätigkeit nur in der NS-Zeit einstellen müssen. Seit dem Jahre 1946 gab es eine eigene Pfarre: „Maria, Heil der Kranken“. Pfarrkirche war die Klosterkapelle des Ordens. Zu dieser Pfarre gehörten die Kapelle im Krankenhaus Lainz und eben die Versorgungsheimkirche.
Ab 2024 gibt es die Kamillianer-Pfarre nicht mehr, weil sie der Orden aus Personalmangel an die Erzdiözese Wien zurückgegeben hat. Die bisherige Pfarre des Ordens der Kamillianer wird formal mit den Pfarren Lainz-Speising und Hubertus zu einer einzigen örtlichen Pfarre zusammengelegt. Wer allerdings die seelsorgliche Tätigkeit im Krankenhaus (Klinik) Hietzing bzw. ursprünglichem Versorgungsheim und späterem Geriatriezentrum ausüben wird, ist noch ungeklärt.
Das Versorgungsheim war mehr als hundert Jahre dem Wohl alter und kranker Menschen gewidmet und erlebte in dieser Zeit mehrere Umbenennungen, 1994 von „Pflegeheim Lainz“ in „Geriatriezentrum Am Wienerwald“. Die Anlage steht unter Denkmalschutz und sollte in ihrer Gesamtheit als Kulturerbe ersten Ranges betrachtet werden. Die jüngeren geriatrischen Vorstellungen tendierten allerdings weg von großen Einheiten hin zu kleineren Wohn- und Pflegeheimen und es erfolgte von 2011 bis 2015 die sukzessive Absiedlung der Geriatrie. Zahlreiche Ideen zur weiteren Nutzung des Areals versandeten, heute dienen die Pavillions verschiedenen Zwecken, u.a. für medizinische Abteilungen des benachbarten Spitals, für die zentrale Notaufnahme, für zuvor im Otto-Wagner-Spital beheimatete psychiatrische Abteilungen etc.
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Zur Versorgungsheimkirche siehe auch www.1133.at/Bericht108
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Den Hochaltar der Versorgungsheimkirche schmückt ein dreiteiliges Bild, gemalt und gespendet vom akademischen Maler Hans Zatzka. Im Mittelbild steht zu Füßen der heiligen Maria mit dem Jesuskind der heilige Karl Borromäus, der Schutzpatron der Kirche. Das Seitenbild rechts stellt die Vindobona als Beschützerin der Bedrängten dar, sie reicht einem alten Arbeiter, seine Arbeitunfähigkeit ist durch einen zerbrochenen Hammer angedeutet, ein Stück Brot. Vor ihr kniet Bürgermeister Dr. Lueger in altdeutscher Kleidung und blickt zur heiligen Maria auf; mit der Linken weist er auf den offenen Plan des Versorgungsheimes. Das Seitenbild links stellt einen alten Wiener und eine alte Wienerin, andächtig zur heiligen Maria aufblickend, dar.
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Die in Wien bestehenden, zumeist vom Staat errichteten und verwalteten öffentlichen Krankenanstalten konnten schon seit Jahren die durch das Anwachsen der Bevölkerung gesteigerten Bedürfnisse nicht mehr befriedigen. Da sich alle zuständigen Stellen gegenüber den erforderlichen Erweiterungen dieser Einrichtungen ablehnend verhielten, sah sich die Wiener Gemeindevertretung gezwungen, aus Eigenem tätig zu werden.
Der Weg zur tatsächlichen Errichtung war allerdings von langwierigen Überlegungen, Verhandlungen und Beschlüssen begleitet. Verhandelt wurden unter anderem die Errichtung von Zubauten entweder im Wilhelminen- oder Franz-Josef-Spital oder in beiden, ein an die neue heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke im (damals noch) 13. Bezirk angegliederter Neubau.
Schließlich fasste der Gemeinderat in der Sitzung vom 11. Oktober 1907 den Beschluss, „freiwillig und ohne Anerkennung einer gesetzlichen Verpflichtung hiezu“ als Denkmal der Erinnerung an das 60-jährige Regierungsjubiläum Seiner Majestät des Kaisers eine Krankenanstalt als ein öffentliches Spital auf eigenem Grund und Boden mit einem Belagraum von 1000 Betten selbst zu erbauen und zu verwalten. Er widmete dafür außer den schon früher bewilligten 10 Millionen Kronen die der Gemeinde gehörige, durch Grunderwerbungen entsprechend zu arrondierende Liegenschaft in Speising. Sie hatte ein Ausmaß von rund 80.000 m2, lag angrenzend an die 300.000 m2 große Area des Wiener Versorgungsheims in Hietzing und war durch Ankauf von weiteren Parzellen auf rund 180.000 m2 vergrößerungsfähig.
Die Bezirksvertretung Hietzing hatte sich am Tag vor dem Gemeinderatsbeschluss mit dem Vorhaben einstimmig für einverstanden erklärt. Die behördliche Genehmigung für die neue Krankenanstalt, bei deren Errichtung die Gemeinde alle Errungenschaften der ärztlichen und technischen Wissenschaften zu verwerten beabsichtigt, wurde mit dem Erlasse der k.k. niederösterreichischen Statthalterei vom 7. August 1908, VI/3119, erteilt. Der Widmung entsprechend wurde das Krankenhaus zunächst „Kaiser-Franz-Josef-Jubiläum-Spital“ genannt.
Zur Deckung des voraussichtlichen Abganges bei der Verwaltung und dem Betrieb der Krankenanstalt wurde um die Erhöhung des Anteiles der Gemeinde Wien an der Linienverzehrungssteuer gebeten.
Am 20. Oktober 1908 wurde der Grundstein zum neuen Spital gelegt. In Vertretung des Kaisers war Seine kaiserliche und königliche Hoheit der durchlauchtigste Erzherzog Leopold Salvator erschienen. Bürgermeister Dr. Lueger hielt die an den Erzerhzog gerichtete Festansprache, unter anderem mit dem Satz: „...Die Gemeinde Wien beabsichtigt, durch diesen Bau eine Musteranstalt zu schaffen, in welcher die Wissenschaft, frei und unabhän
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Aus: Das Kaiser-Jubiläums-Spital der Gemeinde Wien, Gedenkbuch, erschienen im Gerlach & Wiedling, Buch- und Kunstverlag, 1913
Siehe auch
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gig von dem verderblichen Cliquenwesen, ihre Triumphe zum Heile der Menschheit feiern wird.“ Die Volkshymne wurde von den Gesangvereinen des 13. Bezirks angestimmt. Während der Weihbischof Seine Exzellenz Dr. Godfried Marschall unter Assistenz der Pfarrgeistlichkeit des 13. Bezirkes den Grundstein weihte, brachten der Männergesangverein Breitensee, der Penzinger, Speisinger, Hütteldorfer und Baumgartner Männergesangverein den Chor „Veni creator“ und Beethovens „Ehre Gottes“ zum Vortrag. Die üblichen drei Hammerschläge begleitete Seine kaiserliche und königliche Hoheit mit den Worten: „Zur Ehre Gottes, zum Wohle der leidenden Menschheit, zum Ruhme der Stadt Wien.“
Im Zuge der Detailplanungen, die zunächst enorme Kostenüberschreitungen vorausberechneten, wurden das zuvor fix eingeplante Mittelstands-Sanatorium und die geplante Zentraldampfwäscherei aufgegeben. Die auf dieser Basis fertiggestellten und mit den benannten Primarärzten durchbesprochen Detailpläne ließen hoffen, dass mit 11 Millionen Kronen das Auslangen gefunden werden konnte. Weiteren Änderungen fielen u.a. auch noch ein Wohnhaus für Beamte und Ärzte und ein Dienerwohnhaus zum Opfer. Schließlich sollte das ganze Spital aus nur mehr 15 (statt ursprünglich 24) Gebäuden bestehen. Der in den früheren Projekten enthaltene Grundgedanke der Schaffung eines großen Gartenhofes und zusammenhängender Gartenanlagen wurde jedoch beibehalten.
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Der Festplatz während der Grundsteinlegung am 20. Oktober 2008. Im Hintergrund sind die Pavillons des Versorgungsheimes zu sehen. © Archiv 1133.at
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Ebenfalls zur Zeit der Detailplanung wurde der Krankenpflege- und Wartedienst der Kongregation der Schwestern vom 3. Orden des heiligen Franz von Assisi in Wien übertragen. Damit war die Verpflichtung verbunden, im Jahr 1911 mindestens 100 in der Krankenpflege geschulte Schwestern bereit zu halten und die jeweils hievon geforderte Anzahl sofort in den Dienst des Spitales zu stellen.
Am 28. Dezember 1909 begannen die ersten Anbotsverhandlungen, am 15. März 1910 wurde mit den Erd- und Baumeisterarbeiten begonnen. Erst im Jahre 1911 erhielt das neue Krankenhaus durch den Stadtratsbeschluss vom 21. Februar seine amtliche Bezeichnung: „Kaiser-Jubiläums-Spital der Stadt Wien.“ Der gekürzte Name musste gewählt werden, um Verwechslungen mit dem bereits bestehenden k. k. Franz-Josef-Spital im 10. Bezirk vorzubeugen.
Die Bauarbeiten, die Erteilung der Benützungsbewilligungen und die sanitätsbehördlichen Kollaudierungen währten bis April 1913.
Als erste Abteilung des Spitals wurde am 3. Februar 1913 die II. interne Abteilung eröffnet und noch am selben Tag 24 spitalsbedürftige Kranke vom Wiener Versorgungsheim übernommen. Vom 24. Februar 1913 an wurden alle Kranken, die sich melde
Lageplan zum Detailprojekt für die Erbauung der Kaiser-Jubiläums-Krankenanstalt der Gemeinde Wien, das am 19. November 1909 im Stadtrat genehmigt und wofür vorbehaltlich der staatlichen Genehmigung und des anstandslosen Ergebnisses der abzuhaltenden Baukommission der Baukonsens gemäß § 105, Absatz 4, der Wiener Bauordnung erteilt wurde.
Berechnet wurde ein effektiven Gesamterfordernis von 10.983.012,42 Kronen, wovon ein Betrag von 10.577.301,12 Kronen auf Bau und innere Einrichtung und ein Betrag von 405.711,50 Kronen auf die Kosten der Grunderwerbung entfiel.
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ten, aufgenommen, sofern sie sich bereit erklärten, für ihre Verpflegskosten selbst aufzukommen. Unbeschränkt konnten Kranke erst nach Erteilung des Öffentlichkeitsrechtes aufgenommen werden. Die betreffende Kundmachung des k. k. Statthalters von Niederösterreich vom 8. Mai 1913, 3. VI–1165/6, wurde im XIV.
Der Bauplatz des Kaiser-Jubiläums-Spitals im Oktober 1910 von Süden aus gesehen.
Der Roland-Brunnen im großen Gartenhof. Dieser künstlerische Monumentalbrunnens inmitten des großen Gartenhofes ist die Arbeit dem akademischen Bildhauer Josef Heu. Die Figur trägt die Gesichtszüge des Bürgermeisters Dr. Karl Lueger. Er war am 10. März 1910 – in der Phase des Baubeginns des Spitals – verstorben. Damit ist das Kaiser-Jubiläums-Spital das letzte große Werk seiner Amtszeit.
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Die Schlusssteinlegung zum Kaiser-Jubiläums-Spital. Der Einzug der Geistlichkeit auf dem Festplatz während der Feierlichkeit am 17. Mai 1913
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Stück des Landes-Gesetz- und Verordnungsblattes für Niederösterreich, ausgegeben am 14. Mai 1913 unter Nr. 48, veröffentlicht. In derselben Kundmachung wurde die Verpflegsgebühr in der allgemeinen Verpflegsklasse mit 3,20 Kronen für den Kopf und Tag festgesetzt.
Im Laufe der Jahre wurde das Kaiser-Jubiläum-Spital zum Lainzer Krankenhaus, zum Krankenhaus Hietzing und schließlich zur Klinik Hietzing des Wiener Gesundheitsverbundes. In der Ersten Republik wurde sie mit zusätzlichen medizinischen Abteilungen bereichert und dann auch die besten Ärzte berufen. Das Lainzer Krankenhaus avancierte zu einer „zweiten Universität“.
Auch in der Zweiten Republik vermehrten sich die medizinischen Abteilungen, und die Institutionen wurden zu Schwerpunkten in der medizinischen und pflegerischen Versorgung der Wiener. Doch wissenschaftlich blieben die Einrichtungen im Schatten der dynamischen medizinischen Weiterentwicklung weltweit. Was dezidiert für das Geriatriezentrum am Wienerwald festgehalten wurde, gilt wahrscheinlich für den ganzen Komplex: „Geriatrie als Wissenschaft entwickelte sich in Österreich von anderen Zentren aus, wobei die wissenschaftspolitischen Gegebenheiten der Fünfziger und Sechziger Jahre das durchaus vorhandene Potential in Lainz marginalisierten“ (Arias-Horn-Hubenstorf: „In der Versorgung“, S 282). Auch fällt die in der Zweiten Republik – verglichen zur Ersten Republik – lückenhafte Dokumentation der Gegebenheiten auf. Sogar die biografischen Eckdaten der Stationsleiter sind teilweise höchst lückenhaft. Seit Mitte der 1990er-Jahre wird überhaupt die Zertrümmerung gewachsener Strukturen ohne brauchbare Alternativen diagnostiziert.
Thematisch passt hier der Hinweis auf ein Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg. Auf dem Gelände von Krankenhäusern wurden während des Zweiten Weltkrieges sogenannte Operationsbunker errichtet. Diese speziellen Hochbunker waren mit den notwendigen technischen und sanitären Einbauten ausgestattet, um auch während eines Angriffes Behandlungen und medizinische Eingriffe vornehmen zu können.
Solche weitgehend baugleiche Operationsbunker gab es im 1. Hof des alten Allgemeinen Krankenhauses, im ehemaligen Kaiserin Elisabeth-Spital, zwei im Wilhelminenspital und einen im damaligen Lainzer Spital, dem heutigen Krankenhaus Hietzing. Der Bunker im AKH wurde 1997, als der Hof 1 zum Universitäts Campus umgestaltet wurde, teilweise in einen Gastronomiebetrieb einbezogen. Der Bunker im 2012 abgesiedelten Kaiserin-Elisabeth-Spital ist in einem schlechten Zustand und wurde als Abstellplatz für ausrangiertes Inventar verwendet. Von den Bunkern im Wilhelminenspital wird einer als Lagerraum benutzt (er wurde durch Aufstockung stark verändert), der andere wurde
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Quelle:
La Speranza, Marcello:
Burgen, Bunker, Bollwerke. Historische Wehranlagen zwischen Passau und Hainburg. Graz: Leopold Stocker Verlag 2004, ISBN 3-7020-1046-7
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Dieses Foto aus dem Jahr 1943 zeigt den seinerzeit modern eingerichteter OP-Bunker im Allgemeinen Krankenhaus. Im Wesentlichen war er baugleich mit dem OP-Bunker im KH Hietzing. Foto Wiener Stadt- und Landesarchiv
eine Zeit lang als Sauerstoffzentrale und Gasflaschenlager benutzt und steht jetzt leer (Angaben laut La Speranza 1999).
Der gegenständliche Hochbunker im heutigen Krankenhaus Hietzing steht zwischen den Pavillons V und VI und ist mit dem Pavillon VI durch einen unterirdischen Gang verbunden. Nach dem Krieg wurde er als Magazin für Katastropheneinsätze (Betten für Notfälle etc.) verwendet. Außerdem befand sich darin laut La Speranza ein Sondermülllager. Heute dient das Gebäude als Archiv für verschiedene Abteilungen des Krankenhauses. In einem neueren Zubau sind ein Notstromaggregat und eine Trafostation untergebracht.
Von den alten technischen Einrichtungen wie Generatoren, Leitungen, Aggregate, Belüftungsrohre, Ventile, Stahltüren und Beleuchtungskörper ist nichts mehr vorhanden. Das ehemalige Notstromaggregat, die Stahltüren und die Operationslampen wurden laut La Speranza im Jahr 1995 entfernt. Nur noch alte Verfliesungen und sanitäre Anschlüsse zeugen von der einstigen Verwendung.
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Der Operationsbunker im Krankenhaus Hietzing,
fotografiert am 8. April 2013
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Nach Ansicht der Stadtplaner an der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert waren die ländlichen Vororte Wiens in ihrer Struktur und Besiedelung nur deshalb zurückgeblieben, weil ihnen die Kraft für eine selbstständige Entwicklung und die entsprechenden Verkehrsverbindungen mit dem Stadtinneren fehlten.
Doch nun war das Stadtgebiet erweitert und es gab die Stadtbahn, die in weitem Bogen die dicht bebauten Stadtgebiete durchzog und kreuzungsfrei mit den südwestlich gelegenen ländlichen Gebieten verband. Damit konnte sich vor allem das freie Land im 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing als Wohnviertel für diejenigen entwickeln, die im Stadtinneren arbeiten und draußen wohnen wollten. Und tatsächlich erfuhr in diesen Landstrichen, die früher eher als Sommerfrische genutzt wurden, der Bau von Familienhäusern, Zinshäusern und die Anlage von Cottage-Vierteln eine enorme Beschleunigung. Wohl war man sich der Nachteile der trägen, dampfbetriebenen und als kostspielige Vollbahn ausgeführten Stadtbahn im Vergleich zu leichten innerstädtischen Lokalbahnen anderer Metropolen bewusst, doch gab es militärische Rücksichten und der weitere Ausbau inkl. elektrischem Betrieb stand bevor.
Abseits gelegene Gebiete hatten zur Bewältigung des Lokalverkehres (abgesehen von einem unzulänglichen Omnibusdienst) nur die aus der Umwandlung der bisherigen Pferdebah
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Diese Übersichtskarte um 1900 zeigt das Wiener Bahnnetz, das Hietzing betreffend zuletzt um die Stadtbahnen erweitert wurde. Aus „Wien am Anfang des XX. Jahrhunderts“
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nen und Dampftramways entstandenen elektrisch betriebenen Straßenbahnen, die allerdings die Erweiterung ihrer Netze laufend vorantrieben.
Diese Beschleunigung der baulichen Entwicklung vor allem in den ländlichen Gebieten musste allerdings in geordnete Bahnen gelenkt werden. Zu diesem Zweck wurde die bestehende Bauordnung mit dem Gesetz vom 26. Dezember 1890 abgeändert bzw. ergänzt. Die Novelle beschränkte Bauhöhen und gab die Möglichkeit, Gebiete für Industriebauten bzw. geschlossene Bauweisen etc. zu bestimmen. Auf Basis dieser Ermächtigung genehmigte der Gemeinderat am 24. März 1893 einen Bauzonenplan für Wien. Er definierte vier Zonen, für den 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing galt weitgehend die – für das äußere Wohngebiet bestimmte – vierte Zone. In dieser durften in der Regel nur Gebäude mit einem Parterre und zwei Stockwerken gestattet
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Dieser Übersichtsplan aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts zeigt die damals noch großen unverbauten Flächen Hietzings vor allem im Bereich Ober St. Veits und um den Küniglberg.Aus „Wien am Anfang des XX. Jahrhunderts“
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werden. Hoch genug allerdings, um ländliche Ensembles – die damals noch wenig Schutz hatten – mit hohen Wohnhäusern zu durchdringen und damit zu zerstören. Dass dies nicht in allen ehemaligen Dorfzentren geschah und sich einige malerische Ensembles erhalten haben, ist wohl nur dem Geldmangel zuzuschreiben. Auch sonst erwies sich diese Bauordnung in vielerlei Hinsicht als unbefriedigend, dennoch blieb sie lange in Kraft.
Nach der Einbeziehung der ehemaligen Vororte konnte auch eine weitere Notwendigkeit verwirklich werden: ein Generalregulierungsplan für ganz Wien (der Vorläufer des heutigen Flächenwidmungs- und Bebauungsplans). Bisher waren Bebauungspläne für größere Gebiet die Ausnahme und man hatte sich meist mit der Festsetzung von Baulinien für Häuser oder Straßen beholfen. In den Vororten waren diese mangelhaft, nicht aufeinander abgestimmt und nicht zukunftstauglich. Am 3. Dezember 1892 wurde ein öffentlicher Wettbewerb gestartet. Die Verwertung des daraus resultierenden Materials und die Ausarbeitung des Planes oblag ab 1894 einer innerhalb des städtischen Bauamtes neu geschaffenen und dem Stadtbaudirektor unterstellten Abteilung – „Regulierungsbüro“ genannt – mit Ing. H. Goldemund als technischen Leiter.
Die ersten Aufgaben waren – neben innerstädtischen Schwerpunkten – die Erstellung der Pläne für die „Wienzeile“, jenes Boulevards, der sich nach Einwölbung des Wienflusses vom Stadtpark bis Schönbrunn ziehen sollte, größtenteils jedoch dem Ersten Weltkrieg zum Opfer fiel.
Zur Haupttätigkeit des Regulierungsbüros wurde jedoch die Verfassung von Bebauungsplänen für die noch unbebauten äußeren Gebiete. Dazu gehörten die Pläne für neue Wohnviertel im 13. Wiener Gemeindebezirk. Vorgabe war, die Straßenzüge nach genauen Terrainaufnahmen so zu planen, dass sie sich dem kupierten Gelände möglichst anschmiegen und „dass sich eine Reihe peripherischer Straßen, ohne den Charakter einer Ringstraße zu erhalten, zu einer an Abwechslung reichen ‚Hügelstraße‘ verbindet“. Dabei sollte die schablonenhafte Einförmigkeit früherer Stadterweiterungen durch möglichste Individualisierung der einzelnen Stadtteile, Straßen und Plätze vermieden werden. Dabei spielte die genaue Festsetzung der Bebauungsart und die Reservierung von Flächen für öffentliche Parks eine große Rolle.
Ende 1903 war der Generalregulierungsplan zu zwei Dritteln vollendet, die anschließend ausgeführten Projekte betrafen allerdings ausnahmslos andere Bezirke. In räumlicher Nähe befand sich die Anlage des Schönbrunner Vorparks, des heutigen Auer-Welsbach-Parks.
Einsehbar waren die Bebauungspläne in den Generalstadtplänen 1904 und 1912, mit deren Erstellung ebenfalls das Regulierungsbüro beauftragt war. Die Pläne umfassten auch die 1890/92 eingemeindeten Vororte. Diese historischen Pläne können im Internet auf „Wien Kulturgut“, dem digitalen Kulturstadtplan der
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Stadt Wien, betrachtet werden. Sein umfangreiches Kartenmaterial zeigt die kulturgeschichtliche und stadtplanerische Entwicklung Wiens vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart.
Die Generalstadtpläne wurden auf Basis zusammengefügter und aktualisierter Katastermappen mit veralteten kartografischen Maßstäben erstellt. Allerdings gab es gedruckte Ausgaben unterschiedlichen Inhalts mit unterschiedlichen Maßstäben. Ein für Hietzing relevantes Beispiel ist der „Plan des XIII. Bez. Hietzing der Bundeshauptstadt Wien im Maße 1:5000“. Herausgegeben wurde er unter Mitwirkung des Stadtbauamtes vom Verlag R. Lechner (Wilhelm Müller). Im Folgenden zwei beispielhafte Ausschnitte daraus.
Erster Plan: Ausschnitt eines Bereiches zwischen Hietzinger Hauptstraße und Auhofstraße aus dem undatierten Lechner-Plan. Dieser Bereich war bereits um 1910 dicht verbaut und der Generalstadtplan folgte in seiner Parzellierung den Gegebenheiten, wie sie gewachsen und in alten Landesaufnahmen festgehalten waren. Die in der Regel rechteckigen Parzellen wurden jedoch durch die von Maria Theresia veranlasste Verbindungsstraße von Schönbrunn nach St. Veit (heute Hietzinger Hauptstraße) schräg durchschnitten und es entstanden Trapeze mit dementsprechender Verbauung.
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Zweiter Plan: Dieser Ausschnitt aus dem Lechner-Plan mit einem Bereich südlich der oberen Hietzinger Hauptstraße zeigt die Planung im noch unverbauten Gebiet nordöstlich des Roten Berges. Anstelle des gewachsenen krummen Wegenetzes wurden breite, gerade Straßenzüge mit ihnen folgenden Baulinien eingetragen. Dabei wurde versucht, bereits verbaute Straßenzüge in sinnvoller Weise fortzusetzen. Die geplante Verbauung beschränkte sich auf das ebene Veitinger Feld und endet – mit Ausnahme des Bestandes – vor den Hängen des Roten Berges. Grün eingekreist habe ich den damals schon bestehenden Wimpissinger Stadl (links) und die ehemalige Windmühle bzw. Pechhütte (rechts). Die an letzterer vorbeiführende ehemalige Windmühlstraße sollte durch das neue Straßennetz ersetzt werden, hat sich aber teilweise in Bereichen der Dostojewskijgasse und der Käthe-Leichter-Gasse erhalten.Der von mir eingetragene blaue Punkt zeigt die Stelle der ehemaligen Edleseelackn. Der projektierte Platz ist der heutige Goldmarkplatz.
Mit der Realisierung dieser Verbauung begonnen wurde allerdings erst in den 1920er- und 1930er-Jahren. Die heute bestehende vollflächige Verbauung (mit Ausnahme des geschützten Roten Berges) geht aber auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück. Benannt wurde die Schrutkagasse 1925 nach dem Rechtsgelehrten Emil Schrutka Edler von Rechtenstamm.
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Das im Generalregulierungsplan vorgesehene Straßennetz ist im heute bestehenden durchaus wiederzuerkennen, allerdings mit zahlreichen Abweichungen. Es kamen Straßen dazu, manch geplante Straße wurde verkürzt, geteilt, verschoben oder gar nicht verwirklicht. Zum Beispiel sollte die Premreinergasse, die parallel zur Auhofstraße verläuft, von der Verbindungsbahn bis zur Glasauergasse führen, endet jedoch bei der Rohrbacherstraße. Nach Interventionen engagierter Bürger gibt es vor dort einen Durchgang zur Sommerergasse. Die Ober St. Veiter Prehausergasse ist in drei völlig unabhängige Abschnitte geteilt.
Abschließend noch eine Anekdote zum im zweiten Planausschnitt eingezeichneten Tümpel: Am Fuß des Roten Berges gelegen war er natürlichen Ursprungs, gefüllt mit ablaufendem Oberflächenwasser aus den Hängen des Roten, Girzen- und Trazerberges. In älteren Plänen ist er noch eingezeichnet. Nach seinem Verschwinden, vermutlich im Zuge des Straßen- und Siedlungsbaus, trat ein anderer künstlich angelegter Tümpel westlich des Wimpissinger-Stadls an seine Stelle. Er besteht bis heute, ist jedoch meist ausgetrocknet.
Der alte Tümpel wird vom Ober St. Veiter Heimatdichter Vinzenz Jerabek als Edleseelackn beschrieben, siehewww.1133.at/Bericht 124. Hier ein Textausschnitt:
Das Dorf Ober-St. Veit ist ... ein Idyll im Grünen gewesen. Am Rand des Wienerwaldes, besaß es eine Fülle von Wiesen, Äckern, Weingärten, eine schöne Au an der Wien, bewaldete Hügel und vor allem die „Edleseelackn“, ein Gewässer unterhalb des Roten Berges. Die Edleseelackn! Ein Eldorado für uns Kinder, ein Ort der Angst für besorgte Mütter. Was wir da für schreckliche Geschichten zu hören bekamen! Die Edleseelackn ist so tief, dass man den St. Veiter Kirchturm zweimal übereinander hineinstellen könnte. Wer da hineinfällt, kommt nicht mehr heraus, weil er sich sogleich in ein Pflanzengewirr verstrickt, das ihn nicht mehr auslässt, so dass er elendiglich ersaufen muss. Der Sage nach lagen darin ein Bierwagen samt Fässern, zwei schwere Rösser mit ihrem gleichfalls beleibten Kutscher. Und von den armen Ertrunkenen, die nachts, von den Irrlichtern angezogen, in das Wasser hineintappten und nicht mehr herauskonnten, hieß es, sie wären unzählbar. Zur Steuer der Wahrheit über die so schändlich verleumdete „Lacken“ muss ich anführen, dass wirklich einmal ein Mann darin ertrunken ist. Der Mann aber hatte seinen kompletten Samstagsrausch, ist auf dem Heimweg auf eine „Irrwurzen“ getreten, den „Irrlichtern“ nachgegangen und ins Wasser gefallen. Und das Merkwürdige an der Sache war, die Kleider waren staubtrocken, der Mann lag nämlich auf dem Uferrand im Gras, bloß der Kopf steckte im Wasser. Der Rausch muss demnach ein ganz gewaltiger gewesen sein.
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Der Tümpel am Roten Berg, fotografiert am 2. Jänner 2024. Mittlerweile sind es ebenfalls mehrere Generationen, die an diesem Nachfolger der Edlseelackn gespielt hatten. Wenn er so gut gefüllt ist, wie hier im Winter, ist seine romantische Anziehungskraft gut nachvollziehbar.
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Ringstraße und Gürtel prägen das Bild von Wien. Der dritte Ring, der Wald- und Wiesengürtel, der sich auch durch Hietzing hinzieht, sichert seine Lebensqualität. Der Ausgangspunkt für dessen Anlage war ein denkwürdiger Gemeinderatsbeschluss vor bald 120 Jahren.
Die Voraussetzungen für den Erhalt des Wien umgebenden Grünraumes wurden allerdings schon wesentlich früher, nämlich um das Jahr 1870 geschaffen oder, besser gesagt, erhalten.Damals begann der spätere Bürgermeister von Mödling, Joseph Schöffel, seinen publizistischen Kampf gegen die Abholzung des Wienerwaldes. Der Kampf endete 1872 mit der Aufhebung aller den Wienerwald gefährdenden Gesetze, Verordnungen und Verträge.
Doch auch die Stadt selbst, die 1892 durch die Eingemeindung der Vororte eine erhebliche Ausweitung erfuhr, und die im Sog der Industrialisierung maßlos und fast ungeordnet wuchs, drohte selbst an der Peripherie den ländlichen Charakter zu verlieren. Für die Mitte des 20. Jahrhunderts wurde damals eine Bevölkerung von vier Millionen Menschen erwartet. Eine ordnende Hand und ein städtebauliches Leitbild waren dringend notwendig.
Vom Magistrat der Stadt Wien wurde daher ein Wettbewerb zur Erlangung von Entwürfen für einen „Generalregulierungsplan“ mit folgender Zielsetzung ausgeschrieben:
„...... Insbesondere sind die vorhandenen Wälder zu schonen und nur an den durchzuführenden Verkehrsstraßen oder an sonst gut gelegenen Punkten Ansiedlungen zu Villegiaturzwecken in Aussicht zu nehmen.“
Aus den Motiven waren bereits die Ansätze des späteren Wald- und Wiesengürtels und der Höhenstraße ablesbar. 1894 schlug der Architekt Eugen Fassbender, einer der Teilnehmer an dem Wettbewerb, die Ausweisung einer 750 m breiten Zone in einer Entfernung von ungefähr fünf Kilometer vom Stadtmittelpunkt ringförmig um die Stadt vor, die von einer Verbauung freizuhalten und als Erholungsgebiet auszugestalten wären. Er begründete das u. a. wie folgt:
„... einen Gürtel grünen Angers zu schaffen und ihn von jedweder Verbauung auszuschließen. Dieser Gürtel zieht sich um die ganze Stadt herum und ist schon einmal aus hygienischen Gründen höchst wertvoll für Wien, denn seine Fläche bildet zusammen mit der Fläche des Donaustromes, welche den Kreis gleichsam schließt, gewissermaßen einen Gesundheitsgürtel für die Stadt. Dieser Gürtel grünen Angers soll sonach vorzüglich dem Wohle des Volkes dienen und wir heissen ihn daher Volksring.“
Recherchiert und dargestellt unter Zuhilfenahme von Veröffentlichungen der Stadt Wien, Berichten, Diskussions- und Konzeptpapieren meist der MA 18 und einer Jubliäumsschrift des Kleingartenvereines Trazerberg.
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In dieser Kompromisslosigkeit war der Plan allerdings nicht realisierbar, schon aus Kostengründen. Es dauerte bis 1898, dass der „Österreichische Ingenieur- und Architektenverein“ eine zustimmende Resolution zur Schaffung einer breiten Zone an der Stadtperipherie fasste, die von einer Verbauung auszuschließen und mit Vegetation zu versehen ist. Weitere sechs Jahre vergingen, bis Bürgermeister Dr. Karl Lueger aufgrund eines Berichtes des späteren Stadtbaudirektors Heinrich Goldemund am 15. Mai 1904 folgenden Erlass an den damaligen Magistratsdirektor Dr. Richard Weiskirchner richtete:
Im Interesse einer dauernden Sicherung der Gesundheitsverhältnisse unserer Stadt, sowie zur Erhaltung des landschaftlich schönen Rahmens, der Wiens Grenzen schmückt, will ich einen Wald- und Wiesengürtel an der Peripherie der Stadt, angepasst den heute dort bestehenden Verhältnissen, in entsprechender Breite von den Hängen des Leopold- und Kahlenberges bis zur Donau im Bezirksteile Kaiser-Ebersdorf für alle Zeiten festlegen. Hiebei ist auch auf die Anlage einer aussichtsreichen, mit Baumreihen versehenen Hochstraße Bedacht zu nehmen.
Gleichzeitig wurd das Stadtbauamt angewiesen, unter Berücksichtigung bestehender Waldgebiete und der besonderen Eignung der einbezogenen Flächen, ehestens ein Projekt für den Wald- und Wiesengürtel sowie für die Höhenstraße auszuarbeiten. Die Plandarstellungen (generelles Projekt) waren Anfang April 1905, der zugehörige Motivenbericht und ein Entwurf für ein Enteignungsgesetz zur Realisierung des Projektes bereits am 29. Dezember 1904 vollendet. Am 5. Mai 1905 wurde das Generalprojekt im Gemeinderat vorgetragen, die weitere Debatte aber wegen fortgeschrittener Sitzungsdauer verschoben und der diesbezügliche Beschluss erst am 24. Mai gefasst. Die wesentliche Passage lautete:
1. Zur Wahrung der sanitären Interessen der Bewohner der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien wird die von dem Bürgermeister Dr. Karl Lueger angeregte Schaffung eines Wald- und Wiesengürtels in Verbindung mit einer Höhenstraße im Prinzipe beschlossen und hat als Grundlage hiefür das vom Stadtbauamte ausgearbeitete Generalprojekt zu gelten.
2. Für jene Grundflächen, die in diesen Gürtel, sowie in die neu herzustellende, als Privatstraße der Gemeinde Wien geltende Höhenstraße fallen, sind Baulinien nicht zu bestimmen, weil daselbst ein Bedürfnis nach öffentlichen Straßen und Gassen nicht vorhanden ist.
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Das Gesamtausmaß wurde im Gemeinderatsantrag mit 4400 ha angegeben. Im zugehörigen Plan, der allerdings auch Parkanlagen wie den Türkenschanzpark (die 1922/1924 mit der Parkschutzverordnung eine eigene Widmung erhalten werden) mit einrechnete, wurden hingegen 5860 ha ausgewiesen. Die Gesamtkosten für das Generalprojekt waren mit ca. 50 Millionen Kronen veranschlagt und sollten aus einer Anleihe fließen.
Nach der Planung 1905 sollte im Bereich Hietzings ein zwei Kilometer langer und etwas über 300 m breiter Streifen längs der Tiergartenmauer vom Himmelhof bis zum Versorgungsheim führen und eine große Anlage auf dem Girzen- und Roten Berg entstehen (hellgrün = bestehende Parks etc., grün = geplanter Wald- und Wiesengürtel). Natürlich waren die Flächen noch ohne Abgleich mit dem Bestand in der Natur.
Bald begannen Bestrebungen, auf Pachtgründen im Wald- und Wiesengürtel Schrebergartenanlagen zu errichten. Eine diesbezügliche Eingabe im Jahr 1909 an die Magistratsabteilung III lautete:
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Die Veröffentlichung des Gemeinderatsbeschlusses vom
5. Mai 1905 im Amtsblatt der
k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien
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... im Namen der Proponenten des zu gründenden Vereines zur Errichtung von Schrebergartenanlagen für Wien und Umgebung ... die höfliche Anfrage zu richten, ob die Gemeinde Wien dem obgenannten Verein langfristige Pachtgründe auf dem Wald- und Wiesengürtel zu billigem Pachtzins abgeben würde...
Die Eingabe blieb ewig im Stadium des Studiums. Hilfe kommt vom Landesirrenfonds mit einem Grundstück von der Mauer des Steinhofs bis zu den Abhängen des Gallitzinberges. Hunger und Not trieben dann ab 1915 die ersten k. u. k. Beamten, bewaffnet mit Spaten und Krampen in die Natur, u. a. auf das Areal der heutigen Kleingartenanlage Trazerberg, um Gemüsebeete anzulegen. Claims wurden abgesteckt und Laubenhütten errichtet. Zum Kriegsende gab es 10.000 Kriegsgemüsegärten und 6.000 Schrebergärten in Wien, teilweise im Wald- und Wiesengürtel.
Zu Kriegsbeginn begebene Anleihen u. a. zur „Beschaffung der Mittel für Grunderwerbungen insbesondere zur Schaffung eines Wald- und Wiesengürtels genossen „zur fruchtbringenden Anlegung von Kapitalien“ Mündelsicherheit. Die bald galoppie
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Nach der Planung 1905 sollte im Bereich Ober St. Veits ein 2 km langer und etwas über 300 m breiter Streifen längs der Tiergartenmauer vom Himmelhof bis zum Versorgungsheim führen und eine große Anlage auf dem Girzen- und Roten Berg entstehen (hellgrün = bestehende Parks etc., grün = geplanter Wald- und Wiesengürtel). Natürlich waren die Flächen noch ohne Abgleich mit dem Bestand in der Natur.
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rende Inflation und die Einführung der Schillingwährung 1924 machten das Papier wertlos. Aus 10.000 Kronen war ein Schilling geworden. 1917 hatte die Krone noch einen Gegenwert von heutigen € 3,--, der Schilling 1924 ungefähr genauso viel. 1926 entschied der OGH, dass auf altösterreichische Kronen lautende Verbindlichkeiten mit abgestempelten und damit wertlosen Kronen getilgt werden konnten. Den damit gegebenen Totalverlust hatte der Gläubiger zu tragen. Daran änderte auch die „Mündelsicherheit“ nichts.
1931 bedauerten der Österreichische Naturschutzverband und andere interessierte Verbände in einer Bürgermeister Seitz übergebenen Denkschrift, dass
... die vorbildlichen Grundlagen für eine weitblickende volkshygienisch und volkssozial gleich wichtige Grünflächenpolitik unserer Großstadt sind leider in der Praxis während der Nachkriegszeit schwer erschüttert worden. In die herrlichen Baumbestände des Wiener Waldes wurden große Lücken gerissen. Wenige rechtmäßige und zahlreiche unrechtmäßige Schlägerungen legten weite Strecken des Waldes nieder. Der Wald- und Wiesengürtel ist heute bereits durch 25 Siedlungsgebiete, 23 dauernde und 7 nichtdauernde Kleingartengebiete unterbrochen...
Der Bürgermeister sagte der Abordnung die Schaffung eines Naturschutzgesetzes zu, doch die Zeiten waren nicht danach. Von 1934 bis 1938 wurde die Höhenstraße von Nussdorf bis zum Wiental projektiert und gebaut. Sie war als „Hügelstraße“ Gegenstand mehrer Vorschläge aus dem Wettbewerb zum Generalregulierungsplanes und reichte im Projekt von Josef Stübben sogar bis in den Süden Speisings.
In der Not der beiden Weltkriege und der tristen Zwischenkriegszeit war der Anteil der Gemüseproduktion in den Kleingärten enorm angestiegen. Nach dem Kriegsende hatte auch die expandierende Stadtentwicklung Flächen für Bahnbauten und neue Baugebiete benötigt. Ab 1955 setzte eine effektive Planung ein und die Erweiterung des Wald- und Wiesengürtels begann vor allem durch Um- und Rückwidmungen zu überwiegen. Das Schwergewicht der Flächenerweiterung lag nördlich der Donau und im Süden der Stadt (Wienerberggelände), wo die Sicherung der Erholungsflächen angesichts der Stadtexpansion in diese Richtung besonders drängte.
1986 wurde im Wiener Landtag mit der „Grünlanddeklaration“ die Identifikation mit dem Grüngürtel bekräftigt. Im städtebaulichen Grundkonzept bzw. im Grünflächenplan wurde die Erhaltung der bestehenden Struktur an Wäldern und Wiesen und die Fortsetzung durch Pflanzstreifen möglichst weit in das bebaute Gebiet als wesentlich gesehen. Aber noch immer war es notwendig, an vielen Stellen des Stadtgebietes starkem Druck gegen den Wald- und Wiesengürtel entgegenzuwirken.
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Den Großteil der Grünbereiche in Hietzing (den Lainzer Tiergarten ausgenommen), verdanken wir Luegers Wald- und Wiesengürtel. Größer geworden sind die Flächen am Trazer-, Girzen- und Roten Berg (teilweise aber nur „Schutzgebiet Park, Spk“), hinzu gekommen ist das Areal nördlich des Ober St. Veiter Schlosses (ebenfalls Spk). Die Verluste betreffen im wesentlichen die Kleingartengebiete.
Grün = Wald- und Wiesengürtel
Hellgrün = Kleingärten
Rosa = Gartensiedlung
Eine Bestandsaufnahme im Jahr 1988 zählte 34.211 Kleingartenparzellen in 637 Anlagen, 6,8% der Flächen waren in Schutzgebieten, vor allem dem Wald- und Wiesengürtel.
1995 beschloss der Wiener Gemeinderat den Plan „Grüngürtel Wien“. Der Grün- und Freiraum soll durch ein Bündel von Maßnahmen (Gesetze, Widmungen, Ausgestaltung und Ankauf) gesichert werden. Die Gesamtsumme der Freiraumflächen (inkl. Parks, Landwirtschaft und Gärtnereien) beträgt 19.260 ha.
Aktuelle Widmungsverfahren lassen den Wald- und Wiesengürtel in Hietzing wohl unverändert und nehmen im Kleingartenbereich nachvollziehbare Anpassungen an den Baubestand vor, erweisen sich allerdings durch punktuell sehr großzügige Umwidmungen (etwa von Kleingärten zu Gartensiedlungen, durch neue Bauflächen im Schutzgebiet Park oder durch dichtere Verbauungsmöglichkeiten im restlichen Bauland) als Beleg des unverändert starken Druckes in die Schutzgebiete.
Den Großteil der Grünbereiche des Bezirkes, Parks und den Lainzer Tiergarten ausgenommen, verdanken wir Luegers Wald- und Wiesengürtel. Größer geworden sind die Flächen am Trazer-, Girzen- und Roten Berg (teilweise aber nur „Schutzgebiet Park, Spk“), hinzu gekommen ist das Areal nördlich des Schlosses (ebenfalls Spk). Die Verluste betreffen im wesentlichen die Kleingartengebiete.
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Bosnien und Herzegowina waren seit 1878 eine tickende Zeitbombe. Zur Explosion kam es schlussendlich nach dem Attentat von Sarajewo am 28. Juni 1914. Ein Bezug zu diesem Thema für Hietzing war der ehemalige „Sarajevo-Platz“ östlich der Stranzenberggasse. Auf den folgenden Ersten Weltkrieg wird ab Seite 377 eingegangen.
Im Rahmen des Tages der Bezirksmuseen am 23. März 2014 wurde dieses „Ende einer Ära“ von allen Wiener Bezirksmuseen aus ihrer regionalen Sichtweise aufbereitet. Das Bezirksmuseum Hietzing informierte auf 12 großen Tafeln über folgende Themenkreise:
Kaiser Franz Josef und König Milan von Serbien
Am 6. März 1882 wurde das Königreich Serbien proklamiert und Kaiser Franz Joseph gratulierte seinem König Milan I. persönlich. Serbien war unter Milans Führung unabhängig vom Osmanischen Reich geworden doch jetzt in Abhängigkeit zu Österreich-Ungarn geraten. Als Milan 1900 Serbien verlassen mussten, zog er nach Wien, wo er kurz darauf an einer schweren Lungenentzündung erkrankte. Kaiser Franz Joseph I. überließ ihm ein Haus und wies den ungarischen Grafen Jenő Zichy an, ihm Gesellschaft zu leisten. Milan I. starb am 11. Februar 1901 an den Folgen der Krankheit.
Hietzing und die Marine
Hier stand die k. u. k. Kriegsmarine in der Zeit von 1900–1918 im Vordergrund. Von 1904 bis zu seiner Pensionierung 1913 war Rudolf Graf von Montecuccoli deren Admiral und Marinekommandant. Er war der große Erneuerer der k. u. k. Kriegsmarine. Montecuccoli leitet sich von Cuccoli – Kuckuck ab, Montecuccoli = Kuckucksberg.
In Pension geschickt wurde er, weil er das Schlachtschiff „Viribus Unitis“ auf seine Kosten vorausbestellt und somit den Reichsrat übergangen hatte. Zu Ende des Ersten Weltkriegs sollte dieses Schlachtschiff nach Beendigung der Kampfhandlungen an das neue Königreich Jugoslawien übergeben werden. Doch wurde sie am 1. November 1918 von zwei italienischen Kampfschwimmern versenkt. Über 400 Seeleute starben.
Die Familie Montecuccoli war ein italienisches Adelsgeschlecht. das 1450 die modenesische Grafenwürde und 1530 den Reichsgrafstand erhielt. Der Montecuccoliplatz in Hietzing ist nach Raimund (1609–1680, Präsident des Hofkriegsrates, Offizier und Verfasser militärwissenschaftlicher Werke) benannt.
Im Bezirksmuseum Hietzing ausgestellte Tafel für den Sarajevo-Platz.
Dieser Platz war von 1909 bis zu seiner Verbauung nach der von 1878 bis 1918 unter österreichisch-ungarischer Verwaltung stehenden Stadt benannt.
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Der Spion aus Ober St. Veit
Hier ging es um Maximilian Ronge, geboren am 9. November 1874 in der Ober St. Veiter Vitusgasse 3. Er war Schüler Oberst Alfred Redls, 1917 zum Oberst und Chef der Nachrichtenabteilung des Armeeoberkommandos und des Evidenzbüros befördert. Er wurde auch nach dem Krieg mit staatspolizeilichen Aufgabe betraut und war bis ins Alter beratend tätig. Der Historiker Gerhard Jagschitz war sein Enkel.
Brückenkopf Wien
Wesentliche Inhalte dieser Vorbereitungen auf den Ersten Weltkrieg sind im Kapitel über die k. u. k. Bunkeranlagen im Lainzer Tiergarten ab →Seite 371 beschrieben.
Friedrich Julius Bieber
Dessen Biografie ist ab →Seite 785 beschrieben.
Hietzing und die Jahrhundertwende
Eine Tafel mit interessanten Bildern aus dieser Zeit. Sie sind auch in diesem Buch zu finden,
Ein Besuch in der Führungsunterstützungsschule (Funkwesen)
Hier ging es um die Entwicklung der Funktechnik vor und während des Ersten Weltkrieges, allerdings ohne Hietzing-Bezug.
Rudolf Carl Slatin – Slatin Pascha
Geboren und begaben in Ober St. Veit, der Rest ist Legende, allerdings ohne regionalem Bezug. In seinem 75 jährigen Leben wurde er zu Sir Rudolf Freiherr von Slatin Pascha, General der ägyptischen, Generalmajor der britischen Armee und österreichischer Geheimrat. 1914 musste er als Österreicher aus den britisch-ägyptischen Diensten scheiden. Er verstand es aber, seine verbliebenen guten Kontakte zum Gegner und den späteren Siegermächten im Rahmen der Kriegsgefangenfürsorge des Roten Kreuzes und nach dem Krieg zur Beendigung der Lebensmittel- und Kohleblockade an der tschechoslowakisch-österreichischen Grenze zu beenden und damit die größte Not im Raum Wien zu lindern. Sein Begräbnis am Ober St. Veiter Friedhof glich einem Staatsbegräbnis und die Slatingasse in Ober St. Veit erinnert an ihn. Siehe auch www.1133.at/Bericht 148.
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Von der Ballonfahrt und dem Zeppelin zum Motorflugzeug
Beschreibung kommt
Dr. Karl Lueger
Die Ära Lueger wird ab →Seite 328 beschrieben.
Die Erste und die Zweite Wiener Wasserleitung
Das Kapitel über die Wasserversorgung Hietzings ab →Seite 522 gibt auch über die Hochquellenleitungen Auskunft
Gold gab ich für Eisen
Der Aufruf, zur Kriegsfinanzierung Gold im Tauschweg für Eisenringe herzugeben, ist bekannt und von geringem Regionalitätsbezug.
Über diese Tafeln hinaus wurde in zahlreichen Vitrinen relevantes Bildmaterial und Kleinkunst sowie Schauobjekte aus dem Museum und anderen Sammlungen ausgestellt. Bodenmarkierungen mit der Aufschrift „1914“ wiesen den Weg.
Organisiert wurde diese Ausstellung von Herrn Rudolf Wawra unter kräftiger Mithilfe der Familie Moravec, zahlreichen anderen „Guten Geistern“ und Leihgebern.
Herr Rudolf Wawra war es dann auch, der am 23. März den Festvortrag hielt und durch die Ausstellung führte. Der Museumsdirektor Mag. Ewald Königstein hatte zuvor das zahlreich erschienene Publikum begrüßt und die damalige Bezirksvorsteherin Mag. Silke Kobald die einleitenden Worte gesprochen.
Wie bei allen Tagen der Bezirksmuseen wurde auch zu diesem Thema im Rahmen der Reihe Archivbilder des Sutton Verlages ein von Hans W. Bousska gestaltetes Buch herausgegeben: Wien 1914 – Das Ende einer Ära.
Weite Teile dieses Buches bieten einen Rückblick auf die Situation vor dieser Katastrophe, seine kommunalen Bauwerke und das Leben in Wien um die Jahrhundertwende. Gewürdigt werden auch die Feste und Feiern dieser Ära. Im Rahmen der Huldigung zum 60. Regierungsjubiläum des Kaisers am 21. Mai 1908 wurden das Militär, die Geschichte des Habsburgerreiches und die dringend benötigte Einigkeit des Vielvölkerstaates zelebriert. Auch im Stadtbild dominierte die Uniform. Und überall standen oder entstanden Kasernen und Militärschulen. Sogar auf dem Areal des Versorgungsheimes wurde ein in den Jahren 1912/13 errichteter Pavillon nach Kriegsbeginn als Kriegspavillon verwendet. Doch Kaiser Franz Joseph scheiterte an der Aufgabe, die Donaumonarchie mit ihren vielen Völkern zu stabilisieren und alle „schlafwandelten“ in den Krieg.
Rudolf Wawra während der Führung durch die Ausstellung „Das Ende einer Ära“ (oben) und während des Vortrages im Festsaal des Bezirksmuseums Hietzing am 23. März 2014.
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Dargestellt wurde aber letztendlich bloß die Situation am Ende der Monarchie, nicht aber das Ende selbst, wie es zum Beispiel in diesem Buch im Beitrag zum Ersten Weltkrieg ab Seite 377 oder im Rahmen der Biografie von Heinrich Lammasch ab Seite 798 thematisiert wird. Eine literarische Verarbeitung dieses Endes einer Ära und insbesondere des Krieges, der erst begriffen wurde, als er längst zu Ende war, bietet unter anderem Alexander Lernet-Holenias Roman „Die Standarte“.
Der Roman schildert an Vorgängen um und in Belgrad den Zerfall der zermürbten Vielvölker-Armee als Spiegel des in Nationalstaaten zerfallenden Kolonialreiches. Wohl schien es nach wie vor undenkbar, dass sich jemand widersetzt, doch wie in der Gesellschaft war auch im Heer nur das Sichtbare gleichgeblieben, allein das Unsichtbare war ganz anders geworden. Und die wieder hervorgeholte und den Regimentern vorangetragene Standarte sollte als letztes Mittel einen heiligen Anspruch symbolisieren, dem die Schwadronen zu folgen hatten.
Es mag den Hietzinger, besonders den Hackinger, berühren, dass ein geheimnisvoller Rittmeister von Hackenberg (nur eine Namensgleichheit) als Prophet des Todes auftritt. Der junge Fähnrich Menis kam im Zuge der folgenden Katastrophe in den Besitz der Standarte und entwickelte ihr gegenüber ein magisches Pflichtbewusstsein, das er sogar über seine gerade gewonnene Liebe zu Resa stellte. Als letzter Überlebender seines Regimentes kehrte er zurück nach Wien. Dass der Kaiser sie vom Treueeid entbunden hatte, war für ihn irrelevant: Das alte Heer war tot, seine Toten waren jetzt die Lebenden, und die Lebenden waren die Toten. Schließlich kam Menis zum Schluss, die Standarte seinem Kaiser zurückgeben zu müssen, nur so konnte er sich der Last entledigen. Es muss wohl der 11. November 1918 gewesen sein, als er ungehindert in das Schloss Schönbrunn mit seinen Schlachtengemälden in den leeren Räumen eindrang, gerade als Kaiser Karl dieses verlies. Jetzt war niemand mehr da, dem er die Standarte geben konnte. Schließlich ließ er sie – letztendlich als Symbol der untergegangenen Ordnung – in dem Kamin in Feuer aufgehen, in dem Unteroffiziere ganze Bündel von Standarten verbrannten. Er war seiner Last entledigt und konnte Heilung in der Liebe zu Resa finden.
Aber diese Nachempfindung des Endes der Monarchie war bereits ein Vorgriff auf das nächste Kapitel „Das Leben in Krieg und Seuchen“.
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Eduard Diem: Ausgesetzt
Öl- und Offsetfarben gemischt auf Faserplatte
1970, 150 cm x 100 cm
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Die Menschen in der Region waren fromm und mehr noch die Teilnehmer an den vielen Wallfahrten zu den Hietzinger Pfarrkirchen. Die inbrünstigen Gebete und das demütige Flehen baten über die Linderung individueller Nöte hinaus meist um die Abwendung der drei Hauptstrafen: Krieg, Hunger und Pest. Leider wurden die – oft von reichen Opfergaben bekräftigten – Bitten nicht erhört und es gab kaum eine Generation in den hier betrachteten Jahrhunderten, die von Krieg oder Seuchen verschont blieb. Was die Kriege betraf, so waren die Dörfer unserer Region kaum einen Waffengang wert, umso mehr waren sie jedoch von den nach Wien durchziehenden oder dieses belagernden Horden betroffen.
Das durch Kriege und Seuchen verursachte Leid ist kaum vorstellbar und noch weniger in Worte zu kleiden. Vor allem ist meine Generation, die – möglicherweise erstmalig auf dieser Welt – von jeglicher Not verschont blieb, kaum dazu imstande. Die folgende Darstellung beschränkt sich daher auf die bloße Aufzählung der Katastrophen und gegebenenfalls auf die Nennung der kolportierten Auswirkungen.
Von den meisten der größeren Kriegsereignisse oder Seuchen waren in der Regel alle Dörfer der Region betroffen, mitunter aber von unterschiedlicher Härte. Als Beispiel unterschiedlicher Beeinträchtigung seien hier die Einfälle der Franzosen 1805 bis 1809 angeführt. Das Schloss Schönbrunn beherbergte die Elite, das Schloss Ober St. Veit hingegen wurde vom Tross verwüstet. Diesbezügliche Überlieferungen sind jedoch meist von großer Subjektivität und geringer Präzision, selbst die Grundbücher und Pfarrmatriken lassen viele Fragen offen. Daher erscheint es mir vertretbar, nur vereinzelt das Ausmaß der Betroffenheit zu vergleichen.
Über die in dieses Kapitel fallenden Ereignisse hinaus wird ein Überblick über Festungsanlagen und Kasernen im 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing gegeben.
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Die Informationen zu den Folgen der das ganze Land heimsuchenden Epidemien sind von Region zu Region sehr unterschiedlich, teilweise spärlich und/oder widersprüchlich. Dieser Beitrag ist ein Versuch, die vorhandenen Informationen zusammenzufassen.
1679 wurde aus Ungarn die Pest eingeschleppt. Dass in Alt-Hietzing viele Kranke unter freiem Himmel lagen, mag nur auf einem in der Bevölkerung umlaufenden Gerücht beruhen, doch bestätigen auch die Grundbuchseintragungen mehrere Pesttote. Zumindest starben die Inhaber von drei Häusern, eine Personen in einem anderen Haus und einige Überländgrundbesitzer.
Da an der Seuche Verstorbene oft erst später, nämlich mit der Anschreibung des Nachbesitzers Erwähnung finden, ging die Aufarbeitung dieser Katastrophe in einer anderen, viel größeren unter: der Türkenbelagerung im Jahr 1683. Insgesamt ist aus den Gewähren aber erkennbar, dass die Pest 1679 in Alt-Hietzing ungleich mehr Opfer forderte, als später im Jahr 1713. Die genaue Zahl ist allerdings nicht zu ermitteln, da die Matriken der Pfarre Penzing, zu der Hietzing damals gehörte, erst 1709 einsetzen.
1713 brach neuerlich die Pest aus. In Alt-Hietzing soll sie einer Überlieferung zufolge vom 16. Juli bis 2. November gewütet und 30 Todesopfer gefordert haben. Diese Zahl scheint für das kleine etwa 180 Seelen zählende Dorf ungewöhnlich hoch, sie hält einer kritischen Prüfung auch gar nicht stand. Von den Haussässigen Untertanen starben nur Matthias und Maria Aichmann und deren Tochter, von den Überländbesitzern Katharina Haresleben aus Lainz. Gewissheit bringt der älteste Band der Matriken von St. Jakob in Penzing, der auch Todesfälle von 1709–1729 aber ohne Angabe der Todesursache enthält. Es starben 1711: 2, 1712: 4, 1713: 21, 1714: 3, 1715: 6 Personen. Im Pestjahr verteilten sich die Todesfälle auf folgende Monate (die Zahlen in Klammern geben das Alter des Verstorbenen an): April 3 (60, 10, 3 Monate), Mai 2 (7, 23), Juni 2 (30, 30), Juli 2 (Alter unbekannt), August 1 (50), September 6 (57, 9, 60, 18, 12, 14), Oktober 4 (12, 15, 40, 8), November 1 (8). Diese Aufstellung widerlegt die eingangs genannten Zahlen und lässt den Höhepunkt der Seuche in den Monaten September und Oktober (etwa zur Zeit der Weinlese) deutlich erkennen. Beide Geschlechter halten einander die Waage; es fällt auf, dass Kinder und Jugendliche den größten Prozentsatz der Opfer stellen.
Lainz erlangte zur Zeit dieser Pestepidemien wegen seines Patroziniums, der Hl. Dreifaltigkeit, eine überregionale Bedeutung. Die Hl. Dreifaltigkeit wurde als Schutz vor der Pest angerufen, und mangels einer anderen im Wiener Bereich bis zur Epidemie von 1679 diesem Patrozinium unterstellten Kirche wurde Lainz ein Zentrum der Pestwallfahrt. Laut Pfarrchronik trug dazu auch
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Zu den Seuchen in Alt-Hietzing informiert insbesondere
Walter Weinzettl:
Hietzing. Seine siedlungs- und sozialgeschichtliche Entwicklung bis 1820. In: Jahrbuch des Vereines für Geschichte der Stadt Wien, Band 10 (1952/53)
und die darin angegebene reichliche Literatur
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bei, dass die Lainzer Bevölkerung in den großen Pestjahren 1679 und 1713 von der Seuche verschont blieb. Die Dreifaltigkeitssäule aus dem Ende des 17. Jahrhunderts beim Haus Lainzer Straße 117 verweist auf dieses Patrozinium. Sie stand bis zum Bau der Verbindungsbahn am oberen Ende der heutigen Titl-
gasse.
St. Veit soll von der Pest vergleichsweise stark betroffen gewesen sein. 208 Personen starben, 128 konnten geheilt werden. Die Pesttoten wurden an einer Stelle der Flur bestattet, die damals Kreuzwiese hieß. Eine zum Dank für das Ende der Pest aufgestellte Säule markierte diesen Platz bis ins Jahr 1896, dann wurde sie an einen anderen Ort versetzt, man sagt nach Hacking.
Als diese Pestsäule abhanden kam, war der ehemalige Seuchenfriedhof längst ein Park geworden und breite Wege führten an ihm vorbei. Heute ist es der Franz-Schmidt-Park.
1832 wurde St. Veit von einer schweren Choleraepidemie heimgesucht. Während zweier Monate starben 120 Personen, mehr als doppelt soviele hatten heftige Anfälle, ohne aber zu sterben. „Der Jammer dieser Zeit ist nicht zu beschreiben“ notierte Pfarrer Anton Mallina in der Pfarrchronik, „ich überließ mich ganz Gottes Hilfe und wir hielten eine Prozession nach Mariabrunn“. Die Tradition des Cholerabittganges behielt die Gemeinde bei, er wurde einige Jahre später vom Konsistorium als jährliche, am 20. September abzuhaltende Prozession förmlich genehmigt.
Natürlich gab es auch Grippe-Pandemien, verheerend hatte sich die von 1918 bis 1919 grassierende „Spanische Grippe“ ausgewirkt. Weltweit soll sie in mehreren Wellen zwischen 25 und 50 Millionen Todesopfer gefordert haben. Der Name „Spanische Grippe“ oder „Spanische Krankheit“ geht auf den vermuteten europäischen Ausgangspunkt oder die von dort aus durchsickernden Nachrichten über Millionen Tote zurück. Kriegsbedingt wurde das in den kriegführenden Staaten zunächst verheimlicht.
Der wirkliche Ausgangspunkt war allerdings nach vorherrschender Ansicht im März 1918 in den USA. Von dort aus soll sie durch die Verlegung von US-Soldaten nach Europa gebracht und diesen kriegsgeschwächten Kontinent infiziert haben. Vorwiegend betroffen waren jüngere Menschen, bei Menschen mit einem Alter über 40 Jahre könnte sich die Immunität aus der Epidemie der Jahre 1889/90 ausgewirkt haben.
Als prominentester betroffener Hietzinger wird der damals 28-jährige Egon Schiele genannt, der am 31. Oktober 1918 wenige Tage nach seiner Frau Edith in der Wohnung der Schwiegereltern in der Hietzinger Hauptstraße verstorben war.
Ein Mittel der Seuchenbekämpfung war natürlich die Verstärkung des Gesundheitswesens, insbesondere die Einrichtung von Notspitälern zur Isolierung und Behandlung von erkrankten Menschen. Beispielsweise mussten während der Cholera-Epidemien in Wien in der Zeit von 1831 bis 1873 Cholera-Notspitäler
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bzw. Sonderabteilungen in allen größeren Spitälern eingerichtet werden. Es soll dies auch in den Vororten der Fall gewesen sein, für unsere Region ist diesbezüglich allerdings nichts überliefert.
Später, waren – wie alle Gemeinden Niederösterreichs – die selbstständigen Ortsgemeinden auch auf Hietzinger Boden verpflichtet, ein Notspital für Seuchenfälle und für schwerkranke Arme bereitzuhalten. Diese Verpflichtung blieb jedoch in vielen Fällen unerfüllt, weil die finanziellen Mittel für solche Einrichtungen fehlten. So meldete die Gemeinde St. Veit an der Wien über Aufforderung an die Bezirkshauptmannschaft, bei allfälligen Erkrankungen armer Personen die ärztliche Behandlung und die Medikamente aus Gemeindemitteln zu bezahlen, mehr war leider nicht möglich. Später gab man das Versprechen ab, ein Haus für zehn Notbetten adaptieren zu wollen. Schließlich ging das gemeindeeigene Haus CNr. 304 (= heutige Firmiangasse 63) als sogenanntes Seuchenspital für den Fall einer Epidemie in die Lokalgeschichte ein.
Zuletzt war es am Höhepunkt der Spanischen Grippe im Oktober 1918 dass – neben der Sperre öffentlicher Einrichtungen – in jedem Spital isolierte Grippezimmer angeordnet wurden, im Barackenspital in Meidling, im Tuberkulosepavillon im Krankenhaus Hietzing und im Wilhelminenspital wurden sogar Grippeabteilungen eingerichtet. Natürlich gab es immer wieder Wellen gefährlicher Infektionskrankheiten, die auch unseren Raum erreichten, aber nicht in dem Ausmaß wie im kriegsgeschwächten Jahr 1918.
Der Erste und der Zweiten Weltkrieg machten vor allem eine andere Art von Hilfsspitälern erforderlich, nämlich die Lazarette und Genesungsheime für Kriegsversehrte. Für ihr gewaltiges Ausmaß war die Erweiterung von Spitalsbetten unzureichend und es mussten Noteinrichtungen in anderen bestehenden Gebäuden wie Schulen, Ordenseinrichtungen etc. oder in neu aufgestellten Baracken eingerichtet werden. In diesem Buch wird an verschiedenen Stellen davon berichtet, Stichwort „Lazarett“.
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Archäologische Erkenntnisse ab dem späten 19. Jahrhundert beweisen Festungsbauten sogar in der jüngeren Steinzeit. Als erster Entdecker einer solchen Einrichtung gilt ein Pfarrer aus Budapest, der schon in den Jahren 1888–1891 ein prähistorisches Schanzwerk bei Lengyel in Ungarn bekannt gemacht hat, sich dessen aber nicht sicher war. Spätere Funde in Deutschland haben die Existenz solcher frühen Wehranlagen jedoch bestätigt.
Hauptkriterium für die Lage befestigter Plätz scheinen aber nicht Höhe und schwere Ersteigbarkeit gewesen zu sein, sondern die ungehinderte Fernsicht, und das konnte auch eine geringe Erhebung in einer Ebene bieten.
Wenn wir nun an den 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing denken, so kommen zwangsläufig die Erhebungen der sogenannten Ober St. Veiter Klippen in den Sinn und hier vor allem der Gemeindeberg mit seiner jungsteinzeitlichen Siedlung. Diese Siedlungen sind gut dokumentiert, siehe Seite 37, doch von Wehranlagen ist noch keine Rede, auch wenn Fritz Kastner von „natürlichen Festungen“ als Mitursache für deren Besiedelung spricht. Für Hinweise zu richtigen Festungsbauten müssen wir ins Mittelalter reisen.
Die schon angesprochene „natürliche Festung“ ergibt sich durch den an drei Seiten steil abfallenden Berg als idealen Verteidigungspunkt. Hans Peter Schad'n nennt in seinem Buch über die Hausberge aus dem Jahr 1953 einige Anzeichen, die auch eine Befestigungsanlage auf dem Gemeindeberg vermuten lassen.
Die Bezeichnung „Hausberg“ stammt aus der Burgenforschung und bezeichnet bis ins 13. Jahrhundert gebaute Wehranlagen. Sie sind eine künstlich überhöhte natürlichen Erhebung für eine hölzerne Wehranlage (auch Turmhügelburg).
Die von Schad'n genannten Anzeichen für einen Hausberg am Gemeindeberg sind die über den Kamm hinausragende Erhebung am Gipfel, scharf ausgeprägte Ränder der langen Plattform mit künstlich erscheinenden Abdachungen, ein Graben quer über den Kamm und einst verbundene Erdwälle.
Als Bestätigung wird auch auf den Namen der „Hausberg-Straße“ als frühere Bezeichnung für die heutige Gemeindeberggasse hingewiesen. Hergeleitet wird diese alte Straßenbezeichnung aus Ludwig Hans Fischers Abhandlung über die neolothische Ansiedelung am Gemeindeberg aus dem Jahr 1898. Gegen Ende derselben bezeichnet er die Straße, die an der Einsiedelei vorbeiführt, als „Hausbergstraße“. Dem widerspricht allerdings u. a. der Heimatforscher Josef Kraft, der diesen Namen weder in schriftlichen Belegen noch aus mündlicher Überlieferung kennt.
Wosinsky, Mauritius: Das prähistorische Schanzwerk von Lengyel, seine Erbauer und Bewohner. I. 1888, II. 1890, III. 1891.
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Schad'n, Hans Peter:
Die Hausberge und verwandten Wehranlagen in Niederösterreich: ein Beitrag zur Geschichte des mittelalterlichen Befestigungswesens und seiner Entwicklung vom Ringwall bis zur Mauerburg und Stadtumwehrung. Ausgabe 3 von Prähistorische Forschungen, ISSN 0032-6534. Horn: Verlag F. Berger 1953
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Darüber hinaus ist ihm die Grundfeste eines Gebäudes am Gipfel des Gemeindebergs, die der Ober St. Veiter Verschönerungsverein eingeebnet haben soll, unbekannt. Auch der Ober St. Veiter Lokalschriftsteller Vinzenz Jerabek, der sich als Knabe oft auf dem Gemeindeberg „herumgetrieben“ hat, bestreitet die Existenz von Mauerresten oder deren Einebnung. Das gilt ebenso für die Bezeichnung „Hausbergstraße“, die weder er noch andere alte Einwohner von Ober St. Veit gehört haben.
Ein anderes geheimnisumwittertes Festungsbauwerk soll südlich der Schlossanlage von Schönbrunn bestanden haben. Den Hinweis dazu liefert einzig der hier oft dargestellte Brequin-Plan aus dem Jahr 1755. Dieser älteste weitgehend exakte Plan für die Region um und zwischen Schönbrunn und Laxenburg zeigt ein bislang unbeachtet gebliebenes Objekt. Dieses soll auf allen – auch zeitnah – folgenden Karten nicht mehr ersichtlich sein.
Nun hat sich der für die Arbeitsgemeinschaft der Wiener Bezirksmuseen ehrenamtlich tätige und vor allem zum 12. Wiener Gemeindebezirk Meidling publizierende Autor Ludwig Varga dieser lokalhistorischen Lücke angenommen.
Das im Brequin-Plan ersichtliche Objekt liegt auf einem Boden, der zur Zeit der Erstellung des Planes als „Fasanried“ zu Hetzendorf gehört hatte. 1783 musste sie an die Herrschaft Schönbrunn abgetreten werden. 1785 wurde sie mit einer Mauer umgeben
Der in etwa genordete Brequin-Plan aus dem Jahr 1755 mit dem in diesem Beitrag behandelten Ojekt (im roten Kreis), oben vergrößert dargestellt. Es ist nicht näher bezeichnet, die Karte enthält auch keinerlei Zeichenerklärung. Das Objekt liegt im nordwestlichen Eck der heutigen Maria-Theresien-Kaserne und damit auf Hietzinger Boden.
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und dem Schlosspark hinzugefügt. Heute ist der Bereich Teil der Hietzinger Katastralgemeinde Schönbrunn und trägt die Maria-Theresien-Kaserne.
Das Objekt ist von einer ca. 155 x 105 Meter messenden Einfriedung in Form eines Sechsecks umgeben und erinnert Ludwig Varga an französische Befestigungsbauten in Form einer Zitadelle. Allerdings handelt es sich bei diesen um teilweise stadtgroße Abwehranlagen, weswegen der Schluss nahe liegt, dass es sich bei der modellhaft kleinen Anlage südlich von Schönbrunn um ein Übungsbauwerk handelt. Es könnte der Ersatz für ein knapp zuvor einem Neubau zum Opfer gefallenes Festungsmodell im Hof der ehemaligen Chaosschen Stiftung, der heutigen Stiftskaserne, sein. Im Rahmen von militärischen Ausbildungen konnten anhand solcher Modelle Kampf- und Stellungssituationen simuliert werden.
Allerdings weist der Autor darauf hin, dass er kein Fachmann für Militärgeschichte ist und es sich bloß um den Versuch einer Nutzungsdeutung handelt. Es sind noch viele Fragen offen, für deren Klärung er auf weitere Informationen hofft.
Ergänzend ist noch auf sehr wohl erkennbare Strukturen in den nachfolgenden Plänen (Josephinische Landesaufnahme 1773–1781) und Hydrotopographhische Karte der Stadt Wien 1788) ungefähr an der bewussten Stelle hinzuweisen, doch sind diese Karten von zu geringem Maßstab bzw. zu ungenau, und die Objekte nicht deutbar. Der Franziszeische Katasterplan aus 1819 zeigt den voll ausgedehnten Schlossgarten ohne jeglichen Hinweis auf das Objekt.
Die erste in Hietzing gebaute Kaserne ist die heutige Maria-Theresien-Kaserne. Allerdings wurde sie nicht als Kaserne begonnen. Sie entstand im südlichen Teil des Fasangartens, der 1919 der Bevölkerung als Erholungsfläche zur Verfügung gestellt worden war. Knapp vor seinem Ende beschloss der Ständestaat die Errichtung einer Dollfuss-Führerschule für Mädchen und Burschen, der Spatenstich erfolgte im Oktober 1936. Bei der Angliederung Österreichs an das Deutsche Reich waren mehr als 50% der Gebäude fertiggestellt. Die Deutsche Wehrmacht übernahm den Bau und stellte ihn, mit Ausnahme der vorgesehenen Arena die zum Paradeplatz wurde, bis Anfang 1939 fertig und begann dort sofort mit der Ausbildung junger Männer zu Soldaten.
In der NS-Zeit war die Kaserne nach Adolf Hitler benannt, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hieß sie Fasangartenkaserne und seit 1967 trägt sie den Namen Maria-Theresien-Kaserne.
In der NS-Zeit beherbergte die Kaserne auch ein KZ-Außenlager Schönbrunn. Treibende Kraft in diesem Außenlager war der Oberösterreicher Viktor Schauberger. Das Regime hatte Interesse an seinen Experimenten in den Bereichen Strömungstechnik,
Quelle:
Varga, Ludwig:
Zwei Rätsel der Wiener Geschichte – Das Enthüllungsdatum des Radetzkydenkmals und eine militärische Befestigungseinrichtung südlich von Schönbrunn. In: Wiener Geschichtsblätter, 76. Jahrgang, Heft 1/2021. Herausgeber und Verlag: Verein der Geschichte
der Stadt Wien
und die umfangreiche darin angeführte Literatur
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Ausschnitt aus der Josephinischen (Ersten) Landesaufnahme nach 1775. Sie zeigt ungefähr an der Stelle des Objekts im Brequin-Plan eine unscharfe Struktur mit ähnlichem Umriss. Eine andere Version dieser Landesaufnahme zeigt etwa an dieser Stelle ein rotes Kreuz für eine Kapelle.
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Energiegewinnung und alternative Antriebsarten bekommen und ihn im September 1944 mit fünf technisch gebildeten KZ-Häftlingen von Mauthausen in die Adolf-Hitler-Kaserne überstellt. Dort wurden sie in einem abgesonderten Raum der Kraftfahrtechnischen Lehranstalt der Waffen-SS (KTL Wien-Schönbrunn) untergebracht. Die Behandlung dieser „Ingenieurshäftlinge“ soll ebenso wie ihre Versorgung mit Nahrungsmitteln im Vergleich zu anderen KZ-Nebenlagern in Wien gut gewesen sein.
Nachdem mehrmaligen Bombardements und zeitweiser Unterbrechung der Stromversorgung wurde das Außenlager Anfang April 1945 nach Oberösterreich verlegt.
Die Anlage nahm 1945–1955 britische Besatzungstruppen auf und wurde nach Abschluss des Staatsvertrags 1955 vom Bundesheer übernommen. Mit 282.900 Quadratmetern ist sie die größte Kaserne Wiens.
Am 13. Mai 1967 erfolgte anlässlich des 250. Geburtstags Maria Theresias die Umbenennung in Maria-Theresien-Kaserne. Die bekanntesten der hier stationierten Wiener Verbände sind das Gardebataillon und das Jägerregiment 2 mit seiner Hoch- und Deutschmeister-Tradition.
Zur Flakkaserne auf dem Küniglberg wird ab →Seite 228 berichtet.
Schon im Ersten Weltkrieg fürchtete man einen Angriff auf Wien. Deshalb wurden zwischen 1914–18 drei Brückenköpfe im Umfeld der Donaubrücken Krems, Tulln und Wien als temporäre Verteidigungslinien geplant bzw. gebaut.
Der „Brückenkopf Wien 1914“ – so die offizielle Bezeichnung – hatte die strategische Aufgabe, die im Westen Wiens vorbereiteten und ausgebauten Stellungen gegenüber einem möglichen Aggressor rasch in Verteidigungsbereitschaft zu versetzen. Zu den geplanten und ausgeführten Abwehrmaßnahmen zählten u.a. Abschnittsbereiche, Haupt- und vorbereitete Artilleriestellungen, Abschnittsmunitionsmagazine (Bereich Speising) und ausgewiesene Stellungsräume. Wie diese vorbereiteten Verteidigungslinien bereits 1914 strategisch richtig eingeschätzt wurden, zeigte sich leider 31 Jahre später. Beim WK-II-Kampf um Wien erreichte die Rote Armee am 5. April 1945 nach einem südlichen Schwenk den westlichen Stadtrand. Die Bereiche Tullnerbach, Preßbaum und der „Lainzer Tiergarten“ wurden praktisch kampflos von der Roten Armee besetzt. Das deutsche Kommando erfasste damals zu spät, dass der Hauptstoß gegen Wien nicht vom Süden her erfolgte, wo starke Verteidigungslinien aufgebaut waren, sondern aus dem Westen.
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Literatur:
Buchmann, Bertrand M.: „Befestigungen an der Donau in Österreich“; Heft 42 der MHS; ISBN 3-215-04300-9
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Solche Lauf- bzw. Schützengräben gibt es im ganzen Tiergartenbereich,
fotografiert am 21. August 2011
Aus diesem Grunde können die Kriegsrelikte im „Lainzer Tiergarten“ leichter dem richtigem Zeitraum zugeordnet werden, nämlich dem Ersten Weltkrieg und nicht dem Zweiten.
Nach wie vor Erkennbar zeigen die Lauf- und Schützengräben die geplanten Verteidigungslinien an. Die Bunkeranlagen aus Stahlbeton sind aber nach Sprengung, natürlichem Verfall oder Verschüttung fast gänzlich verschwunden.
Darüber hinaus stand am Kaltbründlberg, dessen Kuppe nach Schlägerungen frei war, ein militärischer Beobachtungsturm aus Holz – ein ausgezeichneter Fernblick am höchsten Berg Hietzings, speziell nach Westen. An seiner Stelle steht heute die Hubertuswarte, errichtet aus den Resten eines nahegelegenen Mannschaftsbunkers.
Im unmittelbaren Bereich der „Hubertuswarte“ stand bis vor kurzem noch ein „Einmann“ Wach- und Beobachtungsbunker als Schutz für die Soldaten. Im Zweiten Weltkrieg wurde diese Bunkerart als „Splitterschutzzellen“ bezeichnet.
Der zweite große, granatsichere Mannschaftsbunker war nach Sprengung und Verfall noch lange als stummer Zeitzeugen aus Stahlbeton auffindbar.
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Einmannbeobachtungsbunker im Bereich der Hubertuswarte, fotografiert am 21. August 2011
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Teilansichten des granatsicheren teilzerstörten Kompaniebunkers, fotografiert am 21. August 2011
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Diese Betrachtung beginnt mit der langen Regierungszeit Friedrichs III. im 15. Jahrhundert, die schwere politische und wirtschaftlicher Krisen hervorbrachte. Der Vormundschaftsstreit mit den Ungarn, der habsburgische Bruderkrieg und die Kämpfe mit Mathias Corvinus ließen das Land nicht zur Ruhe kommen.
1454
gab es ein Bürgeraufgebot, das als Schutz gegen die berüchtigten böhmisch-mährischen Söldnersscharen aufgestellt wurde.
1462
begann ein Bruder- und Bürgerkrieg, der seine Wurzeln in der Erbfehde zwischen den Brüdern Kaiser Friedrich III. (IV) und Herzog Albrecht VI. hatte. Im Laufe dieses Kampfes wurde der Kaiser in seiner Burg in Wien von den Aufständischen belagert. In kaum einem dieser Jahren blieben die Bauern des Wiener Beckens und der Randsiedlungen des Wienerwaldes vor großen Verwüstungen verschont.
1482
eroberte König Matthias Corvinus von Ungarn Hainburg und belagerte danach Wien. Seine Söldner kamen auch nach St. Veit und verwüsteten den Ort. Die Stadt Wien schloss mit den Belagerern gegen Bezahlung von 3000 ungarischen Gulden einen siebenwöchigen Waffenstillstand, damit die Weinernte eingebracht werden konnte. Kaiser Friedrich III. war über diese Maßnahme sehr erzürnt.
1484
wurde die Hietzinger Kirche zerstört, wahrscheinlich sogar das ganze Dorf. Die Weinrieden lagen öde, und es mangelte an Arbeitskräften zu Bestellung. Die letzten Anschreibungen haussässiger Untertanen in den Gewährbücher erfolgten im Jahr 1479 und dann erst wieder 1493. Die öden Anwesen und Weingärten hatte das Stift eingezogen, sie wurden als „Reisgut“ (Grundstück, das bei ungenügender Bewirtschaftung an einen neuen Besitzer verliehen werden kann) an neugewonnene Untertanen vergeben.
Darüber hinaus zerstörte in diesem Jahr ein schwerer Frost alle Weingärten. König Matthias belagerte Wien nach wie vor. Die ungarischen Söldner verhinderten fast alle Versuche, den Wein zu lesen.
1485
formulierte der Wiener Bürgermeister Stephan Een einen Vertrag, um die Stadt an König Matthias zu übergeben. Der Einzug des Königs wurde für den 1. Juni, den Tag vor dem Fronleichnamsfest, festgelegt.
1487
befahl König Matthias, die Weinabgabe aus den Weingärten zu erlassen, damit die Weingärten wieder bearbeitet werden.
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1491
plünderten böhmische Söldner im Dienste des Königs Matthias St. Veit an der Wien.
1529
fielen die Türken ein. Sie verwüsteten zahllose Weingärten, zerstörten die Kirchen, das Schloss Ober St. Veit und den von Kaiser Ferdinand I. „zu Unseres Forstmeisters steter Behausung und Residenz“ angekauften Auhof am Eingang in den Lainzer Tiergarten. Im St. Veiter Grundbuch erfolgte die letzte Eintragung am 2. Mai 1529
und dann erst wieder ab Dezember 1530. Darin wurden eine Anzahl erschlagener oder in Gefangenschaft geführter Einwohner und verbrannter Häuser angeführt. Einige Häuser bleiben für Jahrzehnte Ruinen. Ein ähnliches Bild zeigen die anderen Grundbücher.
1604/05
Der Einfall ungarischer Truppen im Verlauf der Kämpfe mit Boczkay (1604/05) verschonte zumindest den Ort Hietzing nicht, das Gotteshaus brannte neuerlich ab und wurde vom Prälaten Thomas Rueff wieder aufgebaut. Für die Wohnstätten sind keine Zerstörungen oder schwere Beschädigungen verzeichnet.
1607
zogen Wallonische Reitersoldaten durch St. Veit und beschlagnahmen im Pfarrhof ein Fass Wein. Als Wallonen bezeichnet man die französisch sprechende Bevölkerung Belgiens. Während der Hugenottenverfolgung emigrierten viele nach Deutschland.
1619
lagerten Soldaten in St. Veit. Sie waren Kaiser Ferdinand zu Hilfe gekommen, als er von aufrüherischen böhmischen Adeligen bedrängt wurde. Originaltext aus Weissenbacher, In Hietzing gebaut:
„Zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges waren Soldaten und Heiducken im Ort einquartiert. Der Kirchenschatz wurde 1619 und 1621 zum Schutz vor eventuellen böhmischen Einfällen nach Wien gebracht. Vom Kriegsgeschehen, ausgenommen die böhmische Belagerung Wiens im Jahr 1619, waren die Dörfer nicht direkt berührt. Allerdings gab es immer wieder Rekrutierungen, und die österreichischen Länder mussten die Kosten der Kriegsführung tragen, sodass die Lebenshaltungskosten stiegen. Landesfürstliche Regelungen sollten einen Ausgleich schaffen, wurden jedoch unterlaufen; dazu kam die beträchtliche Geldentwertung, die u. a. durch Prägung minderwertiger Kupfermünzen in Böhmen hervorgerufen wurde.“
Darüber hinaus wurden die Weinbauern schwer getroffen vom Niedergang des Weinhandels, bedingt durch den Ausfall großer Absatzgebiete, die Konkurrenz des Bieres und den Mangel an Arbeitskräften. Während des Krieges machte herumstreunendes Gesindel die Umgebung Wiens unsicher und zwang zu scharfen Maßnahmen der niederösterreichischen Regierung, wobei unter
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den betroffenen Dörfern Hietzing eigens genannt wird. Hiezu kamen Seuchen, wie die zahlreichen Infektionsrodungen – 20 zwischen 1540 und 1680 – beweisen.
1683
Um den 13. Juli streiften türkische Reiter vorfühlend durch Hietzings Fluren, am 14. Juli erreichte das Hauptheer der Türken Wien und bald erfüllten feindliche Lager den Raum zwischen Schönbrunn, Gumpendorf und Hernals. Es folgten Zerstörungen und fast gänzliche Entvölkerung.
In Hietzing wurden unter anderem der Meierhof in der heutigen Altgasse, der Pfarrhof und das herrschaftliche Schankhaus, welches als Einkehrgasthaus für Wallfahrer diente (CN 2 = Am Platz 2), niedergebrannt. Alle 17 Häuser, die der Grundherrschaft Klosterneuburg unterstanden, wurden eingeäschert. Wieder brannte die Kirche. Das Gnadenbild, die Liebfrauenstatue, war vorher entfernt und in das Chorherrenstift Wittingau in Böhmen (Trebon) gebracht worden; den Kirchenschatz hatte man nach Wien in den Klosterneuburger Stiftshof (Wien 1., Renngasse 10) verlagert.
Verödete Gründe und Brandstätten zog der Grundherr ein, sobald niemand mehr Anspruch darauf erhob. Sie wurden verkauft, wobei Neuzuzügler, die vor allem aus der Steiermark kamen, viele Begünstigungen erhielten.
Nach dem Sieg der christlichen Entsatzheere am 12. September und der Flucht der Belagerer lag in Hietzing kein Stein auf dem anderen, und die Bevölkerung war dezimiert. Die Einträge in den Grundbüchern zeigen, dass Hietzings Umgebung viel stärker betroffen war als im Jahr 1529. Mindestens sieben Häuser lagen in Schutt und Asche, Schachinger ermittelte gar nur drei Fälle, in denen die Quellen Beziehungen unter den Besitzern vor und nach der Katastrophe erkennen lassen. Aus der Gefangenschaft kehrte nur eine Person zurück.
In St. Veit wurden Schloss und Kirche zerstört. Nachher standen im Grundbuch 27 der 97 Häuser St. Veits als von den Türken verwüstet und dass deren Familien umgekommen waren. Die Häuser wurden bis 1701 neu vergeben. Weiters lagen 91 Weingärten, 4 Tagwerk Wiesen und 3 halbe Joch Acker brach. Allen, die verwüstete Häuser, Felder und Weingärten wieder urbar machten, wurde von der Grundherrschaft vier- bis zehnjährige Abgabenfreiheit zugesichert.
1704
ließ Kaiser Leopold auf Anraten Prinz Eugens den Linienwall außerhalb der Vororte beginnen, da die Kuruzzen mit ihren Streifzügen auch Wien bedrohen. Der Wall verlief etwa entlang des heutigen Gürtels.
1805
zogen französische Truppen durch St. Veit. Im Schloss wurde für sie ein Spital eingerichtet.
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1809
Am 10. Mai rückten die Streitkräfte Napoleons von der Linzerstraße her in St. Veit ein und begannen zu plündern. Der Schullehrer Lorenz Höbarth konnte die Kirchenparamente nach Wien in Sicherheit bringen. Die Ortsbewohner flüchteten in den Tiergarten. Am 4. Juni traf auch ein Armeekorps des mit Napoleon verbündeten Königreiches Sachsen in Wien ein. Die Pfarrchronik bestätigt die Verwendung des Ober St. Veiter Schlosses für die verwundeten Sachsen bis Anfang Juni 1810. 800 bis 900 Soldaten sollen gestorben und auf der Jakob Satzerischen Kreuzwiese (heute Bereich um den Mariensteig) und der Gemeindewiese am „Herndel“ (Wiese nördlich des Hörndlwaldes) begraben worden sein.
1866
hielten sich die Sachsen ein zweites Mal in Ober St. Veit auf, diesesmal an der Seite der Österreicher. Sie lagerten im Bereich der heutigen Rohrbacherstraße. Die Rohrbacherstraße hieß früher Kreuzgasse und dann bis 1894 Sachsengasse.
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Im August 1914 schrieb der Hackinger Feuerwehrhauptmann Schnobl in sein Rapportbuch: „Österreich führt Krieg mit Russland, Serbien, Montenegro, Frankreich, England, Japan.“
Die Freiwilligen Feuerwehren und das Rote Kreuz des 13. Bezirks bilden Kolonnen für den Verwundetentransport. Schon am 18. September 1914 wurden auf dem Nordbahnhof 252 Verwundete übernommen, am 20. Oktober fast 1000, am 22. Oktober 800. In Hietzinger Schulen wurden Notlazarette eingerichtet. Viele junge Hietzinger starben an den Fronten, die Zivilbevölkerung hungerte.
Am 23. August 1918 wurde im Rapportbuch der Hackinger Feuerwehr verzeichnet: „Fliegeralarm. Meldung, dass feindliche Flieger über Wien erschienen sind. Auf allen Straßen wurde durch Hornisten der erste Teil des militärischen Zapfenstreichs gegeben. Nichts wurde wahrgenommen, jedoch waren im August mehrere italienische Flugzeuge über Wien und warfen Flugzettel ab.“ Es war der erste Fliegeralarm in der Geschichte Wiens, ausgelöst von einem damals tollkühnen Unternehmen italienischer Flieger.
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Im November 2018 endeten Krieg und Monarchie. Am 3. November 1918 schlossen Österreich-Ungarn und die Entente Waffenstillstand. Am 11. November folgte das Waffenstillstandsabkommen bei Compiègne zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Eine Unterschrift in Schönbrunn bedeutete das Ende der habsburgische Herrschaft in Österreich: „Nach wie vor von unwandelbarer Liebe für alle meine Völker erfüllt, will ich ihrer freien Entfaltung meine Person nicht als Hindernis entgegenstellen. Im voraus erkenne ich die Entscheidung an, die Deutsch-Österreich über seine künftige Staatsform trifft. Das Volk hat durch seine Vertreter die Regierung übernommen. Ich verzichte auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften. Karl Habsburg.“ Die Monarchie währte ziemlich genau 640 Jahre, vom Sieg Rudolf I. am 26. August 1278 über Ottokar von Böhmen in der Schlacht auf dem Marchfeld bis zur Unterschrift unter dieses Manifest von Karl I. am 11. November 1918 im blauen Zimmer des Schlosses Schönbrunn. Der anwesende Ministerpräsident Dr. Lammasch, der ebenfalls anwesende Minister des Inneren Ritter von Gayer sowie Josef Redlich, Karl Renner und Ignaz Seipel waren die Autoren dieser Verzichtserklärung. Der Staat Österreich-Ungarn und die Habsburgermacht hatten zu bestehen aufgehört. Am 12. November 1918 wurde die Republik Österreich proklamiert.
Die proklamierte demokratische Republik sah sich großen Schwierigkeiten gegenüber: Hunger, Elend, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Inflation. Hunderttausende kamen von den Fronten und aus den Kriegsgefangenenlagern zurück und mussten einen Platz im zivilen Leben finden. Viele tausende Wiener hatten im Krieg bleibende Verwundungen erlitten. Um sie kümmerte sich der Kriegsbeschädigtenfonds, der zur Erlangung der nötigen finanziellen Mittel ehemals kaiserlichen Besitz in Verwaltung erhielt, darunter den Lainzer Tiergarten.
Die Chronik des Ober St. Veiter Männergesangvereines stellte fest, dass sofort nach dem Ende des Krieges überall in den Vereinen geschäftiges Leben begann. Die heimgekehrten Kriegsteilnehmer durften sofort abrüsten, die Kriegsgefangenen kehrten sehr bald zurück. Äußere Kriegsschäden, wie sie der Zweite Weltkrieg bescherte, gab es nicht. Allerdings war so mancher Sangesbruder im Krieg gefallen, in Ober St. Veit waren es Rudolf Senk, Robert Herzig, Karl Nießner und Georg Vogl.
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Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg blieb von dem großen Reich nur ein Rumpfstaat mit unsicherer Überlebensfähigkeit. Das Habsburg-Vermögen kam in den Kriegsgeschädigten-Fonds, dazu gehörte auch der Lainzer Tiergarten.
Die Not der Zeit zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg, vor allem in der Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, unterschied sich in Hietzing kaum von anderen Wiener Gemeindebezirken. Zu kämpfen hatte alle, die Bürger „oben“ konnten sich eher helfen als die Arbeiter „unten“. Selbst Schuster, Bäcker, Schneider, oder Maurer etc. – also Berufe die immer gebraucht wurden und von denen man halbwegs leben konnte – versanken wegen der Wirtschaftskrise und der hohen Arbeitslosigkeit in der Armut.
Über die allgemeine Not hinaus bestimmte der Antagonismus der beiden politischen Lager das Geschehen im Lande. Eine Besonderheit des neuen Österreich waren die paramilitärischen Formationen auf beiden Seiten, dem Frontkämpferbund, der Heimwehr und anderen für das bürgerliche und dem 1923 als Gegengewicht dazu gegründeten Republikanischen Schutzbund für das sozialdemokratischer Lager.
Diese Spaltung verschlimmerte die ohnehin schon bestehende Not der kleinen Leute, denn Bürgerliche boykottierten Handwerker oder Händler, die sich als Sozialdemokraten deklariert hatten und die Industrie beschäftigte sie nicht. Karl Münichreiter in der Ober St. Veiter Meytensgasse 18 konnte davon ein Lied singen. Er war Schuhmacher und schon seit 1913 Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Er war damals mit 22 Jahren fast so alt wie diese Partei, wenn man den Hainfelder Parteitag 1888/89 als Gründungzeitpunkt sieht. Weil er ein „Roter“ war, kauften bei ihm keine „Schwarzen“ und er musste Gelegenheitsarbeiten annehmen und dort seine Gesinnung verbergen. Seine Frau Leopoldine ging beim Hausherrn in die „Bedienung“.
Nur eines erleichterte die Not ein wenig: Die 1918 angelegten Grabeländer, die mit viel Fleiß und Schweiß zu Schrebergärten mit Hütten und Glashäusern umgewandelt wurden. Das dort gezogene Gemüse und oft auch manches Huhn oder Kaninchen waren eine notwendige Ergänzung für viele Hietzinger, auch für die Münichreiters mit ihrem Schrebergarten am Roten Berg.
Dem 1923 gegründeten Schutzbund trat der durch die Kriegserlebnisse gegen Waffen eingestellte Karl Münichreiter aber erst 1927 bei, als Demonstranten aus der empörten Arbeiterschaft von der Polizei erschossen wurden. Seine Frau war entsetzt über seine Entscheidung, doch die Dinge nahmen ihren Lauf.
Es ist nicht das Thema dieses Buches, grundsätzliche und überregionale Entwicklungen darzustellen, wie die Gründe für die schließlich auch mit Waffen ausgetragene politische Feind
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schaft im Lande, auch wenn es schwer fällt, sich jeglicher Urteile zu enthalten. Doch eines ist gewiss: Beide Seite glaubten, im Recht zu sein. Die einen forderten den zwingend notwendigen Fortschritt, die anderen sahen die Gefahren in diesem Eifer und das Gespenst des Kommunismus. Natürlich verteidigten sie auch ihre Pfründe. Zeithistorisch muss es aber unbestritten bleiben, dass die sozialen Fortschritte, wie zunächst die als „Hanusch-Reform“ bekannten Gesetze, von denen die große Masse profitierte, sozialdemokratische Forderungen verwirklichten. Es ist auch einleuchtend, dass die herrschende Schicht am Obrigkeitsstaat festhalten wollte, während die Vertreter der vielen Machtlosen (Frauen, Kinder, Arbeiter etc.) die Demokratie forderten.
Der Mittelpunkt des sozialdemokratischen Vereinslebens, auch des Schutzbundes in Ober St. Veit, war der Goldmarkplatz im Heim der Kinderfreunde. Nach dem Verbot 1933 hielt der Schutzbund nur mehr geheime Treffen ab. Das Verbot spaltete auch die Sozialdemokratische Arbeiterpartei. Der linke Flügel wollten sich wehren, und die Radikalen dieser Linken trafen sich bei den Münichreiters in der Meytensgasse. Auch gab es ab 1930 Handgreiflichkeiten mit den Nationalsozialisten.
Die auf Basis des missbrauchten kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes im Jahr 1933 gesetzten Maßnahmen der Regierung Dollfuß verschärften die Lage und führten schließlich zur Katastrophe am 12. Februar 1934, die als Bürgerkrieg bezeichnet wird.
Ober St. Veit war einer der Orte, an dem die Schutzbündler zu ihren Waffen gelangten. Vom Bezirkskommandanten hatten sie allerdings nur den vorläufigen Auftrag, sich bloß zu verteidigen. Eine Niederschrift eines Interviews mit dem Kämpfer Johann Scheifele aus dem Jahr 1983 gibt einen Eindruck vom Kampf zwischen der Polizei und dem Schutzbund am Goldmarkplatz (Siehe Bericht ab der nächsten Seite).
Das Ende ist bekannt, unter den neun gehängten befand sich auch Karl Münichreiter. Er war das erste Opfer der Hinrichtungen. Nach der Zerschlagung der Sozialdemokratischen Partei wurde die Kommunistische Partei zur einzigen linken Oppositionspartei mit viel Zulauf von den Sozialdemokraten. Somit gab es zwei illegale Bewegungen im Bezirk: die Kommunisten und die Nationalsozialisten.
Dies alles passierte vor dem Hintergrund eines in der Ersten Republik „tiefroten“ aber offensichtlich machtlosen Wiens, auch der 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing war mehrheitlich Sozialdemokratisch. Bezeichnend sind die Ergebnisse der Gemeinderatswahl vom 24. April 1932, bei der die Sozialdemokraten im Vergleich zur Wahl 1927 ein Mandat dazugewannen (von 65 auf 66 unter rechnerischer Berücksichtigung der Reduktion der Gemeinderatsmandate von 120 auf 100), die Christlichsozialen massiv verloren (von rechnerisch 33 auf 19) und die Nationalsozialisten völlig unerwartet von null auf 15 Mandate kamen. Auch
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in Hietzing, dessen Bezirksräte von 9 auf 7 verringert wurden, blieb die Sozialdemokratie bestimmend: 4 Sozialdemokraten, 1 Christlichsozialer und 1 Nationalsozialist bei einem Restmandat. Allerdings handelte es sich damals noch um das große Hietzing inkl. der nördlich des Wienflusses gelegenen ehemaligen Vororte. Interessant ist daher auch die Zahl (97.359 Wahlberechtigte und 85.716 gültige Stimmen) und die Verteilung der Wahlstimmen: 49.441 sozialdemokratisch, 17.649 christlichsozial, 783 großdeutsch, 15.541 nationalsozialistisch, 1.752 kommunistisch und 549 österreichische Volkspartei. 1927 gab es noch 93 jüdische Stimmen, 1932 keine mehr. Ein ähnliches Bild ergab sich in der Zusammensetzung der Bezirksvertretung. Es gab auch eine Wahl im Jahr 1930, die hinsichtlich der Sozialdemokratie mit 1927 vergleichbar war.
Eine Aufteilung auf die einzelnen Bezirksteile ist nicht vorhanden, es kann aber davon ausgegangen werden, das die Verhältnisse in den industriereichen Bezirksteilen nördlich der Wien völlig konträr zu denjenigem im Süden (dem heutigen 13. Bezirk) waren. Mit dem Ende der Demokratie 1933/34 gab es dann nur mehr die Vaterländische Front.
Am 12. Februar mittags wurde der Schutzbund in Ober St. Veit alarmiert. Wir bewaffneten uns mit Gewehren und Munition, hauptsächlich aus der Amalienschule, wo sie für den Ernstfall eingemauert worden waren, aber auch vom Dachboden des Heinrich Blebann und aus dem Schrebergarten des Karl Münichreiter. Wir haben uns dann am Goldmarkplatz im Kinderfreundeheim versammelt. Von etwa 200 Schutzbündlern im Bezirk waren nur 47 Mann erschienen: Der Bezirks-Kommandant Heinrich Blebann hat dem Münichreiter das Kommando übergeben und gesagt: „Wartet hier auf mich, ich muss Weisungen holen. Schießt nur, wenn Ihr angegriffen werdet.“ Dann ist er mit dem Auto weggefahren. Wir sind planlos herumgesessen, bis wir bemerkt haben, dass Polizisten entlang der Verbindungsbahn aufziehen. Eine andere Gruppe war mit Überfallautos bis zur Hietzinger Hauptstraße gebracht worden und näherte sich in der Preindlgasse von Baum zu Baum dem Goldmarkplatz. Wir standen ab diesem Zeitpunkt im Kampf, und die Baracke (Kinderfreundeheim) war schon bald durchlöchert wie ein Sieb, sie war zur Verteidigung gänzlich ungeeignet. Als wir dann von der dritten Seite angegriffen wurden, kam das Signal zum Rückzug über den Roten Berg. Zuerst eine Gruppe in Richtung Speising, die von den im Heim Verbliebenen gedeckt wurde. Dann die zweite Gruppe unter anderem mit Franz Mück, Karl Münichreiter und mir. Das Gelände bot wenig Schutz, so dass wir uns immer wieder in den Schneegatsch werfen mussten. Ich war hinter den beiden Genannten und sehe, dass der Mück plötzlich hinfällt (Kopfschuss). Der Münichreiter ist die paar Schritte zurück und wollte ihm auf
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Bericht des Mitkämpfers Johann Scheifele über den Kampf zwischen der Polizei und dem Schutzbund am Goldmarkplatz im 13. Bezirk, abgedruckt aus der Niederschrift eines Interviews 1983 in der Broschüre „Karl Münichreiter. Ich sterbe, weil es einer sein muss.“ Karl Münichreiter 1891–1934. Erinnerungen des Sohnes Karl Münichreiter.
Wien: Trotzdem Verlag 2004
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helfen, dabei hat es ihn selbst erwischt. Ich wurde kurz darauf festgenommen, habe aber noch mitgekriegt, dass die Verwundeten, auch Polizisten, von der Rettung eingesammelt wurden, um in Spitäler gebracht zu werden. Mich haben sie dann mit den im Kinderfreundeheim festgenommenen 8 Mann in das Kommissariat Hietzing gebracht, wo wir von der Polizei misshandelt wurden.
Am nächsten Tag hat man uns aus dem Arrest mit dem Grünen Heinrich in das Polizeigefangenenhaus Rossauer Lände gebracht, wo wir wieder mit Schlägen traktiert wurden, indem sie uns durch die sogenannte „Salzergasse“ trieben (ein Spalier von Polizisten, die mit ihren Gummiknütteln oder Koppeln auf die Gefangenen eindroschen). In der Zelle wurde uns gesagt, dass der Münichreiter tot wäre, worauf sich bei der Einvernahme einige auf ihn ausgeredet haben. Am 14. Februar wurden wir zeitlich in der Früh in das Landesgericht 2 gebracht, wo um 9.00 Uhr die Standgerichtsverhandlung gegen uns begann. Jeder wurde einzeln aufgerufen und einem kurzen Verhör unterzogen. Den Münichreiter, der im Spital festgenommen wurde, haben sie auf der Tragbahre hereingebracht. Bei ihm hat der Pflichtverteidiger Dr. Flandrak die Einstellung des Verfahrens wegen Verhandlungsunfähigkeit verlangt. Das Gericht hat diesen Antrag abgelehnt, weil Münichreiter laut dem Gerichtsarzt Dr. Sauer nicht schwer krank, sondern „nur schwer verwundet“ ist. Wir anderen 9 Angeklagten wurden an das normale Gericht abgetreten, gegen Münichreiter wurde vor dem Standgericht weiterverhandelt, was mit der Verhängung der Todesstrafe endete. Ihn haben sie mit dem Arrestantenwagen auf der Tragbahre in das Landesgericht 1 zur Hinrichtung geschafft.
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Die Schatten des „Dritten Reiches“ auf Österreich und damit auch auf Hietzing waren vor allem durch illegale Aktivitäten der Nationalsozialisten und behördliche Gegenmaßnahmen schon lange vor 1938 zu spüren.
Der Anschluss im März 1938 mit den sofort einsetzenden personellen und organisatorischen Maßnahmen und der Hilfe der vielen bisher mehr oder minder verdeckt agierenden NS-Sympathisanten wirkte sich auf alle Lebensbereiche aus: Kindergarten, Schulen, kirchliche Einrichtungen etc. In der Folge können die praktischen Auswirkungen nur anhand mehrer Beispiele, wie sie von Zeitzeugen erzählt wurden, veranschaulicht werden.
Im Kindergarten in der Wenzgasse etwa, der damals in die dortige Schule integriert war und von den Mädchen der Oberstufe betreut wurde, gab es noch keine nationalsozialistische Beeinflussung, die über das während einer Veranstaltung von den Kindern gesungene Lied „An der Laterne vor dem großen Tor“ hinausging. Dann (vermutlich Anfang der 1940er-Jahre) wurde dieser Kindergarten wie auch der Klosterkindergarten in Unter St. Veit geschlossen und es verblieben die NS-Kindergärten, etwa das Ober St. Veiter Elisabethinum. Dort gab es diese politische Beeinflussung sehr wohl: In der Früh, wenn es nicht regnete, traten die Kinder im Hof des Kindergartens an und während auf dem dort stehenden Fahnenmast eine Hakenkreuzfahne aufgezogen wurde, sangen sie ein Lied, vielleicht das Horst-Wessel-Lied. Und immer wieder: „Unser Führer ...“ und in jedem Raum hing ein riesiges Führerbild.
Auch der schulische Bereich zeigte ein ähnliches Bild. Volksschulen wurden geschlossen und die Kinder wurden auf die verbliebenen Volksschulen, wie jene in Hietzing am Platz, aufgeteilt. Das heutige Museumsgebäude beherbergte im Parterre die Städtische Bestattung, im ersten Stock die Direktion der Schule und im zweiten Stock eine Wohnung. Unterrichtet wurde so wie heute im rückwärtigen Trakt. Die Kinder hatten in der Klasse mit „Heil Hitler!“ zu grüßen, manche wagten es „Heil Gott“ zu sagen. Beim Glockenläuten ging die Frau Lehrerin an die Kante des Podiums, alle mussten aufstehen und sie sagte: „Wir denken an unseren Führer!“, dann kam der Deutsche Gruß, der war endlos lang, und dann sagte sie: „So, jetzt wollen wir etwas lernen, damit der Führer an uns eine Freude hat!“
Auch die religiösen Aktivitäten wurden stark eingeschränkt. Die Proben des Ober St. Veiter Kirchenchors wurden zuvor immer in einer Schulklasse der Privatschule für Knaben im „Elisabethinum“ abgehalten. Nachdem das Haus 1938 von der NSDAP beschlagnahmt worden war, stand ein Raum, genannt das Vereinszimmer, in der Kaplanei zur Verfügung. Der langjährige Chorleiter wurde bald nach dem Anschluss politisch unpassend, einer
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Die folgenden Darstellungen bis 1945 sind eine Zusammenfassung folgender Niederschriften von mittlerweile verstorbenen Zeitzeugen:
Brennig, Johann jun.:
Manuskript mit Erinnerungen
Koller, Maria:
Erinnerungen im Anhang zur Pfarrchronik Ober St. Veit
Reitmeyer, Maria:
Verschiedene Erzählungen
Steinwandtner, Felix:
Vor 66 Jahren
Erinnerungen eines weiteren Zeitzeugen
Darüber hinaus:
Chronik des St.-Josefs-Heims
Tagebuch der Dominikanerinnen
Siehe →Seite 641
Siehe auch:
Borth, Fred: Nicht zu jung zum Sterben – Die „Hitler-Jugend“ im Kampf um Wien 1945. Wien: Amalthea Verlag Ges.m.b.H. 1988
Margarétha, Eugen: Zeuge der Stunde Null. Das Tagebuch Eugen Margaréthas 1945–1947 bearbeitet von Hildegard Hemetsberger-Koller. Hrsg: Alois Brusatti, Julius-Raab-Gedenkverein, 1120 Wien. Linz: Verlag Rudolf Trauner 1990
Reisner, Markus: Die Schlacht um Wien 1945: die Wiener Operation der sowjetischen Streitkräfte im März und April 1945. Berndorf, Kral Verlag, 2020. ISBN 3990248987
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der Nachfolger wurde 1945 zum Volkssturm eingezogen. Unter dem Feldwebelton des von Pfarrer Stur vermittelten Herrn Lukas verloren alle Mitglieder die Lust an den Proben, und der einst so schöne Kirchenchor nahm sein Ende. Auch waren die männlichen Stimmen wegen des Militärdienstes immer weniger geworden.
Die ebenfalls im Vereinszimmer einmal pro Woche gehaltene und gut besuchte Bibelstunde für Erwachsene war schon Ende des Schuljahres 1939 zu Ende.
Von 1939 bis 1945 waren mit Ausnahme der Monate Juli und August jeden Samstag von 14 bis 17 Uhr Seelsorgestunden in der Sakristei. Der Religionsunterricht war in der Schule abgeschafft und außerhalb der Kirche verboten. Die nicht sehr große Sakristei, war immer überfüllt, so brav kamen die Kinder. Auch Erstbeicht- und Erstkommunions- wie auch der Firmungsunterricht wurden hier abgehalten. Außerdem wurden die Jugendstunden, Dienstag für die Burschen, Donnerstag für die Mädchen, in der Sakristei gehalten. Trotz der Verdunkelung kam immer eine größere Anzahl. Da die Marianische Kongregation vorerst nicht aufgehoben wurde, konnte diese im Vereinszimmer im Pfarrhof abgehalten werden.
Die zahlreichen Umbesetzungen hatten natürlich einen enormen Personalbedarf zur Folge und nach dem Anschluss 1938 kamen viele Leute aus dem Altreich nach Hietzing, „geeichte“ Funktionäre und solche, die in Schulen etc. eingesetzt wurden. Zum Teil bezogen sie Wohnungen von geflüchteten jüdischen oder christlich-sozial orientierten Menschen. Die Fleischhauerei in der St.-Veit-Gasse hatte damals im Eiskeller immer mehrere Fässer mit Schmalz stehen – jedes von ihnen fasste 250–280 Kilogramm. Vis a vis war eine Glaswarenhandlung, die auch Geschirr verkaufte. Die Deutschen kauften sich dort einen Kübel, einen emaillierten oder ein sogenanntes Windelhäfen, und ließen sich diesen mit Schmalz anfüllen, banden es oben zu und gingen zum Bahnhof in Penzing, wo man per Bahnpost etwas aufgeben konnte, und schickten das Schmalz nach Deutschland. Das war das erste Mal seit dem Jahr 1910, als die Fleischhauerei eröffnet wurde, dass sie keinen Deka Schmalzvorrat hatte, weil alles aufgekauft wurde. In Deutschland hatte es bereits im März 1938 eine Lebensmittelrationierung gegeben und es war beispielsweise keine Butter, sondern nur Margarine und dergleichen erhältlich.
In der Ostmark gab es die Rayonierung erst ab September 1939, ab dem gleichen Monat, in dem man in Polen einmarschierte. Es gab Karten für Fleisch, Eier, Kartoffel, Kleider etc. Die Bezeichnungen dieser Karten waren unterschiedlich, sie hießen Ausweiskarte, Einkaufsschein, Reichskarte, Nährmittelkarte, Lebensmittelkarte, Grundkarte etc. oder waren nach den jeweiligen Produkten benannt, z. B. Brotkarte, Reichsfettkarte etc. Alles war mit riesigem Verwaltungsaufwand durchorganisiert. Die Hausfrauen führten kleine Mappen mit sich, in denen sie die zahlreichen Karten aufbewahrten. Man musste sich bei einem
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Einzelhändler anmelden und der wusste dann, wir haben soviel Erwachsene, Kinder oder Schwerarbeiter und davon hingen die Warenzuteilungen von den Großhändlern ab.
Zu den Lebensmittelkarten gab es auch Zusatzkarten für Kleinstkinder, für Kleinkinder, für Kinder, üblich war der Normalverbraucher, sowie für Angestellte, Arbeiter und Schwerstarbeiter. Es gab einen Beschäftigungsausweis mit einer Zahl für die Berufsgruppe und einer weiteren Zahl. Aufgrund dieser beiden Zahlen wurde die Art der Zuschlagskarte ermittelt.
Es gab auch Kartoffelkarten für das „Einlagern“. Die Einlagerkartoffeln gab es im Herbst und es war wichtig, diese zu bekommen. Wir wissen, wenn man heute welche kauft, fangen sie in 14 Tagen an auszuwachsen. Damals gab es gottseidank noch kalte Keller, aber die Kartoffel hielten sich trotzdem nur einige Zeit. Wenn man im Jänner oder Februar in den Kartoffelkeller ging, nahm man nur diejenigen, die angefangen hatten, auszuwachsen. Die Kartoffel braucht kein Licht zum Wachsen, sie braucht nur Luftfeuchtigkeit, und wenn sie auswächst, ist die Qualität dahin.
Die Bombenangriffe auf Wien begannen im Jahr 1944. Die Schulkinder wurden im Augenblick des Voralarms, dem sogenannten Kuckuck nach Hause entlassen. Wohnten sie in der Nähe, gingen sie zu Fuß nach Hause, wohnten sie weiter weg, das waren damals etwa ab drei Straßenbahnstationen, hatten sie einen Freifahrschein und konnten fahren. In der Regel ging sich der Nachhauseweg zeitmäßig sehr gut aus, denn der Voralarm erfolgte in dem Augenblick, als im Meldekreis Steinamanger (Szombathely) feindliche Flugzeuge zu sehen waren. Alle, die ein Radio besaßen, hatten es ab 9 oder ½10 Uhr vormittags am Fenster stehen und laut aufgedreht, es gab nur einen Sender. Wenn der Kuckuck zu hören war, wussten alle Bescheid. Später erfuhr man dann, ob die Flugzeuge z.B. nach Graz abgedreht hatten oder nur bis Wiener Neustadt geflogen waren.
Vor dem Verlassen des Schulhauses mussten sich alle das an einer Spagatschnur befestigte Kärtchen, worauf ihre Namen und ihre Adressen geschrieben standen, umhängen.
Die Familien gingen dann in den eigenen Keller oder den einer größeren Einrichtung wie in naheliegenden Klöstern. Diese wurden für sicherer gehalten, sicherer jedenfalls als die eigenen Hauskeller, manchmal bloß ehemaligen Eiskeller, die bestenfalls über eine Betondecke verfügten. Aber auch in den unterirdischen Klostergewölben wären bei einem Bombentreffer wahrscheinlich alle am Staub erstickt.
Die Menschen warteten, bis etwas zu spüren war oder bis eine Entwarnung kam. Es waren meist nur Frauen und Kinder, die hier Schutz suchten, mit Ausnahme der Pfarrer und Mesner,
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Dieses Bild zeigt eine der ersten Lebensmittelkarten nach der Einführung der Rayonierung in Österreich im September 1939. Sie war noch vom Reichs- und Preussischen Ministerium des Innern gedruckt und galt für den zweijährigen Felix Steinwandtner. Ein Teil der Lebensmitteln (Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Fleisch, Brot und Mehl) waren namentlich angeführt, für die anderen Produkte galt eine der Buchstaben-Nummernkombinationen. Für Milchprodukte hatte sich die Familie Steinwandtner bei der Niederösterreichischen Molkerei an der Ecke St.-Veit-Gasse/Hietzinger Hauptstraße (heute ist dort eine Filiale der Bäckerei Schwarz) angemeldet, für die anderen Lebensmitteln bei der Gemischtwaren-Händlerin Marie Windisch in der Hietzinger Hauptstraße 74 und für sonstige Waren bei der Parfümerie Matzka in der St. Veitgasse 47. Interessant ist, dass diese Ausweiskarte auch in der Schule vorgelegt werden musste.
© Bezirksmuseum Hietzing
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vielleicht auch noch in der Region tätige Ärzte. Alle im Keller hatten einen kleinen Koffer. Wie ungenügend das gewesen wäre, falls die Wohnung des Betreffenden ausgebombt worden wäre, erkannten sie erst später.
Am Montag, den 19. Februar 1945 gab es den ersten großen Angriff auf die Region. Er betraf Hietzing, das Schloss Schönbrunn und die Verbindungsbahn. Nach den Bombentreffern, die man registrierte und auf einen Plan eintrug, dürfte auf die Verbindungsbahn gezielt worden sein, sowohl im Hietzinger als auch im Penzinger Bereich. Die beginnende Westbahn und die Treffer waren wie in einem Parallelogramm um 100–150 Meter verschoben. Auch während der Bombentreffer dieses Tages waren alle im Keller und spürten die Erde beben. Dann kam die Entwarnung. Zwei Frauen verließen als erstes einen Keller in der St.-Veit-Gasse, um die Lage zu prüfen. Beide waren leichenblass, als sie zurückkamen und eine sagte: „Die Frau Hölzl und das Ehepaar Schaf müssen heute wo anders schlafen“. Das war die Form, in der sie den beiden Frauen, die mit im Keller waren, mitteilte, dass sie keine Wohnung mehr hatten. Dann gingen alle hinaus, der Geruch nach zertrümmertem Gestein und zerbrochenem Holz blieb allen ihr Leben lang in der Nase. Es war ein ähnlicher Geruch, wie es ihn noch vor wenigen Jahren beim radikalen Abbruch von Häusern gab – heute gibt es das nicht mehr, jetzt wird alles getrennt und sortiert. Die weiteren Erkundungen ergaben Bombentreffer in der Kremsergasse und in einem Haus, in dem drei Schwestern gewohnt hatten. Sie befanden sich im Hauskeller und waren tot.
Das Wetter an diesem 19. Februar war sonnig und trocken mit wenigen Plusgraden, es gab keinen Schnee. Es gab Bombentrichter auf den Straßen, daraus drang entweder das Wasser von zerborstenen Wasserleitungen oder Gasflammen aus entzündeten Gasleitungen. Beides – sowohl die Wasserleitungen als auch die Gasleitungen – wurden relativ rasch abgesperrt und damit die Wasserüberflutungen und der Gasaustritt gestoppt. Hier gab es offensichtlich ein enges Betreuernetz, das von den Schäden erfuhr und die nächsten Absperrhähne kannte. Natürlich war man bedacht, die damals schon grundsätzlich knappe Energie zu retten.
Am Dienstag gingen wieder alle wie gewohnt zur Schule. Am Mittwoch rief wieder der Kuckuck, auch die Sirenen kündigten „Voralarm“ an, und die Schulkinder wurden nach Hause entlassen. Das Wetter an diesem Tag war wieder klar und etwas kalt. Es stand ein riesiger Angriff auf den Raum Wien bevor, von dem – wie am Montag zuvor – auch Unter St. Veit und in verheerender Weise der Tiergarten Schönbrunn betroffen war.
Schon Tage vorher war immer wieder das Schreien der Tiere zu hören, sei es aus Hunger oder aus Angst. Das sind unauslöschliche Erinnerungen. Die Kinder in der Schule am Platz hörten es gut, denn am Vormittag während der Pause musste gelüftet wer
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den. Ans Fenster durften sie nicht, sie hätten hinausfallen können. Auch nach der Vorwarnung am Mittwoch schrien die Tiere wie irre.
Spätere Erzählungen berichteten von gigantischen Zerstörungen im Tiergarten Schönbrunn. Der damalige Tiergartendirektor beging Selbstmord, als die Russen kamen. Sein damals 29 Jahre alter Nachfolger Brachetka brachte 1947 das Buch „Schönbrunn und sein Tiergarten“ heraus. Darin stand unter anderem: „Was Schönbrunn anbetrifft, sank der Tierstand vom Jänner 1939 bis Jänner 1945 von 2.200 auf 1.300 Köpfe, nach den verheerenden Tagesangriffen durch die amerikanische Luftwaffe am 19. und vor allem am 21. Februar 1945 bis auf wenige hunderte.“
Fotografiert werden durften die Bombenschäden nicht, nur einigen wenigen war das erlaubt. Es gibt einige Fotos die zeigen, dass z. B. der Bereich der Wisente total zerstört war. Bracheta schreibt weiter: „Russen kamen immer näher, auch der Tiergarten stand unter Artilleriebeschuss, nahm davon aber glücklicherweise keinen Schaden. Am 9. April kamen die ersten Russen über den Glorietteberg in den Tiergarten.“
Und dann schreibt er etwas, das man meistens verschweigt: „Der Tiergarten hätte ohne der Möglichkeit der Versorgung insbesondere mit Fleisch und Raufutter in kürzester Zeit zugrunde gehen müssen. Es ist der bleibende Verdienst eines russischen Generals, durch die Errichtung eines eigenen Tiergartenkommandos, dem mit Hilfe eines Lastautos die Aufbringung von Heu bzw. Grünfutter und Pferdefleisch oblag, dieses Schicksal abgewendet zu haben. Dieses Kommando führte bis zum Juli 1945 die Versorgung durch. ... Es war ein irrsinniger ideeller Wert für die Republik, und die darauffolgenden als besser bezeichneten Monate war es Aufgabe der Tiergartenbetreuer.“ Im Herbst 1945 war Hietzing bereits britische Zone, aber die Engländer zeigten kein Interesse.
Zurück zu den Bombenangriffen. Schlimm wurde es im März 1945, als es fast täglich Bombenalarm gab. Bezirksteile mit kritischer Infrastruktur waren stark betroffen, andere wie Ober St. Veit blieben meist verschont.
Am 12. März 1945 erlebte Pfarrer Stur einen Bombenangriff in der Stadt. Er war im Luftschutzkeller des Domes, als der Sakristeitrakt getroffen wurde. Nach einem mühevollen Weg kam er aber gut nach Hause. Große Bombardements gab es in Wien am 13. und 14. März, die Innere Stadt war betroffen und wiederum Schönbrunn.
Gegen Kriegsende, als die Bombardements in Wien bereits nachgelassen hatten, war erstmals auch Ober St. Veit betroffen. Am 7. April fielen Bomben auf die Auhofstraße. Es gab Tote und Verletzte. Beim Fleischhauer Schütz in der Auhofstraße waren Leute um Fleisch angestellt. Es gab zu dieser Zeit keinen Alarm mehr. Plötzlich waren die Flieger im Tiefflug da. Eine Bombe fiel in die wartenden Menschen. Leo Breitenseer, damals ein Minis
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trant, wurde im Luftschutzkeller seines Elternhauses (Kinohaus) in der Auhofstraße erschlagen. In einem ungehobelten Sarg stand er in einem Nebenraum der Kirche (gleich beim Eingang, heute nicht mehr vorhanden), dann wurde er durch den Park zu einem Pferdefuhrwerk, das ihn zum Friedhof brachte, hinuntergetragen.
Große Betroffenheit erzeugten auch die Begegnungen mit Flüchtlingen. Sie begannen anfang 1945, als die ersten Flüchtlinge aus Ungarn durchzogen. Zu Fuß oder in Plachenwagen zogen die verzweifelten Menschen über die Wientalstraße weiter nach Westen.
An einem der letzten Tage, an dem es noch Unterricht gab, sahen die Kinder auf dem Heimweg von der Schule auf der Hietzinger Hauptstraße, ungefähr auf der Höhe der ehemaligen Buchhandlung Kleemann, wo es damals auch ein kleines Milchgeschäft gegeben hatte, Leute in einem schwarzen Gewand, die Frauen mit schwarzen Kopftüchern und Taschen. „Was ist da los?“ fragten sich die Kinder. Oben sahen sie den Bahnschranken wie üblich geschlossen und Waggons stehen.
Sie erfuhren dann, dass es sich um Vertriebene aus Siebenbürgen handelte. Der Zug war stehen geblieben, weil die Kohlen ausgegangen waren. Den Leuten war in ihrer Heimat geraten worden, nur das notwendigste Mitzunehmen, weil jetzt kommt die Front und in zwei, drei Tagen seien sie wieder zurück. Das passierte natürlich nicht. Die Frauen nützten die Pause, um auszuschwärmen und zu sehen, ob es irgendwo irgendetwas zum Essen gab. Sie waren bereit, auch den Ehering herzugeben, doch die Menschen hier hatten ebenfalls nichts. Das Kloster in Unter St. Veit konnte den Flüchtlingen bloß etwas gesüßten Tee anbieten.
In der darauffolgenden Nacht war in der St.-Veit-Gasse ein eigenartiges Blöcken zu hören. Die Menschen sahen hinaus und sahen eine Schafherde durch die Straße ziehen. Eine Brücke über den Wienfluss war bombenbeschädigt, auf dem zuführenden Gleis stand ein Zug und die Leute mussten aussteigen, zu Fuß hinauf bis zur Veitingergasse gehen und konnten dort in einen anderen Zug einsteigen. Da waren ganz kleine, frischgeworfene Lämmer dabei. Das war wohl das einzige, das diese Leute noch hatten, das was sie am Körper trugen und diese paar Tiere. Es fuhren noch ein paar pferdebespannte Wägen mit allerhand Bündeln vorbei.
Es gab auch schon vereinzelte Vorbereitungen für die Unterbringung von Flüchtlingen. Zum Beispiel wurden im St.-Josefs-
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Heim in Ober St. Veit die großen Schlafsäle für die Einquartierung von Flüchtlingen aus dem Sudetenland hergerichtet. Die ersten einquartierten Flüchtlinge waren dort allerdings Verwandte der Schwestern.
Anfang April war Ostern. Die katholischen Feiertage waren alle gestrichen, Ostermontag, Pfingstmontag, Fronleichnam ... Allerheiligen hatte man schon Ende der 1930er-Jahre an einem Sonntag gefeiert, wie die evangelischen Kirche den Totensonntag. Es sollte ja keine Arbeitszeit oder Produktionszeit verloren gehen.
Es gab ein wunderschönes Heiliges Grab in Unter St. Veit mit nur zwei brennenden Kerzen. An sich war das Abbrennen von Kerzen seit Dezember 1940 verboten. Man musste Material sparen und das Wachs oder das Stearin wurde für andere Sachen gebraucht. Zu Hause gab es ein sogenanntes Öllicht. In einem Glas war etwas Wasser, darüber eine Schicht von zwei bis drei Zentimeter Öl und darauf ein Schwimmer mit einem Docht. Angezündet war es eine winzige Funzel. Solche kleinen Öllichter stellte man auch auf das Grab der Großeltern und Urgroßeltern. Früher wurden die Öllichter bei Kranken aufgestellt, damit sie in der Nacht nicht das Licht aufdrehen mussten, noch früher gab es die Petroleumlampen.
Am Karsamstag hatte es den letzten Unterricht, und man wusste von der näher rückenden Front. Die Schüler wurden entlassen, die nächste Schultag wurde für frühestens in drei Wochen angekündigt. Zum selben Zeitpunkt wurde Wien zur offenen Stadt erklärt. Die Bombardements im Wiener Bereich hatten ja nachgelassen, Graz wurde hingegen noch bombardiert, auch dann noch, als in Wien bereits die Republik ausgerufen worden war. Die Kämpfe in den Bundesländern oder Gauen, wie sie damals hießen, gingen lange weiter.
Ostern wurde verbracht, das Wetter war wieder schön und kühl; über allem lag eine ungeheuer gespannte Stimmung. Die Kinder begriffen allerdings die furchtbare Gefahr kaum, weder bei den Bombardements noch dann, als die Front näher rückte. Wahrscheinlich gibt es im Inneren eine Bremse oder ist es die Unerfahrenheit. Den späteren Zeitzeugen war es überdies nicht erinnerlich, dass ihre Verwandten, Mutter, Großmutter oder Tante, total verzweifelt gewesen wären. Es war ein gewisser Fatalismus vorherrschend: Da müssen wir jetzt durch, und wir werden sehen, was der morgige Tag bringt. Viel anders konnte es nicht gewesen sein.
An der Grenze zwischen Ober und Unter St. Veit, am Kai, dort, wo jetzt der Hinteregger-Turm steht, war früher die Bossi-Fabrik,
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die etwa ab 1860 Hüte und dann Militärbekleidungen erzeugt hatte. Dieses Fabriksgelände war bereits im Ersten Weltkrieg ein Monturdepot. Da wurden militärische Uniformen etc. zum Teil erzeugt aber zum größten Teil gelagert. Gleich daneben gab es einen Anschluss an die Verbindungsbahn und damit an das gesamte Bahnnetz der Monarchie.
Plötzlich gab es die Nachricht (vermutlich war das am 6. April), dass die Bossi-Fabrik geräumt werden kann. Sie kam durch Mundpropaganda, Zeitungen gab es ja keine mehr, zeitweise gab es auch keinen Strom. Jeder, der noch von früher einen Detektor hatte, kramte ihn heraus und horchte. Tatsächlich durfte jeder zum Depot gehen und mitnehmen, was er tragen konnte. Man sah Leute mit Textilballen und großen Säcken herauskommen.
Das Erste, das der in der Nähe wohnende Felix Steinwandtner nach Hause brachte, waren zwei Karton Aluminiumnägel. Als das Steinwandtnersche Geschäftshaus 1992/93 weggerissen wurde, gab es noch einige davon. Für Weichholz waren sie nicht schlecht, aber sie hatten keine Köpfe. Beim zweiten Mal war er bereits ein wenig raffinierter und nahm ein kleines Kinderhandwagerl mit. Er brachte ein paar Schachteln mit Knöpfen und drei schwere Schachteln, die er nicht aufbrachte, weil sie so gut verklebt waren, aber deshalb für wertvoll hielt. Die Großmutter meinte: „Um Gottes Willen Knöpfe! Aber gut, man kann sie mit etwas Stoff überziehen, nicht schlecht ... .“ Brauchen konnte man alles. Dann öffnete sie die anderen Schachteln, und es waren Stecknadel drinnen, je zwei Kilo, aber diese Stecknadeln waren brauchbar. Mit der nächsten Tour brachte der junge Felix einen Pack Moskitonetze, ein Paar Pakete Flanell-Binden für das Knie oder das Kreuz und etliche andere Sachen. Er hörte auch von Zucker, aber die 50-Kilo-Säcke waren ihm zu schwer.
Vis á vis war das Kloster Herz Jesu mit ca. 130 Klosterschwestern. Einmal kam eine Frau in einem Dirndl aus dessen Haustor, sie hatte einen breiten flachen Handwagen. „Aber Schwester Chrisologa!“. „Was heißt Chrisologa, die Tante Bärbl bin i!“ Für die damalige Zeit ungewöhnlich hatte die Schwester Zivilgewand angezogen und viel nach Hause geschleppt. Zwei, drei Senioren, die dort im Greisenasyl waren, gingen mit und halfen den Wagen schieben. Die Tante Bärbel brachte auch Zucker und anderes.
Dann hieß es plötzlich: So, in einer Stunde wird die Fabrik gesprengt.
In den Endkampf wurden sogar die Kinder eingebunden. Es gab so genannte Sammeltage, da knieten die Kinder auf den Wiesen vor dem Palmenhaus und zwickten mit den Fingernägeln die Köpfe der Gänseblümchen ab. In ein oder zwei Klassen war Packpapier aufgelegt, und darauf wurden die Blüten getrocknet. Man sagte, das wird ein Tee für die Verwundeten.
Es gab auch eine Knochensammlung. Das wenige Fleisch und die Knochen, die es noch gab, hatten die Leute bis zum allerletzten Gramm Fett ausgesotten. Die danach verbliebenen Kno
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chen wurden gesammelt. Manche Mitschüler kamen mit 10–15 dag bereits ausgesottenen Knochen. Die gesammelten Knochen wurden mit Hochdruckgeräten nochmals ausgesotten und das allerletzte Fett herausgeholt. Die zerkleinerten Knochen dienten dann als Dünger. Ein Fleischhauersjunge mit Knochen aus dem elterlichen Betrieb war hier der Kaiser.
Als der Krieg allmählich seinem Ende zuging, waren im Detektor nur mehr alle zwei, drei Stunden irgendwelche Nachrichten zu hören. Man hörte irgend etwas von Durchhalten und von Hannibal, der über die Alpen zog. Es war der Statthalter, der die Situation mit Hannibal verglich. Das verstanden wohl viele Zuhörer nicht, wer kannte damals schon den Hannibal?
Die über allem liegende Spannung wurde von den jetzt ausbleibenden Flugzeugen und Bombenangriffen verstärkt. Vorher hatte man am Abend immer die Suchscheinwerfer den Himmel nach feindlichen Flugzeugen absuchen gesehen (Radar gab es noch keines, nur etwas Ähnliches, weniger Effizientes), aber auch diese waren verschwunden.
In der Gasse waren Soldaten, die markiges Reichsdeutsch sprachen und ganz junge Leute vom Volkssturm. Vorne auf der Hietzinger Hauptstraße war Bewegung zu sehen und viele gingen „Schauen“. Der 58er fuhr nur mehr im Pendelverkehr mit einem Waggon. Über die Hietzinger Brücke konnte er fahren, obwohl die Stadtbahnstation im Gleisbereich durch eine Bombe zerstört worden war, und er kam fast bis zur Babenbergerstraße. Auf der Hietzinger Hauptstraße an der Kreuzung zur St.-Veit-Gasse wollten einige Soldaten gemeinsam mit Helfern in Zivil (Leute vom Volkssturm) einen Straßenbahnwaggon aus den Schienen heben und quer zur Fahrbahn stellen. Es gab markige Kommandos. Ein älterer zarter Herr – wegen der Kälte hielt er den Mantel vorne zusammengeschlagen – sagte: „Des wird die Russen a nimmer aufhalten!“ Einer der Soldaten hörte das, drehte sich um, schrie den alten Mann an und griff nach der Pistole. „Das ist Hochverrat etc. etc.“ Während der Soldat schrie, öffnete der Mann seinen Mantel. Ein roter Kragen wurde sichtbar, es war ein alter Generalsmantel aus dem Ersten Weltkrieg. Er sagte: „Lieber junger Mann, ich war Österreichs erster Panzergeneral, ich weiß, was Panzer können, und das ist eine lächerliche Sperre“. Daraufhin drehte sich General Redlich-Redensbruck um und ging unbehelligt weg. Später rannten einige mit Panzerfäusten durch die Gasse. Es wurde etwas über eine Verteidigungslinie geschrieen.
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Als sich die sowjetischen Truppen den Wiener Vororten näherten, waren die Truppen der Verteidiger personell schwach und schlecht ausgerüstet. Die Kommandanten waren zerstritten und als im April 1945 General Rudolf von Bünau als Kampfkommandant für den Verteidigungsbereich Groß-Wien eingesetzt wurde, hatte es noch keine Vorbereitungen für die Verteidigung der Stadt gegeben. Dafür wurde das Wirken der Österreichischen Widerstandsbewegung mitverantwortlich gemacht, die im wesentlichen eine kampflose Übergabe der Stadt anstrebte.
In den folgenden Gefechten, die auch Hietzing betrafen, spielte der Volkssturm als letztes militärisches Aufgebot eine nennenswerte Rolle, insbesondere die ideologisch geprägte und fanatisierte Hitler-Jugend. Die Burschen im Alter von etwa 15 bis 17 Jahren, die eigentlich nur für Kurier-, Melde- und Wachdienst im Hinterland gedacht waren, wurde dann auch zu reinen Kampfhandlungen herangezogen.
Die Menschen verbrachten diese Tage ängstlich und zunächst auch meist unbehelligt in ihren Kellern. Die Augenzeugenberichte zum Ein- bzw. Durchmarsch der Roten Armee und zu den Kämpfen sind demzufolge schütter und uneinheitlich. Sie unterscheiden sich regional, inhaltlich und auch in der Zuordnung zu den einzelnen Tagen. In diesem Kapitel wird versucht, dennoch eine möglichst präzise Tageschronik zu erstellen.
Um Wien auch aus dem Westen anzugreifen, stießen sowjetische Truppenteile durch das Helenental in Richtung Heiligenkreuz und Alland nach Norden vor.
Die Polizeireviere in der La-Roche- und in der Einsiedeleigasse wurde aufgelassen und verschlossen. Die Polizei wurde größtenteils dem Militär zugeteilt und beim Hietzinger Gymnasium in Marsch gesetzt.
Die Vereinigten Färbereien in Hacking stellen noch acht Legitimationen für Arbeiter und Angestellte aus, die deren Freistellung vom Volkssturm ermöglichen sollen, darunter für Dir. Erhardt.
Die Front rückte näher. Einen guten Aussichtspunkt für die aktuelle Entwicklung bot das St.-Josefs-Heim am Gemeindeberg. Die Schwestern dort hatten für alle Fälle bereits die Generalabsolution erhalten, Leute aus der Umgebung, die dort Schutz vor den Bombenangriffen gesucht hatten, wollten nicht mehr fort, niemand traute sich mehr aus dem Haus. Am 5. April wurden für das Protokoll 40 Personen gezählt, die im Heim aßen und schlie
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Über den Krieg, die unmittelbare Zeit davor und die Zeit darnach weiß auch die Hauschronik der Dominikanerinnen in Hacking zu berichten, siehe dazu
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fen. In der folgenden Nacht hörte man gewaltiges Schießen an der sich der Stadt nähernden Front.
Lautes Dröhnen kündige Tiefflieger an, die auf alles, was sich auf der Straße bewegte, schossen.
Die auf dem Gemeindeberg stationierten Flakturmgeschütze, die während der Bombenangriffe heftig feuerten, wurden nun gegen die Front gerichtet und am Mittag des 6. April ging von ihnen und anderen – genannt wurde die Stiftskaserne – bereits Verteidigungsfeuer auf Erdziele Richtung Ostbahnhof aus.
Auch auf den Wiesen oberhalb der Karl-Schallhas-Gasse sollen sich während der Kriegstage Luftabwehrstellungen befunden haben. Jedenfalls waren oben an der ersten weniger begangenen Wiese, die sich heute zwischen Schrebergärten befindet, eine oder mehrere Flak-Stellungen und darüber eine Scheinwerferbatterie stationiert. Diese Stellungen waren mit Laufgräben untereinander verbunden. In der Nähe der Scheinwerferbatterie war die Feldküche. Dies erzählte ein Schrebergarten-Anrainer. Eine andere Quelle (unterirdisch.de) sieht dies als die Hagenbergflak. Diese war aber zu Kriegsende längst geräumt und auf die Knödelhütte übersiedelt. Auch die Vielzahl der beschriebenen Laufgräben soll es nicht gegeben haben und statt der Scheinwerferbatterie maximal ein einzelner Scheinwerfer.
Bei Hadersdorf-Weidlingau sammelte sich eine Einheit der Waffen-SS um dann Richtung Gürtel abzurücken. Der Widerstand, mit denen die Sowjets in der westlichen Stadteinfahrt zu rechnen hatten, verminderte sich dadurch. Auf der Knödelhütte zurück blieb eine Kompanie der HJ.
Die schlechte Moral der Truppe war auch in der Öffentlichkeit leicht zu erkennen. Im Park gegenüber der Haltestelle Hütteldorf lagen viele Soldaten herum, die Schuhe oder Stiefel ausgezogen, die Gewehre hingen an der Bäumen, lagen im Gras oder steckten mit dem Lauf in der Erde. Die legere Kleidung vermittelte den Eindruck von Marodeuren. Einer ihrer Offiziere meinte, dass der Krieg längst verloren war und riet den vorbeikommenden HJ-Burschen, „Heim zur Mutter“ zu gehen. Es wäre sinnlos, wenn auch sie noch „in's Gras beißen“ müssten.
Die nach wie vor linientreuen und opferbereiten Burschen waren sprachlos, und fuhren weiter zu ihrer Einheit. Von dort wurden sie umgehend nach Purkersdorf gebracht und gerieten in ein verlustreiches Feuergefecht mit den Russen. Es gab Tote und Verwundete auf beiden Seiten, auch unter den jungen Leuten (5. HJ-zbV-Kompanie), die dieser Truppe zugeteilt worden waren. Dennoch glühe so manches Gesicht vor Eifer: „Na denen werden wir es zeigen!“ Die sowjetische Infanterie floh in Richtung Tullnerbach und die sowjetischen Panzer kamen. Die Jungen waren im vollen Kampfeinsatz, einer war mit einer Pan
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zerfaust erfolgreich. Die T34 wendeten, aber von hinten brachen andere Kolosse hervor. Zum Glück traf aus Wien kommend ein Polizeibataillon ein und löste die HJ-Kompanie ab. Eine andere HJ-Kompanie hatte bei Mariabrunn gekämpft. Es stellte sich heraus, dass die deutsche Führung die beiden Wiener HJ-Bataillone als „Feuerwehr“ für kritische Situationen vorsah.
Jetzt sollte die aus Purkersdorf zurückkommende HJ-Kompanie die Wienfluss-Brücke bei Hadersdorf Weidlingau sichern, am gleichen Nachmittag wurde von einem Pioniertrupp begonnen, sie sprengfertig gemacht. Dabei wurden sie von drei sowjetischen Schlachtfliegern aus allen Rohren beschlossen. Beim zweiten Anflug wurde einer abgeschossen, beim vierten Angriff waren plötzlich zwei deutsche Me 109 da und schossen ein weiteres sowjetisches Flugzeug ab. Einem der deutschen Piloten wurde eine 2-cm-Kanone zum Verhängnis, die feuerbereit in einer Waldlichtung im Lainzer Tiergarten stand. Die älteren Soldaten, die sie bedienen sollten, waren davongelaufen und die jetzige Bedienungsmannschaft bestand aus Rotarmisten. Die Russen waren also längst im Lainzer Tiergarten.
Nachdem auch die Polizeieinheit aus Purkersdorf zurückgenommen wurde, musste die Brücke zwischen Hadersdorf und Weidlingau (Kielmannseggbrücke) gesprengt werden. Bei der Dr.-Karl-Lueger-Brücke (seit 2024 Hannelore-Burger-Brücke) bei Mariabrunn gingen Angehörige einer HJ-Kompanie in Stellung. Sie wurden durch ein Jagdkommando verstärkt, das vorher in der Hermessiedlung in Lainz sowie in der Versorgungsheim- und Jagdschloßgasse die Sowjets fast 8 Stunden lang aufgehalten haben soll. Laut Augenzeugenbericht wurden schließlich fast alle Wienfluss-Brücken gesprengt.
Am Küniglberg wurden die Munitionsbunker gesprengt, und das obwohl andere Batterien bereits zu wenig Granaten hatten, und Augenzeugen berichteten von der Sprengung des Hütteldorfer Bahnhofes samt Heizhaus. An diversen Stellen liefen Vernichtungsaktionen von Archivunterlagen (Karteien und Fotoarchiv), die aber nicht lückenlos waren.
Auf der Auhofstraße begegneten sich zwei Menschenströme. Aus dem Lazarett im St. Josef-Spital in Marsch gesetzte ungarischen Soldaten zogen mit fehlenden Gliedmaßen, auf Krücken gestützt, mit verbundenen Körpern und Köpfen Richtung Westen. Ihnen entgegen kamen Flüchtlinge aus Niederösterreich mit Karren und Ochsengespann, beladen mit Hausrat, Kindern und Alten, Tiere vor sich hertreibend.
Dennoch standen Leute vor den Geschäften mit Kleidern und Schuhen Schlange, weil dafür Punkte freigegeben worden waren. Sonderzuweisungen führten auch vor den Fleischhauern zu Warteschlangen.
Am Nachmittag marschierte eine größere SS-Einheit über die Hietzinger Hauptstraße Richtung Adolfstor. Es waren meist junge Leute in leichter Gefechtsausrüstung mit Panzerfaust, Karabiner
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Darstellung von Markus Reisner (Die Schlacht um Wien 1945) mit einer russischen Skizze zum Aufmarsch im Lainzer Tiergarten neben einem aktuellen Planauschnitt. Er lokalisiert den Durchbruch im Bereich der Slatingasse.
Im St.-Josefs-Heim rückten alle vor Angst und Erwartung der Dinge eng zusammen. Am Morgen des 7. April meldete das Radio den Einmarsch der Russen in die Stadt. Die Schießereien wurden immer stärker, die Stadt brannte an allen Ecken. Am Nachmittag wurden Kämpfe beim Westbahnhof gemeldet.
Die Russen kamen also von mehreren Seiten und bald sollten die Schwestern merken, wie rasch der Krieg auch zu ihnen getragen werden würde, spätestens als sie russische Soldaten am Waldrand beim Tiergarten die Hügel herunterkriechen sahen.
Auf der anderen Seite, die Wiesen von Hacking zur Tiergartenmauer hinauf, sah man „16 Rucksäcke“. Es waren die Volksturmmänner, die man mit Panzerfäusten ausgestattet den Panzern entgegengeschickt hatte. Ein Krachen und Bersten war zu hören, russische Panzer hatten die Höhen über Hacking erreicht und eine Schneise in die Mauer gebrochen. Im Gras der Wiese lagen nur mehr die Rucksäcke, die Männer waren rechtzeitig verschwunden.
Gemäß Klosterchronik des St.-Josefs-Heimes und Angaben anderer Zeitzeugen soll der Einmarsch der Roten Armee aus dem Lainzer Tiergarten am Vormittag des 8. April 1945 (Weisser Sonntag) stattgefunden haben. Auch in der Friedensstadt SAT – dort waren damals Schrebergärten mit noch vorwiegend kleinen Hütten – sollen die Russen gewesen und auf der Suche nach deutschen Soldaten von Haus zu Haus gegangen sein. Als sie sahen,
und Revolver. Später hörte man, dass viele von ihnen bei Kämpfen (?) im Lainzer Tiergarten desertierten.
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dass keine Soldaten zu finden waren, sollen sie relativ rasch noch in der Nacht weitergezogen sein.
Eine Eintragung im Kriegstagebuch der russischen 46. Garde-Panzer-Brigade / 9. Garde-mechanisiertes Korps datiert den Durchbruch aus dem Lainzer Tiergarten allerdings mit 7. April 1945:
„Der eigenen Brigade wurden ab sofort ein Pionier-Bataillon, ein Mot-Schützen-Bataillon, sowie die 30. Garde-mech-Brig zur weiteren Unterstützung bei den nun folgenden Kämpfen um Wien unterstellt. In den frühen Morgenstunden wurde eigene Aufklärung in Richtung St. Veit vorangetrieben. Gegen 14.00 (12.00 MEZ) Uhr wurde das Waldstück westlich von St. Veit erreicht. Der Gegner zeigte vorerst keine Gegenwehr. Nach Abstimmung mit dem Stab des Korps, begannen die Hauptkräfte der Brigade mit dem Vorstoß entlang des aufgeklärten Weges. Um 17.00 Uhr befand sich die gesamte Brigade mit den unterstellten Verbänden im Waldgebiet und konnte von dort die Stadt Wien einsehen. Um 18.00 Uhr (16.00 Uhr) konnten die Panzer mit aufgesessener Infanterie und Pionieren eine Steinmauer (Mauer Lainzer Tiergarten – Anm. d. Verf.) durchbrechen. Es erfolgte im Anschluss der Stoß durch St. Veit auf den westlichen Stadtrand von Wien. Der Feind war von unserem Angriff aus dem Westen völlig überrascht und zeigte vorerst nur geringen Widerstand. Er versuchte unseren Vorstoß durch den Einsatz von Barrikaden, welche er mit Panzerfäusten ausgestatteter Infanterie überwachte, zu hemmen. An der Spitze der Kampfgruppe fuhren entlang der Straße zwei Panzer und eine Selbstfahrlafette während ein Zug an Infanteristen das Angelände links und rechts säuberte. So konnten weitere Panzer vorstoßen. Diese konnten wiederum die vorderste Spitze
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Diese Skizze zeigt die russischen Vorstöße nach Wien von allen Seiten. Die roten Pfeile zeigen den Weg des 9. Garde-mech-Korps vom 6. bis 13. April 1945. Es ist nicht anzunehmen dass die durch andere Einheiten verstärkte Brigade nur an einer Stelle (etwa oberhalb der Slatin-Gasse) die Mauer des Lainzer Tiergartens überwand. Da zumindest Teile von ihr in einem Bogen dem Wienfluss zustrebten, ist ein Abkürzer über die Himmelhofwiese durchaus denkbar.
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mit Feuer unterstützen. Um 23.00 (21.00MEZ) Uhr traf man Aufständische welche halfen, da sie gute Kenntnisse über die Stadt hatten, den weiteren Angriff der Brigade vorzutragen. Die Aufständischen bestanden aus ca. 50 Mann, davon die Mehrheit russische Kriegsgefangene sowie Arbeiter aus den Fabriken von Wien. Der Feind war bestürzt, da er mit unseren Panzern auf den westlichen Einfallsstraßen Wiens nicht gerechnet hatte. Es gelang einige gefangenenzunehmen. Darunter auch ein Hauptmann der Luftwaffe. Dieser war in aller Ruhe aus dem Stadtzentrum in Richtung Westen unterwegs gewesen.“
Ein logischer Schluss wäre, dass die ersten russischen Panzer und Infanterieeinheiten schon am Abend des 7. April 1945 und in der folgenden Nacht bei geringem Widerstand durch Ober St. Veit zogen und der Rest der Brigade samt ihrer Verstärkung am 8. April wahrgenommen wurde. Bei dem „geringen Widerstand“ soll es sich um Barrikaden gehandelt haben.
Allerdings zog das russische Heer mit Panzern und Kanonen auch durch die Schloßberggasse und Seuttergasse in die Stadt. Die SS hatte sich im Schloss des Grafen Van-der-Straten – es stand am Platz des heutigen Jugendgästehauses – verschanzt. Damit entspann sich vor dem Kloster in der Schloßberggasse und Seuttergasse ein richtiger Kampf. Die Kanonen donnerten und die Geschütze flogen. Berichtet wird auch von einem kleinen Haufen deutscher Soldaten, der die Straßen von Hacking verteidigt hat. Später findet man die Gefallenen. Sie werden am Spitz provisorisch begraben.
Zum Durchbruch der Mauer des Lainzer Tiergartens gibt es auch einen anderen Zeitzeugenbericht. Die Tage vor dem Anrücken der Roten Armee war ein Schrebergartenhaus auf dem Himmelhof unter anderem durch einen jungen Mann bewohnt. Er war der fünfte Sohn eines Ehepaares, das bereits drei Söhne im Krieg verloren hatte, der vierte galt als vermisst. Auf Geheiß seines Vaters versteckte er sich dort, um einer Einberufung zu entgehen. Er konnte natürlich nicht erahnen, dass die Russen gerade dort, wo es ansonsten ruhig und still zu sein pflegte, durch den Lainzer Tiergarten, durchbrechen würden. Allerdings kann es kein entspannter Aufenthalt in diesem Haus gewesen sein, denn darin hatte sich kurz zuvor eine junge Familie mit einem Säugling eingenistet. Der Mann war Angehöriger der gefürchteten Brigade der Weißrussischen Wlassow-Truppen, die im Solde der deutschen Waffen-SS standen. Zum Glück verließ das Ehepaar mit dem Säugling einen Tag vor dem Erscheinen der Sowjets das Haus. Ihr Schicksal blieb ungewiss, denn beide waren schwer bewaffnet angekommen und so auch wieder aus dem Haus geflohen.
Der junge Mann und einer seiner Freunde konnten ihre Neugierde und ihren jugendlichen „Leichtsinn“ nicht bezähmen, ver
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ließen das Haus in Richtung der nahe gelegenen Tiergartenmauer und schwangen sich auf die Mauer. Oben stehend fielen sie vor Schreck fast wieder herunter. Zirka 20 Meter von der Mauer entfernt entdeckten sie hinter 50–60 Bäumen, fein geordnet im so genannten „Schemelbau“, die gesamte Ausrüstung, also Uniform, Stiefeln und Helm der so genannten „Schutzpolizei Wien“, und bei jedem „Bündel“ stand, angelehnt an einen Baumstamm, ein Karabiner. Hier hatte sich scheinbar eine ganze Einheit vom Krieg verabschiedet. Als sie zu Hause von ihrer Entdeckung berichteten, wurden sie eindringlich vor „unbedachten“ Schritten gewarnt. Sie befolgten diesen guten Rat und taten so, als hätten sie das nie gesehen.
Am nächsten Morgen hörten sie starke Motorengeräusche aus der Richtung des Lainzer Tiergartens, um kurz darauf auch das Bersten von Mauerwerk wahrzunehmen. In der Tat: Die Russen waren mit ihren „T 34er“ einfach durch die Tiergartenmauer geprescht. Einer der Kolosse kam auf dem Plateau des Hagenberges zu stehen. Kurz darauf öffnete sich die Luke und ein mit einer Pelzhaube bemützter Soldat kam zum Vorschein. Er blickte um sich und musste die Beiden erspäht haben. Zu ihrem Erstaunen gab es aber noch einige andere Leute, ältere wie sie feststellten, die zögerlich und mit weißen Tüchern in die Richtung des Panzers „wachelten“. Der Russe verschwand aber sofort wieder ins Innere des Panzers und schloss die Luke. Alle blickten erschrocken um sich und befürchteten das Schlimmste. Diese Angst war Gott sei Dank unbegründet, denn im nächsten Augenblick ging die Luke wieder auf und es flogen einige weiße Schachteln, gefüllt mit „Hammer-Knäckebrot“ heraus. Schnell hoben sie die Schachteln auf und traten den „Rückzug“ an. Erst bei diesem „Rückzug“ bemerkten sie, dass am Waldesrand einige weitere T 34 standen.
Noch am selben Nachmittag verließ der junge Mann sein Versteck. Auf seinem relativ kurzen Nachhauseweg hatte er aber noch einiges durchzumachen.
In der Jagdschloßgasse musste er einige Male in volle Deckung gehen und machte Bekanntschaft mit hohen Brennnesseln und Schlehdorngebüschen mit ihren Dornen. Er war von Rotarmisten beschossen worden, die sich durch die Gobergasse stadteinwärts bewegten. Auf dem dazwischen liegenden freien Feld steht heute die Wohnanlage und Kirche der evangelischen Glaubensgemeinschaft. Bei seinem letzten „zu Boden gehen“ entglitt ihm die Glasflasche, in der sich eine für die damaligen Tage ganz kostbare Flüssigkeit befand, nämlich Milch, frische Kuhmilch, die ihm weiter oben eine befreundete Familie gegeben hatte. Sie besaß nämlich eine Kuh, die sie den ganzen Krieg hindurch gehegt und gepflegt hatte. Und das war schließlich auch der Grund dafür, dass sie Ihr Haus, auch in diesen kritischen Tagen, nicht im Stich lassen wollte, was immer auch kommen würde.
Nachdem der junge Mann diese frei einsehbare Strecke hinter sich gebracht hatte, war er schon kurz vor seinem Zuhause. Er
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hatte sich aber zu früh gefreut, denn wenige Schritte nach dem Einbiegen in die Wolkersbergenstraße gewahrte er ein in schneller Fahrt auf sich zukommendes Militärauto und suchte neuerlich blitzartig Deckung im Gestrüpp eines zu seinem Glück recht verwahrlosten Gartens mit kaputtem Zaun. Dort verharrend konnte er dem lauten Disput zwischen dem Kommandanten des Militärwagens und dem Portier des gegenüberliegenden Altersheimes Lainz folgen. Die Soldaten wollten mit ihrem Wagen in die Anstalt hinein, was ihnen aber der Portier mit dem Hinweis auf einen Befehl des Ärztlichen Direktors Prim. Dr. Baumgartner, keinem Militärfahrzeug die Erlaubnis zur Einfahrt in das Anstaltsgebiet zu erteilen, verwehrte. Außerdem war das Einfahrtstor gut verriegelt und mit Eisentraversen zusätzlich verstärkt. Sichtlich verärgert zogen sie unverrichteter Dinge wieder ab und fuhren in dieselbe Richtung, aus der sie gekommen waren, in Richtung Speising. Am ganzen Körper zitternd erhob sich der junge Mann und legte die paar Schritte zu seinem Siedlungshaus zurück.
Aus den Fenstern einiger weniger Siedlungshäuser in seiner Gasse hingen weiße Tücher heraus. Erst nach längerem Rufen und Klopfen wurde ihm von seinem Vater vorsichtig geöffnet. Seine Leute hatten sich allesamt in der Waschküche verkrochen. Alle dick eingehüllt, so dass die Mutter, die drei Schwestern und eine Nichte nicht zu erkennen waren.
Innerhalb der Siedlungsanlage wurde nicht gekämpft, doch hörte man durch die dünnen Wände der Häuser Gefechtslärm, Schüsse und Detonationen in einiger Entfernung. Manchmal sogar in heftiger, dann wieder in abebbender Form. Der Aufenthalt im Keller und in der Waschküche nagte selbstverständlich an den Nerven aller, doch die Angst überwog bei weitem den Wunsch nach draußen zu gehen, speziell bei der Weiblichkeit.
Andere Zeitzeugen haben – von dem Kampflärm abgesehen – um 6 Uhr starke Detonationen wahrgenommen, die sie auf die Sprengung der beiden Brücken der Verbindungsbahn zur Westbahn bei St. Veit zurückführten, dann eine schwere, die sie als Sprengung der Bossifabrik interpretierten.
Auch das Gebiet nördlich des Wienflusses um den Wolfersberg scheint schon dicht mit Erkundungs- und Stoßtrupps der Sowjets inklusive Panzerformationen besetzt gewesen sein und es kam den ganzen 7. April über zu hefigen Kampfhandlungen.
Übrigens wurde am Morgen dieses Tages auch die Stadtbahnbrücke über den Wienfluss und die Eisenbahnbrücke über die Deutschordensstraße zur Sprengung vorbereitet. Die Eisenbahnbrücke wurden dann auch gesprengt, nicht aber die Stadtbahnbrücke.
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Durch die Hütteldorfer Straße rollten schwere Stalin-Panzer Richtung Stadt, gefolgt von anderen Armeewagen und gesäumt von jubelnden Zivilisten. In der Nisslgasse und im Café Wunderer hatten sich aufständische Ostarbeiter verschanzt.
Hacking war schon in der Früh in russischer Hand, genauso die Vereinigten Färbereien AG auf der anderen Wienfluss-Seite. Letztere war noch am Vortag von Fremdarbeitern, den Einwohnern der Eisenbahnhäuser und von eigenen Leuten arg geplündert worden. Nach dem ein russischer Offizier einen polnischen Angestellten zum Kommissär bestellt hatte, hörte das Plündern auf. Die Besatzungsmacht setzte das Plünderungswerk inkl. Verwüstung später aber fort.
In Hietzing lagen noch starke Waffen-SS-Einheiten. Im Pfarrhof „Maria Hietzing“ befand sich ein Gefechtsstand dieser Einheiten. Beim Badhaussteg am Hietzinger Kai lagen deutsche Pioniere, die Kompanie waren stark dezimiert, litt unter Munitionsmangel und war fast ohne Verpflegung. Poniere lagen auch beim Stationsgebäude der Stadtbahn Braunschweiggasse, sie sollten das diesseitige Wienflussufer und die Trasse der Verbindungsbahn bis zu Hietzinger Hauptstraße abdecken. Auch die Mannschaft dieser Kompanie wurde laufend dezimiert, aber nicht durch Feindeinwirkung, sondern durch Fahnenflucht. Die Desertion wurde durch die Hilfestellung der Hietzinger Bevölkerung begünstigt, die den Soldaten Zivilkleidung und in Einzelfällen auch Verstecke anbot. Auch in der Feldmühlgasse lagen noch deutsche Truppen.
Vom anderen Wienflussufer pfiffen Kugeln herüber, die Rotarmisten waren also bereits dort. Hietzinger Kampflinie an diesem Tag dürfte vor allem die Verbindungsbahn gewesen sein. Beim Bahnschranken über die Hietzinger Hauptstraße lang ein größerer Posten hinter aufgehäuften Pflastersteinen in Deckung, auch der Bahndamm Richtung Lainz scheint von deutschen Soldaten besetzt gewesen zu sein. Die Straßen waren leer und auch sonst war es vorerst ruhig, selbst das Gewehr- und Artilleriefeuer war verstummt. Nur russische Aufklärungsflieger kreisten ständig und unbehelligt über den Häusern. Der Schnittpunkt des „Achters“, den einer fliegt, liegt etwa über der Rohrbacher-Fabrik. Zwischen 11:00 und 11:30 Uhr begann das Schießen aufs Neue, doch mit relativ geringer Intensität.
Die Menschen in den Häusern habe keine Informationen, in der ganzen Stadt gibt es keinen Strom und damit kein Radio. Die weißen Tücher in den Fenstern werden häufiger, weiße Armbinden für den linken Arm werden genäht.
Eine kleinere Kampfgruppe, die sich quer durch den Tiergarten bis in die Gegend der Hermesvilla durchgeschlagen hatte, musste evakuiert werden. Sie wurde über den Leitenwald zu einem Gefechtsstand am Rosenhügel dirigiert. Bei einem Panzergefecht auf der Teichweise wurden die Panzer, die diese Rück
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holaktion begleiteten, durch ein sowjetischen Panzerrudel eliminiert. Feindliche Panzer, die auch beim Trinkwasserreservoir am oberen Ende der Wittgensteinstraße auftauchten, wurden erfolgreich bekämpft.
Um 18 Uhr sind es sogar 18 russische Flieger, die Hietzing niedrig überfliegen. Bald darnach steigerte sich auch die Aktivität an der Verbindungsbahnlinie von russischer Seite. Die ganze Nacht über drangen Trupps in die anliegenden Häuser und brachten schwere Waffen mit. Die Leute bekamen aber nicht mehr viel mit, denn sie wurden in den Kellern festgehalten. Sie hörten nur das Gepolter, das Gewehrfeuer aus dem Haus und dann auch aus dem Garten.
Am Abend des 8. April war auch eine deutsche MG-Gruppe an der Ecke Auhofstraße / Burkmairgasse (heute Fleschgasse) in Stellung worden, und sie hatte die dort auftauchende russische Infanterie erfolgreich bekämpft.
Dann wurden einige Gestalten ausgemacht, die in der Ruine der Moservilla einen schweren Gegenstand hinter sich herzogen, vermutlich ein Maxim-Maschinengewehr. Die MG-Gruppe jagte mehrere Feuerstöße dorthin, auch darunter wieder ein Mitglied des HJ-Volkssturmes. Es gab eine Explosion und plötzlich brannte die Ruine. Vermutlich war durch den deutschen Beschuss ein Munitionsbehälter getroffen worden. Deckenbalken, Türen und sonstige Gegenstände aus Holz, die im Schutt lagen, gaben dem Feuer weitere Nahrung.
In den weiteren Abendstunden gab es Kämpfe in der Auhofstraße bis zum Ottakringer Bräu. Den Russen dienlich war dabei ein im Widerstand tätiger ortskundiger Österreicher.
Kurz nach Mitternacht gab es den deutschen Rückzugsbefehl. Die in diese Kampfhandlung involvierte, stark reduzierte Gruppe waren die letzten Deutschen Soldaten, die Hietzing räumen mussten. In Schönbrunner Schlosspark befanden sich bereits die ersten sowjetischen Spähtrupps.
An der Verbindungsbahnlinie gab es allerdings noch am folgenden Morgen heftiges Gewehr- und Maschinengewehrfeuer, das um 6:30 seinen Höhepunkt erreichte. Von deutscher Seite wurde es allerdings kaum erwidert. Vielleicht wurde der Rückzugsbefehl nicht überall vernommen ...
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In der St.-Veit-Gasse in Unter St. Veit etwa sahen die Menschen, als sie am sonnigen Morgen des 9. April aus ihren Kellern krochen, außer einem im Vorgarten der Unter St. Veiter Kirche grasenden weiß-schwarz gefleckten Pferd nichts Ungewöhnliches. Sie sahen und hörte keinen deutschen Soldaten mehr, aber auch keinen russischen. Einige Bewohner hatten aber an ihren Fenstern weiße Fahnen befestigt.
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Doch irgendwo bannte es kräftig. Es handelte sich um die bereits bombengeschädigte Moser-Villa. Hans Moser war zu seiner Schwester in Margarethen gezogen und seine politisch verfolgte Frau nach Ungarn. In der Villa soll in den letzten paar Tagen ein Benzin- und Munitionslager eingerichtet worden sein und die Deutschen hätten dieses bei ihren Rückzug in Band geschossen, so war die Meinung. Es gab eine riesige Feuersäule und bei Wind hätte sich der Brand weiter ausgebreitet. Die umliegenden bombenbeschädigten Dächer waren mit dem Linoleum des Bodens geflickt worden.
Dann hieß es: „Die Russen sind schon am Gürtel!“ und die Menschen vermuteten richtig, dass die Wehrmacht noch in der vergangenen Nacht vom 8. auf den 9. April in Richtung Stadtzentrum abgezogen war und die Russen kampflos nachrücken konnten. Und sie meinten auch, dass die Zivilbevölkerung weitgehend unbehelligt geblieben war.
Ein Augenschein ergab, dass in St. Veit „nur“ durch Granat- und kleine Minenwerfer, durch das gewaltsame Eindringen der Russen in die Häuser und durch die Gewehr- und Maschinengewehrgeschosse Schaden genommen hat, also im Vergleich zu anderen Wiener Stadtteilen recht glimpflich davongekommen ist. Auch die Rohrbacher-Fabrik blieb unversehrt. Durch die Unter St. Veiter und Hietzinger Villenviertel scheinen die Russen rasch vorgedrungen zu sein. Die jetzt auf requirierten Fahrrädern patrouillierenden Russen wurden als ganz freundliche, zumeist junge und gutmütige Kerle beschrieben. Doch die nachkommenden Etappentruppen werden nicht immer so beschrieben, siehe weiter unten.
Alois (so hieß der junge Mann, der vom Himmelhof in die Lockerwiesensiedlung heimgekehrt war), wagte es zwei Tage nach seiner Heimkehr trotz der vielleicht berechtigten Einwände seiner Eltern, wieder auf die Straße zu gehen um „nachzusehen“ was es „neues“ gab. Weit von zuhause wollte er sich aber keineswegs entfernen. Alles um ihn herum war ruhig und bald landete er in der Sauraugasse und dort machte er eine furchtbare Entdeckung. Zirka 50 Meter von der Jagdschloßgasse entfernt lagen in der Straßenmitte zwei tote Rotarmisten, mongolischer Herkunft. Sie lagen beide auf dem Rücken. Auf Nase und Mund war eingetrocknetes Blut zu sehen, und die Augen waren starr und offen. Das war ein gewaltiger Schrecken, denn so etwas hatte er in seinem bisherigen Leben noch nicht gesehen. Schnell verzog er sich wieder in Richtung Jagdschloßgasse, wurde aber gleich auf etwas anderes aufmerksam. Im Garten der Schwesternschule des Krankenhauses Lainz sah er aufgeworfene Erde und daneben drei Grabhügeln mit drei Birkenkreuzen mit Inschrift und aufgestülpt je ein Stahlhelm. Es war die eiligst errichtete Grabstätte dreier junger deutscher Soldaten und damit die Bestätigung, dass es auch hier zu Kämpfen gekommen sein muss. Die Tatsache aber, dass die drei Deutschen verhältnismäßig normal begraben wer
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den konnten, die beiden Rußen aber so „offen“ liegen geblieben waren, machte Alois und seinen Vater nachdenklich.
Natürlich waren Besatzungstruppen zurückgeblieben und an diesem 9. April kam der erste Russe ins St.-Josefs-Heim. Er ging zum Keller und rief hinunter: „Heraus aus dem Keller, jetzt nicht mehr bum bum!“ Dem einen Russen folgten andere. Sie durchsuchten die Zimmer nach Lampen und Uhren und legen sich nachher auf Liegestühlen in die Sonne.
An diesem Tag begann das große Plünderungswerk im St.-Josefs-Heim. Die Kühe wurden aus dem Stall getrieben und auf Schweine und Hühner geschossen. Die angeschossenen Schweine wurden durch das Tor getrieben, die anderen an Ort und Stelle geschlachtet, alles in angeheitertem Zustand unter fürchterlichem Geschrei. Einige der angeschossenen Schweine blieben auf der Straße verendet liegen. Heu, Futter, Kartoffel etc. wurden vom Boden heruntergeholt, aufgeladen und fortgeführt, bis nichts mehr da war. Wagen, Pferde und sogar die Hunde wurden mitgenommen.
Einem Augenzeugenbericht zufolge dürften die Kühe gemeinsam mit anderen Rindern im Garten der Seifertstraße 10 zusammengetrieben worden sein. Auch russische Soldaten scheinen dort untergebracht gewesen zu sein. Den Wahrheitsgehalt dieses Berichten bestätigten spätere Versuche, in diesem Garten Gemüsebeete anzulegen. Der Boden war hart und kompakt wie Beton. Trotzdem lieferte der Garten 1946 und 1947 nicht nur den gesamten Gemüsebedarf der Familie, sondern in Form von Virginia- und Bauern-Tabak auch sehr willkommene Tauschartikel auf dem Schwarzmarkt.
Zurück zum St.-Josefs-Heim. Nach dem Abtransport der Tiere wurden die Zimmer aufgebrochen und der Inhalt der Kleiderkästen fortgeführt. Die russischen Angestellten, die um die Sachen wussten, halfen fleißig mit. Als nächstes kamen der Küchenkeller und die Speisekammer dran. Das eingelegte Kraut und die Kartoffeln wurden in Kübeln hinaufgetragen, bis auch der Keller leer war. Das Plünderungswerk dauerte eine ganze Woche.
Fast alle Mädchen waren vor Angst längst aus dem Haus. Die gebliebenen Schwestern wagten sich nicht in die Schlafzimmer, sondern verbrachten die Nächte betend und teilweise schlafend in der Kapelle.
In anderen Bezirksteilen marschieren oder rasten russische Militäreinheiten ohne nennenswerte Übergriffe.
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An diesem Tag wagte der junge Alois eine weitere Erkundungstour. Es zog zu seinen grausigen „Funden“. Von den drei Gräbern der deutschen Soldaten sah er aber nur mehr die herumliegenden Trümmer der Birkenkreuze und im Gras verstreute Stahlhelme. An der Stelle jedoch, an der die Birkenkreuze gestanden waren, standen jetzt zwei rot gestrichene Pyramiden aus Holz, an deren Spitze der knallrote Sowjetstern prangte. Auf den Pyramiden war keine Inschrift zu sehen. Nichts. Alois kam zu der festen Überzeugung, dass es sich bei den „bestatteten“ Russen um jene beiden handelte, die er zwei Tage zuvor entdeckt hatte. Das Schicksal der drei deutschen Soldaten, die vermutlich aus ihren Gräbern „entfernt“ worden waren, blieb aber ungelöst.
Durch die Hietzinger Hauptstraße fahren endlose Artilleriekolonnen, offensichtlich aber nur als Umleitung der durch die gesprengten Eisenbahnbrücken verlegten Wientalstraße.
Vor den kleinen Lebensmittelgeschäften, die ihre Vorräte abgeben mussten, standen die Leute wieder Schlange. Aus Angst vor Plünderung tun sie es wohl gerne. Beim Bäcker gab es – viel zu wenig – Brot, im Konsum gab es etwas Mehl und Zucker.
Obwohl ein russischer General seinen Soldaten das Betreten von Häusern verboten haben soll, bleibt die Abwehr von das Aufräumen nach Plünderungen auf der Tagesordnung vieler.
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Die große Katastrophe geschah dann am 15. April. In der Nacht, die zunächst ruhiger begann, kamen zwei Russen ins Haus und in die Kapelle des St.-Josefs-Heimes. Sie gaben vor auf der Suche nach deutschen Soldaten zu sein. Sie durchsuchen alle Zimmer, immer unwilliger, da sie niemanden fanden. Im weiteren Verlauf wurden die Schwester Oberin und der alte Hauspriester, Hochw. H. Katechet Josef Hirsch, niedergeschlagen schwer verletzt. Der Priester blieb nach einem Kolbenhieb blutüberströmt im Pfortenkammerl zurück, die Schwester wurde bewusstlos auf dem Gemüseacker gefunden. Der Kopf war eine blutige Masse, ein zerbrochener Gewehrkolben lag neben ihr. Beide wurden ins Krankenhaus nach Lainz gebracht und konnten sich nach langem Genesungsweg wieder einigermaßen erholen.
Bis 4. Mai nahmen die Russen sechs Zimmer in Beschlag und richteten darin eine Ambulanz ein. Ursprünglich wollten sie das ganze Haus für die Mannschaft haben, waren aber davon abgekommen.
Auch der Pfarrhof in Ober St. Veit war sofort besetzt worden, kam aber im Vergleich zum St.-Josefs-Heim recht glimpflich davon. Die Wohnung des eingerückten Kaplans wurde Zentrale und Wohnung eines Majors. Das bot den Menschen dort einen be
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sonderen Schutz. Sicher waren die vielen Andachten, immer mit Rosenkranz, zu denen Provisor Leber immer wieder aufforderte, eine Ursache des augenscheinlichen Schutzes. Die Wohnungen von Pfarrer und Kaplan, das Vereinszimmer, die Pfarrkanzlei, einmal sogar der Dachboden der Kirche, waren immer voll Frauen und Mädchen, die sich nicht in ihren Wohnungen zu bleiben getrauten. Aber sie alle kamen ohne Schaden davon, obwohl die Russen im Pfarrgarten und im Park auf dem Wolfrathplatz hausten und nicht immer nüchtern waren.
Als eine andere Abteilung Russen den Pfarrhof besetzte, waren zwei Offiziere, Wladimir und Boris dabei. Boris trank gerne viel und konnte sehr unangenehm werden. Wladimir war ein anständiger Mensch. Als er vom Pfarrhof in die Schweizertalstraße übersiedelte, schickte er jeden Abend eine Wache für den Pfarrhof. Dies hat sich einige Male als sehr nützlich erwiesen.
Ab Mai gab es wieder Schulunterricht. Die Kinder mussten keine Schilder mehr umhängen, das war sehr befreiend. Die Fenster der Schule neben den jetzigen Museumstrakt waren mit Papier und Pappendeckel auf Holzstäbchen verklebt, alle Fenster im Umkreis waren nach den Bombentreffern zerborsten.
Die Lehrer, die während der Kriegszeit NSDAP-Mitglied waren, wurden durch andere ersetzt, oft solche, die von 1938 bis 1945 aus politischen Gründen nicht unterrichten durften und in der Verwaltung tätig waren. Das Erste, das gelernt wurde, war ein Gedicht: „Wir grüßen dich, mein Österreich, auf deinen neuen Pfaden ...“.
Übrigens haben sich keine Schulhefte aus der Kriegszeit erhalten, und das hat einen bestimmten Grund: Wenn ein Schulheft ausgeschrieben war, musste es von der Direktion abgestempelt werden und mit dem gestempelten Heft bekam man in der Papierhandlung ein neues, falls eines vorrätig war. Daher gibt es aus dieser Zeit nur die nicht ausgeschriebenen Hefte. Ähnlich war es bei Schallplatten. Wenn man eine neue Schallplatte kaufen wollte, musste man eine alte in der gleichen Größe zurückgeben. Aus diesem Grund sind auch viele alte Schallplatten nicht erhalten.
In der Wustl-Villa waren Russen, und die hatten beim Eingang auf der Hietzinger Hauptstraße zwei russische Wachsoldaten. Schulkinder auf dem Heimweg bekamen des Öfteren einen – wie man so schön sagt – Reanken vom russischen Maisbrot. Das war eine Köstlichkeit. Es war steinhart, konnte aber auf dem ganze Weg gelutscht werden. Zuhause waren die Kinder noch immer nicht fertig, hatten aber das Gefühl, etwas gegessen zu haben.
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Es war in der Hietzinger Villa Blaimschein, in der zwischen 20. und 27. April 1945 Vertreter der SPÖ, der ÖVP und der KPÖ unter dem Vorsitz Renners das Konzept für eine provisorische österreichische Staatsregierung ausgearbeitet hatten. Die folgende Proklamation der Republik Österreich beschränkte sich in Wirklichkeit auf die damals von den Russen besetzten Gebiete: Wien, Niederösterreich, der Großteil des Burgenlandes, der nicht steirisch war (das Burgenland war ja aufgeteilt) und ein Zipferl von Oberösterreich. Das war von den Russen besetzt, und für diesen kleinen Staat wurde die Republik ausgerufen.
Es etablierten sich dann in den anderen Bundesländern lokale Regierungen und sowohl die Renner Administration als auch die Regierungen dieser Bereiche (Länder) bemühten sich in der Folge, Kontakt zu finden und das Renner-Regime sozusagen anzuerkennen. Das war wegen der Form der Besatzung nicht einfach, der Russe galt ja für die im Deutschen Reich aufgewachsenen als der größte Feind. Die Regierung in deren Bereich konnten ja nur Hampelmänner sein und man mutete es ihnen nicht zu, etwas vorwärts zu bringen.
Die trotzdem stattfindende Annäherung ist dem Geschick der Verantwortlichen in den einzelnen Bundesländern zu verdanken. Die Renner-Regierung trug das ihre bei, indem sie durch paritätische Besetzungen alle Parteien einband, Sozialdemokraten, Christlich-Soziale und Kommunisten. Die einzelnen Bundesländer traten sukzessive bei und schließlich – das war ja das heikle – anerkannten die Amerikaner, die Franzosen und die Engländer die Proklamation vom 27. April 1945. Ohne diese Anerkennung wäre alles anders verlaufen. Das deutsche Beispiel, wo die Amerikaner die Proklamation in den einzelnen ostdeutschen Bundesländern nicht anerkannten und sich im Osten und im Westen ein eigener Staat bildete, belegt dies recht anschaulich.
In der Zeit vor diesen konstituierenden Ereignissen, und zwar gleich dem Einmarsch der Russen, gab es auch private Initiativen, um dem Chaos nach Kriegsende entgegenzutreten. Eine davon wird aus Ober St. Veit berichtet. Schon am Tag nach dem Einmarsch der Russen gründete Johann Brennig jun. die Unterbezirksleitung Ober St. Veit der Österreichischen Freiheitsbewegung. Freiwillige Helfer konnte sich bei Vater Johann Brennig im Friseurgeschäft in der Tuersgasse 3 einschreiben. Ein altes Briefmarkenalbum musste dafür herhalten. Die Einschreibung erforderte zu diesem Zeitpunkt noch viel Mut, denn niemand konnte den weiteren Verlauf der Ereignisse vorhersehen. Manche ließen sich am nächsten Tag wieder streichen. Initiator Johann Brennig jun. und Josef Hofer (Sohn des Feuerwehrfunkers, wohnhaft im Feuerwehrhaus neben der Schule in der Hietzinger Hauptstraße)
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begannen mit der Organisation des Lebens nach dem Krieg. Es gab zahlreiche freiwillige Helfer der 1. Stunde.
Brennig und Hofer ersuchten um Unterstützung durch Offiziere der Roten Armee und erhielten durch Major Axelrod (Chef der Propagandakompanie mit Sitz in der Winzerstraße) die Räumlichkeiten im Kloster in der Vitusgasse 7 (vormals Sitz der NSDAP) zugewiesen. Major Axelrod war Deutscher, emigrierte aber mit der Machtergreifung Hitlers nach Russland und brachte es dort zum russischen Major. Er war sehr sympathisch und hielt dem Führungskader der Freiheitsbewegung Vorträge, unter anderem über das Halten von Referaten. Abgehalten wurden diese in der Wohnung einer Frau Brenzan in der Tuersgasse 21. Mit anwesend war bei diesen Vorträgen ein Herr Otto Bieber, Sohn des Afrikaforschers. Er wohnte in der Auhofstraße 144 und lebte vom Handel mit Büroartikel und Schreibmaschinen. Der Sohn Otto Biebers und Enkel des Forschers war in Afrika geblieben.
Die Organisation kümmerte sich in der Folge um
Die Gesamtorganisation wurde von Johann Brennig jun. (Sekretär) und Josef Mikuhs (Obmann) wahrgenommen.
Am 1. Mai 1945 gab es erstmals seit 1934 wieder einen Aufmarsch mit roter Fahne bis nach Schönbrunn. Von Josef Hofer und anderen wurden in Ober St. Veit Ansprachen gehalten. Die Mitarbeiter der Freiheitsbewegung und russische Soldaten mussten während dieser Zeit die Kühe bewachen, damit die Milch nicht geplündert wurde. Es war anstrengend und wurde mit viel Wein erleichtert.
Prominente NS-Mitglieder waren in letzter Minute über die Tiergartenmauer geflüchtet, weniger Prominente waren hier geblieben, hatten sich der Verantwortung gestellt und bemüht, die
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Trümmer des 1000-jährigen Reiches zu beseitigen. Beispielsweise halfen sie, Splitterbomben vor dem Glasauer-Anwesen auszugraben und das durch einen Bombenangriff der letzten Kriegstage zerstörte Dach der Bäckerei Schwarz zu reparieren.
Die Freiheitsbewegung wurde später aufgelöst und Parteien gegründet. Politische Widersprüche und Parteiengezänk hatten die Gemeinsamkeiten der ersten Stunde waren bald wieder zunichte gemacht.
Am Pfingstmontag 1945, das war der 21. Mai machten die Ober St. Veiter Katholiken unter der Führung von Kaplan Leber eine Fußwallfahrt nach Maria Enzersdorf um für den bisherigen Schutz zu danken und um weiteren zu bitten. Viele Pfarrangehörige beteiligten sich daran. Dieser Weg war ein Wagnis. Sie waren dauernd von Russen umgeben, und dann hatten sie in diesen Tagen fast nichts zu essen. Lebensmittelkarten gab es nicht, sie wären auch überflüssig gewesen, es war nichts da. Alle Geschäfte ausgeplündert. Teils von Russen, teils von der Bevölkerung. Zu Kriegsende war in der Schweizertalstraße im ehemaligen Gasthof Heinrichshof ein großes Lager von Knäckebrot vom Militär zurückgelassen worden. Für viele war das die einzige Nahrung.
Als die Region befreit war, tauchten sofort Männer mit dem Sowjetstern auf roten Armbinden auf. Sofort gab es überall kommunistische Sprüche an den Hauswänden, „Sieg fürs Proletariat!“ und dergleichen.
Eines Sonntags wurden alle Männer, die vom Gottesdienst kamen, auf dem Wolfrathplatz von den Russen geschnappt und zur Arbeit auf den Gleisen der Westbahn mitgenommen (Strecke zwischen Unter St. Veit und Hütteldorf). Die Vorhaltungen, dass auch ältere und kranke Männer mitgenommen wurden, führten zum Ansetzen der Maschinenpistole. Doch alle kamen am Abend wieder gesund nach Hause. Vor dem nächste Gottesdienst wurden die Männer schon weit vom Kirchenplatz entfernt gewarnt. Alle, die nicht vorzogen, gleich nach Hause zu gehen, wurden in der Firmiangasse 9 (besteht heute nicht mehr) in den Schlosspark und von dort auf den gemeinsamen Dachboden von Schloss und Kirche geführt. Auf der Bodenstiege stehend, erlebten sie den Gottesdienst. Den gleichen Weg gingen sie zurück, die Russen haben nichts bemerkt.
Wien war nach 1945 in Sektoren aufgeteilt worden. Die Amerikaner hatten den 7., 8., 9., 17., 18. und 19. Bezirk, die Engländer den 3., 5., 11., 12. und 13. Bezirk, die Franzosen den 6., 14., 15. und 16. und die Russen den 2., 4., 10., 20. und 21. Bezirk. Der 22. Bezirk war damals noch Teil des 21. Bezirks bzw. von Niederösterreich. Der vorerst von den Russen besetzte 13. Bezirk wurde also zur englischen Zone. Jeder Sektor hatte ungefähr gleich viel Bewohner, ca. 25 bis 26 % der Gesamtbevölkerung Wiens.
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Allerdings waren sämtliche Industriebetriebe in der russischen Zone, mit Ausnahme kleinerer Betriebe wie Winkler & Schindler in Ober St. Veit. Die bedeutenden Betriebe waren alle im 10., 20. und 21. Bezirk. Den 1. Bezirk hatten alle vier gemeinsam, wir kennen die berühmten „Vier im Jeep“.
Wenn es nun Lebensmittelaufrufe gab, war es nicht sicher, dass man diese Waren auch in jeder Zone bekam. Die Lebensmittelgeneralverteilung machten die Besatzungsmächte und da konnte es zu Unterschieden kommen. Corned Beef gab es z. B. nur in der amerikanischen Zone, Sojaflocken gab es nur in der englischen Zone. In der französischen Zone war es am schlechtesten, das war die ärmste Kriegsmacht und kamen erst im Nachhinein; den französischen Soldaten selber ging es genauso schlecht. Für Menschen, die im 14. Bezirk wohnten, etwa in der der Nisselgasse, war es daher verlockend und auch möglich, sich in einem Geschäft in Hietzing anzumelden.
Das ging dann ein paar Monate gut, aber dann begann es bei der Besatzung zu blinken und es wurden Lebensmittelkarten mit dem Vermerk der Zone herausgegeben. Nun mussten Wohnadresse und der Kaufmann, bei dem man gemeldet war, in der selben Zone sein. Für die Bewohner war das gewöhnungsbedürftig, weil man sich ansonsten in Wien relativ frei bewegen konnte.
Auf Grund eines Aufrufes auf eine der Nummern auf den Lebensmittelkarten (in der Zeitung am Samstag oder Sonntag wurde das meist veröffentlich) wusste man von der Verfügbarkeit eines bestimmten Produktes, z. B. 15 Dekagramm Zucker pro Erwachsenen, das man dann beim Greißler kaufen konnte. Der Zucker war besonders rar und erzielte im Schleichhandel enorme Preise, vom Honig gar nicht zu reden. Beim Kauf wurde die entsprechende Nummer auf der Ausweiskarte abgeschnitten. Allerdings konnte die Zuteilung vom Großhändler an den Einzelhändler auch geringer als angekündigt ausfallen, und damit alle etwas bekommen, wurde den Verbrauchern nur eine anteilige Menge verkauft.
Die Einzelpersonen waren bei diesem System bevorzugt. Bekam man z. B. pro Woche drei Dekagramm Öl, das wären für vier Leute zwölf Dekagram gewesen, so bekam man bei Knappheit vielleicht nur für zwei Karten das Öl, also sechs Dekagramm. Den Einzelpersonen wurden aber nicht nur ein oder zwei Dekagramm gegeben, sie bekam die vollen drei Dekagramm vorsichtig in die mitgebrachte Flasche hinein gefüllt. Die Großfamilien waren somit benachteiligt, aber die Leute waren sich gegenseitig nichts neidig. Die Leute schienen sogar recht entspannt zu sein, schließlich war der Krieg vorbei.
An weiteren Produkten gab es unter anderem 18 Dekagramm eines sogenanntes Konsummehls, das hatte die Konsistenz von Mehl, spielte aber sämtliche Farben und stammte sicher von einem nicht ganz von der Spreu befreiten und grob samt der Kleie vermahlenen Korn, aber mit 18 Dekagramm konnte man
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etwas anfangen. Der Aufruf konnte auch Schmalz enthalten. Das Schmalz befand sich in mit Packpapier ausgekleideten Kisten, war steinhart und musste wie türkischer Honig heruntergeschabt werden. Die Marmelade war ebenfalls in Kisten, es waren wohl viel Karotten oder Rüben dabei, und sie schmeckte ein wenig nach Zwetschken oder Erdbeeren oder nach Äpfeln, aber sie war süß. Dann gab es 5 Dekagramm Hülsenfrüchte. Was konnte man mit 5 Dekagramm Hülsenfrüchte pro Woche anfangen?
Ein Fleischaufruf konnte wochenlang ausbleiben, nur Pferdefleisch oder Corned-Beef-Konserven wurden öfter aufgerufen. Milch gab es in manchen Wochen gerade nur für die werdenden und stillenden Mütter, nicht für die Kleinstkinder. Für die Kleinstkinder gab es in manchen Wochen überhaupt nichts Separates. Die manchmal aufgerufenen Trockenerdäpfel-Erzeugnisse waren völlig unbeliebt. Das waren praktisch Kartoffelchips, allerdings schmeckten sie furchtbar ranzig. Sie mussten Jahre alt gewesen sein, eine Ablauffrist hatte es damals noch nicht gegeben. Der Aufruf war immer so berechnet, dass sich für einen Normalverbraucher ein Wert von etwa 1500 Kalorien ergab. Praktisch wurde das aber nie erreicht, weil immer irgend etwas fehlte.
Für den Lebensmittelbetrieb war das mühselig: Die relativ kleinen Marken mussten ausgeschnitten werden, nach Zahlen bzw. Produkt sortiert und auf Papier aufgeklebt werden. Da es kein Papier gab, wurden meist Zeitungsbogen verwendet.
Ein Mal pro Monat musste der Kleinhändler zur Abrechnungsstelle gehen, um abzurechnen. Eine der Abrechnungsstellen war in der Volksschule in Lainz. Drinnen saßen die Beamtinnen und die Leute saßen draußen und warteten, bis sie an der Reihe waren. Die Beamtin zählte dann die Marken auf dem Papierbogen,
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Ein Lebensmittelaufruf in der Arbeiter-Zeitung für die Woche vom 12. bis 18. Mai 1947
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z. B. 278 Marken zu 125 Gramm sind soundsoviel Kilo und überprüfte, ob die gelieferten und die abgerechneten Mengen übereinstimmten. Wurde das akzeptiert, war noch ein bestimmter Betrag zu bezahlen. Schließlich wurden die Marken durch eine Rolle gezogen und perforiert. Mit einem Schwung wurde vernichtet, was man zuvor stundenlang sortiert und geklebt hatte. Jedenfalls war es eine ganz streng gehandhabte Prozedur.
Und wie konnten die Menschen satt werden? Man hatte schon während des Krieges und teilweise schon in der Zwischenkriegszeit jede freie Fläche landwirtschaftlich genutzt. Die Grünfläche in Wohnhausanlagen, wie zum Beispiel in der Fleschgasse, hatte man als Grabeland aufgeteilt, jeder bekam ein, zwei Beete und er konnte sich dort etwas anbauen und damit den Speisezettel auffetten.
Die Menschen hatten ja auch vor dem Krieg schon begonnen, nach Möglichkeit Hasen zu halten. Hasenstallungen konnte man auch in Wohnungen aufstellen. In weniger dicht verbauten gebieten wuchs sogar in den Bombentrichtern gleich irgend ein Gras oder Zichorie, das Ernähren dieser Tiere war also relativ leicht. Im Fensterkasten konnte man Karotten anbauen, die man allerdings manchmal nicht selbst aß sondern den Hasen gab und sich auf den Braten freute.
Der Balg der Hasen wurde umgedreht mit Zeitungspapier oder Stroh ausgestopft und getrocknet. Mit diesen ging man dann z. B. in die Altgasse, wo es einen Huterer gab. Für ein Dutzend Hasenbälge bekam man – ohne Kleiderkarte – z. B. eine Kappe aus einem furchtbaren Stoff, beim zweiten Regen hing der mit gewöhnlichem Pappendeckel gefütterte Schirm herunter. Alles, was verwendbar war, wurde einer Verwendung zugeführt.
Trotz allem gab es damals keine Nachbarschaftsprobleme oder Diebstähle. Niemand vergriff sich am nicht eingezäunten kleinen Beet. Das war vielleicht noch eine Folge der extrem strengen Gesetze, die es im Deutschen Reich gegeben hatte, vielleicht war es auch die Einstellung der Leute: Wir wollen alle miteinander davonkommen und überleben, wir haben schon soviel mitgemacht, wir werden auch das noch schaffen.
In den Kindergärten und Volksschulen waren Ausspeisungen eingerichtet worden. Die Kindergärten wurden von den Schweden betreut und hatten eine exzellente Ausspeisung. In der Schule gab es einmal in der Woche einen Wasserkakao, den die Kinder gerne schlemperten und zweimal in der Woche etwas reisfleischartiges ohne Reis; es war pappig und wurde im Mund immer mehr. Nach dem Ende des Unterrichts wurden die Wärmekübel hereingetragen und das Essen von der Lehrerin ausgegeben. Wenn die Kinder brav aufgegessen hatten, durften sie nach Hause gehen.
Zur Ernährungssicherheit – praktisch alle waren unterernährt – gab es in den Schulen auch noch den Lebertran. Alle mussten sich bei der Frau Lehrerin am Podium aufstellen, jeder hatte ei
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nen mitgebrachten Löffel in der Hand, die Frau Lehrerin ging von einem zum anderen und goss Lebertran in den Löffel. Die ersten paar Male schluckten einige den Lebertran und gingen gleich, wie es auf Wienerisch so schön heißt, speiben. Das Fette vertrug man damals nicht und außerdem war der Lebertran von einer Qualität, mit der man heute Lederschuhe einlassen würde. Der war wirklich „gereift“. Später durfte man Salz mitbringen, nur kann Fett das Salz nicht auflösen ...
Schließlich konnte man auch Lebertran nach Hause mitnehmen. Wer das wollte, musste eine gut verschließbare Flasche mitbringen. In vielen Haushalten wurde der Löffel nachmittags zum Pflichtlöffel: „Hast du schon deinen Lebertran genommen?“ Das war eine der Hilfen, die es damals gab.
Glücklich war, wer Verwandte auf dem Land hatte. Gegen tauschfähige Gegenstände konnte man bei ihnen ein paar Eier oder etwas anderes bekommen. Auch die Stecknadeln aus der Bossi-Fabrik erwiesen sich als brauchbar. In Papiertüten verpackt konnten sie gegen Getreide, Haferflocken oder Gries getauscht werden. Zum Transport der leicht zerdrückbaren Eier war z.B. eine Milchkanne angeraten. Sie wurde mit Eiern angefüllt und oben mit Heu ausgestopft. So konnten die Eiern leichter an den Kontrollen bei Stadtgrenze vorgebracht werden.
Ein weiteres Problem konnte das knappe Bargeld sein. Zum Beispiel waren es Kleinrentner, die nicht einmal das Geld für die rayonierten Lebensmittel hatten.
In der Auhofstraße gab es die Firma Wiesbauer, das war damals noch eine kleine Wurstfabrik mit entsprechende technischen Einrichtungen, sie wurde von den Russen gleich als Schlachthof requiriert. Bei der Schlachtung blieben gewisse Produkte über, die die Russen nicht wollten: das Blut, die Kaldaunen (Kutteln, Vormägen der Rinder), die Leber, das Herz, das Beuschl. Der Herr Wiesbauer, der damals wegen seines kriegswichtigen Betriebes vom Militärdienst freigestellt war, verkochte diese Nebenprodukte zu einer Blunzensuppe. Das Blut, das zerkleinerte Fleisch, etwas Gewürze und die separat mehrere Stunden gekochten Kaldaunen ergaben eine sehr nahrhafte Suppe. Am Eingangstor zur Fabrik in der Auhofstraße 25 stand dann auf einem Zettel: „Ab 14 Uhr Blunzensuppe“.
Die Leute standen in Zehner-Reihen bis hinauf zur Volksschule in Unter St. Veit. Man musste die Lebensmittelkarte mithaben. Pro Lebensmittelkarte, auf deren Rückseite ein Stempel aufgedrückt wurde, gab es einen guten 1/4 Liter Suppe. An den Preis konnte sich Frau Wiesbauer später nicht mehr genau erinnern, aber sie vermutete 10 oder 20 Pfennige. Sie wusste nur mehr, dass sie das Kleingeld damals sackweise hatten. Das war jeden
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falls eine wichtige erste Hilfe und die Unter St. Veiter hatten Glück, so einen Betrieb zu haben.
Dann begannen die Russen, Mehl an die Bäckereien auszuliefern. Natürlich war es nicht so, dass jeden Tag alles vorhanden war. In der Nacht war der Strom abgeschaltet, und die Betriebe hätten nur mit der Hand arbeiten können, waren aber alle personell unterbesetzt. Auch am Holz mangelte es oft. Beim Bäcker in der St.-Veit-Gasse war nur der Inhaber mit seinen beiden 13-jährigen Söhnen da; die beiden Fremdarbeiter waren Anfang April abgezogen worden. Brot wird ja nur sehr gut, wenn der Teig lange und intensiv geknetet wird, so etwas dauert Stunden. Das Mehl wurde in der Nacht oder in der Früh angeliefert, Holz allfällig auch und damit konnte der Bäcker einen Zettel an die Tür hängen, dass es ab 14 Uhr Brot geben wird. Die Leute standen schon eine Stunde vorher mit den Lebensmittelkarten in der Hand vor dem Geschäft, und sie wussten nicht, wie viel sie tatsächlich bekommen werden. Wenn man drei Lebensmittelkarten hatte, hieß das noch lange nicht, dass man auch die dementsprechende Brotmenge bekam.
Der Bäcker hatte eine bestimmte Anzahl an Kunden, die bei ihm „rayoniert“ waren, daher hatte er auch einen bestimmten Materialbedarf, den er dem Lieferanten meldete. Oft bekam er aber nur einen Teil des errechneten Bedarfs und konnte daher nur einen Teil des erforderlichen Brotes backen. Vor der Türe der Bäckerei stand ein KPÖ-Mensch und ließ immer nur drei Leute gleichzeitig ins Geschäft.
Doch gab es noch viel gravierendere Ungewissheiten: Wie geht es den Männern, die an der Front waren, wie geht es den Verwandten in anderen Teilen Österreichs. Man wusste das alles nicht. Der Postverkehr war eingestellt, Telefone gab es nur wenige und die blieben stumm. Selber hatte man überlebt und konnte mit den Leuten im Umkreis sprechen, und man war froh, irgend etwas zu hören. Wenn zum Beispiel jemand zu Fuß aus Schwechat gekommen war, so konnte er von dort und von unterwegs erzählen, von denen, die noch lebten und von anderen die tot waren.
Das erste Nachricht von den vermissten oder verwandten Menschen war oft eine Zuschrift von Radio Graz. Die Rundfunkerfassungsstelle des Bayrischen Roten Kreuzes hatte Grüße von Kriegsgefangenen im Radio Graz durchgesagt und gleichzeitig eine kurze Verständigung geschickt. Diese kam auf einem ganz schlechten, dünnen Papier: „Herr soundso grüßt seine Angehörigen, z.B. englische Kriegsgefangenschaft laut Rundfunksender in Graz“. Dann gab es die erste Briefpost, aber es dauerte oft Jahre, bis eine Nachricht kam.
Es gab nächtliche Ausgangssperren, und in den Wintern 1945/46 und 1946/47 – das waren ganz extreme Winter mit
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35 cm Schnee an manchen Tagen, Schneepflüge gab es natürlich keine – wurde zeitweise der Strom abgeschaltet und der Eisenbahnverkehr stillgelegt, weil es keine Kohle gab.
Manche hatten noch alte Bestände aus Holz zum Heizen oder konnten sich anderweit Brennmaterial besorgen, doch ohne Strom war es besonders ungewohnt. Ohne elektrischer Beleuchtung saß man bei der Petroleumlampe. Im Winter wurde es zeitig finster, trotzdem hatten die Schulkinder Aufgaben zu schreiben. Man musste sich nahe zur Lampe setzten, mit einer Feder, die auf dem furchtbaren Papier so kratzte, dass alles gleich zerfloss. Es war recht mühsam, aber die Kinder kamen damit zurecht.
Für die Betroffenen sehr schlimm waren die durch Bomben beschädigten oder zerstörten Häuser. In Hietzing waren 270 Häuserbetroffen, 64 davon schwer, unter anderem fotografisch dokumentiert die Häuser Auhofstraße 134, Fleschgasse 7, Gloriettegasse 9 (Schratt Villa), Hietzinger Hauptstraße 24 und 80 und die Hügelgasse 2. Bombenschäden erlitten auch das Schloss Schönbrunn und seine Seitentrakte, die Gloriette, das Amtshaus Hietzing sowie 8 Objekte des Versorgungsheims. Von den 675 Wohnungen den beschädigten Häusern waren 112 nicht mehr benützbar. Einen Einblick in die Zerstörungen gibt auch der unten ausschnittsweise abgebildete „Bombenplan“.
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Ausschnitt aus dem Generalstadtplan mit eingezeichneten Kriegsschäden – „Bombenplan“ –, erstellt um 1946 © ViennaGIS. Farblich markiert sind Totalschäden in Orange, schwere Schäden in Grün und leichte Schäden in Hellgrün. Diese Darstellung gibt sicher einen Eindruck von den schwer betroffenen Regionen, zeigt aber offensichtlich nicht alle bekannten Bombenschäden. Die Zerstörung der Stadtbahnstation Braunschweiggasse oder der Gloriette (diese liegt außerhalb dieses Ausschnittes) ist nicht nachvollziehbar.
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Natürlich war auch der öffentliche Verkehr durch die Kriegsereignisse beeinträchtigt. Die Stadtbahn konnte wegen der Bombenschäden im Hietzinger Bereich nicht fahren. In der Station Hietzing war der Abgang vom Kaiserpavillon zerstört, die Gebäude der Stadtbahnstationen Braunschweiggasse und Unter St. Veit waren ebenfalls zerbombt. Nachdem der Schutt von Helfern weggeräumt worden und Holzstiegen errichtet worden waren, konnte die Stadtbahn ab Juni 1945 wieder bis Hütteldorf fahren. Die Straßenbahnen 58 und 60 waren durch Bombentreffer nicht behindert, fuhren aber in der ersten Zeit nach Kriegsende nur hin und wieder.
Die Post funktionierte kaum, weil kein Poststück außerhalb des befreiten Sektors gehen durfte oder konnte.
Über die ärgste physischen Not der Nachkriegszeit hinaus war auch die seelische Not zu heilen. Kaum war der Krieg zu Ende, ging das pastorale Personal und deren Helfer an die Arbeit in Schulen und Pfarren. Viele Kinder waren noch nicht getauft, hatten noch keine Erstkommunion, keine Firmung, nicht einmal einen Religionsunterricht. Der enorme Nachholbedarf war für alle Beteiligten kräfteraubend. Gleichzeitig kamen viele, die 1938 aus der Kirche ausgetreten waren zur Wiederaufnahme, viele Trauungen mussten geordnet werden. Für die Wiederaufnahmen und Ehesanierungen musste für jeden einzelnen Fall um eine Erlaubnis des erzbischöflichen Ordinariates angesucht werden, das hatte viel Schreibarbeit zur Folge. Viele Menschen nahmen es ernst, viele kamen aber nur, um ihre Zugehörigkeit zur NSDAP zu überdecken. „Ich bin ja trotz meines Austrittes ein guter Christ geblieben“, konnte man oft hören, viele beriefen sich auf ihre Erziehung in einer „Klosterschule“. Manche kamen und wollten den Taufnamen ihres Kindes, Hermann, Adolf etc. gestrichen haben und dafür einen anderen Namen bestimmen. Sie hätten es sich viel Geld kosten lassen. Den Verwaltungsaufwand betreffend ist noch auf die Ausstellung der vielen Dokumente in den Jahren 1938–39 zur Erlangung des Ariernachweises hinzuweisen.
Zu bewältigen war auch die große Caritasarbeit. Durch die Caritaszentrale kamen die sogenannten „Carepackete“, Spenden vom päpstlichen Hilfswerk und amerikanische Kleiderspenden. Das konnte von unangenehmen, teils auch lustigen Vorkommnisse begleitet sein, wenn z. B. bei einer Schuhspendenur die linken Schuhe ankamen. Ein Aufruf der Pfarrseelsorger, wer doch noch etwas zu entbehren habe, möge es für andere Geben, hatte
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einen großen Erfolg. Von der selbstverständlichen Hilfeleistung für andere kann man sich heute keine Vorstellung machen.
Manche Menschen hatten nur das, was sie am Leibe trugen, viele Wohnungen waren total ausgeplündert. Ober St. Veit hatte viele schöne Häuser und Wohnungen und gutsituierte Bewohner. Die Russen hatten alle für „Kapitalisto“ gehalten und gründlich ausgeräumt. Schmutzige Lastwagen, die Sitze voll Perserteppiche und Polstermöbel waren nicht selten. Diese Menschen zu erfassen und wenigstens mit dem Notwendigsten zu versorgen, musste erreicht werden. Der „Vinzenzverein“ unter Leitung von Reg. Rat Rudolf Papak und Glasermeister Senk, und die schon vor dem Krieg mit Caritasarbeit in der Pfarre beschäftigten Damen (Stadlmann, Reitmeyer etc.) waren zu Beginn die ersten Helfer. Die neue Art und Last der Caritasarbeit erforderte mehr. Es wurde das sogenannte Monatsopfer eingeführt. Auf freiwilliger Basis verpflichtete man sich, jeden Monat eine bestimmte Summe für die Pfarrcaritas zu geben und die Jahre nach dem Krieg wurde das auch gut eingehalten. Die Damen Papak, Banek, Kerres, Katzenschlager, Willim, Gruhs, Guggi und Krabichler führten unter der Leitung von Frau Brenner eine Nähstube, wo gespendete Sachen gerichtet, oder alten Leuten Näharbeiten abgenommen wurden. Die Damen waren ständig im Einsatz und führten unzählige Hausbesuche durch, um die wirkliche Not zu erfassen.
Im November 1945 wurden von der Ober St. Veier Pfarre zirka 1000 Bittbriefe an Pfarrangehörige versandt, damit Kohlen für die Weihnachtsaktion gekauft werden konnten. Diese Aktion wurde jedes Jahr durchgeführt bis wieder normale Verhältnisse eingetreten waren. An alte, kranke oder kinderreiche Familien wurden vor den Weihnachtstagen bis zu 300 Lebensmittelpakete verteilt (ausländische Lebensmittelspenden oder mit der Geldaktion erworbene Lebensmittel). Die Pfarrjugend und die Pfadfinder unter Leitung von Hans Machacek waren die Überbringer.
In den ersten Jahren nach dem Krieg hatte sich niemand von der Hilfe ausgeschlossen. Für die Kinder wurde einige Tage vor Weihnachten eine Jause bereitet. Das Pfarrheim wurde weihnachtlich geschmückt, soweit dies eben möglich war. Jedes Kind bekam Kakao und ein großes Kipferl. Herr Bäckermeister Hugo Schwarz war der Weihnachtsengel. Der Kinderseelsorger sprach zu den Kindern und sang mit ihnen Weihnachtslieder. Die Kinder mussten nach Schulklassen eingeteilt werden, es kamen so viele, dass sonst der Platz nicht ausgereicht hätte. Die eine Gruppe ging, die andere kam, die Helfer im Hintergrund wurden mit dem Geschirrwaschen nicht fertig.
Man muss die Kinder gesehen haben, um zu verstehen, was es damals für ein Kind bedeutete, in einem warmen Raum etwas zu essen zu bekommen. Es war wenig, aber für die damalige Zeit etwas besonderes.
1945 besorgte Maria Ebner, die Haushälterin des Pfarrhofes, und 1946 die Schulschwestern Cortona und Magdalena, die nach
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Kriegsende das verwüstete Elisabethinum wieder übernommen hatten und Hort und Kindergarten leiteten, das Kochen des Kakaos.
Wie sehr die Menschen in dieser schweren Zeit aneinander geschmiedet wurde, kann am Abschied von Herrn Kaplan Leber ermessen werden, der mit 1. Oktober 1945 nach Penzing versetzt wurde. Schweren Herzens trennten sich Seelsorger und Gläubige voneinander.
Hietzing war englisch besetzt und die englische Besatzungsmacht hatte die Kommandozentrale im Parkhotel. Im Schloss Schönbrunn regierte der Hochkommissar und in Ober St. Veit hatten sie eine Villa.
Zu Weihnachten wurden die Einwohner in offene LKWs gepfercht – damals gab es noch keine Sicherheitsvorschriften – und in die Fasangartenkaserne zu einem dieser großen Esssäle geführt. Dort gab es eine Weihnachtsfeier und alle bekamen Kakao, Kekse und ein kleines Sackerl zum Mitnehmen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hörten die Menschen „Jingle-Bells“. Auch bei den Amerikanern gab es das.
Als die Besatzungsmächte kamen, brachten sie gleich neue Banknoten mit, die „Militärschillinge“ von 50 Groschen bis 20 Schillinge. In der russischen Zone war auf ganz einfachem Papier gedruckt: „Republik Österreich, eine Reichsmark, Nachahmungen dieser Note werden gerichtlich bestraft“ und auf der Rückseite: „Diese Banknote gilt bis 31. Dezember 1945“.
Im Lauf der Zeit kam zu einer Übersättigung an Geld. Die Leute hatten Geld, konnten aber nichts kaufen, weil es nichts gab. Damit ergab sich die währungspolitische Notwendigkeit einer Währungsreform. Die erste Reform gab es Ende 1945, als man vom 13. bis 20. Dezember 1945 alle reichsdeutschen Banknoten gegen Schilling tauschen konnte, eine Mark gegen einen Schilling. Man durfte nur 150 Mark wechseln, der Rest wurde auf ein Sperrkonto geschrieben und war nicht verwendbar. Die Münzen blieben und galten weiter, zusätzlich gab es die ersten Schillingmünzen bzw. die ersten Papier-Zehner mit dem Wachauer Mädchen, das dann auch auf die Münzen kam. 1947 gab es die nächste Umtauschregulierung, 150 Schilling konnten 1:1 getauscht werden, der Rest 3:1. Damals wurden auch die Reichspfennig-Münzen eingezogen. Für den Tausch des Geldes musste man auf die Post oder in eine der wenigen Bankfilialen.
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Oben die Vorder- und die Rückseite des von Mai 1945 bis 24. Dezember 1947 kursierenden Militärschillings, unten die einzige von der sowjetischen Besatzung herausgegebene Reichsmark, die nur im Dezember 1945 gültig war.
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Die Beschäftigung mit der Regionalgeschichte stößt im Zusammenhang mit den Kriegen auch auf zahlreiche Einrichtungen, in denen Zwangsarbeiter untergebracht waren.
Zwangsarbeiterlager gab es in der Altgasse 6, in der Auhofstraße 75 und 78, in der Eitelbergergasse 9, in der Hermesstraße 12, in der Hofwiesengasse 14 und 17, in der Preindlgasse 8 und 18 sowie in Schönbrunn und in der Hermesvilla des Lainzer Tiegartens. Die Informationen zu diesen Standorten stammen in erster Linie aus einer Liste des Wilhelminenspitals, in der die dort behandelten Ausländer unter anderem auch mit ihrer Nationalität und dem „Bestimmungsort“ angegeben sind.
Viele Menschen waren auch auf ihrer Flucht hierher gekommen. Nach Kriegsende kamen viele Deutsche, die ihre Heimat verlassen mussten, zum Beispiel aus der Batschka. Sie waren einige Zeit in einem Barackenlager beim Sportplatz Schrutkagasse (Hietzinger Hauptstraße?) untergebracht, ein anderer Teil in der Villa van Straten in der Schloßberggasse (Baracke und Schloss bestehen heute nicht mehr). Darunter waren Alte, Kranke, Eltern die ihre Kinder suchten, es war ein furchtbares Elend. Unter der Woche wurde für sie Gottesdienst gehalten, Sonntags wäre die Kirche zu klein gewesen. Herr Kaplan Leber bemühte sich, diesen Leuten Mut, Trost und Gottvertrauen zu vermitteln. Es war unglaublich wieviel diese Menschen geweint und gebetet hatten. Ihnen wurde geholfen, so gut es ging, aber ausreichend war es nicht, vor allem konnte ihnen kein zu Hause gegeben werden.
Die Zahl der Wiener Flüchtlingslager, die über private Lager hinausgingen, wurden von 18 im Jahr 1945 durch Verteilung auf sechs Lager im Jahr 1946 reduziert. Wienwiki nennt Flüchtlingslager in Auhof, in der Hietzinger Hauptstraße und der Schloßberggasse, ohne darauf näher einzugehen. Auf dieser Plattform nicht angeführt wird das Barackenlager am Küniglberg in der Elisabethstraße 69, an das 2016 in einer Ausstellung in der Volkshochschule Hietzing erinnert wurde. Dort wohnten auf engem Raum 60 vertriebene Familien aus dem Dorf Bruck bei Bratislava, die am 3. Juli 1945 gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen oder vor dem Krieg geflohen waren. Sie lebten in dem Lager bis ans Ende der 1950er-Jahre.
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1946 hatte Herr Kaplan Matjeka begonnen, mit der Marianischen Kongregation eine Theatergruppe aufzubauen, die damals von allen sehr begrüßt wurde. Fernsehen hatte es damals ja noch nicht gegeben.
Die Kinos öffneten ebenfalls wieder ihre Pforten, die Kinder durften nicht hinein. Die Vorstellungen waren zunächst nur nachmittags, weil es am Abend keinen Strom gab.
1947 wurde vom erzbischöflichen Ordinariat angeordnet, dass jedes Dekanat eine Wallfahrt zum nächstgelegenen Marien- Heiligtum durchführen solle. Die Pfarren Hütteldorf, Lainz und Ober St. Veit gingen am 15. November unter strömenden Regen nach Maria Brunn. Wer nur irgendwie konnte ging mit, trotz des schlechten Wetters. Ein Flüchtlingspriester predigte, nach seinen Ausführungen spürten die Wallfahrer den Regen nicht mehr, was war das schon gegenüber einem Flüchtlingsschicksal.
Ab 1948 wurde jedes Jahr im Ottakringer Bräu und auch beim Weissen Engel ein sehr gut besuchter „Pfarrball“ abgehalten. Herr Kaplan Matjeka veranstaltete mit einigen Jugendlichen – besonders hervorgehoben sei Heinz Zettl – das „Mitternachtskabarett“. Freilich musste es schon einige Zeit vor Mitternacht stattfinden, denn der Ball wurde um 16 Uhr eröffnet und endete bereits um 23 Uhr, damit die Gäste die letzte Straßenbahn erreichen konnten.
Das waren einprägsame Jahre, und alle spürten, dass es jetzt wieder besser geht. Es gab wieder öfters einen Kuchen und schön langsam kam das Ganze ins Rollen.
Die Rayonierung wurde sukzessive von ca. 1948 (zuerst das Brot) bis ca. 1950 wieder aufgehoben.
Eine Erbe des Zweiten Weltkrieges oder eigentlich des folgenden Kalten Kriegs waren die immer wieder entdeckten geheimen Waffendepots. Die Besatzungsmächte USA und Großbritannien hatten sie in der Nachkriegszeit angelegt, um damit im Falle eines Krieges mit der Sowjetunion Widerstandkämpfer bewaffnen zu können. Natürlich gab es solche auch in Hietzing. Das vermutlich letzte dieser Depots wurde 2014 in der Joseph-Lister-Gasse im Zuge von Aushubarbeiten in zwei Meter Tiefe entdeckt. Kistenweise wurden daraus Waffen und Munition, viele Kilo Sprengstoff sowie Jod und Morphium geborgen.
Zum Abschluss dieses Kapitels sei noch eine herausragende Personalie erwähnt: Herr Wilhelm Löw, fast blind, war seit 1926 Organist der Pfarre. Siehe die leider sehr kurze Biografie auf →Seite 801.
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Zweifelsfrei hatten viele Menschen große Hoffnung in Hitlers Versprechen gesetzt und dies auch offen gezeigt. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung lässt sich kaum ermitteln, nur eines ist gewiss: Nach dem Krieg wollte es niemand gewesen sein. Diese Erkenntnis machte auch der kleine Felix Steinwandtner.
Gerne war er im Geschäft seiner Eltern und beobachtete die Leute beim Einkaufen. Damals war allerdings nicht viel los, es gab ja nur wenig zu kaufen. Eingeprägt hatte sich die Erinnerung an eine imposante Dame. Ihr Mann war der Leiter einer Bankfiliale, er pflegte sich „Bankvorstand“ zu nennen. Stolz trug diese Dame das NSDAP-Abzeichen auch auf ihrer Bluse, möglicherweise abends sogar am Nachthemd.
Eines Tages, es war im Jahr 1947 oder 1948, beobachtete Felix wieder die Leute im Geschäft. Zu kaufen gab nach wie vor wenig, doch war alles irgendwie gemütlicher, jedenfalls gab es keine Hetzjagd. Die Leute sprachen über jemanden, der knapp zuvor vorher gestorben war. „Na ja“, sagte eine der Damen, „der ist dem Hitler sein Jahrgang gewesen.“ „Sagen‘s, Frau Klier, wie alt wäre der Hitler jetzt?“ Frau Klier stand daneben, aber nun ohne Abzeichen. Sie antwortete: „Hitler? Für diesen Menschen habe ich mich nie interessiert!“. „Schau an, wie das geht“, dachte sich der kleine Felix angesichts dieses Lehrbeispiels an Verleugnung .
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Foto der Gedenktafel in der Veitingergasse
Die intensive Befassung mit dem Schicksal der Juden in Hietzing wurde von der Volkshochschule Hietzing begonnen. Seit dem Jahr 2000 betreibt sie unter der Leitung von Dr. Robert Streibel ein Projekt zum Gedenken an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Die von den VHS betriebene Inernetseite www.judeninhietzing.at informiert über die – laufend erweiterten – Ergebnisse dieses Projektes, und zwar in vier Abteilungen: „Vertrieben aus Hietzing“ mit Erinnerungen ehemaliger Bewohner Hietzings insbesondere in Form von Erzählungen. „Gedenken in Hietzing“ mit Informationen zu den Gedenktafeln und Erinnerungszeichen, die im Rahmen des Projektes in Hietzing errichtet wurden. „Ausstellungen“ mit der Dokumentation von Forschungsergebnissen über das Leben im Bezirk vor 1938 und das Schicksal Vertriebener. Und „Hietzinger Synagoge“ über das zeitgemäße Erinnerungszeichen von Hans Kupelwieser.
Die erwähnten Gedenktafeln, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern, sind das deutlichste Zeichen dieses VHS-Projektes im öffentlichen Raum. Sie wurden gemeinsam mit der Bezirksvertretung Hietzing verwirklicht. Die Gesamtzahl der Opfer, die bis 1938 in Hietzing glebt haben, lässt sich anhand der ebenfalls auf www.judeninhietzing.at veröffentlichten Dokumentation „Gelebt und vergessen“ ermessen. Auf Basis der Daten des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes wurden 230 Hietzinger Opfer der Shoa und ihre Adressen ermittelt. Sie alle wurden deportiert oder haben ein unbekanntes Schicksal.
Beispielhaft sei in der Folge eines dieser weniger bekannten und dennoch ganz großen Hietzinger Opfer genannt: Dr. Hans Przibram. Geboren am 7. Juli 1874 in Lainz, von 1907–1919 Mitbesitzer des Hackinger Schlosses, von 1919 bis zu seiner Flucht 1939 wohnhaft in Ober St. Veit, Hietzinger Hauptstraße 122.
Dr. Hans Przibram war Zoologe und der Begründer der experimentellen Biologie in Österreich. Seine Biologische Versuchsanstalt (BVA, auch: Vivarium) im Wiener Prater war eine der weltweit ersten Forschungseinrichtungen dieser Art. Sie wurde 1903 von ihm gemeinsam mit den Biologen Wilhelm Figdor und Leopold von Portheim privat gegründet und 1914 der Akademie der Wissenschaften als Schenkung übertragen.
Am 13. April 1938 wurde die Biologische Versuchsanstalt „zur Durchführung unaufschiebbarer Reinigungsarbeiten“ geschlossen. Am 22. April 1938, also wenig mehr als ein Monat nach dem Einmarsch der Hitler-Truppen, erging vom Österreichischen Unterrichtsministerium ein Erlass an die Universität Wien mit den Namen der zu entlassenden oder zu beurlaubenden Angehörigen. Unter den hier genannten Personen waren Hans Przibram und sein Bruder Karl Przibram. Wenige Tage später nahm die Biologische Versuchsanstalt ihre Arbeit mit den zugelassenen Mitarbeitern wieder auf, allerdings wurde lediglich die Aquarien
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schau weitergeführt. Der wissenschaftliche Betrieb war mit der Vertreibung ihrer Forscher zum Erliegen gekommen.
Doch über die Gefahr, in der er schwebte, war sich Hans Przibram – wie viele andere Juden auch – nicht bewusst. Arthur Koestler schrieb 1939 über ihn: „Der Gefahr, die Hitler für Österreich darstellte, war er sich überhaupt nicht bewusst. Sein früherer Mitarbeiter Paul Weiss, damals an der University of Chicago, machte sich erbötig, ihm eine Position in Amerika zu verschaffen. Przibram lehnte ab; er wollte nicht glauben, dass Österreich in Barbarei versinken könnte.“ Dennoch emigirierte Hans Przibram vor Beginn des Krieges im Herbst 1939 zusammen mit seiner Frau nach Holland. Sein Schüler Trampusch war bei der Übersiedlung nach Amsterdam behilflich und konnte für Hans Przibram einen wenn auch schlecht dotierten Forschungsauftrag beschaffen. In einem holländischen Institut arbeitete er dann über den Chemismus der Zirbeldrüse.
Mit der Besetzung der Niederlande durch deutsche Truppen im Frühjahr 1940 fand sich das Ehepaar Przibram neuerlich in einer gefährlichen Situation. Der Versuch, eine Erlaubnis zur Ausreise in die USA erreichen zu können, scheiterte und die Falle war zugeschnappt. Die letzte Nachricht aus Amsterdam, die den Bruder Karl Przibram erreichte, war mit 21. April 1943 datiertecht: „... wir sind aufgefordert worden nach Theresienstadt zu fahren...“ Der Name dieses kleinen Garnisons- und Festungsstädtchen könnte den Przibrams aus besseren Zeiten bekannt gewesen sein, liegt doch unweit davon, knapp fünfundsiebzig Kilometer südlich, die Stadt Przibram, von der sich aller Wahrscheinlichkeit nach der Name der Familie Przibram herleitet. Im Herbst 1941 hatten die Nazis mit dem Aufbau eines jüdischen Gettos in Theresienstadt / Terezín mit damals 3.700 Einwohnern begonnen. Zwischen Oktober 1941 und April 1945 wurden ca. 141.000 Juden aus den von den Nazis kontrollierten Ländern Europas in das Getto deportiert, davon mehr als 15.000 aus Österreich. Ein Paket, das Hans‘ Tochter Doris aus Wien nach Theresienstadt schickte, kam an. Sie erhielt von ihm eine dieser vorgedruckten Karten, auf der er den Erhalt bestätigte und einen Brief ankündigte. Danach hörte sie nichts mehr von ihm. Am 20. Mai 1944 starb er im Getto Theresienstadt an den Folgen eines Hungerödems; seine Frau beging am Tag darauf Selbstmord durch Einnahme von Gift.
Tochter Doris gelang es, die Nazi-Herrschaft im Land zu überleben. Hans Bruder Karl war nach Belgien geflüchtet, wo er in Brüssel bei einer Uranbergbaugesellschaft Unterschlupf gefunden hatte und dann als U-Boot das Ende des Krieges erlebte.
Das Gebäude der Biologischen Versuchsanstalt wurde in den letzten Kriegstagen weitgehend zerstört und die Institution 1946 aufgelöst. Dr. Hans Przibram versank in der Vergessenheit. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) machte auf ihn am 12. Juni 2015 mit einem Gedächtnistag unter der
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Überschrift: „Die Biologische Versuchsanstalt (BVA) – Geschichte und Gedächtnis“ auf gebührende Weise wieder aufmerksam.
Seit diesem Gedenktag erinnert eine Tafel vor dem Schulverkehrsgarten in der Prater Hauptallee 1 an diese Biologische Versuchsanstalt, die hier ihren Standort hatte. Darüber hinaus enthüllte Präsident Anton Zeilinger eine Büste von Hans Przibram. Diese war der Akademie 1947 von Hans Przibrams Bruder Karl gestiftet worden. Warum sie erst jetzt aufgestellt wurde, kann nur ansatzweise mit dem bis 1964 an der Akademie wirkenden Antisemiten Fritz Knoll erklärt werden. Dieser war für die Zerstörung der BVA 1938 und die Beraubung ihrer Leiter verantwortlich, durfte aber nach dem Krieg als minder belastete Person gemäß Verbotsgesetz 1947 in der Akademie weiterarbeiten.
Die wissenschaftliche Tätigkeit dieser Institution ist in den 284 sogenannten „Mitteilungen aus der Biologischen Versuchsanstalt“ dokumentiert, die bis 1939 in den Schriftreihen der Akademie erschienen sind. Andere Einblicke als die „dienstliche“ Überlieferung gaben vor allem das bemerkenswerte Material des in Wien befindlichen Familienarchives Eisert (Frau Eisert, geb. Baumann, ist eine Enkelin von Hans Przibram).
Viele andere Familien schafften es jedoch, dem Terror der Nationalsozialisten zu entkommen. Auch ein solches Beispiel soll hier angführt werden, und zwar die Familie Wachstein, die in der Hagenberggasse 49 lebte. Sonia Wachstein, die Tochter des jüdischen, 1935 verstorbenen Hisktorikers Bernhard Wachstein veröffentlichte 1996 eine Biografie, indem sie ihre Jugend in Hietzing und die anschließende Zeit in der Emigration beschrieb.
Die Erzählung beginnt in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, als Ober St. Veit durch die rege Bautätigkeit seinen ländlichen Charakter einbüßte. Als eine der vielen Villen, die damals entstanden, bauten die Wachsteins ca. 1910 ihre in der Hagenberggasse 49. Zur Sprache kommen in dem Buch zunächst die Kindheit und die Schulerlebnisse Sonias. Letztere waren schon von „kleinen Progromen“ begleitet, wie sie die unerfreulichen Erlebnisse unter Schulkameraden am Nachhauseweg nannte. Sie konnten ihr Schrammen und blutende Wunden eintragen, wurden aber ganz einfach hingenommen. Der Antiseminismus hatte demnach schon in den Familien verbreiteten Widerhall gefunden. Sonias politisches Erwachen und die mit aller Schärfe in ihr Bewusstsein tretende jüdische Identität fällt in die harte Zeit während und nach dem Ersten Weltkrieg. Vor diesem Hintergrund beschreibt sie ihr Familienleben, die Lebensweise des Bürgertums, die Studienzeit, die Personen, die sie trifft und vieles andere. Unter dem Namen „Herbert“ beschreibt sie einen gelähmten, etwa 10 Jahre älteren Ober St. Veiter, der nicht nur für sie, sondern auch für Elias Canetti und andere prominente Menschen eine gewisse Bedeutung erlangen sollte. Elias Canetti nennt ihn Thomas Marek.
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in dieser Zeit beschreiben. Zur Sprache kommen der lange Glauben an den Rechtsstaat, den sie – von verfolgten Kommunisten, Sozialisten und Katholiken abgesehen – mit einem großen Teil der Bevölkerung teilten. Auch Sonias Mutter war in den ersten Monate der Nationalsozialistischen Herrschaft noch naiv und optimistisch, diese bizarren Zustände würden nicht von Dauer sein, war ihre Meinung. Sie werde nicht ins Ausland gehen, weil sie dort ihren Kindern zu Last fallen würde und all das vorübergehen werden. Der Direktor der jüdischen Schule, in der Sonia zu dieser Zeit unterrichtete, meinte: „Diese Verbrecher wird es nicht mehr geben und die Juden werden noch immer das Schema sagen.“ Erst allmählich wuchs das Verständnis für die tödliche Gefahr, in der sie schwebten. Was noch kommen sollte, überstieg allerdings ihre Vorstellungskraft. Nur Sonias Freund Robert sah die „Endlösung“ voraus. Sonia sollte seiner Meinung nach nicht aufhören, auf ihre Mutter einzuwirken, Österreich zu verlassen. „Man wird sie alle ermorden“, sagte er mit absoluter Gewissheit. Sonia sagte ihm, er müsse den Verstand verloren haben.
Mit der dann tatsächlich und mit vielen bangen Momenten gelingenden Flucht nach England verlagert sich die Erzählperspektive dorthin, mit der Überfahrt nach Amerika endet das Buch.
Abschließend noch eine weitere beispielgebende Aufarbeitung einer jüdischen Geschichte, und zwar diejenige der Familie Blum durch Dr. Thomas Haase, den Rektor der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik in der Angermayergasse 1. Die „Villa Blum“ ist heute der Standort dieser Hochschule. Dr. Haase veröffentliche seine Erkenntnisse in einer 2008 erschienenen und 2011 erweiterten Broschüre mit dem Titel: Die Geschichte der Familie Blum einschließlich ihrer Villa in der Angermayergasse 1.
Es ist ein Versuch, die noch vorhandenen Spuren und Hintergründe für die Geschehnisse zwischen 1918 und 1938, die anschließende Flucht, die Arisierungen und im speziellen die branchentypischen Vorgänge in der Textilwirtschaft zu dokumentieren und die allgemeine Stimmung in der österreichischen Bevölkerung zu verdeutlichen. Abgehandelt werden auch die Eigentumsübertragung an Ernst Heinkel, die Restitution des Grundstückes und der Villa, dessen Tausch und der Verkauf an die Republik Österreich. Vorangestellt sind die Beschreibung der beruflichen und industriellen Karierre von Leopold Blum, der Erwerb des Grundstückes in der Angermayergasse, der Bau der Villa durch den Architekten Carl Witzmann und die spätere Eigentumsübertragung an die Tocher Lucy Blum, verheiratete Mertens.
Diese Familie erlitte ein „typisches“ jüdisches Schicksal: Sie kam aus der heutigen Tschechoslowakei nach Österreich und erlebte einen wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg, bis zu jenem Zeitpunkt, wo sie aus Österreich flüchten musste. So wie sie waren die Juden Wiens meist Zuwanderer oder die Nachkommenschaft von Zuwanderern aus der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Das großstädtische Ambiente der Hauptstradt der
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Doppelmonarchie förderte rasche gesellschaftliche Veränderungen innerhalb dieser Gruppe. In Wien brachten Juden jedoch weiterhin ökonomische und gesellschaftliche Verhaltensmuster hervor, die sie – vor sich selbst wie auch vor der Außenwelt – als Juden kenntlich machten.
Aufgrund der immer schwieriger werdenden Lebensbedingungen emigrierten Leopold und Meta Blum 1938 in die USA und das Ehepaaar Mertens über Paris nach Marseille und schließlich auf einem Frachtschiff unter chinesischer Flagge in die Dominikanische Republik.
Am 22. November 1941 wurde das gesamte Vermögen sowie alle Rechte und Ansprüche des Ehepaares Mertens zu Gunsten des Deutschen Reiches von der Geheimen Staatspolizei beschlagnahmt und 1942 an Ernst Heinkel verkauft.
Bereits lange vor dem Anschluss waren sich die Österreicher in der Judenfrage einig. Zwar gab zwar Nuancen, aber die große Mehrheit der Österreicher glaubte, dass Juden zumindest eine Teilschuld an dem Leid und an der Not der letzten fünfzig Jahre hatten. Der Antisemitismus sei „das einzige alle Schichten durchdringende und sich hartnäckig haltende Thema der österreichischen Politik gewesen“, ist eines der aufgenommen Zitate.
Aus heutiger Sicht hatte die dominierende Stellung der Juden in einem verarmten Land die Angst und die Abscheu der nichtjüdischen Bevölkerung nur verstärkt. Jüdische Unternehmen und Finanzinstitute lenkten einen großen Teil der Wirtschaft und zur Zeit des Anschlusses befanden sich drei Viertel der Wiener Zeitungen, Banken und Textilfabriken in jüdischen Händen. Der Erfolg von Juden in akademischen Berufen schürte ebenfalls Eifersucht und Bosheit. Über die Hälfte der österreichischen Anwälte, Ärzte und Zahnärzte waren Juden. Viele Studierende drängten massiv, die Zahl der zugelassenen jüdischen Studenten auf ihren tatsächlichen Anteil an der österreichischen Gesellschaft zu beschränken.
Im Gegensatz zum „Altreich“, wo Juden in Groß- und Kleinstädten wohnten, lebten über 90 Prozent der Juden Österreichs in Wien. Trotz ihrer dominierenden Stellung in der Wirtschaft, Finanzwelt und in den freien Berufen übten die österreichischen Juden längst nicht den Einfluss aus, den die übrigen Österreicher ihnen zubilligten. Auch wenn die Mehrzahl von ihnen in einer clanähnlichen Gemeinschaft in eigenen Wiener Wohnvierteln lebten, waren die Juden in etliche gegnerische Gruppierungen gespalten, welche die Zerrissenheit der österreichischen Gesellschaft entlang von nationalistischen und religiösen Linien durchaus widerspiegeln konnte.
Der Gründer der Ernst-Heinkel-Flugzeugwerke ließ nun 1943 die Villa adaptieren und an der Ostseite einen dreiachsigen Anbau errichten. Im Souterrain entstanden ein Archiv und Entwurfsbüros, im Erdgeschoss ein Modellraum, Arbeitszimmer und eine Halle, im ersten Stock wurden ebenfalls Arbeitsräume und eine
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Halle errichtet. Der Architekt für diese der Rüstung dienenden Um- und Einbauten war Hans Payer. Die Angermayergasse war nun der Standort der für die Projektentwicklung.
Nach dem Krieg wurde die Liegenschaft zurückerstattet und 1952 an die Republik Österreich verkauft.
Die vollständige Darstellung von Dr. Thomas Haase über die Ereignisse rund um die Villa Blum kann unter www.1133.at/ Bericht 676 nachgelesen werden.
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Im Rahmen des „Tages der Wiener Bezirksmuseen“ am 9. März 2025 widmete sich wie alle teilnehmenden Standorte auch Hietzing dem Themenschwerpunkt „Wien 1945–1955“. Nach der Anmoderation des Museumsdirektors Ewald Königstein referierte Klaus Daubeck über dieses Thema, Bezirksvorsteher Nikolaus Ebert eröffnete dann die eindrucksvolle Ausstellung.
Als wertvolle Ergänzung und Abschluss zum Ende des Zweiten Weltkrieges versuche ich in der Folge die im Referat und in der Ausstellung angeführten Ereignisse auf dem Weg vom Kriegsende zum freien Österreich chronologisch darzustellen, beschränke mich allerdings weitgehend auf Begebenheiten in Hietzing.
1945
Die Hietzinger Pfarrchronik berichtet von einem von der russischen Armee abgeworfenen Flugblatt, in dem die der vorrückenden Armee vorgeworfenen Gräueltaten als Lüge bezeichnet werden. Die rote Armee wissen zwischen Österreichern und „deutschen Okkupanten“ zu unterscheiden.
Als Ursache für das Chaos nach der Besetzung der Stadt schrieb Theodor Körner rückschauend am 21. Jänner 1946: Ursache für das Chaos „war die Zerschlagung der zentralen Stadtverwaltung unmittelbar nach der Besetzung der Stadt. So wurden die Bezirke selbstständig gemacht, erhielten militärische Ortskommandanten, irgendwelche Bürgermeister und selbstständige Polizei. Hiemit arbeitete jeder der ganz willkürlich eingesetzten Bezirksvorsteher mit einer freiwilligen, ehrenamtlichen Polizei, die keine Bezahlung erhielt und unter der sich auch kriminelle Elemente befanden, willkürlich darauf los. Es entwickelte sich eine ganz beispiellose Bezirksmisswirtschaft. Vieles war gut und der Lage entsprechend. Aber vieles war schlecht.“
Ein erster britischer Bericht über das Nachkriegs-Wien vom Anfang Juni 1945 fasste die Eindrücke dann so zusammen: Überall, wo man hinkommt, gibt es Trümmer und Verwüstungen. Die Läden haben größtenteils geschlossen, und außer Lebensmitteln ist fast nichts zu erhalten. Die Banken sind gesperrt. Es gibt keinen Treibstoff und insgesamt nur 40 Lastwagen, um rund 1,5 Millionen Menschen Wiens mit lebensnotwendigen Dingen zu versorgen. Man wollte auch etwas von Spannungen bemerkt haben, die zwischen Russen und Österreichern bestanden, und führte das darauf zurück, dass hier eine osteuropäische Landbevölkerung auf eine hochkultivierte westliche Stadt gestoßen sei. Und wenn es Missverständnisse gäbe, dann sei dafür die Schuld wohl auf beiden Seiten zu suchen. Der britische Informant neigte aber eher dazu, das als „Schauermärchen“ abzutun, was ihm so alles erzählt worden war.
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Dieses Zitat von Theodor Körner und die folgende Einschätzung stammt aus:
Manfried Ruchensteiner:
Der Sonderfall.
Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955. Herausgegeben vom Heeresgeschichtlichen Museum/Militärwissenschaftliches Institut, Wien. 1985: Styria Verlag Graz
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Nach der Einnahme Wiens durch die Sowjettruppen ernannten somit die Ortskommandanten die Bezirksvorsteher – in Hietzing Hans Mayer (KPÖ). Im Juli wurden sie durch vom Bürgermeister berufene Bezirksvorsteher und zwei Stellvertreter ersetzt. In Hietzing waren es mit Wirksamkeit vom 24. Juli 1945 Bezirksvorsteher Anton Figl (SPÖ) und seine Stellvertreter Anton Cudlin (ÖVP) und Rudolf Liebreich (KPÖ).
In der 1. Bezirksrätesitzung vom 14. August 1945 wurde unter anderem eine Beschwerde des Hietzinger Friedhofes über die Verzögerung der Beerdigungen behandelt. Bei der starken Hitze und wegen des Eismangels ist ein längeres Lagern der Leichen unmöglich.
Per 1. September wurde das von der Sowjetarmee besetzte Hietzing zur britischen Besatzungszone. Der zu Niederösterreich gehörende Lainzer Tiergarten blieb sowjetische Zone. Die britische Militärkommandatur beschlagnahmte das Schloss Schönbrunn, der britische Hochkommissar nahm seine Residenz in der Villa Blum in der Angermayergasse, die Besatzungssoldaten zogen in die „Schönbrunn Barracks“ (heute Maria Theresien Kaserne).
1946
Die Lehrer und Schüler der Otto-Glöckel-Schule bekamen die Erlaubnis, im Schulgarten Beete für ihren persönlichen Gemüseanbau anzulegen. In den Sommerferien wurde in dieser Schule eine Ausspeisung mit Suppe geboten.
Auf dem Gelände des Goldmarkplatzes der Wiener Kinderfreunde wurde eine Tennisanlage errichtet.
In der konstituierenden Bezirksratssitzung vom 3. Juli wurden Josef Cudlin (ÖVP) zum Bezirksvorsteher und Franz Babor (SPÖ) zu dessen Stellvertreter gewählt.
Mit dem Gebietsänderungsgesetz vom 26. Juli 1946 wurde beschlossen, dass die 1938 Wien einverleibten Gebiete Niederösterreichs wieder an Niederösterreich zurückfallen. Für Hietzing hat dies keine Auswirkung, außer dass es im Süden wieder an Niederösterreich (Katastralgemeinde Mauer) grenzt. Bezirksgrenzen innerhalb Wiens verschieben sich nicht. Veröffentlicht wurde dieses Bundesverfassungsgesetz allerdings erst mit dem Bundesgesetzblatt Nr. 110/1954 (ausgegeben am 23. Juni 1954), da erst dann alle Besatzungsmächte zugestimmt hatten. Wirksam wurde es per 1. September 1954.
Die Pfadfinder in Ober St. Veit eröffneten am 1. November einen Punschstand.
Am 6. November wurde über die Beseitigung der Feuerlöschteiche im Hügelpark, am Leitenwaldplatz und am Versorgungsheimplatz berichtet.
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1947
Zu Jahresbeginn gab es in den Schulen sieben Wochen Kälteferien.
Im April wurde das Speisinger Bad durch die Familie Fischer wieder eröffnet (Feldkellergasse 24/Bergheidengasse) und im Juli wurde das Elisabethinum wieder eröffnet.
Wegen einer Kinderlähmungsepidemie wurde der Schulbeginn auf Ende September verschoben. Am 10. September wurde mit dem Bau von Schulräumen im ehemaligen Försterhaus Lainz (Waldschule Doktor-Schober-Straße) begonnen.
Am 12. September traf der erste große Heimkehrertransport aus der Sowjetunion ein.
Papiernot verhinderte die Lieferung von Büchern und Heften.
Im Oktober wurde im Gebäude des Pfarramtes in der Doktor-Schober-Straße ein privater Kindergarten eröffnet.
Im Bezirk wurden 51 Bombentrichter und Splittergräben zugeschüttet bzw. planiert.
1948
Am 12. Jänner wurde die Volksschule im ehemaligen Försterhaus Lainz durch Bürgermeister Theodor Körner eröffnet.
Am 3. März wurden Bezirksbeauftragte für die Kartoffelkäfer-Bekämpfung bestellt.
Am 19. März wurden durch einen Sprengstoffanschlag auf das Englische Offiziersquartier im Parkhotel Schönbrunn während einer Tanzveranstaltung im großen Saal eine Person getötet und 11 Personen verletzt. Im Gebäude und auch in Nachbargebäuden gab es große Verwüstungen.
Am 31. Mai wurde das Schloss Schönbrunn der österreichischen Regierung zurückgegeben und bis 29. Juli gänzlich geräumt. Die Schauräume wurden am 4. September wiedereröffnet.
Am 19. Juni wurd der Grundstein der städtischen Wohnhausanlage am Roten Berg (Gogolgasse/Nothardgasse) gelegt.
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Frisch ausgehobener Splittergraben in der Rohrbacherstraße,
fotografiert am 20. Oktober 1943.
Foto Bezirksmuseum Hietzing
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1949
Am 9. Jänner fand der erste offizielle Wettbewerb auf der neu gebauten Himmelhof-Schanze statt.
Am 11. Jänner wurd die Brot- und Mehlrationierung aufgehoben, im März auch die Kleiderkarte und ab 1. Oktober wurde das Gasthausessen markenfrei.
Im Juni wurde im Rahmen des neu gegründeten Krankenhauses des Landes Niederösterreich auf dem Gelände des heutigen Orthopädischen Spitals das Kinderspital und die Kinderkrankenschule eröffnet. Siehe dazu den Beitrag ab →Seite 615.
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Blick in eine Vitrine mit einer Sammlung von Rayonierungs-Karten im Bezirksmuseum Hietzing,
fotografiert am 9. März 2025
1950
Am 9. Jänner traf der 55. Heimkehrertransport aus Russland am Südbahnhof ein. Bürgermeister Körner fand sich zur Begrüßung der 499 Heimkehrer ein.
Am 4. Mai übergab Bezirksvorsteher Josef Cudlin seine Funktion an Otmar Hassenberger (ÖVP), der von Bürgermeister Körner als neuer Bezirksvorsteher eingeführt wird. Am 6. September berichtete Bezirksvorsteher Hassenberger über die Vorbereitungen zur Errichtung eines Heimatmuseums.
Am 20. September fand vor der nach Kriegsschäden renovierten Nikolai-Kapelle eine große Eustachius-Feier statt. Unter den zahlreichen Ehrengästen war auch Bundeskanzler Leopold Figl.
Am 18. Dezember wurde im Wiener Gemeinderat ein Flächenwidmungs- und Bebauungsplan für den Bau der „Intenationalen Kulturstätte Hörndlwald (ab 1965 Josef-Afritsch-Heim) beschlossen.
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Tafel mit der Bezirksvertretung Hietzings von 1949 bis 1953. Allerdings wundert die Jahreszahl 1949, denn der Wechsel in der Bezirksvorstehung von Josef Cudlin zu Otmar Hassenberger fand erst 1950 statt
1951
Am 13. Februar bewilligte der Gemeinderat 330.000 Schilling für die Erweiterung der Kindererholungsstätte am Girzenberg. Die Geschichte dieses Kindergartens in der heutigen Angermayergasse 9 und die Feier dessen 60. Geburtstages ist auf www.1133.at/Bericht 563 zusammengafasst
Am 24. April wurde der Verein „Hietzinger Heimatmuseum“ gegründet. Siehe dazu den Beitrag zu den Wurzeln der Heimatkunde ab →Seite 18
Von Ende Mai bis Mitte Juni fanden in Wien und auch in Hietzing die Bezirksfestwochen statt. Darüber informiert vor allem das Kapitel über die Kultur ab →Seite 649.
Am 31. Mai wurde das städtische Schwesternheim in der Jagdschlossgasse feierlich eröffnet.
Die schweren Bombenschäden am Amtshaus waren im Wesentlichen beseitigt.
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Die von Menschen umringte Pummerin vor dem Schloss Schönbrunn. Dort wird sie offiziell von Wien begrüßt. Foto Gustav Schikola vom 26. April.1952. Bildarchiv der ÖNB
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1952
Am 2. Juli wurde das Postamt in der Steinlechnergasse aufgelassen.
Vom 1. bis 10. Juli veranstaltete die Sozialistische Internationale im Hörndlwald ein IUSY-Camp (International Union of Socialist Youth), zu dem 32.000 Teilnehmer aus 35 Ländern kammen.
Am 25. Oktober wurde das Umspannwerk Wien-West nächst Auhof in Betrieb genommen.
Am 3. Dezember fand im Festsaal des Amsthauses eine Ausstellung der bisher für das Hietzinger Heimatmuseum gesammelten Spenden und Leihgaben statt.
Am 26. April wurde die von Oberösterreich gespendete Pummerin aus St. Florian nach Wien gebracht. Von der Auhofstraße und der Hietzinger Hauptstraße kommend passierte sie auch das Schloss Schönbrunn.
Am 3. Mai wurde der Sportplatz in der Linienamtsgasse eröffnet. Siehe die Fotos auf der →Seite 752
1953
Ernst Florian folgte als Bezirksvorsteher dem verstorbenen Otmar Hassenberger.
In diesem Jahr feierte der 1892 gegründete Gesangverein Speising-Lainz im Restaurant Eder seinen 60-jährigen Bestand.
Die Sprungschanze am Himmelhof fand großen Anklang. Am 12. Jänner verzeichnete die Wiener Meisterschaft im Spezialspringen 20.000 Besucher. Tagesbester wurde der Semmeringer Sepp Heher mit zweimal 36,5 Meter, Wiener Meister wurde der Ober St. Veiter Franz Rabensteiner mit 36 und 36,5 Meter. Der zukünftige Schanzenrekord wurde 1960 mit dem Sprung des Tirolers Klauss Fichtner mit 42 Meter erreicht; die errechnete größte Weite von 45 Meter wurde bei Bewerben nie erreicht, im Training erreichte der Steirer Hans Rinnhofer 1978 allerdings 46 Meter.
Am 17. Juni eröffnete Bürgermeister Jonas im Rahmen des XI. Internationalen Städtekonresses die Wohnhausanlgae am Lainzer Bach, genannt „Kongress-Siedlung“. Die 17 Wohnblöcke enthalten 257 Wohnungen.
Am 30. Juni wurden die Lebensmittelkarten-Referate abgeschafft. Nach 14 Jahren war damit die Abgabe von Lebensmitteln auf Bezugskarte beendet.
In diesem und dem Folgejahr entstand die Musterhaussiedlung Veitingergasse 64 von Carl Auböck zusammen mit Roland Rainer.
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Besuch Kaiser Haile Selassies I.
1954 im Wiener Völkerkundemuseum.
Links neben Kaiser Haile Selassie
Frau Dr. Schweeger-Hefel,
Kustos für Afrika
und ganz rechts Otto Bieber.
1954
Die Pfarre Maria Hietzing konnte neue Kirchenglocken anschaffen. Am 26. April gab die britische Besatzungsmacht das Parkhotel frei.
Am 24. Mai wurde das Hietzinger Heimatmuseum durch Bürgermeister Franz Jonas in den frei gewordenen Räumen des Amtshauses eröffnet.
Gemäß Landesgesetz vom 2. Juli 1954 über die Einteilung des Gebietes der Stadt Wien (Bezirkseinteilungsgesetz 1954) blieben die Grenzen Hietzings unverändert.
Im November weilte der äthiopische Kaiser Haile Selassie I. auf Staatsbesuch in Wien. Er besichtigte die Prunkräume im Schloss Schönbrunn und die Wagenburg. Er besichtigte auch die Äthiopien-Sammlung Friedrich Julius Biebers im Völkerkundemuseum. In diesem Rahmen wurden ihm Bücher Otto Biebers und Otto Stradals überreicht.
Am 20. Dezember konstituierte sich die neu gewählte Bezirksvertretung. Ernst Florian (ÖVP) wird Bezirksvorsteher, Josef fischer (SPÖ) sein Stellvertreter.
1955
Am 9. März wurde im Hügelpark der Andersen-Kindergarten eröffnet.
Am 6. Mai war mit der Rückgabe der Rollbahn auf dem Küniglberg das gesamt Gebiet des Küniglberges von der britischen Besatzungsmacht geräumt.
Das Staatsvertragsbankett am 15. Mai fand im Schloss Schönbrunn statt.
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Am 26. September wurden die „Schönbrunn Baracks“/Fasangartenkaserne (heute Maria-Theresien-Kaserne) an das neu geschaffene österreichische Bundesheer übergeben.
Am 21. Oktober beschließt der Wiener Landtag Änderungen des Bezirkseinteilungsgesetzes 1954. In diesem Gesetz mussten bei der Aufteilung der Gebietes die Forderungen der Besatzungsmächte berücksichtigt werden. Dadurch kamen Bezirkseinteilungen zustande, die in vielen Fällen der organisatorischen Gliederung widersprachen und die Verwaltung erschwerten. Verschiedene Gebiete wechseln ihre Bezirkszugehörigkeit. Hietzing betreffend kommt der Lainzer Tiergarten zu Hietzing.
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Gerhard Weissenbacher:
LiegendeKreide, 1981, 86,5 cm x 63,0 cm
(Ausschnitt)
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Die Bezirksgeschichte in der friedlichen Zeit der Zweiten Republik war und ist im wesentlichen die gespiegelte Bundes und Gemeindegeschichte. Ein nachhaltiger Aufschwung führte zu einem Wirtschaftswunder mit einer mehrere Generationen umfassenden Periode noch nie dagewesenen Wohlstandes für einen noch nie da gewesenen Anteil der Bevölkerung. Wie das Land blieb auch der Bezirk gespalten, und zwar in vielerlei Hinsicht. Der Hauptakt hieß Rot gegen Schwarz. Die Polarisierung überlebte den Zweiten Weltkrieg, der Februar 1934 war ihr Brennpunkt: „Ihr habt auf uns geschossen!“ Unter den Roten war die Abneigung fast körperlich spürbar. Und die Schwarzen waren sich einig: Die Roten sind leistungsfeindlich und verschwenderisch bis zum Untergang.
Der Aufschwung nach dem Krieg und die weltweite Ölverbrennung kaschierten diese Animositäten. Es war genug für alle da, die Sozialpartner reichten sich die Hände. Die roten Hütten standen in den Alpen einträchtig neben den schwarzen Hütten. Die Konjunktur boomte, sie beschäftigte die ganze Welt und diese war stolz auf ihre vielen Kinder. Die Volkswirtschaftsprofessoren hatten es besonders gut. Konnten sie „Wirtschaftswachstum“ buchstabieren und die Stirn in Falten legen, dann war ihr Ansehen gesichert.
Doch der Lack war dünn. Die gegenseitige Abneigung stieg wieder, fühlbar ab 1997, als eine rote Bank eine schwarze Bank kaufte. Was sich später als Reverse Takeover entpuppte, war der Startschuss für die – von den Oppositionsparteien kaum aufgezeigte – Vernichtung des enormen Wertes der am 20. Oktober 1905 unter dem christlichsozialen Bürgermeister Karl Lueger errichteten Zentralsparkasse der Gemeinde Wien oder vielmehr der später von der Anteilsverwaltung Zentralsparkasse (AVZ) gehaltenen Konzernanteile. Aber auch die globalen Probleme zeichneten sich immer deutlicher ab: Weder Wachstum noch Ressourcen sind unendlich. Die Menschen in Europa fühlten das und die Kinder in Afrika und Asien bekamen das zu spüren. Sie machten sich auf den Weg. Und die hiesigen Landesführer? Statt zu regieren entschieden sie sich zu manipulieren. Und die Medien dieses Landes sekundierten eilfertig. Doch ach: „Die Allianz aus SPÖ, Teilen der ÖVP, NEOS, Grünen, Publikumslieblingen, Künstlern und Zivilgesellschaft, Trachtenvereinen und Popsängern, Wirtschafts- und Wissenschaftsgranden schafft gemeinsam gerade noch knapp 54 Prozent“ (O-Ton Profil). Sozialisten gegen Christlich-Soziale, das war gestern, heute kämpft Hell gegen Dunkel.
Und niemand aus der Allianz lässt einen Zweifel an der Zuordnung. Möge das Profil 50/2016 als Beispiel für die fast einhellige Stigmatisierung dienen. Am Cover: „Gutmenschen und Rechts
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populisten, Flüchtlingshelfer und Ausländerfeinde, friedliebend und feig, Van der Bellen und Hofer“. Oder im sogenannten Leitartikel über die Aufgaben eines Mediums wie Profil: „Wahrheit von Unsinn, Sinnvolles von Sinnentleertem, Van der Bellen von Hofer und Gut von Böse zu trennen“. Die Auflösung dieser Gleichungen ist einfach: Hofer (und wohl auch seine Wähler) sind sinnentleerte, böse und feige Ausländerfeinde. Nur: Schwarz und Weiß gibt es in den Naturwissenschaften, nicht aber in der Politik. Woher also diese Überzeugung? Und warum diese Spaltung? Und woher diese Chuzpe, alles Böse, wie zum Beispiel diese fortwährenden Spaltungsbemühungen, den anderen in die Schuhe zu schieben?
Kein Wort und schon gar keine hochstehende Diskussion über Dinge, die die Bürgerinnen und Bürger der Republik Österreich, zumindest die vermeintlich dunkeln, wirklich beunruhigen: ungewisse Sicherheit, unwirksame Grenzen, mangelhafte Integration, Missachtung europäischen und nationalen Rechtes, Rolle des Islam, Arbeitsmarkt, Einkommensschere, Belastungen aus der EZB-Politik und der Migration, offene Baustellen in fast allen Sachthemen. Brennende Umweltfragen geraten da in den Hintergrund. Insgesamt eine bedrohliche Lage, die nur mit einem nationalen und europaweiten Schulterschluss aller Kräfte gelöst werden kann, und zwar auf Basis rationalen Denkens.
Wenn Oliver Rathkolb meint: „Der Rechtspopulismus wird mit oder ohne Hofer als Präsident wirkungsmächtig bleiben!“, dann bezieht er sich auf das Symptom und nicht auf die wirkliche Gefahr: Ein seit langem in falschen Händen liegendes Europa, über das sich grenzenlose Anarchie ausbreitet. Seuchen- und Klima-Themen verursachten eine weitere ungeahnte Beschleunigung dieser Entwicklung.
Im Wiener Spektrum hatte Hietzing durch seine bürgerliche (ÖVP)-Dominanz ab 1978 und die aus diesem politischen Lager kommenden Bezirksvorsteher wohl merkliche Unterscheidungsmerkmale. Bei einzelnen Projektthemen führte dies zu einer wohltuenden, bürgernahen Oppositionsrolle die einiges verhindern oder entschärfen konnte, doch im wesentlichen beschränken sich die Möglichkeiten eines Wiener Gemeindebezirkes bei bescheidenem Eigenbudget auf Vorschlags- und Antragsrechte, deren Erfolgschancen im Ideenstreit mit dem roten Wien auch ein gewisses Wohlwollen erfordern.
Wenn dieser „Ideenstreit“ hin und wieder auch fundametalistische Züge mit unüberwindbar scheinenden Animositäten annehmen konnte, behielt er im Großen und Ganzen dennoch die Wesenszüge eines demokratisch legitimen und notwendigen Wettbewerbs, der die Erfolgsgeschichten „Zweite Republik Österreich“, „Unser Wien“ und „Hietzing, der kinderfreundlichste Bezirk im Grünen“ ermöglichte.
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schnitt ist allerdings keine geschichtliche Chronik mehr, sondern eine Beschreibung von Themen, die unser heutiges Alltagsleben determinieren. Diese Themen sind jeweils für sich abgeschlossen, bauen aber immer wieder auf weiter zurückreichende Fundamente auf, das kann in die Erste Republik, in die Monarchie oder manchmal sogar bis in die Urzeit zurückreichen. Dies geschieht zum Beispiel schon am Beginn dieses Abschnittes mit der Beschreibung des Waldes, mit den Vermutungen über seinen ursprünglichen Zustand und der Art und Weise, wie er das Leben der Menschen begleitete oder sogar bestimmte.
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Der Anbau von Getreide, Gemüse, Obst und Wein sowie die Viehzucht waren die frühen, für Jahrtausende relevanten Lebensgrundlagen. Die Romanisierung brachte enormen wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Fortschritt. Dazu zählen die Erschließung der Heilquellen, der Stein- und Mörtelbau, Ziegel, Fußbodenheizungen, Bäderanlagen, Wasserleitungen, Kanäle und Straßen. Es gab weitreichende Handelsbeziehungen, Kaufleute und Handwerker kamen, Teile der Provinzialbevölkerung konnten sogar lesen und schreiben. Mit dem Rückzug der Römer und der Zerstörung der römischen Strukturen ging vieles verloren und für unsere Region – die Römer hatten sie Donaunoricum genannt – begann eine geschichtslose Zeit. Genauer gesagt, setzte sich die geschichtslose Zeit fort, denn es dauerte noch Jahrhunderte, bis wir auf die ersten schriftlichen Aufzeichnungen stoßen, die sich auf das Gebiet des heutigen Hietzing beziehen.
Mit den mittelalterlichen Einwanderungsphasen ab ca. 800 wurden die Vorläufer der heutigen Siedlungsformen und die für viele Jahrhunderte maßgebliche Bodennutzung geschaffen. Der älteste bekannte Plan unserer Region aus dem Jahr 1755 zeigt noch diese ursprünglichen Dorfanlagen und die Nutzungsart der Flächen. Dies und die folgende Betrachtung auf Bezirksebene sind eine Ergänzung zu den Erläuterungen in den Ortsgeschichten.
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Der Brequin-Plan (hier für den gesamten Bereich Hietzings eingenordet) aus dem Jahr 1755 zeigt die Bodennutzung zu dieser Zeit. Eine erklärende Legende gibt es zu diesem Plan nicht, aber die Zeichen für Wald, Wiesen, Felder und Weingärten sind selbsterklärend. Die heurtige Bezirksgrenze ist schwarz und die Katastralgemeinden sind blau eingezeichnet. Sichtbar sind große Weinflächen in St. Veit und am Küniglberg oberhalb von Lainz. Die restlichen landwirtschaftlichen Flächen, insbesondere die Ebene zwischen St. Veit und Hietzing (das Veitinger Feld) bedecken Wiesen und Äcker. Die ehemaligen Weingärten Hietzings wurden in Ackerflächen umgewandelt, die Verbauung hat dort bereits eingesetzt. Der Wald beschränkt sich auf den Lainzer Tiergarten und die Spitzen der Klippenberge, hier gemischt mit Buschwerk. Direkt an die Höfe der Bauern schlossen der Haus- und Obstgärten und dahinter ein Gartenacker an. Die großen Ackerflächen wurden meist genossenschaftlich genutzt. Auch die Viehhaltung erfolgte gemeinschaftlich durch einen gedungenen Viehhalter.
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Hinsichtlich der urzeitlichen Bewaldung unserer Region, scheiden sich die Geister. Eine Simulation des Wien-Museums anlässlich einer Ausstellung zeigt eine lockere Bewaldung für das Wientalgebiet und darüber hinaus. In jüngeren Epochen wird der Hietzinger Raum als waldreiches Randgebiet des Wienerwaldes mit umfangreichen Auen am Wienfluss beschrieben. Zahlreiche Orte wurden nach diesen Augebieten benannt.
Die Bewaldung im fürstlichen Jagdgebiet des heutigen Lainzer Tiergartens hat sich bis heute erhalten. Außerhalb haben die Rodungen für die landwirtschaftlichen Siedlungen und zuletzt das Wachstum der Stadt Wien über die Vorstädte und Vororte hinweg den Baumbestand jedoch stark reduziert. Der Franziszeische Katasterplan zeigt bloß für das damalige St. Veit an der Wien einen – sogar im Vergleich zu heute – sehr geringen Waldbestand. Der überwiegende Teil seiner Fläche war zu Äckern, Wiesen und Weingärten geworden. Auf den noch urtümlicheren Hügeln war eher Buschwerk vorherrschend. Einen größeren Laubwaldbestand gab es nur in der Nähe des heutigen St. Veiter Tors zum Lainzer Tiergarten. Wie der über 60 Jahre ältere Brequin-Plan auf der Vorseite zeigt, beschränkten sich schon damals die Baumbestände in den anderen Orten des heutigen Hietzinger Gebietes auf den Schlosspark Schönbrunn, private Parkanlangen (Englische Anlagen) und Obstgärten.
Die Gemeinde St. Veit an der Wien im Franziszeischen Katasterplan 1819. Einen richtigen Waldbestand gab es nur südlich der an der Lainzer Tiergartenmauer gelegenen Riede Stockinweg (siehe roten Pfeil). Die restlichen Flächen sind vorwiegend Äcker, Wiesen, Weingärten und Buschwerk.
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In den meisten Fällen mussten die ersten Siedlungsflächen dem Wald durch Rodungen abgerungen werden. Dann aber war das Holz des Waldes eine wesentliche Rohstoffquelle und ist es bis heute. Zunächst trug auch der Tierbestand zur Ernährung bei, doch wurde das Jagdrecht zum Monopol der Landesfürsten.
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Ein Teil der damaligen landwirtschaftlichen Flächen ist nach dem Niedergang des Weinbaus und auch der Milchwirtschaft wieder verwaldet, doch das Meiste wurde verbaut. Die heutige Bewaldung erstreckt sich daher außerhalb des Tiergartens nur auf Ausläufer wie den Hörndlwald, den St. Veiter Wald und den Himmelhof sowie die bewaldeten Bereiche von Gemeindeberg, Girzenberg, Roter Berg und Küniglberg samt des an seiner Flanke liegenden Schönbrunner Parks. Die restlichen Waldesinseln wie der Napoleonwald haben Parkcharakter oder befinden sich auf dem Grund von Klöstern, Krankenhäusern und Wohnbauten. Nahezu gänzlich verschwunden sind hingegen die Auwälder entlang des Wienflusses und des Lainzer Baches. Auwälder gibt es heute im 13. Wiener Gemeindebezirk fast nur mehr im Lainzer Tiergarten. Dennoch beweist die Vogelperspektive die ungebrochene Eigenschaft Hietzings als grüner Bezirk.
Der Prominenz des Lainzer Tiergartens als Erholungsgebiet für Kaiser und später auch Volk verdanken wir schon recht frühe Beschreibungen des dortigen Waldbestandes. Ein Beispiel für diese Beschreibungen ist der Beitrag im „Kronprinzenwerk“ (die Abteilung Wien erschien 1886):
Eine Fahrt durch den Tiergarten, beim Auhof hinein, gehört zu den schönsten Ausflügen. Zwischen den herrlichen Bäumen, uralten, eigens zur Zierde erhaltenen Eichen und hochstämmigen Buchen neben dem Tore dringen wir ein; dann geht es über die sogenannte Bischofswiese weiter, beim Johannserkogel, an dem reizenden Talkessel des Hüttengrabenstadels vorbei, auf steilem Berghange empor zum Jägerhause am Hirschg'stemm, von da durch herrliche Buchenforste, dann über Wiesen hinab, über einen kleinen Quellbach am sogenannten Schlossergassel, einem hohen, mit Eichen bewachsenen Bergrücken vorbei, über die große Dorotheerwiese, weiter durch den Wald hinaus auf die größte aller Tiergartenwiesen, die Penzingerwiese. Ein Teich und einzelne kolossale Bäume schmücken diese in der Tat imposante, große Rasenfläche. Durch einen ganz ebenen Eichenwald gelangen wir nun wieder zur Mauer und zum Lainzer Tor.
Es waren also Buchen- und Eichenbestände mit besonderem Hinweis auf – über 300 Jahre alte – Baumriesen. Buchenwälder, insbesondere hohe Rotbuchenwälder, früher gemeinsam mit der im 18. Jahrhundert forciert geschlägerten Tanne, sind durchaus natürliche Vegetationsformen im Wienerwald, nicht jedoch die erwähnten Eichenwälder. Ihre ausgedehnten Bestände sind die Folge menschlicher Eingriffe: Ihre Eicheln sind eine billige Nahrung für das Rot- und Schwarzwild und ihr Wachstum wurde daher in Jagdgebieten intensiv gefördert. Wegen ihres langsamen Wachstums und ihrer geringen Dauerhaftigkeit unter dem dich
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ten Schatten des Hochwaldes, insbesondere des Buchenwaldes, hätten sie aus eigener Kraft niemals diese Verbreitung erreicht.
Ein ähnliches Bild zeichnen jüngere Beschreibungen des Waldbestandes aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die meist auf einen Mischbestand aus verschiedenen Eichen und aus Hainbuchen hinauslaufen. Auf den trockeneren Bergkuppen oberhalb der feuchten Ebene überwiegt die Rotbuche. Eingestreut sind je nach klimatischer Bedingung auch andere Laubbäume und Nadelhölzer, genannt werden oft Edeltannen, Fichten, Rotföhren, Schwarzföhren, Eiben und sogar Lärchen. Darüber hinaus werden eine ganze Reihe nicht bodenständiger Bäume genannt, von der Douglasfichte über die Kastanien, den Mammutbaum bis hin zur Zeder. Auch ihr Bestand ist die Folge menschlicher Eingriffe in den letzten Jahrhunderten.
Ein besonderes Beispiel für diese menschlichen Eingriffe ist der Park um die Hermesvilla, der aus fremden Nadelhölzern zusammengesetzt wurde, um der Kaiserin einen „Korfu-Ersatz“ zu bieten.
Grundsätzlich war dieser Waldbestand auch für den Hietzinger Teil außerhalb des Tiergartens typisch und ist es hinsichtlich der Eichenbestände zum Teil auch noch heute, aber die Veränderungen aus menschlicher Hand sind in dieser „Kampfzone“ zwischen Land und Stadt natürlich gravierender.
Historische Waldbestandskarte des Lainzer Tiergartens. Die Florengrenze trennt die baltische in der Mitte von den pannonischen Vegetetationsstufen. Der enorme Holzeinschlag mag an den großen Flächen des Jungwaldes ermessen werden.
© R. Amon 1927
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Die frühe, ins Mittelalter zurückreichende Besitzgeschichte der heutigen Wälder Hietzings ist wegen des komplexen Gefüges damaliger Grundherrschaften für diese Darstellung zu umfangreich.
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Rodungsarbeiten vor der Siedlungstätigkeit in der Friedensstadt ca. 1921. Im Vordergrund gefällte Eichenstämme, im Hintergrund offensichtlich gesetzter Eichen-Jungwald.© Sammlung Heimatrunde Hubertus
Als Grundherren zu nennen wären u. a. das Kloster Formbach, die Herren von Top(p)el, der Johanniterorden, der Malteserorden, die Herrschaften Mauer, Erlaa, Hacking, Inzersdorf, Kalchspurg, Schotten, Vösendorf, die Pfarrherrschaft Hütteldorf und mit minimalem Anteil eine Handvoll Weinhauer aus St. Veit (ganz abgesehen vom noch komplexeren Untereigentum). Siehe dazu auch die Beschreibung des Lainzer Tiergartens ab Seite →... Die beiden wesentlichen Kristallisierungspunkte waren aber das von Rudolf IV. beschenkte Bistum Wien als Grundherr der Gemeinde St. Veit an der Wien und das k.k. Obersthof-Landjägermeisteramt- und Niederösterreichische Waldamt als Verwaltungsorgan der Habsburger. Letztere besaßen auch das Jagdrecht und brachten sukzessive den größten Teil der späteren Katastralgemeinde Auhof mit dem k.k. Tiergarten unter ihre Kontrolle.
In den Besitz der Gemeinde Wien bzw. des neu geschaffenen 13. Wiener Gemeindebezirkes Hietzing wanderten die Wälder außerhalb des Tiergartens in den Jahren 1890/92. Dies geschah im Zuge der Eingemeindung der – von den Grundherrschaften bereits befreiten und selbstständigen – Vororte, vor allem der Ortsgemeinde St. Veit an der Wien. Der Tiergarten wurde 1938 mit der Schaffung von Groß Wien Teil des damaligen 25. Gemeindebezirkes Liesing und im Rahmen der Gebietsänderungen nach dem Krieg ein Teil Hietzings.
Wenn man von Wien als „Stadt der Ringe“ spricht, und dabei in erster Linie die Ringstraße und den Gürtel meint, so ist trotz massiver Bebauung auch ein grüner Gürtel gemeint, nämlich der die Stadt umfassende Wald- und Wiesengürtel. Er ist eine der Manifestationen eines mittlerweile fast 150 Jahre alten Schutzgedankens, der 1870 mit Joseph Schöffels publizistischem Kampf gegen die Abholzung des Wienerwaldes begann und 1872 mit
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der Aufhebung aller den Wienerwald gefährdenden Gesetze, Verordnungen und Verträge einen ersten Erfolg erzielte. Gepflegt und geschützt wurde der Wald natürlich schon früher, aber aus wirtschaftlichen und jagdlichen Gründen.
Die im Sog der Industrialisierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts maßlos und fast ungeordnet wachsende Stadt machte zum Erhalt wenigstens der Grüngebiete am Stadtrand auch eine ordnende Hand in Rahmen eines städtebauliches Leitbildes notwendig. Aus ersten Ansätzen entwickelte sich der 1905 beschlossene Wald- und Wiesengürtel als erste Naturschutzmaßnahme. Siehe dazu den Beitrag ab →Seite 353. In den etwas über 300 Meter breiten Streifen längs der Tiergartenmauer vom Himmelhof bis zum Versorgungsheim und der großen Anlage auf dem Girzen- und Roten Berg wurden durch rechtmäßige und unrechtmäßige Schlägerungen in der Zeit des Ersten Weltkrieges und der Zwischenkriegszeit für Siedlungen und Kleingartengebiete große Lücken in den Baumbestand gerissen. Weitere Naturschutzgesetze sollten das stoppen, doch die Not dieser Zeit und dann auch des Zweiten Weltkrieges bewirkte das Gegenteil. Bis in die 1950er-Jahre war sogar der Lainzer Tiergarten in seinem Bestand gefährdet.
Erst ab 1954 floss wieder der Schutzgedanke in die Stadtplanung und Gesetzgebung ein, der ab den 1970er-Jahren und vor allem den 1980er-Jahren (z.B. mit der „Grünlanddeklaration“) intensiviert wurde, und versuchte, dem Druck gegen die bauliche Inanspruchname des Wald- und Wiesengürtel entgegenzuwirken. Aber auch das wurde z.B. durch erweiterte Verbauungsmöglichkeiten im Rahmen von Kleingartengesetzen konterkariert. 1995 beschloss der Wiener Gemeinderat, den bestehenden „Grüngürtel Wien“ durch ein Bündel von Maßnahmen (Gesetze, Widmungen, Ausgestaltung und Ankauf) zu sichern.
Heute gibt es ein teilweise auch auf Vorgaben der EU beruhendes umfangreiches Instrumentarium an Schutzinstrumenten wie Nationalparks, Naturschutzgebiete, Landschaftsschutzgebiete, Geschützte Landschaftsteile, Ökologische Entwicklungsflächen, Geschützte Biotope etc. und im Wienerwald den Biosphärenpark Wienerwald. Es wäre zu umfangreich, hier auf Entstehung, Gebiet und Inhalt all dieser Schutzmechanismen einzugehen. Der nahezu unaufhaltsame Bebauungsdruck findet immer wieder Wege, sie auszuhebeln, doch im Großen und Ganzen hat sich die Waldfläche in Hietzing stabilisiert. Teilweise hat sie sich sogar erweitert, weil ehemals landwirtschaftlich genutzte Flächen, die nicht zum Bauland wurden, zur Verwaldung tendierten.
Um aber einen wirklich sorgsamen Umgang des Menschen mit dem Wald zu gewährleisten, ist über die rechtlichen Schutzinstrumente hinaus auch ein breites Bewusstsein über den Wert des Waldes für Klima, Erholung und als Lebensraum für unzählige Pflanzen, Pilze und Tiere erforderlich.
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Einzelne Bäume schädigende Pflanzen oder Insekten gab es schon immer. Doch seit etwa 1980 leidet der Wald an großflächigen Schäden, die überwiegend ältere Bestände und Einzelbäume bestimmter Holzarten befallen. Die Ursachen sind nicht in allen Erscheinungsformen eruierbar, doch die vom Menschen herrührenden Schadstoffe, die intensive Nutzung der Natur und die Veränderung des Klimas spielen zweifelsohne eine wesentliche Rolle. Das ursprünglich befürchtete weitreichende Waldsterben hat nicht stattgefunden, eine Veränderung des Baumbestandes aber sehr wohl.
Die jüngste Bedrohung des Waldes durch das Sterben der Eschen (Eschentriebsterben) wurde als eine Folge der Globalisierung identifiziert, denn sie wird von einer aus Südostasien eingeschleppten Pilzerkrankung verursacht. Als Frächter solcher gebietsfremder und unser Ökosystem gefährdender Organismen gilt der zunehmende internationale Holzhandel, der auch ganze, noch berindete Stämme ins Land bringt.
Die Hietzinger Wälder sind dank der überwiegenden Mischwälder nur punktuell betroffen, in bestimmten Belangen aber sehr wohl: Einerseits ist es unmöglich geworden, die langen Kastanienalleen, die es vor allem im Lainzer Tiergarten gibt, wegen der Schädigungen durch die Kastanienminiermotte zu verjüngen; jetzt werden an ihrer Stelle nur mehr Linden gesetzt. Anderer
Naturschutz in Hietzing. Auszug aus der Wien-Karte © Stadt Wien, ViennaGIS
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seits macht das Eschentriebsterben einen überraschend hohen Anteil dieses Baumes selbst in den Eichenwäldern deutlich.
Der jüngsten Bedrohung folgte nun eine allerjüngste: Die Russrindenkrankheit. Sie betrifft Ahornbäume, unter deren abblätternder Stammrinde großflächig schwarzer „Staub“ zutage tritt. Das ist ein untrügliches Zeichen für den Pilz Cryptostroma corticale. Diese Erscheinung war in Österreich erstmals nach dem trocken-heißen Sommer 2003 bei verschiedenen Ahorn-Arten beobachtet worden und wurde nach dem extremen Sommer 2015 häufiger.
Eschenschlägerung im Wald
um die Hermesvilla.
Die Pilzererkrankung
machte sie notwendig.
Foto vom 13. April 2019
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Mit der Verwaltung des überwiegenden Teiles der Hietzinger Wälder ist die Magistratsabteilung 49 betraut. Seit 2017 führt sie den Sachtitel „Forst- und Landwirtschaftsbetrieb der Stadt Wien“ (davor hatte sie immer wieder das vertraute „Forstamt“ im Titel). Der zuständige Arbeitsbereich innerhalb der MA 49 ist die Forstverwaltung Wienerwald. Sie betreut alle Gemeindewälder vom Leopoldsberg bis nach Kaltenleutgeben, mit wenigen Ausnahmen: Die Wälder auf den Ober St. Veiter Klippenbergen Trazerberg, Girzenberg und Roter Berg sowie auf dem Küniglberg fallen in die Zuständigkeit der MA 42 Stadtgartenamt, der Schönbrunner Schlosspark wird von den Bundesgärten betreut.
Die in den Zuständigkeitsbereich der Forstverwaltung Wienerwald fallenden Wälder von insgesamt rd. 5.100 Hektar sind auf vier Reviere mit jeweils einem Förster aufgeteilt. Von der Reinigungskraft bis zum Facharbeiter werden rd. 80 Menschen beschäftigt. Die mitbetreuten rund 200 baulichen Objekte, von der Weidmankapelle über die Nikolaikapelle bis zur Hermesvilla und der Mauer um den Lainzer Tiergarten machen es notwendig, dass auch Professionisten wie Maurer und Tischler beschäftigt werden.
Oberstes Ziel ist der Schutz der Natur in ihrer Erholungs- und Wohlfahrtswirkung. Doch sind die Hietzinger Wälder trotz der vielfachen Schutzbestimmungen keineswegs ein Naturreservat,
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sondern Gegenstand eines Forstbetriebes. Dieser Forstbetrieb muss natürlich auch wirtschaftlichen Erfordernissen entsprechen, ohne aber die Primärziele zu konterkarieren und die langfristigen Ziele kurzfristigen Interessen preiszugeben. Außerhalb des forstwirtschaftlichen Rahmens steht der seiner natürlichen Entwicklung überlassene Johannserkogel.
Der Wohlfahrtsauftrag und die Bewirtschaftung des Erholungsraumes mit seinen Wegen, den Spielplätzen, der Möblierung und der Abfalllogistik setzt der Wirtschaftlichkeit natürliche Grenzen. Die Forstverwaltung kann ihre Gesamtkosten daher nur teilweise aus eigenen Einnahmen decken. Haupteinnahmequellen sind der Holzverkauf und der Verkauf von Wildbret und div. Pachteinnahmen. Einnahmen aus der Jagd in Form von Abschussvergaben an Jagdgäste sind im Auslaufen. Die Jagd der Zukunft soll die Erhaltung des ökologischen Gleichgewichtes zum Ziel haben und nur durch das eigene Personal (Förster und Forstaufseher) getan werden. Auch die jährlich notwendige Reduktion der Wildschweinpopulation soll möglichst schonend in einer Pirsch- oder Ansitzjagd geschehen. Die Ansitzdrückjagden sind heute nur mehr in geringem Umfang notwendig. Eine Erleichterung brachte die ab 2016 erfolgte generelle Reduzierung des Schwarzwildbestandes. Früher wurde den ganzen Winter gefüttert, jetzt soll nur mehr in Notzeiten gefüttert werden.
Zum ausgeübten Naturschutz gehört angesichts der menschlichen Eingriffe der vergangenen Jahrhunderte auch eine gewisse „Renaturierung“ des Waldes. Die fehlende natürliche Waldstruktur homogener Waldbestände wie zum Beispiel der Eichenwälder macht sie besonders anfällig gegenüber den heutigen Bedrohungen. Eine natürliche Waldstruktur zeichnet sich durch Artenvielfalt, Strukturvielfalt (Jung neben Alt und Totholz) und einer genetischen Vielfalt aus.
Von Passanten oft kritisiert wird die Brutalität, mit der Baumschnitte durchgeführt werden, und die intensive Schlägerung am Wegrand. Der rigorose Schnitt am Wegesrand wird mit den heutzutage drohenden strafrechtlichen Konsequenzen und den Schadenersatzforderungen begründet. Eine vor einigen Jahren gestartete Initiative will die erheblichen Unsicherheiten im Straf- und Haftungsrecht bekämpfen, um das vorsorgliche Fällen und Zurückschneiden von Bäumen einzudämmen. Präventive Eingriffe stehen den vielfältigen Interessen an vitalen und natürlichen Baumbeständen entgegen.
Die Brutalität in der Waldarbeit ist eine Folge des Trends zu schweren Maschinen, der aus Kostengründen kaum vermieden werden kann. Eine Rolle spielt aber auch die weit verbreitete Grundhaltung, den Wald nur als Holzlieferant und nicht als kompliziertes und wertvolles Gesamtökosystem zu sehen. Die Forstverwaltung Wienerwald ist sich dieser Unzulänglichkeit bewusst und versucht gegenzusteuern, vorerst freilich mit Kompromissen. Zu den Verbesserungsmaßnahmen zählen die seit einigen Jah
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ren versuchte Pferderückung (aus topografischen Gründen und wegen des Holzgewichtes ist sie nur beschränkt möglich, derzeit sollen rd. 10 % der Baumstämme per Pferd geborgen werden) und der Einsatz von Seilkränen im steilen Gebiet. Jedenfalls soll das flächige Befahren aufhören und die Holzbergung nur mehr aus Rückegassen in Abstand von 40 Metern erfolgen. Bei einer Kombination aus Pferd und Seilwinden könnten Rückegassen in einem Abstand von 80 Metern reichen.
Manchmal ist auch der Vorwurf zu hören, dass der Wald einer schieren Profitmaximierung geopfert wird, die auch vor gesunden Bäumen nicht halt macht. Letzteres stimmt, denn natürlich werden auch gesunde Bäume verkauft, das ist nun mal eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Forstwirtschaft. Dem Vorwurf der reinen Profitorientierung wird aber entschieden entgegengetreten, denn die Schlägerungen folgen einem forstwirtschaftlichen, über den gesamten Zuständigkeitsbereich gezogenen Plan, der die Renaturierung des Waldes und den Erhalt des Erholungsraumes zum Primärziel hat.
Zugegebenermaßen steht jede organisatorische Einheit heutzutage unter einem erheblichen Kostendruck; dem will man hier allerdings nicht mit kurzfristigem Schöpfen aus den Reserven begegnen, sondern mit bestmöglichen internen Strukturmaßnahmen, insbesondere im Personalbereich. Dass aber auch das zu unliebsamen Ergebnissen führen kann, mag die Installation der pannenreichen Drehkreuze an einem Teil der Eingangstore zum Lainzer Tiergarten beweisen. Darüber hinaus ist es ein erheblicher Qualitätsverlust für den Besucher, wenn ihn niemand mehr an den Toren in Augenschein nimmt und begrüßt oder ihm für Fragen zur Verfügung steht.
Der Hörndlwald ist im Vergleich zu den anderen Wäldern Hietzings in mehrfacher Hinsicht ein Sonderfall:
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stehende Waldgebiet Hietzings ist, hat auch Auswirkungen auf die forstwirtschaftliche Betreuung. Einer der ausschlaggebenden Faktoren für diesen Denkmalschutz ist sein in Wien selten gewordener durchgehender Eichenbestand. Doch damit ist er eigentlich kein Naturdenkmal, sondern ein forstwirtschaftliches Denkmal, denn derartige Eichenwälder können nach den Erkenntnissen zum Beispiel der Pro Silva Austria in unseren Breiten nicht natürlich vorkommen, sondern nur das Ergebnis menschlicher Eingriffe sein. Derart homogene Eichenwälder sind das Ergebnis eines „Schirmschlages“: Eichen neigen in einem Zeitabstand von 3 bis 7 Jahren zu einem gemeinsamen „Mastjahr“, in dem sie besonders viele und auch größere Früchte produzieren. Es sollen mehr Eicheln reifen, als die Fressfeinde verwerten können, und ausreichend Saatgut für eine neue Baumgeneration überbleiben. In einem solchen Jahr wird das Kronendach des Waldes aufgelichtet, damit mehr Licht den Boden erreicht und sich die Jungeichen aus den Samen entwickeln können. Sind die jungen Bäume kniehoch, werden die alten Bäume entfernt. Dieser Vorgang kombiniert mit weiteren Förderungsmaßnahmen führt zu einem derart homogenen Eichenbestand. Zuletzt wurde der Schirmschlag vor ca. 25 Jahren in einem Teil des Hörndlwaldes durchgeführt.
Ein Eichelteppich als Ergebnis des Mastjahres 2018. Fotografiert im St. Veiter Wald am 13. April 2019
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Aus dem Konflikt Erhaltung des Denkmalgeschützten Eichenwaldes versus biologisch angeratene Renaturierung ergibt sich nun zwangsläufig ein Problem für die moderne Forstwirtschaft.
Das Problem veranschaulicht ein Lokalaugenschein: In der oberen Hälfte sind die alten Eichen großteils in einem schlechten Zustand und die Auslichtung war dringend geboten. Hier ist auch in großen Flächen ein Hochkommen des jungen Eichenwaldes zu beobachten. Im unteren Bereich ist der Eichenbestand noch gesünder und auch weniger ausgelichtet. Trotzdem kommt kräftiger Jungwald hoch, allerdings als Mischwald ohne nennenswerten Eichenanteil. Ein gleiches Bild zeigen alle anderen Eichenwälder in Hietzing, innerhalb und außerhalb des Tiergartens, wie zum Beispiel der St. Veiter Wald. Wahrscheinliches Szenario eines zukünftigen Waldes ohne Schutzmaßnahmen für die Eichen sind
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daher einzelne Eichenriesen, die den hochgekommenen Mischwald noch etwas überragen. Reine Eichenwälder und Eichenmischwälder wird es nicht mehr geben (mit Ausnahme des entsprechend bewirtschafteten oberen Hörndlwaldes).
Das ist natürlich schade, denn die Eiche ist ein sehr wertvoller Baum, der auch von der ländlichen Bevölkerung geschätzt
Verjüngungsfläche im Hörndwald. Blick von der Wegkreuzung hinauf Richtung Sportplatz, fotografiert am 13. April 2019
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und gefördert wurde. Über das jagdliche Nutzwild hinaus haben ihre Früchte z. B. die bäuerliche Schweinemast unterstützt, und ihr dauerhaftes Holz wurde für Bauzwecke und andere höherwertige Verwendungen gesucht. Deshalb wurde die Eiche auch außerhalb des Lainzer Tiergartens gefördert und gibt es die dort bestehenden Eichenwälder. Übrigens: Die Eiche bietet auch das wertvollste Totholz. Eine tote Eiche hat mit rd. 1000 die meisten Bewohner, die Rotbuche nur rd. 200.
Es war am 14. April 1919, als der Lainzer Tiergarten erstmals für die Öffentlichkeit geöffnet wurde, also vor über 100 Jahren. Das wurde von der MA 49 eingehend gewürdigt. Ab April 2019 war im Infozenrum beim Laizer Tor die Ausstellung „100 Jahre Lainzer Tiergarten“ zu sehen. Gezeigt wurde die Entwicklung des Lainzer Tiergartens vom privaten Jagdgebiet der Habsburger zum einzigartigen Naturschutz- und Erholungsgebiet, das er heute ist. Während des Frühlingsfestes im April 2019 wurde das Buch „Der Lainzer Tiergarten einst und jetzt“ von Hermann Prossinagg vorgestellt. Es beschreibt sowohl die wechselvolle Geschichte des Tiergartens bis Ende der 1990er-Jahre als auch seine darauffolgende Neuorientierung hin zu einem modernen Naturschutz-, Europaschutz- und Erholungsgebiet mit attraktiven Umweltbildungsangeboten. Das Buch ist um 25 Euro bei der MA 49 oder beim Portier im Infozentrum beim Lainzer Tor erhältlich.
Die unbestrittene Erholungswirkung haben der Tiergarten und die vielen Grüninseln in anderen Teilen Hietzings vor allem wegen ihrer Wälder, die mit ihrer Ruhe und ihren klimatischen Vorzügen ein besonders angenehmes Ambiente bieten. Dement
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sprechend intensiv werden sie auch genutzt. Während die zahlreichen Parks und die Wälder im Siedlungsgebiet Hietzings eher von der hier ansässigen Bevölkerung genutzt werden, wird das Naherholgungsgebiet Lainzer Tiergarten von allen Wienern, aber auch von vielen Touristen besucht. Manche kommen sogar von weit her, etwa um den Japan-Gedenkstein auf der Baderwiese zu sehen.
Es liegt auf der Hand, dass vor allem der besonders geschützte Lainzer Tiergarten mit seinen Wäldern und Wiesen einen unersetzlichen Lebensraum für Tiere und Pflanzen bietet. Solche ursprünglichen Naturräume sind in Europa zur Seltenheit geworden und daher Gegenstand umfangreicher Bestimmungen, die den Erhalt der Artenvielfalt anstreben. Hervorzuheben sind die europäischen Vogelschutz- und Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinien. Sie werden in den Mitgliedstaaten auf Landesebene umgesetzt, in Wien geschah dies durch die Wiener Naturschutzverordnung auf Basis des Wiener Naturschutzgesetzes.
Im Sinne der oben genannten Richtlinien schützt die Verordnung Arten, die sonst nicht mehr anzutreffen sind, oder immer rarer werden und ordnet sie nach ihrem Gefährdungsgrad in „geschützte“, „streng geschützte“ oder „prioritär bedeutende“ Arten. Zu den streng geschützten Arten zählen zum Beispiel alle Fledermäuse, ein Großteil der Vögel, die Schlingnatter, Fische oder der Hirschkäfer. Geschützt werden auch Biotope, die abgegrenzte biologischen Einheiten wie Trockenrasen, Feuchtwiesen oder Teiche enthalten.
Von den Mitgliedsstaaten waren auch Gebiete zu nennen, die Teil des europäischen Natura 2000 Netzwerkes sein können und für die Erhaltung dieser Arten und Biotope am geeignetsten erscheinen. Zu den fünf von Wien gemeldeten Gebieten gehört natürlich auch der Lainzer Tiergarten.
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Quellen:
Interview mit Hannes Lutterschmied, Beiträge von Rudolf Amon, u. a. im Monatsblatt des Vereines für Landeskunde und Heimatschutz von Niederösterreich und Wien 1927, Diplomarbeit von Sylvia Mattersberger aus dem Jahr 1991 (Analyse des Naturdenkmals Hörndlwald, Internetpräsenz der MA 49, Beiträge auf der Plattform www.1133.at
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Morgenlandschaft bei St. Veit bei Wien. Eines der „Tagebuchblätter“ von Wilhelm Steinhausen. Die ersten dieser Bilder entstanden in den Jahren 1896/97, als sich Steinhausen wegen des Auftrages für das Faniteum in Ober St. Veit aufhielt und in der Einsiedelei wohnte. © Verlag für Volkskunst, Rich. Keutel, Stuttgart. Das Bild zeigt die Aussicht von der Einsiedelei zum Roten Berg (links und zum Küniglberg (rechts). Die Landschaft ist weitgehend entwaldet und mit Wiesen bedeckt, nur am höchsten Punkt des Roten Berges gibt es Buschwerk.
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Dieses Foto um 1930 bietet einen Blick ungefähr in die entgegengesetzte Richtung, den Wlassakgraben hinauf mit dem Faniteum links und der Einsiedelei rechts. Dieses Foto ist noch geeignet, die früheren Verhältnisse mit viel Wiesen und wenig Häusern zu veranschaulichen. Die Höhe des Gemeindeberges ist mittlerweile bewaldet. © Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
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Die früher übliche Selbstversorgung basierte natürlich auf Ackerbau und Viehzucht. Die Ackerflächen wurden größtenteils genossenschaftlich genutzt, der Anbau folgte einer bestimmten Fruchtfolge, die gerechte Aufteilung der Flächen erfolgte im Rahmen einer Verlosung. Angebaut wurden Weizen, Roggen, Gerste und Hafer. In Krautgärten wurden Kraut, Kohl, Rüben, Salat, Knoblauch, Zwiebel, Wurzelgemüse und „Greiselwerk“ (das sind Hülsenfrüchte wie Bohnen, Erbsen und Linsen; davon soll sich der „Greißler“ ableiten) angebaut. Direkt an die Höfe der Bauern schlossen Obst- und Gemüsegärten an. Auch die Viehhaltung erfolgte gemeinschaftlich durch einen gedungenen Viehhalter. Rinder, Pferde, Schweine, Schafe, Ziegen und Gänse mussten der Herrschaft „angesagt“ und auf die Weide getrieben werden. Im Wesentlichen dürfte die über den Weinbau hinausgehende Landwirtschaft der Eigenversorgung und der Versorgung der Herrschaft gedient haben. Keines dieser Produkte hat Eingang in wirtschaftsgeschichtliche Darstellungen der Region gefunden.
In weiten Teilen Europas hat sich zunächst der Weinbau griechischer Herkunft etabliert, und auch unsere keltischen Vorfahren haben Wein getrunken. Die Römer verfeinerten die Weinbaukultur und trugen sie noch weiter. Die merowingischen und die karolingischen Könige haben den Weinbau vor allem durch die Förderung der Klöster und der Kirchen gepflegt.
Um 1400 fand der Weinbau seine größte Ausdehnung. In unserer Region war zum Beispiel das Jahr 1442 ein reiches Weinjahr, leere Krüge oder Fässer erzielten damals Wucherpreise. Der Wein aus dem Wiener Raum wurde großteils exportiert, etwa nach Salzburg und Bayern. Um den Bedarf zu decken, wurden immer größere Flächen dem Weinbau gewidmet, natürlich nicht ganz ohne Risiko: 1500 sinkt der Weinpreis auf 2 Pfennig pro Eimer, und „viele sterben, weil sie sich zu Tode gesoffen haben“.
Klimaschwankungen, Konkurrenz durch andere Produkte bzw. Importe schwächten in der Folge den Weinbau; der 30-jährige Krieg vernichtete ihn fast vollständig. Allmählich kam er wieder zur Blüte, aber Trockenheit, Krankheiten und schwerer Frost lösten im 19. Jahrhundert den Rückgang auf die heutigen Gebiete aus.
In seiner langen Geschichte war der Wein nicht nur Ergänzung des Speisezettels, sondern er hatte und hat auch hohe Bedeutung in religiösen und kultischen Handlungen, war wertvoll und – gleich dem Wachs – oft Teil der Entlohnung oder der Abgaben an die Grundherrschaft.
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Quellen:
Schweickhardt, Franz:
Darstellung des Erzherzogthums Oesterreich unter der Ens. 7. Band, 1833.
Sixsey, Stefan:
Unter-Oesterreichischer Land Compass, 1673.
Platt, Margarete:
Fenster in die Vergangenheit, die Flurnamen von Ober St. Veit und Hacking. Wien, 1999.
Twaroch, Franz:
Auch Grundbücher schreiben Geschichte, Ober St. Veit. In: Fenster in die Vergangenheit, Lokalgeschichtliche Schriftenreihe des 13. Wiener Gemeindebezirks, Heft 1/2000.
Holzapfel, Josef:
Historisches Ober St. Veit. Handwerks-, Gewerbe- und Vereinsgeschichte. Wien, Interessensgemeinschaft Kaufleute Ober St. Veit, 2009
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Von den ehemaligen Dörfern Hietzings waren Hietzing, Lainz und St. Veit über viele Jahrhunderte (wahrscheinlich seit ihrem Bestand) Weinbauorte, und daher ist auch ihre Geschichte über lange Zeiträume vom Weinbau begleitet. Die meisten mittelalterlichen Urkunden besitzrechtlichen Inhalts mit Orts-Bezug erwähnen Weingärten. Besitzrechtlich hatten Weingärten einen besonderen Status. Während Äcker fest zu den Höfen gehörten und nur gemeinsam den Besitzer wechselten oder genossenschaftlich genutzt wurden, konnte man Weingärten frei verkaufen, tauschen oder vererben. In guten Lagen waren sie eine lukrative Geldanlage für Bürger, Geistliche und Institutionen auch außerhalb der Region. Daher war nur ein Teil der hiesigen Weingärten im Besitz lokaler Bauern. Auch leiten sich einige regionale Ortsbezeichnungen vom Weinbau ab, etwa Winzerstraße und Neukräftengasse.
Für die Menschen war der Weinbau wesentlicher Teil des Einkommens; die Verdienstkette zog sich vom Grundherrn über den Weingartenbesitzer und die Zulieferer (Stecken, Fässer etc.) bis zum ärmsten Taglöhner, der in den Weingärten Arbeit fand. Letztere wurden an den „Mietstätten“ für jeweils eine Saison zu einem von den Amtsleuten der betreffenden Dörfer einheitlich festgelegten Lohn verpflichtet. Im alten St. Veit war der Platz vor der Kirche eine derartige Mietstätte. Natürlich mussten die Weingärten während der Traubenreife, von etwa Mitte August bis Ende Oktober, auch geschützt werden, das war Aufgabe der von den Dörfern bestellten Weinhüter.
Verkaufte ein Winzer Maische oder Most, so musste sofort eine Abgabe geleistet werden. Etwa ab Martini (11. 11.) kamen die „Weinschreiber“ in die Keller, erhoben die Menge des gekelterten Weines und setzten die Abgabe fest. So wurde beispielsweise 1738 für jeden Eimer (56 l) Wein, der für den Verkauf bestimmt war, 1 Gulden Steuer eingehoben; wenn er für die Familie bzw. für den Haushalt des Winzers bestimmt war, reduzierte sich
Das ehemalige Weinhüterhaus an der Adolfstorgasse vor 1900.
© Bezirksmuseum Hietzing
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der Steuerbetrag auf 40 Kreuzer je Eimer. Der Erlös für einen Eimer St. Veiter Weines betrug damals 3 Gulden 50 Kreuzer, die Steuer betrug also mehr als 25%.
Stefan Sixsey ist mit seinem Unter-Oesterreichischen Landkompass aus dem Jahr 1637 die früheste Quelle, die über den lokalen Weinbau, vom Anbau der Reben bis zur Qualität des Weines Auskunft gibt. Den Wein St. Veits beschreibt konzediert er mittlere Qualität unter denen im Viertel unter dem Wienerwald. Etwa 200 Jahre später beschreibt Franz Schweickhardt in seiner Darstellung des Erzherzogthums Oesterreich unter der Ens (7. Band 1833, S. 55) den Wein in guten Jahren als wohlschmeckenden Gebirgswein“ gewesen sein. Offensichtlich war er aber nicht gut genug, um den hiesigen Weinbau die Fährnisse des 19. Jahrhunderts überleben zu lassen. Trockenheit, die aus Amerika eingeschleppten Pilzkrankheiten und schließlich das Auftreten der Reblaus 1872 vernichteten die Altkulturen. Nur wenige Rieden wurden neu bepflanzt. Die Flächen wurden lieber verbaut oder zur Futtergewinnung für Kühe verwendet, da die Milchnachfrage aus der wachsenden Stadt enorm war.
Am Frühesten verschwand der Weinbau im der Stadt Wien am nächsten liegenden Hietzing. Hier verzeichnete der Weinbau, schon an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert den ersten Rückgang und wich nach der Türkenbelagerung 1683 weitgehend dem Ackerbau. Mit dem Wandel, der mit dem Neubau des Schlosses Schönbrunn und mit der kaiserlichen Hofhaltung einsetzte, verschwand er endgültig.
Die genauere Beschreibung des jeweiligen Weinbaus erfolgt in den Ortsgeschichten.
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Wenig ist über das Auftreten des Gewerbes zu erfahren, aber auch dazu wird vieles der allgemeinen dörflichen Verläufe gelten: Was die Grundherren an gewerblichen Arbeiten benötigten, wurde im Mittelalter auf ihren Herrenhöfen von den Leibeigenen besorgt. Was der Bauer in seinen bescheidenen Bedürfnissen an gewerblichen Erzeugnissen benötigte, stellte er entweder selbst her oder bezog es vom Herrenhof. Später holte er es vom Markt oder aus der Stadt.
Erst allmählich siedelten sich in den Dörfern Handwerker an, die nicht hofhörig waren. Die bäuerliche Bevölkerung begegnete ihnen anfangs zumeist unfreundlich, der Genuss der Allmende (die genossenschaftliche Nutzung der Gemeindeflächen) war ihnen meist versagt, solange sie nicht selbst einen Anteil am Boden hatten. Besonderen gewerberechtlichen Vorschriften unterlagen sie zunächst nicht, es galten die Anordnungen des Grundherrn oder das allgemeine dörfliche Recht, wie es mündlich überliefert oder in den „Taidingbüchern“ oder „Weistümern“ festgehalten war. Erst vom 16. Jahrhundert an, als Dorfgemeinden sich für eine bestimmte Gewerbestruktur einsetzen mussten bzw. über die rein städtischen Gewerbeordnungen hinaus vom Landesherrn erlassene landesweit gültige Regelungen aufkamen, sind gesonderte gewerberechtliche Vorschriften auch in den Dörfern wirksam geworden.
Traditionelle, teilweise schon in den mittelalterlichen Grundbüchern festgehaltene Berufe sind Bäcker, Bader, Fassbinder, Gerber, Fleischhauer, Müller, Sattler, Schlosser, Schmiede, Schneider, Schuhmacher, Tischler, Weber, Wirte und Zimmerer. Von einigen Namen, Adressen und Funktionen (als Geschworene, Richter, Zechmeister etc.) abgesehen, gibt es über sie nur wenig konkretere Überlieferungen. Oft sind sie den Katastrophen (feindliche Heere, Pest etc.) zum Opfer gefallen und ihre Häuser, manchmal nur mehr eine Brandstatt, wurden neu vergeben.
Der Waldreichtum und der Weinbau haben gewerbliche Nutzungen und Tätigkeiten wie Pechsiedereien, Kohlenbrennereien, die Herstellung von Weinstecken und Fassdauben etc. begünstigt. Manche bis in unsere Tage überlieferte Orts- und Hausbezeichnungen, wie zum Beispiel die „Pechhütte“, belegen solche Tätigkeiten. Es muss immer wieder Versuche gegeben haben, die schwierige Lage durch andere als die bisher aufgezeigten Einnahmequellen zu erleichtern. Eine Möglichkeit war die ab Maria Theresias Zeiten geförderte Seidenraupenzucht, leider mit vorherrschendem Misserfolg. Auch müsste es eine „Hausindustrie“ gegeben haben, die der ländlichen Bevölkerung mit Webearbeiten, Korbflechtereien, Knüpfereien etc. schon im ausgehenden Mittelalter einen Nebenverdienst ermöglichte. Die ersten „Fab
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riken“ des 17. und 18. Jahrhunderts waren ebenfalls auf externe Handarbeit angewiesen.
Dennoch blieben die Dörfer – mit Ausnahme Alt-Hietzings – bis ins frühe 19. Jahrhundert Weinbauerndörfer mit relativ wenig anderem Gewerbe. Die dann einsetzende Änderung wurde vom weiter oben beschriebenen Niedergang des Weinbaus, aber auch von andere Faktoren beschleunigt:
Fast nahtlos traten innerhalb kurzer Zeit Gewerbe, Industrie, Fremdenverkehr und die Wohnraumvermietung an die Stelle des Weinbaues und später auch der restlichen Landwirtschaft. Häuser und brach liegende landwirtschaftliche Flächen wechselten den Eigentümer. Fast jedes Haus wurde in mehrere Wohnungen geteilt: die einen für Einwanderer, meist Deutsche aus Böhmen und Mähren, die der niedrigen Preise wegen von Wien und den Vorstädten aufs Land weiterzogen, die anderen für zahlende Sommergäste.
Auf den freien Flächen wurden meist Villen aufgestellt, denn so mancher Sommergast beschloss hier zu bleiben. Es muss ein seltsames Völkergemisch geworden sein, reiche Bürger aus Wien neben armen Zuwanderern aus vielen Teilen der Monarchie und aus allen Berufen. Eine gewisse Teilung ergab sich, denn es entstanden Villengegenden und Massenquartiere, letztere in der Nähe des Wienflusses mit seinen betrieblichen Ansiedelungen. In den alten Siedlungsgebieten mischten sich die alten und die neuen Bewohner.
In St. Veit, der flächenmäßig größten Ortsgemeinde dieser Region, wurde die einsetzende gewerbliche Ansiedlung zunächst vom neuen Siedlungsteil bei der Feldmühle, bald Unter St. Veit genannt, angezogen. 1820 hatten sich dort bereits rund 30 Vertreter der verschiedensten Berufe angesiedelt, darunter ein Arzt, ein Apotheker, ein Färber, ein Glaserer, ein Kammmacher, ein
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Zur Zuwanderung siehe vor allem ab → Seite 492
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Lederer, ein Maurer, ein Schmied, ein Schneider, ein Seiler, ein Wagner und zwei Weber.
Diese Entwicklung und die damit einhergehende Bautätigkeit gewann außerhalb Alt-Hietzings um die Mitte des 19. Jahrhunderts an Dynamik und endete 150 Jahre später – mit konjunkturellen Schwankungen und Unterbrechungen während und zwischen den Weltkriegen – mit der flächendeckenden Nutzung des Bodens durch alle Facetten des Wohnbaues, von genossenschaftlich-sozial bis individuell-luxuriös.
Gewerbe, Industrie, Tourismus und auch die forcierte Milchwirtschaft sollten letztendlich ein Zwischenspiel bleiben. Die ersten Fabriken der Gegend waren nur von relativ kurzem Bestand, „industrielle Flaggschiffe“, wie die Wagenfabrik Rohrbacher und die Färberei Winkler & Schindler, hielten sich zwar länger, waren den unerbittlichen Rationalisierungs- und Standort-Erfordernissen aber ebenfalls unterlegen.
Auch die vielen kleineren gewerblich strukturierten Betriebe verschwanden größtenteils, und das lag nicht nur an wirtschaftlichen Faktoren, sondern an der totalen Landnahme durch den Wohnbau und dessen Qualitätsbedürfnis.
Die Befugnisse zur Ausübung eines Gewerbes sind an die Person gebunden, auf deren Namen der Gewerbeschein oder die Konzession lautet, und können nicht übertragen werden. Abgesehen von wenigen Ausnahmen wie den Vertretungsregelungen und temporären Maßnahmen ist diese privatrechtliche Unübertragbarkeit von Gewerberechten ein wesentlicher Grundsatz in den jüngeren Gewerbeordnungen. Im Folgenden wird eine historische Ausnahme am Beispiel Ober St. Veits beschrieben.
Dabei handelt es sich um die sogenannten „Realgewerbe“, denn diese konnten wie Sachen verkauft, verschenkt, verpfändet und vererbt werden. Sie heißen radizierte Gewerbe, wenn sie im Grundbuch eingetragen und damit wie anderes Zubehör gemeinsam mit dem Haus übertragbar waren, oder verkäufliche Gewerbe, wenn sie vom Eigentümer ganz selbständig übertragen werden konnten. Die Realgewerbe gehen auf jene Zeit zurück, als das Recht auf Gewerbeverleihung insbesondere auf dem Land noch den Grundherrschaften zustand und von diesen als Einnahmenquelle ausgiebig genützt wurde.
Grundsätzlich konnten solche Rechte nur vor dem Inkrafttreten der Gewerbeordnung 1859 erworben werden, denn diese hat die zu dieser Zeit in den Kronländern der Monarchie bereits bestehende Tendenz zur Ausmerzung dieser Privilegien in Form des Verbotes der Neubegründung zum Gesetz erhoben. Ab der Gewerbeordnungsnovelle 1934 waren Realgewerbe nur mehr
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Quellen:
Heller, Emil: Kommentar zur Gewerbeordnung und zu ihren Nebengesetzen. Manz Verlag, Wien 1912.
Heller, Emil: Kommentar zur Gewerbeordung und zu ihren Nebengesetzen. Zweite Auflage, erster Band. Manz Verlag, Wien 1935–1937
Klötzl, Gebhard: Recherche zum aktuellen Stand des Gewerberechts
Gewerbeordnungen 1973 und 1994
Diverse Grundbücher.
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dann gültig, wenn bis zum 1.2.1934 um deren ausdrückliche Anerkennung durch die Gewerbebehörde angesucht worden war; nachher war auch die Anerkennung nachgewiesener alter Rechte nicht mehr möglich. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle war in Wien allerdings kein einziges Verfahren (mehr) anhängig.
Nach der Art ihrer Entstehung wird in alten Kommentaren zu den Gewerbeordnungen folgende Einteilung der Realgewerbe vorgenommen:
Radizierte und verkäufliche Gast- und Schankgewerbekonzessionen werden im Volksmund häufig als „Maria-Theresien-Konzession“ bezeichnet. Der Inhalt dieses Ausdrucks ist allerdings unpräzise, und keineswegs sind damit nur Realkonzessionen aus der Zeit Maria-Theresias gemeint. Manche Gewerbehistoriker bezweifeln überhaupt die Existenz von der Erzherzogin verliehener Realgewerbe.
Abgesehen von der stark rückläufigen Zahl anerkannter Realgewerbe wurde ihre Bedeutung ab 1859 auch wegen des leichteren Zugangs zu vielen Gewerbearten gering. Als in jüngerer Vergangenheit noch relevant wurden nur mehr jene bezeichnet, die das Recht der Ausübung des Gast- und Schankgewerbes beinhalteten. Darüber hinaus ist anzumerken, dass der Besitzer einer Gewerbeberechtigung auch die nach aktueller Gewerbeordnung erforderlichen Befähigungsnachweise haben muss, um das Gewerbe tatsächlich ausüben zu dürfen (z.B. Meisterbrief). Besitzt er das nicht, so kann er das Gewerbe nur durch einen Stellvertreter (Geschäftsführer) oder Pächter betreiben.
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Hier zum Nachlesen auf dieser und der Folgeseite der § 377
der Gewerbeordnung 1973
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Die radizierten Gewerbe mussten im gerichtlichen Grundbuch eingetragen sein, die verkäuflichen Gewerberechte hatte das Bezirksamt in Vormerkbüchern in Evidenz zu halten.
In der Folge sind die im Dienstbuch B Häuserbuch 1845–1880 noch ersichtlichen radizierten Gewerbe für Ober St. Veit angeführt. Angegeben sind Konskriptionsnummer (CNr), heutige Adresse, Bezeichnung der Besitzung, damalige Besitzerfamilien und Anmerkungen:
Demnach war das Ober St. Veit des 19. Jahrhunderts offensichtlich untypisch, denn da gab es keine einzige radizierte Schankgerechtigkeit. Zwei dieser Gewerbe haben die Aufnahme in das um 1880 neu angelegte Grundbuch und in das ab 1981 elektronisch geführte Grundbuch geschafft: Das radizierte Bäckergewerbe in der Einsiedeleigasse 1 (=Hietzinger Hauptstraße 147) und das radizierte Schmiedegewerbe im Haus Diabelligasse 6 / Glasauergasse 36.
Allerdings handelt es sich dabei nur noch um Reminiszenzen, denn die eigentumsrechtliche Zersplitterung und die liberale Gewerbeordnung von 1859 nahmen diesen Eintragungen viel von ihrer rechtlichen oder wirtschaftlichen Relevanz. Allerdings schützten sie deren Inhaber noch lange vor den einschränkenden
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Konzessionserteilungskriterien „Gebietsschutz“ und „Bedarfsprüfung“. Die immer noch fortbestehenden radizierten Gewerbe wurden dann durch § 377 der Gewerbeordnung 1973 mit einer dreijährigen Übergangsfrist zum Auslaufen gebracht. Wenn man innerhalb dieser Frist der Behörde nachweisen konnte, dass das Gewerbe innerhalb der letzten 5 Jahre ausgeübt worden war, konnte man es in ein Personalgewerbe umwandeln, musste dazu aber einen Befähigungsnachweis nachbringen. Die Gewerbebehörden hatten danach in allen Fällen die Grundbuchsgerichte zu verständigen, dass das radizierte Gewerbe zu löschen ist. Bei der Wiederverlautbarung der Gewerbeordnung im Jahr 1994 unterlief den Gesetzesredaktoren ein kurioser Irrglaube: In der Meinung, dass nun die Löschung aller radizierten Gewerbe nach so langer Zeit längst erfolgt sein müsste, erklärten sie den § 377 GewO für gegenstandslos und hoben ihn auf. In Wahrheit sind in Österreichs Grundbüchern immer noch zahlreiche Eintragungen radizierter Gewerbe verstreut, keineswegs nur in Ober St. Veit. Deren Löschung aus den Grundbüchern fehlt nun eine einwandfreie Rechtsgrundlage. Bis zum EU-Beitritt Österreichs (1995) lebten übrigens immer noch der „Gebietsschutz“ und die „Bedarfsprüfung“ fort – diese illiberalen Kriterien waren mit dem EU-Wettbewerbsrecht nicht vereinbar und mussten deshalb weitestgehend aufgegeben werden.
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Die Fabriken entwickelten sich zu den größten Arbeitgebern in der Region. Erste Vorboten waren die Konzentrationen gewerblicher Ansiedlungen in der Nähe von Wassermühlen wie eben der Feldmühle in Unter St. Veit, der Faist- oder Hietzinger Mühle in Hietzing und der jüngeren Neumühle in St. Veit Während die über den eigentlichen Mühlenbetrieb hinausgehende Nutzung der ersten beiden im gewerblichen Bereich verbieb, fällt im Zusammenhang mit der Nachnutzung der Neumühle sehr oft das Word „Fabrik“. Sie lag an der Auhofstraße in Ober St. Veit und hatte die, Konskriptionsnummer 135 (heute Höhe Auhofstraße 118). Sie hatte einen eigenen, bei Hacking aus dem Wienfluss abgeleiteten Mühlbach, der sich in Höhe Preindlgasse mit dem Mühlbach zur Feldmühle vereinigte. Ein Stück von ihm wurde zur Bergenstammgasse.
Andere Betriebe, die von der Kraft des Flusses unabhängig waren – die Dampfmaschinen hatten sie ja zunehmend ersetzt – das Wasser zur Produktion und zum Ablassen der Abwässer dennoch benötigten, kamen flußaufwärts, dem sauberen Wasser nach, auch in unsere Region. Dazu zählten besonders die Textil- und die Lederverarbeitung mit ihrem enormen Wasserbedarf. Als zusätzliche Wasserquelle stand ihnen später auch das Nutzwasser aus der Wientalleitung (dazu siehe ab →Seite 532) zur Verfügung.
Verglichen mit dem Nordufer des Wienflusses, vor allem mit der dichten Industrialisierung in den verkehrsmäßig besser angeschlossenen Orten Rudolfsheim und Fünfhaus (Linzer Poststraße, Westbahn), blieb die Industrialisierung am Südufer geringer und die Umgebung von Schönbrunn überhaupt fabrikfrei. Von 1892 bis 1938 zählten die stark industrialisierten Orte nördlich des Wienflusses ebenfalls zu Hietzing, dann aber nicht mehr und werden daher in diesem Buch – wie alle anderen Aspeke dieser Region auch – nicht beschrieben.
Fabriken, die nicht auf das Flusswasser angewiesen waren, entstanden meist aus zentraler gelegenen Gewerbebetrieben, dazu gehört die Wagenfabrik Rohrbacher.
Die ersten Fabriken der Gegend waren eben jene anstelle der Neumühle, und zwar eine Schokoladenfabrik, eine Zuckerraffinerie und eine Druckfabrik, aber sie waren nur von relativ kurzem Bestand und verschwanden noch im 19. Jahrhundert. „Industrielle Flaggschiffe“, wie die Wagenfabrik Rohrbacher und die Färberei Winkler & Schindler, hielten sich zwar länger, waren den unerbittlichen Rationalisierungs- und Standort-Erfordernissen
Quellen:
Klötzl, Gebhard: Die Fabriken des Wientals. In: Penzinger Museumsblätter Heft 61, 2004
Holzapfel, Josef: Historisches Ober St. Veit. Handwerks-, Gewerbe- und Vereinsgeschichte. Wien, Interessensgemeinschaft Kaufleute Ober St. Veit, 2009
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aber ebenfalls unterlegen und Ende der 1970er-Jahre allesamt verschwunden.
(Auhofstraße 118)
Die oben bereits angesprochene Neumühle war ein Exote in der Region: Alle anderen Mühlen des Wientals stammten aus dem Mittelalter, sie aber wurde von Müllermeister Andreas und seiner Frau Magdalena Mayer um das Jahr 1803 erbaut. Schon die grundbücherlich vermerkte Verpflichtung, dem Mühlbach zur Feldmühle weder Wasser noch Kraft zu entziehen und für Schäden zu haften, deutet das Spannungsverhältnis zwischen den „Neumüllern“ und den eingesessenen Mühlenbetreibern an. Wirtschaftlich dürfte die Neumühle ein „Flop“ gewesen sein (wahrscheinlich war sie schon für damalige Verhältnisse zu klein), denn sie wechselte in den folgenden drei Jahrzehnten viermal den Besitzer, wobei sich der Kaufpreis von 11.400 Gulden auf einen Bruchteil dessen verringerte. Der von 1811 bis 1833 „dienende“ Müller, Herr Michael Pfannel, war initiativ und streitbar und hielt sich am längsten. Er war aber der letzte seiner Zunft in Ober St. Veit und verkaufte an einen Branchenfremden. Der Weg war frei für die erste Fabrik in Ober St. Veit.
1833 erstanden Maximilian Joseph und Franziska Kattner das Areal und errichteten in dem Gebäude der Neumühle eine Schokoladeproduktion. Ab 1835 hatte der Betrieb der Größe wegen eine Landesfabriksbefugnis und war als „k.k. priv. St. Veiter Maschin Chocolade Fabrik M. Kattner“ handelsgerichtlich protokolliert. Nach dem frühen Tod Herrn Kattners im Jahre 1839 wurde über das Vermögen der Konkurs eröffnet und die Neumühle ging auf dem Versteigerungsweg an Herrn Heinrich Wilhelm von Wertheimstein. Im Grundbuch wurde der Kauf allerdings erst 1843 eingetragen, mit einer Frau Regina Simon als Vorbesitzerin schon seit 1836. Den Betrieb wollte die Witwe Franziska Kattner weiterführen, offensichtlich im Mietverhältnis. Nach einem langen Kampf in nahezu auswegloser Situation - sogar die Fabriksbefugnis ging verloren - erhält sie 1845 eine neue, auf sie lautende Befugnis zur Schokoladeerzeugung, protokolliert als „Maschin-Schokoladefabrik Franziska Kattner“. Nach wie vor hatte sie ihren Betrieb im ehemaligen Mühlengebäude des Herrn von Wertheimstein, der dies laut Protokoll zu einem später erörterten Streit um den Mühlbach nur aus „Menschenfreundlichkeit“ so beließ.
Heinrich von Wertheimstein seinerseits erhielt 1839, im Jahr der Ersteigerung der Liegenschaft, eine Landesfabriksbefugnis für eine Zuckerraffinerie in Ober St. Veit und errichtete dafür neue Gebäude. Diese Zuckerfabrik muss eine der ersten in unserer Re
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gion gewesen sein, also ein großes Experiment. Jedoch kann der Betrieb schon angesichts der untauglichen Verkehrsanbindung keine wirkliche Überlebenschance gehabt haben.
Im Februar 1851 waren in der Zuckerfabrik 42 und in der Schokoladefabrik nur mehr 2 Arbeiter beschäftigt. 1853 endeten die Eintragungen im Handelsgerichts-Akt zur Schokoladefabrik. 1859, im Todesjahr des Herrn von Wertheimstein soll auch die Zuckerraffinerie schon lange nicht mehr in Betrieb gestanden sein. Schon vorher, 1848, wurde sie dem Grundbuch zufolge von Baron Salomon Meyer von Rothschild, dem Proponenten des Wiener Rothschildzweiges, erworben und der verkaufte das Objekt 1860 an die Eheleute Jakob und Friederike Minor und - jetzt kommen sie ins Spiel - Johann Kaspar und Barbara Kümmerle. Die Maschinen gab es 1860 noch, sie wurden bis nach dem Verkauf auf der Liegenschaft gelagert, dann abtransportiert.
Eine genauere Chronik der Schokoladefabrik und der Zuckerraffinerie kann auf www.1133.at/Bericht 557 nachgelesen werden.
(Auhofstraße 120)
Die zweite Ober St. Veiter Fabrik entstand auf dem Platz daneben: Als Benjamin Spitzer, Israelit aus Nikolsburg, 1836 die einfache Fabriksbefugnis für Cottondruckwaren verliehen wurde, hatte er schon die Adresse Ober St. Veit Nº (Konskriptionsnummer) 139. Dort hatte er aus der Hutweide der Gemeinde Ober St. Veit das Grundstück zwischen dem Haus Nº 134 und der Mühle auf Nº 135 gekauft und darauf ein Fabriksgebäude errichtet. Der Kauf des Grundstückes wurde 1837 ins Grundbuch eingetragen. Noch 1836 erreichte er die Umwandlung der einfachen in eine Landesfabriksbefugnis (mit der Auflage, nur christliche Arbeiter einzustellen).
1848 erwarb er auch das Haus Nº 134 der Weinhauerswitwe Katharina Banderer. 1849 nahm er seinen Sohn Johann Spitzer als Gesellschafter auf. Berühmter wurde allerdings Daniel Spitzer, der zweite Sohn Benjamins. Der zeigte einen „Offenen, für die Wissenschaften zugänglichen“ Kopf und brachte es zu einem der bekanntesten Wiener Feuilletonisten. Seiner Biografie verdanken wir den einzigen Hinweis über den Erfolg der väterlichen Druckfabrik: Der anfangs gutgehenden Druckerei soll schon ab 1850 ein rascher Niedergang beschieden gewesen sein und nur der schwer gefasste Entschluss, sich von allen Unternehmungen zurückzuziehen, rettete den Vater vor dem Ruin und gänzlicher Verarmung. Das Handelsgericht notiert die Löschung der Firma und das Ende der Befugnis mit dem Jahr 1861. Geerbt haben die Liegenschaft im Jahre 1877 ein Herr Bernhard Spitzer und eine Frau Amalia Löwy, spätere Spitzer.
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Ein paar Details aus dem Geschäftsleben erzählt ein Akt aus dem Gemeindearchiv. Er enthält Protokolle und Entscheidungen zu einem Streit um den an die Zuckerraffinerie des Herrn von Wertheimstein und die Druckfabrik des Benjamin Spitzer grenzenden Mühlbaches. Der Stellenwert des Mühlbaches für die beiden Fabriken ist ungewiss, scheint aber untergeordnet gewesen zu sein. Kraft für eine Maschine konnte daraus nur die Schokoladefabrik auf dem Gelände der einstigen Neumühle gewinnen, denn nur sie hatte das für den Betrieb eines Mühlrades notwendige Gefälle. Die Druckfabrik hatte einen „Pferdegang“ zum Betrieb von Maschinen eingerichtet. Natürlich war das Wasser auch anderweitig verwendbar und könnte für die Zuckerfabrik durchaus wertvoll gewesen sein, tatsächlich dürfte allerdings eher die Ableitung von „Unrath“ im Vordergrund gestanden sein.
Der Streit um den Mühlbach wurde in den Jahren 1849/50 ausgetragen. Heinrich Edler von Wertheimstein hatte Frau Franziska Kattner mit dem Mühlengebäude offensichtlich auch den Mühlbach zur Verfügung gestellt. In ihren Augen überstiegen allerdings die Kosten des Baches den Nutzen bei weitem und sie hatte ihn etwa zwei Jahre vor dem Streit versanden lassen.
Benjamin Spitzer wollte ihn wieder ausgraben und erregte damit den Protest des Herrn von Wertheimstein und der Besitzer der Feld- und der Faistmühle, aus zwei Gründen: Erstens wollte er ein Gefälle von acht Schuh zum Betrieb eines Wasserrades erzielen – das beanspruchte Herr von Wertheimstein als Rechtsnachfolger der Neumühle. Zweitens wollte er das Wasser nicht im alten Mühlbach weiterführen, wo es sich mit dem aus Baumgarten über den Wienfluss kommenden vereinigt hätte, sondern in einem neuen Graben direkt zurück in den Wienfluss – das störte die abwärts gelegenen Mühlenbetreiber, die das Wasser wollten. Hier scheinen auch Neidgefühle im Spiel gewesen zu sein, denn das Versanden hatte niemanden gestört.
Den Streit verwies die Bezirkshauptmannschaft schließlich an die Zivilgerichte, über den weiteren Verlauf steht in dem Akt nichts mehr. Allerdings scheint Herr Benjamin Spitzer das begonnene Projekt fertiggestellt zu haben, denn einer der Pachtverträge zur Herleitung des Wassers über die Hackinger Hutweide datiert aus dem Jahr 1868. Zu diesem Zeitpunkt bestand die Druckerei schon längst nicht mehr.
Die Gebäude der Fabriken waren in viele kleine Wohnungen geteilt zu Massenquartieren für Arbeiterfamilien geworden. Als „Kümmerlhäuser“ und „Spitzerhaus“ gingen sie in die Geschichte dieser Massenquartiere ein, siehe dazu ab →Seite 493.
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(Hietzinger Hauptstraße 119)
Die Familie Rohrbacher stammte aus dem deutschen Böhmerwald. Der älteste urkundlich bezeugte Rohrbacher – Adalbert Rohrbacher – betrieb mit seiner Ehefrau Eva eine Bauernwirtschaft in Hammern bei Eisenstein (Prachiner Kreis).
1832 kam der 1817 in Hammern geborene Josef Rohrbacher nach Wien-Döbling, um dort das Wagnergewerbe zu erlernen. Nachher arbeitete er als Geselle bei der Hofwagenfabrik J. Lohner.
1844 heiratete er Marie Rainer und übernahm das Haus und den Betrieb ihres Vaters, des verwitweten Konrad Rainer in der damaligen Bauernzeile in Ober St. Veit, Haus Konskriptionsnummer 93 (heute Glasauergasse 15). Er vergrößerte den Betrieb um eine eigene Schmiede und nahm den Bau von Stellwägen in Angriff. Die Produktion war auf Anhieb erfolgreich. Für neuartige Wägen mit einem sechssitzigen und einem davon abgeschlossenen viersitzigen Raucherabteil erhielt er sogar ein Patent.
Bald machte das florierende Geschäft eine umfassende Vergrößerung notwendig und Josef Rohrbacher kaufte 1852 einen ca. 4½ Joch großen Grund in der Maria-Theresien-Straße 36 (heute Hietzinger Hauptstraße 119) um 4.000 Gulden. Das Geld wurde ihm von seinem Bruder Georg, einem Brauereibesitzer in Pest, vorgestreckt. Als Erstes wurden das Haupt- bzw. Wohnhaus an der Maria Theresien-Straße und die beiden Seitenflügel gebaut. Eine nicht ganz eingehaltene Baulinie führte zu einem langwierigen Prozess gegen den bauausführenden Baumeister Anton Trillsam (vertreten durch den Wiener Bürgermeister Dr. Anton Zelinka), den Rohrbacher nach 13 Jahren verlor.
Die Fabrik entwickelte sich rasch zu einer der größten ihrer Art in Wien. Mit der Erzeugung von Stellwagen wurde fast eine
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Die Ostseite des großen Fabriksareals. Rechts die Hietzinger Hauptstraße
mit dem Haus Nr. 130
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Monopolstellung erreicht. Unter anderem kam ein eigener 10-sitziger Pferdeomibus mit getrennten Raucher- und Nichtrauchercoupés zu hoher Beliebtheit.
1863 starb Josefs Gattin Marie. Die Ehe war mit 11 Kinder gesegnet, von denen aber 5 noch im Säuglingsalter starben. Die knapp 18 Jahre alte Tochter Caroline Rohrbacher trat gleich nach dem Tod der Mutter in das Geschäft ein und führt bis zu ihrem freiwilligen Rücktritt die Bücher. Die Mutterstelle gegenüber den jüngeren Kindern übernimmt Josef Rohrbachers Schwester, die „Großtante“ Elisabeth Rohrbacher.
Um den Kunden die Finanzierung der Fahrzeuge zu erleichtern, wurde im gleichen Jahr die „Erste Wiener Omnibusgesellschaft“ als Kommanditgesellschaft mit Josef Rohrbacher als einen der haftenden Gesellschafter gegründet. Für die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft konnte trotz potenter Interessenten wie Prinz Rohan und dem Bankhaus Schiller und Lustig das notwendige Aktienkapital nicht aufgebracht werden.
Die Gesamtfinanzierungssumme stieg auf 200.000 Gulden, die Schuldner und anderen Gesellschafter – alles Kunden von Josef Rohrbacher – wurden zahlungsunfähig, und bald konnten die Schwierigkeiten nicht mehr verborgen werden. Die Gläubiger wandten sich an Josef Rohrbacher als einzigen kapitalkräftigen Gesellschafter, und der konnte dem Konkurs nur entgehen, indem er die aufgrund des verlorenen Prozesses fällige Bauschuld an Trillsam nicht beglich. Doch dieser erwirkte die Lizitation (Versteigerung) der Fabrik. Wieder war es das Geld seines Bruders Georg, mit dem Josef Rohrbacher die Fabrik für seine Kinder ersteigern konnte.
1866 gingen die Geschäfte wegen des Krieges mit Preußen sehr schlecht. Außerdem lagerten die an Österreichs Seite gegen Preußen kämpfenden Sachsen nach der Schlacht bei Königgrätz vom 3.7.1866 auch in Ober St. Veit und waren teilweise in der Fabrik einquartiert. Zur Erinnerung wurde die zur Fabrik führende
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Wieder ist ein Stellwagen fertiggestellt und wartet in der Fabrik auf seinen Abtransport.
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Gasse bis 1894 Sachsengasse genannt; heute heißt sie Testarellogasse. Die Beeinträchtigung der Geschäfte durch die politischen Ereignisse hielt bis zum deutsch-französischen Krieg 1870/71 an.
Der folgende Aufschwung wurde vor allem von ärarischen Aufträgen getragen und 1873 war die Fabrik wieder stark genug, um sich an der Wiener Weltausstellung in der neu errichteten Rotunde in voller Konkurrenzfähigkeit zu zeigen. Im selben Jahr wurde wegen der großen Entfernung der Fabrik zum Stadtzent
Im ersten Hof befanden sich das „Comptoir“, Materiallager, Zeichenstube, Tischlerei, Sattlerei, Plattiererei und der Pferdestall. Im Quertrakt befand sich die Lackiererei und die Spenglerei. Im zweiten Hof waren die Maschinenhalle, Schmiede, Maschinenhaus mit Dampfkessel und dem 30 m hohen Rauchfang. In dem später rechtsseitig angelegten dritten Hof waren eine große Waggonhalle und der Holzlagerplatz.
Die Fabrik wurde in den Gründungsjahren ganz patriarchalisch geführt: Die Arbeiter – die „Gesellen“ wie man sie damals nannte – wohnten in den ersten zwanzig Jahren in den Dachzimmern des rechten Seitentraktes und bekamen auch in der Fabrik das Mittagessen, das in der großen Küche des ersten Stockes (der späteren Küche der Wohnung von Caroline und Mathilde Rohrbacher) gekocht wurde. Die Küche besorgten der Reihe nach Marie Rohrbacher, die Frau von Josef Rohrbacher, Elisabeth Rohrbacher (die „Großtante“) und Emilie und Mathilde Rohrbacher (zwei der Töchter des Josef Rohrbacher).
Im Parterre – auf der linken Seite des Hofes war ein eigener Vorbau – befand sich eine „Schank“ als eine Art Greißlerei, in der die Arbeiter Bier, Wein, Würsteln, Butter, Käse und Brot gegen ein eigenes Fabrikgeld, das jeden Samstag bei der Lohnauszahlung in Abzug gebracht wurde, bekommen konnten. Diese Schank wurde von Mathilde Rohrbacher betrieben.
In dieser christlich-patriarchalischen Atmosphäre entstand ein Brauch, wie er sich in der Geschichte der Wiener Industrieunternehmen kein zweites Mal vorfinden dürfte: Die korporative Teilnahme der Arbeiter an der jährlichen Fronleichnamsprozession in Ober St. Veit. Die erste Anregung dazu ging von Mathilde Rohrbacher aus, die durch die Führung der Fabrikschank mit den Arbeitern ständigen Kontakt hatte. Sie streckte einzelnen Arbeitern Geld zum Ankauf eines schwarzen Anzuges vor und brachte es schließlich dahin, dass die Arbeiter korporativ an der Fronleichnamsprozession teilnahmen. Josef Rohrbacher stiftete eine dunkelrote „Gesellenfahne“ mit den Bildern der Namenspatrone (hl. Josef und hl. Maria), die bei jedem korporativen Ausrücken (also auch bei Leichenbegängnissen) mitgetragen wurde. Der Brauch der gemeinsamen Teilnahme am Fronleichnamsumzug hielt sich bis zum Jahr 1916.
Links eine Unternehmens-
beschreibung aus der Geschichte der Familie Rohrbacher
Münzen aus Messing als Fabriksgeld der Firma Rohrbacher. Hier eine Ausgabe zu 3 Kreuzer (Durchmesser 20 mm) aus der Sammlung Erich Heisler. Sie wurden um das Jahr 1868 herausgegeben.
Das Sammeln von Wertmarken aus der Monarchie, die u.a. für Firmenkantinen, Gasthäuser und zu Werbezwecken massenweise geprägt wurden, ist ein eher vernachlässigtes Randgebiet der Numismatik. Sammlern wie Erich Heisler verdanken wir den aktuellen Einblick. In seinem online abrufbaren Katalog beschreibt er auf Seite 27 (Nummer 7) die bekannten Rohrbacher Wertmarken und die dazu auffindbaren Katalog-Beschreibungen (https://wertmarkenforum.de/Downloads/Heisler_Marken_Oesterreich-Ungarn.pdf).
© Erich Heisler
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rum eine „Niederlage“ am Opernring 6 eröffnet. Dieser Niederlage wurde vor allem der Verkauf von Luxuswagen zugewiesen.
1874 schloss Julius Rohrbacher sein Studium an der Technischen Hochschule Wien (Dipl.-Ing. Maschinenbau) ab und trat in das väterliche Unternehmen ein.
Am 21. Juli 1881 langte ein Dampfkessel ein. Er wurde von sechs Pferden gezogen.
Die unermüdliche Arbeit im Geschäft, der vorzeitige Tod der Ehefrau, die große Familie, der vielfache Ärger im Beruf und in der Öffentlichkeit zehrten frühzeitig die Kräfte des „k. k. priv. Wagenfabrikanten“ Josef Rohrbacher auf und er starb am 23. Dezember 1883 im 67. Lebensjahr an „Erschöpfung und Herzerweiterung“. Von da an führten seine Kinder Dipl.-Ing. Julius Rohrbacher, Karl Rohrbacher und Caroline Rohrbacher die Firma „J. Rohrbacher“ als Offene Handelsgesellschaft.
Am 1. Oktober 1884 wurden die Wiener Postpaketwagen eingeführt. Im selben Jahr wurde dem Unternehmen der Hoftitel „k. u. k. Hofwagenfabrik J. Rohrbacher“ verliehen. Die Aufwärtsbewegung der Fabrik und die zeitgemäßen Modernisierungen des Fabrikbetriebes vollzogen sich nach durchaus soliden Grundsätzen. Sie geschahen niemals überstürzt, immer nur nach Maßgabe der eigenen Kräfte. Es war geradezu Geschäftsprinzip, keine fremden, vor allem aber keine Bankkredite in Anspruch zu nehmen. Dieser Grundsatz sicherte dem Unternehmen ein hohes Ansehen. Allerdings stellte die Aufrechterhaltung dieses Prinzips besonders in der Nachkriegszeit die Geschäftsführung vor schwere Probleme, die nur unter Aufbietung aller Kräfte bezwungen werden konnten. 1894 wurde die bisherige Kreuzstraße in Rohrbacherstraße umbenannt.
1895 wurden über das Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie hinaus werden auch viele andere Länder beliefert, z. B. Rumänien, Russland, Ägypten, Persien, Nordamerika, Australien und sogar Java. Auf Grund von Empfehlungen einflussreicher Kunden wurde die Filialfabrik „Erste bulgarische Wagenfabrik J. Rohrbacher“ in der bulgarischen Hauptstadt Sofia errichtet. Zunächst entspreach sie durchaus den Erwartungen, wurde aber wegen der unsicheren Verhältnisse bald wieder aufgelassen.
1898 trat Ing. Richard Krasser (Enkel des Firmengründers Josef Rohrbacher) als Maschinenbauingenieur in das Unternehmen ein. Ab der Jahrhundertwende trat die Erzeugung von „Equipagen“ (Kutschen) immer mehr zugunsten von öffentlichen und ärarischen Aufträgen (Post- und Feldbahnwagen, Omnibus, Möbelwagen, Geschäftswagen aller Art (besonders für die Wiener Molkerei), elektrische Straßenbahnwagen der Neuen Wiener Tramway, Elektrische Bahn Gmunden, Wiener Straßenbahn u. a. m.) in den Hintergrund. In dieser Zeit wurde der Verkaufs- und Schauraum vom Opernring 6 in die Praterstraße 53 verlegt.
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1904 übergab Caroline Rohrbacher ihre Anteile an ihren Neffen Ing. Richard Krasser und schied nach 41-jähriger Tätigkeit aus dem Unternehmen aus.
1906 begann die Geschäftsverbindung mit der neu gegründeten „Kraftfahrzeug Gesellschaft m.b.H.“, der späteren „Österreichischen Saurer-Werke AG“. Dadurch ergaben sich Ergänzungen in der Fertigung von Lastkraftwagen. 1911 folgte Dipl.-Ing. Josef Rohrbacher jun. seinem Vater Dipl.-Ing. Julius Rohrbacher. Der Mitgesellschafter Karl Rohrbacher wurde ausgezahlt.
Schon vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde die Firma mit umfangreichen Heeresaufträgen (Feldbahnen und Fuhrwerke aller Art etc.) bedacht. Während des Krieges bestand der Auftragsstand fast nur aus Kriegslieferungen. Nach dem Krieg erlitt das Unternehmen schwere Rückschläge und die OHG wurde 1920 in eine Ges.m.b.H. umgewandelt.
Als die Weltwirtschaftskrise das Unternehmen erfasste, traten die beiden Gesellschafter Dipl.-Ing. Josef Rohrbacher jun. und Ing. Richard Krasser 1934 ihre Anteile an die „Österreichischen Saurer-Werke“ ab. Die J. Rohrbacher Ges.m.b.H. wurde in deren Konzernverband mit Kommerzialrat Ing. Richard Krasser als Geschäftsführer weitergeführt. Die Liegenschaft blieb noch über 20 Jahre im Eigentum der Familie.
Während des Zweiten Weltkrieges wurde vor allem für die Rüstungsindustrie produziert, u. a. verschiedene Aufbauten für Lastkraftwagen der Saurer Werke. Das Unternehmen hatte zu dieser Zeit 500 Mitarbeiter.
Mit dem Abbruch der Fabrik und der Wohngebäude im Jahr 1976 öffnete sich ein freier Blick auf den Roten Berg. Noch im Jahr 1982 nützte der Circus Royal die
freie Fläche Schrutkagasse/
Meytensgasse hinter dem bereits
errichteten Firmensitz von BASF Österreich. Erst 1986 war das ehemalige Fabriksareal mit der Errichtung von Eigentumswohnungen und dem
Pensionistenwohnheim Trazerberg vollständig verbaut.
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1951 starb KR Ing. Richard Krasser im 77. Lebensjahr und 1960 verkauften die Eigentümer die Liegenschaft in der Hietzinger Hauptstraße. 1969 wurde dort die Produktion endgültig eingestellt, und 1976 wurden Fabrik- und Wohngebäude abgebrochen.
In den Jahren 1977–1979 errichtete BASF-Österreich seinen Firmensitz an der Adresse Hietzinger Hauptstraße 119 und 1986 war mit der Errichtung von Eigentumswohnungen und dem Pensionistenwohnheim Trazerberg in der Schrutkagasse 63 das ehemalige Fabriksareal vollständig neu verbaut.
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(Auhofstraße 152–162)
1863 gründete der aus Mähren eingewanderte Alois Winkler eine kleine Färberei und errichtete die erste Betriebsstätte am Gaudenzdorfer Gürtel. Ca. 1870 wurde als Standort für neue Betriebsanlagen, dem Wasser nachgehend, das Gelände am rechten Wienufer im damals noch abgeschiedenen, dörflichen Ober St. Veit ausgewählt. Der spätere Zukauf mehrer Liegenschaften ermöglichte es, diesen Standort bis zum Ende des Unternnemens zu erhalten. Auch das verbriefte Wasserrecht als wirtschaftlicher Eckpfeiler des Betriebes hatte bis zuletzt Bestand.
Die Firma Winkler wurde zu einem der wichtigsten Arbeitgeber in St. Veit. Viele waren allerdings erst wegen dieser Arbeit hierher gezogen.
1882 schloss sich Alois Winkler mit seinem Schwager Simon Schindler, einem reichen Fünfhauser Fabrikanten, zur Offenen Handelsgesellschaft „Winkler & Schindler“ zusammen. Dieser Zusammenschluss begünstigte den wirtschaftlichen Aufstieg der Fabrik: Von Alois Winkler kam das Know-how, von Simon Schindler zusätzliches Kapital. Als Simon Schindler 1888 starb, wurde seine Witwe abgefunden und von da an war die Fabrik – von den Zwangsmaßnahmen ab 1938 und der Partnerschaft mit dem ÖCI
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Der Bau des neuen Filterturms in einem Gemälde von Adalbert Pilch. Der Blick zeigt vom Hietzinger Kai über die
Fabriksanlage. Im Hintergrund hebt sich schemenhaft die Ober St. Veiter Kirche ab.
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ab 1953 abgesehen – bis zu ihrer Stilllegung 1974 ausschließlich im Besitz der Familie Winkler.
Die Fa. Winkler & Schindler war von der Grundtätigkeit her eine Lohnfärberei von Wolle und Garn, die im Laufe der Zeit je nach Konjunktur den einen oder anderen Geschäftszweig dazu nahm. Während des Ersten Weltkrieges übernahm sie Aufträge des Kriegsministeriums zur Konfektion von Uniformen. Im Lauf der Zeit wurden das Färben und die Appretur von Stoffen zum wesentlichen Unternehmensgegenstand.
1923 verlegte die Familie Winkler ihren Wohnsitz in die von Alois Uzel 1899/1900 erbaute repräsentative Familienvilla in der Kopfgasse in Hietzing. Alois Uzel war der Schwiegervater von Dr. Hugo Winkler sen. und als Schneider mit dem Titel eines k. u. k. Kammerlieferanten für Kaiser Franz Josef, Kaiserin Elisabeth, den Kaiserhof und die Aristokratie in Wien sehr erfolgreich. Der Architekt Hermann Müller hatte die Villa unter Mitarbeit von Oskar Laske sen. und Victor Fiala entworfen.
Die Fa. Winkler & Schindler war drei Generationen hindurch eine prosperierende Textilfärberei. Noch 1968 bot sie in Stellenanzeigen „sichere Lebensstellungen“ an – zweifellos in gutem Glauben, aber die Veränderungen des Marktes und der Umweltschutz führen zu einem nicht mehr leistbaren Investitionsbedarf.
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Die Familie Winkler in einer Fotografie aus dem Jahr 1890: stehend von links: die Söhne Emil, Siegfried und Arnold, Tochter Emma; sitzend von links: Sohn Hermann, Alois Winklers zweite Ehefrau N. Winkler, geb.
Freysperger, Sohn Oskar, der Firmengründer Alois Winkler, die Söhne Hugo sen. und Emanuel, Tochter Pauline. © Familie Winkler
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Daher entschlossen sich die Eigentümer im jahr 1974 zur Stilllegung des Betriebes. Im Dezember 1976 wurde mit dem fünften und modernsten Spannrahmen des Herstellers Krantz in Aachen die letzte Maschine Richtung Karachi abtransportiert. 1978 wurden von der Auhofstraße Nr. 152 bis 166 sämtliche Gebäude abgebrochen und in weiterer Folge eine große Wohnhausanlage errichtet.
Eine umfassende Chronik Winkler & Schindlers ist auf www.1133.at/Bericht 463 nachzulesen. Im Folgenden ein Zeitzeugenbericht aus dem Jahr 2009:
Winkler & Schindler hat kein eigenes Produkt erzeugt. In reiner Lohnarbeit färbten und appretierten wir Rohwaren aus Webereien, Wirkereien und Garnspinnereien nach Markt- und Modebedarf. Dadurch machten wir die unansehnlichen, oft fetzengleichen Stoffe, wie sie zum Beispiel vom Webstuhl kamen, für die Textilindustrie verwendbar. Die Rohprodukte mussten gewaschen, nach verschiedenen Systemen gefärbt und dann appretiert werden. Zur Appretur wurden die Stoffe auf die Nadeln von 26 bis 28 Meter langen Spannrahmen geheftet und mechanisch, chemisch oder thermisch behandelt. So bekam der Stoff Glanz, Form und Festigkeit. Abschließend waren die Stoffe produktgerecht zu verpacken und an die Kunden auszu
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Ein Foto der Belegschaft der Färberei Winkler & Schindler zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In der ersten Reihe sitzt der Firmengründer Alois Winkler (7. von rechts). © Familie Winkler
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Ein Foto der Färberei Winkler & Schindler aus der Zeit, als es (wahrscheinlich statt der Färberei) eine Konfektionsabteilung gab. In ihr wurden vor allem Uniformen für die Armee hergestellt. Hier ist der Nähsaal 3 zu sehen. Das Foto stammt vermutlich aus der Zeit des Ersten Weltkrieges.
© Familie Winkler
liefern. Von den Appreturen ist die Pettycoat-, Knitterfrei- und Plisseausrüstung zu erwähnen.
Für die Produktion wesentlich war chemisch (Härtegrade etc.) gleichbleibendes Wasser. Es wurde dem Wienfluss oder der aus dem Wienerwaldsee gespeisten Wientalleitung entnommen. Hochquellwasser wurde meist nur für sanitäre Anlagen verwendet. Energetisch waren wir autark. Der Strom wurde aus zwei mit überhitztem Dampf betriebenen Turbinen bezogen, teilweise sogar in das öffentliche Netz eingespeist. Die Feuerung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg, der zunehmend dichten Besiedelung wegen, von Kohle auf Öl umgestellt und auch in teure Abluftanlagen investiert. Der alte Schornstein wurde Anfang der 1950er-Jahre durch den markanten Turm zu Filterung der Abluft ersetzt.
Die Rohtextilien wurden hauptsächlich in österreichischen Betrieben erzeugt, besonders eng war der Kontakt mit der Vorarlberger Textilindustrie. Dorthin sind zweimal wöchentlich Lkw mit Anhänger gefahren, um Textilien abzuholen und nach Wien zu Winkler & Schindler zu bringen. Diese Stoffe, Gewirke und Garne wurden nach Fertigstellung über Wunsch des Kunden entweder zurückgeliefert oder in seine Schneidereien in Wien und Umgebung gebracht. Dazu war eine starke Logistik
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notwendig, die den vollen Einsatz aller Mitarbeiter erforderte und auch weitestgehend eingehalten wurde.
Winkler & Schindler arbeitete in Tag- und Nachtschichten, denn es war unmöglich, die meist länger andauernden Ausrüstungsprozesse zu unterbrechen.
Als reiner Lohnarbeitsbetrieb arbeitete Winkler & Schindler fast nur für inländische Kunden. Beschäftigt wurden nach dem Krieg 350–450 Mitarbeiter, von denen viele aus nächster Umgebung (Ober St. Veit, Baumgarten etc.) kamen, ein beträchtlicher Teil aber aus dem restlichen Wien und dem westlichen Einzugsgebiet. Das Stammpersonal waren meist langjährige Mitarbeiter, darunter viele Fachleute auf dem Gebiet der Färberei und Appretur. Auf den Verwaltungsbereich entfielen rund 50 Mitarbeiter. Es wurde früh (1965–70) begonnen, die Verwaltung auf EDV umzustellen. Es gab eine eigene Werkstätte mit der Aufgabe, alle Maschinen, die beiden Dampfkessel, Geräte, Einrichtungen und den Fuhrpark (sechs Lkw etc.) am Laufen zu halten. Für die Hilfsarbeiten wurden in den letzten Jahren kaum noch Inländer gefunden und mussten daher zunehmend Fremdarbeiter beschäftigt werden.
Herr Dr. Hugo Winkler und auch sein Bruder Herr Heinz Winkler waren fast immer im Betrieb anwesend. Dr. Hugo Winkler hat wesentlich dazu beigetragen, passende Behandlungsmethoden für neu auf den Markt gekommene synthetische Textilwaren zu finden. Der Betrieb war gesund, maschinell gut eingerichtet, hatte ein eingespieltes Team und arbeitete sparsam. Jahrelang kam man in der Zweiten Republik gut über die Runden und konnte sogar Substanz aufbauen. Die gute finanzielle Grundlage wurde aber durch weitere Umweltauflagen, den Verlust zweier Großkunden (diese hatten eigene Ausrüstungsbetriebe eingerichtet) und vor allem die färbe- und appreturtechnischen Anforderungen der aufkommenden synthetischen Fasern (Trevira etc.) überfordert. Die notwendigen
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Ein Foto aus dem Jahr 1945. Die Übersetzung der Eintragung auf der Rückseite lautet: „Ein Erinnerungsgeschenk an den Chef der Färberei für die Zeit der gemeinsamen Arbeit in der Fabrik. Leutnant Bozhin 19.6.1945“. Hintergrund war, dass eines Tages ein Offizier (vielleicht der erwähnte Leutnant Bozhin) der russischen Besatzungstruppen – die für den 13. Bezirk vorgesehenen Engländer waren noch nicht im Bezirk eingerückt – Stoffballen zu Dr. Oskar Winkler brachte. Diese sollten für die russische Militärverwaltung dunkelblau („temnosinijy“) gefärbt werden. Die Stoffe waren von den russischen Truppen wahrscheinlich anderswo beschlagnahmt oder sonstwie beschafft worden. Allerdings hatte die Fabrik weder Kohle noch die weiteren notwendigen Rohstoffe (Chemikalien). Außerdem verfügte man über zuwenig Arbeitskräfte. Die russische Militärverwaltung beschaffte die Rohstoffe und stellte sie zur Verfügung. Weitere, von der Wehrmacht entlassene und zurückgekehrte Arbeiter wurden eingestellt, und die Fabrik konnte erstmals nach Kriegsende wieder produzieren (färben). Die Qualität der Rohstoffe war mittelmäßig, aber es funktionierte. Der Auftrag erfolgte vermutlich im Mai 1945 und war am 19.6.1945 offensichtlich erfüllt und übergeben. Parallel dazu wurden Aufräumarbeiten und erste Reparaturen nach den erheblichen Kriegsschäden (Bombentreffer) vorgenommen. Das Foto mit der Belegschaft der Fabrik zeigt Dr. Hugo Winkler (3. von links in der 1. Reihe sitzend) und rechts neben ihm Dr. Oskar Winkler. Anschließend zwei russische Soldaten, von denen einer Leutnant Bozhin sein muss. © Familie Winkler
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Investitionen hätten die Kraft des Betriebes überstiegen, auch die Verlegung an einen anderen Ort wurde nicht als zielführend erachtet. Die Eigentümer entschlossen sich daher 1974 zur Betriebseinstellung und -auflösung. Alle bestehenden Aufträge wurden so weit als möglich abgewickelt. Einem Teil der langjährigen Arbeiter wurden bis zu deren Tod freiwillige Zusatzpensionen ausbezahlt. Teilweise waren sie durch eine Pensionsrückstellung gedeckt, nach finanziellem Verbrauch dieser Rückstellung ergänzte Dr. Hugo Winkler aus seinem Privatvermögen. Nach der Betriebsschließung 1974 gab es über
Die Färberei Winkler & Schindler. Ein stimmungsvolles Foto aus der Auhofstraße Anfang der 1970er-Jahre. Die Autos gehörten Mitarbeitern von Winkler & Schindler, der VW-Käfer ganz links Herrn Prokurist Lhotka (Finanzen). Hinter der stilvollen Häuserfront dehnte sich das große Fabriksgelände aus. © Familie Winkler
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Bezirksvorsteher Dipl.-Ing. Heinz Gerstbach gratuliert Dr. Hugo Winkler im Jahr 2009 zum 100. Geburtstag. © Familie Winkler
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60 Pensionsbezieher, der letzte starb vor etwa zwei Jahren. Bezahlt wurde aus der Winkler & Schindler Unterstützungseinrichtungs-Ges.m.b.H.
(Auhofstraße 84)
Die Gründerpersönlichkeit dieser Fabrik ist der Italiener Giuseppe (=Josef) Bossi, geboren 1811 in Busto Arsizio bei Mailand, das damals zur Habsburgermonarchie gehörte (die Lombardei ging erst 1859 verloren). Er war der Älteste von fünf Kindern einer sehr wohlhabenden Patrizierfamilie, die mit Tuchhandel reich geworden war und auch berühmte Künstler hervorgebracht hatte. 1832 kam er als junger Mann nach Wien, wo er in der Wiener Niederlassung der Mailänder Baumwollfabrik Cavalli eine Anstellung bekam. Danach machte er sich selbständig. Er erhielt von seinem Vater einen Betrag von 30.000 österr. Silberlire als Vorgriff auf sein Erbteil ausbezahlt, das er als Startkapital für eine Unternehmerlaufbahn verwenden durfte. Damit gründete er 1839 in Wien zunächst eine „Kurrentwarenhandlung“, also ein Handelshaus vermutlich nach dem Vorbild der ihm geläufigen oberitalienischen Handelshäuser. Seine wirtschaftlichen Aktivitäten weitete er aber noch aus und versuchte sich gemeinsam mit einem Partner namens Hercule Clerici als Druckfabrikant. Die beiden übernahmen 1844 die abgewirtschaftete Baumwolldruckerei Aumüller, Hackinger Straße 48. 1845 beschäftigte Bossi & Clerici in Hacking immerhin 160 Arbeiter. Hercule Clerici stieg jedoch bald aus - die Gründe dafür sind nicht bekannt.
1849 kaufte er, diesmal ohne Geschäftspartner, den unverbauten westlichen Teil des riesigen Feldmühlenareals und baute dort – nach heutiger Adresse Auhofstraße 84 – eine Fabrik, neben der er 1853 einen weiteren zweistöckigen Neubau mit einem „Fabriks- und Arbeitssaale“ sowie Wohnungen errichtete. Dorthin übersiedelte er seinen Druckbetrieb. Die Bossifabrik beschäftigte damals mehrere hundert Arbeiter. Die Investitionen waren offensichtlich zu gewagt und ein Konjunktureinbruch führte dazu, dass Giuseppe Bossi mit seiner Fabrik 1859 Konkurs anmelden musste. Bossi schaffte es, mit einer provisorischen Fortbetriebserlaubnis den Betrieb zu sanieren, indem er die Stoffedruckerei aufließ und eine Hutproduktion neu etablierte. Erzeugt wurden fortan Filzhüte und Hutstumpen, das waren Rohlinge, die von kleingewerblichen Hutmachern zu Ende verarbeitet wurden.
1888 verkaufte G. Bossi aus Altersgründen den Betrieb an die Firma Miller-Aichholz. Vinzenz bzw. seine Söhne Heinrich und August Miller-Aichholz führten den Betrieb bis 1918 unter der Bezeichnung „Giuseppe Bossi’s Nachfolger“ weiter.
Giuseppe Bossi verstarb am 10.7.1891 im Sanatorium Löw am Alsergrund und wurde auf dem Wiener Zentralfriedhof begraben, wo sein Grab aber nicht mehr besteht.
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1910 hatte die Bossifabrik etwa 700 Arbeiter. 1918 erfolgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Die Produktion in Unter St. Veit wurde 1937 eingestellt. Danach dienten die leeren Firmengebäude noch als militärisch (Bundesheer und Wehrmacht) verwaltetes Lager für Lebensmittel, Uniformen, Stoffe, Öfen (die an Bombenopfer als erste Nothilfe ausgegeben wurden) und dergleichen. Anfang 1939 wurde die Liegenschaft an die Österreichische Realitäten AG und von dieser sehr bald an die Fa. UNIVERSALE verkauft. Nach Abriss der im Zweiten Weltkrieg beschädigten Fabriksgebäude entstand 1965 auf dem ehemaligen Bossi-Gelände das Autohaus Anton Hinteregger und 1982-84 zusätzlich ein BUWOG-Wohnbau.
(Feldmühlgasse 4+6)
1851 gründeten Georg und Anna Weidman in der Feldmühlgasse 6 eine Erzeugung von Ledergalanteriewaren, das heißt handwerkliche Feinverarbeitung von Fertigleder. Georg Weidman war gebürtiger Wiener, der in Klagenfurt die Taschnerei und Sattlerei erlernt hatte und ein geschickter Handwerker war. 1882 wurde das Nachbargebäude Feldmühlgasse 4 dazugekauft.
1894 übernahm Josef Weidman, der 1844 geborene Sohn der Firmengründer das Unternehmen. Der finanzielle Hintergrund hatte ihm ausgedehnte Reisen durch ganz Europa und den Vorderen Orient ermöglicht. Unter anderem erlebte er die Eröffnung des Suezkanals.
Er vereinigte weltmännisches Auftreten mit kaufmännischem Geschick und hatte schon vor Übernahme des elterlichen Betriebes dessen gedeihliche Entwicklung mitgetragen. Er war auf seinem Spezialgebiet, der kunstgewerblichen Herstellung von Modewaren und Ziergegenständen aus Leder (Taschen, Handschuhe etc.), ein Neuerer und Wiederbeleber in einem: Er kultivierte den sogenannten Grolierstil aus Frankreich und dazu die Antiklederverarbeitung florentinischer Art, aufgewertet durch den schon damals unnachahmlichen Geschmack des Wiener Kunstgewerbes, dessen Arbeiter „Feenhände“ besaßen.
Dass er damit weltweiten Erfolg errang, geht unter anderem aus einer Firmeneintragung im Handelsregister und im Wiener Adressbuch – dem „Lehmann“ – hervor, demzufolge er mit seinen Ledergalanteriewaren die kaiser- und königlichen Höfe Österreichs, Brasiliens, Preußens, Spaniens, Griechenlands, Rumäniens und Serbiens sowie Herzöge und Prinzen belieferte.
1869 ehelichte er Julie Braun. Die Ehe sollte kinderlos bleiben und Julie Brauns Schwester Johanna Berg (Mutter Alban Bergs) Universalerbin werden.
Josef Weidman wurde steinreich und eine markante „Gründerzeitpersönlichkeit“ der ausgehenden Monarchie. Den Wohnsitz hatte er in der Hietzinger Hauptstraße Nr. 6 zunächst dem
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berühmten Altwiener Etablissement Dommayer. Dort besaß er eine schöne einstöckige Villa, die zum Gehsteig hin durch ein gewelltes Gitter abgegrenzt war. In einem großen Hof befanden sich die Stallungen für einige der Pferde und eine Remise für Wagen. Der größere Bestand an Renn- und Kutschierpferden und Wagen war jedoch „Stock im Weg“ in Ober Sankt Veit, dem Landsitz Weidmans, eingestellt.
Die Unter St. Veiter Fabrik (Feldmühlgasse 6) wurde von der Fa. E. Merinsky übernommen, die die Galanteriewarenproduktion bis in die Zwischenkriegszeit fortführte. Im ehemaligen Weidman’schen Nebengebäude Feldmühlgasse 4 brachte die PEROLIN-Fabrikations-Gesellschaft die Produktionsstätte für den Perolin-Luftreiniger unter, der bis in die 60er Jahre gerne als Duftstoff in den Kinos versprüht wurde. Da beide Firmen nicht Eigentümer der Gebäude, sondern vermutlich nur Mieter darin, waren, sind die genauen Jahresdaten ihrer Tätigkeit nicht mehr nachvollziehbar. Um 1932 bestanden sie jedenfalls parallel. Das Gebäude Feldmühlgasse 6 wurde in zwei Teilen 1948 und 1972 abgetragen. Das Haus Feldmühlgasse 4 besteht noch und beherbergt einen Teil des Supermarktes SPAR.
(Auhofstraße 25, Fleschgasse 9, Kremsergasse 2)
Gründer der Fabrik ist Samuel Bezalel Flesch, geboren 1801 in Neu Rausnitz in Mähren, wo sein Vater Händler war. Als 18-Jähriger erhielt er vom Staat eine sogenannte Familienstelle verliehen - die Juden genossen damals noch keine Gewerbefreiheit und konnten keine Fabriksbefugnis erlangen. Als „Familiant“ arbeitete er zunächst bis 1832 im Laden seines Vaters Salomon Flesch in Neu Rausnitz, danach arbeitete er bei einem jüdischen Händler in der Wiener Leopoldstadt bis 1839 als Buchhalter. Nach diesen 20 Berufsjahren im wirtschaftlich beengten jüdischen Milieu entschloss er sich offenbar zum Ausbruch aus diesen Verhältnissen. 1838 ließ er seine beiden Söhne Rudolf und Josef im Alter von bereits 12 bzw. 11 Jahren in der Pfarre Leopoldstadt taufen. 1840 trat er selbst aus dem Judentum aus (anscheinend ohne sich taufen zu lassen) und änderte seinen Vornamen in Sigmund Ignaz. Nun genoss er Gewerbefreiheit und erwarb eine Handelsbefugnis, aufgrund derer er in einem ihm gehörenden Haus in der Leopoldstadt im Jahr 1843 eine Handelsfirma eröffnete. In einem nicht mehr genau feststellbaren Jahr zog er im vorgenannten Hause eine kleine Ledererzeugung auf, bekam jedoch auf Grund der engen Verbauung Schwierigkeiten mit der Nachbarschaft. Daraufhin kaufte er in Unter St. Veit mehrere unverbaute Grundstücke außerhalb des damaligen Ortskernes und errichtete 1866 eine ganz neue und vergrößerte Lederfabrik.
Der Fabriksgründer Sigmund Ignaz Flesch nahm der Reihe nach seine Söhne als Mitgesellschafter auf und starb selbst im
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Jahre 1868. Seine Söhne führten die Fabrik in Unter St. Veit weiter.
In den Jahren nach 1870 wuchs die Verbauung des Ortes Unter St. Veit immer näher an das Fabriksgelände heran. Zwischen der Gemeinde und der Firmenleitung gab es immer wieder Konflikte im Zusammenhang mit Ausbauwünschen. Die Geruchsbelästigung war eine arge Beeinträchtigung für die Umgebung, auch fürchtete man die Gefahr von Bränden. Ein Zugeständnis der Firmenleitung war die Wegverlegung der Lohgrube auf eine neu angekaufte Wiese in der Nähe des Wienflusses (heutige Adresse: Fleschgasse 15-17). Auf diesem Grundstück befindet sich jetzt eine 1932 erbaute Wohnhausanlage für Beamte, die hufeisenförmig rund um die alte Lohgrube angelegt wurde, wohl um technische Schwierigkeiten mit dem Bauuntergrund zu vermeiden. 1876 erkauften sich die Flesch die heute noch gültige Gassenbezeichnung Fleschgasse mit einer Spende in die Gemeindekasse.
Die Lederfabrik Flesch blieb insgesamt drei Generationen lang im Besitz der weitverzweigten Familie Flesch, wobei sich nicht alle Nachkommen beteiligten, sondern zum Teil auch abfinden ließen und anderweitig ihren Geschäften nachgingen.
Ab 1898 war Joseph Flesch jun. Alleininhaber des Betriebes. In seiner Person vollendete sich der gesellschaftliche Aufstieg dieser ursprünglich jüdischen und ursprünglich nicht sehr wohlhabenden Händlersfamilie: Er brachte es zu einem reichen und angesehenen Mitglied der „Ringstraßengesellschaft“ der ausgehenden Habsburgermonarchie, war Vorstandsmitglied des Hauptverbandes der Industrie Österreichs, Vizepräsident der Fachgruppe der Lederindustrie, Direktor der Ersten Österreichischen Sparkasse, erhielt 1916 das Adelsprädikat „von“ und ein Wappen verliehen und war Träger mehrerer hoher Orden. 1913 erbaute er das prächtige, spätgründerzeitliche Wohnhaus Kremsergasse 1 mit mehreren Wohnungen. Er starb am 16. November 1928 kinderlos. Mit ihm erlosch die direkte Linie der „Fleschfabrikanten“.
Nun noch der Rest der Firmengeschichte: 1910 brachte Joseph Flesch die Unter St. Veiter Fabrik in eine Fusion mit den Stadlauer Gerlachwerken ein. Es entstanden die „Vereinigten Lederfabriken Flesch, Gerlach & Moritz AG“. Joseph Flesch war am Gesamtbetrieb nur mehr Minderheitsaktionär. Die Produktion wurde von Unter St. Veit wegverlagert, einige jenseits der Auhof- und der Fleschgasse gelegene Betriebsliegenschaften wurden abverkauft. 1940 verkaufte Joseph Fleschs Erbin, seine Nichte Irmgard Weber, die Kernliegenschaft der Unter St. Veiter Fabrik an den Ottakringer Fleischermeister Franz Wiesbauer. Laut Text des Kaufvertrages stand die Fabrik damals schon seit Jahren leer. Wiesbauer baute tiefgreifend um und richtete seine bekannte Wurstfabrik ein, die bis 1995 in Betrieb war. Danach verlegte er seinen Betrieb nach Liesing in einen Neubau. Die Fa
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(Amalienstraße 41)
Alexander Dreyschock bezeichnete seine Firma als „Autowerkstätte und Karosseriefabrik“. Daher sei dieses Unternehmen trotz der eher bescheidenen Größe und der Lehmann’schen Zuordnung zur Gruppe „Transporteure und Mechaniker“ als Nachhang zur den Fabriken beschrieben werden.
Alexander Dreyschock, geb. am 1. Juni 1886 im böhmischen Radonitz, kam mit seinen Eltern nach Wien. Sein Vater wollte nach der Pensionierung als Zuckerfabriksdirektor in Ungarn seinen Ruhestand in Wien verbringen.
Als Wohnsitz kaufte er das Haus Kremsergasse 11. Dieses soll das erste Postamt Unter St. Veits gewesen sein. 1909 erwarb Alexander Dreyschock das Diplom der Königlich Bayerischen Technischen Hochschule in München.
Allerdings dürfte sein Weg nicht immer erfolgreich gewesen sein, wie Zeitungsmeldungen ab 1925 vemuten lassen: In diesem Jahr trat eine A.W.G. Autowerkstätten-Gesellschaft m.b.H. in der Auhofstraße 65 in Liquidation. Geschäftsführer und anschließender Liquidator war Alexander Dreyschock. Dem folgte 1926 eine Neugründung als „Autowerkstäte und Karosserie-Fabrik Alexander Dreyschock dipl. (?) Ingenieur“ zur fabriksmäßige Vornahme von Autoreparaturen, Erzeugung von Autokarosserien und Handel mit Automobilen und deren Zubehör in Wien 13, Auhofstraße 65. Auch diese erlitt Schiffbruch: 1927 gab es ein Ausgleichsverfahren und ein paar Monate später einen mangels Deckung aufgehobenen Konkurs. Als Autoverkäufer scheint er ad personam aber weiterhin auf.
Die nächste Spur ist im Jahr 1948 ist der Kauf eines Drittels des Hauses Amalienstraße 41, wo er eine Automechanikerwerkstätte betrieb. Mithausbesitzer war die Gerberei Feyrer, die ihren Betrieb auf dem Grundstück neben dem Haus hatte. Der Rest diente als Wohnung(en).
Dipl.-Ing. Dreyschock soll sich schon vor dem Zweiten Weltkrieg als Erfinder bzw. Weiterentwickler von technischen Einrichtungen hervorgetan haben. Eine seiner patentierten Entwicklungen war eine Anhängerkupplung, die nach Einschub der Deichsel automatisch einschnappt. Fotos zeigen, wie er sie zur Wiener Messe 1956 präsentierte. In Zusammenarbeit mit Waagner Biro, Gräf & Stift und den Steyr-Werken fertigte er die Kupplungen in seiner Werkstätt in der Amalienstraße.
Im Zuge seiner Pensionierung 1961 verkaufte er seine Patente. Die Anhängerkupplung übernahm die deutsche Firma Rockinger. Die Werkstätte wurde von Franz und Hedwig Smetak übernom
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briksgebäude wurden 1995/96 abgebrochen und das Areal mit Wohnhäusern neu verbaut. Nach Renovierung bestehen blieb nur das ehemalige Fleschwohnhaus Kremsergasse 1
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men, die 1964 auch seinen Hausanteil kauften. Die Werkstätte bestand bis zum Bau des Jugendheimes an Stelle der alten Häuser. Dipl.-Ing. Alexander Dreyschock starb am 17. Juli 1965 im 80. Lebensjahr und liegt am Ober St. Veiter Friedhof begraben.
Genannt werden auch die
(Speisinger Straße 8)
Aus weichem Bandeisen stellte sie Ösen und Schuhaken aller Art her. Das inländische Eisen wurde in Rollen zu je 25 Kg geliefert. In einer Maschine mit Exzenter- und Handspindelpressen wurden die Erzeugnisse halbautomatisch erzeugt. Die halbfertige Ware kam in eine Scheuertrommel und schließlich in die Lackiererei.
(Feldkellergasse 1, später Speisinger Straße 66)
Darüber hinaus gab es in der Speisinger Straße 66 sogar eine Turmuhrerzeugung. Es war die älteste Wiener Turmuhren-Bauanstalt, 1835 von Wilhelm Stiehl und Richard Liebing in Speising, Feldkellergasse Nr. 1 gegründet. Das Titelbild des Kapitels „Speising“ (siehe →Seite 277) zeigt das Haus, in dem sich die Firma Liebing und auch die Hofbäckerei Ambros befanden. Später wurde die Firma in die Speisinger Straße 66 verlegt (siehe Werbeblatt aus 1898).
1923 übernahm Carl Liebing die Firma. Wegen der schlechter gewordenen Auftragslage und der Konkurrenzfirma Schauer musste er das Haus verkaufen und übersiedelte in die Huglgasse Nr. 4 im heutigen 15. Bezirk. Die Firma bestand bis 1950.
In den vielen Jahren ihres Bestehens lieferte die Firma Liebing Turmuhren in zahlreiche Städte und Gemeinden der früheren Monarchie, nach Russland und Italien, wie z.B. nach Lemberg, Passau, Hardegg und nach St. Erhard in Mauer (siehe speising-info, Februar 2014).
Bemerkenswert ist das Heimatmuseum in Berwang im Tiroler Außerfern, in dem die frühere Kirchturmuhr ausgestellt ist, die von der Firma Liebing 1936 geliefert wurde und bis 1982 in Be
Werbeblatt der Firma Liebing
aus dem Jahr 1898
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Im Bezirksmuseum Hietzing ausgestelltes Uhrwerk aus der Turmuhrenfabrik Liebing. Fotografiert am 9. März 2025
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trieb war. Auch für die Hermesvilla lieferte Liebing eine Turmuhr, von der ein Teil des Uhrwerkes im Bezirksmuseum Hietzing ausgestellt ist.
Dem industriefreien Hietzing als Industriebetrieb am nächsten kam die Firma
(Larochegasse)
Die ehemalige Remise der Wiener Allgemeinen Omnibusgesellschaft (heute Gymnasium Wenzgasse) wurde für ein Jahrzehnt zur Niederlage der Ad. Richter´s Steinbaukastenfabrik. Die Herstellung der kleinen Bausteine aus verschiedenen Sanden verursachte werder viel Lärm noch Rauch. Erfunden hatte der Firmengründer dieses „Beschäftigungsmittel“ 1873 in Rudolfstadt. Die Fabrik in Wien entstand 1888. Neben den Baukästen wurden auch Geduld- und rätselspiele in den Handel gebracht. Die Wiener Niederlage war in der Operngasse.
Eine Werbebroschüre des Unternehmens zeigte allerdings eine wesentlich größere Fabrik mit einer Unzahl von rauchenden Schloten. Da ab 1885 in dieser Gegend ausschließlich Villen errichtet wurden ist eine derartige Produktion an dieser Stelle wenig glaubhaft. Jedenfalls werden von dort die Produkte in die ganze Welt versendet worden sein, war doch die Adresse der Fabrik für Österreich-Ungarn: „Hietzing bei Schönbrunn“.
Im Hietzinger Heimatbuch aus dem Jahr 1932, herausgegeben vom Österreichischen Bundesverlag für Unterricht, Wissenschaft und Kunst in Wien und Leipzig, wird die Wanderung durch die Arbeitststätten des damaligen Hietzings mit einem Besuch bei der
(Berghaidengasse)
beendet. Allerdings wer der Betrieb nach dem Ersten Weltkrieg auf die Arbeitskraft des Besitzers geschrumpft. In dieser Zeit soll es einer der wenigen Betriebe Wiens gewsen sein, der sich mit der Herstellung von Tongefäßen befasste. Angesiedelt war er in einem villenartigen Haus. Früher wurde das Malwerk wurde von einer Benzinmotoranlage angetrieben, zuletzt reichte eine Handquetsche zum Feinmahlen des Tones und der Holzdrehstuhl. Die verarbeitete Erde kam aus Inzersdorf und Leobersdorf.
Die uralte Kunst, mit der Hand auf der Drehscheibe den Ton zum Gefäß zu formen, während die Fußscheibe mittels Fersendrucks in ständiger Bewegung gehalten wird, hat sich seit Jahrtausenden nicht wesentlich geändert. Die Blumentöpfe, die auf so einfache Weise hergstellt wurden, mussten einige Wochen an der Luft getrocknet und dann mit einer Glasur überzogen wer
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den. Bei einer Hitze von 900 bis 1200 Grad wurden sie dann im Brennofen gebrannt.
Nach dem Löschen des Ofens dauerte es zwei Tage, bis der „Brand“ ausgekühlt war. Ein solcher „Brand“, die Füllung des Brennofens, bestand aus 10.000 kleinen Blumentöpfen und war bei günstiger Witterung die Leistung eines Monats.
Abschließend noch ein paar Worte zum Bäckermeister
(Am Platz)
Er war aus dem Großherzogtum Baden nach Österreich eingewandert um in Linz das Handwerk zu erlernen und gilt als der Erfinder der Kaisersemmel. Die weißen Brötchen, die er in fünf „Viertel“ teilte, fanden so guten Absatz, dass der Meister bald reich wurde. Die fünf „Viertel“ sollten auf die Viertel Oberösterreichs hinweisen.
Außer dem Haus Am Platz, wo später die Bäckerei German Stumpf das alte Geschäft inne hatte, erwarb er mehrere Häuser in der Maxingstraße, die dann im Besitz seiner Nachkommen waren.
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Hietzinger Zeitung vom
15. September 1905
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Frau Helga Gibs hat es in ihrem 1996 erschienenen Buch „Hietzing – Zwischen Gestern und morgen“, das ja in zahlreiche heimatliche Bücherschränke Eingang gefunden hat, unter der Überschrift „Sprechen Sie Hietzingerisch“ recht amüsant zusammengefasst:
„Wer glaubt, daß Hietzing gleich Hietzing ist, der kann nicht von da sein. Der kennt nicht die feinen Unterschiede zwischen Alt- und Neu-Hietzingern, wobei ein Alt-Hietzinger durchaus nicht einer sein muß, der auch wirklich in „Alt-Hietzing“, sozusagen im Kernland wohnt. Es kann sich auch einer als Alt-Hietzinger fühlen und geben, wenn er etwa in einem der schönen Jahrhundertwende-Häuser an der Hietzinger Hauptstraße ein Stück ober oder unter der Verbindungsbahn daheim ist.
Es sei denn, er wohnt oberhalb vom „Rohrbacher“. (Den gibt es zwar nicht mehr, aber als Ortsangabe lebt er weiter.) Dann aber ist er eigentlich schon wieder kein Hietzinger, sondern ein Ober St. Veiter. Und das ist bekanntlich eine Rasse für sich.
Die, die immer schon „da“ waren, haben es leichter. Ein Hackinger ist ein Hackinger ist ein Hackinger (analog zu Gertrude Steins berühmtem Gedicht „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“). Und Speising mag gar nicht gern mit Lainz und Lainz nicht mit Speising verwechselt werden, obwohl die Grenzen selbst für Ortskundige kaum mehr festzustellen sind. Und die Unter St. Veiter, die über Jahrhunderte hinweg als die „armen Verwandten“ der stets wohlhabenderen Ober St. Veiter galten, haben inzwischen auch ein ganz robustes Selbstbewußtsein entwickelt. ...“
So einfach war die Sache nie, auch nicht zu den Zeiten, als alle damaligen Dörfer bzw. Dorfgemeinden landwirtschaftlich geprägt waren. Für Alt-Hietzing muss man dafür fast 300 Jahre, für die anderen Dörfer rund 200 Jahre zurückschauen. Die Menschen, insbesondere die Bauernschaft war damals noch sehr immobil und Reisen bedurften der Zustimmung des Grundherren. Doch Seuchen und Kriege, wie sie ab → Seite 365 beschrieben sind, erforderten laufenden Zuzug, um leer gewordenen Höfe wieder zu bewirtschaften. Auch Heirat führte zu einem gewissen
Die beiden wohl verbreitetsten Hietzing-Bücher aus dem
Mohl Verlag, herausgegeben
mit Unterstützung von
Stadt und Bezirk
in den Jahren 1977 und 1996
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Austausch. Die Zuwanderer dieser Zeit kamen oft aus der Steiermark, Kärnten oder Tirol, Weinbauern oft aus den Weinregionen Niederösterreichs oder aus Wiener Vororten oder Vorstädten.
Um als Einheimischer alle Rechte zu erlangen, war der Hausbesitz die Grundvoraussetzung, anderen wurden die Nutzung von Gemeinschaftseinrichtungen wie den Viehtränken und der Allmende verwehrt. Um in die Kirchenbücher als „Altansäßig“ oder wenigstens als „Nachbar“, einer oft gebrauchten Bezeichnung für den gut integrierten Dorfbewohner, einzugehen, bedurfte es dann mehrere Jahre, vielleicht sogar einer oder mehrerer Generationen.
Der nun folgende Strukturwandel mit seinen demografischen Verschiebungen wurden schon in den Ortsgeschichten angesprochen. Genaueren Einblick in diese Verschiebungen bietet der Vergleich von Häuserlistungen. Diesbezüglich besonders interesant sind die schon oft genannten Protokolle zum Franziszeischen Kataster 1819/20 – damals waren die meisten Dörfer noch landwirtschaftlich geprägt – im Vergleich zu den Eintragungen in späteren Konskriptionsbögen mit schon weit fortgeschrittenen Veränderungen.
Volkszählungen aus militärischen und steuerlichen Gründen waren zur Zeit Maria Theresias schon fast Routine, die Ergebnisse allerdings meist unbrauchbar. Eine lang diskutierte und im Jahre 1769 unterzeichnete Verordnung sollte den Genauigkeitsgrad dieser Zählungen entscheidend heben, und zwar aus zwei Gründen: Erstens wurde gleichzeitig mit einer neuerlichen „Seelenkonskription“ (Volkszählung) auch eine Häuserkonskription befohlen und zweitens verzichtete man auf die oft schlampige Hilfe der Grundherrschaften. Bald nach der Veröffentlichung der endgültigen Entscheidung im März 1770 zogen daher Kommissionen aus militärischen und zivilen Beamten durch Österreich und Böhmen, um alle bewohnbaren Häuser zu nummerieren und die Bewohner zu beschreiben. Sie erledigten ihre Arbeit zügig, Wien und Niederösterreich wurden von Oktober 1770 bis Oktober 1771 bereist.
Städte, Märkte und jedes Dorf wurden separat erfasst. Die Kommissionen begannen ihre Arbeit entweder mit dem Haus eines Ortes, auf das sie als erstes stießen oder mit einem repräsentativen Gebäude in der Mitte, etwa dem Sitz der Grundherrschaft. Zunächst malte einer der Kommissionsschreiber ein schönes „Nº“ samt arabischer Zahl in schwarzer Farbe über die Tür des Hauses (nur in Wien waren die Nummern rot). Danach trat die Kommission ein und der Sprecher befragte den Herrn des Hauses über Zahl und Zusammensetzung der Bewohner und militärisch verwendbare Zugtiere. Die Angaben wurden soweit möglich mit Extrakten aus den Kirchenbüchern verglichen und in
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Listen eingetragen. Von den aufgemalten Hausnummern sind nur wenige erhalten, eine davon ist die hier abgebildete des Großen Michaelerhofes, Kohlmarkt Nr. 11 (Konskriptionsnummer 1152).
Irgendwann von 1770 bis 1771 muss die Kommission auch – um ein Beispiel zu nehmen – nach St. Veit gekommen sein. Leider sind die Listen dieser ersten Häuseraufnahmen abhanden gekommen und wir wissen daher nicht verlässlich, welchen Weg die Kommission durch das Dorf genommen hat. Die Nummerierung ist in der Folge drei Mal geändert worden, und es bedürfte eines mühsamen Vergleiches der in den Grundbüchern nachträglich angemerkten Konskriptionsnummern, um die Verschiebungen zu erfassen. Die älteste durchgehende Häusernummerierung, die wir heute noch haben, ist die 1819/1820 aus Anlass der Franziszeischen Landesaufnahme erneuerte. Sie unterscheidet sich von der ursprünglichen möglicher Weise durch den Verkauf der grundherrlichen Rechte über einige Liegenschaften nächst Hietzing an das Stift Klosterneuburg (im wesentlichen die Faistmühle und das Gasthaus zum Schwarzen Hahn, ursprünglich Nº 24 - Nº 30, ab 1779 Nº 124 - Nº 130) und die Teilung in Ober- und Unter St. Veit (1771 gab es im Bereich Unter St. Veits vermutlich nur die Feldmühle, 1820 bereits 33 Häuser).
In den 50 Jahren von der Erstkonskription bis zur Franziszeischen Landaufnahme (in deren Verlauf die Häusernummerierung erneuert wurde) haben sich somit nicht nur die Menschen sondern auch die Reihenfolge der Hausnummern geändert. Es scheint aber trotzdem tauglich, den Weg der Kommission auf Basis dieser ältesten verfügbaren Häusernummerierung nachzuempfinden. Einerseits wird sich die Nummerierungsfolge im Kern
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Ober St. Veits nicht wesentlich verändert haben, andererseits ist es reizvoll Namen zu nennen, selbst wenn es sich meist um die Enkeln oder fremde Nachfolger der ursprünglich angetroffenen Personen handelt.
Mit Sicherheit wurde die Kommission von einer Delegation des Dorfes empfangen: Dem Pfarrer, den Dorfobrigkeiten und wahrscheinlich auch von einer Schar Kinder. Ihr aufgeregtes Lärmen begleitete die ganze Amtshandlung und beschleunigte sie sogar, denn das Erscheinen der Beamten war solcherart nicht zu überhören. Die St. Veiter wussten schon aus der Kirchenpredigt von dem neuen Rekrutierungssystem und den bevorstehenden Maßnahmen, trotzdem beäugten sie den seltsamen Vorgang misstrauisch.
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Ober St. Veit im K.K. Kataster, aufgenommen um das Jahr 1820, adaptiert durch das Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen im Jahr 1971. Vor allem wurden statt den Parzellen- und Grundstücksnummer die Häusernummern eingetragen. Die rote Linie markiert den Weg der Beamten, beginnend mit dem Schloss Ober St. Veit.
Auf dem oben abgebildeten Plan ist der eingeschlagene Weg durch die rote Linie markiert. Die Beamten begannen mit dem Erzbischöflichen Schloss (daher Haus Nº 1) und wandten sich über Pfarrhof (Haus Nº 2) und Schule (Haus Nº 3) zur Neustift Gasse, der heutigen Schweizertalstraße Nº 4 und die Häuser auf der rechten Seite (Nº 5–14) waren allesamt Häuser von Weinbauern. Das noch bestehende Haus Nº 14 (heute Schweizertalstraße 18) war das letzte auf dieser Gassenseite. Gegenüber die Nº 15 (es gehörte dem Herrn Puranner aus der bis in die jüngste Geschichte bekannten Weinhauerdynastie) war überhaupt das einzige auf seiner Seite. Die Häuser ab der Nº 16 standen nicht mehr zur Neustift Gasse gewandt, sondern zur damaligen Schulgasse. Erst nach der Einwölbung des Marienbaches bildete diese
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Gasse einen durchgehenden Bogen zur Einsiedeleigasse mit Namen Bognergasse, heute Vitusgasse.
Überall Weinbauernhäuser, erst auf der Maria Theresien Straße (heute Hietzinger Hauptstraße) kamen andere Professionen zur Geltung: Nº 25, das Haus der Anna Maria Nawecker, Fassbinderin, Nº 26 das Haus des Johann Kaiser, Fleischhauer und Nº 27, das Haus des Andreas Seiferth, Wirt. Der kaufte 1823 die Einsiedelei und schuf daraus die bekannte Gaststätte. Ein Unikum muss die Nº 28 gewesen sein, nur 7,50 Quadratklafter (ca. 27 m²) groß, zwischen Marienbach, Maria Theresienstraße und Einsiedeleigasse eingezwängt, soll es dennoch einen Weinhauer beherbergt haben.
Auch dieser Platz St. Veits hatte sich vor und nach dem Besuch der Kommissare stark verändert. Zunächst wegen der neu angelegten Maria Theresien Straße, die schnurgerade vom Marienbach zu den ersten Häusern Hietzings geführt wurde (vorher erreichte man Hietzing via Auhofstraße), der damit verbundenen Einwölbung des Marienbaches und später wegen der Verlängerung dieser Einwölbung. Häuser mussten weichen, neue wurden gebaut. Überlebt hat hier nur das Haus Nº 26 (Hietzinger Hauptstr. 153). An der Überbrückung des Marienbaches muss übrigens auch der heilige Nepomuk gestanden sein, der erst später an seine heutige Stelle an der Firmiangasse versetzt wurde.
Und weiter begleiten wir die Kommissare, die Einsiedeleigasse hinauf und hinunter, auch hier ausschließlich Weinbauern. Die Schlangenlinie der Beamten durch das Dorf war jedoch keine Folge der Gastfreundschaft der besuchten Weinbauern, sondern der kürzeste Weg zu allen Häusern. Im Haus Nº 43, am Eck zur damaligen Feld Gasse (im oberen Teil heute Trazerberggasse), trafen sie den 2. Wirten des Ortes, den „Bestandwirth“ Michael Bergmann und die Feld Gasse weiter unten im Anwesen Nº 47 den einzigen Adeligen des Ortes, Michael Edler von Held. Er mag es als unerhört empfunden haben, nach dem gleichen System wie der einfache Schuhmacher vis à vis erfasst zu werden. Ein Vorbote der Demokratisierung sozusagen.
An der Feld Gasse und dem nachher begangenen Teil der Maria Theresien Straße hatte der Ort bereits begonnen, den Graben des Marienbaches zu verlassen. Das Haus Nº 52 des Bäckermeisters Jakob Hofbauer und die benachbarten Häuser des Hutmachers und des Gradltragers lagen zwar noch am Marienbach, die Nummern 54 bis 70 (ein Wundarzt, ein Schlossermeister, der Schullehrer, ein Weissgeschirrmacher und weitere Weinbauern) ragten aber schon weit ins Veitinger Feld.
Und endlich – schließlich war St. Veit nicht nur ein Weinbauernort – stießen die Kommissare auf die Milchbauern: In der nach ihnen benannten „Bauern Zeile“, noch früher „Pauernzeill“. Zwar waren sie auch hier keineswegs in der Mehrheit, aber alle, die es im Ort gab, waren hier versammelt. Unter ihnen auch Michael Glasauer, der Patron des heutigen Gassennamens. Dazwi
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schen und daneben wieder Weinbauern, aber auch ein Fassbinder, ein Zimmermeister, eine Tischlerin, ein befugter Tandler zu Wien, ein Buchhalter, das Haus des Gemeindehirten und sogar das eines Regierungsrates aus Wien. Die Häuser am Marienbach waren schwer zu „consignieren“: Der Bach mäanderte zwischen ihnen und einmal bildeten sie mit der Bauern Zeile eine Gasse und einmal mit der Hauer Zeile (1770 noch Praittenzeill, heute Firmiangasse). Deren Name passte genau, sie wurde ausschließlich von Weinbauern bewohnt, nur eine Schuhmacherin hatte sich zwischen sie gedrängt und ein Zinshaus der Gemeinde. Ganz oben noch, am Eck zur Maria Theresien Straße, siedelte der Krämer des Ortes, Joseph Pattig; sein Haus bekam die Nº 100.
Das Ende des Beamtenweges war im Haus Nº 126, der Kanzlei des erzbischöflichen Grundherrn samt Meierei und Wohnung des Verwalters. Die Meierei ist als „Vitushaus“ erhalten geblieben. Doch nein, drei verstreute Gebäude weiter außerhalb (und auch außerhalb des Planes oben) mussten noch besucht werden: Das stattliche Anwesen des Wasenmeisters Karl Eder bekam die Nº 127 (heute Angermayergasse 1), die Einsiedelei die Nº 128 und am anderen Ende die Feldmühle die Nº 129. Damit war aber Schluss und es stand fest: St. Veit hatte 129 bewohnte Häuser. So wäre es zumindest gewesen, hätte die Häuserkonskription im Jahre 1820 stattgefunden. Im Jahre 1771 gab es noch zusätzlich die 7 Häuser nächst Hietzing, dafür vielleicht andere, vor allem die auf der projektierten Maria Theresien Straße noch nicht.
Alles in allem war St. Veit ein traditionelles Wein- und Milchbauerndorf mit relativ wenig Gewerbe. Dieses etablierte sich zunächst vorwiegend in der neuen Ansiedelung bei der Feldmühle, die in der Franziszeischen Landesaufnahme 1819/1820 schon als eigenes Dorf behandelt wurde. Die Auhofstraße war im Bereich Ober St. Veits völlig unbesiedelt. Die Gebäude mit den Nummern 130 bis 135 gab es zur Zeit der Erstkonskription noch nicht, sie wurden erst später errichtet.
Damit waren auch schon die Schwächen der Konskriptionsnummern vorauszusehen: Die neuen Häuser wurden chronologisch nach ihrer Errichtung nummeriert, die Nummern zusammengelegter oder abgebrochener Häuser fielen weg. Im Laufe der Zeit war keine Ordnung mehr erkennbar. Umnummerierungen, die wegen der weitreichenden Folgen allerdings sehr restriktiv gehandhabt wurden, halfen nur kurz. 1862 wurden daher zusätzlich die heute noch gebräuchlichen straßenweisen Ordnungsnummern eingeführt, zunächst in Wien. Die Konskriptionsnummern wurden bis zur Umstellung des Grundbuches, die im Jahre 1874 begann, weitergeführt. Dann sind sie langsam verschwunden.
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Quellen:
Protokolle zum Franziszeischen Kataster.
Volkszählungen 1869 und 1880
Gemeindeamtsakten von St. Veit (ausgewertet von Gebhard Klötzl und Josef Holzapfel)
John Michael, Lichtblau Albert: Schmelztiegel Wien einst und jetzt. Zur Geschichte und Gegenwart von Zuwanderung und Minderheiten. Böhlau Verlag, Wien 1990.
Tantner, Anton: Ordnung der Häuser, Beschreibung der Seelen - Hausnummerierung und Seelenkonskription in der Habsburgermonarchie; Dissertation zur erlangung des Doktorgrades der Philosophie aus dem Fachgebiet Geschichte, eingereicht an der Geistes- und Kulturwissenschaftlichen Faktultät der Universität Wien, 2004.
Steinwandtner, Felix: Die Straßen Hietzings. In: Fenster in die Vergangenheit: Lokalgeschichtliche Schriftenreihe des 13. Wiener Gemeindebezirkes. Herausgegeben vom Club 13 - Hietzinger Forum für Politik und Wirtschaft. Wien 1999.
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In den Jahrzehnten nach diesen Häuserkonskriptionen begann eine unwiderstehliche Kraft wirksam zu werden: Die Zuwanderung nach Wien. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts begann sich deren übliches Ausmaß zu ändern, um in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast die Dimension einer Völkerwanderung anzunehmen, unterbrochen nur von den Jahren der Wirtschaftskrise ab 1873. Die Bevölkerung in dem Gebiet des heutigen Wiens explodierte von rd. 0,4 Mio. im Jahre 1830 auf rd. 2,1 Mio. im Jahre 1910 (heute sind es rd. 1,9 Mio.). Die meisten Menschen kamen in dieser Zeit aus Böhmen und Mähren. 1880 waren 38,5 % der Wiener Bevölkerung in Wien geboren und 26,7 % in Böhmen und Mähren.
Folgende politischen und wirtschaftlichen Ursachen waren dafür maßgeblich:
Von den Zuwanderern konnten sich aber nur die wenigsten dieses Transportmittel leisten. Die meisten kamen auf anderen Wegen, viele zu Fuß, das Gepäck tragend oder auf Handwägen. Rund 14 Tage dauerte der Marsch von Böhmen nach Wien, inkl. der Rast- und Bettelzeit.
Verstärkt wurde diese Zuwanderung durch die mondäne Anziehungskraft der kaiserlichen Sommeraufenthalte in Schönbrunn. Diese hatte schon im 18 Jahrhundert zu beträchtlichen Veränderungen in Alt-Hietzing geführt, in der Geschichte dieser Ortsgemeinde wurden sie bereits besprochen. Wenig Platz und hohe Grund- bzw. Mietpreise bewirkten, dass diese Anziehungskraft nun über Alt-Hietzing hinaus auch in die umliegenden Dörfer zu wirken begann. Über viel Platz und niedrige Preise hinaus hatten diese ländlichen Dörfer enorme landschaftliche Reize zu bieten, besonders St. Veit mit seinem Schloss und der barocken Pfarrkirche. Vermögendere Bürger begannen daher, ihre Som
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merfrische in diesen herrlichen Lagen zu verbringen und dort auch Bauplätze zu erwerben.
Diese Dörfer im ländlichen Wiener Umfeld erwiesen sich wegen ihres „Strukturwandels“ als besonders aufnahmefähig. In den Häusern wurden Wohnungen angelegt, die zur Vermietung an Sommergäste oder eben Zuwanderer dienten. Landwirtschaftliche Flächen wurden zu Baugrund. Das Nebeneinander völlig unterschiedlicher sozialer Schichten scheint nicht gestört zu haben, nur eine räumliche Trennung bildete sich heraus: Villen gegen die Berge hinauf und Arbeiterburgen zum Wienfluss hinunter.
Zu den bekanntesten „Arbeiterburgen“ wurden die zuerst geschlossenen Fabriken. Sie wurden zu „Zinskasernen“ für die ärmsten der Zuwanderer. Im Laufe der Zeit übertrugen sich die Namen der Besitzer auf diese Gebäude: Die ehemalige Druckfabrik wurde zum „Spitzerhaus“ (Bernhard Spitzer erbte sie 1877 von Benjamin Spitzer) und die ehemalige Zuckerfabrik wurde zu den „Kümmerlhäusern“ (der aus Württemberg eingewanderte Johann Kaspar Kümmerle und seine aus Fischamend stammende Gattin Barbara hatten sie von 1860 bis 1862 um insgesamt 25.000 Gulden erworben). Die Kümmerles waren sehr vermögende Geschäftsleute und erwarben in der Folge zahlreiche weitere Liegenschaften in Ober St. Veit, Unter St. Veit und den umliegenden Ortschaften bzw. späteren Bezirksteilen. Ein weiter Bereich zwischen Auhofstraße und späterer Amalienstraße ist als „Kümmerlgründe“ (das „e“ von Kümmerl“e“ wurde bald verschluckt) in die Ortsgeschichte eingegangen.
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Einen Eindruck von der Größe der Wohnungen im Spitzerhaus gibt dieser Ausschnitt aus einem Änderungsplan: Er zeigt drei Wohungen im Nordost-Eck des Spitzerhauses: Alle haben eine Küche und ein Zimmer, Gesamtfläche pro Wohneinheit bis ca. 20m2. Die Fläche links (=nördlich) des Gebäudes wird noch als „Maulber Au“ bezeichnet.
Zurück zu den „Zinskasernen“: Die erforderlichen Investitionen hielten sich dem damaligen Standard entsprechend in Grenzen, denn das Wasser gab‘s beim Brunnen, später beim Hydranten und das WC ebenfalls außerhalb des Gebäudes. Stromnetze wa
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Ein Situationsplan aus dem Jahr 1869 anlässlich der Parzellierung der Gründe nördlich der Auhofstraße zeigt die Grundrisse der bestehenden Häuser mit ihrer langen Straßenfront.
Das Spitzerhaus (Auhofstraße 120) im Jahre 1933. Es war Geburtshaus des Ober St. Veiter Heimatdichters Vinzenz Jerabek und rund 100 Jahre lang (von ca. 1860 bis 1958) Unterkunft der armen Leute. Links sieht man einen Teil des 1912 erbauten Hauses Nr. 120a (Elektro Korkisch ist darin) und rechts 2 Fensterachsen der Kümmerlhäuser.
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Blick über die Geylinggasse auf die an die Auhofstraße grenzende, langgestreckte Front der Kümmerlhäuser. Die rote 1 markiert das stadtauswärts angrenzende Spitzerhaus, die 2 den Gebäudeteil mit dem im folgenden Plan beschriebenen Gasthaus und die 3 den Gebäudeteil mit dem Milch- und Kaufmannsladen. Der im Plan beschriebene Schneidertrakt liegt rechts außerhalb des Aufnahmebereiches. Im Vordergrund die Jugend bei ihrer Hauptbeschäftigung: Dem Fußballspielen.
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ren erst ab 1880 im Kommen, zunächst im öffentlichen Bereich und allmählich erst in den Privatwohnungen. Das einzige Erfordernis für jede Wohneinheit war ein Kamin für die Küche.
Das Spitzerhaus war ein kompakter Bau mit geschlossenem Innenhof, der von markanten, balkonähnlichen Gängen in allen Stockwerken umgeben war.
Die Kümmerlhäuser waren – wie schon dem Namen zu entnehmen ist – eine Ansammlung mehrer unterschiedlich hoher Gebäude, teilweise auch aus Holz gebaut. Die Häuser standen um einen unter dem Straßenniveau gelegenen Hof, in den man durch eine große Einfahrt aus der Aufhofstraße hinunter gelangte.
Die Front der beiden Mietobjekte, war lang und reichte von der noch nicht gewesenen Testarellogasse stadteinwärts bis fast zur Höhe des Preindlsteges. Von dort an trennten Wiesen vom nächsten, damals noch nicht zusammengewachsenen Dorf.
Dieser Plan zeit die Anordnung der Kümmerlhäuser und gibt einen Eindruck ihrer Nutzung.
Blick in den Hof der Kümmerläuser. Links im Bild die beiden an die Auhofstraße grenzenden Häuser mit dem kleinen Gastgarten dazwischen, rechts der niedrige Gebäudeteil, in dem auch die Familie Dolleisch wohnte und dahinter, in der Mitte des Bildes das an das Spitzerhaus angrenzende Wohnhaus.
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Ihre Größe ließ die Häuser zu „Regulatoren für die Wohnungsnot“ werden, wie es der bekannte Ober St. Veiter Heimatdichter Vinzenz Jerabek ausdrückte. Wenn nirgends eine Wohnung zu haben war, in einem der beiden Häuser konnte man immer eine
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Die Bewohner aller Häuser
Ober St. Veits laut Volkszählungen 1869 und 1880 können auf www.1133.at
unter Angabe der Adresse ermittelt werden.
bekommen. Die Besiedelung muss gleich nach dem Ende der Fabriksära begonnen haben.
Den Konskriptionsbögen zur Volkszählung 1880 kann die Zusammensetzung der Bewohner in den beiden Häusern entnommen werden. Der Durchschnitt von 6 Personen pro Wohnung im Spitzerhaus gibt einen Eindruck von der Wohndichte.
Richtige Ober St. Veiter waren in den Häusern kaum zu finden. Bei den in Ober St. Veit geborenen Bewohnern handelt es sich fast ausschließlich um die hier geborenen Kinder der Zuwanderer. Außerdem kamen die Menschen nicht direkt nach Ober St. Veit, sondern immer erst nach einer oder mehreren Zwischenstationen in den Wiener Vorstädten und Vororten.
Anhand der Geburtsorte der Kinder lässt sich vor allem bei kinderreichen Familien der Weg dieser Wanderung nachvollziehen: Zum Beispiel anhand des aus Mähren eingewanderten Ehepaares Fabian und Barbara Ferenz. Fabian, von Beruf Weber, war Hausbesorger im Spitzerhaus, seine Gattin führte den Haushalt und übernahm Handarbeiten. Das erste Kind kam 1862 noch in Mähren zur Welt, das zweite 1868 in Meidling, das dritte 1870 in Wieden und das vierte 1878 in Ober St. Veit. Oder anhand der Familie Augustin und Wilhelmine Berger aus Mähren; er war Zimmermannsgehilfe und sie Wäscherin im Taglohn. Das erste
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Kind kam 1863 in Baumgarten zur Welt, das zweite 1867 in Hütteldorf und das dritte 1878 in Ober St. Veit. Manche der Familien blieben und wurden zu „waschechten“ Ober St. Veitern, andere zogen auf der Suche nach Arbeit oder günstigerer Unterkunft weiter.
Als Berufe wurden meist Taglöhner und Fabriksarbeiter bei den Männern, Handarbeiterin, Wäscherin, Näherin oder Dienstmagd bei den Frauen angegeben. Es wurden auch Handwerke wie Zimmermann, Tischler, Wagner, Schmied, Seiler, Sattler oder Schuhmacher als Berufe genannt und in manchen Fällen bei einem Meister oder in der Fabrik ausgeübt. Oft mussten sich diese Fachleute allerdings mit angelernten Tätigkeiten oder Hilfstätigkeiten in den Fabriken beim Stofffärben und -bedrucken oder beim Lederzurichten begnügen. Sehr zahlreich waren die Hut- und KappenmacherInnen, offensichtlich bedingt durch die nahegelegene Hutfabrik Bossi. In ihrem Gewerbe selbständig tätig waren (außer den weiter unten genannten) nur die Witwe des Seilermeisters Hinterleitner, die Gesellen, Gehilfen und Lehrlinge in dieser Profession beschäftigte, ein Schlossermeister, ein Federschmückerfabrikant und - einige Hausierer.
In einem jedoch unterschieden sich die Kümmerlhäuser wesentlich vom Spitzerhaus: Während im Spitzerhaus nur fremde Mieter aus meist einfachsten Verhältnissen lebten, logierten in den Kümmerlhäusern auch reiche Leute. Allen voran in der „Wohnung Nr. 1“ (es muss sich dabei wohl um ein ganzes Haus gehandelt haben) die Familie Kümmerle mit ihren drei Kindern. Herr Kümmerle gab als Beruf Haus- und Realitätenbesitzer an, war aber auch „Großfuhrmann“. Er hatte 18 Pferde im Haus untergestellt und beschäftigte 1 Kutscher und 9 Pferdeknechte. Der älteste Sohn Johann Kümmerle war bereits als „Lederzurichter“ im gleichen Haus selbständig tätig.
Die nächste Besonderheit in den Kümmerlhäusern war die beträchtliche, ebenfalls auf dem Areal untergebrachte Milchmeierei des Carl und der Maria Seeböck. Sie stammten vermutlich aus einer Penzinger Milchmeierfamilie. 37 Kühe, 3 Pferde und 6 Schweine besaßen sie und 8 Leute standen in ihren Diensten, darunter 3 Schweizer (Schweizer=Pächter oder Leiter einer Meierei).
Aus den bisher genannten Namen lässt sich Deutsch als die Umgangssprache der Zuwanderer annehmen. Und tatsächlich: In der Volkszählung 1880 gaben die in Ober St. Veit wohnhaften Personen ausnahmslos Deutsch als Umgangssprache an.
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Das Leben in den Kümmerlhäusern wird nach einem Text von Frau Wilhelmine Helmich und Angaben von Ernst Presch nachempfunden.
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Eine Beschreibung des Lebens in diesen Häusern blieb vielen Zeitzeugen in Erinnerung: Uralte Schaluppe, Wanzenburg, schon immer eine Ruine und zu allen Zeiten ein Kinderparadies.
Niemand bezweifelte die Kläglichkeit dieser Mietunterkünfte, die nur als Notlösung vor einer besseren Zukunft erträglich sein konnte, und doch mischte sich in fast jede Darstellung die Sehnsucht zurück nach diesen Zeiten. Natürlich war hier die „Alte Zeit“ mit im Spiel, die schon grundsätzlich für „Gut“ erklärt wird, denn die mühelosen Jahre der jungendlichen Vitalität schneiden im Vergleich zu den späteren Jahren ganz zwangsläufig besser ab.
Aber die Kindheit in den Kümmerlhäusern war schon ein Kapitel für sich. Eingebettet in unzählige Freundschaften, zahlreich genug für ein ganzes Fußballturnier, das Land voll unbeengter Abenteuer, die Menschen voller Geschichten. Ein Hemd, eine Hose, eine Jacke, ein Paar Schuhe, das reichte für das ganze Jahr, alles x-mal geflickt und die Schuhe manchmal nur Patschen aus irgend einem Gummi. Selbst Hunger war ein Fremdwort, schon die Natur sorgte reichlich und tat sie es nicht, dann halt die Eltern. Deren harte Arbeit und Entbehrungen wurden kaum bewusst, genauso wenig, wie die Armut insgesamt. Ganz im Gegenteil, schon das kleinste Geschenk wurde zur Sensation. Ein Stoffbündel, einer Puppe ähnlich, beflügelte die Phantasie und beschäftigte für Stunden. Ein Ball, selbst eine jämmerliche Wuchtel, wurde zum Statussymbol und brachte Schwung in eine ganze Horde. Irgendwann nannte sich die Horde Fußballmannschaft und reüssierte auf der Baumgartner Wiese. Ein gutmütiger Mäzen organisierte Leiberl und vielleicht auch Fußballschuhe und da stand er dann, der Bub, auf Wolke sieben. Daran änderte auch das Blut auf den Fersen nichts oder der abgefallene Zehennagel.
Langsam schlitterte man in den Ernst des Lebens. Mit einigen meinte Fortuna es ganz gut, sorgte für eine passable Lehre oder gar eine höhere Schulausbildung, sozialen Aufstieg inklusive, andere aber übersah sie oder schickte sie gar in den Krieg. Was blieb war die Erinnerung an die tolle Kindheit und jeder durfte sie teilen. Und wehe, irgend jemand äußerte sich abfällig über die Wanzenburg oder stellte gar die Rechtschaffenheit der Bewohner in Zweifel, der konnte was erleben! Gleich erfuhr er, der Laffe aus der besseren Gegend, wer gut ist und wer nicht und dass er sich auf seine Geburt als „Besserer Bürger“ gar nichts einzubilden brauche. Unvorteilhaftes über die Bewohner der Kümmerlhäuser durften nur sie selbst äußern, ihre Erwerbsmethoden nur sie in Kenntnis der Umstände beurteilen. Und ob dieses oder jenes fesche Mädchen sich etwas dazuverdiente, ging überhaupt niemanden etwas an.
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Viel gäbe es auch über die erwachsenen Bewohner der Häuser zu erzählen; sie waren ein bunt gemischtes Völkchen, zusammengewürfelt aus den verschiedensten Gegenden und Gründen. Manche waren schon heimisch andere mehr oder minder „Auf der Durchreise“. Sicher gehörten nicht alle Bewohner zur ärmsten Schicht, so wie beileibe nicht alle Wohnungen nur dem niedersten Standard entsprachen. Manche waren durchaus geräumig und wohnlich, meist waren es die Wohnungen im ersten Stock, einzelne Gebäudeteile dürften sogar Zu- oder sogar Neubauten jüngeren Datums gewesen sein. Das Wasser und auch das Klo irgendwo draußen waren damals nicht unüblich, und der einfache Waschtisch samt Wasserkanne und Kübel eine gewohnte Ausstattung. Dieses „Damals“ lässt sich kaum eingrenzen, einerseits drang der Fortschritt nur sehr zögerlich in die Kümmerlhäuser und andererseits vermischen sich hier die Erinnerungen verschiedener Generationen. Die folgenden Menschenbilder fallen in die Spanne von der Gründerzeit gegen Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Abbruch der Häuser im Jahre 1963.
Da war zunächst die Frau „Generalin“. Sie wohnte im „Schneidertrakt“, dem ein schöner Garten mit uralten, schattigen Bäumen zugehörte. Durch ihre bevorzugte Stellung blieb sie den Menschen in lebhafter Erinnerung, ohne jedoch genaueres über sie zu wissen. Generalin war sie offensichtlich nach ihrem verstorbenen Mann, einem richtigen General, aber auch ihr Auftreten dürften diesen Titel gerechtfertigt haben.
Respektiert wurde sie von allen Hausgenossen, aus althergebrachter Autoritätsgläubigkeit oder tatsächlicher Achtung, die ihr selbst marxistisch inspirierte Mieter entgegenbrachten. Niemals wurde sie mit einem bösen Wort bedacht; selbst die tiefe Trauer, in der sie ihrem längst verstorbenen Gatten, dem Herrn General nachhing und die schwarzen Kleider, die sie seit seinem Tode nicht mehr ablegte, blieben ohne Spott. Recht ungewöhnlich, denn tiefere, um Ausdruck ringende Empfindungen waren dem Menschen recht fremd und das Spötteln war (und eigentlich ist) der Kommentar für alles, was eigene Worte und Werte nicht mehr zu reflektieren vermögen.
Das Ungewöhnliche an ihr soll vor allem die weibliche Mitbewohnerschaft gefesselt und ihr eine fast mythische Gestalt verliehen haben. Profaner nahmen es die Kinder, wenn sie ein Stück Schokolade erhielten, aber selbst sie erinnerten sich aller erzieherischer Maßnahmen und grüßten und dankten recht artig.
In Erinnerung blieb auch ein ehrsamer Wäscher im gleichen Gebäudekomplex. Die stets zwischen Einfahrt und Haus herumstehende Bottiche und Holzschaffeln ließen keinen Zweifel an der Zunft des Meisters aufkommen. Seine schlohweißen Haare, der graue oder braune Schurz, die eigentümliche Gelassenheit seiner Bewegungen und seine Wortkargheit machten ihn zu etwas Besonderem. Es umgab ihn etwas geheimnisumwittertes, das den braven und fleißigen Mann in mancher Augen sogar in
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biblische Nähe rückte. Dennoch soll er durchaus irdisch Werner Mitterbacher geheißen haben.
Im gleichen Haus dürfte noch eine Arbeiterfamilie gewohnt haben, bedacht mit reichem Kindersegen. Jedes Jahr schien der Segen weiter gewachsen zu sein. Alle hübsch, leichtsinnig und etwas verschlampt, echtes Wiener Armeleuteblut der Vorkriegszeit. Die reich gefüllte Schüssel der Frau Generalin dürfte besonders in den Jahren des ersten Weltkrieges von Bedeutung gewesen sein.
Gegenüberliegend (im Plan auf →Seite 495 oberhalb des Schneidertrakts) befand sich der Trakt mit dem offenen Stiegenhaus. Eines der bekanntesten Fotos aus den Kümmerlhäusern zeigt es, wohl dekoriert mit kinderreichen Familien. (Siehe das Foto rechts). Berichtet wird aber nur von einem alleinstehenden Herren, der dort eher zurückgezogen lebte. Gerne stand er auf der Vorveranda des offenen Stiegenhauses, den Blick über die spielenden Kinder hinweg in eine Ferne gerichtet. Er schien dort etwas geahnt zu haben.
Unter dem Stiegenhaus, gleich neben dem Tor zur Gstetten Richtung Amalienstraße, die zu betreten manchen Kindern verboten war, hauste verlassen und vollkommen vereinsamt eine uralte Frau. Mit ihrem gebeugten Rücken, den weiten grauen Röcken, dem stets um die Schulter geschlungenen Schal, einem tief in das hakennasige Gesicht gezogenen Kopftuch und dem Stock, auf den sie sich immer stützte, glich sie exakt dem Märchenbild einer Hexe. Da musste auch der Tag kommen, an dem sie von den Kindern wahrhaftig für eine solche gehalten wurde, und sie konnte sich bald des Haufens sie umschwirrender und spottender Gassenkinder nicht mehr erwehren, mochte sie ihren Stock noch so drohend gegen sie schütteln.
Aber der Unfug wurde von den Erwachsenen nicht lange geduldet und erfolgreich eingestellt. Oder war es doch die Scheu vor einer echten Hexe, die die Kinder wieder auf Distanz gehen ließ?
In einem anderen Gebäude, eingesäumt von dem zweiten Garten, war ein Milch- und Kaufmannsladen der Familie Schwarzer, zu dem auch eine in kleinbürgerlicher Behaglichkeit eingerichtete Zweizimmerwohnung gehörte. Der nette und reinliche Laden faszinierte durch den Überfluss der zu kaufenden Sachen. Mehr als der Geldbeutel der Bewohner jemals gestattete. Eine stets „ganserlgelb“ geriebene Holzstiege mit gleich gelbem etwas wackeligem Geländer führte hinab in das Schlaraffenland, in dem man außer Mehl, Milch und Zucker nicht nur so wie heute die guten Neapolitanerschnitten, Schokolade, saure Zuckerln, des Winters Christbaumstücke und des Sommers selbst bereitetes frisches Eis gegen einige Münzen einhandeln konnte, sondern auch bunt gefärbten Erdäpfelzucker, türkischen Honig und nicht zu vergessen den zur Geißel gebundenen kohlschwarzen Bärenzucker. Die um die Krampuszeit auftauchenden lustigen
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Eines der bekanntesten Fotos aus den Kümmerlhäusern zeigt es wohl dekoriert mit kinderreichen Familien. Berichtet wird aber nur von einem alleinstehenden Herren, der dort eher zurückgezogen lebte. Gerne stand er auf der Vorveranda des offenen Stiegenhauses, den Blick über die spielenden Kinder hinweg in eine Ferne gerichtet. Er schien dort etwas geahnt zu haben.
Der oben gezeigte Stiegenaufgang in einer zweiten Darstellung. An ihm vorbei kam man durch den Torbogen zur „Gstätten“ hinter den Kümmerlhäusern, Richtung Amalienstraße.
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Bockshörnderln bereicherten auch den dürftigen Gabentisch und durften kein Jahr fehlen.
Im Stockwerk des gleichen Hauses, wenn auch nicht mehr andauernd, wohnte die Frau Kümmerle selbst. Die Stellung als Hausbesitzerin allein sicherten ihr Ruf und Ansehen. Von ihrem reich beschickten Gabentisch dürfte hie und da auch etwas für die ärmeren Kinder abgefallen sein. Eine nette Arbeiterfamilie und eine alleinstehende hochblonde, etwas exzentrisch veranlagte junge Dame ergänzten die Bewohnerschaft dieses Gebäudeteiles.
Aber auch der Garten neben dem Haus beherbergte eine interessante Mietpartei. In ihm gab es jedes Jahr im Sommer eine Schildkröte. Sie lag zwar meistens in ihr Gehäuse zurückgezogen und zeigte nur selten ihren vorsintflutlichen Kopf und die Füße. Sehnsüchtig drückten die Kinder an dem durchbrochenen metallenen Gartengitter die Nasen platt, um doch dieses Weltwunder zu sehen.
Zwischen diesem Garten und der Stiege, die von der Auhofstraße in den Hof herunterführte, stand eine winzig kleine gemauerte Hütte, das Pförtnerhäuschen. In einer sehr fernen Zeit soll hier der „Hausmaster“ residiert haben, als solcher aber kaum aufgefallen sein, denn die Verwaltungsagenden erledigte ein Hausverwalter und die Reinigung der desolaten Gebäude erübrigte sich oder blieb den Hausbewohnern vorbehalten. Nur nächtens mit der Einnahme des „Sperrsechserls“ trat er markanter in Erscheinung. Ansonsten genoss er den Vorzug, alleine wohnen zu dürfen.
Natürlich gab es in den Kümmerlhäusern auch einen Gastwirt mit Frau und Kindern, dessen winziger Gastgarten gerade Platz für drei alte Bäume bot. Und auch dort war, wie überall in den Kümmerlhäusern nichts zu sehen, was an modische Neuerungen erinnerte.
Die Gastwirtschaft (und übrigens auch einen Krämerladen) gab es gleich, als die Häuser zu Mietobjekten wurden. Rosina Kellner, Wilhelm Gündel und Leopold Schröder waren die überlieferten Besitzer. Auch die Bezeichnungen wechselten, einmal war es die Cafe-Restauration „Zum Eisenbahner“ und später „Zum Ober St. Veiter Drahrer“. Möglicherweise, weil der Ober St. Veiter Drahrerclub dort einige Zeit sein Vereinslokal hatte. Lange Zeit war dieses Gasthaus auch Vereinslokal des Ober Sankt Veiter Fußballklubs.
Für die Strenge, mit der er über Frau und Kinder herrschte, war der Schlossermeister Alexander Dolleisch bekannt, der sich im schmalen ebenerdigen Gebäude in Hof gegenüber niedergelassen hatte. Dem nicht gerade kleinen, aber dünnen und unansehnlichen Mann hätte eine solche Härte niemand zugemutet. Seine blonde Frau war besonders schlank und hochgewachsen und hatte große, stets von einem geheimen Kummer umschattete grauen Augen. Das ihr so ähnliche Töchterchen, die schöne
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Die Cafe-Restauration zum Ober St. Veiter Drahrer des Wilhelm Gündel.
Rechts im Bild der niedrige Gebäudeteil, in dem drei Werkstätten untergebracht waren und sechs Familien wohnten, eine davon war die des strengen Schlossermeisters Dolleisch.
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kleine Käthe, soll schon mit 7 Jahren gesagt haben: „Ich darf nicht spielen, ich muss der Mutter in der Küche helfen.“ Die großen grauen Augen waren von kindlicher Trauer erfüllt. Von dem Tag an, da sie zur Schule ging, wurde sie im Hof kaum noch gesehen.
In merkwürdigem Kontrast zum melancholischen Schatten über der Familie des Schlossermeisters standen die wöchentlichen Hauskonzerte. Jedes Familienmitglied konnte ein Instrument und wenn sie im Hof aufspielten, fanden sie große Aufmerksamkeit, auch von den Gästen des Restaurants.
Unter dem Stiegenhaus des mittleren, an des Spitzerhaus angrenzenden Gebäudeteiles wohnte ein Tischler, anderswo im Haus ein hübscher, netter, aber leider der Trunksucht verfallener Flickschuster, eine stolze Witwe nach einem Handwerksmeister, die sich, wie ihren beiden Töchter, deren eine die exzentrische war, als etwas Besseres fühlte, ein Arbeiter, der in der Militärverwaltung Dienst machte und mit seiner zahlreichen Familie bewies, dass die Militärverwaltungen aus der Zeit des ersten Weltkriegs ihre Arbeiter gut leben ließ (konnte die Familie doch einen beinahe bürgerlichen Lebensstandard aufrechterhalten),
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eine einsame alte Frau, hager und groß, unterm Dachboden wohnend, von der die Hauslegende zu berichten wusste, dass sie Jahr und Tag die Wiederkunft ihres Sohnes erwarte, der im Streit straffällig geworden war und flüchten musste und sonst noch einiges Armeleutgesindel.
Inmitten der Dachbodenbewohner wohnte für kurze Zeit ein junges Ehepaar, er lustig und voll des Humors, sie aber fast ein wenig schwermütig und so weichherzig, dass sie darüber zum Spielball des Lebens wurde. Und da war ein kleiner blondgelockter Knabe, der, kaum noch der Sprache mächtig, schon so wunderbar zeichnete, und da ein kleines Mädchen, minder hübsch und minder begabt, doch wachen Sinnes und allen Eindrücken aufgetan, der Mutter, die sie so sehr liebte ähnlich und dem strengeren Vater so gut wie der Mutter.
Und dann gab es eine Anzahl von Menschen, die Arbeiteten die ganze Nacht und schliefen Tagsüber. Wozu eine teure Wohnung? Wozu ein eigenes Bett? Sie mieteten für wenig Geld ein fremdes Bett, schliefen dort, solgange es frei war und verschwanden dann wieder – man nannte sie Bettgeher. Einer Volkszählung zufolge gab es im Jahre 1870 noch 25 Bettgeher, die meisten von ihnen vermutlich Arbeiter in Bäckerein und viele ihrer Betten standen wahrscheinlich hier.
An bemerkenswerten Einrichtungen der Anlage gab es noch einen mächtigen Oleanderbaum, von einem Mieter so gut gepflegt, dass er jedes Jahr mit einem Blütensegen dankte. Es gab auch einen romantischen, aber meist defekten Ziehbrunnen, der, als er den Raum dieser Erinnerungen betreten hatte, kaum noch benutzt wurde. Zur Entlastung dieses Ziehbrunnens und um der modernen Zeit eine Konzession zu machen, wurde nämlich in der Hauseinfahrt des mittleren Gebäudeteiles eine Wasserleitung installiert. Sie war die einzige für alle umliegenden Anrainer und um sie im offenen Stiegenhaus während des Winters vor Frost zu schützen, hatte man ein kleines braunes Holzhäuschen rund um sie herum gebaut, das in einem spitzen Dächelchen auslief. Also doch nicht ganz ohne modische Neuerungen, diese Kümmerlhäuser. Von den Menschen in den Häusern um die G‘stätten zur Amalienstraße wurde nach wie vor das Wasser Sommers wie Winters vom nahegelegenen Hydranten geholt. Im Winter war der Platz in seinem Umkreis völlig vereist und das Wasserholen daher sehr gefährlich. Zwei Klosetts in Bretterverschlägen gab es neben der hinteren Einfahrt in die Kümmerlhäuser. Sie waren versperrbar, der große Schlüssel steckte meistens oder wurde von einer Hauspartei aufbewahrt. In der Nacht wurden die Klos nicht benützt, jede Wohnung hatte einen Kübel.
Über damals noch staubige Straßen wurde zur Festigung der Oberfläche dünnflüssiges Teer gegossen. Natürlich tollten die Kinder über die Straße und da kam es schon vor, dass eines mit seinen einfachen Sandalen (zerschnittene Autoreifen, die mit Riemen am Fuß festgehalten wurden) hängen blieb und der Län
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Das Spitzerhaus und eines der Kümmerlhäuser während des Abbruchs des Spitzerhauses 1958. Zu sehen sind rechts noch das Gasthaus Leopold Schröder und teilweise unverbaute Gründe südlich der Auhofstraße.
ge nach hinfiel. Bei noch frischem Teer war das Kind von oben bis unten beschmiert und das erforderte eine Komplettreinigung mit Petroleum und dann im Bottich.
Soviel zu den Kümmerlhäusern. Wer etwas über die Menschen des stadtauswärts angrenzenden Spitzerhauses (Auhofstraße 120) erfahren möchte, dem ist das antiquarisch noch erhältliche Buch „Erlebtes und Erlauschtes aus Wiens Vorstadt“ des Ober St. Veiter Heimatdichters J. Vinzenz (Vinzenz Jerabek). Er war im Spitzerhaus geboren worden und erzählte über dessen Bewohner wie kein anderer.
1958 fiel das Spitzerhaus und 1963 die Kümmerlhäuser der Spitzhacke zum Opfer und Ober St. Veit entwickelte sich ein Stück weiter in Richtung Schlafstätte der Wiener.
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Die Zuwanderung des 19. Jahrhunderts fiel größten Teils in die Selbstständigkeit der Ortsgemeinden und hatte auch viel mit deren Geldknappheit zu tun. Dies trifft vor allem auf die Ortsgemeinde St. Veit an der Wien bzw. Ober St. Veit zu, denn sie hatte die besten Möglichkeiten, ihre Defizite mit Grundverkäufen auszugleichen. Sie war flächenmäßig die größte und mit ihrer Selbstständigkeit fielen ihr unter anderem die Allmende im ausgedehnten Veitinger Feld zu. Sie konnte damit eigenmächtig und ohne Zustimmung einer Grundherrschaft verfahren. Der Verkauf erfolgte kleinräumig, oft in Form von Versteigerungen, oder großflächig an Banken oder Baugesellschaften zur weiteren Aufschließung und Verwertung.
Die spätere Ermunterung der Gemeinde Wien – zur der die Dörfer ab 1892 gehörte – zu verdichteter und höherer Bauform führte zum breitflächigen Ersatz meist baufälliger alter Strukturen durch einstöckige Bürgerhäuser oder zweistöckige Mietshäuser. Die Dörfer wurde zum Dorf in der Stadt und seine Häuser beherbergten alle Schichten vom Fabriksarbeiter bis zum Geheimdienstchef.
Dass in dieser Phase nicht die gesamte historische Bausubstanz abgebrochen wurde, lag in erster Linie an der Finanzknappheit der Hauseigentümer. Sie konnten sich den Abbruch und größeren Neubau nicht leisten, wollten aber auch nicht verkaufen. Mit dem Ende der Gründerzeit und der schlimmen Zeit in und zwischen den Kriegen kam diese Zuwanderung zum Stillstand.
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Teilungsplan für die Gründe zwischen Auhofstraße und Wienfluss im Rahmen des Verkaufes an den Wiener Bankverein und die Wiener Baugesellschaft aus dem Jahr 1869
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In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte das Bevölkerungswachstum Wiens und seiner Vororte – wie bei vielen anderen europäischen Städten auch – ein ungewöhnliches Ausmaß angenommen. Die meisten Wohnungen waren hoffnungslos überbelegt.
Im Vordergrund der dem Wachstum Rechnung tragenden Bautätigkeit standen Spekulation und Rentabilität. Die in erster Linie für die Arbeiterfamilien errichteten Zinshäuser hatten in der Regel erbärmlich ausgestattete Kleinwohnungen. Das Wasser und das WC war meist außerhalb der Wohnungen, das wurde aber trotzdem als Verbesserung gegenüber früheren Behausungen mit Wasser und Toiletten im Hof empfunden.
Eine der Reaktionen auf diese unzumutbaren Wohnverhältnisse waren gegen Ende des 19. Jahrhunderts Siedlungen mit einheitlich geplanten Einfamilienhäusern. Mit einem hohen Maß an Selbsthilfe und Eigenverantwortlichkeit stieg der „unfreie“ Mieter zum freien Siedler auf und setzte damit einen weiteren Schritt in der Demokratisierung. Diese Entwicklungen setzten allerdings Visionen voraus, die in die Industriegeschichte Englands, Frankreichs und Deutschlands zurückreichen. Eine davon ist die Gartenstadtidee Englands, wo man selbst in den hochindustrialisierten Städten am Wohnen in den althergebrachten Einfamilienhäusern festhielt.
Ein anderer Weg, den Mietshäusern wenigstens zeitweise zu entkommen und die eigene Versorgung zu verbessern, waren ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts auch in Wien die Schrebergärten am Stadtrand. Oft illegal zu ganzjährig benutzbaren Wohnhäusern ausgebaut, waren sie in gewisser Weise auch Vorläufer der Siedlungen.
Eine der wichtigsten Maßnahmen gegen den profitorientierten privaten Wohnbau war aber die Mieterschutzordnung mit Kündigungsschutz aus dem Jahr 1917. Darüber hinaus wurde
Beitrag aus Anlass der Sonderausstellung „Gemeindebauten in Hietzing“
im Bezirksmuseum Hietzing
im März 2017
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Siehe vor allem:
Weissenbacher, Gerhard:
In Hietzing gebaut
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1919 der kommunale Wohnbau zu einem vordringlichen Anliegen in Wien erklärt. Damals hatten nach einer amtlichen Wohnungszählung 92% aller Wiener Wohnungen das Klosett und 95% das Wasser außerhalb des Wohnungsverbandes, 7% hatten elektrisches Licht und 14% Gas eingeleitet. Mehr als zwei Drittel aller zur Verfügung stehenden Wohnungen waren als Kleinwohnungen eingestuft, sie besaßen also maximal ein Zimmer und ein Kabinett. Unterstützt wurden diese Tendenzen durch den von Bürgermeister Dr. Karl Lueger begonnenen Erwerb von Bauland seitens der Gemeinde Wien. Von 1914 bis 1919 waren es rund 350 ha innerhalb und außerhalb des damaligen Stadtgebietes.
Dieser älteste Gemeindebau Hietzings in der Altgasse 23A stammt aus dem Jahr 1904. Er wurde allerdings nicht von der Gemeinde Wien errichtet, sondern als Mietshaus im Auftrag eines privaten Bauherrn. Seit den 1970er-Jahren ist er im Besitz der Stadt Wien.
Fotografiert am 21. März 2017
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Nach dem Krieg entstand der Hauptanteil der Siedlungen jedoch noch im Rahmen von Selbstorganisationen oder von Genossenschaften, die oft von politischen Autoritäten und von Architekten unterstützt wurden.
Ein frühes Beispiel ist die „Siedlung Auhofer Trennstück“ (SAT). Das Auhofer Trennstück, das der staatlichen Forstverwaltung (später Bundesforste) unterstellt worden war, war in den Jahren 1918/19 großteils noch dicht bewaldet, teilweise ein Sumpfgebiet. Der Baumbestand fiel nach und nach der großen Kohlennot der Nachkriegszeit zum Opfer.
Der Wohnbaugenossenschaft, die sich in der Straßenbahner-Hauptwerkstätte Penzing gebildet hatte, fehlte der Baugrund und die Straßenbahner, die täglich an der Mauer entlang fuhren, sahen sehnsüchtig auf dieses ungenützte Gelände. Glücklicher Weise gab es einen „direkten Draht“ zur Gemeinde Wien, doch unterschiedliche Interessen von Straßenbahnern, der Gemeinde und der Bundesforstverwaltung, aber auch von Bauern und Schrebergärtner aus Mauer ließen alle Projekte scheitern. Unter anderem sollten die Erträge der Forstverwaltung ja dem Kriegsgeschädigten-Fond zugeleitet werden und da hoffte man auf lukrativere Verwendungen als jene für „Gartensiedlungen“ und „Jugendfürsorgebauten“.
Eine Resolution von interessierten Schrebergärtnern vom 18. April 1920, die die „sofortige Verpachtung des Auhofer Trenn
Siehe dazu den Beitrag zur SAT von Ing. Christian Gold auf www.1133.at/Bericht 858
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stückes an die Gemeinde Wien für die Anlage von Schrebergärten für das Proletariat der Gemeinde Wien und Mauer zu einem annehmbaren Preise und mit langfristiger Pachtdauer“ forderte, sowie weiterer Druck und die Drohung, zur Inbesitznahme und Bearbeitung des Grundstückes zu schreiten, führte schließlich zur Einigung zwischen dem Staatsamt für Land- und Forstwirtschaft, Mauer und Wien. Die Maurer Schrebergärtner sollen ein Viertel, die Bauern aus Mauer ein weiteres Viertel und die Schrebergärtner aus Wien die Hälfte des Grundkomplexes zugewiesen erhalten.
Schon vor der schriftlichen Fixierung wurde mit der Planung und den Vorarbeiten begonnen. Auf Anregung von Franz Siller (Präsident des Kleingärtner-, Siedler- und Kleintierzüchtervereines Österreich sowie Inspektor des Landwirtschaftsamtes der Gemeinde Wien) plant der städtischen Baudirektor Daniel Doppelreiter, ein Mitarbeiter der Gemeinde Wien, die Parzellierung. „Diesem schwebte als Vorbild eine englische Siedlung vor, mit nicht zu breiten, rechts und links von den Obstbäumen flankierten Wegen, so dass das Gesamtbild eines einzigen, mit Promenadenwegen versehenen Obstgarten sich ergeben müsste.“
Ausschnitt aus der Karte des Gemeindegebietes von Mauer bei Wien. © Verlag der Volks- und Bürgerschule Mauer bei Wien
Die ursprünglichen Straßennamen wie Birnen-, Zwetschken- oder Apfelallee bestätigen die planerische Idee. Später entstanden richtige Straßennamen nach berühmten Menschen, wie Goethe, Schiller, Anzengruber, Stifter, von Suttner, Jahn, Zola und andere mehr. Wegen zahlreicher Straßen-Doppelbenennungen mussten später Umbenennungen stattfinden. Nur der Sillerplatz und die Dr.-Schreber-Gasse blieb.
Die Parzellengröße war mit etwas über 450 Quadratmeter festgesetzt worden. Bei der Grundgröße nehmen die Planer an,
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dass von den Schrebergärtnern eine spätere Verbauung mit festen Häusern erfolgen wird. So entstand ein Siedlungsplan, der heute noch weitgehend erkennbar ist.
Am 1. Mai 1920 wurden die ersten Parzellen an Mitglieder des Schrebergartenvereins vergeben. Der Tag gilt als Geburtstag der Genossenschaft. 19 Hektar erhielt der Schrebergartenverein „Kolonie Siller“ mit 267 Mitgliedern, vorwiegend Straßenbahner des Betriebsbahnhofes Speising. Eine an die Wittgensteinstraße anschließende Fläche mit neun Hektar ging an den „Kleingartenverein Mauer“ mit 141 Mitgliedern.
Eine zum Verkauf anstehende Küchenbaracke aus dem Versorgungsheim Lainz wurde zu Ostern 1921 von 250 Mann kurzerhand zerlegt und auf das Trennstück übersiedelt. Die Baracke wurde das Siedlerheim und gleichzeitig Vereinslokal, Notunterkunft, Versammlungsraum und Gasthaus. Die Fertigstellung dauerte bis zum Juli 1922.
Im August 1921 gelang es, den Schrebergartenverein Mauer und den Schrebergartenverein Speising zur„Gemeinnützige Bau-, Wohnungs- und Siedlungsgenossenschaft Auhofer Trennstück, Kolonie Siller“ zusammenzuführen.
Im Verlauf der Zwischenkriegszeit wurde jedoch, dem grundsätzlichen Anliegen der Gemeinde Wien folgend, ein zunehmender Anteil der Siedlungen von ihr selbst errichtet. Trotz des von Adolf Loos 1921 formulierten Ideals mit „Fruchtgarten im Zentrum der nach Süden orientierten Siedlerstellen mit Wohnküche und getrennten Kinderschlafzimmern ...“ tendierte die Stadt aus ökonomischen und aus politisch-ideologischen Gründen immer mehr zur Blockbauweise wie zum Beispiel beim Karl-Marx-Hof.
Entfielen 1921 noch 55% des gesamten Wohnbauprogramms auf Siedlungshäuser, waren es 1925 nur mehr 4%. Zwischen 1923 und 1934 wurden in Wien 337 städtische Wohnungsanlagen mit fast 64 000 Wohnungen errichtet. Dies war der erste Höhepunkt in der städtischen Wohnbauentwicklung, in der vor allem auf die Bedürfnisse der Bewohner nach Licht und Luft sowie auf den Komfort mit eigenem Bad und WC Rücksicht genommen wurde.
Die Anlagen hatten großzügig angelegte Höfe und Grünflächen und zeugten in ihrem äußeren Erscheinungsbild vom Selbstbewusstsein der manuell arbeitenden Bevölkerungsschicht. In die Anlagen wurden Gemeinschaftseinrichtungen, wie Wäschereien, Kindergärten, Kinderspielplätze, Badeanstalten, Bildungs- und Fürsorgeeinrichtungen (z. B. Büchereien, Ambulatorien, Mütterberatungsstellen) sowie Geschäfte, integriert. Die Abschirmung gegenüber der Außenwelt trug manchem Bau die Bezeichnung „Arbeiterburg“ ein. Die Planung erfolgte durch die Architekturabteilung des Stadtbauamtes in Zusammenarbeit mit Privatarchitekten. Ein schönes regionales Beispiel für den Sozialbau der Gemeinde Wien in Blockbauweise aus der Zwischenkriegszeit stellt die 1929 errichtete Anlage von Victor Reiter in der Speisinger Straße 84–98 dar.
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Nach 1945 musste die Gemeindeverwaltung die zerstörten Wohnungen möglichst rasch und billig durch neue ersetzten, und es entstanden bis 1950 10.000 neue Wohnungen. Man war lediglich auf Quantität mit geringem architektonischen Anspruch bedacht. Die vorherrschende Bauform war bis in die späten sechziger Jahre der in parallelen Zeilen angeordnete oder versetzte Blockbau, zumeist ohne Miteinbeziehung von Höfen und Plätzen. Die einzige Gemeinschaftseinrichtung war oftmals nur das Konsum-Lebensmittelgeschäft. Eine Ausnahme in dieser Hinsicht bildet der 1949–54 errichtete Hugo-Breitner-Hof in Wien 14., der städtebauliche Ansätze erkennen lässt und in gewisser Weise an die Struktur der Zwischenkriegsbauten erinnert.
Speisinger Straße 84–98.
Diese in Blockbauweise errichtete Anlage bildet den markanten Abschluss der 1923–1930 gebauten Siedlung Hermeswiese gegen die Speisinger Straße. Die Siedlung Hermeswiese wurde in verschiedenen Bauteilen errichtet, wobei die Gemeinde Wien mit der Siedlungsgenossenschaft Altmannsdorf-Hetzendorf und der Kolonie Lainz-Speising zusammenarbeitete. Foto um 1930 © Bezirksmuseum Hietzing
Blick vom Gemeindeberg auf Kirche und Schloss Ober St. Veit. Dahinter dominiert der Hugo-Breitner-Hof die andere Seite des Wienflusses. Fotografiert am 31. Oktober 2016
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Bisweilen versuchte man, ein ansprechenderes Ambiente durch künstlerische Ausgestaltung zu erreichen. Ein Beispiel hiefür ist der 1952–55 von Viktor Adler errichtete „Steinitz-Hof“ in der Auhofstraße 6a–6b (= Hietzinger Kai 7–9). Österreichische Künstler schufen die in der Grünanlage aufgestellten Plastiken und die heute nur mehr teilweise erhaltenen Wandgestaltungen.
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Den Flachbau hatte die Gemeinde nach 1945 fast zur Gänze privaten und gemeinnützigen Bauunternehmungen überlassen. Viele der alten Siedlungen sind heute kaum mehr als einheitlich geplante Anlagen erkennbar, weil sie meist in Eigeninitiative der Bewohner den erhöhten Ansprüchen angepasst wurden. Auch die verbindenden Gemeinschaftseinrichtungen gingen verloren. Die wohl prominentesten und in ihrer geplanten Anlage erhaltenen Beispiele des Siedlungsbaus unter der Leitung der Gemeinde Wien sind die Siedlung Lockerwiese (1928–32, 1938) und die Werkbundsiedlung (1930–32).
Wandmosaik auf einem Gemeindebau in der Ebner-Rofenstein-Gasse. Fotografiert am 21. März 2017
Perspektive aus der Werkbundsiedlung.
Fotografiert am 21. März 2017
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Zu differenzierteren gestalterischen Lösungsversuchen im kommunalen Wohnbau kam es erst in den 1970er-Jahren. Doch wie in anderen Bezirken Wiens besteht auch in Hietzing das Problem, den für die Wohnqualität so wertvollen Grünraum zu bewahren. Großprojekte von Mehrfamilienhäusern, seien sie von öffentlicher oder privater Hand geplant, stehen besonders im Prioritätenkonflikt zwischen Neuschaffung von Wohnraum in „guter Lage“ und Erhaltung des die Qualität ausmachenden Grünraumes. Überwiegt die Sorglosigkeit letztem gegenüber, führt sich das „Bauen im Grünen“ ad absurdum.
Einen Überblick über den kommunalen Wohnbau in Hietzing mit seinen über 50 Anlagen, wovon ca. 2/3 aus den 1950er- und 1960er-Jahren stammen, gab die im März 2017 anlässlich des Ta
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ges der offenen Tür der Wiener Bezirksmuseen gezeigte Sonderausstellung „Gemeindebauten in Hietzing“ im Bezirksmuseum Hietzing. Hier konnte man auch etwas über so manchen prominenten Bewohner der Hietzinger Gemeindebauten erfahren.
Der Hildegad Burian Hof in der Speisinger Straße 46–48.
Als jüngster Gemeindebau Hietzings wurde er in den Jahren 1994 bis 1996 errichtet. Fotografiert am 21. März 2017
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Der Museumsleiter Ewald Königstein während der Eröffnung der Ausstellung
am 19. März 2017
Eine der in den Vitrinen der Ausstellung gezeigten prominenten Bewohnerinnen Hietznger Gemeindebauten.
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Die „Ober St. Veiter Familiengärten“ sind der älteste noch bestehende Kleingartenverein des 13. Wiener Gemeindebezirks.
Die Abtrennung und Parzellierung kleinerer Grünflächen ist in der Geschichte ab dem 19. Jahrhundert immer wieder anzutreffen. Die Motive waren unterschiedlich und reichten von der Unterstützung bzw. Versorgung armer Menschen über die Anregung zur körperlichen Ertüchtigung bis zur Bindung der Menschen an ein Unternehmen. Dauer und regionale Ausbreitung dieser Maßnahmen waren jedoch begrenzt.
Am Anfang der nachhaltigen Kleingartenbewegung stand die Idee des deutschen Arztes und Volkspädagogen Dr. Daniel Gottlob Schreber (1808–1861), Grünflächen als Spielplätze für Kinder zu schaffen. Erst 1864 wurde dieser Gedanke von seinem Schwiegersohn, dem Schuldirektor Dr. Ernst Hauschild, in Form eines „Schreberplatzes“ in Leipzig verwirklicht. Darin angelegte „Kinderbeete“ sollten den Kindern auch die Gärtnerei vermitteln. Doch die Anlage wurde bald von Unkraut überwuchert, und die Eltern griffen selbst zum Werkzeug. Aus den „Kinderbeeten“ wurden „Familienbeete“, die man parzellierte und umzäunte. Dies wird als Geburtsstunde des Kleingartens bezeichnet. 1870 hatte die Anlage in Leipzig bereits rund 100 Gärten, und der Siegeszug der Schrebergartenidee, für die Dr. Schreber letztlich nur der Namensgeber war, setzte ein.
Als eine Art Notwehr der lufthungrigen Menschen gegen das Verschmachten in der sich ausdehnenden Großstadt fasste der Gedanke am Anfang des 20. Jahrhunderts auch in und um Wien durch Vereinsgründungen und Flächenbeschaffungen Fuß. Die Selbstversorgung war ebenfalls ein Antrieb und in den Notzeiten während und zwischen der folgenden Kriege stand sie im Vordergrund.
Die Schaffung eines Gegengewichtes zur zunehmenden Verbauung war auch das Motiv für die ungefähr zeitgleiche Einrichtung des Wiener Wald- und Wiesengürtels. Wald- und Wiesengürtel und Kleingärten blieben auch die weitere Zeit ihrer Geschichte in der Weise verbunden, als sich viele dieser Anlagen im Grüngürtel etablierten.
Es war dann im Jahr 1915, als Hunger und Not die ersten k. u. k. Beamten, bewaffnet mit Spaten und Krampen in die Natur, u. a. auf das Areal der heutigen Kleingartenanlage Trazerberg treiben, um Gemüsebeete anzulegen. Claims werden abgesteckt und Laubenhütten errichtet. 1918 gab es dann bereits 10.000 Kriegsgemüsegärten und 6.000 Schrebergärten in Wien, teilweise im Wald- und Wiesengürtel. Auch im Zweiten Weltkrieg wurden die Kleingärtner zu einem wesentlichen Gemüserzeuger.
Verordnungen und Gesetzte der Gemeinde Wien sicherten dann in der Zwischenkriegszeit und vor allem nach dem Zweiten
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Quellen:
Informationen von BR Walter Schlager und den Obleuten der Kleingartenvereine.
Jubliäumsschrift des Kleingartenvereines Trazerberg. Eigenverlag, 1901.
Jubiläumsschrift der Gartengemeinde Adolfstor. Eigenverlag, 2007.
Pasterk, Christine: Gartenlust am Küniglberg. Jubiläumsbroschüre des Siedlervereins Küniglberg. Eigenverlag, 2007.
Holzapfel, Josef: Historisches Ober St. Veit. Handwerks-, Gewerbe- und Vereinsgeschichte. Wien, Interessensgemeinschaft Kaufleute Ober St. Veit, 2009
Hietzing
Weltkrieg bestehende und neue Kleingartenanlagen. Spätere Verordnungen öffneten den Weg vom Kleingarten zur Siedlung.
Die im Folgenden wiedergegebenen Daten der Kleingartenanlagen betreffen den gesamten 13. Wiener Gemeindebezirk. Angegeben sind Name, Adresse und/oder Lage, Gründungsjahr, Parzellen und sonstige Anmerkungen, soweit sie recherchiert werden konnten. Die meist am Ende des Vereinsnamens stehende Ortsbezeichnung wurde zur leichteren Auffindbarkeit in der Namensspalte vorangestellt. Folgende Widmungen sind relevant: Ekl=Kleingartengebiete; Eklw=Kleingartengebiete für ganzjähriges Wohnen; GS=Gartensiedlungsgebiete, hier dürfen nur kleinere Wohngebäude, Sommerhäuser, Geschäfte des täglichen Bedarfs, Gaststätten und Gemeinschaftsanlagen errichtet werden.
Name |
Adresse/Lage |
Gründung |
Parz. |
Widmung, Anmerkung |
Adolfstor |
Adolfstorgasse ab Nr. 30 (rechts und links mehrere Flächen) und Veitlissengasse ab Nr. 60 (nur rechts) |
1931 |
44 |
Ekl, Eklw, GS, WI, Eigengründe, erste Kleingartennutzungen ab 1924. |
Familiengärten; Ober St. Veiter |
Wlassakstraße 93 / entlang der Lainzer Tiergartenmauer von Joseph-Lister-Gasse bis St. Veiter Tor |
1913 |
200 |
Ekl, teilw. Bausperre, teilweise Eigengründe |
Gallgasse; Siedlung |
Am Rosenhügel |
Eklw |
||
Gemeindeberg I; Hietzing und Umgebung, Gruppe |
zwischen Gemeindeberggasse und Wlassakstraße |
nach WK I |
8 |
GS, Pachtgärten |
Gemeindeberg II; Hietzing und Umgebung, Gruppe |
zwischen Gemeindeberggasse und Wlassakstraße |
nach WK I |
19 |
Eklw/GS ? |
Gemeindeberg III; Hietzing und Umgebung, Gruppe |
zwischen Gemeindeberggasse und Wlassakstraße |
nach WK I |
6 |
GS, Eigengründe |
Hagenberg |
Adolfstorgasse 53 / zwischen Aolfstorgasse und Veitlissengasse, teilw. südlich der Veitlissengasse. |
1990 |
18 |
Eklw, Einzelpachtverträge gab es schon vor der Vereinsgründung. |
Hauerweg; Hietzing und Umgebung, Gruppe Am |
von Gusindegasse zur Lainzer Tiergartenmauer |
1946 |
44 |
Eklw, davon 38 Eigengründe |
Hermestor; Beim |
Kalmanstraße 38 / zwischen Kalmanstraße und Lainzer Bach |
1957 |
63 |
Eklw |
Hörndlwald; Am |
Jennerplatz 10–11 bis Joseph-Lister-Gasse 74–76 |
1930 |
36 |
Eklw, 1/4 Eigengründe, 1980 aus der Gruppe Winzerhaus herausgelöst. |
Josef-Pommer-Gasse |
Josef-Pommer-Gasse 23 |
1949 |
22 |
Eklw, Eigengründe, Interessensgemeinschaft |
St.-Josefs-Heim; Hietzing und Umgebung, Gruppe |
Josef-Kraft-Weg |
4 |
Ekl |
|
Kulturfreunde Gruppe Hietzing – Hanschweg |
zwischen Erika-Mitterer-Weg und Pia-Maria-Plechl-Weg |
1981 |
13 |
Ekl |
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Tabelle der Hietzinger Kleingartenvereine mit Stand 2011
Hietzing
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Küniglberg; Siedlerverein |
zwischen Elisabethallee und Hanselmayergasse |
1947 |
144 |
Eklw |
Lackenbach |
Josef-Pommer-Gasse gegenüber Karl-Schallhas-Gasse 4 |
1931 |
10 |
Eklw, Eigengründe |
Lainzer Tiergarten; Verband der ÖBB-Landwirtschaft, Zweigverein |
Auhof 15a |
1920–38 |
142 |
Bausperre |
Meisenbühel; Hietzing und Umgebung, Gruppe |
von der Straße „Am Meisenbühel“ links und rechts des Aufschließungsweges bis zur Lainzer Tiergartenmauer |
späte 1930er |
ca. 50 |
Eklw, Eigengründe |
Miss in Kögeln; Hietzing und Umgebung, Gruppe |
zwischen Wlassakstraße 102–104 und Hanschweg |
n. a. |
33 |
Ekl, Eigengründe, Interessensgemeinschaft statt Verein. |
ÖBB Landwirtschaftlicher Zweigverein 70 |
Auhofstraße, Bossigasse, Hummelgasse |
|||
ÖBB Landwirtschaftlicher Zweigverein 70 |
Veitingergasse, Spohrstraße |
|||
ÖBB Landwirtschaftlicher Zweigverein 70 |
Anton-Langer-Gasse, Hofwiesengasse |
|||
ÖBB Landwirtschaftlicher Zweigverein 70 |
Stranzenbergbrücke |
|||
Riedelgasse |
Keine Kleingartenwidmung mehr. |
|||
Rosenberg |
Rosenhügelstraße 169 / zwischen Bertégasse, Rosenhügelstraße, Schluckergasse und Am Rosenhügel. |
1923 |
85 |
Eklw, Verbauung ab 1921 |
Roter Berg |
Horeischygasse |
Keine Kleingartenwidmung mehr. |
||
Trazerberg |
Trazerberggasse 8, hinauf bis zum Kindergarten Girzenberg |
1916 |
79 |
Ekl |
Veitingergasse; Hietzing und Umgebung, Gruppe |
Gegenüber Veitingergasse 253 |
1945 |
11 |
Keine Kleingartenwidmung mehr, Zugehörigkeit zum Verein vor einigen Jahren aufgegeben. |
Veitlissengasse |
Veitlissengasse 31 / links am oberen Ende der Veitlissengasse |
1996 |
11 |
Eklw, Vereinsgründung 1996, Gärten (Ernteland) gab es schon „immer“. |
Wattmanngasse |
Wattmanngasse 79 /zwischen Wattmanngasse und Hochheimgasse |
1916 |
20 |
Eklw |
Wildbach; Gruppe Am |
benachbart zur Gruppe Wildbach |
GS, Eigengründe |
||
Wildbach; Hietzing und Umgebung, Gruppe |
Jennerplatz 33 / hinauf zum Faniteum |
ca. 1920–1930 |
14 |
Eklw |
Winzerhaus; Hietzing und Umgebung, Gruppe |
Wlassakstraße |
1930 |
Eklw/GS |
|
Wolkersbergen; Anlage |
Joseph-Lister-Gasse 37–39 |
1930–32 |
ca. 35 |
Eklw, Eigengründe, Interessensgemeinschaft |
Hietzing
Der Denkmalschutz ist für die Erhaltung unseres kulturellen Erbes unerlässlich. Die Sichtweise, ob sich das diesbezügliche Bundesgesetz und seine Handhabung tatsächlich positiv oder negativ auswirkt, ist allerdings höchst unterschiedlich und hängt auch vom jeweiligen Standpunkt ab. Gleiches – wenn auch mehr auf den Ensembleschutz ausgerichtet – gilt für die eingerichteten Schutzzonen. Doch was tatsächlich passiert, hängt von den Mächtigen ab, und wenn diese es wollen, kann auch die Stephanskirche abgerissen werden.
Einer Gruppe dieser „Mächtigen“ sind die großen Immobilienentwickler mit guten Kontakten in die Politik. Schlüpfen wir also in die Rolle eines solchen und überlegen wir uns, wie sich das Hietzinger Stadtbild, insbesondere seine grünen Villenviertel, verändern werden. Dass sich die Baustruktur vor allem in den alten Dorfzentren im Laufe ihrer Geschichte massiv verändet hat und wie sie sich verändert hat, braucht hier nicht weiter dargelegt zu werden, das zeigen die vielen Bilder dieses Buches. Am natürlichsten hat sich die historische kleinstrukurierte Verbauung des alten (Wein)Bauerndorfes Ober St. Veit erhalten und hier befinden sich auch die ausgedehntesten Schutzzonen. Aus diesem Grunde wird im folgenden Text auch immer wieder darauf Bezug genommen.
Ober St. Veit liegt am äußeren Rand eines der grünsten Bezirke Wiens und grenzt direkt an das Naherholungsgebiet Lainzer Tiergarten. Darüber hinaus hat es auch eine günstige Verkehrsanbindung vor allem in den Westen, aber auch in den Süden und mit der U4 ist man schnell in der Innenstadt. Somit ist es ein ideales Wohngebiet für junge Familien und als Wohngegend ähnlich beliebt wie Döbling. Das gilt allerdings gleichermaßen für die anderen Bezirksteile und macht sie zum vorrangigen Zielgebiet für jeden Investor. Allerdings sind hinsichtlich Größe, Form, Himmelsrichtung, Hangsituation, Freiflächenanteil etc. gut geschnittene Baugründe praktisch nicht mehr vorhanden.
Insgesamt ist Hietzing ist der klassische Wiener Villenbezirk, der als ehemaliger Vorort aus der Kaiserzeit von einer wachsenden Stadt in Besitz genommen wurde. Damit einhergehend ist ein extremer Anstieg der Grundpreise. Für einen guten Baugrund mit rd. 700 Quadratmeter muss man heute in dieser Region mit knapp einer Million Euro rechnen. Für ein Einfamilienhaus ist das zu teuer. Nur ein Bauträger hat den entscheidenden Multiplikator, um die Grundkosten pro Quadratmeter durch Erhöhung der Wohnnutzflächen in ein leistbares Verhältnis zurückzuführen. Als logische Folge wandern die Villengegenden stadtauswärts in den sogenannten Speckgürtel von Wien.
Natürlich bedeutet dies eine weitere Verdrängung der bestehenden Strukturen. Es sind vor allem die jungen Familien, die
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Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden der NOE Immobilien Development AG Dipl.-Ing. Christoph Schäffer, MBA
21. April 2017
Hietzing
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nach Wohnraum suchen, doch ist die Adaptierung einer historischen Villa für die Bedürfnisse meist mehrerer Familien in der Regel nicht möglich. Vor allem ein Bezirk wie Hietzing, der mit Überalterung kämpft, muss bedenken: Nur auf Basis der bestehenden Villen gäbe es hier keinen Zuzug von jungen Familien. Es würde sich eher ein Ghetto reicher Leute bilden.
Natürlich ist die Erhaltung aller schönen Dinge wünschenswert und dazu zählen auch schöne Villen auf großem Grund. Wohngebäude sind jedoch Zweckbauten für eine bestimmte Nutzung und keine leeren Hüllen zum Betrachten. Wenn versucht wird Gebäude ohne Leben und Nutzung zu erhalten, dann ist der eigentliche Sinn und Zweck verloren gegangen. Ein Gebäude ohne eine tragfähige Nutzung wird zwangsläufig in Frage gestellt. Darüber hinaus wird der Druck auf flächenineffiziente Bebauungen durch die steigenden Grundstückspreise einer wachsenden Stadt ins unermessliche steigen.
Ein anderer Faktor ist die technische Lebensdauer eines massiv gebauten Gebäudes, in der Fachliteratur wird sie mit rund 80 Jahren angesetzt. Wenn das Gebäude fachmännisch gebaut wurde und laufend instand gehalten wird, kann die Lebensdauer weit darüber hinaus reichen. In der nahen Vergangenheit stammten noch viele Abbruchbauwerke aus der Nachkriegszeit und davor, doch heute nimmt der Anteil der Häuser aus den 1970er- bis frühen 1990er-Jahren überporpotional zu.
Ohne hierzu eine Auswertung durchgeführt zu haben, nimmt die Lebenszeit eines Gebäudes deutlich ab. Hierfür gibt es viele Gründe. Baumaterial war früher im Vergleich zur Arbeitskraft deutlich teurer und es war lohnender die Substanz zu erhalten. Das klassische Wiener Zinshaus war sehr flexibel und zukunftssicher gebaut. Niedrigere Grundstückspreise erforderten geringere Verdichtung. Und nicht zuletzt machen riesigen Baumaschinen den Abbruch immer einfacher.
Letztendlich ergibt sich die Abbruchreife aber oft durch Mängel in der Funktionalität und den hohen Kosten einer Adaptierung bzw. der technischen Nachrüstung (z.B.: behindertengerechte Sanierung, schall- und wärmetechnische Sanierung, etc.). Das ist auch das Kernproblem vieler alter Villen, die Raumstruktur ist als Mehrfamilienhaus unpassend bzw. für eine Familie nicht mehr leistbar.
Ebenso wirkmächtig ist das Tempo der Veränderung in unserer Lebensweise und damit der Anpassungsdruck an unsere (Wohn)Umgebung. Der Arbeitsdruck und die Anforderungen – insbesondere – an berufstätige Eltern haben deutlich zugenommen. Viele wollen nach einem langen Arbeitstag nicht noch lange Stellplatz suchen müssen und dann vielleicht im Schneeregen auf der Straße die von unterwegs schnell mitgenommen Einkäufe ausladen und zur Wohnung tragen. Die Leute wollen gleich zu Hause ankommen, um Zeit mit der Familie verbringen zu können. 1–2 Tiefgaragenstellplätze mit direkter Liftanbindung bis zur Woh
Hietzing
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nungstür sind heute eine weitverbreitete Erwartungshaltung an die Wohnsituation.
Das alles sind zwingende Gründe, dass sich auch Hietzing weiter ändern wird. Allerdings kommen diese Vorgänge nicht von heute auf morgen. Man muss auch hinzufügen, dass der Schwerpunkt der Wiener Stadtentwicklung in leistbarem Bauen mit Preisen von maximal € 4.000,– pro Quadratmeter Wohnnutzfläche liegt. Bei den hiesigen Grundstückspreisen ist das nicht zu erreichen.
Langfristig wird dennoch die gerne hervorgehobene lockere Bauweise verloren gehen. Doch die Kritik an Neubauten richtet sich nicht nur gegen die Verdichtung, sondern oft auch gegen die Bauweise. Das wirtschaftliche Diktat und die Volumenmaximierung scheinen ansprechenderes Bauen nicht zuzulassen. Das mag daran liegen, dass das heutige Bauen mit aktuellen Materialien erfolgt und diese haben eine andere Architektursprache. Aber es gab zu jeder Bauepoche viele positive und negative Beispiele. Natürlich kann man einen Prachtbau wie Schönbrunn nicht mit einem kommerziellen Wohnungsneubau um die Ecke vergleichen, und je länger die betrachte Zeit zurückliegt, desto weniger negative Beispiele existieren – im Sinne einer Auslese – noch. Dass die heutigen Bauwerke weniger ansprechend sind als vergleichbare Bauwerke der letzten 70–80 Jahre, kann – wenn man beispielsweise an die eher schmucklosen Häuser der Nachkriegszeit oder die Plattenbauten der 1970er-Jahre denkt – für eine sehr subjektive Wahrnehmung halten. Ansprechende Bauweisen gehen immer einher mit Qualität des Innen- und Außenraumes. Im gehoben Segment ist daher eine Flächenmaximierung in Summe nachteiliger gegenüber einer Flächenoptimierung, bei der noch eine gewisse Großzügigkeit beibehalten werden kann.
Würde sich die Bauordnung beispielsweise mehr auf die Anzahl der zulässigen Geschosse anstelle einer absoluten Bauhöhe konzentrieren, könnte bei gleichbleibendem Grundkostenanteil mehr Innenraumhöhe geschaffen werden. Ein Qualitätsmerkmal, welches das klassische Zinshaus auszeichnete und bis heute – trotz deutlich höherer Heizkosten – begehrlich macht.
Die Zeiten, in denen ein Haus ohne Steildach als verkrüppelt angesehen wurde, sind wohl vorbei. Neue Materialien und geänderte Bauweise bieten die Möglichkeit zu einer alternativen Architektursprache. Das führt natürlich oft zu kontroversen Ansichten, was gefällig ist bzw. als schön zu gelten hat. Zum Zeitpunkt ihrer Errichtung wurde Neubauten oftmals stark kritisiert. Beispiele gibt es hierzu genügend. Denken wir nur an das Haas-Haus von Hans Hollein oder an das Looshaus (der Legende nach wollte der Kaiser sogar die Fenster vernageln lassen, um dieses „schirche“ Haus nicht sehen zu müssen). Selbst die Postsparkasse von Otto Wagner war zu ihrer Zeit sicherlich nicht unumstritten. Heute werden diese Bauwerke als große Meilensteine der Architekturgeschichte gefeiert und sind unter Denkmalschutz
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gestellt. Auch viele – auf den ersten Blick reine – Zweckbauten (Arbeitersiedlungen, Industriebauten, etc.) sind heute als wertvolle Architekturbeiträge bereits unter Denkmalschutz gestellt. Die Qualität heutiger Architektur wird wohl mit den Augen der nächsten Generation zu messen sein. Charakteristisch ist diese durch den verstärkten Einsatz von Glas und Edelstahl und die Farbgebung jedenfalls.
Häufig in der Kritik steht auch die Stadtplanung und Stadtentwicklung. Die bestehende Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung als direktes Ergebnis der Stadtplanung und Stadtentwicklung ist in Hietzing sicherlich in die Jahre gekommen. Natürlich finden Aktualisierungen und Nachjustierungen statt. Letztendlich hinken diese aber den gesellschaftlichen Entwicklungen immer hinterher. Akzente in der Stadtplanung finden heute vorrangig über den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel oder durch Entwicklung von neuen Stadtteilen wie in Aspern statt.
Wesentliche Einschränkungen der Bebaubarkeit oder eine weiträumige Unterschutzstellung von Bestandsobjekten greift massiv in die persönlichen Eigentumsverhältnisse ein, ist politisch nicht umsetzbar und letztlich das Gegenteil von Stadtentwicklung. Viele positive Beispiele zu Stadtentwicklungen in gewachsenen Grätzln basieren darauf, dass die Bürger und damit der Bezirk stärker in den Planungsprozess eingebunden werden bzw. diesen zum Teil auch initiieren.
Sehr sinnvoll wäre eine tatsächliche Entwicklungsplanung für Hietzing. Die Sichtweise „Bis jetzt ist es gut und alles soll so bleiben“ führt zu keiner Verbesserung und löst auch keine Probleme. Zu klären ist, was erhaltenswert ist und wie der Rest – in geordneten Bahnen – in die gewünschte Richtung geführt werden kann. Dabei müssen alle Sichtweisen berücksichtigt werden und sämtliche Stakeholder einbezogen werden. Parallel muss die Marktnachfrage und die betriebswirtschaftliche Tangente der Verwertbarkeit sichergestellt sein. Der freifinanzierte Wohnbau ist in solchen Prozessen meistens unterrepräsentiert.
Das muss ein integrativer, kreativer und lebendiger Prozess sein. Hier mit einem konkreten Wunschresultat vor Augen zu starten, wäre der falsche Ansatz. Der Anspruch ist auf die Qualität der Zusammenarbeit mit Kommune, Bürgern und verschiedensten Interessensvertretern zu legen. Verständnis für den Anderen und ein aufeinander Zugehen sind dabei die Grundpfeiler. Wie sich das zukünftige Ortsbild und der Ortscharakter in den einzelnen Bezirksteilen entwickeln könnten bzw. welche Ideen lohnenswert sind, um sie weiterzuverfolgen, wird sich erst in der Diskussion zeigen. Das Ende muss offen sein.
Hietzing
Die Verdichtung des Wohnbaus brachte allerdings auch gravierende Probleme für das produzierende Gewerbe. Die großen Industrien waren ja längst verschwunden, doch auch viele der kleineren gewerblich strukturierten Betriebe bekamen ihre liebe Not.
Natürlich lag das in erster Line an wirtschaftlichen Faktoren, auch an der Platznot und dem teuer gewordenen Boden ihrer Standorte. Der Verkauf und/oder die Absiedelung in billigere Regionen waren lukrativer geworden, als der Verbleib. Es lag aber auch an der totalen Landnahme durch den Wohnbau und dessen Qualitätsbedürfnis. So paradox es auch klingen mag: Der neue Siedler, in dessen Gefolge sich Lärm und Gestank über die einst ländlichen Regionen wälzten, versteht keinen Spaß mit Lärm und Geruch aus dem Gewerbe, auch dem alteingesessenen.
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Zweifelsohne hat sich Alt-Hietzing zum Zentrum des 13. Wiener Gemeindebezirks Hietzing entwickelt. Die verkehrsgünstige Lage und die Nähe zur Stadt brachten allen Geschäftszweigen erhebliche Standortvorteile und diese wurden auch genutzt. Unterstützt wurde dies durch Stadtentwicklungsprojekte wie dem EKAZENT und der geschlossenen, geschäftstauglichen Verbauung der Hietzinger Hauptstraße.
Die Zentren der ehemaligen Ortsgemeinden führen einen dementsprechend schwierigen Überlebenskampf, unterstützt vor allem von den lokalen Kaufleuten und deren Interessensgemeinschaften. Die fußläufige Nahversorgung hat sich in wichtigen Bereichen erhalten, bereichert sogar um verschiedene Wochen- und Wochenendmärkte in einzelnen Bezirksteilen. Die Konkurrenz aus Alt-Hietzing ist und bleibt jedoch hart, die hohe Mobilität führt darüber hinaus zu erheblichen Kaufkraftabflüssen in nähere und fernere Einkaufszentren.
Die gerne mit dem Motto „das Dorf in der Stadt“ beworbenen Bezirksteile verfügen neben dem merkantilen vor allem über ein reges kulturelles Leben, gestützt vom Wirken der lokalen Pfarren, der Schulen, einzelnen Vereinen und zahlreichen Privatinitiativen.
Ein nicht zu vernachlässigende Faktoren sind der Denkmalschutz und vor allem die Schutzzonen, die durch den Erhalt alter Ensembles ein vorteilhaftes Ambiente ermöglichten. Das beste Beispiel hierfür ist wohl Ober St. Veit mit seiner barocken Pfarrkirche und den dörflichen Gassen darunter.
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Wasser ist der Quell allen Lebens. In früheren Zeiten war der Wienfluss dieser „Quell“ und einer der Mittelpunkte des täglichen Lebens. Hier weideten Tiere, hier wurde gefischt, in seinem Wasser wurde die Wäsche gewaschen, an bestimmten Stellen wurden die Pferde gereinigt und gekühlt. Wer Zeit hatte, kam hierher, um sich zu erholen oder Leute zu treffen, und die Kinder fanden einen unerschöpflichen Freiraum.
Diese Nutzungsarten überlebten in veränderter Weise Flussverbauungen und sogar die vollständige Regulierung, die Sommerfrischler badeten weiterhin gerne im Wasser des Wienflusses, taten dies aber weniger in aufgestauten Bereichen, sondern in den entlang des Flusses entstehenden Freibädern. Das Wasser des Wienflusses war und blieb jedoch immer nur Nutzwasser, das Trinkwasser holte man sich immer schon aus den Quellen der Wienerwaldhänge oder aus den zahlreichen Hausbrunnen.
Manche der Quellen wurden gefasst und deren Wasser in Rohrleitungen zum Ort der Nachfrage gebracht. Aus Quellen in unserer Region dotierte Wasserleitungen führten in das Schloss Schönbrunn und in das Palais des Prinzen Eugen. Für das Volk zugängliche Auslaufbrunnen gab es bei uns erst im 19. Jahrhundert.
Bis dahin hatte die massive Zuwanderung zu enorm gestiegenem Wasserbedarf geführt. Ungeachtet so mancher Pioniertat
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Eines der wenigen historischen Fotos mit einem Ziehbrunnen für die Öffentlichkeit. Als es die Hietzinger Hauptstraße noch nicht gab, war die Trazerberggasse (ehemals Feldgasse) neben der Auhofstraße ein wichtiger Verkehrsweg in die östlich gelegenen Fluren. Der Platz vor diesem Gasthaus an der heutigen Einsiedeleigasse am Eck zur Trazerberggasse gab es den hier sichtbaren Brunnen zur Versorgung der vorbeikommenden Fuhrwerker und ihrer Pferde.
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Nicht alle Hausbrunnen gingen verloren. Diesen uralten, mit Steinen ausgemauerten Brunnen gibt es nach wie vor. Fotografiert am 5. Oktober 2009
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blieb das öffentlichen Wasserangebot unzureichend, denn die Ortsgemeinden waren mit dieser kommunalen Aufgabe überfordert. Die Überlieferungen von Klagen über unzureichende Wasserversorgung betreffen allerdings kaum den Mangel an Trinkwasser, sondern meist den Wassermangel im Zusammenhang mit der Brandbekämpfung. Die oft genannte Substitution von Trinkwasser durch Bier und Wein und die Rolle der davon profitierenden Brauereien und Weinbauern ist aus heutiger Sicht schwer einschätzbar.
Trotz aller Rechte und teuren Maßnahmen klagten auch Adel und Klerus immer wieder über unzureichende Nutzwasserzufuhr für ihre umfangreichen Gartenanlagen und waren ständig auf der Suche nach weiteren Wasserrechten.
Eine massive Verbesserung in der Wasserversorgung brachte erst die Teilhabe Hietzings an der von 1869 bis 1873 errichteten ersten Hochquellenleitung (Kaiser Franz Josefs-Hochquellenleitung). Eine weitere Wasserquelle wurde mit der Wientalwasserleitung erschlossen.
Heute wird der 13. Wiener Gemeindebezirk fast ausschließlich mit dem Wasser der Hochquellenleitungen versorgt, die alten Brunnenhäuser wurden mit wenigen Ausnahmen eingeebnet, die meisten Brunnen zugeschüttet.
In der Folge sei an einige für unsere Region relevante historische Wasserversorgungseinrichtungen erinnert. Eine zweifelsfreie Beschreibung der jeweiligen Anlage war jedoch nicht immer möglich, weil Unschärfen und Widersprüche in den vorhandenen Quellen, manchmal sogar divergierende Bezeichnungen, Deutungen meinerseits notwendig machten.
Diese älteste bekannte Wasserleitung war vermutlich 20 bis 30 Kilometer lang und verlief, soweit die Fundstellen dies nahelegen, vom Tal der Liesing am Osthang des Wienerwaldes über die Gebiete der Orte Kalksburg, Liesing, Atzgersdorf, Lainz und Hietzing bis zum Tal der Wien. Sie wird in die römische Zeit des 1. bis 3. Jahrhunderts n. Chr. datiert und diente der Versorgung des römischen Legionslagers Vidobona und dessen Zivilstadt.
Eine ausführliche Arbeit zu diesem Bauwerk stammt aus der Feder von Heinz Gerstbach: Die Römische Wasserleitung durch Hietzing nach Vindobona. Siedlungen zur Römerzeit im Bezirk Hietzing und römische Straßen in seiner Umgebung. In: Fenster in die Vergangenheit. Lokalgeschichtliche Schriftenreihe des 13. Wiener Gemeindebezirkes – Hietzing. Ausgabe 10. Hrsg. Bezirksmuseum Hietzing, Wien 2022.
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Für das von Maria Theresia ausgebaute Schloss und dessen erweiterte Gartenanlagen waren enorme Wassermengen erforderlich, die aus einer Kombination von Einrichtungen bereitgestellt wurden. Der obige soll dies veranschaulichen.
Von den frühesten Anfängen dieses Schlosses an wurde das Wasser aus den Quellen im Schönbrunner Berg und aus dem Wienfluss bzw. vielmehr aus dem von diesem abgeleiteten Mühlbach bezogen. Dieser trieb die verschiedenen Mühlen an, die hier bestanden hatten. Die letzte, beim heutigen Meidlinger Tor gelegene Mühle bestand als „Steyrermühle“ bis 1756. Sie wurde nach ihrem Abbruch durch ein von Pferden und Ochsen angetriebene Wassermaschine ersetzt, das sogenannte „Amperlwerk“.
Für die geplanten Fontänen bei der Neuanlage des Gartens benötigte man jedenfalls mehr Wasser, als der Mühlbach, die vorhandenen Brunnen und eventuell schon bestandenen Wasserleitungen von außerhalb liefern konnten.
Korrespondierend mit dem vorderen um 1776 entstandenen Glorietteteich wurde ein großes Reservoir im Lainzer Tiergarten errichtet, um den Wassermangel „ein für allemal“ zu beheben. Von dort wurde das gesammelte Regenwasser in diesen Teich unter der Gloriette und in einen zweiten nicht eruierbaren geleitet. Die aus dem Lainzer Tiergarten kommende Wasserleitung war ungefähr 4.300 m lang und führt längs der heutigen Hermesstraße, Feldkellergasse, Hetzendorfer Straße und Klimtgasse über den Fasangarten zu den Glorietteteichen. Von dort aus wurden die verschiedenen Bassins, Springbrunnen und Hydranten im Areal des Schlosses Schönbrunn gespeist. Im obigen Plan ist sie als Tiergarten Hofwasserleitung grün hervorgehoben, anderswo wird sie „Lainzer Tiergartenleitung“ bezeichnet).
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Ausschnitt aus dem Übersichtsplan der Hofwasserleitungen aus dem Jahr 1827. Die einzelnen Leitungen wurden farblich markiert:
Grün: Tiergarten Hofwasserleitung
Rot: Lainzer Wasserleitung
Blau: Mühlbach
Gelb: Küchenwasserleitung.
Achtung, die Karte ist nicht genordet, sonder gesüdet!
Eine gute Ausgangsbasis auch für die Wasserversorgung Schönbrunns ist Glaser, Josef: Schönbrunner Chronik. Versuch einer bau- und wohngeschichtlichen Dokumentation über 4 Jahrhunderte 1560–1983. Hrsg: Schloßhauptmannschaft Schönbrunn. Wien: 1969 und weitere verbesserte Auflagen.
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1846 wurde zur Verstärkung der Wasserbringung unterhalb des erste Teiches im Lainzer Tiergarten ein zweiter Teich mit einem separaten Rohrstrang angelegt, der ziemlich parallel zur ersten Rohrleitung verlief. Beide Wasserleitungen blieben bis 1963 in Betrieb.
Zu dieser Hofwasserleitung sollen auch eine k. k. Hofbrunnstube am Gartengrund Nr. 36 des Ortes Speising, ebenfalls die k. k. Hofbrunnstube an dem Lainzer Feldweg nach Hetzendorf und die Hof-Hauptbrunnstube am selben Feldweg gehört haben.
Bei der gelb markierte Leitung in obigem Plan dürfte es sich um die Hofküchenwasserleitung gehandelt haben. Sie soll ihren Ursprung im Bereich des Fuchsenfeldes gehabt haben. Von dort führte sie in der Richtung der heutigen Rauchgasse und Tivoligasse zum Meidlinger Tor. Dort soll sie mit einer Grünbergwasserleitung zusammengetroffen sein, deren Brunnstube in nächster Nähe des Meidlinger Tores zwischen der Zenogasse und der Grünbergstraße lag. Die Leitung soll der Versorgung des Schlosses und später der k. k. Hofküchen in Schönbrunn gedient haben.
Die im Plan rot markierte „Lainzer Wasserleitung“ brachte das Wasser aus dem Quellgebiet der heutigen Hofwiesengasse in Lainz durch die Fasangartengasse, die Lainzer Straße und die Gloriettegasse und Tiroler Gasse zu einem Reservoir im Schönbrunner Tirolergarten. Diese Lainzer Wasserleitung versorgte den auf der Hietzinger Seite des Schlosses gelegenen Botanischen Garten, die Glashäuser und die Menagerie mit Nutzwasser. Zur Steigerung der Ergiebigkeit soll der Lainzerbach, neben dem die Saugkanäle verliefen, mit Hilfe zweier Wehre aufgestaut worden sein.
In der Literatur sind noch Hinweise auf Wasserzuleitungen aus Brunnstuben am Hundsthurm, aus sieben Quellen im „Gatterhölzl” (einem Wäldchen bei der heutigen von Schönbrunn nach Hetzendorf führenden Allee, hier ist offensichtlich nicht von der aus sieben Brunnen gespeisten Siebenbrunner Hofwasserleitung aus 1553 die Rede) und sogar aus der Albertinischen Wasserleitung angeführt. Die genannten Leitungen wurden schon lange vor der Jahrhundertwende außer Betrieb gesetzt (die Grünbergwasserleitung erst 1916), da um 1870 Hochquellenwasser vom Rosenhügelreservoir zur Verfügung stand. Wegen des rasant gestiegenen Wasserbedarfes der Stadt Wien in den folgenden Jahrzehnten war man des Wassermangels jedoch nicht völlig enthoben. Schönbrunn musste daher schon um die Jahrhundertwende für eine Eigenversorgung mit Nutzwasser sorgen, und zwar vorerst durch Zisternen im alten Reservegarten und später durch Gewinnung des Grundwassers durch tiefe Brunnenanlagen. Von diesen wird das Wasser in die beiden Glorietteteiche gepumpt. Talwärts führende Fallleitungen versorgen die zahlreichen Hydranten für die Besprengung der Rasenanlagen, für die Teiche und Bassins, die Gewächs- und Palmenhäuser und den gesamten Tiergarten mit Nutzwasser.
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Die für den Tempel dieser Quelle aufkommende Bezeichnung gab dem Schloss seinen Namen. Im Folgenden eine Stellungnahme aus dem Jahr 1838 zum Ersuchen eines Schönbrunner Schlossbediensteten, das Wasser aus dem sogenannten Kaiserbrunnen im Schloßgarten zu Schönbrunn zu schöpfen und an Privatpersonen zu verkaufen:
Bekanntlich ist der Bedarf des Schönbrunner Wassers für den Allerhöchsten Hof sehr groß und bedeutend, indem damit nicht nur die Allerhöchsten Herrschaftstafeln, dann alle Herrschaftskammern, die ausgezeichneten Personen des Hofstaates, alle Ämter und Kanzleyen, sondern auch die meisten Botschaften der fremden Höfe versehen werden müssen, da zwar daß bey besonderen Anlässen, als Hof- und Kammerbälle, wo der Wasserbedarf noch größer ist, oft zweymal des Tages das Wasser von Schönbrunn abgeholt werden muß.
Ob nun nicht dadurch, wenn die hierortigen Wasserfüller mit den fremden Wassernehmern zusammentreffen, nicht Sreitigkeiten, oder andere die Ausübung des a. h. Dienstes störende Unordnungen entstehen können, muß eine bis jetzt noch unentschiedene Frage bleiben, und man muß auch noch beyfügen, daß für den Fall, als nach dem Beyspiele einiger vorhergegangenen Jahre ein Wassermangel eintreten sollte, durch das Zusammentreffen zweyer einen so bedeutenden Wasservorrath benöthigten Abnehmer nicht eine Stockung eintreten könnte.
Abgesehen davon, daß ein großer Theil des Schönbrunner Wassers, der Neuheit wegen, und seiner besonderen Eigenschaften halber, consumiert werden wird, muß man schlüßlich noch bemerken, ob nicht dadurch die Würde des Allerhöchsten Hofes angetastet werde, wenn das Wasser aus dem Garten Seiner Majestät des Kaisers zum Verkaufe angebothen wird, weil ungeachtet der öffentlichen Kundmachung von seiten des Unternehmers manchem aus dem Publicum, die Muthmassung sich aufdrängen könnte, daß der Allerhöchste Hof durch eine Mittelsperson das Schönbrunner Wasser zum Verkaufe anbiethet.
Die Bitte des Schlossbediensteten wurde also ernst genommen und sorgfältig überlegt. Ein möglicherweise eintretender Mangel an Wasser wird durch eine andere Stellungnahme entkräftet weil er „konnte von dem Umstande nicht stattfinden, weil selbes nicht in der Brunnstube selbst genommen wird, wo es möglich werden könnte, mehr Wasser nehmen zu wollen, als die Quelle gibt, sondern dieses Wasser läuft durch Röhren aus der Brunnenstube Tag und Nacht immerwährend fort und hat seinen Auslauf, bei den sogenannten Riesenbrunnen und dort wird selbes
Collage zum Schönen Brunnen aus dem März 2005
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Stimmung vor dem Neptunbrunnen fotografiert am 24. März 2005
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in Flaschen gefüllt, dahero niemals mehr als die Quantität welche die Quelle gibt entnommen werden kann, und selbst bei den bisherigen trockenen Jahren ist dieses Wasser mit hinlänglicher Ergiebigkeit sich stets gleich geblieben“.
Letztendlich wird das Gesuch vom Obersthofmeisteramt abgelehnt. Quellen: Aus der Brennig‘schen Familienchronik
Tief unter dem Talboden neben der oberen Adolfstorgasse, stellenweise sogar ca. 9 Meter tief, verläuft ein gemauerter Wasserstollen. Er beginnt etwas unterhalb der Lainzer Tiergartenmauer und endet in einer Brunnenstube auf der Höhe Adolfstor-
gasse 53. Als Jahr der Errichtung dieser Brunnenstube wird das Jahr 1725 kolportiert, ihr Wasser soll aus Quellen bei der Baderwiese gekommen sein.
Vermutlich war diese Brunnenstube der Ausgangspunkt frühester St. Veiter Wasserleitungen. Von hier aus muss das bereits im Brequin-Plan aus dem Jahr 1755 ersichtliche Wasserreservoir in Höhe der heutigen Adofstorgasse 2 dotiert worden sein. Kardinal Sigmund Graf Kollonitz hatte 1742 die Parkanlage des Schlosses neu anlegen lassen und mit drei Springbrunnen versehen. Versorgt wurden sie durch dieses höher gelegte Wasserreservoir „inmitten von Weingärten, an der heutigen Adolfstorgasse“ (Weissenbacher I, Seite 98). Auch soll der erzbischöfliche Fischteich, den es einst am Ende der heutigen Sackgasse zur Adolfstorgasse 49 gab, aus dieser Brunnenstube gespeist worden sein.
Ausschnitt aus dem Brequin-Plan 1755. Er zeigt bereits das Wasserbecken oberhalb des Schlosses in Höhe der heutigen Adolfstorgasse 2 (neben der Eintragung „Reservoir“). Damals waren die unverbauten Abhänge vom Wienerwald fast vollständig mit Weingärtenbedeckt.
Der gleiche Ausschnitt aus dem Franziszeischen Katasterplan 1819. Über das Becken in den Weingärten hinaus ist bereits ein großes Wasserbecken nördlich des Schlosses eingezeichnet. Unter die Weingärten haben sich bereits Wiesenstreifen gemischt.
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Blick in die noch existierende Brunnenstube bei der Adolfstorgasse, fotografiert am 26. Juni 2010
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In weiterer Folge muss aus dieser Brunnenstube auch jener Teich dotiert worden sein, der auf dem Grundstück hinter dem heutigen Haus Firmiangasse 3 angelegt wurde und im Franziszeischen Katasterplan aus dem Jahr 1819 nördlich des Schlosses ersichtlich ist. Prinz Eugen hatte die Liegenschaft CNr. 125 (heute Firmiangasse 3) im Jahr 1730 um 300 fl. von Kardinal Kollonitz erworben, und zwar mit der Absicht, darauf ein Wasserreservoir zu errichten und von hier aus eine Wasserleitung bis zum Belvedere zu legen (Twaroch, Franz: Auch Grundbücher schreiben Geschichte). Ob diese Wasserleitung tatsächlich errichtet wurde, ist nicht eruierbar. Der Teich, der sie speisen sollte, ist im Brequin-Plan aus 1755 jedenfalls noch nicht eingezeichnet.
Erstaunlicher Weise entbrannte nach dem Tod Prinz Eugens 1736 ein Rechtsstreit um die Nutzung dieser Wasserversorgung. Das Hofärar beanspruchte das Wasser für Schloss Schönbrunn, der Erzbischof von Wien hingegen, über dessen Grund die Wasserleitung streckenweise führte, benötigte sie für seinen Sommersitz in Ober St. Veit. Nach kaiserlicher Intervention wurde die Wassernutzung dem Erzbischof zugestanden.
Spätestens im Jahr 1824 gehörte der Grund mit dem Wasserbecken nicht mehr zum Haus CNr. 125, sondern wurde gemeinsam mit dem Haus CNr. 123 (heute Firminagasse 7) an Graf von und zu Firmian um 5.500 Gulden verkauft. Ab 1839 gehörte es dem Wiener Erzbistum, wurde dann „Dominikalisiert“ (in Eigenwirtschaft übernommen und nicht an Untertanen weitergegeben) und der Grundbuchseinlage der Herrschaft St. Veit zugeschlagen. In jünger Zeit wurde der bischöfliche Baugrund an der Firmiangasse 7 an eine Wohnbaugesellschaft verkauft und von dieser verbaut. Der Bereich mit dem Wasserbecken gehört heute noch zur Grundfläche des Schlosses Ober St. Veit.
Im Jahr 1866 machte eine Wasserleitung in Ober St. Veit neuerlich von sich reden. Gebhard Klötzl (Bürgermeister und Affären) beschreibt dies auf Basis von Sitzungsprotokollen des Gemeindeausschusses:
„Unter Bürgermeister Hauer wurde in Ober St. Veit 1866 ein bedeutendes Projekt verwirklicht, nämlich der Bau einer öffentlichen Wasserleitung zu einem gemauerten Auslaufbassin auf dem Hauptplatz (die obere Hietzinger Hauptstraße). Das Wasser kam aus Quellen im kaiserlichen Tiergarten, deren Benützung das kk. Obersthofmeisteramt gestattet hatte. Der Brunnenmeister, die Röhrenverlegung und der Baumeister kosteten zusammen die Riesensumme von 17.500 Gulden, sodaß die Gemeinde in dieser Höhe ein Darlehen aufnehmen mußte. Alle Häuser, die keine guten Hausbrunnen hatten, konnten sich ab jetzt dort Wasser holen, gerne schickte man bis in die Abendstunden hinein dazu Kinder mit Krügen und Flaschen. Ungefähr 20 Jahre lang bestand diese „Bassena“, die man auf
Der Auslaufbrunnen am Wolfrathplatz. Dieses Foto unbekannten Datums zeigt nach wie vor einen Brunnen vor dem Haus Hietzinger Hauptstraße 153. Die sichtbare Oberleitung lässt auf die Zeit nach der Elektrifizierung der Straßenbahn im Jahr 1908 schließen. Eigenartig ist die unterhalb des Auslaufbrunnens stehende Brunnenpumpe.
© Bezirksmuseum Hietzing
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alten Fotos des Wolfrathplatzes gegenüber der Einmündung der Firmiangasse noch sehen kann.“
Ob es sich bei den hier genannten Quellen im kaiserlichen Tiergarten um dieselben handelte, die auch die Brunnenstube in der Adolfstorgasse speisten oder um andere, ist nicht überliefert. Einerseits lassen die hohen Investitionskosten einen gänzlichen Neubau vermuten, andererseits wäre es erstaunlich, dass die recht nahe und offensichtlich ertragreiche Wasserleitung in der heutigen Adolfstorgasse nicht (mit)benützt wurde.
Ein Zeitzeuge führte mich am 22. September 2010 zu den Resten der Quellfassungen der St. Veiter Wasserleitung im Lainzer Tiergarten. Auch sie lagen bei der Baderwiese. Es soll sich um ein rundes Wasserbecken im Durchmesser von etwa zwei Metern gehandelt haben, das von einer gemauerten Kuppel überdacht war. Das Wasser kam aus drei unterirdischen, etwa 50 Meter weiter oben gelegenen Quellfassungen (siehe Foto rechts). Von der Brunnenstube ist heute nichts mehr zu sehen, sie wurde vollständig eingeebnet.
Mit der Errichtung der St. Veiter Wasserleitung war das Ober St. Veiter Wasserproblem jedoch keineswegs endgültig gelöst. Einer der Arbeitsschwerpunkte Bürgermeister Alexander Streckers (Ober St. Veiter Bürgermeister von 1876 bis 1879) war die Rekonstruktion der Wasserleitung aus dem Lainzer Tiergarten, um die fremdenverkehrsschädliche Wassermisere der letzten Sommer endgültig zu beheben. Behoben wurde diese „Misere“ wohl erst mit der Verfügbarkeit des Hochquellenwassers.
Wielange die „Bassena“ beim Wolfrathplatz tatsächlich bestand, ist nicht mit Sicherheit geklärt. Es kann sein, dass sie bereits 1887 dem Bau der Dampftramway weichen musste. Spätere Fotos zeigen vermutlich die von der II. Wiener Hochquellenwasserleitung (eröffnet 1910) gespeisten Auslaufbrunnen.
Die Anlage im Verlauf der oberen Adolfstorgasse besteht heute noch. Das daraus hervorsickernde Wasser fließt aus dem Brunnenhaus in ein Kanalsystem, dass die folgenden Kleingärten durchzieht. Dann wird es vom öffentlichen Kanal aufgenommen.
Diese Brunnenstuben sind heute noch im Lainzer Tiergarten an den Abhängen des Hagenberges (früher und historisch korrekter „Hackenberg“) vorhanden, und zwar im an die Markwardstiege angrenzenden Bereich. Dazu passend berichtet Weissenbacher (In Hietzing gebaut) von einem Wasserreservoir in der Nähe der heutigen Erzbischofgasse, das durch Quellen am Hagenberg gespeist wurde und Hacking versorgt hatte.
Wohin die von dort ausgehenden Wasserleitungen führten, ist nicht überliefert. Früheste Abnehmer werden wohl die ehemalige Festung und das Schloss Hacking gewesen sein. Als der
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Blick in eine der Quellfassungen der alten St. Veiter Wasserleitung. Über den ursprünglichen Auslauf war ein Steinzeugrohr gelegt worden, durch das heute noch das Wasser in das Auffangbecken fließt. Das Innere des Rohres trägt eine dicke Sinter-Schicht. Versteckt unter der Erde ist ihr die Zerstörung erspart geblieben, das Bunnenhaus wurde vollständig eingeebnet. Nach dem Ende der Versorgung Ober St. Veits soll noch das Café Tiergarten und die Kleingartenanlage Hauerweg (diese sogar mit eigener Brunnenstube) Wasser aus dieser Leitung bezogen haben. Der heutige Weg des Wassers in den eventuell noch vorhandenen Rohrleitungen ist nicht eruierbar, ein Teil bewässert einen Graben, der zum Lackenbach führt. Fotografiert am 22. September 2010
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Deutsche Orden als seinerzeitiger Grundherr das Schloss samt Zugehör und Garten verkaufte, wurde eine Brunnstube separat genannt.
Aus den Brunnenstuben am Hagenberg wurde auch die Communität der ehrwürdigen Frauen des III. Ordens des hl. Dominikus in Hacking versorgt. Das diesbezügliche Leitungs- Servitut liegt heute noch auf zahlreichen parzellierten Grundstücken der Hagenberggasse. Anlässlich der Parzellierung um das Jahr 1920 wurde es nicht eingegrenzt oder gelöscht, sondern von der ursprünglichen großen Parzelle auf alle unterteilten Einzelparzellen grundbücherlich übertragen, obwohl auf ihnen physisch gar keine Röhren verliefen.
Mit der Verfügbarkeit des Hochquellenwassers ist wohl auch diese Wasserzufuhr funktionslos geworden, möglicher Weise jedoch erst später als andere Quellwasserleitungen in der Region. Nach Josef Donner (Dich zu erquicken ...) soll der Konvent der Dominikanerinnen erst 1937 auf die diesbezügliche „Wasserleitungsdienstbarkeit“ verzichtet und fortan das Hochquellenwasser bezogen haben.
Hermine Freiin Schey von Koromla‘sche Wasserleitung: Auf der „Gemeindehutweide zu Lainz unterhalb der Tiergartenmauer“ befanden sich Saugkanäle und eine Brunnstube für eine Privatwasserleitung zur Versorgung der Villa Lainz CNr. 26 (Lainzer Straße 162). Im Satzbuch der Gemeinde Lainz aus dem Jahr 1800 findet sich bereits die Anerkennung des Wassernutzungsrechtes für diese Wasserleitungsanlage.
Die Quelle in der Einsiedelei: Eine eigene, im Keller gefasste Quelle gab reichlich Trink- und Nutzwasser, das überflüssige Wasser floss in einen künstlich angelegten Teich im Gemüsegarten, der später auch Fische (zuerst von Fürstin Schwarzenberg gespendete Karpfensetzlinge) beherbergten. 1922 wurde das Haus (damals das St.-Josefs-Heim) an die Hochquell-Wasserleitung angeschlossen. Heute steht an der Stelle des ehemaligen St.-Josefs-Heimes das Pflegewohnhaus San Damiano, Josef-Kraft-Weg 9. Die Quelle wird im Keller des Bauwerkes direkt in den Kanal geleitet.
Der Himmelhof: Auch der Himmelhof soll die Ober St. Veit immer schon mit gutem Wasser aus seinen Quellen versorgt haben, bis auf die Hitzewellen 1834 und besonders 1841, wo im Schatten 38 Grad gemessen wurden. Die Röhren führten von zwei Brunnen innerhalb der Tiergartenmauer zum Meierhof und von dort ins Tal und soll in Form eines Stollens gebaut gewesen sein. Nach 1900 soll die zugeleitete Wasserquelle versiegt sein, ohne Wasser war der Betrieb eines damals geplanten Gasthaus- und Mei
Foto von zwei Brunnenstuben am Hagenberg
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ereibetrieb unmöglich. Erst nach Vollendung der Zweiten Wiener Hochquellenwasserleitung stand wieder Wasser zur Verfügung.
Die Quellen im Lainzer Tiergarten: Aus den Berghängen im Lainzer Tiergarten fließt an vielen Stellen Wasser. Die darin befindlichen ehemaligen Jagdhäuser, heute sind es Rasthäuser, wurde allesamt an Plätzen mit ausreichendem Quellwasser gebaut. Die 1882 bis 1886 errichtete Hermesvilla verfügte mit drei Brunnstuben im Katzengraben über die großzügigste Wasserzuleitung. Zu nennen ist auch die am Wegrand unter dem Kaltbründlberg gelegene Königsquelle. Allerdings gehört der Lainzer Tiergarten wie der ganze Wienerwald im Bereich von Wien geologisch der Flyschzone an. Flyschböden sind schwer durchlässig und leiten Niederschlagswasser rasch ab. Als Folge ist die Schüttung der Quellen sehr variabel und sie finden heute nur mehr wenig Aufmerksamkeit.
Die erste Ausbaustufe dieser Hochquellenleitung war 1873 fertiggestellt. Deren Ergiebigkeit schwankte je nach angeschlossenen Quellen und Pumpwerken, war aber mit der Kapazität des Aquädukts bei Mödling mit 138.000 Kubikmeter begrenzt. Das Hauptreservoir wurde auf dem Rosenhügel errichtet, von hierführen mehrere Hauptleitungen weg, eine unter der heutigen Björnsongasse, Bergheidengasse, Himmelbaurgasse und Fasangartengasse nach Lainz und weiter in Richtung Unter St. Veit und zum Speicher Breitensee.
Die Informationen und Bilder zur Hochquellenleitung und zur Wientalwasserleitung stammen vorwiegend aus Kortz, Paul: Wien am Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein Führer im technischer und künstlerischer Richtung. Herausgegeben vom Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Verein. Wien: Verlag von Gerlach & Wiedling, 1905.
Die Information zur Wientalwasserleitung stammen zusätzlich aus diversen Bau-Fachzeitschriften, aus der Kleinen Volks-Zeitung vom 28. September 1931 und aus dem Internet.
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Ausschnitt aus den Versorgungsgebieten der ersten Hochquellenleitung Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Großteil Hietzings konnte mit dem natürlichen Druck aus dem Hauptreservoir versorgt werden (hell schraffiert). Der Ortskern von Ober St. Veit hingegen musste durch das Hebewerk Breitensee versorgt werden (dunkel schraffiert). Die höher gelegenen Gebiete (Himmelhof, Gegend um den Gemeindeberg etc.) hatten noch keine Versorgung mit Hochquellwasser, waren allerdings zu dieser Zeit kaum besiedelt.
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Oben eine Skizze der öffentlichen Auslaufbrunnen und oben links eine Ansichtskarte aus dem Jahr 1917, die ganz links im Bild einen solchen Auslaufbrunnen in der Ober St. Veiter Glasauergasse zeigt.
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Die Teilhabe an dieser Wasserversorgung wurde für die Vororte jedoch erst nach deren Eingemeindung nach Wien 1890 möglich. Die Erweiterung der Rohrleitungen und der Anschluss der Häuser wurde bald nach der Eingemeindung auch in den neuen Bezirken in Angriff genommen und war Ende 1903 noch voll im Gange. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Wien rd. 29.000 Hausanschlüsse und 612 Auslaufbrunnen, dazu noch Feuerhydranten, Unterflurhydranten für die Straßenbesprengung und andere Entnahmemöglichkeiten.
Die enormen in den Hauptleitungen transportierten Wassermengen wurden den Bewohnern im August 2008 bewusst, als eine der Hauptleitungen bei der Hofwiesengasse brach. Die folgende Überschwemmung von Lainz nahm ein Ausmaß an, das der alte Lainzerbach nicht zustande gebracht hatte. Allerdings war dieser von 1895 bis 1903 kanalisiert worden.
Nach den ursprünglichen Konzessionen aus den Jahren 1880 bis 1882 bezweckte die Gesamtanlage die Lieferung von Nutz- und Trinkwasser für die (damaligen) westlichen Vororte Wiens aus dem Gebiet des Wienflusses und seiner Nebenbäche oberhalb Hütteldorfs. Von den geplanten vier Stauseen kam nur derjenige am Zusammenfluss von Wolfgrabenbach und Wienfluss oberhalb von Unter-Tullnerbach zur Ausführung, und zwar in den Jahren 1895 bis 1897, lange nach der Eingemeindung der Vororte.
Eine in Lüttich ansässige Aktiengesellschaft namens „Gesellschaft der Wiener Wässer“ (Compagnie des Eaux de Vienne et d‘exploitation et distribution d‘ eau A.G.) hatte eine 99-jährige Konzession und einen Vertrag mit der Gemeinde Wien über die tägliche Lieferung von 20.000 Kubikmeter Wasser im Sommer
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Dieser Plan aus dem beginnenden 20. Jahrhunderts zeigt die Nutzwasserversorgung Wiens durch die Wientalwasserleitung und die Versorgung durch die erste Hochquellenleitung. Von den vier geplanten Stauweihern für die Wientalwasserleitung kam nur das Wolfsgraben-Reservoir zur Ausführung. Die Becken im Dammbachgraben, bei Gablitz und in Mauerbach wurden nicht realisiert.
und 10.000 Kubikmeter im Winter. Das Höchstquantum des pro Tag lieferbaren Wassers betrug 25.000 Kubikmeter, welches auf Anforderung der Gemeinde Wien auf 40.000 bis 60.000 Kubikmeter gesteigert werden könnte. 20 Arbeiter waren in dieser Anlage beschäftigt.
1898 wurde entschieden, dass die Abgabe des Wassers aus der Wientalwasserleitung nur zu Nutzzwecken zulässig sei. Nach einem Rekurs des Konzessionsträgers wurde 1899 folgende Verwendung zugelassen: Als Nutzwasser für Haus und Gewerbe, mit Einschluss der Verwendung bei der Zubereitung von Nahrungs- und Genussmitteln, namentlich für Brauereien, jedoch mit der Beschränkung, dasss die Verwendung des Wassers zur Herstellung von Sodawasser und anderen gleichartigen kohlen säurehaltigen Getränken, bei welchen das Wasser ungekocht zum Konsums gelangt, ausgeschlossen bleibt.
Das 700mm starke Leitungsrohr der Wientalwasserleitung führte zunächst die Linzer-Straße entlang bis zur Wiener Stadtgrenze bei Hütteldorf und gelangte hier in das städtische Rohrnetz der Wientalwasserleitung. Es führte von Hütteldorf bis zum Kai und von der Türkenschanze bis zum Südbahnhof und dem Arsenal und versorgte einen Großteil der Industrie und die viel
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Der Wienerwaldsee, fotografiert am 18.8.1928. bei geringem Wasserstand. Er wurde etwa gleichzeitig mit der Regulierung des Wienflusses in Wien angelegt. Sein Hauptzweck war die Versorgung des Westen Wiens mit Nutzwasser. Nach der Übernahme durch die Wiener Wasserwerke wurde bis 2004 auch Trinkwasser für die Stadt Wien und die dazwischenliegenden Gemeinden gewonnen. Im Jahr 2003 lieferte das Wientalwasserwerk rd. 3.5 Mio. Kubikmeter Wasser oder 2,34 Prozent des insgesamt geförderten Trinkwasser Wiens. Als Gründe für die Einstellung wurden die Kosten der steigenden Qualitätsanforderungen und die Erhaltung doppelter Leitungssysteme genannt. Zur Offenhaltung zukünftiger Nutzungen ist der Wienerwaldsee nach wie vor Wasserschutzgebiet
© Stadtarchiv Purkersdorf
Wasser konsumierenden Bahnhöfe der Franz-Josefs-Bahn, Westbahn, Südbahn und Staatseisenbahnen sowie den Bahnhof der Stadtbahn in Hütteldorf. Ein verbreiteter Zweck war auch die Straßenspritzung. 1903 hatte das Straßenrohrnetz eine Länge von 130 Kilometer und versorgte unter anderem einige Teiche und Bassins sowie 719 Feuer- und Spritzhydranten und 251 Häuser mit Nutzwasser.
Das aus dem Wienfluss und seinen Zuflüssen stammende Wasser war wärmer und weniger hart als das Hochquellenwasser und demnach für Dampfkessel, Bäder, Gärten und Reinigungszwecke besonders gut verwendbar. Obwohl nur als Nutzwasser bezeichnet, wurde es durch aufwändige Anlagen (dem Wesen nach Sandfilter) in Unter-Tullnerbach gereinigt. Darüber hinaus stand die Wasserleitung unter strenger Aufsicht und allmorgendlich wurde eine Wasserprobe zur bakteriologischen Untersuchung ins Hygienischen Universitätsinstitut gebracht. Eine eigene Wienflußpolizeordnung der Bezirkshauptmannschaft Hietzing und Umgebung schützte den Weiher und das Gerinne durch hohe Strafen vor jeder Verunreinigung und neben Gemeindeorganen und Gendarmerie patrouillierten zwei beeidete Aufseher unausgesetzt in der betreffenden Gegend. Auch durfte das abgegrenzte Gebiet des Weihers nicht betreten werden.
Später dann, als auch die zweite Hochquellenwasserleitung gebaut war, wurden die Wiener aufgrund ihres reichlich fließenden Wassers als „Wassermillionäre“ bezeichnet. Das Nebeneinander der großen Leitungen galt als besonders gute, das Wasser verbilligende Lösung. Nur selten, wie etwa im großen Frost 1929 und in der großen Dürre 1930 bedurften die Wiener tatsächlich eines Zuschusses aus dem „Wiener Weiher“, auch „Wolfsgrabenstauweiher“ etc. benannt. Im Jahr 1931 wurde dessen Stauspiegel durch die Errichtung eines modernen selbsttätigen
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Dachwehres erhöht und damit der Fassungsraum des Beckens von 1.350.000 auf 1.660.000 Kubikmeter erweitert (die Kapazitätsangaben nach Normalwasserstand oder Hochwasserstand schwanken erheblich).
Anlässlich der Fertigstellung der Erhöhung des Stauspiegels gedachte man auch der seinerzeitigen Vollendung des ersten Absperrdammes. Wegen der damals noch geringen Erfahrung mit solchen Bauwerken hatte man nach holländischem Muster von Etappe zu Etappe Kanonen aufgestellt, die nach einem Bruch des unfertigen Dammes rechtzeitig warnen sollten. Eines Tages wurde ein Sprengschuss aus einem nahen Steindamm falsch verstanden, und die ganze Kolonne der Kanonen gab erschreckenden Alarm. Dies löste eine Völkerwanderung aus dem immer neugierigen Wien nach Tullnerbach aus. Es war ein prachtvolles Geschäft für die Gastwirte und dann gab es den Streit, wer die Kosten der irrtümlichen Schüsse zu bezahlen hätte.
In Hietzing verwendet wurde das Wasser aus der Wientalwasserleitung unter anderem für die Dampftramway (nur kurz bis 1905), zur Straßenspritzung und ab 1921 für das Kinderfreibad Hietzing. Dort war zuvor die Wasserqualität bemängelt worden. Das Bad soll sich im „Schönbrunner Vorpark“ (heute Auer-Welsbach-Park) befunden haben. Bis 1938 war dies dem 13. Bezirk zugehörig, heute ist es der 15. Bezirk. Im damaligen Hietzing gab es auch ein zweites Kinderfreibad, und zwar in einem der Rückhaltebecken der Wienflussregulierung, genannt Kinderfreibad Hütteldorf. Dieses Rückhaltebecken liegt auch heute im 13. Bezirk.
Der Weiher oberhalb von Unter-Tullnerbach wird heute Wienerwaldsee genannt und ist Wasserschutzgebiet. So wie schon bei Bau gedacht ist er nach wie vor auch ein Teil des Wienfluss-Rückhaltesystems.
Diese neue Wasserleitung zur Verstärkung der ersten Hochquellenleitung mit Trinkwasser aus dem Hochschwabgebiet war mit einer Tageswassermenge von 200.000 Kubikmetern projektiert. Die Bauarbeiten begannen 1900, die Eröffnung erfolgte 1910.
Das Wasser dieser Anlage konnte auch höher gelegene Gebiete der Stadt aus eigener Kraft erreichen. Immerhin liegt der Endpunkt dieser Hochquellenleitung in Mauer am oberen Ende der Wittgensteinstraße, daneben im Lainzer Tiergarten der Wasserbehälter Lainz.
Mittlerweile liegen die maximalen täglichen Wasserliefermengen der ersten Hochquellenleitung bei 220.000 Kubikmeter, der zweiten bei 217.000 Kubikmeter (Abfrage Wiener Wasserstatistik im Jänner 2025).
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Vom mittelalterlichen „Gebirgsrandweg“ abgesehen, der über Hietzing und Lainz in den Süden führte, blieb die Region des heutigen Gemeindeberzirks Hietzing abseits der geschichtlichen Fernverkehrsrouten. Die Straße in den Westen, die seit dem frühen Mittelalter dem Wienfluss folgte und zur wichtigsten Verkehrsader für die Post wurde, verlief nördlich des Flusses im Bereich der heutigen Linzer Straße. Die Post-Kutschen wurden zum ersten öffentlichen Verkehrsmittel, hatten aber wenig Relevanz für die südlich des Wienflusses liegenden Dörfer. Diese hatten damit auch keinen Nutzen aus dem frühen Geschäft mit der Versorgung von Reisenden und Pferden. Ausnahme waren die Wallfahrten nach Hietzing, Lainz oder St. Veit, doch diese wurden meist zu Fuß unternommen und deren Versorgung oblag vorwiegend pfarrlichen und grundherrlichen Einrichungen. Eine Ausnahme war der Schwarze Hahn in Hietzing als Einkehrgasthof für Wallfahrer.
Die sonstige Verwendung von Kutschen im Stadtverkehr, auch der Fiaker genannten Lohnkutschen, waren dem Hof, dem Adel und sehr wohlhabenden Bürgern vorbehalten. Ab und zu mag eine Kutsche zum Erzbischöflichen Schloss in St. Veit gekommen sein. Die ländliche Bevölkerung jedoch blieb immobil. Der Aufschwung Hietzings als beliebtes Verkehrsziel begann ab der Mitte des 18. Jahrhunderts mit den kaiserlichen Sommeraufenthalten in Schönbrunn und dem Aufstieg der Region zu einer Sommerfrische.
In dieser Zeit hatte sich der Zeiselwagen als öffentliches Verkehrsmittel etabliert. Dabei handelte es sich um bäuerliche Leiterwägen mit über die Seiten gelegten Sitzbrettern und allenfalls einem Dach aus Rohrdecken. Fuhrleute hatten längst die Notwendigkeit von regelmäßigen Verbindungen zwischen Stadt, Vorstädten und dann auch den Vororten erkannt.
Die Sitze waren hart und die Wägen ungefedert. Die entsprechend mühsamen und langwierigen Fahrten waren fixer Bestandteil jeder damaligen Reisebeschreibung. Aber sie waren im Vergleich zu Fiakern billig und daher recht beliebt. Doch schließlich wurden sie von den Stellwägen abgelöst und der letzte Zeiselwagen wurde 1863 aus dem Verkehr gezogen.
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Zur Vertiefung:
Ewald Königstein: Einsteigen bitte! Vom Zeiselwagen zur U-Bahn. Die Entwicklung des öffentlichen Verkehrs in Wien unter besonderer Bercksichtigung von Ober St. Veit und Umgebung. März 1996
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Mosaik am Haus Linzer Straße 58 mit Zeiserlwagen anno 1830
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Zeiselwägen in Hietzing Am Platz. Zeichnung von C. Rahl (Vater) um 1820. Foto Paulitsch
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Franz Fuhrmann macht bekannt, dass ihm vom Stiftgerichte Klosterneuburg die Befugnis, einen Gesellschaftswagen für zwölf Personen in Hietzing zu halten, verliehen und von der Stadthauptmannschaft bewilligt worden sei. Sein Standort ist am St. Petersplatze im Pilatischen Wirtshause und in Hietzing in dem Gasthause zum schwarzen Rössel, der Fleischbank gegenüber; der Wagen geht alle Tage mit Schlag 7 Uhr früh von Hietzing über Penzing ab und um 9 Uhr früh wieder nach Hietzing zurück, nachmittags um 5 Uhr ab und abends um halb 7 Uhr wieder nach Hietzing; er ist ganz neu ausgepolstert, gedeckt und bei guter Witterung zum Aufziehen gerichtet; jede Person zahlt für eine Fahrt 30 Kreuzer und trägt verhältnismäßig die Mautgebühr; die Sitze werden nach Nummern ausgeteilt, so dass die Familienmitglieder oder gute Bekannte untereinander beisammensitzen können. Die Nummern werden auf Verlangen auch tagsvorher ausgegeben, man kann sich auf Wochen oder Monate abonnieren; Gesellschaften können den Wagen dergestalt bestellen, dass er zu Mittag um 12 Uhr nach der Hauptstadt ab- und um 2 Uhr nach Hietzing zurück, auch abends nach dem Theater wieder hinein fahren soll.
Die „Wiener Zeitung“
vom Juli 1817
enthielt diese Anzeige
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Diese kutschenartigen Wägen waren gefedert, hatten ein hartes Verdeck, boten entsprechenden Komfort und verfügten über Vorrichtungen für das Gepäck oder über Sitze auf dem Dach.
Die Stellfuhren hatten Standplätze bei Gasthöfen in der Stadt und in den Vorstädten, einen fixen Fahrplan und fixe Tarife. Im Archiv des Stiftes Klosterneuburg, damals Grundherr von Hietzing, finden sich bewilligte Ansuchen in denen immer die Einhaltung eines Fahrplanes verpflichtend war.
Eine „Endstelle“ des Stellwagens und später des Pferdeomnibusses war St. Peter. Beispielsweise verkehrte ab 1815 ein Stellwagen zum Dommayer in Hietzing, der ab 1817 auch durch einen (etwas vornehmeren und daher teureren) Gesellschaftswagen erreicht werden konnte. Die Stellwagen privater Fuhrwerksunternehmer waren bis zur Einführung der Pferdestraßenbahn die einzigen Verkehrsmittel für die große Masse der Bevölkerung, weil ihre Tarife relativ erschwinglich waren (beispielsweise 12 Kreuzer nach Hietzing).
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Um die Mitte des 19. Jahrhunderts gab es unter anderem stündlich verkehrende Stellwagen vom Gasthof „Zum weißen Schwan“ am Neuen Markt in die Hietzinger Altgasse, vom Stock-im-Eisenplatz zum Gasthaus „Zum schwarzen Hahn“, sowie nach Lainz, Speising, Mauer und Hütteldorf, die meist ebenfalls beim Gasthof „Zum weißen Schwan“ am Neuen Markt abfuhren.
In den 1880er-Jahren vereinigte die 1881 gegründete „Vienna General Omnibus Company“ fast alle innerstädtischen Stellwagenlinien. Auch das 1919 gegründete gemeindeeigene Autobusunternehmen trug noch den Namen „Städtische Automobil-Stellwagenunternehmung“, doch standen ab 8. September 1919 keine Pferdestellwagen mehr in Verwendung.
Zu den Stellwägen siehe den Beitrag im Kasten auf der folgenden Doppelseite.
Pferdebahnlinien waren der nächste Schritt in der Verkehrsentwicklung, ab 1865 auch in Wien. Sie waren den Unebenheiten der Straßen weniger ausgesetzt, in ihrer Geschwindigkeit aber auf die Leistung der Pferde beschränkt. Ab 1869 gab es auch eine von der „Wiener Tramway-Gesellschaft“ betriebene Verbindung vom Gürtel über die Mariahilferstraße, Schlossallee und Hadikgasse zur Hietzinger Brücke. 1870 wurde diese Linie stadteinwärts bis zum Ring verlängert. Diese Pferdtramways bestand in Wien bis zum Jahr 1903.
Die Wiener Dampftramwaylinien sind eng mit dem Münchener Lok-Konstrukteur Georg Krauss (1826–1906) verbunden. Er hatte es verstanden, über die Loks hinaus ganze Bahnen zu bauen und anfangs auch zu betreiben. In Wien war es die Firma Dampftramway-Gesellschaft Krauss & Comp., welche von 1883 bis zur Übernahme durch die Stadt Wien ein größeres Straßenbahnnetz betrieb.
Die erste ab 27. Oktober 1883 in unserer Region betriebene Strecke war ca. 10,3 km lang, führte von Hietzing über Lainz, Mauer und Rodaun nach Perchtoldsdorf und wird in der Tramwaygeschichte „Südliche Linie“ genannt. 1886 erfolgte die Verlängerung stadtwärts über Gaudenzdorf zur Schönbrunner Linie, 1887 eine Abzweigung von Hietzing nach Ober-St.-Veit und eine Verlängerung von Perchtoldsdorf nach Mödling.
Wegen der Rußplage und des geringen Fahrkomforts setzte sich die Dampftramway bei den Wienern nicht durch. Das zu diesem Zeitpunkt „Dampftramway-Gesellschaft, vormals Krauß & Co.“ heißende Unternehmen wurde der Gemeinde Wien zum Kauf angeboten und 1907 von ihr übernommen. Die Linien wurden im damaligen Wiener Bereich in das städtische Straßen
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Auszug aus den Wiener Lebensbildern von I. F. Castelli:
„Die Stellwagen“
Gepriesen sey derjenige, der zuerst auf den Einfall kam, einen Gesellschafts- oder sogenannten Stellwagen zu errichten, gepriesen seyen alle diejenigen, welche ihm nachfolgten; diese Einrichtung ist für Wien und seine Bewohner eine Quelle von vielen Vergnügungen, für viele ein Mittel ihre Gesundheit zu er-
halten, zu befestigen oder zu verbessern; kurz ich kann mir Wien ohne Gesellschaftswagen gar nicht mehr denken. Die meisten dieser Wagen sind bequem und gut eingerichtet, manche sogar auch elegant, für 9 Personen freylich etwas knapp, besonders wenn Frauenzimmer so indiscret sind, große Bündel und Einkaufkörbe mit sich zu nehmen, aber wenn man nur einmal eingepackt ist, so rüttelt sich das Ding doch so zusammen, daß man am Ende nicht gar zu unbequem fährt, und einer hübschen Nachbarinn etwas näher zu rücken, ist doch auch nicht gar so unangenehm. An guten Pferden fehlt es wohl den meisten, und gar schnell geht die Fahrt nicht, aber das Sprichwort sagt mit Recht: ‚Besser schlecht gefahren, als stolz gegangen.‘
Es gibt in ganz Österreich kaum eine, in was immer für einer Hinsicht bedeutende Ortschaft, von welcher nicht Gesellschaftömagen, mindestens wöchentlich einmal, nach Wien und zurück gingen und in die nächsten und reizendsten Umgebungen unserer Residenz kann man zu jeder Stunde des Tages mittelst solcher
Wagen gelangen. Das ist besonders für einzelne Personen nicht nur sehr bequem, sondern auch mit sehr geringen Kosten verbunden, und kann nicht genug gepriesen werden. Diese Gesellschaftwagen stehen auf bestimmten Plätzen (Stellen) in der Stadt, wo sie die Passagiere erwarten, darum heißen sie Stellwagen. Man kann sich auch vorhinein auf Plätze pränumeriren und erhält dann von dem Stellwagenexpeditor eine Versicherungskarte. Nach Hietzing (dem besuchtesten Dorfe um Wien) allein fahren wohl 20 solcher Stellwagen, und die ganze Anzahl dieser Wagen nach allen Umgegenden dürfte sich leicht über 100 belaufen. Auf dem Wagenschlage steht geschrieben die Nummer des Wagens, der Name des Eigenthümers und der Ort, wohin er fährt.
Die Fahrt nach St. Veit
St. Veit hat eine der angenehmsten und gesundesten Lagen von allen Dörfern um Wien, leider aber noch wenige Wohnungen, um Städter den Sommer über zu beherbergen. Die Bewohner Hietzings lenken ihre Spaziergänge meistens dahin, erquicken sich durch Speise und Trank in dem mit einer herrlichen Aussicht begabten, auf einem Berge gelegenen Gasthause, die Einsiedeley genannt, und kehren Abends wieder nach Hause zurück. Andere fahren nach St. Veit, um den schönen erzbischöflichen Garten zu besuchen, wieder Andere aber gehen von St. Veit nach dem nur eine Viertelstunde entlegenen Hütteldorfer Bräuhaus und thun sich bey dem vortrefflichen Märzenbier gütlich. Aber überhaupt fahren auch selbst Hietzinger lieber mit dem St. Veiter als mit ihrem eigenen Stellwagen, weil er in der Regel bessere Pferde hat, und daher schnellerfährt. Auch ist er der billigste von Allen, denn man bezahlt hier bis nach St. Veit ebenfalls nur 12. kr C. M. wie bey den andern nach Hietzing, obschon St. Veit von Hietzing noch gegen eine halbe Stunde weiter entfernt ist. Kommen Sie mein lieber Leser! wir rutschen nun nach St, Veit miteinander!
Der Wagen war schon mit acht Personen besetzt, als ich ihn vor dem Gasthause zum Ochsen aufsuchte. Ich war also der neunte und letzte; denn mehr Personen können nicht sitzen. Ich grüßte die Gesellschaft aufs höflichste, mußte aber rundum verdrießliche Gesichter sehen, weil ich durch mein Dazukommen die Unbequemlichkeit der übrigen vermehrte; daraus machte ich mir aber nichts, gab auch sogar einem eben nicht sehr artigen Herrn keine Antwort auf seinen etwas unhöflichen Ausdruck: „Nu! wie viel denn noch ?“ und preßte mich ruhig auf den Rücksitz zwischen zwey ziemlich corpulente Herren hinein. Die Reisegesellschaft überschauend fand ich ungefähr folgende Individuen. Auf dem hintersten Sitze einen alten Herrn, der einen Käfig mit einem Canarienvogel auf dem Schooße stehen hatte, neben ihm eine Frau mit einem Möpschen und neben dieser einen jungen Mann mit einem Geigenfutteral. Auf dem Mittelsitze eine Frau Mama mit ihren zwey ganz niedlichen Töchterleins. Auf dem Rücksitze saßen die zwey fremden Herrn und ich. Ich habe etwas lange Füße und wußte nicht gleich, wie ich mit denselben zurecht kommen sollte.
Indessen fing der Herr hinten an, mit seinem Vogel zu discuriren: „Ja Hansi! ja,“ sagte er, „sey nur ruhig, wir sind bald an Ort und Stelle, dann kommst du aus deinem kleinen Vogelhaus in ein großes im Garten und kannst recht herumfliegen und bekommst alle Tage Hühnerdarm (Anagallis) von mir. – Ich sage Ihnen (fuhr er, sich nach der Mama wendend, welche sich umgesehen hatte, fort), was das für ein gescheider Vogel ist, das soll gar kein Mensch glauben! – Er weiß sich über Alles
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verständlich zu machen. – In der Früh‘, wann ich allenfalls vergessen sollte ihn zu futtern, so schreyt er gleich, und wann die Zeit kommt, wo ich ihm täglich das Häusel ausmache, um ihn herauszulassen, so schreyt er auch wieder, und man soll‘s von einem solchen Thierl gar nicht denken, aber ich versichre Ihnen, wenn ich mit meinem Weibe zanke, da schreyt er so stark, als wenn er mir helfen wollte, und da hat mein Weib gut rufen: „Bist still, abscheuliches Vieh!“ mein Hanst ist nicht still. – Hören Sie?— eben fangt er wieder zu schreyen an. – Sey gut Hansi, die Garstige ist ja nicht da, wir nehmen sie auch gar nicht mit aufs Land.“ – Der Vogel schwieg wieder, sein Herr auch, und wir Übrigen lachten, nur der Mops auf dem Schooße der Frau fing an gegen den Vogel zu knurren, die sorgfältige Pflegerinn wickelte ihn aber sogleich fester in ihr Schnupftuch ein.
Indessen waren wir vor die Mariahilfer Linie gekommen, und eine kalte Luft blies von den Bergen her. Da sprach mein Nebenmann, sich die Hände reibend: „Das ist wieder ein Lüftel heute! Ja, ja, es ist keine Ruhe, bis Alles hin ist!“ „Wie so?“ fragte ich, „ich sehe ja so eben, daß die Frucht recht schön steht.“— „Ja freylich stände sie schön, aber der Reif täglich in der Früh, der Wein ist schon ganz hin!“– „Also ist‘s in der Früh so kalt?“ fragte die Mama. – „Mörderisch,“ antwortete mein Nebenmann.
Mama (zu ihren Töchtern). Mädels! da wird‘s für euch auch wenig Unterhaltung draußen geben.
Netti. Ah, das thut nichts Mama. Wenn mir auch nicht spatzierengehen können, Sie wissen ja, daß der Herr von Schnalzl fast alle Tage zur Tante kommt, der spaßige Mensch wird uns mit seinen Schnacken schon unterhalten.
Mimi. Schweige mir mit dem Schnalzl, das ist ein fader Mensch für mich.
Netti. Ja, du hast den schmachtenden Herrn von Wiesner freylich lieber.
Mama. Still, ihr Visperln! Ihr sollt noch gar Niemand lieb haben als Mama und Papa.
Mimi. Ach Mutter! ist nicht Liebe die Seele des Lebens und die Kette, die um die ganze Menschheit gezogen ist und Alles zusammenhält?
Der Hund auf dem Schooße der Frau zu hinterst knurrt.
Die Frau. Still Pufferl!
Mama. Nein lassen Sie den Pufferl nur knurren, er hat Recht, ich möchte auch knurren und beißen, wenn ich solche abgeschmackte Redensarten höre. Was mir das Mädel seit ein paar Jahren für absurde Sachen aus den Modebüchern lernt, das ist grauslich.
Mimi. Ich schweige und dulde, ich bin ohnedieß die Cenerentola im Hause.
Ich. Trösten Sie sich mein Fräulein, vielleicht sendet auch für Sie der Himmel einen rettenden Prinzen.
Mimi. Prinz? – Prinz? – Nein mein Herr! nach Kronen streb‘ ich nicht, und eine niedere Hütte an der Seite desjenigen, der mich verstünde und mich liebte, würde mich selig machen.
Mama. Verstehe? ja, ja! der Henker mag dich verstehen.
Der Herr mit dem Canarienvogel. Du singst, mein Hansi? – lieber Kerl du! ich wette, mein Hansi hat das Fräulein verstanden, denn er versteht Alles.
Mimi. Ach! der Instinct der Thiere, er ist reiner und dringt oft tiefer als was der Mensch Verstand nennt.
Mama. Nu sey so gut und disputir‘ uns das Bissel Verstand auch noch ab, haben wir‘s doch gnug?
Der Wagen hält.
Mein Nachbar zur Rechten zum Kutscher. Was gibt‘s denn
Fritzel?
Der Kutscher. Ey, der Handige springt mir immer über den Strang.
Mimi. Das arme Thier sucht auch seine Freyheit.
Mama (ruft). Halt! halt! laß mich gleich hinaus.
Netti. Warum denn Mama, wir sind ja erst in der Schönbrunnev Allee.
Mama. Ich kann nicht mehr sitzen bleiben, mir wird nicht gut vor lauter Hitze.
Die drey Frauenzimmer steigen aus. Wir übrigen fahren weiter, und nun marterten mich die beyden Herren, die neben mir saßen, bis nach St. Veit mit Erzählungen im Fache der Landwirthschaft. Ich mußte hören, daß der Wirth in Hacking mit Sand, den er im Flußbette der Wien gräbt, handelt, und dabey viel Geld gewinnt; daß ein Hauer in Baumgarten ein halbes Viertel Weingarten glücklicherweise noch vor dem Frost um 200 fl. angebracht hat; daß die Erdäpfel Heuer auch keine reiche Ernte versprechen; daß dem einen der beyden Herren neulich eine Kuh umgestanden sey, welche täglich sieben Maß Milch gab; daß der Halter von St. Veit einer der geschicktesten Thierärzte sey und so weiter, und obschon ich keinem ein Wort erwiederte, nahm doch einer dem andern das Wort aus dem Munde und Jeder bemühte sich, mir recht ausführlich zu erzählen, was mir kein Interesse einflößte. Endlich schlug die Stunde der Erlösung. Wir stiegen in St. Veit aus und mein nachheriger Spaziergang nach der Einsiedeley entschädigte mich durch herrliche Naturscenen reichlich für die abgeschmackten Scenen im Stellwagen.
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bahnnetz eingegliedert und elektrifiziert (letztes Teilstück war 1922 von Kagran nach Groß-Enzersdorf).
Die Tatsache, dass eine der ersten Linien der Dampftramway diejenige von Hietzing über Mauer nach Perchtoldsdorf war, spricht für den damaligen Bedarf. Die Intervalle auf dieser und auf den Wagen der Pferdestraßenbahn waren in der Regel 15 Minuten und wurden innerhalb von wenigen Jahren bis auf 8 Minuten verdichtet.
In Hietzing verkehrten folgende Straßenbahnlinien:
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Aus:
Josef Berge:
Geschichte der Linie 158
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Hier kommen Fotos der Straßenbahnen.
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Ab 1958 – in der Ägide des Stadtrates Richard Nathschläger – wurden einige Straßenbahnlinien, beispielsweise der 158er, auf Autobusse umgestellt. Ohne aufwändigem Unter- und Oberbau erwiesen sich die Linienführungen der Busse – dem Bedarf folgend – sehr variabel. Daher beende ich den Straßenbahn- und Autobus-Exkurs an dieser Stelle, denn die Beschreibung der Linien 47A, 53, 53B, 54, 54A, 55, 55B, 56B, 58B, 156B, 260 etc, die alle im 13. Bezirk verkehr(t)en, würde ausufern.
Am 9. Mai 1898 wurde die Wiental-Gürtellinie der Stadtbahn eröffnet. Diese fuhr bis 1923 im Dampfbetrieb und der Eisenbahn ähnlich mit Waggons 1. und 2. Klasse. Der Bereich Hietzing erlebte durch die hier zusammenführenden Linien besonders an den Wochenenden wegen des regen Ausflugsverkehrs und der nach Hacking fahrenden Wintersportler Spitzenwerte an Passagieren. Um dem Ansturm gerecht zu werden, gab es zeitweise an Sonntagen eigene Linien in die Ausflugsgegenden.
Verschiedene Überlegungen und Vorschläge in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, eine großzügige Lösung des kompliziert gewordenen Verkehrsproblems zu verwirklichen, wurden immer wieder zurückgestellt. Tunnelbahnen oder unter Tag geführte Metropolitan-Bahnen, wie sie in anderen Großstädten Europas bis 1900 Verwirklichung fanden (z. B. in London 1863, in Budapest 1896 und in Paris 1900), wurden in Wien nicht gebaut, weil man sich für den weiteren Ausbau der Tramwaylinien entschieden hatte. Nur die Stadtbahn kann – teilweise als Tiefbahn geführt – mit den ersten U-Bahnen Europas verglichen werden. Der geplante Ausbau dieses Verkehrsmittels als reine Tiefbahn im innerstädtischen Bereich unterblieb nicht zuletzt aus Geldmangel.
Nachdem sich gezeigt hatte, dass die Verkehrsbewältigung durch Stadtbahn und Straßenbahnen mit fortschreitender Stadtentwicklung immer weniger den Anforderungen genügte, versuchte man durch Schnellbahnlinien die übrigen öffentlichen Verkehrsmittel zu entlasten und zu ergänzen. Dennoch zeigte
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sich in zunehmendem Maße die Notwendigkeit eines U-Bahnbaues, nicht zuletzt auch aus Rücksichtnahme auf das Stadtbild.
Am 17. November 1966 stimmte der Gemeinderat der empfohlenen U-Bahnkonzeption zu und am 26. Jänner 1968 erfolgte der Grundsatzbeschluss für den Bau, dessen Ausführung der Architektengruppe U-Bahn (W. Holzbauer, H. Marschalek, G. Ladstätter, B. Gantar) anvertraut wurde.
Auf der Linie U4, deren Stationen teilweise den 13. Bezirk betreffen, wurden die alten Stadtbahnstationen Otto Wagners, Ober-St. Veit und Schönbrunn, in die neue U-Bahngestaltung einbezogen und konnten auf diese Weise zum großen Teil in der ursprünglichen Form erhalten werden. Bei den Stationen Unter-St. Veit, Braunschweiggasse und Hietzing ist dies nicht der Fall. Es wurde ein neuer Stationstypus geschaffen, der u. a. auch bei diesen Haltestellen Anwendung fand.
Die Station Hietzing hatte im Zuge der Errichtung der Kennedybrücke neue Aufgänge erhalten, welche die für Otto Wagner typischen und bequemen Stiegen ersetzten. Für die Fahrgäste, die aus der Richtung Karlsplatz kamen, wurde damals schon eine Rolltreppe eingebaut. Durch die Umstellung auf U-Bahnverkehr und die damit verbundenen, geänderten Fahrtrichtungen musste eine zweite Rolltreppe installiert werden.
Im Gebäudeinneren wurden verschiedene Diensträume, ein Kartenvorverkaufsraum, sowie eine Trafik eingerichtet. Die bestehenden Geschäftslokale konnte man belassen. Gegen Witterungseinflüsse wurden Windfänge eingebaut. Der Fußboden besteht aus Granitplattenpflaster, welches durch die raue Oberfläche eine größere Trittsicherheit garantiert. Die Fertigstellung dieser Station erfolgte im Dezember 1981.
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Die Nordbahn (erste Teilstücke wurden 1837/38 in Betrieb genommen), die Südbahn (in Teilstücken von 1841 bis 1854 eröffnet) und die Westbahn (1858/60 als k.k. privilegierte Kaiserin Elisabeth-Bahn – KEB – eröffnet) endeten in eigenen Kopfbahnhöfen. Eine Schienenverbindung zwischen diesen Bahnen wenigstens für den Güterverkehr war daher eine logische Notwendigkeit. Der Bau des ersten Teilstückes der Verbindung zwischen dem Wiener Nordbahnhof und dem gemeinsamen Bahnhof von Süd- und Ostbahn wurde nach mehreren Planänderungen 1850 in Angriff genommen. Die Verbindung der Südbahn mit der Westbahn wurde nach zügiger Konstruktion (die weitgehend unverbaute Gegend erlaubte das) Ende 1860 auf der heute noch benutzten Trasse in Betrieb genommen. Für ihre Zwecke reichte eine Brücke über den Wienfluss, die in einem Bogen zwischen St. Veit und Penzing verlief. Die Verbindung wurde von der KEB betrieben.
Die Eröffnung des (meist wenig erfolgreichen) Personenverkehrs auf anderen Verbindungsbahnteilstrecken ließen ab 1881 auch bei den Bewohnern der Sommerfrischen an der Süd- und Westbahn den Wunsch nach regelmäßigem Personenverkehr auch auf „ihrer“ Verbindungsbahn laut werden. Dafür war sie aber ungeeignet, weil die Ausmündung in die Westbahn nördlich des Wienflusses stadteinwärts zielte und nicht stadtauswärts, wie es der logische Hauptreisestrom erforderte. Ein Umsteigen bzw. Stürzen des Zuges vor Penzing hätte alle Vorteile der Verbindung zunichte gemacht. Nach langem Zögern errichtete ein Konsortium der nach Wien einmündenden Bahnen eine von St. Veit direkt nach Hütteldorf gerichtete Abzweigung mit einer eigenen Brücke über den Wienfluss. Analog der heute bestehenden Anlage vereinigten sich die eingleisigen Abschnitte über den Wienfluss nach den Wienflussbrücken zu einer zweigleisigen (bei St. Veit dreigleisigen) Strecke in Richtung Süden.
Damit war eine für viele Wiener attraktive Möglichkeit geschaffen, um vom Hauptzollamt und nachgelagerten Haltestellen direkt in die Sommerfrischen an der Westbahn zu gelangen. Weitere neu errichtete Haltestellen in Unter-Hetzendorf, Ober-Hetzendorf, Speising, Lainz, St. Veit und Baumgarten verbanden auch diese „Sommerfrischen“ mit Wien und mit der Westbahn. Die Haltestelle Speising war eine wichtige Umsteigemöglichkeit von der Verbindungsbahn zur Dampftramway und später zur Linie 60.
Die Eröffnung dieser Zugsverbindung fand am 28. Juni 1883 statt. Die zwischen Süd- und Westbahn vereinbarte Fahrordnung sah im ersten Jahr täglich 17 Züge in jeder Richtung mit Anschluss an die Züge von Hütteldorf nach Weidlingau, Purkersdorf u.s.w. (Neue Freie Presse vom 20. Juni 1883).
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Eine Annäherung auf Basis folgender Quellen:
Neue Freie Presse vom
20. Juni 1883, Seite 5
Königstein, Ewald:
Einsteigen bitte! Vom Zeiselwagen zur U-Bahn. Die Entwicklung des öffentlichen Verkehrs in Wien unter besonderer Berücksichtigung von Ober St. Veit und Umgebung. März 1996
Wegenstein, Peter:
Die Verbindungsstrecken im Raume Wien. In: Bahn im Bild, Band 79. Wien: Pospischil, 1991
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Die Verbindungsbahn 1872. Dieser Ausschnitt aus der Franzisco-josephinischen Landesaufnahme oder Dritten Landesaufnahme zeigt den Verlauf der eingleisigen Verbindungsbahn im und nördlich des Veitinger Feldes. Die ihren Ausgang im Penzinger Personenbahnhof nehmende Bahn zweigt von der Westbahn nach Süden ab und führt über die Wientalbrücke und durch Unter St. Veit, die heutige Auhofstraße und die heutige Hietzinger Hauptstraße kreuzend. Es gab noch keinen Frachtenbahnhof in Penzing und noch keinerlei Haltestellen an der Verbindungsbahn. Das markante Gebäude vis-a-vis (östlich) der Druckfabrik ist die ehemalige Feldmühle.
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Nicht nur die günstige Streckenführung, die einem Vorläufer der Stadtbahn gleichkommt, auch die von der k. k. Direction für Staatseisenbahnbetrieb vorgenommene Reduktion der Personenfahrtarife trugen zum großen Erfolg bei. Namentlich werden die direkten Züge zwischen dem Hauptzollamt und der Strecke Hütteldorf - St.-Pölten genannt. Keine Freude hatten die Stellfuhrwerks-Inhaber: Die Verbindungsbahn und die Eröffnung von Dampftramway-Linien setzte ihnen enorm zu, und sie mussten den Betrieb auf den Strecken Ober St. Veit - Wien bzw. Hacking - Wien zurücknehmen.
Mit der Eröffnung der Stadtbahn 1898/99 und der Wiedereröffnung der Verbindungsbahn nach den Stadtbahn- und Wienflussregulierungsarbeiten zielten vier Bahnverbindungen nach Hütteldorf: Die Westbahn, die wiedereröffnete Verbindungsbahn und jetzt auch die Obere Wientallinie und die Vorortelinie der Dampfstadtbahn. Dann gab‘s noch von der Westbahnstraße (Station Wimberger) die auf Hütteldorf zielende Dampf-Tramway.
Das Verkehrsaufkommen auf der Verbindungsbahn war beträchtlich, und es soll auch Rufe nach einer Untertunnelung gegeben haben. Brennpunkt war die niveaugleiche Kreuzung mit der Hietzinger Hauptstraße, die zunehmend ins öffentliche Interesse rückte und den Gemeinderat 1913 sogar zum Nachdenken über eine Unterführung und zu div. Beschlüssen bewog. 1914 wurde die 58er-Straßenbahn beim Schranken getrennt (in 58er und 158er), was aber am Bahnübergang als Verkehrshindernis nichts änderte. Dann ließ der Erste Weltkrieg die Chance auf kostspielige Maßnahmen schwinden, und es gab nur mehr Erleichterungen in Form von Notstegen für Fußgänger: 1915 in
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Dieses Bild zeigt die „reizend gelegenen“ Orte Speising und Lainz, als sie bereits nach Wien eingemeindet waren. Im Text der Zeitung lautet es weiter: „Die sozialen Folgen der Vereinigung der Vororte mit Wien machen sich jetzt schon fühlbar, weil die neuen Teile von Wien aller Vorteile dieses hochentwickelten, auf überragender Kulturhöhe befindlichen Gemeindewesens teilhaftig werden. Auch die wirtschaftlichen Konsequenzen werden bald eintreten, und wenn auch heute die ehemaligen Vororte-Bewohner erhöhte Abgaben zu entrichten haben, so werden sie über kurz oder lang für die entrichteten Steuern das kostbare Hochquellwasser, Sozialisierungen, mehr Schulen und andere großstädtische Einrichtungen erhalten. Dann wird auch für Speising-Lainz eine neue Ära anbrechen. Sie werden von den wohlhabenden Kreisen der Bevölkerung zu allen Jahreszeiten als geeignetes Terrain für Collagehäuser betrachtet werden. Abgesehen von der günstigen landschaftlich schönen Lage – der in der Nähe befindliche waldseitige kaiserliche Tiergarten ist für die reine Luft von großem Vorteile – bieten die zahlreichen und guten Verkehrsmittel ausreichende Gelegenheit, rasch und nicht teuer in das Zentrum von Wien zu gelangen. Man erreicht mit der Locomotiv-Eisenbahn in einer halben Stunde das Hauptzollamt und außerdem stehen Dampftramway und Omnibusse für den Passagierdienst bereit. Da auch die Gasthäuser nichts zu wünschen übrig lassen und dort draußen eine wackere Bevölkerung lebt, so glauben wir, dass diesen Teil des XIII. Gemeinde-Bezirks eine schöne Zukunft erwartet. Glückauf!
der Auhofstraße, 1916 an der Seite der geraden Nummern der Hietzinger Hauptstraße. Letzter wurde 1924 durch einen übertragenen stabilen Steg auf der anderen Seite ersetzt. Einen dritten Steg gab es bei der Haltestelle Lainz zwischen Veitingergasse und Jagdschloßgasse.
Interessant ist der Eintrag in der Neuen Freien Presse vom 11. März 1914: „Einstellung des Verkehres auf der Teilstrecke St. Veit an der Wien – Hütteldorf-Hacking der Wiener Verbindungsbahn und Errichtung einer Umsteigstelle in St. Veit an der Wien zur oberen Wientallinie der Wiener Stadtbahn. Anlässlich der Auswechslung der Wienflussbrücke zwischen St. Veit an der Wien und Hütteldorf-Hacking wird in obgenannter Teilstrecke der Wiener Verbindungsbahn der Gesamtverkehr in der Zeit vom 16. März bis 1. Mai d. J. gänzlich eingestellt. Alle fahrplanmäßigen Züge der Wiener Verbindungsbahn mit der Zielstation Hütteldorf-Hacking verkehren in der angegebenen Zeit nur bis und von der neuerrichteten Umsteigstelle St. Veit an der Wien und finden daselbst Anschluss zu und von den Zügen der oberen Wientallinie in der Haltestelle Unter St. Veit - Baumgarten der Wiener Stadtbahn. Zu diesem Zwecke ist eine provisorische Treppenverbindung hergestellt, welche von der Umsteigstelle auf die beiden Bahnsteige der Haltestelle Unter St. Veit-Baumgarten führt ...“
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Ab dem 6. August 1914 wurde wegen der allgemeinen Mobilisierung analog zu zahlreichen anderen Bahnen auch auf sämtlichen Linien der Wiener Stadt- und Verbindungsbahn der Gesamtverkehr (mit unbekannter Dauer) eingestellt. Auch die Neue Freie Presse vom 26. Mai 1915 berichtet von einer Einstellung des Personenverkehres auf allen Linien der Wiener Stadtbahn und auf der Wiener Verbindungsbahn von diesem Tage an.
Ab 1917 fuhren kriegsbedingt fast keine Personenzüge mehr über die Verbindungsbahn, doch in der Zwischenkriegszeit erlebte der Personenverkehr auf der Verbindungsbahn eine Renaissance. 1944 wurde er kriegsbedingt zur Gänze eingestellt und nach dem Krieg von Meidling bis Hütteldorf nicht mehr reaktiviert.
Am 22. Jänner 1960 wurde der Bahnhof St. Veit an der Wien zu einer Abzweigung abgewertet. Das davor befindliche dritte Gleis samt dem Stellwerk 2 wurden aufgelassen.
Die Auflassung des Personenverkehrs auf der Verbindungsbahn stand wohl auch im Zusammenhang mit dem beträchtlichen Bedeutungsverlust der Bahn von den 1960er-Jahren an. Das Automobil setzte sich mit zunehmendem Wohlstand der österreichischen Bevölkerung auch im Privatleben immer stärker als Verkehrsmittel Nr. 1 durch. Im Gegensatz zu den Interessensverbänden der Autofahrer hatte der öffentliche Verkehr keine Lobby, und sein Zuschussbedarf wurde zunehmend kritisiert.
1971 wurden die Stege über die Verbindungsbahn anlässlich deren Elektrifizierung durch Betonsockel angehoben, zumindest derjenige bei der Hietzinger Hauptstraße. Da die Station Lainz
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Der Bahnhof St. Veit an der Wien im Jahr 1885
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Die St. Veiter Region in einem Plan aus ca. 1948. Eingezeichnet ist zwischen Bossigasse und Verbindungsbahn die Eisenbahnhaltestelle St. Veit an der Wien. Personenverkehr gab es zu diesem Zeitpunkt keinen mehr, die Haltestelle hatte nur mehr die Funktion eines Stellwerkes. Die Verbauung entlang der Bahnstrecke war noch relativ gering. Die roten Linien markieren die Grenzen der Bezirksteile bzw. ehemaligen Ortsgemeinden.
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nicht mehr in Betrieb war, wurde der alte Steg abgebrochen und bei der Jagdschloßgasse ein neuer Steg in Betonbauweise errichtet. 1994 wurde der Steg über die Hietzinger Hauptstraße gesperrt und 1995 demontiert. Auch die anderen Stege sind schon lange außer Betrieb (Jagdschloßgasse) oder abgebrochen (Auhofstraße).
Nach Fertigstellung des Spurplanstellwerkes im Güter-Bahnhof Maxing wurde die bisher handbedienten Schrankenanlagen Auhofstraße, Hietzinger Hauptstraße (jeweils am 19. Jänner 1979), Veitingergasse, Jagdschloßgasse (jeweils am 2. Februar 1979), Versorgungsheimstraße und Speisinger Straße (jeweils am 23. Februar 1979) auf Automatikbetrieb umgestellt.
Ab 1. Juli 1989 wurden die Züge der zuvor nur bis Meidling verkehrenden damaligen Linie S3 über die Verbindungsbahn bis Penzing bzw. Hütteldorf weitergeführt. Speising war die einzige Haltestelle auf dieser Verlängerung. Die Züge verkehrten im Stundentakt bzw. im Halbstundentakt zu den Stoßzeiten. Die Verlängerung hatte schon das Wiener Verkehrskonzept von 1980 vorgesehen, allerdings mit Speising als Endstation. Eine geplante Station bei der Stranzenbergbrücke wurde nicht verwirklicht.
Mit einstimmigem Antrag der Hietzinger Bezirksvertretung vom 9. Dezember 2011 wurde die Stadt Wien im Hinblick auf das schon damals bestehende Projekt „Ausbau der Verbindungsbahn“ gebeten, die Verhandlungen mit den ÖBB und dem Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) „zielorientiert fortzusetzen“, sodass eine Aufnahme in den Rahmenplan der ÖBB für 2012–2017 bzw. 2013–2018 möglich wird. Ziel war eine Intensivierung des S-Bahn-Verkehrs (Viertelstundentakt) und die Errichtung der Haltestellen Stranzenbergbrücke,
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Die Pfeiler der östlichen Wienflussbrücke der Verbindungsbahn. Die höchst unterschiedlichen Pfeiler der Verbindungsbahnbrücken stammen vermutlich aus der Zeit vor und nach der Wienflussregulierung. Ihr maroder Zustand war wohl der Anlass für das Projekt „Ausbau der Verbindungsbahn“. Fotografiert am 13. Oktober 2017
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Gleisplan des Bereiches bei der Haltestelle Ober St. Veit. Auszug aus dem Buch von Alfred Horn: Deutsche Reichsbahn – Reichsbahndirektion Wien, Wien: Bohmann Verlag 1986. Die Dreigleisigkeit bestand von 1941 bis ca. 1960. Eingezeichnet sind auch die beiden Notstege in diesem Bereich. Die Streckenskizzen wurden leider stark verzerrt gedruckt.
Die Pfeiler der westlichen Wienflussbrücke der Verbindungsbahn. Die funktionslosen Pfeiler sind wohl ein Relikt des am 21. April 1941 zwischen Hütteldorf und St. Veit aufgenommenen zweigleisigen Betriebes mit Linksfahren. Fotografiert am13. Oktober 2017
Speising und Hietzinger Hauptstraße. Aus Sicherheitsgründen sollten auch möglichst viele Bahnschranken aufgelöst werden. Das Projekt sollte eine „große Lösung“ bringen und wurde als Jahrhundertchance für Hietzing gesehen, die auch die „historische Trennung des Bezirks“ weitgehend aufhebt. Die Wiener Antwort auf diesen Antrag verwies auf die laufende Prüfung der von der ÖBB vorgelegten Projektgrundlagen und die bevorstehenden Finanzierungsverhandlungen. Begleitmaßnahmen zum Barrierenabbau wurden als möglich beschrieben, müssten aber
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in einem finanzierbaren Rahmen bleiben. Über die Art des Barrierrenabbaus (Hoch- oder Tieflage der Bahn) ist diesem Schriftverkehr nichts zu entnehmen.
Im August 2012 wurden die meisten Strecken in Wien auf Rechtsverkehr umgestellt. Mit Fahrplanwechsel vom 9. Dezember 2012 wurden der Lainzer Tunnel und der Teilbetrieb des Hauptbahnhofes eröffnet. Der Tunnel nahm den Großteil des beträchtlichen Güterverkehrs und ab Dezember 2015 auch den kompletten Fernverkehr zum Hauptbahnhof auf. Seit 13. Dezember 2015 wurde der gesamte ÖBB-Fernverkehr Wiens zum bzw. vom Hauptbahnhof geführt.
Mit dem genannten Fahrplanwechsel vom 9. Dezember 2012 wurde die beliebte S 15, mit der man bequem von Hütteldorf über die Verbindungsbahn bis Wien Mitte und zum Praterstern fahren konnten, als S 60 nach Bruck an der Leitha geführt. Wer nach Wien Mitte oder zum Praterstern wollte, musste jetzt in Meidling umsteigen. Diesbezügliche Veränderungswünsche/-anträge der Hietzinger BV vom August und Dezember 2012 bzw. September 2013 und eine von DI Wolfgang Schönlaub (ehemaliger Ombudsmann für den Lainzer Tunnel) und der Hietzinger BV initiierte Unterschriftenaktion blieben erfolglos. Seit dem Vollbetrieb des Hauptbahnhofes fährt die S 80 (Unterpurkersdorf-Marchegg) über die Verbindungsbahn.
In der Gemeinderatssitzung vom 29. Juni 2016 (01698-2016/0001-GFW; MA 5, P 30) wurde folgender einstimmiger Beschluss gefasst:
Der Wiener Gemeinderat unterstützt und genehmigt (zu den Punkten 1 und 2) bzw. ermächtigt (zu Punkt 3)
1. das vorgelegte Übereinkommen über den Ausbau der Verbindungsbahn Wien Hütteldorf Hochlage, abgeschlossen zwischen der ÖBB - Infrastruktur Aktiengesellschaft und der Stadt Wien, sowie
2. das vorgelegte Übereinkommen hinsichtlich Erhaltungsgrenzen von Ersatzbauwerken bei der Auflösung von niveaugleichen Eisenbahnkreuzungen zwischen den Verkehrsträgern Straße und Schiene, abgeschlossen zwischen der Stadt Wien und der ÖBB - Infrastruktur Aktiengesellschaft, sowie
3. den Magistrat, noch erforderliche bloß redaktionelle Änderungen der vorgelegten Übereinkommen vorzunehmen.
Die publizierten ÖBB-Planungen zur Verbindungsbahn, vor allem die projektierte Hochlage und die befürchtete ersatzlose Schließung von Bahnübergängen verursachten allerdings zunehmenden Widerstand, vor allem von den Anrainern der Verbindungsbahn. Die Wogen gingen hoch und blieben es bis heute. Eine im Jahr 1918 erfolgte Erhebung der Meinungslage durch die Meinungsforschungsinstitute Ifes und GfK im Auftrag der Bezirksvorstehung Hietzing zur „Verbindungsbahn neu“ ergab das vorhersehbare Ergebnis: Die Vorteile werden begrüßt, die Nachteile nicht.
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... Die Züge Praterstern-Hütteldorf, die jetzt von sechs zu sechs Minuten verkehren, werden an Sonntagen alle drei Minuten abgelassen werden, während die Strecke zur Südbahn alle 18 Minuten befahren wird. Auch aus dieser Linie war der Verkehr ein sehr lebhafter. Eine praktische Neuerung wurde auch bezüglich der Durchlochung der Fahrkarten getroffen. Während die Einzwickung der Anfangsbuchstaben der Stationsnamen auf den Karten bis jetzt nur teilweise an der Wiental-Linie eingeführt war, ist diese Art der Lochung jetzt auf allen Strecken gebräuchlich. Dadurch wird die Kontrolle ungemein erleichtert, da die ausgeschnittenen Buchstaben ein auffallendes Merkmal bilden. Zur besseren Orientierung wurde vorläufig auf den Hauptstationen die Umsteigstation ausgerufen; für dir Folge wird aber hievon Abstand genommen werden. Nur im Winter oder bei trübem, regnerischem Wetter, wenn die Scheiben der Wagenfenster geschlossen und angelaufen sind und daher ein Ausblick auf die Stationen erschwert ist, werden die Namen der Halte-und Umsteigestationen in der Weise wie beim Eisenbahnverkehr angezeigt werden.
Ein großer Teil des Verkehrs in den Prater vollzog sich heute schon aus der Wiental-Linie. Viele Bewohner der inneren Stadt, der Land Landstraße und der Wieden benützten statt der Tramway die neueröffnete Strecke der Stadtbahn, um in den Prater zu gelangen. Besonders die Stationen Karlsplatz und Stadtpark wiesen in den Abendstunden eine starke Frequenz von Fahrgästen in den Prater auf; doch auch aus den entfernteren Stationen kommende Züge führten viele Praterbesucher mit sich.
Der heutige erste Tag der Eröffnung der Wiental-Linie hat demnach vollständig den Beweis erbracht, dass das Bedürfnis für diese wichtigste Linie der Stadt Stadtbahn tatsächlich vorhanden ist; wenn die Linien völlig ausgebaut und das Publikum Zeit gehabt haben wird, sich mit der Art des Verkehres zu befreunden, wird sich die Stadtbahn als unumgängliches Verkehrsmittel rasch einbürgern.
Ein Freund unseres Blattes schreibt: „Ich habe heute, am Tage der Eröffnung der ganzen Wiental-Linie, praktisch erprobt, dass es dem durch Berufsgeschäfte an die Stadt gebundenen Wiener nunmehr möglich ist, selbst kurze Pausen in der Tagesarbeit zu Ausflügen zu benützen, die man bisher an Wochentagen nicht unternehmen konnte. Wenn man im Freien – nämlich wirklich im Freien und nicht bloß in einem sogenannten Gasthausgarten – zu Mittag speisen wollte, so war man nur auf den Prater angewiesen, wohin man mit der Tramway fahren musste. Als ich nun heute gegen 2 Uhr mein Büro verließ und die herrschende Hitze es nicht verlockend machte, sich in ein geschlossenes Speiselokal zu setzen, da viel mir ein: Vielleicht kann ich mit der Stadtbahn
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Neue Freie Presse, Morgenblatt, Nr. 12519/1899, 1. Juli 1899, S. 6
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hinaus in eine Restauration gelangen, wo ich beim Speisen im Grünen sitzen kann. Gedacht – getan! Ich ging zur nahen Station Stadtpark und fuhr mit einem um 2 Uhr passierenden Zuge hinaus, nach Hütteldorf, wo ich um halb 3 Uhr ankam. Dort suchte ich die Brauhaus-Restauration auf und hatte drei Viertelstunden Zeit für den Mittagstisch. Die Rückfahrt in die Stadt dauerte abermals eine halbe Stunde, und um ¾ 4 Uhr saß ich schon wieder in meinem Café auf der Ringstraße beim gewohnten Schwarzen. So hatte ich binnen zwei Stunden von der Ringstraße aus einen Ausflug nach Hütteldorf und zurück gemacht, draußen gespeist und hier noch eine Viertelstunde im Café gesessen, bevor ich um 4 Uhr mein Büro wieder aufsuchte.“
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Über Jahrtausende waren unbefestigte Verkehrswege die Norm und Befestigungen auf Bereiche weichen oder sumpfigen Bodens beschränkt. Holz, Sand und Kies waren die frühen Wegebaustoffe. Die erste Kommune, die in der nachrömischen Zeit wieder begann, zur Erleichterung des Verkehrs die Straßen zu pflastern, war Paris. 1185 wurde dort das erste Pflaster verlegt. Im 13. Jahrhundert folgten die großen italienischen Städte wie Florenz, Bologna, Verona, Modena und Padua diesem Beispiel. In Deutschland und England wurde dieser Sitte erst Anfang des 15. Jahrhunderts gefolgt, den Anfang machte Nürnberg, ihm folgten Regensburg und Augsburg und schließlich 1417 auch London.
Es bedurfte weiterer Jahrhunderte, ehe dieser Gedanke auch in Wien Fuß fasste und zum unerlässlichen Erfordernis städtischen Lebens wurde. Darstellungen von Wiener Straßen zeigen bis ins späte 17. Jahrhundert keine Pflasterungen, nur für spezielle Bereiche wie Innenhöfe sind Rundschotterpflasterungen ab dem Beginn des 17. Jahrhunderts bestätigt. Einer historischen Quelle zufolge soll es bereits im Jahr 1676 eine Satzung der Wiener Pflasterer gegeben haben, die 1717 neu bestätigt wurde. Pflasterungen auf wichtigen Plätzen sind ab 1725 und Probepflasterungen für die Wiener Straßen ab 1765 überliefert. Mit der systematischen Pflasterung Wiens (heutiger 1. Bezirk) wurde 1778 begonnen und erst in den 1820er-Jahren auch in den damaligen Vorstädten. Mitte des 19. Jahrhunderts war die Innere Stadt nahezu vollständig gepflastert, weite Bereiche des heutigen Wiener Stadtgebietes mussten aber noch lange mit Schotterstraßen auskommen. Im Jahr 1900 waren noch ca. die Hälfte der Straßen mit Schotter oder Makadam (eine speziell konstruierte Schotterstraße) bedeckt, 1938 waren es noch 40 %.
Das erste Wiener Pflaster bestand aus Schieferplatten bzw. Flyschsandstein, dann aus Granitbruchsteinen. Die ersten Granite wurde ab 1800 aus Mauthausen nach Wien geschifft, die
Quellen:
Drexel, Anita: Pflaster auf städtischen Fußböden in: Bauen, Sanieren, Demolieren, hrsg. Michael Martischnig, Band 8. Wien, Österreichischer Kunst- und Kulturverlag, 2000
Flanner, Karl: Zur Geschichte des Straßenpflasters, Dokumentation des Industrieviertelmuseums Wiener Neustadt, Wiener Neustadt 1994
Hölder, Alfred: Die Pflasterungsfrage in Wien. Wien, K. k. Hof- und Universitäts-Buchhandlung, 1877
Die Hietzinger Hauptstraße vor 1908. Gepflastert waren nur der Gleiskörper der Dampftramway, der rechte Gehsteig und ein Straßenübergang.
© Bezirksmuseum Hietzing
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Steinbrüche dieser Gegend blieben auch in Zukunft die Hauptbezugsquelle für den Wiener Straßenbau. Die Pflasterung begann überall mit der Anwendung von nur auf der nach oben gekehrten Seite behauenen Bruchsteinen, dann folgte die Anwendung rechtwinkelig behauener Steine. Sie ließen sich dichter aneinanderlegen und bildeten eine Zusammenhängende und damit widerstandsfähigere Fläche, die auch leichter zu reinigen war. Unter den verschiedenen Ausführungsmethoden nahm schließlich die Wiener Methode des Würfelpflasters mit Abstand den ersten Rang ein. Der meist aus den Mauthausener Steinbrüchen stammende 1826 eingeführte „Wiener Granitwürfel“ mit 18,5 cm Seitenlänge war über lange Zeit der klassische Wiener Straßenbelag, der sich bis in unsere Tage hielt.
Natürlich war er nicht unumstritten, den mit zunehmendem Verkehr nützte er sich an der Oberfläche ab und bekam eine zunehmend konvexe Gestalt, die die Straße holprig machte. Die fugenreiche Straße war schwer zu reinigen, die Reparatur teuer und die gesundheitsschädliche Wirkung des zerriebenen Granitstaubes bald erkannt. Auch verursachte der Verkehr auf diesem Pflaster gehörigen Lärm. International ausprobierte Alternativen wie Klinker oder anderer künstlicher Stein, Holzpflaster, Eisenwürfel oder -platten, Zement- und Kautschukpflaster konnten aber nicht überzeugen.
Damit begann sich der Asphalt durchzusetzen. In Wien wurden die ersten größeren Versuche mit Asphalt ab 1872 unternommen und ab 1894 Asphaltbeläge zunächst für Gehsteige vom Magistrat zugelassen. Ab 1922 wurden auch Pflasterstraßen vermehrt asphaltiert, doch waren bis 1938 erst 3,2 % der Wiener Straßen davon betroffen. Die verwendeten Asphaltmischungen und Methoden der Aufbringung wandelten sich im Laufe der Zeit, und der Einsatz industriell verwerteter Ressourcen wie vor allem des Erdöls stieg. Heute werden unter Asphalt Mischungen aus Bitumen, Sand und Splitt verstanden.
Mit dem Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg setzte der industrielle Wegebau ein, und die Vergabepolitik der Stadt Wien bevorzugte die großen Baufirmen und den Asphalt. Auch die Bauordnung bevorzugte den Asphalt, etwa mit der Vorschrift, dass bei Hausrenovierungen die Gehsteige mit Asphaltguss auszuführen sind.
Die ehemals gut entwickelte Tradition des Pflastererhandwerks versiegte.
Der 13. Wiener Gemeindebezirk war im Jahr 1895 (damals inkl. dem heutigen 14. Bezirk) mit einem gepflasterten Straßenanteil von nur 11,2 % bei weitem das Schlusslicht in der Straßenbefestigung Wiens (12. Bezirk 38,1 %). Der Rest waren Makadamstraßen, die bis zum zweiten Weltkrieg zunehmend eine Teerschicht erhielten, oder unbefestigte (einfach geschotterte) Straßen. Der Asphaltanteil und andere Straßenbefestigungen
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waren damals vernachlässigbar. 1938 hatte sich der gepflasterte Anteil auf immerhin 50 % gesteigert.
Die um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert und auch noch später entstandenen Straßenansichten sind sehr aufschlussreich, zeigen sie doch in den meisten Fällen gepflasterte Gehsteige und unbefestigte Straßenflächen. Nur die Gleisanlagen der Dampftramway und später der elektrischen Straßenbahn waren mit Pflastersteinen ausgelegt. Gegen die Staubentwicklung der geschotterten und zur Reinigung der gepflasterten Straßen gab es die Spritzwägen. Jedes Jahr wurden per Stadtratsbeschluss die Verkehrsflächen und die Häufigkeit ihrer Besprengung kundgemacht. Das Verzeichnis von 1915 zeigt, dass alle Straßen mindestens zweimal täglich mittels Sprengwagen oder Schlauchkarren bespritzt wurden, die Hauptstraßen sogar dreimal. An Sonn- und Feiertagen wurde auch Straßen zu stark frequentierten Ausflugszentren in die Betreuung einbezogen. Die Schöpfbrunnen und Schöpfwerke gab es nicht mehr, dafür eine lange Liste an „Hochquellen-Hydranten“.
Später waren viele Hauptverkehrsverbindungen gepflastert, steile Bereiche wie der Wolfrathplatz und auch die Einsiedeleigasse hatten Steine mit einer Ritzung in der Mitte („Geritzte“ oder auch „Wiener Pferdepflaster“ genannt). Diese meist qua
Die Hietzinger Hauptstraße nach 1908. Gepflastert waren nur der Gleiskörper der bereits elektrifizierten Straßenbahn und die Gehsteige. Links ist das ehemalige Schulgebäude Hietzinger Hauptstraße 164 zu sehen, in dem sich von 1879–1892 die Postmeisterei befand. Jetzt ist noch ein Postkasten zu sehen.
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Die Obere Hietzinger Hauptstraße und der Wolfrathplatz. Fotografiert vor 1908. Zu sehen ist die Dampftramway und der damals schon teilweise gepflasterte steile Bereich des Wolfrathplatzes. Die Fahrbahnen sind noch unbefestigt.
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derförmigen Steine wurden quer zur Fahrrichtung verlegt, um den Pferden einen besseren Halt zu geben. Viele der Nebenstraßen übersprangen die Pflasterstein-Ära und wurden gleich asphaltiert.
Heute ist Hietzing eine „Asphaltstadt“. Granitpflasterungen auf öffentlichen Flächen sind nur mehr als Reste auf geschützten Straßenbereichen, auf Schwellen, auf einzelnen Gehsteigen oder Parkstreifen und auf Stellen besonderer Gestaltung zu finden.
Eine in Wien nur mehr seltene Reminiszenz an die Zeit der Straßenpflasterungen ist die alte, noch bestehende Pflasterung mit „Geritzten“ am Wolfrathplatz. Ihre Lage in der Schutzzone direkt vor der Ober St. Veiter Pfarrkirche und das Engagement einiger Hietzinger Bezirksräte haben ihr den Bestand bis heute gesichert. Im Rahmen der Sanierung dieser Verkehrsfläche vom 6. bis 16. November 2012 wurden dieselben Pflastersteine neu verlegt.
Als weitere „Relikte“ sind darüber hinaus auch heute noch in abseits gelegenen Bereichen, meist Privatstraßen, leicht mit Kies überstreute Erdwege zu finden. Zum Beispiel ist ein Teil des Leon-Kellner-Weges bis heute unbefestigt.
Die Hietzinger Hauptstraße. Eine Aufnahme aus den 1950er-Jahren. Die Fahrbahn ist vollständig mit einem bogenförmig verlegten Kleinsteinpflaster belegt, der Gehsteig mit quer verlegtem Großsteinpflaster.
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Das Straßenpflaster in der Einsiedleigasse. Dieses Foto zeigt die Pflasterung des Gehsteigs vor dem ehemaligen Haus Nr. 4 (Glaserei Senk) mit Großsteinpflaster und der Straße mit „Geritzten“.
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Die „Wiener Vororte Straße“ wurde 1971 als Teil des Bundesstraßennetzes gesetzlich verankert und führte in meist breiten Straßenzügen von der Brigittenau großteils entlang der Vorortelinie (heute S 45) durch die westlichen Vororte und über die Cumberlandstraße zur Kreuzung der Zehetnergasse mit der Hadikgasse in Unterbaumgarten. Der gestiegene Durchzugsverkehr führte zu zahlreichen Bürgerinitiativen, doch die Strecke besteht bis heute, wenn auch nicht als Bundesstraße sondern als Gemeindestraße.
Noch in den 1980er-Jahren war eine Verlängerung über die Wien durch St. Veit entlang der Verbindungsbahn und über den Rosenhügel zur Südautobahn vorgesehen. Dagegen bildete sich in Hietzing eine frühe Bürgerinitiative, die in kurzer Zeit gegen dieses Projekt 14.000 Unterschriften sammelte. Als Folge verschwand die Planung „in der Schublade“, wie der damalige Bürgermeister erklärte. Am 1. Jänner 1994 wurde endlich der Hietzing betreffende Teil aus dem Bundesstraßengesetz gestrichen.
Wenn man die alten Pläne heute betrachtet, kann man sich darüber nur wundern! Denn es ging einerseits um eine vier- bis fünfspurige Straße quer durch Hietzing und andererseits auch um zahlreiche Anschlussstraßen, wie z.B. die überdimensionierte Atzgersdorfer Straße, die als erste vor dem Ende der B 222 schon im Bau war.
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Der Wienfluss war ein für den Brückenbau denkbar ungeeignetes Gewässer. Vor allem in Hietzinger Bereich mäanderte er oft in mehreren Armen durch ein breites, flaches Flussbett. Hochwässer veränderten die Wasserläufe, Wehre und Stege waren ständig bedroht und wurden wiederholt weggerissen. Von 1872 bis 1899 soll es 13 solcher zerstörerischen Überschwemmungen gegeben haben. Der Fluss selbst wurde allerdings kaum als Trennlinie empfunden, er war eher ein gerne genutzter Aufenthaltsraum, die Abbildung rechts kann dies veranschaulichen. Die Überquerung der Wien erfolgte durch Furten an seichten Stellen. Fuhrwerke mussten sich bis in die 1830er-Jahre mit den Furten begnügen, die bis dahin errichteten Holzstege an engeren Stellen des Flusses waren Fußgehern vorbehalten. Der Bequin-Plan aus dem Jahr 1755 zeigt die zahlreichen Furten durch den Fluss und die beiden damals bereits existenten Fußstege vor der Hackinger
Der schon öfters gezeigte Brequin-Plan aus dem Jahr 1755 zeigt auch die Querungen des mäandernden Wienfluss in unserer Region (Teil des Planes 2 auf der Folgeseite).
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Blick vom Wiental gegen das Hackinger Schloss und Ober St. Veit. Laurenz Janscha, Pinsel und Tusche, laviert und leicht aquarelliert, um 1800. Katalog Christian M. Nebehay
Mühle an der Stelle der heutigen Zufferbrücke und an der Stelle der heutigen Kennedybrücke. Darüber hinaus führte aus dem Schloss Schönbrunn eine breite offensichtlich befahrbare Brücke über die Wien zum nördlich gelegenen Hauptverkehrsweg nach Westen.
Die folgende Beschreibung der Hietzinger Brücken beginnt mit der weiteren Entwicklung der beiden frühesten Stege.
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Teil 2 des Brequin.Planes
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Der früheste Übergang über die Wien zwischen den heutigen Bezirken Penzing und Hietzing erfolgte durch eine Furt. Im 18. Jahrhundert wurde ein hölzerner Steg errichtet, der bis 1834 existierte. Von Mai bis August 1824 wohnte Ludwig van Beethoven am Verbindungssteg über die Wien, im sogenannten „Hadikschlössl“ („Schreyer‘sches Stiftungshaus“), das Ecke Hadikgasse/Nisselgasse stand und 1912 abgetragen wurde. Die zu seiner Wohnung gerichteten neugierigen Blicke der über den Steg gehenden Passanten veranlassten ihn, relativ bald dieses Quartier zu wechseln.
Dieser Beitrag basiert in erster Linie auf dem ersten Band von Mag. Gerhard Weissenbachers zweibändigem Werk
„In Hietzing gebaut“
Der Holzsteg und die Furt bei der heutigen Kennedybrücke. Bleistiftzeichnung von Franz Barbarini. Vom Penzinger Ufer aus reicht der Blick über die Furt neben dem Holzsteg und durch die heutige Hietzinger Hauptstraße bis zur Pfarrkirche Maria Hietzing. Von den Steinernen Brücken nächst der Innenstadt abgesehen mussten die Fuhrwerke für lange Zeit die jeweiligen Furten benützen. Die Holzstege waren den Fußgängern vorbehalten. © Historisches Museum Wien, Inv.Nr. 45.251
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Von 1834 bis 1843 dauerten die Bauarbeiten an einer der frühesten Kettenbrücken in Wien, die von Joseph Jäckel entworfen und von dem Neubauer Fabrikanten Johann Gemperle errichtet wurde. Die lange Bauzeit von neun Jahren ist auf Geldnot des Architekten und auf Uneinigkeiten, welche die Höhe der einzunehmenden Maut betrafen, zurückzuführen. Die Kosten des privaten Baues mussten durch Mautgebühren für Fahrzeuge und Viehtreiber hereingebracht werden.
Die runden Kettenauflager – im Reklamebild von Joseph Jäckel sind sie noch als Pfeiler dargestellt – wurden in der Fachwelt als besonders unschön bezeichnet. Vor der Hietzinger Kettenbrücke waren auf dem Gebiet der heutigen Stadt Wien in dieser Konstruktion 1825 die Sophienbrücke (heutige Rotundenbrücke) über den Donaukanal und 1828 die Rudolfsbrücke gebaut worden. Diese überspannte den Wienfluss in Verlängerung der heutigen Kettenbrückengasse.
Die Eröffnung der Hietzinger Kettenbrücke fand am 17. April 1843 statt; ihre Benennung erfolgte nach dem Namen der Gemahlin Kaiser Ferdinands I., Maria Anna von Savoyen.
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Kettenbrücke Hietzing. Werbeprospekt (Lithographie) von Joseph Jäckel. Um 1832
© Bezirksmuseum Penzing
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1888 wurde diese Brücke abgetragen und im selben Jahr zum 40-jährigen Regierungsjubiläum des Kaisers eine Parallelträgerbrücke in Eisenkonstruktion errichtet, die „Kaiser-Franz-Joseph-Brücke“. Der Abbruch der Kettenbrücke verlief aber keineswegs so geplant, wie es diese „Jubiläums-Eröffnung“ vermuten ließe. Auslöser des Abbruchs war vielmehr eine Begebenheit, die im Neuen Wiener Tagblatt vom 11. Jänner 1888 als „Die Geschichte einer gesperrten Brücke“ folgendermaßen beschrieben wurde:
Zu Weihnachten wurde die Kettenbrücke, welche Penzing mit Hietzing verbindet, auf behördliche Anordnung für den Wagenverkehr gesperrt. Wie uns nun mitgeteilt wird, hat hauptsächlich der gegenwärtige Brücken-Mautpächter wesentlich dazu beigetragen, dass, entgegen seinem materiellen Interesse die Brückensperre erfolgte. Der Sachverhalt ist folgender: Als im Herbste des vorigen Jahres die Schlussmanöver stattfanden, operierte eines Tages in Gegenwart des Kaisers ein größerer Truppenkörper zwischen Hetzendorf und der Schmelz. Als die Kavallerie die hier befindliche Brücke passieren wollte, erklärte der Pächter, dass er eine so große Reiterabteilung, wie überhaupt größere Truppenkörper nicht passieren lassen könne, da die Brücke solche Belastung nicht aushalte. Der Pächter hatte keine Ahnung davon, dass unter der glänzenden Reiterschaar sich auch der Kaiser befinde. In Folge der Einsprache des Pächters wurde die Passierung der Brücke untersagt. Zwei Tage nach dem geschilderten Vorfalle wurde zur nicht geringen Bestürzung des Eigentümers die Penzinger Kettenbrücke ob ihres Zustandes und ihrer Tragfähigkeit kommissionell besichtigt. Die Kommission beanstandete eine Anzahl von Mängeln und auf Veranlassung der Statthalterei wurde die Brücke gesperrt.
Kettenbrücke Hietzing. Aquarellierter Plan um 1850 © WStlA. Kartographische Sammlung. K 253
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Diese Maßregel bedeutete nun für den Brückenpächter einen schweren materiellen Nachteil und er versuchte im Rekurswege die Freigebung der Brücke zu erwirken, was ihm bisher noch nicht gelungen ist. Die Gemeinden Hietzing und Penzing haben sich nun gegenseitig ins Einvernehmen gesetzt, um im kommenden Frühjahr in unmittelbarer Nähe der Penzinger Kettenbrücke eine Notbrücke zu errichten.
Soweit diese Episode. Doch statt der Errichtung einer Notbrücke wurde das Problem mit der ungeliebten Kettenbrücke gleich von Grund auf gleöst. Wie das Neue Wiener Tagblatt vom 27. März 1888 berichtete, wurde die Kettenbrücke abgetragen und durch eine bessere ersetzt. Die Eigentümer der „kranken“ Brücke, eine Frau Krause und ein Herr Freund, hatten allerdings einerseits das Mauteinhebungsrecht noch bis Ende 1892, wären laut Urkunde aus dem Jahr 1842 aber andererseits verpflichtet gewesen, die Kettenbrücke bis Ende 1892 in benützbarem Zustand zu erhalten. Dann wäre sie in das Eigentum der Gemeinden Penzing und Hietzing übergegangen, doch angesichts von drohenden Renovierungskosten im Bereich von 10.000 Gulden war es schon damals beschlossene Sache, sie zu entfernen und durch eine neue den damaligen Zeitverhältnissen entsprechende Brücke zu ersetzen. Die Brückenbesitzer wurden von Seite des Landesstraßen-Ausschusses mit 3600 Gulden abgefunden und der Bau der neuen Brücke beschlossen.
Die Brücke sollte der ebenfalls neuerbauten Maria Theresia-Brücke (zwischen Penzing und Meidling) ähnlich sein und an derselben Stelle wie die alten Kettenbrücke errichtet werden, allerdings um mehr als zwei Meter tiefer, wodurch jede Steigung zur Brückenauffahrt vermieden werden konnte. Die Kosten für diesen Bau wurden aus öffentlichen Geldern der Gemeinden Hietzing und Penzing sowie des Landes Niederösterreich beglichen. Nach relativ kurzer Bauzeit konnte die Brücke dem Verkehrübergeben werden und war nun ohne Maut benützbar.
Kaiser-Franz-Joseph-Brücke.
Foto um 1890
© Bezirksmuseum Hietzing
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Die neue
„Kaiser-Franz-Joseph-Brücke“,
errichtet im Jahr 1900. Im Hintergrund ist die Stadtbahnstation Hietzing zu sehen. Die Steinbrücke mit Steingeländer überspannte in einem eleganten Bogen den Fluss. Sie trug an den Seitenflächen in einem Lorbeerkranz aus Bronze die Initialen Kaiser Franz Josephs und wies als Betonung der Stützpfeiler und zugleich als ihre Dekoration zwei Kalksteinsockel mit Bronzeadlern von Arthur Strasser (1854–1927) auf. Sie wurden 1903 montiert und trugen auf ihrem Rücken die Kaiserkrone; in den Krallen hielten sie Spitzhaue und Schaufel, Symbole der Regulierungsarbeiten.
Heute stehen beide Bronzeplastiken etwas verloren und funktionslos auf der Kennedybrücke.
Foto um 1950
© Bezirksmuseum Hietzing.
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Doch war ihr nur eine kurze Lebensauer beschieden, dennn zehn Jahre später musste wegen der Wienflussregulierung und des Stadtbahnbaues eine neue Brücke gebaut werden. Die Parallelträgerbrücke wurde abgetragen und, verkürzt um drei Gitterfelder, zwischen Hochsatzengasse und Testarellogasse wieder aufgebaut. 1900 war die neue Hietzinger Brücke fertiggestellt. Sie war ursprünglich als Westtor eines 6,5 km langen, komplett eingedeckten Flusslaufes zwischen Hietzing/Penzing und dem Stadtpark gedacht. Die Flusseindeckung wurde dann aus Kostengründen nur partiell ausgeführt.
Der Otto Wagner-Schüler Friedrich Ohmann schuf – in Zusammenarbeit mit Josef Hackhofer – sowohl die Weststirne der Hietzinger Brücke mit der Bedeutung eines Einflusstores als auch den Ostausfluss am Stadtpark. Die zwei Tore sind als Einheit zu sehen. Zugleich bilden beide Bauwerke eine gestalterische Ganzheit zwischen Wienflussregulierung und Stadtbahnbau.
Die neue Brücke zwischen Hietzing und Penzing erhielt 1900 wieder den Namen „Kaiser-Franz-Joseph-Brücke“, diesmal zum Anlass des 50. Jubiläums der Thronbesteigung.
Da der Autoverkehr von Wien nach Westen über die Linzer Straße nicht mehr reibungslos bewältigt werden konnte, legte man schon in den dreißiger Jahren eine neue Verkehrsachse entlang des Wientals an.
Die 1935 geplante und ein Jahr später realisierte Westausfahrt an der Stelle des seit 1918 als „Hietzinger Brücke“ bezeichneten Flussübergangs ist auf einer Zeichnung von Ottokar Walther zu sehen. Stadtauswärts wurde die Straße an Schönbrunn vorbei unter der Hietzinger Brücke durchgeführt, stadteinwärts war die Hadikgasse Einbahn.
Infolge des rapid gestiegenen Verkehrsaufkommens Anfang der sechziger Jahre wurde eine Neuplanung des Wienflussüberganges und der an ihm liegenden Stationen der öffentlichen Verkehrsmittel (Stadtbahn, Straßenbahn) notwendig. Leider fiel
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dieser rigorosen Planung nicht nur die von Ohmann/Hackhofer geplante Brücke, sondern auch die Stadtbahnstation Otto Wagners zum Opfer. Versuche einer Integration dieser Bauten in die Neuplanung wurden nicht unternommen.
Die neue, 1961–64 errichtete Brückenkonstruktion von Fritz Pfeffer (Baumeisterarbeiten: Fa. „Neue Baugesellschaft Auteried & Co.“), die „Kennedybrücke“, wurde nach dem 1963 ermordeten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika benannt.
Unterfahrung der Hietzinger Brücke. Zeichnung von Ottokar Walther, 1937
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Bau der Kennedybrücke.
Foto 1962
© Bezirksmuseum Hietzing
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Die Hietzinger Brücke. Das Foto zeigt die Hietzinger Brücke mit der damaligen Station Hietzing im Jahre 1961, kurz vor dem Abriss. Bis heute erhalten geblieben sind nur der 1899 im Jugendstil erbaute Otto-Wagner-Hofpavillon (Gebäude mit Kuppel, es diente dem Kaiser und den Mitgliedern des Hofes exklusiv als Ein- und Ausstiegsstelle zur Wiener Stadtbahn) und die beiden Bronzeplastiken (Kronen tragende Adler) links und rechts auf der Brücke über den Wienfluss. Von den beiden Majestäts-Monogrammen darunter ist eines im Bezirksmuseum Hietzing ausgestellt. Die Brücke wurde damals nur vom 58er passiert, der 10er hatte seine Wendestelle auf der einen und er 60er auf der anderen Seite der Anlage. © Bezirksmuseum Hietzing
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Von 35 m auf 90 m verbreitert, weist die Stahlbeton-Zellenplattenkonstruktion durch ein auf 31 Säulen gestütztes ringförmiges Flugdach gedeckte Haltestellen für Straßenbahnen sowie den neu geformten Abgang zur Stadtbahn – heute U-Bahnstation Hietzing – auf. Das ca. 500 m2 große und durch Plexiglaskuppeln erhellte Stationsgebäude beinhaltet neben den erforderlichen Betriebsräumen vier Verkaufslokale, Fernsprechzellen und eine WC-Anlage. Die Brückenfahrbahn wurde im Hinblick auf eine künftige Wientalautobahn und aus Rücksicht auf die mögliche Hochwasserführung des Wienflusses um einen Meter gehoben. Der Autotunnel war 1963 fertiggestellt.
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Oben die Kennedybrücke in einem Foto aus dem Jahr 1986
(© G. u. G. Schum)
und darunter fotografiert
am 24. September 2014
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Der einfache, 1830 erneuerte Holzsteg über die Wien an der Stelle der heutigen Zufferbrücke wurde schon in der Ortsgeschichte von Hacking (siehe →Seite 138 und folgende) erwähnt. Er verband die beiden Ortsteile und schuf eine Verbindung zur Linzer Straße, dem bedeutendsten Verkehrsweg nach Westen. Allerdings war auch dieser Holzsteg nur für Fußgeher benützbar, die Pferdewägen mussten nach wie vor durch die Furt.
Dies änderte sich erst am 8. Juli 1878 mit der Eröffnung der Franz-Karl-Brücke, welche den Steg und die seit alters her benützte Furt ersetzte. Die Brücke wurde nach Erzherzog Franz Karl (1802–78), dem Vater Kaisers Franz Josephs I., benannt. Seit 1934 heißt sie „Zufferbrücke“ nach dem Brückenbauingenieur Josef Zuffer (1850–1909).
Lithographie von Tobias Dionys Raulino um das Jahr 1820 mit dem Hackinger Steg und der davor liegenden Furt
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Die Franz-Karl-Brücke in einer Ansichtskarte
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Die Franzisco-Josefinischen Landesaufnahme 1872 zeigt im Vergleich zum Brequin-Plan 1755 bloß drei weitere Stege: Einen beim ehemaligen Hütteldorfer Bad (später Nikolai-Steg), einen zwischen ehemaliger Hütteldorfer Brauerei und der Westbahnstation Hütteldorf etwa in Verlängerung der heutigen Rußpekgasse, ein Steg in Verlängerung der heutigen Sankt-Veit-Gasse und zwei Stege im Bereich des ehemaligen Penzinger Bades (einer in Verlängerung der heutigen Steckhovengsse und einer in Verlängerung der heutigen Jenullgasse. Darüber hinaus kreuzte bereits der stadteinwärts führende Arm der Verbindungsbahn den Wienfluss.
Dieser Stand dürfte sich bis zur Eingemeindung der Vororte nach Wien gehalten haben.
Der Wienfluss in der Franzisco-Josefinischen Landesaufnahme 1872 (Teil 2 auf der Folgeseite).
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Der zweite Teil des Planes zeigt auch eine andere Art von Brücken über den Wienflusses: Die im Jahr 1898 noch existente Trogbrücke in Bereich des heutigen Preindl-Steges (siehe Foto links). Sie hatte das ehemalige Wehr ersetzt und führte den Mühlbach über den Wienfluss. Mühlen waren zu dieser Zeit keine mehr in Betrieb, dennoch hatte die Brücke die bereits weit fortgeschrittenen Regulierungsarbeiten bis dahin überlebt.
Teil 2 des Planes
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Ausschnitt aus dem „Messner-Plan“ 1971 auf Basis des Franziszeischen Katasterplans 1819. Über die 1971 noch existenten historischen Gebäude hinaus sind auch der Verlauf des regulierten Wienfluss, die frühere Stadtbahn (jetzt U-Bahn) und die Verbindungsbahn rot eingezeichnet, ebenso die im Zuge der Regulierung errichteten Brücken. Oberhalb des Planausschnittes liegen noch die Brauhausbrücke zwischen Stampfer- und Bergmillergasse, der Nikolaisteg vor dem ehemaligen Hütteldorfer Bad ...
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Ab 1895 wurden fast alle steinernen, eisernen und hölzernen Brücken über die Wien der Regulierung geopfert, auch die von Schönbrunn auswärts. Übersichtlich eingezeichnet ist im Messner-Plan unten der Verlauf der regulierten Wien und die sie und die entlangführende Stadtbahn überspannenden Brücken.
Einige der alten Brücken wurden oberhalb der Hietzinger Brücke wieder aufgestellt. St.-Veit-Brücke (ehem. Kaiser-Franz-Joseph-Brücke), Baumgartenbrücke (ehem. Lobkowitzbrücke), Braunschweigbrücke (ehem. Kaiser-Joseph-Brücke) und Badhaussteg (ehem. Wackenroder Steg) sind heute noch in Verwendung, die anderen wurden in den 1960er-Jahren durch Spannbetonbrücken ersetzt.
Die im Plan eingezeichneten Brücken von der Hütteldorfer Brücke beginnend stadteinwärts sind:
Teil 1 des Messner-Planes
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(Fortsetzung von der Vorseite)
... im heutigen Ferdinand-Wolf-Park und die das Rückhaltebecken überspannende bzw. den Brückenweg verbindende Wolf-in-der-Au-Brücke und Auhofbrücke.
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Teil 2 des Messner-Planes
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Einige der genannten Brücken haben sich durch Sanierungen oder sonstige Anpassungen deutlich verändert. Einzelne Brücken mit wiederverwendeten Tragwerken alter Brücken wurden zu Stahlbetonbrücken. Auch die Umstellung der Stadtbahn auf U-Bahn und andere Modernisierungen haben zu Veränderungen geführt, auch zu neuen Brücken: Der Zubringerbrücke für das Park&Ride-Gebäude in Hütteldorf und der Paul-Amann-Fußgeherbrücke in Verlängerung der Fleschgasse. Die Anlage des Radweges von der Kennedybrücke stadtauswärts hat ebenfalls zu dementsprechenden Veränderungen inkl. Zufahrtsrampen geführt.
Ebenfalls im vorseitigen Plan noch nicht eingezeichnet sind die 1966 errichteten Anschlussbauwerke an die Westautobahn mit der Verlängerung der Hadikgasse durch die Nikolai-Hangbrücke und die Nikolaibrücke über den Wienfluss.
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Schönbrünn. Kolorierter Stahlstich von T. Phillibrown nach einer Zeichnung von E. Gurk aus Weidmann, Franz Carl: „Panorama der Oesterreichischen Monarchie“ Verlag Pest, Hartleben 1839/40. Laut „Wien am Anfang des XX. Jahrhunderts“ soll es eine hölzerne Brücke gewesen sein, die im Zuge der Wienflussregulierung durch eine 100 Meter lange Einwölbung ersetzt wurde.
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Der Bau der Brücke für die Hadikgasse über den Wienfluss im Jahr 1966. Im Hintergrund ist der Abschlussturm der Rückhalteanlagen beim Auhof zu sehen.
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Abschließend noch das Beispiel einer kleineren Brücke, die das Leben in den Dörfern erleichterte: Die Brücke über den Mühlbach von der Feldmühle (rechts im Bild) nach Alt-Hietzing. Im Hintergrund Kirche und Schloss Ober St. Veit und das Schloss Hacking
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Siehe dazu:
Willibald Tettinek: Die Briefpost in den Randgemeinden Wiens im 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.In: Unsere Heimat 1994, 78–87
Kortz, Paul: Wien am Anfang des 20. Jahrhunderts. Wien: Verlag von Gerlach & Wiedling, 1905
Niederösterreichischer Dominien-Schematismus für das Jahr 1847, S. 162
Topographisches Post-Lexicon des Kronlandes Österreich unter der Enns für das Jahr 1851 S. 127
Franz Raffelsperger, Allgemeines geographisch-statistisches Lexicon alter österreichischen Staaten, Bd. 6 (Wien 2 1853)
S. 620
Schmidt, Adolf: Wiens Umgebungen auf 20 Stunden im Umkreis, Bd. 1 (Wien 1835, Anhang).
Nö. Amtskalender 1868, S. 435 und 1869, S. 319
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Die Briefpost wurde für die Ortschaften der Umgebung Wiens bis ins 18. Jahrhundert mehr schlecht als recht durch die wenigen bestehenden Stationen der Fahrpost besorgt. Für unseren Bereich bestand eine Fahrpostlinie auf der Linzer Reichsstraße mit Stationen in Wien und Purkersdorf. Immer wieder wurde um- und neu organisiert, um den Postverkehr mit den bevölkerungsmäßig stark zunehmenden Wiener Umlandgemeinden auf eine einigermaßen tragfähige Basis zu stellen.
Seit der Neuorganisation des Postwesens 1847 leitete das Hofpostamt im Briefpostgebäude in der Wiener Wollzeile den Geschäftsbetrieb. Ihm unterstanden 96 Briefsammlungen in der Stadt und den Vorstädten und 27 Landbriefsammlungen in den Vororten und Randgemeinden. Diese Briefsammelstellen lagen in den Händen privater Betreiber, die mit der staatlichen Postverwaltung einen Vertrag hatten. Oft waren es Gewerbetreibende wie Tabak-Trafikanten, Gastwirte, Handelsleute und dergleichen, die für ihren Ort den Briefdienst als Nebenerwerb dazu nahmen. Der 2002 in Österreich aus Rationalisierungsgründen eingeführte private „Postpartner“ ist also, historisch gesehen, nichts Neues.
Für unsere Region wird ab 1796 in den Schematismen und Postlexika angegeben, dass sie zum Postbestellungsbezirk Wien gehört und in den Orten Briefsammelstellen (Postabgabestellen) existieren. In welchen Orten sie tatsächlich existierten ist nicht vollständig eruierbar, jedenfalls in Hietzing und Ober St. Veit. In Unter St. Veit gab es seit 1877 eine Postexpedition. Diese diente nur der Annahme von Postsendungen aller Art, Paketen und Geldsendungen. Die Zustellung der von auswärts eingelangten Post wurde weiterhin durch das Postamt Hietzing besorgt.
Sowohl vom Stadtpostamt als auch von den Sammelstellen ging zwei Mal täglich an Arbeitstagen ein Brieftransport ab, und zwar um 10 Uhr vormittags und um 3 Uhr nachmittags. Die eingelangten Briefe wurden zwei Mal täglich zugestellt und zwar noch am Tag ihres Einlangens.
Die mit Einführung der Briefmarken per 1. Juni 1850 stark zunehmende Korrespondenz erforderte eine Verdichtung des Netzes der Postämter, die man in ärarische und nichtärarische unterschied. Bei den ärarischen werkten dekretmäßig ernannte kaiserliche Beamte bzw. Diener, bei den nichtärarischen ein vertraglich gebundener Privater, der meist die Bezeichnung „Postmeister“ führte. Er musste sich das Amtslokal selbst organisieren und das nötige Personal selbst anstellen; hiefür erhielt er allenfalls Pauschalien oder Beihilfen, wirtschaftete ansonsten aber auf eigene Rechnung.
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Ab 1846 verbreitete sich auch die elektromagnetische Telegraphie in Österreich wobei die Telegraphenstationen im Zuge ihrer Einführung meist mit Postämtern kombiniert wurden. Die Ämter wurden dann Post- und Telegraphenämter genannt. Zunächst betrieb die Wiener Privat-Telegraphengesellschaft Stationen in einzelnen Postämtern. Sie waren täglich von 7 Uhr früh bis 9 Uhr abends zum Senden und Empfangen von Telegrammen geöffnet. Ab wann es diese privaten Stationen in Hietzing gab, ist nicht eruierbar, doch ab 1. Mai 1888 übernahm das staatliche Telegraphenamt den Betrieb bei unveränderten Öffnungszeiten, und zwar auch in den peripheren Postämtern Hietzings.
In den Annoncen der regionalen Zimmervermietungen wird ab den 1880er-Jahren neben allen anderen Vorzügen auch schon die Existenz eines (offensichtlich privaten) Telegraphen angeführt. Was damit gemeint war, ist unklar, den bei Telegrafenleitungen gab es keine Vermittlung wie im Telefonnetz, sondern nur Verbindungen zwischen Ämtern und Städten.
Erste Konzessionen für die (Sprach-)Telephonie wurden in Wien ab 1881 vergeben. Der Ausbau war unbefriedigend und die Konzessionen wurden zurückgekauft. Ab 1895 wurde das Telefonnetz von der österreichischen Post- und Telegraphenverwaltung betreut und die Telefonie kam mit dem Bau von zwei Telefonzentralen (Dreihufeisengasse und Berggasse) in Schwung. Ein Teilnehmer konnte nur über das Vermittlungsamt durch Stecken eines Stöpsels erreicht werden. Später konnten Automaten in öffentlichen Telefonhäuschen eingeführt werden. Die weitere Automatisierung des Telefonnetztes begann nach dem Ersten Weltkrieg durch halbautomatische Vorrichtungen bis zur Vollautomatik, in der der Teilnehmer selbst wählen konnte. 1928 gab es in Wien bereits über 100.000 Teilnehmer und die Nummern wurden zu einer Kombination aus einem Buchstaben und fünf Ziffern.
Zurück zu den Postämtern. In der Zeit der selbstständigen Ortsgemeinden gab es ein ärarisches Postamt in der Altgasse 13 und nicht ärarische in allen anderen Gemeinden. Der Zeitpunkt ihrer jeweiligen Eröffnung ist noch zu eruieren. Diese Struktur
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Das älteste aufgefundene Foto mit der Nutzung elektromagnetischer Techniken aus dem Jahr 1897. Es zeigt Isolatoren und Drähte am einstigen Haus Hietzinger Hauptstraße 164, in dem sich auch ein Depot der Freiwilligen Feuerwehr Ober St. Veits befand.
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blieb auch nach der Eingemeindung nach Wien erhalten, in den Adressverzeichnissen genannt werden jetzt aber durchnummereierte Post- und Telegraphenämter inklusive der jeweiligen Zuständigkeitsbereiche („Bestellbezirk“).
Ab 1907 wurde die Eigenschaft der Ämter (ärarisch oder nicht ärarisch) nicht mehr angeführt, nach anderer Quelle wird die Übernahme der privaten Ämter in den Staatsbesitz erst für 1914 anberaumt. Folgende Post- (und Telegraphen-) -ämter gab es auf dem Boden des heutigen 13. Bezirkes Hietzing:
Blick auf Schloss und Kirche Ober St. Veit über das Dach des Hauses Einsiedeleigasse 7 im Jahr 1910. Auf dem Dach des Hauses befindet sich ein Dachständer mit zahlreichen Porzellanglocken (Isolatoren) mit weiterführenden Drähten. Diese Konstruktion war auch auf den Dächern vieler anderer Häuser zu beobachten. Grundsätzlich wurde – sobald dies die Kabeltechnik erlaubte – getrachtet, die Leitungsnetze weitestmöglich unterirdisch zu verlegen, die Anschlussdrähte zu den Abonnentenstationen blieben aber meist offen auf Kabelsäulen oder eben auf den Dächern.
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Foto unbekannten Datums mit dem öffentlichen Münzfernsprecher an der Ecke Hietzinger Hauptstraße / Rohrbacherstraße. Die Zuleitung führt offensichtlich vom gegenüberliegenden Dach zu den Isolatoren auf der Zelle.
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Die zwischen 6 Uhr früh und 6 Uhr abends geöffneten Postämter waren durch fünfmaligen Posttransport mit der Wiener Hauptpost verbunden, jeweils eine halbe Stunde vor Abfahrt dieser Postkurse, also fünf Mal täglich(!), wurden die Briefkästen geleert und ihr Inhalt gleich weiterbefördert. Man konnte also etwa in der Früh einen Brief in die Stadt schicken und am Abend schon die Antwort in Händen halten. Ankommende Briefe, Pakete und Geldsendungen lagen grundsätzlich (nur) am Postamt zur Abholung bereit, die Zustellung durch den Briefträger ins Haus musste eigens gewünscht und mit 1 Kreuzer pro Brief extra bezahlt werden. Der Briefträger ging vormittags und nachmittags je eine Zustelltour. Briefmarken waren auch bei bestimmten Kaufleuten erhältlich.
Damals gab es auch ein Netz an Rohrpostleitungen, allerdings endete es in Meidling.
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Eine Kuriosität: Alle sieben Stempel des Postamtes 1133 (vormals Post- und Telegraphenamt Nr. 94 für den Bestellbezirk 13/7), gestempelt zur nostalgischen Erinnerung.
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Das „Licht“ als von den meisten Menschen erlebte erste Anwendung der aufkommenden Elektrizität ist zum Synonym für elektrische Energie geworden.
Das Kochen, das Heizen und das Leuchten haben ihren Ursprung im Feuer. Das offene Feuer bot die ursprüngliche Funktionseinheit für alle drei Aufgaben. Als erste Funktion aus dieser Einheit herausgelöst wurde das zur mobilen Lichtquelle gewordene brennende Stück Holz. Der Holzspan mit seinem schwachen und unregelmäßigen Licht, das den Raum verrußte und eine stete Brandgefahr darstellte, war in manchen Gegenden bis ins 19. Jahrhundert die einzige Lichtquelle. Ganz außer Gebrauch kam er erst nach der jeweiligen Elektrifizierung.
Wachskerzen gab es wohl schon seit der Antike, doch für den täglichen Gebrauch waren sie den meisten Menschen zu teuer und nur besonderen Anlässen vorbehalten. Aus Abfallfetten hergestellte Talg- und Unschlittkerzen gaben ebenfalls nur ein schwaches, stark rußendes Licht.
Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Öllampe mit ihrem verstellbaren Flachdocht im Glaszylinder zur dominierenden Beleuchtungsmethode. Nach der Entdeckung des Petroleums wurde sie als Petroleumlampe geradezu zum Symbol der „guten alten Zeit“. Trotz ihrer umständlichen Wartung blieb auch sie noch lange in Gebrauch.
Gemeinsam mit der industriellen Entwicklung machten aber auch die Beleuchtungstechniken enorme Fortschritte: Weite Verbreitung fand das Gaslicht und um 1870 das Bogenlicht. Das Bogenlicht war die erste in Serie produzierte elektrische Lampe mit einem Lichtbogen zwischen zwei Elektroden aus Graphit. Diese Beleuchtungsmethoden setzten sich über die industrielle Anwendung hinaus auch in öffentlichen Gebäuden wie Bahnhofshallen und zur Straßenbeleuchtung durch. Das Gaslicht war wegen seines Geruches, seiner Giftigkeit und der hohen Feuergefahr für Wohnräume weniger geeignet, der von Carl Auer von Welsbach entwickelte Glühstrumpf zieht sich aber neben der Petroleumlampe durch fast alle historischen Erzählungen. Die Bogenlampe wurde wegen des lauten Geräusches und des grellen Lichts in Innenräumen gemieden.
Auch das an der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert aufkommende elektrische Licht aus der genialen Glühbirne war zunächst den – in privater Hand befindlichen – industriellen Einrichtungen vorbehalten. Sie waren es, die als erste in die zur Erzeugung des
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Siehe unter anderem:
Mitterauer Michael und Viktoria Arnold als Herausgeber: Als das Licht nach Wien kam. Wien, Böhlau-Verlag 1986
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notwendigen Stroms erforderlichen Kraftwerke investiert hatten, schließlich erforderten die neuen Produktionsweisen immer mehr Licht und Arbeitsstrom.
Das neue elektrische Licht war wegen seiner Sauberkeit und Unschädlichkeit natürlich auch in Wohnungen hochwillkommen, doch die für eine breite Anwendung erforderlichen Kraftwerke und Stromleitungsnetze wurden zu einer kommunalen Aufgabe, die Jahrzehnte in Anspruch nahm.
Die Stromerzeugung und -verteilung wurde in Wien nahezu monopolistisch durch die Wiener städtischen Elektrizitätswerke übernommen. Einen guten Einblick in diese frühe Entwicklung gibt ein Beitrag in der Broschüre „Die Elektrifizierung Österreichs“.
Die erste Priorität in Wien war die Elektrifizierung der Straßenbahnen. Schon 1903 wurde in der Linzer Straße eine elektrische Straßenbahnstrecke von der Johnstraße (heute Grenze zum 15. Bezirk) bis zum Baumgartner Spitz gebaut; sie wird seit 1907 von der Linie 52 befahren. Die elektrische Straßenbahnlinie 58 von Hietzing nach Ober St. Veit gab es seit 1908. In diesem Jahr wurde der Betreiber der Dampftramway von der Gemeinde Wien übernommen und die Linie noch im gleichen Jahr elektrifiziert.
Die Elektrifizierung Österreichs. Zweite Auflage der unter Mitwirkung des Österreichischen Wasserkraft- und Elektrizitäts-Wirtschaftsamtes im Jahre 1925 veröffentlichten Broschüre zur zweiten Weltkonferenz, Berlin 1930. Wirtschaftszeitungs-Verlags-Gesellschaft m.b.H.,
Wien I., Strauchgasse 1
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Die elektrische Straßenbahnlinie 58. So wie die Dampftramway kreuzte auch die Linie 58 die Verbindungsbahn niveaugleich und wurde bis Ober St. Veit geführt. Schon damals kam es zu erheblichen Wartezeiten wegen des herabgelassen Schrankens.
© Bezirksmuseum Hietzing
Die Umstellung der Straßenbeleuchtung von Gas auf elektrischen Strom begann erst 1924. Das war ein langer Prozess, vor allem in den ländlicheren ehemaligen Vororten, der mit dem Löschen der letzten Gaslaterne am 27. November 1962 durch Bürgermeister Franz Jonas in der Lainzer Sauraugasse endete.
Bis dahin waren die Straßen durch Gaslaternen beleuchtet worden, in Wien ab 1845. Zunächst gehörten sie der Imperial Continental Gas-Association“ (I.C.G.A.), diese hatte mit der Gemeinde Wien einen Vertrag über die Errichtung und den Betrieb
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Das neue elektrische Licht war wegen seiner Sauberkeit und Unschädlichkeit natürlich hochwillkommen, doch die für eine breite Anwendung erforderlichen Kraftwerke und Stromleitungsnetze wurden zu einer kommunalen Aufgabe, die Jahrzehnte in Anspruch nahm. Hier das im Sommer 1902 in Betrieb genommene Elektrizitätswerk in Simmering
Die Fronleichnamsprozession ca. 1934 an der Kreuzung Auhofstraße/Firmiangasse.
Aus der Menschenmenge ragt im Vorgergrund ein Englischer bzw. Wiener Gaskandelaber mit vierscheiniger Laterne.
Städtischer Rundmatelkandelaber in der Ober St. Veiter Firmiangasse, als er noch eine Gaslaterne war.
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einer öffentlichen Gasbeleuchtung. Damit begann die flächendeckende Umstellung der bis dahin existierenden Öllampen auf Gaslaternen. Ausgehend von der Inneren Stadt und den Hauptstraßen der Vorstädte wurde die Beleuchtung sukzessive auch auf Teile der Vororte ausgedehnt.
Der 1899 auslaufende Vertrag mit der I.C.G.A. wurde nicht mehr erneuert und auf kommunale Gasversorgung umgestellt. In der Folge wurden die englischen Gaskandelaber sukzessive gegen neue städtische Rundmantelkandelaber, die sogenannten „Kommunalen Gaskandelaber“, ausgetauscht. Die Laternen waren mit neuartigen Auer-Glühlichtbrennern ausgestattet. Für die (ehemaligen) Vororte dauerte die Umstellung bis Ende 1911.
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Zu diesem Zeitpunkt gab es in Wien über 37.000 Gaslaternen. Die vertrauten Laternenwärter, die jeden Abend die Flammen entzündeten, verschwanden allerdings wegen des Einsatzes von Zünd- und Löschuhren aus dem Stadtbild.
In Rückbesinnung auf die ästhetischen Qualitäten der historischen Beleuchtungskörper wurden in den letzten beiden Jahrzehnten zahlreiche Nachgüsse dieses Kandelabertyps neu aufgestellt. Ein erheblicher Anteil dieser historischen Straßenbeleuchtungen steht in Ober St. Veit.
Das Einleiten von Licht in die Wohnungen nahm ebenfalls einen langen Zeitraum in Anspruch und hing von vielen Faktoren ab, wie der Entfernung zu einem Kraftwerk, der Entscheidungsfreudigkeit und Modernität der Wohnungsinhaber, der Finanzierung, der Armut der Betroffenen und letztendlich auch der Komplexität der Einleitung des elektrischen Stromes: Zuleitungen in Gräben, blanke Eisendrähte auf Holzmasten zu den Isolatoren der Häuser, gedrehte Zweileiter überputz auf kleinen Porzellanisolatoren, ein an die Wand geschraubter Schalter, ebenfalls aus Porzellan. Allen voran hatten meist die Gewerbetreibenden mehr Licht in ihren Räumen.
Die Elektrifizierung in Privathäusern fand in manchen Bereichen schon sehr früh um die Wende in das 20. Jahrhundert statt und dauerte in Wien bis in die 1930er-Jahre. In entlegeneren Regionen Österreichs konnte das bis in die 1950er-Jahre dauern.
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Der Zuschneideraum der Firma Winkler & Schindler in der Auhofstraße um die Zeit des Ersten Weltkrieges. Er war bereits elektrisch beleuchtet und auch die Maschinen wurden elektrisch angetrieben.
Der Strom wurde im eigenen Maschinenraum produziert.
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Der Einleitung des elektrischen Lichts folgten im Laufe der Zeit mehrere Wellen elektrisch betriebener Geräte: Bald das elektrische Bügeleisen, spätestens 1938 ein Radio in jedem Haus, Mitte der 1960er-Jahre die ersten elektrischen Waschmaschinen, der Staubsauger, der Kühlschrank, der Rasierapparat, Fernsehgeräte, schließlich auch die Elektroheizung und eine unübersehbare Vielfalt weiterer moderner Hausgeräte.
Leider kenne ich keine Augenzeugenberichte, die von der Elektrifizierung in Hietzing berichten. Das ist erstaunlich, wo doch das elektrische Licht eine ungeheure Verbesserung gegenüber allen bis dahin üblichen Arten der Beleuchtung von Innenräumen gewesen sein muss. Als Ersatz seien hier die Jugenderinnerungen von Karl Klein, dem Sohn eines Straßenbahnfahreres nacherzählt. Sie sind in dem Buch „Als das Licht kam“ festgehalten.
Als er 1908 geboren wurde, fuhr die Straßenbahn bereits elektrisch. Die Dampftramway gab es nur noch auf einigen Linien, er erinnerte sich an eine Fahrt zwischen Hietzing und Mödling.
Die ihm erinnerliche Besonderheit war, dass auf der inneren Mariahifer Straße und dem Ring Oberleitungen vom Kaiser untersagt waren. Statt dessen gab es eine Unterleitung in einer Hohlschiene. Neugierig schaute er zu, wenn bei diesem Übergang der Motorführer den Bügel abzog und ein Schiffchen in die Schiene kurbelte. In der Gegenrichtung wiederholte sich der Vorgang umgekehrt.
Das elektrische Zeitalter begann so richtig erst nach der Stabilisierung der Nachkriegsverhältnisse 1919. Auf der Mariahilfer Straße gab es als Nachtbeleuchtung große elektrische Bogenlampen. Es waren Lichtbogen, einzelne zischten leise oder knatterten. Sie strahlten ein fahles Licht wie der Vollmond aus und wirkten sehr
Die Pfarrkirche Ober St. Veit soll schon sehr früh elektrisch Beleuchtet worden sein, offensichtlich gemeinsam mit der Elektrifizierung der Straßenbahn 1908. Dieses Foto aus dem Jahr 1908 zeigt bereits die elektrischen Lampen.
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Die am 27.11.1962 durch Bürgermeister Franz Jonas gelöschte Gaslaterne stand vor dem Haus Sauraugasse 22. Heute steht sie vor dem Bezirksmuseum Hietzing.
geheimnisvoll. Lichtbogenlampen waren dort auf dem Siegeszug, wo man starke Lichtquellen brauchte.
Manche Leute waren ihrer Zeit voraus, und hatten beispielsweise eine elektrische Klingel am Haustor, die ein „Element“ mit Strom versorgte. 1918 tauchten die elektrischen Taschenlampen mit Batterie auf, ein beliebtes Spielzeug für die Kinder.
Herr Klein erinnerte sich auch an eine groß angelegte Aktion der Gemeinde Wien von 1922 bis 1925: „In jeden Haushalt Gas und Strom“. In seiner Wohnung war 1923 das Petroleumzeitalter vorbei. Als die erste Fünfundzwanziger-Birne eingeschaltet wurde, war das eine Festbeleuchtung. Nie mehr Petroleumlampen reinigen, nachfüllen, Docht schneiden etc...
Gleichzeitig kam auch das Gas in die Wohnung. Auf dem Herd wurden ein Rechaud und eine Gasbackröhre aufgestellt, vor allem für die Frauen eine ungeheure Entlastung; keine Holzspandeln (Holzspäne), kein Kohleschleppen aus dem Keller, kein Ascheräumen, kein Staub und Ruß.
Er erinnerte sich auch an die 1924 beginnende Umstellung der Straßenbeleuchtung von Gaslaternen auf elektrisch. Die ersten Straßenzüge wurden zum Silvester 1924 um Mitternacht eingeschaltet. Die Felberstraße vom Westbahnhof bis zur Schweglerbrücke war elektrisch ausgerüstet, von der Schweglerbrücke bis zur Johnstraße blieb noch die Gasbeleuchtung. Viele Menschen kamen um Mitternacht zur Brücke, und als schlag zwölf Uhr die Beleuchtung eingeschaltet wurde, hörte man ein lautes „Oh!“: die Felberstraße zum Westbahnhof eine Flut von Helligkeit, zur Johnstraße trotz der Glühlampen Finsternis. Die tausendste Straßenlampe wurde mit Tannenreisig und einer goldenen „1.000“ geschmückt am Margaretengürtel, Abzweigung Eichenstraße, montiert und unter den Klängen einer Musikkapelle in Betrieb genommen.
Die Elektrifizierung der Stadtbahn begann 1922. Sie bekam die modernste automatische Signalanlage nach dem Muster der Chikagoer U-Bahn in Amerika. Nach der Fertigstellung war das Fahren ein Vergnügen. In den Tunnels unter dem Westbahngürtel, dem Naschmarkt usw. gab es keinen Rauch und keinen Gestank mehr. Man konnte die Fenster geöffnet halten, ohne Ruß auf den Bänken und im Auge zu haben.
Eine Zeitungsmeldung gab 1924 ein geheimnisvolles Ereignis bekannt: In Wien wird ein Radioversuchsprogramm gestartet.
Zuletzt erinnerte sich Karl Klein an eine Schulführung 1920 ins E-Werk Simmering, an einen Ausflug 1925 zum ersten Donaukraftwerk ins bayrische Kachlet oberhalb von Passau und an einen Ausflug 1927 nach Opponitz, zu dem damals modernsten Wasserkraftwerk der Gemeinde Wien. So begann der alles umwälzende Siegeszug in der modernen Industriegesellschaft. Es war eine ungeheure neue Entwicklung, angeheizt noch durch den Zweiten Weltkrieg.
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Die gegenseitige Hilfe war immer schon ein wesentlicher Zug des menschlichen Zusammenlebens, auch im gesundheitlichen Bereich. Wer sich selbst nicht mehr helfen konnte und auf dem Land lebte, wozu die historischen Wiener Vororte zu rechnen sind, ging – wenn er nicht jemand anders in die Hände fiel, der sich für das Geschäft des „Kurierens“ berufen fühlte – zum Bader. Die Bader, oft Meister betitelt, betrieben neben dem eigentlichen Badegeschäft („Schrubben und Zwagen“) die sogenannte niedere Chirurgie. Sie rasierten und schnitten die Haare, scherten den Bart, schröpften, ließen zur Ader, setzten Blutegel, rissen Zähne und halfen Kranken nach den Gepflogenheiten überlieferter Volksheilkunde. Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts lag fast die gesamte medizinische Versorgung der niederösterreichischen Bevölkerung in den Händen der Bader. Nur innere Krankheiten durften sie nicht behandeln; dafür waren die wenigen Doktoren der Medizin zuständig.
1780 betrieb der „Chyrurg“ Eugen Schmid mit einem Gesellen die Badstube im St. Veiter „Winkl“ (heute Vitusgasse). Er könnte derjenige gewesen sein, dem Vinzenz Jerabek mit der auf den nächsten Seiten wiedergegebenen Geschichte über den Bader Schmidt ein Denkmal gesetzt hat (es könnte aber auch der spätere Wundarzt Benedickt Schmidt auf CNr. 61 gewesen sein, siehe weiter unten).
Die Entwicklung der örtlichen medizinischen Versorgung bis hin zu den späteren Gemeindeärzten muss – wie die Details zur Nahversorgung überhaupt – hier ausgeklammert bleiben. In der Folge soll auf diejenigen Fälle eingegangen werden, in denen ein Mensch außerhalb seines Bekanntenkreises verunglückte. Dann war er auf die Barmherzigkeit fremder Menschen angewiesen und diese ließ oft tödlich lange auf sich warten. Daran, dass sich dies durch die Etablierung von Rettungsgesellschaften, deren erste für die Residenzstadt Wien 1803 aktenkundig wurde, änderte, hatte auch Hietzing einen großen Anteil.
Weitere Kreise zog nämlich die in Unter St. Veit gegründete, spätere Hietzinger Freiwillige Rettungsgesellschaft. 1887 wurde auf Initiative von Franz Mittermüller jun., Fabriksbeamter in der Hutfabrik Bossi in Unter St. Veit, die „Unter St. Veiter Freiwillige
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Der Gründer der Unter St. Veiter
Freiwilligen Rettungsgesellschaft:
Franz Mittermüller
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In seiner Geschichte „Die Ansichtskarte“ erzählt Vinzenz Jerabek von den Bewohnern des Welkerhauses im sogenannten „Malerwinkel“, einer markanten Stelle der heutigen Vitusgasse. Eine der Bewohner des Hauses war die alte Julie, und sie wusste schöne Geschichten aus einer Zeit, als der Marienbach den Ort noch in zwei Hälften teilte und statt eines Arztes der Bader amtierte. Eine der Geschichten der alten Julie erzählt eine köstliche Episode vom Bader Schmidt. Sie lautet folgendermaßen:
„Der Mann behandelte Mensch und Vieh und hatte für diesen Zweck drei Medizinen, die er selbst zusammen braute. Da gabs eine weiße für die Weiber, eine rote für die Männer und eine schwarze fürs liebe Vieh. Da wurde einmal der Bader gleich zu zwei Patienten gerufen – zum Zwickelbauer, einem alten, gediegenen Säufer, und zum Sagmüller seiner Kuh, die die Kolik hatte. Der Bader steckte also für den Zwickelbauer die rote Medizin in die eine Rocktasche und in die andere die schwarze für die Kuh. Wie er zum Zwickelbauer kommt, liegt der ganz verlassen in der Stube, wo ein Kienspan gebrannt hat. Weib und Knecht sind im Stall gewesen.
,Bader, tumml dich! Hast die Medizin glei mitbracht? I tua einwendi alser ganzer brinna! (brennen)’, jammert der Zwicklbauer.
,Das kimmt vom vieln Saufn’, hat ihn der Bader getröstet, die Flasche mit der Medizin aus dem Rocksack genommen, die dem Zwickelbauer gegeben und also gesprochen:
,Nimmst davon a Maulvoll und nach oana Weil wieder oans! I muass no zum Sagmüller und kim im Hoamweg no amal eina zu dir! Wird schon vergehn, das Brinna!’
Und der Bader lauft, dass er zu der Kuh auch noch zurechtkommt, und die wird im Sagmüllerhof gerade mit viel Geschrei und gutgemeinten Hieben herumgejagt.
,Bin schon da’, sagt der Bader, ‚tuats ihr nur glei s Maul aufmacha!’ Und er zieht aus dem Rocksack die Medizinflasche und – erschrickt nicht wenig: ist das die andere gewesen. Die rote Medizin für den Zwickelbauer hat er da in der Hand, und unterdessen sauft der daheim die schwarze aus. ‚Und s zreißt ihm s Gedärm!’, schreit es im Innern des Baders Schmidt. Aber er hat sich sogleich gefaßt. Obwohl er weiß, dass die rote Medizin der Kuh da nicht helfen wird, gießt er sie doch ihr ins geöffnete Maul, dann befiehlt er das Tier weiter herumzutreiben und rennt, was er kann, zum Zwickelbauer.
Wann er nur nöt schon hin is! Wanns eahm nur no nöt zrissn hat, d schwarze! So denkt er im Laufen und fällt beinahe beim Zwickelbauer in die Stube. Einen vor Schmerzen sich windenden Menschen erwartet er, und was muss er erleben? Wie der ausgepichte Süffling Zwickelbauer, die qualmende Pfeife im Mund, sich gerade die Hose anzieht und laut grölt:
,Bist a sakrischer Kerl, Bader! A Medizin hast, das muass ma dir lassn! Weg is das Brinna! Und leicht is mir, wia wann i zwanzg Jahr alt war. Aber oan Trumm Durscht hab i und geh no glei in Weikeller. Kannst mitgehn, Bader!’“.
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Der Bader Schmidt
in Vinzenz Jerabeks Geschichte „Die Ansichtskarte“
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Rettungsgesellschaft“ gegründet. Anlass war ein Unfall während der Fronleichnamsprozession 1886. Durch Salutschüsse war ein Pferd scheu geworden und hatte ein Kind niedergetrampelt. Die ärztliche Hilfe ließ zu lange auf sich warten, und das Mädchen starb an den schweren Verletzungen.
Die freiwilligen Helfer haben vor allem wegen der zahlreichen Unfälle in den nahe liegenden Fabriken viel zu tun. In den ersten Jahren benutzten sie einen im Bürgermeisteramt eingestellten Handwagen (Räderbahre), um die Verunglückten zu transportieren. Der Rettungsdienst leistete immer nur Erste Hilfe. Die schweren Fälle wurden in das nächste Spital, das war zu diesem Zeitpunkt das Rochusspital in der Cumberlandstraße, gebracht. Dort war im Behandlungsraum eine Büchse aufgestellt, in die jeder seinen angemessenen Beitrag hineinwerfen konnte. Ansonsten waren die Hilfeleistungen kostenlos, die notwendigen finanziellen Mittel wurden durch Spenden und die Mitgliedsbeiträge der Rettungsmänner aufgebracht.
1888 wurde die erste bescheidene Rettungsstation an der Ecke Auhofstraße 74 / St.-VeitGasse eingerichtet und 1890 ein pferdebespannter Ambulanzwagen angeschafft. Weitere Investitionen waren eine Telefonanlage und Glocken zu den Mitgliedern. 1891 wurde der Rettungsdienst bereits 200 Mal gerufen.
Das älteste Foto der
Unter St. Veiter Freiwilligen Rettungsgesellschaft an der Ecke Auhofstraße 74 / St.-Veit-Gasse vor dem Ersten Weltkrieg.
Die Zeit der Hand- und Planenwägen war vorbei.
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Die ersten im Bürgermeisteramt
eingestellten Räderbahren
Mit der Eingemeindung der Wiener Vororte dehnte sich der Einsatzbereich der Unter St. Veiter Freiwilligen Rettungsgesellschaft aus, und ein paar Jahre später sollen bereits 1.200 Einsätze durchgeführt worden sein. 1892 erhielt der Verein mit 200 Gulden die erste Subvention der Gemeinde Wien, 1893 bereits 500 Gulden, womit ein zweiter Ambulanzwagen bestellt und die Mitgliedsbeiträge aufgelassen werden konnten. 1894 wurde der erste besoldete Rettungsmann eingestellt werden, 1898 der zweite und ein dritter Ambulanzwagen angeschafft.
1912 wurde der Unter St. Veiter Freiwilligen Rettungsgesellschaft für ihre Verdienste die Goldene Salvator-Medaille der Stadt Wien verliehen. Obmann Franz Mittermüller erhielt das
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Der Himmelhof und der
Rote Berg waren beliebte Wintersportgebiete. An beiden Orten (hier am Himmelhof) hatte die Hietzinger Freiwillige Rettungsgesellschaft ihre fixen Standplätze.
Bürgerrecht der Stadt Wien und ein paar Monate später das Goldene Verdienstkreuz mit der Krone.
Am Neujahrstag 1914 kam es auf dem Roten Berg zur größten Häufung an Rodelunfällen in der Bezirksgeschichte. Die Unter St. Veiter Freiwillige Rettungsgesellschaft musste fünf Schwerverletzte abtransportieren.
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Die Helfer des lokalen Kommandos für Krankentransporte des Roten Kreuzes ließen sich beim Fotografen Mannheim in der Glasauergasse 5 ablichten.
Am 29. April 1916 trat die Unter St. Veiter Freiwillige Rettungsgesellschaft dem in Österreich 1880 gegründeten Roten Kreuz bei und wurde fortan als „Wiener Rettungskolonne vom Roten Kreuz“ tätig. Von 1914 bis 1918 waren neben der zivilen Tätigkeit auch verwundete und kranke Soldaten von den Wiener Bahnhöfen in Militärspitäler zu überführen.
Während des Ersten Weltkrieges, genauer im Jahr 1917, soll auch die Motorisierung des Rettungsbetriebes begonnen haben. Hilferufe kamen damals aus Hietzing, Penzing, Breitensee, Baumgarten, Hütteldorf, Unter St. Veit, Ober St. Veit, Hacking, Lainz, Speising, Mauer, Landstraße, Neubau, Josefstadt, Alsergrund, Favoriten, Fünfhaus und Ottakring.
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Die Not während und – den Rettungsdienst betreffend – vor allem nach dem Ersten Weltkrieg führte zu fatalem Geldmangel und die Institution musste 1922 geschlossen werden. Allerdings konnte der Gaswerksinspektor Hans Wazda den Dienst ohne Unterbrechung als „Hietzinger Freiwillige Rettungsgesellschaft“ weiterführen. Auch dieses Nachfolgeinstitut blieb dem Roten Kreuz als „Wiener Rettungskolonne vom Roten Kreuz“ angeschlossen.
Ein Foto von der Unter St. Veiter Freiwilligen Rettungsgesellschaft aus dem Jahr 1917.
Im Jahr 1952 wurde es dem Bezirksmuseum von Dr. Willrader gespendet. Zu sehen ist ein Teil der Mannschaft mit dem vor kurzem angeschafften ersten motoriserten Ambulanzwagen im Sager-Haus in der Auhofstraße 24.
Eine Erste-Hilfe-Ausbildung
unter der Aufsicht des Gemeindearztes Dr. Karl Jansch. Er hat den Verein von der Gründung an ehrenamtlich betreut. Ab 1901 war
Dr. Anton Musger
der Chefarzt des Vereines.
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Ein Foto aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, als die
Rettungsgesellschaft in Unter St. Veit zur „Wiener Rettungs- kolonne vom Roten Kreuz“ geworden war.
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Die Besatzung einer Ambulanz bestand in dieser Zeit entweder aus dem Lenker, einem Sanitäter und einem Arzt oder nur aus dem Lenker und einem Sanitäter oder medizinischem Helfer. Die Mannschaften trugen schwarze Kappen französischer Fasson und an den Aufschlägen Spiegel mit einem roten Stern im weißen Kreis. In der Mitte des Sterns stand das Gründungsjahr 1887 und im umfassenden Kreis „Hietzinger Freiwillige Rettungsgesellschaft, Wien 13“. Der medizinische Ambulanzführer hatte noch die Äskulapnatter und eine Goldumrandung auf dem Spiegel.
Am 17. Februar 1923 kam es in nächster Nähe der Hietzinger Freiwilligen Rettungsgesellschaft zum ersten Toten bei Zusammenstößen politischer Parteien.
Die Schaffung des Wintersport-Unfalldienstes im Wienerwald im Jahr 1933 führte zu einer wesentliche Mehrarbeit für die Rettungsgesellschaften. Damals stellten sich über 300 Angehörige der aufgelösten Wiener Freiwilligen Feuerwehren dem Rettungsdienst des Landesverbandes vom Roten Kreuz für Wien, Niederösterreich und Burgenland zur Verfügung. Unter anderem wurden sie – nach entsprechender Ausbildung – an 16 Rettungsstellen des Wintersport-Unfalldienstes eingesetzt.
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Die Hietzinger Freiwillige Rettungsgesellschaft mit zwei Fahrzeugen bei der Rotunde im Prater. Sie stellten die Ambulanz während des Kinder-Märchen-Festzugs am 3. Juli 1934.
Zu ihrem 50-jährigen Bestehen im Jahr 1937 bekam die Unter St. Veiter Rettungsgesellschaft vom Wiener Bürgermeister Schmitz das Gebäude der aufgelassenen Freiwilligen Feuerwehr in der Zehetnergasse (damals zum 13. Wiener Gemeindebezirk gehörend). Der Fahrzeugpark wurde auf sieben Rettungsautos, ein Rüstauto mit Katstrophenausrüstung und ein Mannschaftsauto erweitert. Die Telefonnummer war A50.400.
Per 1. September 1938 wurde die Wiener Rettungsgesellschaft aufgrund eines Beschlusses des Bürgermeisters von der Feuerwehr der Stadt Wien übernommen und von dieser für diesen Zweck eine eigene Abteilung für den Rettungsdienst installiert. Gleichzeitig soll auch die Hietzinger Freiwillige Rettungsgesellschaft der Gemeinde Wien zugeteilt worden sein und die
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Bezirke 13, 14 und 23 zu versorgen gehabt haben. Die Angestellten erhielten die Uniform der Feuerwehr. Damit verschwanden die bekannten rotvioletten Kappen französischer Fasson aus dem Stadtbild. Die Wiener Rettungsgesellschaft hatte vornehmlich aus finanziellen Gründen schon in früheren Jahren ihre Eingliederung in die Stadt Wien (erfolglos) betrieben, und die Zusammenarbeit mit der Feuerwehr war einwandfrei.
Allerdings war jetzt (ab 15. Oktober 1938) der Großraum Wien mit 26 Bezirken zu versorgen, und daher wurde auch der Standort in der Zehetnergasse übernommen und andere errichtet. Eine andere Quelle (Krumhaar) berichtet jedoch von der gewaltsamen Auflösung der Hietzinger Freiwilligen Rettungsgesellschaft im März 1939 und dem Wechsel eines Teiles der Mannschaft zum Deutschen Roten Kreuz.
1946 beschloss eine Gruppe ehemaliger Mitglieder der Hietzinger Rettung die Wiedererrichtung und erhielt am 8. Dezember die Bewilligung zur Reaktivierung des Vereines. Im Jahr darauf begann sie mit dem Rettungsdienst in der neu eingerichteten
Ein Brief, der die Reaktivierung des Vereines nach dem Zweiten Weltkrieg und die Adresse im Bereich des heutigen EKAZENT Hietzing bestätigt.
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Station in der Garage unter dem Parkkino, Hietzinger Hauptstraße 22. In den folgenden Jahren baute sie einen Wagenpark mit 14 Fahrzeugen, darunter Skoda und VW-Sanitätskraftwagen, auf.
1952 versuchte die Hietzinger Freiwillige Rettungsgesellschaft, im Rettungsdienst, der zu dieser Zeit der Wiener Rettung vorbehalten war, Fuß zu fassen. Im April richtete sie Briefe an das Polizeipräsidium Wien und an den Bürgermeister der Stadt Wien. Sie teilte darin mit, dass sie ab Februar permanent mit Ärzten besetzt war und die Gebiete, die sie bis 1938 innehatte, wieder beanspruchte (hier: der 13. und 14. Bezirk, Rodaun und Kalksburg) und bei Unfällen herangezogen werden wollte. Die Leitung des Wiener Rettungsdienstes wies in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass die 1938 erfolgte Übernahme der damaligen Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft in den Aufgabenbereich der Gemeinde Wien eine Lösung war, die auch ohne Nationalsozialismus spruchreif geworden wäre. Die Hietzinger Freiwillige Rettungsgesellschaft konnte wohl als 1938 aufgelöster Verein seine Wiedereinsetzung verlangen, hätte aber vom Gesichtspunkt der Versorgung und Betreuung der Bevölkerung Wiens keine Existenzberechtigung, weil der jetzige Rettungs- und Krankenbeförderungsdienst der Stadt Wien für ganz Wien ausreichend wäre.
1953 löste sich die Hietzinger Freiwillige Rettungsgesellschaft als privater Verein auf und wurd zur Bezirksstelle des Roten Kreuzes mit motorisiertem Rettungsbetrieb. Die Bezeichnung der Bezirksstelle lautete „Bezirksstelle Hietzinger Freiwillige Rettungsgesellschaft des Landesverbandes vom Roten Kreuz für Wien und Niederösterreich“. Dann bat der Landesverband den Polizeipräsidenten Holaubek um die Aufhebung der Verfügung, wonach Polizeiorgane die Hietzinger Rettungsgesellschaft zu keinen Hilfeleistungen heranziehen dürfen: somit das alte Ziel unter neuem Mantel. Der Boykott blieb offensichtlich aufrecht, und die Positionen verhärteten sich. Der Ton des Schriftverkehrs wurde schärfer und die Handlungen wurden zum „Rettungskrieg der 1950er-Jahre“. Die Hietzinger versuchten, der Wiener Rettung die Patienten abzujagen. Mit einer forcierten Taktik, wendigeren Autos und einer jungen Garde von Idealisten auf der Seite des Roten Kreuzes gelang dies auch in vielen Fällen.
1955 wurden die Wägen mit Funk ausgerüstet und ab 1956 wurde dem Roten Kreuz Straßensammlungen erlaubt.
Im letzten Quartal 1957 wies die Statistik des Wiener Rettungsdienstes 45 „Leerinterventionen“ aus. In diesen Fällen hatten die Hietzinger den Patienten bereits abtransportiert ohne die Wiener Rettung zu verständigen. Der Konflikt verschärfte sich der weiter. Die Hietzinger wurden beschuldigt, den Polizeifunk abzuhören und sofort einen oder mehrere Wägen zum Unfallort zu senden, auch wenn es sich nur um Blechschaden handelte. Die Fahrzeuge wurden strategisch eingesetzt, und die Zuschauer konnten sogar ein Spektakel mit den Weg abschneidenden
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Autos und Verfolgungsjagden erleben. Die Leidtragenden waren die Patienten, die manches Mal regelrecht „gestohlen und verschleppt“ wurden (laut Presse). Es soll sogar Plakate mit der Aufschrift „Das Rote Kreuz rettet dich schneller“ gegeben haben. Zu dieser Zeit hatte das Rote Kreuz seine Zentralstelle im 12. Bezirk in der Bischoffgasse.
Die Auseinandersetzungen belasteten beide Rettungsdienste.Es gab verschiedene Lösungsvorschläge von beiden Seiten, die von der zentralen Lenkung der Einsätze durch den Rettungsdienst der Gemeinde Wien bis zur Eingliederung der Wiener Rettung in einen neuen Landesverbandes Wien des Roten Kreuzes reichen.
Knapp vor dem Ziel der Übernahme des Rettungsdienstes in Wien trennt ein Generalversammlungsbeschluss des Roten Kreuzes im Juli 1960 den Landesverband Wien und Niederösterreich. Die Niederösterreicher hatten 74.000 zahlende Mitglieder, die bis dahin viel Geld in die gemeinsame Kasse brachten, die Wiener aber nur 3000 Mitglieder. Nach dem Trennungsbeschluss blieben dem Wiener Verband unter seiner ersten Präsidentin Frau Stadtrat Jacobi nur drei Sanitätswagen und das Material, das die Hietzinger Freiwillige Rettungsgesellschaft vor der Eingliederung 1953 hatte. Als unmittelbare Folge schlief der Rettungskrieg ein.
1965 wurd der Rettungsdienst in Wien auf eine landesgesetzliche Ebene gestellt. Demzufolge oblag die Aufrechterhaltung des öffentlichen Rettungsdienstes der Stadt Wien. Das Wiener Rote Kreuz musste von den verbliebenen Männern neu aufgebaut werden. Nach einiger Zeit konnte wieder ein Wagen mit Arzt zur Verfügung gestellt werden. Stationiert war er in einer aufgelassenen Feuerwache in Wien 14., Spallartgasse. Aus der Bischoffgasse musste das Wiener Rote Kreuz ausziehen, denn dorthin kam die Niederösterreichische Landessanitätsschule. Auch die anfangs schleppende Zusammenarbeit mit der Wiener Rettung spielt sich langsam ein.
1978 arbeiten 16 Rettungswagen im Verband des Rettungsdienstes, darunter zwei Ambulanzen des Roten Kreuzes und eine des Arbeitersamariterbundes. Die Einsätze leitete ein zentrales, über die Notrufnummer 144 erreichbares Rettungsjournal.
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Zusätzlich zur Hietzinger Basisliteratur wurden folgende Werke exzerpiert:
Machala, Rudolf:
100 Jahre ärztlicher Rettungsdienst in Wien. Sonderdruck für den WRKD mit Genehmigung des Autors.
Wien, 1981.
Krumhaar, Walter:
75 Jahre hilfsbereit. Eine Rückschau 1887–1962.
Willrader, Emilie:
Beitrag anlässlich des 100. Jahrestages der Gründung der Unter St. Veiter Rettungsgesellschaft
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Außerhalb der dichten Stadtverbauung gelegen verfügten die Vororte und lange auch noch der Bezirk Hietzing über eine erholsame Grünlage. Sie wurde nicht nur von Ausflüglern geschätzt, sondern war auch ein Grund für den Bau von sozialen Einrichtungen. Gerhard Weissenbacher hat sie aufgezählt:
Natürlich sind nicht alle hier aufgezählten Einrichtungen eine Folge der erholsamen Grünlage, sondern auch anderer Überlegungen oder die Folge schlichter regionaler Notwendigkeiten. Es ist auch nicht möglich, auf alle Einrichtungen dieser Art näher einzugehen, aber es wird versucht, ein Gefühl für deren Entwicklung und Wirken zu geben. Der Fokus ist dabei auf die weniger prominenten Teile gerichtet.
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Darüber ist wenig zu erfahren. Robert Messner (Die Wieden im Vormärz) führt im Häuserverzeichnis auf Seite 311 unter dieser Adresse Lainzer Straße 21 und Anschließend Trauttmansdorffgasse 22 (westlicher Teil, früher Nr. 24) das hier bis 1965 bestehende ehemalige Armenhaus der Gemeinde Hietzing an. Eine Gedenktafel erinnerte daran: „Zum ewigen Andenken an die Mutter der Armen, Ihre Exzellenz die Frau Gräfin Theresia Trautmannsdorf, erbaute dieß rmenhaus deren Leibarzt Dr. E(duard) H(aikes) im Jahre ihres Ablebens 1847.“
Nunmehr ist hier der westliche Teil eines in den Jahren 1969/70 unter Bürgermeister Bruno Marek errichteten Wohnhauses der Gemeinde Wien.
Die Geschichte „Das gute Rezept“ von Vinzenz Jerabek, mag erfunden sein oder nicht, ist aber keinesfalls zu weit her geholt. Auch die dargestellten Charaktere und deren Umgebung passen gut ins bäuerliche Ober St. Veit. Wollte man einen Betrieb suchen, in dem sich so eine Geschichte zugetragen haben könnte – eine Meierei mit ansehnlichem Personal und Sommergästen aus der gehobenen Schicht – so kommt einem rasch die Meierei am Himmelhof in den Sinn.
Ihre lange und abwechslungsreiche Geschichte beginnt mit dem Hofgraveur Franz Jauner, dem Vater des Schauspielers und Ringtheaterdirektors Franz Jauner jun., und seiner Frau Maria. In zahlreichen Kaufverträgen (siehe Grundbuchsauschnitt unten) erwarben sie zwischen 1849 und 1876 einen beachtlichen Teil der Gründe „Auf den Himmeln“ am Hagenberg. Offen bleibt die Frage, wann der aus mehreren Gebäuden bestehende Wirtschaftshof samt Meierei mit der Konskriptionsnummer (CNr.) 140 errichtet wurde. 1819, als Ober St. Veit 135 Häuser hatte, war der Himmelhof noch völlig unverbaut (siehe Planausschnitt rechts oben). Die damalige Häuserzahl blieb bis in die 1840er-Jahre recht stabil und das kolportierte Errichtungsjahr 1848 ist durchaus realistisch (vielleicht gab es schon Grundkäufe vor 1849 oder ein vorangehendes Pachtverhältnis).
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Ausschnitt aus dem B-Blatt
zur EZ 390 des Grundbuches
Ober St. Veit 1879–1980
Quellen:
Bezirksmuseum Hietzing
Weissenbacher, Gerhard:
In Hietzing gebaut
Grundbücher
Volkszählung 1880
Informationen von Helga Bauer
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1880 hatte das Ehepaar Franz und Marie Jauner 38 Kühe, 2 Ochsen, 4 Pferde, 7 Schweine und 6 Bienenstöcke. Im Betrieb arbeiteten 3 Schweitzer (Melker), 1 Kutscher, 1 Stalljunge, 1 Knecht, 1 Köchin, 1 Stubenmädchen und 3 Dienstmägde. Die Köchin hieß Marie Froschauer; war sie das Vorbild für Petronella? Der Betrieb wurde auch als Jausenstation geführt und entwickelte sich vor allem wegen des guten Oberskaffees zu einem beliebten Ausflugsziel.
Im Jahr 1886, bald nach dem Tod Maria Jauners, veräußerte die Familie den Besitz. Mehrere Weiterverkäufe und ein Konkurs
Der Franziszeische Katasterplan 1819 in einer Bearbeitung des BEV aus dem Jahre 1971. Die Hänge außerhalb des Ortsgebietes von Ober St. Veit waren noch völlig unverbaut und wurden als Weingärten und Wiesen landwirtschaftlich genutzt. Die Meierei am Himmelhof wird im Bereich des roten Kreises entstehen.
Der Himmelhof 1869. In den vergangenen Jahrzehnten sind hier viele Häuser (Villen) entstanden. Den Konskripitonsnummern entsprechend war das erste Gebäude im hier dargestellten Ausschnitt des Himmelhofes die noch landwirtschaftlichen Zwecken dienende Meierei des Franz Jauner (CNr. 140)
Eine Zeichnung der ursprünglichen, möglicherweise noch Jauner‘schen Meierei mit sehr markantem Nordostturm. Die Um- und Zubauten veränderten den Gebäudekomplex stark. Der Grundriss und die Fensterachsen blieben auch nach den späteren Veränderungen erkennbar.
© Bezirksmuseum Hietzing
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lassen auf eine abnehmende Attraktivität des Betriebes schließen.
1894 ließ der damalige Besitzer A. C. Rosenthal das Anwesen nach einem Brand durch Maurermeister Franz Bürger wieder instand setzen. Der Hof war von drei Gebäudeflügel umgrenzt und straßenseitig gegen Nordosten durch eine Tormauer abgeschlossen. In dem straßenseitig rechts gelegenen zweigeschoßigen Hauptgebäude waren Wohnräume, im gegen Südwesten anschließenden ebenerdigen Trakt Ställe und ein Schuppen untergebracht; der Quertrakt bestand aus einer Vorhalle für den im Hang gelegenen Keller wie aus dem Teil eines dreigeschoßigen Hauses, das teilweise den nach Südosten gerichteten Flügel bildete. Dieser links vom Haupteingang und tiefer gelegene Trakt bestand straßenseitig nur aus dem Hochparterre mit aufgesetztem Dachboden. Am Hang oberhalb des gesamten Gebäudes lagen, durch einen gekurvten Fahrweg erreichbar, die Wagenremise und eine Requisitenkammer.
1896 bis 1898 lebte hier der Maler Karl Wilhelm Diefenbach (1851–1913) mit seinen Anhängern in der damals vielbesprochenen Kolonie „Per aspera ad astra“. Weitere Informationen zu dieser Künstlerkolonie bietet der Bericht auf www.1133at/Nr. 528.
1903, als der Gutsbesitzer in Wilna in Russland Alexander von Lubansky die Liegenschaft vom Vorbesitzer Elkan S. Steiner, Realitätenbesiter in Wien XIII, Himmelhof 163 (nach der CNr. 140 das
Die Meierei am Himmelhof. Lageplan 1894 © MA 37
Die Meierei am Himmelhof. Instandsetzungsplan der Brandstätte von Franz Bürger 1894, Straßenansicht © MA 37
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zweite auf dieser EZ erbaute Haus, das er auch bewohnte) kaufte, hatte diese EZ 390 noch das enorme historische Ausmaß mit den Grundstücken (Parzellen) Nr. 510, 513/1, 513/2, 511, 471, 473, 476, 477/3, 502, 507, 508, 509, 477/4, 477/5, 522, 523, 524, 527/1, 527/2, 528, 529/1, 529/2, 541, 542, 554, 564/1, 564/2, 565, 566, 567, 597, 598, 599, 618 und 1632/2 samt den Gebäuden Nr. 140 und 163. Der Vergleich mit einem jüngeren Katasterplan unten zeigt, dass es sich dabei – unter anderem – um den kompletten Himmelhof von der Himmelhofgasse bzw. dem Carolaweg bis zur Mauer des Lainzer Tiergartens handelte.
1907 wurden die Häuser CNr. 140 und 163 samt den zugehörigen Grundstücken Nr. 510, 511, 513/1 und 513/2 und der zum Himmelhof führenden Allee 1632/2 (siehe Katastralmappe
Ausschnitt aus der aktuellen Katastralmappe.
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oben) aus dem riesigen Areal herausgelöst, in die neue EZ 1466 eingebracht und von Alexander von Lubansky an die Eheleute Max und Maria Blitz, Hausbesitzer in Wien XIII, Adolfstorgasse 13 verkauft. Den Käufern wurde auch die Benützung des in Röhren über die Parzellen 527/1, 522, 523 und 524 der EZ 390 geleiteten Wasser gestattet und die Pflicht zur Erhaltung dieser Wasserleitung auferlegt.
Anschließend wurde ein Restaurantbetrieb eingerichtet. Aus dem Material der umgebenden Mauern wurde eine Aussichtsterrasse und eine Zufahrtsstraße in der Art einer Promenadenallee errichtet. Ein Adaptierungsplan aus dem Jahr 1914 zeigt im rechten Trakt die Schank, das Gastzimmer, ein Gesellschaftssaal, ein Extrazimmer, ein Clubzimmer, eine geschlossene Veranda, die Küche, die Abwäsche, eine Speis sowie die Wagenremise. Im Quertrakt lagen eine Garage und der Vorkeller. Der zum Teil dreigeschoßige Gebäudeteil an der linken Seite wurde bereits für einen Hotelbetrieb genutzt und umfasste in den beiden Obergeschoßen neben mehreren Küchen je fünf Zimmer mit Balkon.
Im Jahr 1928 wurde der Himmelhof (ohne dem Haus CNr. 163 und den zugehörigen Grundstücken, die schon 1925 in eine andere EZ eingebracht wurden), an Frau Ernestine Roubicek und Fräulein Alice Roubicek, beide in Prag, und Frau Helene Mautner, als Roubicek in Prag geboren, wohnhaft in Wien XIII, Himmelhof
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gasse 7 (ehemals CNr. 140, hier wird erstmals die Ordnungsnummer 7 verwendet) weiterverkauft. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Ehegatte von Helene Mautner, der Arzt Dr. Leo Mautner schon ein Bestandsrecht eingetragen. Es könnte also bereits einen Sanatoriumsbetrieb gegeben haben, der nun erweitert wurde, denn im Kaufvertrag wird auch die Vorrangseinräumung für erhebliche Bau- und Adaptierungsaufträge zugestanden. Im Wien-Führer von Baldass aus dem Jahr 1928 ist der Betrieb aber noch als Meierei und Gastwirtschaft eingezeichnet.
1929 wurde dann auch nach Abtragung des eingeschoßigen Südosttraktes ein viergeschoßiger Anbau an das bestehende Sanatorium errichtet. Der Neubau war flach gedeckt und wies im Dachgeschoß neben einer ausgedehnten Terrasse die Teeküche und einen Duschraum auf. Im Hochparterre und im ersten Stock lagen je vier Zimmer, ein Bad und eine Teeküche, im Hochparterre gegen Südosten und Südwesten eine Terrasse, im ersten Stock gegen Südwesten Balkone.
In dem klar gegliederten Bau, der von der „Carl Korn Baugesellschaft A.G.“ für Dr. Leo Mautner errichtet wurde, saßen die etwas vertieften, kleinflächig unterteilten Fenster zum Teil über Eck. Details, wie die Art der horizontalen Fassadengliederung oder der dekorativ angewendete Backstein, erinnern an den sozialen Wohnbau der Gemeinde Wien in der Zwischenkriegszeit.
Über die Zeit des Zweiten Weltkrieges ist aus der Literatur die Nutzung der Anlage als Lazarett zu entnehmen. Das Grundbuch belegt die Beschlagnahme im Jahr 1941. Zu diesem Zeitpunkt war die Familie bereits im Ausland. Fragen wirft u.a. die als letzte Wohnadresse angegebene Himmelhofgasse 35 im 18. Bezirk auf. Das kann nur ein Irrtum sein, allerdings wird die Adresse Himmelhofgasse 35 während des nach dem Krieg wieder aufleben
Das beliebte Postkartenmotiv
des Restaurationsbetriebes
vor dem Ersten Weltkrieg
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den Sanatoriumsbetriebes nachhaltig verwendet. Im Grundbuch wurde später die O.Nr. Himmelhofgasse 7–9 eingetragen.
Auch die Auswirkungen dieser Beschlagnahme sind ungewiss, denn das Sanatorium am Himmelhof (auch hier: Himmelhofgasse 35) war von den Roubitscheks/Mautners bereits mit Kaufvertrag vom 22. September 1939 verkauft worden, dieser Verkauf wurde allerdings erst 1942 bzw. 1944 ins Grundbuch eingetragen. Nach
Das Hotel am Himmelhof.
Ein Zeitungsausschnitt unbekannten Datums
Das Sanatorium Himmelhof. Postkarte aus dem Jahr 1934 zur Zeit des ersten Sanatoriumsinhabers
Sanatorium Himmelhof.
Foto um 1950
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dem Krieg, im Mai und August 1948 wurden die Einleitung der Rückstellungsverfahren angemerkt und eine erste Rückstellung im Teilerkenntnis vom 1. Dezember 1951 verfügt. Die finanzielle Auseinandersetzung war kompliziert und wurde mit dem Vergleich vom 28. April 1955 abgeschlossen.
Schon davor, 5. Februar 1947, wurde ein Bestandsrecht und ein Vorkaufsrecht für Rudolf und Gisela Holtemayer auf Basis eines Pachtvertrages vom 17. September 1945 einverleibt. Wann der Betrieb des Sanatoriums von den Holtemayers fortgeführt oder wieder aufgenommen wurde ist ungewiss, die entsprechende Konzession (inkl. Glücksspiel, siehe Kopie links) wurde jedenfalls am 12. April 1948 für Gisela Holtemayer ausgestellt.
Das Wissen über den letzten Abschnitt im Bestand und in der Nutzung der historischen Gebäude am Himmelhof verdanken wir den Informationen und Unterlagen der 1940 geborenen Frau Helga Bauer. Diese verbrachte ab ihrem 12. Lebensjahr jedes Wochenende am Himmelhof bei ihrer Tante Gisela Holtemayer. Der Vater war im Krieg geblieben, die Mutter musste arbeiten und die halbwüchsige Helga war dort gut aufgehoben.
In einer zu Werbezwecken versandten Drucksache wird der Betrieb folgendermaßen beschrieben:
„An einem der schönsten Punkte Wiens, am Rande des Lainzer Tiergariens in Ober-Si. Veit, mit dem Blick weit über die Stadt hinaus, liegt unter überaus günstigen klimatischen Bedingungen, inmitten eines großen, alten Parkes, am Abhange des Hagenberges, das Sanatorium Himmelhof. Dank seiner Höhenlage, dem Lärm und Staub der Stadt entrückt und doch von der Stadt leicht und schnell erreichbar, eignet sich das Sanatorium für alle intern Erkrankten, insbesondere für Erkrankungen des Herzens sowie der Atmungsorgane. ldealster Aufenthalt für Ruhebedürftige und Erholungssuchende. Behagliche Zimmer, Zentralheizung, Warmwasser, Lift, Telefonanschlüsse in den Zimmern vervollständigen den Komfort. Für beste Verpflegung ist gesorgt.“
Die Zimmerpreise von 140 bis 160 Schilling für das Doppelzimmer inkludierten fünf Mahlzeiten und Schwesternbetreuung. Nach Helgas Schilderung waren im vorderen Bereich des von der Straße aus linken Sanatoriumstraktes die komfortableren Gästezimmer angeordnet. Zwischen zwei solcher Zimmer war jeweils ein Badezimmer mit Badewanne, Waschbecken und zentral zubereiteten Warmwasser angeordnet. Im hinteren Bereich waren einfachere Zimmer mit einer gewöhnlichen Waschgelegenheit. Die Verbindungen zu den Zimmertelefonen stöpselte der Portier. Über Weihnachten, wenn es ruhiger war, durfte Helga eines der komfortableren Zimmer mit Bad bewohnen.
Eine kleine Bibliothek, ein Lesezirkel in der Halle und Tische zum Kartenspielen waren einige der gebotenen Unterhaltungsmög
Beschlagnahme 1941
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Die Konzessionsurkunde
von Frau Gisela Holtemayer
vom 12. April 1948
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Vorderseite einer postalisch verteilten Werbeschrift
lichkeiten. Von dieser Halle führte ein Abgang in den Keller zu den Behandlungsräumen. Zur Verfügung standen ein eigenes Laboratorium, Röntgen- und Elektrokardiographie und damals moderne Heilbehelfe wie Kurzwellen, Diathermie, Schwellstrom, Faradisation, Farblichttherapie, Höhensonne, Pystianer Schlammbäder und -packungen, Radium-Emanationen, Kohlensäure-, Sauerstoff- und Zellenbäder und Akupunktur. Natürlich wurden auch medizinische Heilmassagen sowie Freiluftkuren auf der Dachterrasse angeboten.
Geleitet wurde der Betrieb von Helgas Onkel Rudolf Holtemayer als Geschäftsführer, er war der Herr Direktor und trug immer einen weißen Mantel. Seine Gattin Gisela war die Konzessionsträgerin und für den Bereich Küche, Service und Personal zuständig. Das Sanatorium war also ein Ort, den die Leute zur Erholung aufsuchten, wobei ihre Motive am ehesten dem heutigen Wellnessgedanken entsprachen. Die Gäste waren meist wohlhabende, oft prominente Menschen mittleren Alters oder älter, die die heilige Ruhe und die Anonymität des Ortes schätzten. Hier konnten sie ungestört Mensch sein. Der Aufenthalt konnte vierzehn Tage dauern oder sogar ohne zeitliche Beschränkung den Aufenthalt in einem Altersheim ersetzen. Die Menschen kamen alleine oder mit ihren Bediensteten.
Neben Dir. Holtemeyer, der ständig anwesend war und eine Wohnung über dem Wirtschaftsflügel nutzte, standen den Gästen auch ein weiterer ständig anwesender Arzt und ein übergeordneter nur an einzelnen Tagen anwesender Arzt zur Verfügung; über eine lange Zeit war der junge praktische Arzt Dr. Jost Lindner immer anwesend und wurde zum Liebling und Ersatzsohn so mancher älteren Dame. Später spezialisierte er sich zu einem Gynäkologen mit Praxis in Wels. Am Himmelhof tätig war auch der Magnetiseur Klein, er praktizierte in einer Wohnung neben der von Dir. Holtemayer.
Dir. Holtemeyer versuchte auch, die von Dr. Paul Nihans im Jahr 1931 eingeführte und in Deutschland verbreitete Frischzellentherapie im Sanatorium zu etablieren. Die Injektion von Suspensionen mit fötalen Schafzellen wurde auch von der Wiener Prominenz nachgefragt, aber vom Gesundheitsministerium bald verboten.
Viele der Gäste, die auch zu Stammgästen wurden, hatten klingende Namen. Einer der prominenten Gäste war der Schauspieler Heinz Rühmann. Er erholte sich von einem Beinbruch und hatte viel weiblichen Besuch, nicht nur von seiner Frau Herta Feiler. Helga erinnert sich gern an die Spaziergänge mit dem freundlichen Herrn. Zu den Gästen zählten auch schillernde Persönlichkeiten wie die Frau eines ägyptischen Ministers samt ihrer Privatkrankenschwester. Sie lachte über alles; sie lachte auch, als ihr Mann erschossen wurde.
Helga erlebte inmitten dieser mondänen Gesellschaft nicht nur schöne Sachen, sondern auch Eifersuchtsdramen, Ehebruch,
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Die Halle und eines der Zweibettzinner, fotografiert in den 1950er-Jahren
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Streit etc.. Immer wieder gab es Todesfälle unter den betagteren Gästen. Hinter manchen Toten, die an ihr vorbeigetragen wurden, stritt sich schon ein Rudel Nachfahren hemmungslos um das Erbe.
Bewacht wurde das Anwesen durch einen Hund, der an einer auf einer Laufschiene eingehängten Kette zwischen zwei Kastanienbäumen pendelte. Eine Hundehütte bot ihm den Unterschlupf. In der Nacht patrouillierte er frei im riesigen, das Sanatorium umgebenden und komplett eingezäunten Park.
Gleich daneben lag eine der beliebten Skiwiesen der Ober St. Veiter. Für diese Skifahrer stand im Winter ein spezieller Kiosk in der Kastanienallee zur Verfügung. Dort verkauften Mädchen aus der Küche Tee mit Himbeersaft und Kartoffelbrote mit Margarineaufstrich, einem Blatt’l Wurst und Gurkerl. Im Sanatorium war auch ein bereits motorisiertes Rotes Kreuz stationiert. An manchen Wochenenden gab es bis zu 30 Rettungseinsätze. Das gefährliche an der Himmelhofwiese war der praktisch nicht vorhandene Auslauf, und der führte auch zu tödlichen Unfällen. Einmal prallte ein Vater mit seinem Sohn auf der Rodel auf ein Hindernis und der Bub starb. Ein anderes Mal fuhren zwei Buben mit der Rodel über die Sprungschanze. Wegen dieser manchmal extremen Vorfälle am Himmelhof verlor Helga die Freude am Skifahren.
Das endgültige Ende des Sanatoriums wurde bald nach dem gerichtlichen Vergleich 1955 (siehe oben) besiegelt. Der weitere Betrieb wäre wegen einer schweren Erkrankung Rudolfs den Holtemayers wahrscheinlich ohnehin nicht mehr möglich gewesen. Helga Bauer war zu dem Zeitpunkt noch zu jung, um in die Fußstapfen ihrer Verwandten treten zu können. Der Betrieb wurde geschlossen und mit Kaufvertrag vom 11. April 1957 verkauften Helene Mauthner und der Erbe Joseph Roubicek, beide in New York, das Sanatorium um rd. 2 Mio. Schilling an die Republik Österreich. Als Adresse wird wiederum die Himmelhofgasse 35 angeführt. In diesem Kaufvertrag wird auch das Servitut der Röhrenwasserleitung bekräftigt.
Die Gebäude des ehemaligen Sanatoriums wurden 1960 abgerissen. An ihrer Stelle errichtete Hannes Lintl 1960–62 ein Bundeskonvikt, das 1994/95 nach Plänen von Andreas und Herbert Müller-Hartburg erweitert wurde. Die ursprüngliche Überlegung, den Sanatoriumsbau, also den linken Trakt der alten Meierei, in den Neubau zu integrieren, wurde nicht verwirklicht.
Rudolf Holtemayer verstarb relativ bald nach dem Ende des Sanatoriums am 14. September 1957 im 65. Lebensjahr. Die 1912 geborene Tante Gisela verstarb am 7. September 1966 im 55. Lebensjahr. In ihrer Wohnung in der Josefstädter Straße hatten sich ein paar Möbel aus dem Sanatorium erhalten.
Gisela Holtemayer
Dr. Rudolf Holtemayer,
der Leiter des Sanatoriumsbetriebes
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Dankesbrief der Kammersängerin Hilde Güden vom 25. Jänner 1951
Der Schreibtisch Dir. Rudolf Holtemayers. Er ist einer der letzten Gegenstände, die heute noch an das Sanatorium Himmelhof erinnern. Er ist im Privatbesitz.
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1887/1888 wurde von Univ.-Prof. Dr. Moriz Rosenthal (1832–1889) das Sanatorium Hacking beziehungsweise das „Sanatorium für Nervenleidende“ gegründet und mehrmals erweitert. Es befand sich zwischen Seuttergasse und Auhofstraße.
1930 wurde das zum Verkauf stehende Gebäude von den Salvatorianerinnen gekauft und im selben Jahr das St. Josef Krankenhaus eröffnet. Damit konnten die Ordensschwestern, die sich bereits ab Ende des 19. Jahrhunderts in Wien in der Krankenpflege engagierten, ihre Patientinnen und Patienten so betreuen, wie es ihrem Ordensauftrag entsprach: „Unsere Sorge gilt dem Heil des ganzen Menschen“. Das Angebot umfasste anfangs die Bereiche Innere Medizin und Chirurgie, 1936 wurde die Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe eröffnet. Über die Jahrzehnte hinweg wurde das Krankenhaus mehrmals ausgebaut und erweitert. Das jüngste – und bisher größte – Bauprojekt dauerte von 2015 bis 2023. Meilensteine waren ein komplett neuer Bettentrakt (Eröffnung Sommer 2017), eine neue Abteilung für Kinderabteilung mit Neonatologie (Eröffnung Sommer 2018) sowie die Neugestaltung des OP- und Intensivbereichs (Teileröffnung Herbst 2019). Zuletzt wurde der gesamte Eingangsbereich umgebaut und neu gestaltet (siehe die Visualisierung im Startbild oben, fotocredit: oln.at). Es folgte die Errichtung eines Geburtshauses.
Bis in die 1980er-Jahre kümmerten sich – abgesehen vom ärztlichen Personal – überwiegend Ordensschwestern mit sehr viel Einsatz und Hingabe um die Kranken und schwangeren Frauen. Danach begann auch zusehends weltliches Personal im Spital zu arbeiten. 2004 wurde das St. Josef Krankenhaus Wien Teil der Vinzenz Gruppe. Im Verbund mit den anderen Ordensspitälern der Vinzenz Gruppe erfolgte vor einigen Jahren die Weichenstellung zu jenen Schwerpunkten, für die das Spital heute bekannt ist.
Aus dem Internet und einer Medieninformation des Krankenhauses anlässlich des
90-jährigen Bestandes 2020
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Das St. Josef Krankenhaus. Zum Zeitpunkt der Eröffnung im Jahr 1930. © St. Josef Krankenhaus
Beliebt ist das St. Josef Krankenhaus Wien vor allem für seinen Schwerpunkt auf eine natürliche Geburt. Seit der Eröffnung der Geburtenstation im Jahr 1935 bis September 2020 wurden hier knapp 89.000 Geburten betreut; mit derzeit rund 3.800 Geburten pro Jahr ist das Ordensspital mittlerweile die größte Geburtsklinik Wiens. Möglich wurde dies durch die Integration der Geburtshilfe vom Göttlicher Heiland Krankenhaus in das St.-Josef- Krankenhaus Anfang 2019. Bereits im Jahr 2018 wurde zusätzlich eine komplett neue Kinderabteilung mit Neonatologie eröffnet. Im Eltern-Kind-Zentrum können somit nicht nur Schwangere und frischgebackene Mütter, sondern auch frühgeborene oder kranke Kinder umfassend betreut werden.
Der zweite Schwerpunkt, die Onkologie und Tumorchirurgie, wurde in den letzten Jahren ebenfalls noch weiter forciert. 2008 wurde ein interdisziplinäres Brustgesundheitszentrum eröffnet, ab 2010 die internistische Onkologie verstärkt und 2013 ein Darmgesundheitszentrum etabliert. 2015 übersiedelte schließlich ein spezielles Zentrum für Speiseröhre- und Magenchirurgie vom Herz-Jesu Krankenhaus (ebenfalls Teil der Vinzenz Gruppe) in das St. Josef Krankenhaus Wien. Eine umfassende internistische, chirurgische und gynäkologische Betreuung sowie eine moderne Radiologie und Anästhesie runden das Angebot ab. Ziel ist, Menschen in lebensverändernden Situationen medizinisch und persönlich bestmöglich zu begleiten.
Das St. Josef Krankenhaus Wien ist ein gemeinnütziges Ordensspital. Es verfügt über 220 Betten und steht allen Patientinnen und Patienten offen, egal welche Krankenkasse oder Versicherung sie haben.
Das Krankenhaus ist nach ISO/pCC zertifiziert und Akademisches Lehrkrankenhaus der Medizinischen Universität Wien sowie der Fachhochschule Campus Wien. Eine gute Vernetzung mit
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Spezialkliniken, dem niedergelassenen Bereich und extramuralen Diensten sichert eine hohe Versorgungsqualität.
Dank seiner überschaubaren Größe bietet das Krankenhaus moderne Medizin in einem familiären Rahmen. Hohes medizinisches Können verbindet sich mit einem starken Fundament an Werten.
Das SDS-Gesundheitszentrum
Auf Initiative der Salvatorianerinnen entstand in Zusammenarbeit mit dem St. Josef Krankenhaus im Oktober 2000 das SDS Gesundheitszentrum. Es versteht sich als Ergänzung zum Krankenhaus und will im Gesundheitsbereich vor allem präventiv wirken.
Erreicht werden soll dies durch ein umfangreiches Programm an Kursen, Vorträgen und Einzelstunden, auch Benefizkonzerte werden veranstaltet. Die Veranstaltungen werden semesterweise abgehalten und pro Semester werden mittlerweile über 1000 Menschen betreut. Die Vielfalt des Programms können Sie an den rund 70 Terminen im Veranstaltungskalender sehen.
Grundsätzlich soll mit dem Angebot Menschen in jedem Alter und in jeder Lage Unterstützung, Orientierung und Begleitung angeboten werden. Wegen der großen Geburtenstation des St. Josef Krankenhauses haben osteopathische Behandlungen von Babys nach der Geburt und die Themen rund um Mutter und Kind einen hohen Stellenwert.
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1872 ließ der Arzt und ehemalige Leiter der Dr. Treu'schen Anstalt in der Landstraße, Dozent Dr. Theodor Ritter von Hittnern, in der Jagdschloßgasse 25 (damals Einsiedeleigasse 11) ein zweigeschoßiges Gebäude im Stil eines Wohnhauses erbauen und richtete dort eine „Heilanstalt für Gemüths- und Nervenkranke“ ein. Dem Haus wurden nach wenigen Jahren zwei Gartenflügel angebaut.
1876 wurde auf der Nachbarparzelle (Jagdschloßgasse 23) ein weiteres zweigeschoßiges Haus errichtet, dem man 1883 einen rechtsseitigen Gartenflügel hinzufügte. Bauherr und Besitzer war Dr. Moriz Löwinger, der bis 1876 in der Lainzer Straße 155/Chrudnergasse 2 eine kleine Anstalt für Geisteskranke führte.
In beiden Häusern in der Jagdschloßgasse war die von den Ärzten Dr. Hittnern und Dr. Löwinger geleitete „Privatheilanstalt für Gemüths- und Nervenkranke“ eingerichtet. Die Planverfasser sind unbekannt.
Nach dem Tod Dr. Hittners 1887 wurde Dr. Mauritius Pokorny zum Eigentümer des Hauses Jagdschloßgasse 25. Nach dem Ableben Dr. Löwingers erwarb er 1897 auch das Haus Jagdschloßgasse 23. In beiden Gebäuden waren um diese Zeit 80 Patienten untergebracht.
Unter der Leitung Dr. Pokornys kam es 1903 es zu umfassenden Erweiterungsbauten. Er ließ beide Häuser durch einen Verbindungstrakt zu einer Einheit zusammenfassen. Außerdem wurden 16 m bzw. 19 m lange Zubauten an die beiden äußeren Gartenflügel ausgeführt. Im Hof wurde ein zehn Meter langes und vier Meter breites Isolierhaus für Infektionskranke errichtet.
Diese von Architekt Anton Krones geplanten Maßnahmen erweiterten die Aufnahmekapazität der Anstalt beträchtlich. Weibliche Patienten wurden im ehemaligen linken Gebäude betreut, männliche im ehemaligen rechten, „unruhige Fälle“ in den Hoftrakten. Zwei Durchfahrten im Verbindungstrakt ermöglichen den Zugang zur Gartenseite.
1913 verkaufte Dr. Pokorny die gesamte Anlage an die Gemeinde Wien, die sie dem schon bestehenden Versorgungsheim Lainz als Pavillon XIX angliederte.
1924 richtete die Gemeinde Wien unter Bürgermeister Karl Seitz und im Auftrag des damaligen Stadtrates für Wohlfahrt Prof. Dr. Julius Tandler in dem Gebäude die dritte Schwesternschule eines städtischen Krankenhauses ein. Am 16. Mai wurde sie durch Dr. Julius Tandler ihrer Bestimmung übergeben. Die Jagdschloßgasse lag ca. 15 Gehminuten vom Krankenhausareal entfernt. Es wurde 3-jährige Lehrgänge sowie 1- und 2-jährige Fortbildungskurse eingeführt.
1928 wurde im Stiegenhaus eine von Anton Hanak geformte Bronzebüste von Dr. Tandler aufgestellt.
Die Jagdschloßgasse 23 und 25
in einem Lageplan 1903
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Die Eingangsseite des Gebäudes Jagdschloßgasse 25
in einem Foto 1928
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Ein handschriftlich angelegtes Buch mit Aufzeichnungen über Absolventen, Prüfungen und Namen der Prüfer und Vortragenden existiert heute noch. Den Krankenpflege-Unterricht leitete der Arzt Prof. Dr. Reitter und 1928 mit Oberschwester Kürer erstmals eine Krankenschwester.
Der letzte regulär geführte Lehrgang wurde 1939 eingetragen. In den Jahren des Zweiten Weltkrieges wurden die Schwestern in einer verkürzten Ausbildung in erster Linie für den Lazaretteinsatz vorbereitet. Das Schulgebäude erlitt durch die Kriegswirren starke Schäden, es war zuerst von russischen, später von englischen Truppen besetzt.
1945 wurde provisorisch der reguläre Schulbetrieb wieder aufgenommen und bis 1950 nur unter sehr erschwerten Bedingungen aufrechterhalten. Während der Renovierung des Gebäudes 1949/50 wurde der Unterrichtet provisorisch in einem Krankensaal im Pavillon III des Krankenhauses Lainz verlegt, als Internat diente der Pavillon XIV des Pflegeheimes Lainz.
Die Renovierungsarbeiten beinhalteten u. a. den Einbau von Brauseanlagen sowie die Installierung einer Zentralheizung. Nach der Renovierung übergaben Bürgermeister Dr. h.c. Theodor Körner und der amtsführende Stadtrat für Gesundheitswesen, Vizebürgermeister Lois Weinberger, in einem Festakt am 30. Mai 1951 das Schulgebäude neuerlich seiner Bestimmung.
1973 erfuhr die allgemeine Krankenpflegeausbildung mit der Verlängerung auf vier Jahre eine entscheidende Veränderung. Das „Erste Ausbildungsjahr“, das der Vertiefung der Allgemeinbildung dient, wurde an der Schule an Stelle der Krankenpflegevorschule bis 1985 mit jährlich einer Klasse eingeführt. Die 3-jährige Fachausbildung strebte Pflege als eigenständigen Beruf an. Die Zahl der Unterrichtsfächer stieg um mehr als das Dreifache. Das Berufsbild der Lehrschwester veränderte sich. An Stelle
„Gründliches Wissen und bestes Können zu vermitteln und Pflegestätte wahrer Menschlichkeit zu sein“. Dies waren die abschließenden Worte der Gedenktafel im Eingangsbereich der Gesundheits- und Krankenpflegeschule Lainz.
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Die Einfahrt zur Pflegeschule, fotografiert am 19. März 2013
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der „Wiederholungsstunden“ medizinischer Fachvorträge stand nun eigenständiges Unterrichten von allgemeiner und spezieller Pflege.
Ende der 1970er-Jahre führten steigende Schülerzahlen zu erheblicher Raumnot.
1983 bis 1985 wurden die gesamte Fassade samt Dach stilgerecht renoviert, die Koksheizung durch eine moderne Gasheizung ersetzt und die Brauseanlagen erneuert. Die Installation von Fließwasser in allen Schülerwohnräumen dauerte bis in die 1990er-Jahre. Erst in den Folgejahren 1986 bis 1988 konnte der Bau erweitert werden. Das damalige „Isolierhaus“, das seit 1924 als Dienstwohnung für den „Heizer“ diente, wurde abgetragen und der mittlere Gartenflügel durch einen Zubau verlängert. Zwei große Unterrichtsräume, die auch als Festsaal dienten, und Schülerwohnräume wurden nach den Plänen von Gerhard Muthsam neu geschaffen.
1988 fand die feierliche Eröffnung des Schulzubaues durch Gesundheitsstadtrat Univ.-Prof. Dr. Alois Stacher statt. Zum ersten Mal gab es in diesem Jahr auch einen „Tag der offenen Tür“. Die neue Raumsituation gab die Möglichkeit für Gastveranstaltungen und Seminare.
1989 wurden die ersten männlichen Pflegeschüler aufgenommen und 1991 gab es erste Nostrifikationslehrgänge.
1994 wurde das 70-jährige Bestehen der Schule Lainz gefeiert. Ehrengäste wie Bürgermeister Dr. Helmut Zilk, Gesundheitsstadtrat Dr. Sepp Rieder, Generaldirektor Dkfm. Dr. Heinz-Georg Nägler und Prim. Dr. Ludwig Kaspar, Generaloberin Charlotte Staudinger, Oberin Irma Magenbauer, um nur einige zu nennen, feierten mit. Das „Wiener Posaunen-Ensemble“ – Markus Pichler sorgte für die musikalische Umrahmung, Schüler gaben gekonnt Einblick in den Schulalltag. Zum 1. Mal wurden eine umfassende Chronik verfasst und erste Leitbildgedanken formuliert.
1996 erfolgte der Abschluss der Renovierung des Speisesaales, in dem sich Alt und Neu harmonisch ergänzten.
1997 schrieb das neue Gesundheits- und Krankenpflegegesetz die Eigenständigkeit der Pflege fest und veränderte dadurch das Berufsbild deutlich, inklusive klarer Definition der Tätigkeitsbereiche. Die Berufsbezeichnung nahm Bezug auf den gesundheitsfördernden Tätigkeitsbereich in der Pflege. Krankenschwestern/-pfleger führten ab nun die Berufsbezeichnung „Diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester/Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger“. Die Bezeichnung „Lehrschwester/Lehrpfleger“ wurde durch die Berufsbezeichnung „Lehrer/-in für Gesundheits- und Krankenpflege“ ersetzt.
Der 1. Lehrgang nach dem neuen Gesetz mit der Dauer von drei Jahren startete im September 1998. Ein neu konzipiertes Auswahlverfahren, das seit rund drei Jahren an der Schule erprobt wurde, unterstützte bei der Bewerberauswahl.
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Zur Verbesserung der Strukturqualität erfolgte 1998 bis 2001 nach den Plänen von Architekt Mag. Franz Chlastak die Neuausstattung des Wohnheimes in einer sehr ansprechenden Form. Hörsäle, Prüfungszimmer, diverse Funktions- und Aufenthaltsräume sowie eine großzügig angelegte Bibliothek und Computerarbeitsplätze für Schüler wurden neu geschaffen.
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Straßenfront, Eingangstor, Stiegenhaus und Blick auf die hinteren Gebäudetrakte, fotografiert am 19. März 2013, als die Schule war bereits geschlossen und teilweise geräumt war.
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Ab 1999 wurde zweimal im Jahr – im März und im September – den Bewerbern ein Ausbildungsbeginn angeboten. Die Ausbildungsverordnung zum neuen Gesundheits- und Krankenpflegegesetz brachte zahlreiche Veränderungen. „Pflege“ bildete den Schwerpunkt in der Ausbildung, die neuen Fächer „Pflegewissenschaft und Forschung“, „Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung“, „Strukturen und Einrichtungen des Gesundheitswesens“, „Palliativpflege“, „Pflege von alten Menschen“ und „Hauskrankenpflege“ ergänzten das Hauptfach „Gesundheits- und Krankenpflege“. Medizinische und sozialwissenschaftliche Fächer unterstützten ein solides Basiswissen, schulautonome Schwerpunkte wurden definiert. Neu war auch die Diplomprüfung, die aus drei Teilbereichen bestand. Der mündliche Teil überprüfte das fachliche Wissen, die praktischen Fertigkeiten und Fähigkeiten wurden in direkter Pflege beim Patienten überprüft. Das Verfassen der schriftlichen Fachbereichsarbeit setzte die persönliche Auseinandersetzung mit einem pflegerelevanten Thema voraus. Die besten dieser Arbeiten wurden in der Schulbibliothek archiviert.
2012 stand nach 88 Jahren die Schließung der Pflegeschule in der Jagdschloßgasse bevor. In dieser Zeit war sie Ausbildungsstätte, Arbeitsplatz und Wohnheim für viele Menschen. Am 21. September wurde im Rahmen eines Festaktes auf diese Zeit zurückgeblickt. Nach einer Begrüßung durch die interimistische Direktorin Barbara Hierner kamen folgende Personen zu Wort: Brigitte Pinzker, Akad. KH-Managerin, Direktorin im Ruhestand; Astrid Engelbrecht, Akad. KH-Managerin, SPcM Pflegedirektorin Krankenhaus Hietzing; Mag.a (FH) Lisa Haderer, Stv. Pflegedirektorin Privatklinik Döbling, Absolventin.
Bezirksräte der ÖVP und der FPÖ stellten in der Sitzung der Bezirksvertretung Hietzing am 12. Dezember folgenden Antrag: „Die zuständigen Stellen der Stadt Wien werden ersucht dafür Sorge zu tragen, dass das Schulgebäude in der Jagdschloßgasse 25 auch nach der Schließung der Schule für allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege im Frühjahr 2013 weiterhin für Bildungszwecke genützt wird.“ Der Antrag wurde mehrheitlich angenommen.
Anfang 2013 wurde das Seminar geschlossen und auf andere Pflegeschulen in Wien aufgeteilt. Am 21. Jänner dieses Jahres traf die Stellungnahme von Stadtrat Christian Oxonitsch zum Antrag der Bezirksvertretung vom 12. Dezember 2012 ein:
„Die Nutzung von vorhandenen Einrichtungen im Zusammenhang mit der Schaffung von sozialer Infrastruktur kann ich jedenfalls befürworten. Es darf jedoch angemerkt werden, dass trotz eines guten optischen Zustandes eines Gebäudes, auf Grund von Erfahrungswerten eine Sanierung sehr aufwändig ist – sowohl in wirtschaftlicher Sicht als auch bautechnisch (Denkmalschutz, Statik, Erdbebensicherheit, Fluchtweg, Brandschutz).
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Weilers kann festgehalten werden, dass im 13. Bezirk noch Raumreserven vorhanden sind und etwaiger Schulraumbedarf auch durch kleinere Zubauten, wie z.B. Dr.-Schober-Straße 1, abgedeckt werden kann.
Aus derzeitiger Sicht besteht in dieser Region kein Bedarf für eine ganze Pflichtschule, weshalb vorerst der Umfang der Wohnbebauung zu klären ist, damit die Magistratsabteilung 56 den daraus resultierenden Schulraumbedarf unter Berücksichtigung der im Bezirk vorhandenen Einrichtungen samt deren Auslastung prüfen kann.“
Der Bezirk blieb bei seiner Hoffnung auf eine Ausbildungsstätte, auch die Volksschule Steinlechnergasse hatte Interesse bekundet, doch die Wohnbebauung war offensichtlich ausgemacht. Die Gemeinde Wien verkaufte im März 2014 an einen Bauträger und der versprach den Erhalt des Hauptgebäudes. Spielraum für die Erweiterung der tief im Garten liegenden Baufläche gab es aus Widmungsgründen offensichtlich nicht.
Letztendlich blieb auch vom Hauptgebäude bloß die Fassade übrig, der Rest wurde neu verbaut. Doch selbst das gab der „Luxusresidenz mit insgesamt 63 eleganten Wohnungen auf unglaublichen 12.000 m2 Parkfläche“ von der Jagdschloßgasse aus gesehen ein ansprechenderes Flair als EPS und XPS.
Der Abtransport der Gedenktafel am 19. März 2013 unter Aufsicht des Leiters des Bezirksmuseums Hietzing Mag. Ewald Königstein.
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Die verbliebene Fassade, fotografiert am 3. September 2022. Erkennbar ist u.a. noch der dreiachsige Mittelrisalit mit mittig gesetztem Rundbogeneingang, flankiert von gebänderten Pilastern, die in polygonale, erkerartige Aufsätze münden, geschmückt durch ein reliefiertes Fries an der Oberkante ...
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Diesen Beitrag zum Thema „Gesundheit und Pflege“ der in Teilbereichen in das folgende Thema „Bildung“ hineinreicht, beginne ich mit einer wenig genannten doch herausragenden Tradition im Bezirk: Der Gehörrehabilitation.
Die ehemalige HNO-Abteilung am Kaiser-Jubiläums-Spital (später Lainzer Krankenhaus, heute Klinik Hietzing des Wiener Gesundheitsverbundes) war als Abteilung für Kehlkopf-, Nasen- und Ohrenkrankheiten die erste in Wien, die die Vereinigung ihrer Teilbereiche zur modernen Otorhinolaryngologie vollzog. Planung und Leitung der Lainzer Abteilung oblag Otto Mayer (1877–1951), Schüler des Vaters der modernen Ohrenheilkunde Adam Politzer (1835–1920), des Entdeckers der Otosklerose, einer Innenohrerkrankung. Otto Mayer setzte Politzers Werk fort und erlangte damit Anerkennung mit seinem Vortrag „The Pathology of Otosclerosis“ 1928 in London, für den ihm die Royal Society of Medicine den Dalby-Memorial-Preis verlieh.
Am 24. November 2012 feiert die HNO-Abteilung des Krankenhauses Hietzing den 300. Geburtstag des Pioniers der Gehörlosen- und ganz allgemein der Sonderpädagogik, Charles-Michel de l'Épée. Mit seinem Namen rückt über Lainz hinaus (wobei anzuführen ist, dass eigentlich der Großteil des ehemaligen „Lainzer Krankenhauses“ auf dem Boden der Katastralgemeinde Speising liegt) auch Speising in den Brennpunkt unseres Interesses.
Kaiser Joseph II. reiste 1777 nach Paris, um für seine Schwester Marie Antoinette in ihrer neuen höfischen Umgebung zu vermitteln. Reisebegleiter war sein Leibarzt Alessandro Brambilla (1728–1800). Man wusste von der Kinderlosigkeit des französischen Königspaares. „Inkognito“ als Comte de Falckenstein konnte er auf zeremoniellen Ballast verzichten und doch als Illustre Voyageur willkommen geheißen werden. Während dieses Aufenthaltes besuchte er auch den für arme Kinder kostenfreien Gehörlosenunterricht des Abbé de l'Épée (1712–1789). Dies war ein für Joseph durchaus relevantes Thema, denn eine erhebliche Zahl von Kindern konnte der von seiner Mutter Maria Theresia eingeführten Schulpflicht wegen ihrer Behinderungen, unter anderem eben Gehörlosigkeit, nicht nachkommen. Joseph entsandte Friedrich Stork und Joseph May und begründete 1779 das erste staatliche Taubstummen-Institut der Welt, Vorbild für weitere Gründungen zwischen München und St. Petersburg.
Der in Böhmen geborene und in Prag ausgebildete Hieronymus Anton Jarisch (1818–1890) war ab 1849 Taubstummenlehrer einer gräflichen Familie in unter St. Veit und ab 1852 erster Lehrer an der genannten Wiener Gehörlosenschule. 1855 ging er als Schulrat nach Graz. 1851 veröffentlichte er sein Buch „Methode für den Unterricht der Taub-Stummen". Jarisch schuf damit eine anschauliche Darstellung der Gebärdensprache, die zum Vorbild späterer Standardwerke wurde.
Otto Mayers
preisgekrönte Arbeit,
London 1928
Otto Mayer.
Büste im Eingang zum
Pavillon IIb des
Krankenhauses Hietzing, fotografiert am
24. November 2012
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Die erfolgreiche Geschichte des k. k. Taubstummen-Institutes (am besten dargestellt von Walter Schott) blieb aber keineswegs von bedrohlichen Situationen verschont, die das Institut an den Rand der Auflösung brachten. Zuletzt erwies sich der jahrzehntelange und mehrmals ausgebaute Standort des Instituts in der Wieden (später Favoritenstraße 13), neben der „k. k. Theresianischen Ritteracademie“ gelegen, als unzureichend und dessen Renovierung unrationell. Die wohlwollende Behandlung dieser „Angelegenheit“ durch die Regierungsspitze führte zum Neubau des Instituts-Gebäudes an der Speisinger Straße (heute Speisinger Straße 105). Das vom Bundesdenkmalamt herausgegebene „Dehio-Handbuch“ über die Kunstdenkmäler Österreichs skizziert die Geschichte dieser Adresse inkl. der heutigen Nummer 109 folgendermaßen:
Als k. k. Waisenhaus-Stiftung und Taubstummen-Institut mit Schule und Internat 1908-12 vom Hochbau-Department der k. k. niederösterreichischen Statthalterei für die Schulbrüder erbaut; 1938-47 Lazarett, 1947-40 Adaptierung als Niederösterreichisches Landeskrankenhaus (bis 1969), 1965 zum Teil Übernahme durch die Missionskongregation der Dienerinnen des Hl. Geistes, 1969 Einrichtung des Orthopädischen Spitals. Kapelle hl. Josef, erbaut 1910–12 (Grundsteinlegung durch Kaiser Franz Joseph), Restauriert 1993/94.
Soweit der kurze Dehio-Eintrag, der die sehr wechselvollen Aufgaben dieser Liegenschaften anklingen lässt. Das Taubstummen-Institut stand jedoch niemals unter der Führung der Schulbrüder. Den ersten auffindbaren Zeitungseintrag zu diesem großen Bauareal enthält das Neue Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe) vom 17. April 1907 auf der Seite 12 unter dem Titel „Neue Taubstummen- und Waisenhausinstitute“:
Seit langem trägt sich die Statthalterei mit der Idee, geeignete Komplexe zur Errichtung eines neuen Waisenhauses und eines neuen Taubstummeninstitutes zu erwerben. Die hiezu nötigen Gründe waren nicht so rasch zu beschaffen. Endlich ist es der Statthalterei gelungen, nach einigen Verhandlungen Gründe auf dem Rosenhügel zu erwerben. Der sehr bedeutende Komplex des Rosenhügels, der von dem Bankier Meyer angekauft wurde, liegt im 13. Bezirk (Speising), also noch im Wiener Gemeindegebiete, gegenüber dem Lainzer Tiergarten. Hier sollen nun das neue Waisenhaus und das neue Taubstummeninstitut errichtet werden, da die alten längst nicht mehr ihren Anforderungen entsprechen. Die neuen Institute werden nicht nur mit allen hygienischen und modernen Einrichtungen ausgestattet, sondern überdies mit einer großen Parkarea umgeben werden, die eventuell späterhin bei einem Ausbau der Institute in Anspruch genommen werden könnte. Wie wir
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Quellen:
Schott, Walter: Das k. k. Taubstummen-Institut in Wien 1779 – 1918. 1995: Böhlau Verlag Wien, Köln, Weimar
Gehörlosen-Zeitung
Band 91 (1997), Heft 3 mit einer Zusammenfassung der Geschichte des BIG von
Walter Schott
Prim. Univ.-Doz.
Dr. Herwig Swoboda
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hören, wird mit dem Bau der beiden Institute auf dem Rosenhügel bereits im Herbste begonnen werden.
Die Grundsteinlegung zunächst für die Kirche soll jedoch erst am 12. Oktober 1910 stattgefunden haben, und zwar im Beisein Kaiser Franz Joseph I. Der Umzug des k. k. Taubstummen-Institutes von der Wieden in das dann fertiggestellte Gebäude fand im Februar/März 1912 statt. Die damals angelegte Zufahrtsstraße wurde zu Ehren des verdienstvollen, 1820 verstorbenen Pädagogen Joseph May (ab 1792 nach Friedrich Stork der zweite Direktor des damaligen Taubstummen-Instituts) „Maygasse“ genannt.
Am 3. Oktober 1916 wurde auch ein Kindergarten für Gehörlose eröffnet.
Die harten Zeiten, insbesondere während des Ersten Weltkrieges konnten entbehrungsreich aber doch überstanden werden, mit Gründung der Ersten Republick war es dann keine k. k. Einrichtung mehr.
Auch die Eingriffe der Nationalsozialisten 1938 beendeten die Tätigkeit der Gehörlosenschule in der Speisinger Straße nicht, eher das Gegenteil: Auf Befehl der reichsdeutschen Schulbehörde wurden hier alle Wiener Gehörlosenschulen zusammengelegt. Das führte zu katastrophaler Raumot im Institut. Nach einem Bombenschaden am Dach des Institutsgebäudes am 4. Oktober 1944 musste der Schulbetrieb zeitweilig ganz eingestellt werden. Nach Kriegsende kehrten die Lehrer zurück und der Unterrichtsbetrieb normalisierte sich langsam. Die Zahl der Schüler stieg in den folgenden Jahren auf bis zu 250. Die Raumnot und die Zustände blieben aber drückend und es bedurfte zahlreicher Einga
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Ausschnitt aus dem Generalstadtplan 1912.
Er zeigt den Baublock vor allem für das k. k. Waisen-Haus. Im Norden, an der Ecke zur Speisinger Straße (außerhalb der damaligen Stadtgrenze hieß sie Wiener Straße), ist bereits das k. k. Taubstummen-Institut
eingezeichnet. Statt der geplanten Winkelbreiten Gasse, sie verläuft heute weiter nördlich, wurde die Maygasse als Zufahrtstraße zum Taubstummen-Institut angelegt. Das Gebäude des Taubstummen-Institutes trägt heute die Adresse
Speisinger Straße 105. Die südlich der Riedelgasse eingezeichnete Rot(h)schild-Stiftung wird im folgenden Beitrag thematisiert.
Quelle: Stadt Wien - ViennaGIS
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Das k. k. Taubstummen-Institut kurz nach dessen Fertigstellung. Im Vordergrund die Brücke über den offen fließenden Lainzer Bach
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Ansichtskarte mit der Beschriftung: Erziehungsanstalt für Knaben Wien XIII., Speisinger Straße 109 „Am Rosenhügel“ – Spielplatz. Vom Waisenhaus herausgegebene Ansichtskarten belegen großzügig eingerichtete Schul-, Sanitär- und Schlafräume und üppige Unterrichtsmittel.
ben und Inspektionen, ehe östlich des Gebäudes in der Speisnger Straße 105 ein Neubau finanziert werden konnte. Dieser von 1976 bis 1981 errichtete Neubau bekam die Adresse Maygasse 25 und den Namen Bundesinstitut für Gehörlosenbildung (BIG).
Wesentlich großzügiger waren die Einrichtungen für das k. k. Waisenhaus (siehe Plan auf der Vorseite). Die 1743 gegründete Waisenhausstiftung war 1857 von den aus Paris nach Wien gekommenen Schulbrüdern übernommen worden, die das Waisenhaus grundlegend reformierten, die Knaben in ihre Obhut nahmen, die Mädchen hingegen nach Judenau im Tullnerfeld brachten. 1912 erfolgte der Umzug vom Gebäude des ehemaligen Spanischen Spitales in das Speisinger Areal am Rosenhügel (heute Speisinger Straße 109).
Das „Knabeninstitut Rosenhügel“ umfasste eine Volkschule, eine Hauptschule sowie eine zweiklassige kaufmännische Wirtschaftsschule. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs war eine Veränderung wegen der Einrichtung eines Reservespitals nötig.
Nach dem Krieg wurde das Waisenhaus als „Erziehungsanstalt Rosenhügel“ von den Schulbrüdern zu einer neuen Blüte geführt, die eine allgemein zugängliche öffentliche Schule war.
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Vom wichtigen Standort der Schulbrüder in Strebersdorf wurde die Handelsschule nach Speising verlegt.
1938 wurde die Schule durch die Nationalsozialisten geschlossen, die Schulbrüder wurden aus Hietzing vertrieben. Die Anstalt wurde vom Land Niederösterreich als Eigentümer übernommen, während des Zweiten Weltkriegs war hier ein Lazarett eingerichtet.
Nach dem Krieg wurden die Gebäude vom Land Niederösterreich saniert und in ein Kinderspital umgewandelt. Mit entscheidender Hilfe aus Schweden wurden zwei Abteilungen (Tuberkulose- und Kinderkrankenhaus mit angeschlossener Pflegerinnenschule) aufgebaut. Die gesamte Einrichtung für das Kinderspital stellte die in Göteborg ansässige Europahilfe zur Verfügung, aus Dankbarkeit wurde die Kinderheilanstalt „Göteborghaus“ genannt. Eröffnet wurde das damals modernste Kinderspital Österreichs am 3. Juni 1949. Außer dem Kinderspital gab es eine Geburtshilfe-gynäkologische Station, eine Tuberkulose-Station, eine Prosektur und die notwendigen Wirtschaftseinrichtungen sowie eine ebenfalls 1949 eröffnete Kinderkrankenpflegeschule. Chefin was die legendäre Dr. Bertholda Plechl.
Nach dem Ausbau des Landeskrankenhauses Mödling wurden die Abteilungen aus Speising sukzessive abgezogen, vollständig erst 1969, als auch die Kinderkrankenschwesternausbildung nach Mödling umzog.
In die freiwerdenden Gebäude übersiedelte – allerdings schon ab 1956 – das in der Hofburg angesiedelte Orthopädische Spital. Das Orthopädische Spital in Speising wurde ab 1956 vom Frauenorden „Dienerinnen des Heiligen Geistes geführt. Durch zahlreiche Zubauten und Spezialisierungen, ab dem Jahr 2000 im Rahmender Vinzenz-Gruppe, entwickelte es sich zum heute bestehenden Orthopädischen Spital mit breitem Leistungsspektrum.
Diplomjahrgang 1955/58 der NÖ. Landeskrankenpflegeschule am Göteborghaus in Speising
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In der Folge der Reformen von Kaiser Josef II. wurde 1783 das Militärinvalidenhaus im 3. Bezirk gegründet. Ende des 19. Jahrhunderts war aber eine Neuordnung dringend notwendig geworden. Als Ort bot sich der noch unverbaute Abhang des Stranzenberges in Speising auch wegen des sogenannten „Meraner Klimas“ an. Nach nur 16 Monaten Bauzeit wurde die neue Anlage einschließlich der Kirche am 2. Dezember 1909 kollaudiert (F. Loidl, Invalidenhauskirche, 1948).
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An der Südseite des soeben besprochenen Areals des heutigen Orthopädischen Spitals, getrennt durch die Riedelgasse, besteht ein anderes Spital: das Neurologische Spital. Es wurde aufgrund des Testamentes des sehr begüterten und sozial denkenden Nathaniel Freiherr von Rothschild (1836–1905) gegründet, der offensichtlich die neurologischen Probleme der damaligen Bevölkerung kannte und dagegen etwas tun wollte. Am 13. Juni 1905 verstarb er kinderlos in Wien.
In seinem Testament bestimmte er ein Kapital von 20 Millionen Kronen zur Errichtung einer Stiftung, die den Namen „Nathaniel Freiherr von Rothschild'sche Stiftung für Nervenkranke“ tragen sollte, aus deren Erträgnissen Nervenanstalten zur Unterstützung mittelloser Österreicher ohne Rücksicht auf Nationalität, politische Richtung und Konfession, die unter psychischen und neurologischen Problemen leiden, errichtet und erhalten werden sollten. Zu den „Österreichern“ heißt es im Stiftungsstatut konkret „mittellose Nervenkranke österreichischer Staatsbürgerschaft“. Dazu ist anzumerken, dass der Text aus der Monarchie des Jahres 1907 stammt und es zahlreiche offizielle Nationalitäten gab.
Sein Bruder Albert Freiherr von Rothschild (1844 – 1911), Universalerbe und Nachlassverwalter, konstituierte 1907 ein Kuratorium von 12 Persönlichkeiten unter seinem Vorsitz, dem unter anderen bekannte Persönlichkeiten wie Prof. Dr. Julius Wagner-Jauregg und der Wiener Magistratsdirektor und spätere Bürgermeister Dr. Richard Weisskirchner angehörten.
Mit dem Kapital wurden zwei Krankenanstalten errichtet, die „Nathaniel Freiherr von Rothschild Stiftung Rosenhügel“ (Eröffnung 1912) und das „Maria-Theresien-Schlössel“ in Döbling (1914). In der Folge ein Bericht der „Wiener Bilder“ vom 21. Juli 1912 über „Die Rothschildsche Heilanstalt am Rosenhügel“.
In aller Stille wurde diesen Montag eine Hilfs- und Heilstätte der leidenden Menschheit übergeben, wie eine zweite ihresgleichen kaum existieren dürfte, und die eine Sehenswürdigkeit Wiens bedeutet. Die offizielle Eröffnung der Nervenheilanstalt auf dem Rosenhügel nächst Lainz, dieser hochherzigen Stiftung des am 13. Juni 1905 verstorbenen Freiherrn Nathaniel von Rothschild, findet erst im Herbst dieses Jahres – wahrscheinlich im September – statt, die ersten Kranken aber werden schon in diesen Tagen in die ihnen gewidmete Anstalt ihren Einzug halten.
Zwanzig Millionen Kronen hat Freiherr Nathaniel von Rothschild dem Zwecke einer Stiftung für Nervenkranke gewidmet. Und nun erhebt sich an einem der schönsten Punkte des Wiener Weichbildes wohl ganz und gar und bis in jede Einzelheit,
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Exzerpt aus einem Beitrag von Heinz Gerstbach, zu lesen auch auf www.1133.at/Bericht 1392
Die Geschichte der Familie Rothschild und vor allem des Wiener Zweiges hat Roman Sandgruber hat in seinem Werk „Rothschild – Glanz und Untergang des Wiener Welthauses“ (Molden-Verlag, 2018) eindrucksvoll beschrieben.
Den Bau der Anlage beschreiben Gottfried Roth im Artikel „Das neurologische Krankenhaus Wien-Rosenhügel im Wandel der Zeit“ in „80 Jahre Rothschild Stiftung“ (1992) sowie Ruth Koblizek und Gernot Schnaberth in „Neurologie Rosenhügel – Rothschildstiftung“ (Verein MEMO, 2002).
Forschungsbericht Geschichte der Nathaniel Freiherr von Rothschild'schen Stiftung für Nervenkranke von ihrer
Errichtung bis zu ihrer Reorganisation in der Nachkriegszeit. Erstellt im Auftrag der Geschäftsgruppen Soziales, Gesundheit und Sport sowie Kultur und Wissenschaft.
Wien, September 2021
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so wie es der Stifter gewünscht hatte, dieses Nervenkranken geweihte Asyl.
Auf dem Territorium, den bekannten Artur Mayerschen „Rosenhügelgründen“, dehnt sich auf dem jetzt von schönen Parkanlagen umfriedeten, sanft aufsteigenden Teil eine Ansiedlung aus. Dem, der von Lainz kommt und durch das Gittertor einfährt, bietet sich nun ein überraschender Anblick: man glaubt, eine neue Villenanlage vor sich zu haben; nur das Hauptgebäude sieht fast zu imposant und palaisartig dafür aus. Es trägt als Inschrift die Worte: „Nathaniel Freiherr von Rothschildsche Stiftung für Nervenkranke“ und darunter in einem von Cherubins getragenen Relief das „R“ mit der Freiherrnkrone. Rechts und links von diesem Bau, dem „Direktorium“, befinden sich die Pavillons für männliche und weibliche Kranke; im Hintergrund das Kurmittelhaus sowie das Küchen- und Waschhaus, im Park, fast versteckt, die Gärtnerei und die Oekonomie.
Vorderhand ist dort Platz für 93 Patienten; im Laufe der nächsten Jahre sollen drei weitere Pavillons entstehen. Die Männer- und Frauenpavillons sind vollkommen gleich gehalten, die Schlafzimmer licht, luftig, die Einrichtung bis ins kleinste Detail durchdacht.
Ein besonderes Wort verdienen die Einrichtungen der Anstalt: Alles großzügig, modern, und den kompliziertesten Betrieb ermöglichend.
In den Hallen des Direktoriumsgebäudes steht eine Marmorsäule, sie harrt offenbar noch eines in Marmor ausgemeißelten Bildnisses des Stifters. Baron Nathaniel von Rothschild aber hat sich mit dieser ganzen wundervollen Anlage selbst das schönste und rührendste Monument gesetzt.
Bildbeschreibung in „Wiener Bildern vom 21. Juli 1912: Das neue Rothschildspital am Rosenhügel, das am 15. d. M. in aller Stille eröffnet wurde und dessen offizielle Einweihung im Herbst stattfindet. Spez.-Aufnahme für die „Wiener Bilder“ von H. Schuhmann. Wien.
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Für das Spital am Rosenhügel mussten vorher einige Hindernisse überwunden werden. Das gewählte Gebiet (ca. 24 ha) lag im Gemeindegebiet von Mauer bei Wien, damals noch in Nieder
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österreich, aber in unmittelbarer Nähe der Grenze zu Wien am südlichen Abhang des Rosenberges bei Speising. Da wegen der Infrastruktur (Wasser- und Kanalanschlüsse) die Eingliederung des Gebietes nach Wien wünschenswert war, wurde von den bisherigen Grundeigentümern der Beschluss des niederösterreichischen Landtages vom 6. Juli 1910 erwirkt, der dieses Gebiet dem 13. Bezirk anschloss.
Auf den Bau, das Gedeihen und die wirtschaftlichen Probleme der Nervenheilanstalt soll hier nicht eingegangen werden, ich verweise auf den Beitrag von Heinz Gerstbach und die in ihm angeführte Literatur. Eine Besonderheit in der Geschichte des Krankenhauses ist dessen Schicksal nach der Arisierung, also der Enteignung der Juden ab 1938, und das komplexe und letztendlich umstrittene Rückstellungsverfahren, das heute noch nicht in allen Punkten geklärt erscheint.
Am 19. Dezember 1938 wurde die Auflösung der Rothschild-Stiftung verfügt und das Vermögen der beiden Spitäler der Rothschildstiftung 1939 der Stadt Wien zugeordnet. Der Spitalsbetrieb war aber längst eingestellt worden, während des Zweiten Weltkrieges diente die Nervenanstalt als Lazarett mit 400 Betten.
1941 wurde auf Anordnung der Machthaber vom Areal der nunmehr städtischen „Nervenheilanstalt Rosenhügel“ eine Grundfläche von mehr als 67.000 m² an die Wien-Film-GmbH abgetreten, wodurch sich das Gesamtausmaß des verbleibenden Stiftungsgrundes auf 162.382 m² verringerte.
Nach 1945 wurde die Krankenanstalt von der Stadt Wien weitergeführt und viele Millionen Schilling in den Aus- und Umbau des Spitals investiert. 1956 wurde die „Nathaniel Freiherr von Rothschild'sche Stiftung für Nervenkranke“ in ihrer Rechtspersönlichkeit wiederhergestellt. Es war aber nur eine theoretische Wiederherstellung ohne Restitution, weil das frühere Kuratorium nicht mehr bestand und auch kein Kontakt mit der Stifterfamilie bestanden haben soll. Interessant ist aber, dass schon 1948 auf Bundesebene die ersten Rückstellungsbescheide betreffend die Domänen Waidhofen an der Ybbs und Göstling an Louis de Rothschild erlassen wurden, später folgten manche andere für Familienmitglieder. Auch später gab es weder eine Restitution
Ausschnitt aus dem Umschlag des Erläuterungsberichtes 1909 der Nathaniel Freiherr von Rothschildschen Stiftung für Nervenkranke „Rosenhügel“ mit der geplanten Gesamtansicht.
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Büste des Stiftungsgründers Nathaniel von Rothschild in der Anstalt auf dem Rosenhügel
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noch gab es eine Vereinbarung mit der Stifterfamilie, vielmehr wurde ein „Rückstellungsverfahren“ zwischen zwei Magistratsabteilungen – die eine als Antragstellerin, die andere als Gegnerin, ohne Beteiligung der Stifterfamilie – durchgeführt, weshalb später auch von einem „In-sich-Geschäft“ gesprochen wurde. Der von der Gemeinde Wien jüngst initiierte Forschungsbericht 2021 sieht von einer juristischen Beurteilung dieser Vorwürfe ab.
Damit überließ die „Stiftung“ der Stadt Wien die Weiterführung der beiden Nervenheilanstalten. Das Spital am Rosenhügel entwickelte sich medizinisch sehr gut und hatte bald aufgrund der dort tätigen medizinischen Fachleute einen weit über Wien hinausreichenden eindrucksvollen fachlichen Ruf. Im Jahr 1966 erfolgte die Umbenennung der Nervenheilanstalt Rosenhügel in „Neurologisches Krankenhaus der Stadt Wien – Rosenhügel“, 2002 in „Nathaniel Freiherr von Rothschild'sche Stiftung für Nervenkranke – Neurologisches Zentrum der Stadt Wien“ umbenannt, 2006 erfolgte (unter Weglassung des Namens der Stiftung) die Eingliederung in das Krankenhaus Hietzing, heute ist es die Neurologische Abteilung der Klinik Hietzing.
Die Begehrlichkeiten der Stadt Wien wurden 1980 und 1981 durch Grundteilungen und Umwidmungen als Basis für eine spätere Errichtung von Gemeindebauten auf dem Areal der Stiftung offensichtlich. Die Hietzinger Bezirksvorstehung sah darin einen Widerspruch zum Stiftungszweck und von ihr beantragte Gerichtsverfahren führten 1981 zur Einsetzung eines Kurators als Vertreter der Begünstigten der Stiftung, da das ursprünglich geplante Kuratorium der Stiftung (noch immer) nicht bestand.Rekurse der Stadt Wien bis zum Obersten Gerichtshof konnten daran nichts ändern. Komplexe Argumentationen erlaubten der Stadt Wien jedoch, die ursprünglich geplante Transaktion weiter vorzubereiten, erst die Bestätigung des Kurators durch den Obersten Gerichtshof und dessen Anträge, keine Abtrennung von Flächen der Stiftung für einen Wohnbau vorzunehmen, führte zum Verzicht auf die geplanten Maßnahmen.
Geplante und auch erfolgte Änderungen in der Struktur der Stiftung zu Beginn des 21. Jahrhunderts (weiterhin ohne Kontakt zur Familie) führten zu weiteren heftigen Reaktionen und Diskussionen im Wiener Gemeinderat, wobei der Stadt Wien auch Tendenzen vorgeworfen wurden, sich an der Rothschildstiftung zu bereichern. Die medial wirksamen Diskussionen führten aber zur Zurückgestellung dieser Vorhaben.
Dennoch waren auf Stiftungsgrund folgende Bauwerke errichtet worden:
1968 wurde in der Riedelgasse 9 auf ca. 0,7 ha im Baurecht ein Personalwohnhaus mit 240 Wohneinheiten für Bedienstete der Gemeinde Wien errichtet. Nach der Schließung 2011 eröffnete in dem Gebäude eine Wohnungsloseneinrichtung des Samariterbundes.
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1975 wurde im Areal des Neurologischen Krankenhauses in einem neuen Pavillon die Abteilung für entwicklungsgestörte Kinder eröffnet, die ursprünglich 1956 auf Initiative von Prim. Univ.-Prof. Dr. Andreas Rett im ehemaligen Rotlaufpavillon des Altersheimes Lainz eingerichtet worden war.
Auf der Kuppe des Areals wurden für den Bau des 1978 errichteten Pensionistenwohnhauses Rosenberg ca. 2,6 ha verwendet (nach MA 40 auf einer stadteigenen Liegenschaft EZ 15).
Die Errichtung des „Neurologischen Rehabilitationszentrums Rosenhügel in Wien“ durch die SVA im Jahr 2002 auf einer Fläche von ca. 1,3 ha fand weitgehend Zustimmung, da sie den schon den von der Stiftung ursprünglich geplanten Einrichtungen entspricht.
Nunmehr hat sich 2019 überraschend ein Nachkomme der Familie Rothschild gemeldet. Geoffrey R. Hoguet ist ein Urenkel von Albert Rothschild, dem Bruder des Stifters Nathaniel Rothschild und dessen Nachlassverwalters. Erst kürzlich habe er Informationen über die problematischen rechtlichen Umstände der Stiftung seines Vorfahren erhalten. Anlass für seine Initiative sei auch der Umstand, dass von der Stadtverwaltung Grundstücksteilungen geplant waren und auch Anträge für Baumfällungen vorliegen. Grundsätzlich kritisiert er namens der verbleibenden Erben von Albert und Nathaniel Rothschild, dass die Stadt Wien „so verfahre, als ob die nationalsozialistischen widerrechtlichen Enteignungsdekrete nach wie vor aufrecht wären“. Die Stifterfamilie sei nach Ende des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus nicht für die Wiederherstellung des Kuratoriums konsultiert worden.
Er beantragte nunmehr bei Gericht die Wiedereinsetzung des ursprünglich im Stiftbrief vorgesehenen Kuratoriums aus 12 Personen. Neun sollten von der Stifterfamilie, zwei vom Land Niederösterreich und eine von Wien benannt werden. Dagegen wehrt sich aber die Stadt Wien. Die erste Verhandlung beim Bezirksgericht Hietzing im Februar 2020 war wohl der Start zu einem längeren, bis an die Höchstgerichte führenden Rechtsstreit.
Durch das Bundesdenkmalamt wurde die Gesamtanlage des Neurologischen Krankenhauses Rosenhügel (Objekt ID 130517) im Jahr 2019 unter Denkmalschutz gestellt, Standort Riedelgasse 5, KG Rosenberg. Im Text der Veröffentlichung des Denkmalamtes heißt es: Das Krankenhaus ist ein System von Pavillons, die in einem parkartigen Areal fächerförmig um die Mittelachse des Direktionsgebäudes gruppiert sind. Gestiftet von Nathaniel Meyer von Rothschild, wurde es 1910–1912 teils nach Plänen von Fellner und Helmer, teils nach Plänen von Krauss und Tölk erbaut.
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Erste Bildungseinrichtung war und ist die (in eine Sippe eingebundene) Familie als kleinste Zelle menschlicher Gemeinschaft. Für die meisten Menschen in unserem Raum war sie bis vor wenigen Jahrhunderten die einzige Bildungsinstanz und vermittelte alle lebenswichtigen Kenntnisse und Fähigkeiten, eingebettet in das Kulturell-Religiöse der jeweiligen Zeit. Als totale Lebensgemeinschaft formte sie ihre Mitglieder zu gleichgerichteten Anschauungen und Wertungen.
So war es auch bei den Germanenstämmen der Alemannen, Bajuwaren, Franken und Sachsen, ehe sich der Kontakt mit den Römern intensivierte und ehe sie dauernde Sitze im untergegangenen weströmischen Reich gewannen. Ihre heidnische Volkskultur war (von Runenzeichen abgesehen) unliterarisch. Geistige Inhalte wie Heldensagen und Rechtsgrundsätze wurden mündlich von Generation zu Generation weitergegeben. Erst im Zusammenhang mit dem christlichen Glauben übernahmen sie auch das antike Bildungsgut und verschmolzen es im Laufe der Jahrhunderte mit Elementen der eigenen Volkskultur und im Zusammenwirken mit den schon früher christianisierten Keltoromanen zur Kultur des Abendlandes.
Im Mittelalter ist dieses Abendland ein Bereich geschlossener Einheit in christlicher Weltanschauung und sozialer und politischer Gliederung. Über allen ständischen Gliederungen steht das eng mit der römischen Kirche verbundene Imperium als Fortsetzung des römischen Kaiserreiches. Auch die lateinische Sprache ist ein universales Element und bleibt es trotz aller aufblühenden Nationalsprachen. Die 843 erfolgte Gliederung des Reiches Karls des Großen in die Reiche der Deutschen, Franzosen und Italiener blieb in diese Kulturgemeinschaft eingebettet.
Mit der Lehre Christi war das religiöse Moment zum Mittelpunkt menschlichen Daseins geworden und des Menschen
Zum Nachlesen:
Behnke, Gustav:
Niedere und höhere Schulen.
Chramosta Walter M.:
Zubau zur Volksschule Hietzinger Hauptstraße 166 /Architektin Elsa Prochazka .
Edlinger, Lydia:
Der österreichische Schulbau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Frühmann, Norbert:
Der Arbeitsplatz des Lehrers in der Vergangenheit.
Girardi, Julia:
Das Schulhaus als „dritter Lehrer“. Eine funktionale Analyse der Schularchitektur und deren Auswirkungen auf dasLernen im Verlgeich Schweden und Österreich.
Heillmayr, Nikolaus:
Wien, Schulbau. Der Stand der Dinge.
Holzapfel, Josef:
Historisches Ober St. Veit. Handwerks-, Gewerbe- und Vereinsgeschichte.
Hörburger, Franz:
Geschichte der Erziehung und des Unterrichts
Weissenbacher, Gerhard:
In Hietzing gebaut: Architektur und Geschichte eines Wiener Bezirkes.
Nähere Abgaben zur Literatur auf www.1133.at/Bericht 887
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eigentliche Bestimmung lag im Jenseits. Sittliche und soziale Anschauungen veränderten sich ebenso grundlegend wie die Werte in der Erziehung. Die Notwendigkeit, die heiligen Texte lesen zu können, aber auch die Auseinandersetzung mit dem griechischen und römischen Schrifttum, stellte die Geistesbildung vor neue Aufgaben. Das alles setzte natürlich ein System an Lehrern und Schülern voraus. Zunächst war die Kirche die alleinige Lehrmeisterin und damit die höhere Bildung mit geistlicher Bildung gleichzusetzen. Die Klöster pflegten und lehrten aber auch rationellen Ackerbau, Handwerk, Wissenschaft und Kunst und anderes, wie die Kunst, Bücher zu schreiben. Bald wurden die Klosterschulen auch den Söhnen höherer und niedrigerer Stände geöffnet.
Später entwickelte das Rittertum eine eigene, weltliche Bildungs- und Erziehungsform, und schließlich wurden die entstehenden Universitäten zum Träger einer neuen akademischen Bildungsform. Die erste Universität auf deutschem Boden ist die von Karl IV 1348 in Prag gegründete, die zweite die von Rudolf dem Stifter 1365 in Wien gegründete. Institutionell waren sie bis in das 15. Jahrhundert kirchliche Anstalten.
In den aufblühenden Städten und Märkten des Spätmittelalters machten der internationale Handel und das Handwerk eine andere als die gelehrte Bildung notwendig. Bürgerliche Schulen und die gewerbliche Standesbildung wurden zu Trägern des bürgerlichen Bildungswesens. Die bürgerlichen Stadtschulen und die privaten Schulen betonten im Unterricht wirtschaftlich brauchbare Inhalte. Dazu zählte Latein, das noch lange internationale Sprache des Handels blieb. In Wien bestand 1237 eine Stadtschule zu St. Stephan. Im 14. und 15. Jahrhundert entstanden mehrere dieser Lateinschulen, manche sogar in Dörfern. Seit 1400 gab es auch städtische Mädchenschulen.
Die Nachfrage nach Elementarunterricht ließ darüber hinaus schon im 14. Jahrhundert deutsche Schulen und ein privates Angebot (Winkelschulen) entstehen. Dort wurde Lesen, Schreiben und Rechnen von Privatlehrern, wie z. B. fahrenden Scholaren, unterrichtet, aber auch von Krämern, Schneidergesellen und anderen, die sich dazu befähigt fühlten. Diese Varianten der bürgerlichen Schulen waren mit ihrem elementaren Bildungsangebot ein erster Ansatz zu den späteren Volksschulen. Aber auch der gewerbliche Lehrling begann, im Rahmen seiner Zunft eine seinem Stand entsprechende Ausbildung zu erhalten. In der Werkstätte des Meisters lernte er das technische Können, im Familienverband des Meisters bekam er die standesgemäße sittliche Erziehung.
Neben der Schul- und Zunftbildung wurde ein unsystematischer freier Bildungserwerb möglich, der jedermann, auch dem Landvolk, zugänglich war. Gemeint sind das musische Leben mit dem Volkslied und der instrumentalen Musik, das Spielen weltlicher und geistlicher Dramen und die Volksbücher.
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Allmählich löste die Renaissance mit ihrem neuen Blick auf die Antike die Geisteswelt des Mittelalters ab; Unterricht und Erziehung bekamen Platz für autonomes, kritisches Denken. Beobachtungen, Experimente und schließlich systematisch betriebene Forschung ermöglichten große Fortschritte in den Naturwissenschaften. Die geistigen Bewegungen und die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen schufen eine neue Lebensgrundlage, die letztendlich die Auflösung der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung zur Folge hatte. Natürlich waren die Auswirkungen auf das höhere und niedere Schulwesen mannigfach. Es wäre aber für diese Zusammenfassung zu weitgehend und zu verwirrend, den Einfluss aller sich pädagogisch auswirkenden Kräfte – wie Humanismus, Reformation, Gegenreformation, die rationaleren Anschauungen bis hin zur Aufklärung und die Vertreter der jeweiligen Strömungen inklusive der Ordensgemeinschaften – darzustellen.
Die Universitäten mussten sich dem neuen Gedankengut öffnen, blieben aber im kirchlichen Einflussbereich; die niederen Schulen wurden zunehmend den landesfürstlichen Behörden und deren Schulordnungen unterstellt.
Die Bildungsinhalte im niederen Schulwesen waren vor allem Religion, Lesen, Schreiben und Rechnen und schon vor der Schulreform im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts gab es erste Ansätze einer Schulpflicht. Von 1600 bis 1770 vermehrte sich wohl die Zahl meist deutscher Schulen; aber solange sie nicht in jedem Gebiet eingerichtet und unentgeltlich und auch die wirtschaftlich-kulturellen Voraussetzungen dafür geschaffen waren, blieben sie nach wie vor einer Minderheit vorbehalten.
Die weitreichende Reform im Bildungswesen, die dann im Laufe des 19. Jahrhunderts zur fast lückenlosen Elementarschulung führte, setzte unter Maria Theresia und Josef II. ein. Diese Reform erstreckte sich vor allem auf die deutschen und böhmischen Erblande und war von einem starken Zentralismus geprägt. Zentralstelle für Schulangelegenheiten wurde 1760 die Studienhofkommission, die Instanz der Länder wurde aufgehoben und die Gleichheit des Schulwesens verkündet. Der entscheidende Schritt war die am 6. Dezember 1774 unterschriebene „Allgemeine Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt- und Trivialschulen in sämtlichen Kays. Königl. Erblanden“, das erste „Reichsvolksschulgesetz“ Österreichs.
Sie beinhaltet eine sechsjährige Schuldauer vom sechsten bis zum zwölten Lebensjahr und kennt drei Schulformen.
Die niedrigste Schulform, die „Trivialschule“, soll in jedem Dorf mit Pfarre errichtet werden. Sie teilt die Schüler gar nicht oder nur in zwei Klassen und vermittelt vor allem das klassische „Trivium“ (Lesen, Schreiben, Rechnen) und dann noch Religion und eine Anleitung zur Rechtschaffenheit. Dies ist der für die Dörfer der Region der relevante Schultyp.
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Von den anderen Schulformen ist die „Hauptschule“ (nicht mit der heutigen vergleichbar) in größeren Städten und in jedem Bezirk einzurichten (zusätzlich Anfangskenntnisse in Latein sowie Geographie, Geschichte, Zeichnen und Landwirtschaftslehre) und darüber hinaus in den Landeshauptstädten eine „Normalschule“ für ausgesuchte Schüler (zusätzlich Baukunst, Mechanik und Naturlehre).
Die Erhaltung der Schulen obliegt den Grundherren und die tatsächliche Verwirklichung der Theresianischen Schulreform mangels anderweitigem Personal nach wie vor der Kirche und den Pfarren. 50 Jahre nach dem Erlass beträgt die Schulbesuchsquote erst 30% und nach 100 Jahren 90%.
Auch Gymnasien und Universitäten waren von der Neuordnung des Schulwesens betroffen, und neue Schularten für Gewerbe, Handel, Technik und bildende Künste entstanden. Josef II. trieb neben weiteren grundlegenden Reformen im Schulbereich die Vermehrung der Elementarschulen voran, hob an die 800 Klöster auf und gründete 400 Pfarreien mit Trivialschulen. Beschlagnahmtes Vermögen ging in den Normalschulfonds, auch die Grundherren und Gemeinden, denen die Erhaltung der Schulen auferlegt war, nahm er stärker in die Pflicht.
Zu den weitreichenden Reformen gab es Gegenbewegungen im konservativen Geist, denen schon Josef II. Tribut zollen musste und die 1805 zur „Politischen Schulverfassung“ führten. Die bis Josef II. rasante Verbreitung des Volksschulwesens verlangsamte sich zwar, blieb aber stetig und die Schulpflicht setzte sich zunehmend durch. In die praktische Durchsetzung der Schulpflicht, die ja von Beginn der Reformen an mit dem 6. bis zum 12. Lebensjahr festgelegt war, gibt die Chronik zu den Ober St. Veiter Schulen einen guten Einblick.
Das Revolutionsjahr 1848, dem zwar unmittelbar Jahre konservativerer Tendenzen folgten, wurde letztendlich auch im Schulwesen zur entscheidenden Wende hin zum Liberalismus. Die Abfolge der Ereignisse begann schon vor der konservativen Übergangsära 1851 bis 1867 mit der Errichtung des „Ministeriums des öffentlichen Unterrichts“ und zahlreichen Überlegungen und Reformen (z. B. Landesschulräte und Hochschulautonomie, aber auch die Abkehr vom mechanischen Auswendiglernen und Aufsagen). Auch die Errichtung der ersten Kleinkinderbewahranstalten Österreichs fiel in diese Zeit.
Mit der Wiederherstellung der konstitutionellen Monarchie 1867 gewann dann der Liberalismus endgültig die Oberhand, und das Staatsgrundgesetz sagte: „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“. Volksschulen und Gymnasien wurden nun alleine vom Staat und nicht mehr von der Kirche in Verbindung mit den politischen Behörden beaufsichtigt und geleitet. Schulbehörden waren Landesschulrat, Bezirksschulrat und Ortsschulrat, nur der Religionsunterricht blieb den kirchlichen Stellen überlassen. Das Reichsvolksschulgesetz von 1869 brachte neben der Interkon
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fessionalität unter anderem die Hinaufsetzung der Unterrichtspflicht von 6 auf 8 Jahre und Fortschritte in der Ausbildung und Besoldung der Lehrer. Der Widerstand (steigende Lasten für die Gemeinden und Entzug von Arbeitskräften in der Landwirtschaft und in den Fabriken) einzelner Betroffener war nach wie vor groß. Mit der Kinderarbeit in den Fabriken wurde erst durch ein Gesetz der Gewerbeordnung 1885 Schluss gemacht.
Die Republiken und die Überwindung der Katastrophen und politischen Gegensätze in dieser Zeit brachten neue Herausforderungen an das Schulwesen. Die pädagogische Erneuerung Österreichs war an das Wirken Otto Glöckels (1874–1935) gebunden. Einer der neueren großen Schritte war das Schulgesetzwerk 1962, das außer den Hochschulen das gesamte Schulwesen reformierte. Darin waren unter anderem die kollegiale Verfassung der Schulräte (Sitz und Stimme von Vertretern der Lehrer und Eltern), die neunjährige Schulpflicht, aber auch ein erweitertes Bildungsziel festgelegt.
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Der Raum ist der dritte Pädagoge. (Der erste sind die anderen Kinder, der zweite die Lehrer.)
Die „Schule“ des Mittelalters darf man sich nicht als eigenes Unterrichtsgebäude vorstellen, sondern am besten als einen Raum, in dem der Lehrer, der gleichzeitig auch Mesners, Chorleiter, Organist und Gemeindeschreiber in Personalunion sein konnte, wohnte und einige privilegierte Kinder in grundlegenden Dingen, vor allem in der Religion, unterwies. Die Einrichtung so einer Schule ging von der Initiative des Pfarrers oder der Bürger einer Gemeinde aus und resultierte aus dem obrigkeitlichen Wunsch nach religiöser Lenkung der Bevölkerung. Daher gab es vor allem auf dem Land in der Regel nur dort Schulen, wo es eine Pfarre gab.
Die älteste Notiz über eine Schuleinrichtung in St. Veit an der Wien stammt aus dem Jahr 1458, und das erste belegbare Schulgebäude wird 1683 an der Ecke Vitusgasse/Erzbischofgasse genannt.
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Das Gebäude Erzbischofgasse 2 (früher Konskriptionsnummer 2). Es war das erste bekannte Schulhaus des Ortes (ab 1683 belegt). Später wurde es zur Kinderbewahranstalt. Das Foto zeigt das Haus im Jahr des Abrisses 1905.
Maria Theresia und ihr Sohn Joseph II., die auch im Schulwesen eine grundlegende Veränderung in Gang setzten, wollten in jeder Ortschaft mit Kirche zumindest eine Trivialschulschule. Das führte zu einer ersten, meist von der Ortsgemeinde oder dem Pfarrpatron finanzierten Welle von Schulbauten. Die Räume für den Unterricht waren in der Regel einklassig und denkbar einfach. So verhielt es sich auch in St. Veit an der Wien, wo auf Kosten der damaligen Grundherrin Maria Theresia das Schulhaus erneuert
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wurde. Etwas komfortabler dürfte die 1789 auf Kosten des Stiftes Klosterneuburg errichtete erste Schule in Hietzing gewesen sein. Sie lag in der Nähe der heutigen Volksschule und hatte ca. 260 m2 für 90 Schüler, allerdings inkl. einer Wohnung vermutlich für den Schulmeister. Knapp vor die Zeit Maria Theresias reicht die erste Nennung einer Schule in Lainz (1737).
Von dem 1789 errichteten Gebäude wurde die Hietzinger Schule 1829 in ein neues Gebäude neben dem ehemaligen Meierhof in der heutigen Fasholdgasse 8 verlegt, wo sie bis 1866 blieb. Seither befindet sie sich wieder Am Platz 2. Bis 1899 war sie in jenem Trakt untergebracht, der heute das Bezirksmuseum beherbergt. In diesem Jahr erfolgte in geringem Abstand zum alten Schulhaus der dreigeschoßige Zubau für 12 Klassen. In dem alten Bau lagen ab 1899 die Aufnahmskanzlei, eine Schuldienerwohnung sowie das Konferenz- und Lehrmittelzimmer. Ein Gang im ersten Stock verband die beiden Trakte. 1968 wurde ein weiterer Anbau hinzugefügt. 2015 wurde statt einem alten Pavillon ein moderner Zubau errichtet, der den Komplex um moderne Einrichtungen und eine Klasse erweitert. Der Torbogen, durch den man die Schulen erreicht, erinnert in seiner den Pfarrhof und die Schulgebäude verbindenden Weise an ganz alte Darstellungen Hietzings und unterstreicht dies mit der Jahreszahl auf dem Abschlussstein.
Fotografiert am 5. Februar 2015
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Bauvorschriften gab es allerdings schon damals: Sie verlangten u. a. ein Gebäudeniveau von zwei bis drei Stufen über dem Erdboden, eine Zimmerhöhe von 10 Schuh (ca. 3,16 Meter) und eine Größe von 30–43 m2 für 40–50 Schüler. Auch ein von links kommender Lichteinfall wurde genannt, was Schulbänke und einen Frontalunterricht impliziert. Bahnbrechend war auch der Einbau von Aborten in das Gebäude. In der Praxis blieb aber – gleich der Einhaltung der Schulpflicht – auch die Qualität der Schulräume weit hinter den Idealvorstellungen zurück.
Die „Politische Verfassung der deutschen Schulen …“ aus dem Jahr 1805 bekräftigte und präzisierte die Ansprüche an die Schulbauten. Sie verlangte auch ausschließlich dem Unterrichtszweck dienende Räume, damit der Unterricht nicht durch die häus
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lichen Geschäfte von „Weib, Kindern und Dienstleuten“ des Schullehrers gestört wurde. Eine Bauwelle scheint diese Schulverfassung allerdings nicht ausgelöst zu haben, und es blieb bei den meist kümmerlichen Verhältnissen, wofür die notdürftig im Pfarrkomplex untergebrachte Schule in Ober St. Veit und die in einem einzelnen Zimmer untergebrachte Schule im neuen Ortsteil Unter St. Veit eindrucksvolle Beweise waren. Niemand hatte das Geld für eine Verbesserung.
In Ober St. Veit wurde den Anforderungen erst 1858/59 nach Einschreiten des damaligen Bezirksamtes Hietzing durch einen Neubau Rechnung getragen. In Unter St. Veit wurde 1871/72, ebenfalls nach Intervention der Schulaufsichtsbehörde, am heutigen Schulstandort Ecke Auhofstraße / Feldmühlgasse ein bestehendes Gebäude für den Unterricht adaptiert. Die gebotenen Bedingungen blieben aber karg und nicht im Sinne der sich längst abzeichnenden neuen Schulgesetze. Deren Anforderungen wären nur mit einem nicht vom Sparstift gekennzeichneten Neubau erfüllbar gewesen.
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Die Erkenntnis der großen Bedeutung des Schulbaues für die körperliche und geistige Ausbildung der Kinder und Jugendlichen setzte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts endgültig durch und führte in eine ganze Reihe von Gesetzen, Erlässen und Verordnungen. Initialzündung auf Reichsebene war das Reichsvolksschulgesetz 1869, das für die nächsten 100 Jahre das Maß aller schulischen Dinge bleiben sollte. Präzisiert und weiter verbessert wurde es in Niederösterreich mit den Verordnungen 1870/71 und vor allem in der Verordnung des Ministeriums für Cultus und Unterricht 1873, dem wieder Landesverordnungen und weitere Verbesserungen etwa auf Basis von Anregungen des Obersten Sanitätsrates folgten.
Die umfangreichen Bestimmungen, gingen auf Bauart, verwendete Materialien, Ausmaße und Anordnung von Klassen
Der 1858/59 auf dem der Gemeinde St. Veit seit 1832 gehörenden Grundstück mit der späteren Adresse Hietzinger Hauptstraße 164 errichtete Schulbau wurde auf Kosten St. Veits und Hackings ausgeführt. Am 3. Mai 1859 wurde der Schulbau durch Dechant Josef Weinkopf von Hütteldorf feierlich eingesegnet und danach gleich in Betrieb genommen. Die Fotos zeigen es meist als spätere Station der Freiwilligen Feuerwehr Ober St. Veits oder der späteren Feuerwache der Stadt Wien.
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zimmern, Gänge, Stiegen, Turnräume, Fenster, die Beheizung (vorzugsweise Zentralheizung), Wasserversorgung, Helligkeit, Trockenheit und Hygiene der Räume, die Sicherheit etc. ein. Auch Aufenthaltsräume für Lehrer und die Geschlechtertrennung wurden verlangt.
Alles sollte dem Wohl des Kindes und der Förderung seiner sittlichen Erziehung dienen. In architektonischer Hinsicht sollte der Bau eine möglichst angenehme und einladende Wirkung auf die Jugendlichen haben wobei dem inneren Ausbau und insbesondere den Klassenzimmer besondere Bedeutung zukam. Doch die Anzahl der Schüler war mit 80 begrenzt, später wurde eine nicht bindende Begrenzung auf 40–50 Kinder empfohlen.
Die Stadt Wien, die zu diesem Zeitpunkt auf die Bezirke innerhalb des heutigen Gürtels beschränkt war, erließ schon 10 Jahre früher (1863) Verordnungen mit großer Ähnlichkeit zu dem Ministererlass 1873, und senke die Schülerzahl in den kommenden Jahrzehnten relativ konsequent. Die Wiener Bestimmungen gingen auch mehr als andere auf das Äußere und die Fassade eines Schulhauses ein: Sie soll „ … in dieser äußeren Erscheinung eben so weit von unnützem Prunk als von kahler Dürftigkeit entfernt sein.“ In seiner Ausführung repräsentierte die äußere Gestaltung der Fassade die Schule als ein öffentliches Gebäude.
All diese Bestimmungen erforderten bei konsequenter Beachtung den Neubau von Schulen. Die im Lichte dieser Regelungen errichteten Schulbauten werden teilweise noch heute benützt.
Eine einigermaßen konsequente und frühe Umsetzung dieser neuen Bestimmungen war die 1872/73 errichtete neue Volksschule in Ober St. Veit, Hietzinger Hauptstraße 166. Der zugrunde liegende Entwurf des auswärtigen Architekten Otto Thienemann, sah einen symmetrischen Bau mit 2 Treppenanlagen und 6 Klassenräume auf jedem Geschoß vor. Insgesamt waren 15 Klassen für 1193 Schüler geplant, das ergibt den damals erlaubten Schnitt von 80 Schülern pro Klasse. Wegen der hohen Kosten wurde dieses Projekt aber nur teilweise umgesetzt, trotzdem entsprach es in vielen Details den neuen Vorschriften, inkl. Zentralheizung und Geschlechtertrennung. In der ursprünglichen äußeren Erscheinung repräsentierte das Gebäude wohl einen Mittelweg zwischen Landschule und städtischen Schulen. Die ursprüngliche Planung hatte offensichtlich eine erhebliche Reserven, denn die kleinere Variante reichte für die nächsten 20 Jahre, 1889 ergab sich eine Erleichterung durch den eigenen Schulbau in Hacking.
1894 wurde die Ober St. Veiter Volks- und dann auch Bürgerschule durch einen Zubau im Westen im Sinne der ursprünglichen Planungen erweitert und damit die Symmetrie hergestellt. 1904 erfolgte ein weiterer Zubau im Westen inkl. Turnsaal und Treppenhaus, wobei ein verlorener Eingang im mittleren Baukörper durch einen neuen Eingang im Zubau von 1894 ersetzt wurde. Mit diesem Zubau von 1904 bekam der Komplex die heu
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Die Volkschule in der Hietzinger Hauptstraße 166. 1873 übersiedelte die Schule in dieses dreistöckige Gebäude (im Bild ganz rechts). Der auf diesem Foto aus dem Jahr 1899 sichtbare Erweiterungstrakt an der Kirchenseite stammt aus dem Jahr 1894. Dieses stimmungsvolle Ansichtskartenmotiv zeigt auch noch die Gebäude an der Ecke zur Glasauergasse, in dem sich unter anderem das Gemeindegasthaus Magdlen befand. Zwischen den Gebäuden war noch der Blick auf die Ober St. Veiter Kirche frei.
te noch sichtbare gründerzeitliche Fassade und ihre noch heute verwendete Grundstruktur.
Der Misere in Unter St. Veit wurde erst nach der Eingemeindung des Ortes nach Wien mit dem städtischen Schulneubau 1894 (1908?) gelöst.
Im Artikel zum 100. Jubiläum der Schule in Speising wurde von Felix Steinwandtner der Ausspruch zitiert „Speising, das Dorf ohne Kirche und ohne Schule“. Dort hat dies tatsächlich für mehrere hundert Jahre gegolten haben und sich erst durch die Eingemeindung nach Wien geändert. Bis dahin mussten die Kinder aus Speising nach Lainz in die Schule gehen, wo schon 1737 ein Raum des Pfarrhofes als Schule eingerichtet wurde. 1840 bauten die beiden Gemeinden Lainz und Speising auf dem Grund des früheren Friedhofes hinter der Lainzer Kirche ein ebenerdiges Schulhaus, das 1872 aufgestockt wurde.
Nach der Eingemeindung der Vororte wurde die bisherige Schule mit 21. Dezember 1891 eine „Städtische Volksschule“, und es begann die Planung für eine neue Schule in Speising auf
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Historisches Foto der Volksschule in der Anton-Langer-Gasse aus einer Ansichtskarte
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Was die weitere Entwicklung des Schulbaus betrifft, ging in Österreich der Begriff „Schulkaserne“ in die Geschichte ein, womit man auch in Wien klar gegliederte kastenförmige Gebilde mit endlosen Fensterreihen assoziierte. Das karge, an Militärbauten erinnernde Äußere stand dabei im Einklang mit der für die Vorkriegszeit typischen Aufgabe als Drill- und Disziplinierungsanstalt. Ganz konträr eigentlich zu den freundlicher anmutenden und noch gültigen Richtlinien. Diese „Kasernenphase“ hat in der Region keine sichtbaren Spuren hinterlassen.
Noch vor Beginn des Ersten Weltkrieges kam es durch den Einfluss reformpädagogischer Theorien zu einem neuerlichen Wandel im Schulbau. Die Dekoration der Fassade wurde mehr von pädagogischen Überlegungen geführt, und das Gebäude sollte nicht mehr das Disziplinieren fördern, sondern bestmögliche Voraussetzungen für das Lehren und Lernen schaffen. Die 1908 errichtete Schule in der Steinlechnergasse scheint ein Beweis dafür zu sein. Auch die 1913 wegen der zunehmenden Verbauung notwendig gewordene Volksschule in der Amalienstraße 31–33 repräsentiert eine ungewöhnliche und fortschrittliche Planung. Im Inneren änderte das aber nicht viel am bis in die Zweite Republik hinein dominierenden Typus der Gangschule, bei der die Klassen entlang eines Ganges aufgefädelt sind und nur einseitige Belichtung erhalten.
In dieser Zeit begann auch eine neue Bauweise die Entwicklung im Schulbau zu beeinflussen: der Eisenbetonbau. Die Fassaden wurde glatt und unverziert, doch ermöglichte er kühnere Gestaltungen und größere Fensterflächen. Damit einhergehende Flachdächer konnten auch als Pausenerholungsort oder Turnplatz dienen. Diese Technik wurde in Österreich erstmals 1909 beim Bau der Mädchenvolksschule in der Felbigerstraße angewandt.
In der Zwischenkriegszeit erreichte der Schulbau in Wien einen qualitativen Höhepunkt. Während in der Zeit von 1900 bis 1918 82 Schulen errichtet wurden, kam es zwischen 1918 und 1945 infolge des Geburtenrückganges aber nur zu vier Schulneubauten. Bei diesen wurden jedoch die Erkenntnisse, welche
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dem Grundstück zwischen Speisinger Straße und Anton-Langer-Gasse. Nach Eröffnung der neuen Schule im Herbst 1897 blieben in Lainz von den früher 364 nur mehr 16 Kinder in fünf Klassen.
Der erste Leiter der neuen Schule in Speising war Josef Henninger. Er wohnte gegenüber der Schule in der Anton-Langer-Gasse 46 und war später der Schwiegervater von Sir Karl Popper. Die frühere Parkgasse wurde nach dem Lokalschriftsteller, Volksdichter und Journalisten Anton Langer benannt.
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Die Ganztagesschule Steinlechnergasse 5–7
Im 1820 erschienenen zweiten Band der Kirchlichen Topographie von Österreich (S. 164) wird schon für das Jahr 1737 in Lainz eine Schule genannt. Es ist ungewiss, ob sie sich bereits an der Stelle des um 1840 errichteten, 1872 von den Gemeinden Lainz und Speising je zur Hälfte gekauften Schulhauses in der Lainzer Straße 148 befand. 1908 errichtete Baumeister Matthäus Bohdal ein neues Schulgebäude in der Steinlechnergasse. Er stattete die „Knaben Volks- und Bürgerschule“ mit interessantem plastischem Fassadenschmuck aus. 1994/95 führte F. G. Mayr einen Zubau mit zwei Obergeschoßen und ausgebautem Dach für vier Klassen und einen Turnsaal aus. Heute wird die Volksschule als Ganztagesschule geführt. Fotografiert am 5. Februar 2015
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seit der Jahrhundertwende auf diesem Gebiet gemacht werden konnten, voll berücksichtigt. Die Gebäude sind durch großzügige Lichtzufuhr in die Klassen, durch breite, helle Gänge und geräumige Stiegenhäuser gekennzeichnet. Sportgerechte Turnhallen und großzügig bemessene Außenflächen gehören zum Standard.
In unserer Region entstand in dieser Periode keine neue Volksschule. Häufige Erwähnung findet die 1933–34 als Hauptschule errichtete und damals international anerkannte Otto-Glöckel-Schule.
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Die Südostseite des im Jahr 1913 seiner Bestimmung übergebenen Schulgebäudes in der Amalienstraße 31–33 in den 1930er-Jahren. Ursprünglich war es eine Volksschule mit 23 Klassen, dann eine Hauptschule und seit 1986 eine Berufsschule. Es stellt eine für die damalige Zeit ungewöhnliche und fortschrittliche Planung dar. Von Max Fiebiger und Friedrich Jäckl entworfen, „ist es typologisch noch am Schloss orientiert – der detailreich umfriedete Pausenhof (Spielplatz) erinnert an einen Ehrenhof – es wird jedoch der Baukörper mit der hervortretenden Pfeilerstruktur der großen Fenster durch liebliche Details einer Heimatschutzarchitektur in den Maßstab des Bezirkes eingebunden.“ (Achleitner: Österreichische Architektur. Bd. 3/2. S. 16.) Den Pausenhof schließen gegen den Hietzinger Kai zwei Turnsäle ab. Im Keller war eine Küche, eine Ausspeisung für arme Schulkinder und ein Schwimmbad untergebracht, im Dachgeschoß befand sich eine Lehrwerkstätte. Das zweite Foto zeigt die Nordseite der Amalienschule im September 2007. Damals wurde mit dem Bau des neuen Jugendwohnhauses begonnen.
Nach der Reparatur der im Zweiten Weltkrieg beschädigter Schulen setzte ab 1950/55 eine neuerliche Welle im Schulbau ein, wobei pädagogischen und städtebaulichen Aspekten verstärkte Bedeutung zukam. Dazu kamen neue Baumethoden und Baumaterialien. Die Konzepte wurden experimentierfreudiger mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Zunächst sollten die Anlagen kindgerechter werden, etwa mit niedriger und aufgelockerte Bauweise und ebenerdigen Pavillonschulen, Freiluftschulen oder Hallenschulen. Dann sollen sie flexibler sein, um künftigen Änderungen in Schulorganisationen besser gerecht werden zu können. Dazu zählten Modularsysteme und Skelettbauweisen. Auch mehr Wirtschaftlichkeit wurde gefordert, etwa durch Serienbaukonzepte wie bei der Volksschule in der Disterweggasse (1968, G. Peichl). Dementsprechend sind auch die Größenvorschläge je nach Anforderung sehr variabel und reichen von der Empfehlung mehrerer kleinerer Schulen statt einer großen bis zu kooperativen Schulanlagen (Schulzentren mit verschiedenen Schultypen in einem Bau).
Im Raumprogramm der Volksschulen begannen sich auch früher den allgemeinbildenden höheren Schulen vorbehaltene
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Gruppenarbeitsräume und Räume für Feiern und Veranstaltungen zu etablieren. Darüber hinaus musste und muss der Volksschulbau neben dem reinen Unterricht für Kinder auch deren ganztägigen Aufenthalt und anderen Nutzungen wie Sport und Veranstaltungen für alle Altersgruppen gerecht werden. Ab den 1970er-Jahren wird auch im Schulbau die höhere Wertschätzung gegenüber alter erhaltenswerter Bausubstanz bemerkbar, aber auch die Einschränkungen durch den Energiefaktor.
Bauherren und Architekten wurden mit Planungsrichtlinien unterstützt, wie z.B. das von Stadtbaudirektion, Stadtschuldrat, Professoren und Architekten gleich nach dem Krieg entworfene AFÖB-Merkblatt zu Schulbauten. Darin sind die Anforderungen an Standort, Räume, Ausstattung und Bauausführung nach den damals anerkannten Grundsätzen sehr detailliert beschrieben. 1963 wurde ein eigenes Institut für Schulbau an der Akademie der bildenden Künste gegründet.
Das bahnbrechende Schulorganisationsgesetz 1962 und die darauffolgenden Novellen, scheinen sich baulich weniger stark ausgewirkt zu haben. Zu nennen sind die Auflassung der 1- und 2-klassigen Volksschulen und die Aufhebung der Geschlechtertrennung. Die damals schon üblichen Klassen mit 36 Schülern wurden beibehalten.
Unterschiedliche städtebaulichen Prioritäten und Sparzwänge machten die weitere Entwicklung unstet, gaben aber einfachen Bauformen und Methoden einen erheblichen Startvorteil. Doch nach der Öffnung des Eisernen-Vorhanges Ende der 1980er-Jahre kam es gemeinsam mit der dynamischen Stadtentwicklung auch im Schulbau zu international beachteten Leistungen. Anfang der 1990er-Jahre wurden unter dem Label „Wiener Schulbauprogramm 2000“ Leitlinien zusammengefasst, die im Schulbau adäquate Voraussetzungen für einen Ganztagesbetrieb und eine bestmögliche Integrationsförderung schaffen sollten. Die neue Architektur sollte als Raum des Wohlbefindens bestehen. Zur Realisierung wurden prominente Architekten verpflichtet und Wettbewerbe veranstaltet. Die Projekte entstanden vorwiegend auf definierten Wachstumsachsen, weswegen unsere Region nur wenige Beispiele dieser neuerlichen Schulbauwelle aufzuweisen hat. Manche Projekte waren allerdings von einer erheblichen Fachkritik und Unzufriedenheit von Schulbetreibern und -Nutzern begleitet, wie zum Beispiel die international gewürdigte Schule von Helmut Richter in der Waidhausengasse in Wien Penzing. Blättert man durch den Kunstband aus dem Jahr 2003 „Wien, Schulbau – Der Stand der Dinge“ könnte der Eindruck entstehen, dass diese Bewegung mehr der Idee respektabler Baukunst als moderner Pädagogik folgte.
Heftiger Kritik war auch das einzige, Hietzing betreffende Projekt im Rahmen dieser Schulbauinitiative ausgesetzt, nämlich der 1994 errichtete Erweiterungsbau an der Ostseite des Volksschulgebäudes Hietzinger Hauptstraße 166. Die Proteste gegen
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seine äußere Gestaltung blieben von Seiten der Stadt Wien und der Architekten angesichts der „typologischen und formalen Bezüge“ zum Bestand unverstanden und wurden als schriller Konservativismus aus einem der Kernländer des Wiener Bürgertums abgetan. „Auch wenn die Intensität der lokalen Polemik um den Zubau vermuten ließe, dass hier zeittypische Grenzen entwerferischen Mutes ausgelotet werden, liegt angesichts der volumetrischen Verwandtschaft des neuen Baukörpers zu Bestand und der konventionellen technischen Durchführung viel mehr der Verdacht nahe, dass es sich bei der öffentlichen Auseinandersetzung um Ausbrüche eines unreflektierten Traditionalismus in einem bürgerlich geprägten Bezirk und deren parteipolitische Nachnutzung handelt.“ So heißt es in einer Broschüre zum Ergänzungsbau. Doch auch Mag. Gerhard Weissenbacher („In Hietzing gebaut“) erscheint der Bau vor allem wegen seines hermetisch flächigen Abschlusses an der Hietzinger Hauptstraße gegen die Sommerergasse, wegen seiner dominanten Farbgebung und auffallenden Materialwahl der Fassadenverkleidung (emaillierte ESG-Glasscheiben) als Solitär und mit wenig Rücksicht auf die zum Teil noch erhaltene, gewachsene Struktur der gebauten Umgebung entworfen. Gemeinsam mit dem 1990 in der Glasauergasse angebauten Turnsaal gab diese Erweiterung der Ober St. Veiter Volksschule die heutige Gestalt.
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Im Anschluss an die kurze Bildungsgeschichte und die Entwicklung des Volksschulblaus werden in der Folge einige Bildungseinrichtungen genauer besprochen.
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Die Volksschule in der Hietzinger Hauptstraße 166. 1990 wurde in der Glasauergasse 4–6 an der Stelle des ehemaligen Armenhauses ein Trakt mit Turnsaal hinzugefügt. Der vorläufig letzte Anbau (hier ganz unten) wurde 1994 fertiggestellt. Zur Zeit der Aufnahme am 23. März 2006 beherbergte der Gebäudekomplex zwei Volksschulen die im selben Jahr zu einer zusammengelegt wurden.
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Das Gebäude Ecke Hermesstraße/Dr.-Schober-Straße war ehemals ein Jägerhaus. Es wurde 1850 erbaut und besaß ursprünglich einen achteckigen Observatoriumsturm, der 1875 abgetragen wurde. Den Bau, der seit der Mauerverlegung außerhalb des Tiergartens liegt, wurde 1938 von der Gemeinde Wien gekauft.
Während des Krieges nahm die Kinderzahl in den Siedlungen des Lainzer Tiergartens sowohl in der Friedensstadt wie auch in der Polizeisiedlung stark zu. Die nächstgelegene Volksschule war in der Speisinger Straße 44 und damit von den Siedlungen ziemlich weit entfernt. Durch die Initiative der Vertreter der Elternschaft wurde im Herbst 1945 eine Notlösung für die jüngsten Schulkinder gefunden. Es wurden zunächst zwei Räume im ehemaligen Forstverwaltungsgebäude des Tiergartens (Hermesstraße 1) behelfsmäßig als Schulzimmer eingerichtet, am 21. Oktober 1945 eingeweiht und am Folgetag als Expositur der VS Speising in Betrieb genommen. Im Winter 1945/46 gab es Heizschwierigkeiten. Es fehlte an Brennmaterial und die uralten Kachelöfen funktionierten schlecht. Die Eltern sorgten für Brennholz, Mütter übernahmen die Bedienung der Öfen und die Reinhaltung
Oben die Waldschule an der Doktor-Schober-Straße nach den Umbauten 1947. © Heimatrunde St. Hubertus.
Links die Waldschule an der
Dr.-Schober-Straße fotografiert am 5. Februar 2015
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des Hauses. Im Mai 1946 wurde vom Bauamt der Stadt Wien der Auftrag zur baulichen Umgestaltung des Hauses erteilt, doch mussten zunächst die Mietparteien (unter anderem die Witwe des ehemaligen Oberforstrates) anderweitig untergebracht werden, bevor der Umbau beginnen konnte. Ein zweiter Winter kam, dessen Schwierigkeiten wieder nur unter werktätiger Beihilfe der Eltern überwunden werden konnte.
Im dritten Winter war der Umbau vollendet. Aus dem finsteren, alten Forstverwaltungshaus ist ein helles, freundliches Haus entstanden, wohl kein Schulhaus gewohnter Art, sondern nur ein bescheidener Erdgeschoßbau mit vier sauberen Schulzimmern und einem Ausspeiseraum. Für die Sommern war geplant, den Unterricht aus den Schulzimmern ins Freie zu verlegen.
Im Oktober 1954 wurde mit einem Neubau begonnen, die Eröffnung als eigenständige Volksschule erfolgte im März 1955. Der Neubau bot auch die Möglichkeit, dass für einige Zeit eine Hauptschulklasse als Expositur der HS Veitingergasse und eine Klasse für gehörlose Kinder eingerichtet werden konnte.
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Die dominikanische Familie mit ihren vielen Verzweigungen gründet sich auf der Augustinusregel, die Papst Honorius III. 1216 der neuen Gemeinschaft gegeben hatte. Aus dem I. Männerorden heraus entstanden nach und nach die weiblichen Kongregationen des II. Ordens mit strenger Klausurverpflichtung und jene des III. Ordens, der sich umfassend der sozialen Arbeit im weitesten Sinn des Wortes, also auch der Schulführung und der Kinderbetreuung widmete.
Nach Wien kamen die Dominikaner bereits 1226, zehn Jahre nach ihrer Gründung, auf Initiative des Babenbergers Herzog Leopold VI., dem „Glorreichen“.
Die Dominikanerinnen vom III. Orden des Hl. Dominikus ließen sich 1870 in ihrem Kloster „Königin des heiligsten Rosenkranzes“ im Vorort Hacking nieder. Ihre erste Priorin, Friederike Fürstin von Auersperg (Schwester Maria Raymunda) kaufte 1869/70 von dem Kaufmann Jakob Gottlieb Rath mit Hilfe eines Kredites mehrere Gründe in Hacking. Dazu gehörten auch bauliche Anlagen, u. a. ein Haus, das sich an der heutigen Stelle Schloßberggasse 17 (früher Wasagasse 1) befand.
Die Umbauten des Hauses Wasagasse 1 zu einem Konvent gestalteten sich wegen unzureichender Bauaufsicht und schwerer
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Schwester Thomasia beim Unterricht im Jahr 1906.
Foto Bezirksmuseum Hietzing
Versäumnisse der Handwerker sehr mühsam. Dennoch konnten 1872 ein Mädcheninternat und 1873 die Volksschule eröffnet werden. Letztere – die sich vorerst mit einer Unterrichtstätigkeit auf dem weitläufigen Grundstück inmitten eines Parks begnügen musste, wurde erst im Folgejahr als dreiklassige Volksschule offiziell eröffnet.
Die Arbeiten für die Neubauten des Schulgebäudes und Pensionates nach Plänen von Baumeister Emmerich Konradi – die alten Anlagen genügten schon damals dem gestiegenen Bedarf nicht mehr – dauerten von 1896 bis 1899. Aber schon 1897 wurde mit dem regulären Unterricht einer fünfklassigen Volks- und einer dreiklassigen Bürgerschule mit Öffentlichkeitsrecht begonnen.
1904 kam ein dreijähriger Fortbildungskurs für nicht mehr schulpflichtige Mädchen dazu. 1907 wurde das zweigeschoßige Schul- und Pensionatsgebäude um ein weiteres Geschoß aufgestockt.
In einem 1913 von den Schwestern gekauften villenartigen Gebäude Ecke Auhofstraße 177/Seuttergasse wurde eine einjährige Haushaltungsschule eingerichtet. Das um 1910 erbaute Gebäude hatte ursprünglich dem Kaufmann Johann Reitter gehört.
1930/31–1934/35 wurde eine zweiklassige Handelsschule geführt und 1933 ein Realgymnasium eröffnet. 1935–1938 führten die Schwestern eine Fachschule für wirtschaftliche Frauenberufe und eine Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe.
Siehe auch:
Mann, Christine und Erwin:
Die Wiener Konfessionellen Schulen und ihr Schicksal 1938–1945. Band 5 von Religion & Bildung, herausgegeben vom Verein der Freunde religiöser Bildung.
2021: LIT Verlag GmbH & Co. KG, Wien.
ISBN 978-3-643-51078-5.
Seite 431 bis 444
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Von Anfang an waren es vor allem Mädchen gehobener Stände, die den Schwestern anvertraut wurden. Als Konversationssprache diente vor allem das Französische, Englisch war Teil des Lehrplans.
Auch in Hacking merkte man, dass sich nach und nach politisch und weltanschaulich etwas änderte: „In der Schule wurde es unruhig. Bei vielen unserer Schülerinnen bemerkte man, dass sie bzw. ihre Familien zur NS-Partei gehörten und im „Führer“ Adolf Hitler ihren Befreier und ihren Gott sahen. Nach dem Einzug Adolf Hitlers in Österreich wurde den Schwestern gesagt, sich ruhig zu verhalten und dann bei der Volksabstimmung sollten sie Adolf Hitler ihre Stimme geben.
1938 musste der Schulbetrieb eingestellt werden. Noch bevor die entscheidenden Erlässe den katholischen Schulen und alle abgelehnten Bittgesuche zugegangen waren, überlegten die Schwestern im Konvent bereits, wie sie alternativ leben und überleben konnten. Eine Gruppe von Schwestern bot sich an, in der Landwirtschaft in der Filiale Kemmelbach zu arbeiten. Damit sollte man sich in diesen schweren Zeiten die Erntearbeiter ersparen.
Ab Sommer 1938 fuhren tatsächlich viele Schwestern nach Kemmelbach. Dort waren 32 Schwestern, allerdings kamen viele von denen, die sich angeboten hatten, kaum oder überhaupt nicht nach Kemmelbach, dafür umso ausgiebiger manch andere. Die Zimmer waren alles eher als wohnlich, die ungewohnten und für die meisten unbekannten Arbeiten sehr anstrengend.
Trotz der Landwirtschaft stellte sich die grundlegende Frage, wie das Leben der Schwestern langfristig abgesichert werden sollte. Nach der Arbeit auf dem Feld mit der Zuckerrübenernte fuhren sie wieder nach Hacking. Für die Wintermonate nahmen sie Heimarbeiten an, nähten, stickten, strickten und malten, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Manche Schwestern nahmen Stellen an als Pfarrhelferinnen und blieben während der nächsten Jahre dort, da sie merken mussten, dass die Arbeit auf dem Feld für sie doch zu anstrengend war. Andere Schwestern gingen in die Lazarette oder in Büros.
Nach Schließung der Schulen im Juli 1938 waren in Hacking alle Gebäude außer der Quadratur des Klosters, dem Priesterhaus und dem Wirtschaftsgebäude beschlagnahmt worden. In den ersten Wochen wohnte die Polizei im Schulgebäude, dann wurde es zu einem Internat für die Hitlerjugend. Die Kapelle im Schulgebäude durfte nur als Lagerraum benützt werden. So blieb es, bis die Front immer näher rückte und die Luftangriffe häufiger wurden.
1944 wurde das Heim von der HJ geräumt und stattdessen wurden 150 unheilbar kranke Frauen gebracht, die von den Schwestern gepflegt werden sollten. Dabei kamen nur die älteren Schwestern in Frage, da die Jüngeren alle im Außendienst standen. 1945, als auch die Lazarette wegen der Frontnähe ge
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räumt werden mussten, kamen die dort tätigen Schwestern zurück und beteiligten sich an der Pflege der Frauen.
Die Hauschronik der Dominikanerinnen, aus der diese Informationen aus der Kriegszeit stammen, erzählt in der Folge besonders ausführlich, wie es den Schwestern in der russischen Besatzung erging.
Am 7. April 1945 kamen die russischen Soldaten vom Lainzer Tiergarten. Die ersten Panzer legten die Planke des Klostergartens nieder und fuhren über die Tempelwiese bis zum Wäscheplatz, wo heute das Pensionat steht. Das russische Heer fuhr mit Panzern und Kanonen durch die Schloßberggasse und Seuttergasse in die Stadt ein. Die SS hatte sich im Schloss des Grafen Van-der-Straten – es stand am Platz des heutigen Jugendgästehauses – verschanzt. Damit entspann sich vor dem Kloster in der Schloßberggasse und Seuttergasse ein richtiger Kampf. Die Kanonen donnerten und die Geschütze flogen. Die Schwesern saßen beim Abendtisch, als es zu dröhnen begann. Mutter Prior schickte alle in den Keller, auch der damalige Hauspriester Lanik kam mit dem Allerheiligsten dorthin.
Es dauerte nicht lange, da wurde an die eiserne Tür, die vom Keller in die Seuttergasse geht, geschlagen. Ein russischer Offizier kam herein, sah sich um, grüßte Herrn Lanik und ging oben durch die Pforte wieder weg. Einen Soldaten stellte er für die Nacht außen an der Pforte als Wache. Die Schwestern meinten, es wäre nicht so schlimm. Sie gingen dann — trotz Schießen und Kanonendonner — wieder aus dem Keller. Zwei Schwestern blieben an der Pforte im heutigen Pfortenzimmer.
Im Laufe des Vormittags des 8. April 1945 hieß es dann auf einmal, dass zwei betrunkene Russen in der Heizung ein Mädchen vergewaltigt hätten. Einmal, als ein Russe in der Schule von Zimmer zu Zimmer ging, ließ sein Verhalten auch die bisher arglosen Schwestern die Gefahr erkennen. Als er einer Schwester nachging, wurde er von Schwestern umringt, die ihn bei der Pforte hinausführten. Von dem Tag an war man nirgends mehr sicher. Jeden Tag kamen Russen durch das Kloster. Die Schwestern getrauten sich nicht mehr, ohne Habit zu schlafen.
Am 9. April 1945 drangen einige russische Partisanen in den Keller ein, wo H. Pfarrer Swiedeck und die Vinzentinerinnen sich wegen des starken Schießens hingeflüchtet hatten. Sie wurden misshandelt. Darauf folgte ein wüstes Treiben in der Küche und H. Swiedeck wurde mit dem Erschießen gedroht. Den Russen wurde erklärt, dass H. Swiedeck kein Nazi war, ja sogar vier Jahre im Konzentrationslager in Haft war. Da ließen sie von ihm ab.
Am 10. April kamen zwei russische Partisanen auch in die Kapelle, wohin sich die Schwestern bei Gefahr flüchteten. Eine Schwester klammerte sich an eine andere, die herausgerissen wurde. Sie wurden mit dem Gewehr bedroht. „Bitte nicht schießen! ... Ja, schießen Sie, aber wir gehen nicht mit“ wurde gerufen und „Mein Jesus, Barmherzigkeit!“ Der Russe wiederholte fra
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gend: „Jeschu?“, schoss er über die Köpfe der beiden weg in die Kapellenmauer und beide liefen bei der Tür hinaus. Die Einschläge – es waren fünf in Halbkreisform – sind zur Erinnerung durch eingeschlagene Nägel gekennzeichnet. Doch für eine der beiden aneinandergeklammerten Schwestern war das Glück nur von relativ kurzer Dauer: Sechs Wochen später, auf dem Weg über ein Feld zum Mittagstisch, fiel sie der Explosion einer Handgranate oder einer Tellermine zum Opfer.
Bei einem anderen Vorfall kam es zu einem Kampf, der mit einer aus Nase und Mund blutenden am Boden liegenden Schwester endete, aber sie hatte sich erfolgreich gewehrt. Die Schwestern wandten sich über Dr. Musger, den Hausarzt, an einen Kommissar, der eine Schrift ausstellte, die das Kloster gegen solche Übergriffe schützen sollte und den Eintritt für Russen untersagte. Doch nützte es nicht viel.
Dann wurde das Schulgebäude zu einem Lazarett für russische Verwundete. Alle schwerkranken Frauen mussten vom Erdgeschoß und 1. Stock alle in den 2. Stock getragen werden. Leute von der Straße mussten den Schwestern dabei helfen. Viele Kranke lagen dann auf zwei Matratzen auf dem Boden. Am 13. April 1945 richteten die Russen ihr Lazarett ein. Der große Saal wurde Operationssaal, die erste Klasse links ein Isolierzimmer. Alle jetzigen Klassenzimmer wurden zu Krankenzimmern gemacht. Die Schwestern mussten die – von den Leuten nicht richtig bedienten – WC wieder in Ordnung bringen und wurden zum Schälen der Kartoffel oder zum Melken der Kühe geholt.
Vor der Josefspforte war ein Kessel aufgestellt, in dem ein Koch für die Russen den „Kascha“ und Suppe kochte. Wenn davon etwas übrigblieb, gab er dies den Schwestern. Die waren sehr froh, denn sie hungerten. Was die Russen nicht aßen, warfen sie im Garten weg. Die Schwestern sammelten die Brot- und Fleischstücke und brachten sie in die Küche. Einmal war es 1/4 einer Kuh, das sie fanden und heimlich in die Küche beförderten. Auch alle schmutzige Wäsche wurde im Garten hinter das Gebüsch geworfen. Die Schwestern holten diese Schmutzwäsche heimlich, wuschen und bügelten sie. Sie bekam so ganze Stöße ordentlicher Wäsche, mit der sie dann später vielen Flüchtlingen helfen konnten.
Einmal in der Nacht des 19. April 1945 schlichen sich sieben russische Offiziere, die ihre Schuhe ausgezogen hatten, in den 4. Schlafsaal (es sind heute die beiden Klassen auf der Südseite links vom Kapellenchor). Die Frauen schrien, doch die nachsehenden Schwestern wurden von einer russischen Wache weggeschickt. Eine junge Frau, die lahm und stumm war, wurde das Opfer für alle sechs Offiziere.
Die Frauen, durch Hunger und Angst geschwächt, starben der Reihe nach. Niemand holte die Leichen, um sie zu begraben. Drei Wochen lagen die Leichen im Depot – es waren schon 18. Endlich, nach fast einer Woche, am 20.April 1945, kam der Pfarrer
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von Ober St. Veit mit einem Russen, Butterwagen und einem Pferd davor. Die Leichen waren in ein Leintuch gehüllt. Durch die außergewöhnlich große Hitze in den Wochen vorher waren sie in Verwesung übergegangen. Die Leichen mussten von den Schwestern auf den Wagen befördert werden.
Als dann wieder sechs Leichen da waren, gruben zwei Burschen ein großes Loch im Obstgarten am Ende des Dominikusweges im Blythgarten und legten sie in diese Grube. Die Russen begruben ihre Toten auf dem Wäscheplatz, wo heute das Internat steht. Nach Kriegsende wurden alle Leichen exhumiert.
Nach dem Abzug des ersten russischen Lazarettes folgte ein zweites. Doch hier war, obwohl viel Angst und Schrecken auszustehen war, der Schutz Gottes über den Schwestern.
Eine glückliche Fügung wird über Kemmelbach berichtet. Dort hatten die Schwestern einige Juden versteckt und diese beschützten nun nach dem Einzug der Russen die Schwestern und den Verwalter des Betriebes. Als die Juden nach Ungarn zurückreisen durften, nahmen sie die beiden am meisten belästigten Frauen als ihre Töchter verkleidet mit sich bis nach Wien. Eines Morgens läutete es an der Pforte und ein Jude übergab die mit Judenstern gekennzeichneten „Mädchen“.
Als Hacking bei der Teilung Wiens unter englische Herrschaft kam, erleichtere sich die Versorgung. Eine der schwer zu ertragenden Umstände war das für einige Wochen fehlende Salz. Eine kurzfristige Erleichterung brachten zugewiesene versalzene Fische. Mit dem Wasser der gekochten Schuppen konnten die Speisen gesalzen werden, doch dann fischelte alles.
Die fremde Besatzung hatte allerdings genug Salz. Eines Tages, als deren Auto in der Seuttergasse ins Rutschen kam, nahmen die Soldaten einen Sack Salz von ihrer Ladung und streuten ihn vor die Räder. Die Schwestern kratzten das Salz von der Straße und lösten es in Wasser auf. Nachdem sich die Erde abgesetzt hatte, konnte das salzreiche Wasser zum Kochen verwendet werden.
Ende Juli oder Anfang August 1945 hieß es, dass die Orden im Herbst den Schulbetrieb wieder aufnehmen können. Nach schwerem Abschied von den kranken Frauen – für sie wurden Krankenheime gesucht – wurde sukzessiv mit dem Wiedereinrichten der Schlaf- und Klassenzimmer begonnen.
Im September 1945 konnte der Schulbetrieb in allen Schultypen wieder aufgenommen und auch das Internat eröffnet werden. Das Schuljahr begann mit sieben internen Kindern und es meldeten sich immer mehr. Ein Raum nach dem anderen wurde wieder dem ursprünglichen Zwecke zugeführt. Auch das Noviziat konnte wieder eröffnet werden.
Gerne erinnerte man sich an den deutschen Provinzial, den Dominikaner Pater Marianus Vetter OP. Als Domprediger von Bamberg hatte er Redeverbot und war des Landes verwiesen worden. Er hielt sich in Wien auf und war in der NS-Zeit oft und längere Zeit in Wien-Hacking, wo er die Schwestern Dominika
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nerinnen all die schweren Jahre hindurch durch Vorträge und als Beichtvater geistlich begleitete.
Nach dem Krieg totgesagt – er soll von den Nazis umgebracht worden sein –, erschien er bei seinen Konventen in Deutschland und war erstaunt ob seiner posthumen Berühmtheit und der vielen Requien und hl. Messen, die für seine Seelenruhe gefeiert worden waren. Er verstarb 1968 in Augsburg.
Im Schuljahr 1963/64 begannen die Dominikanerinnen eine zweite Form des Gymnasiums, das Wirtschaftskundliche Realgymnasium.
Wegen der Raumnot wurde von 1964 bis 1966 ein neues Internat nach Plänen des angesehenen Architekten Gustav Peichl erbaut. Die Aufgabe des Architekten bestand darin, für hundert Mädchen im Alter von sechs bis 18 Jahren in Berücksichtigung des pädagogischen Konzeptes einer Wohnraumschule eine Anlage mit möglichst übersichtlichem Grundriss zu schaffen. Hiebei sollte die Hanglage ausgenützt und der vorhandene Baumbestand berücksichtigt werden.
Im zweiten Stock des Schulgebäudes wurden Räume für Klassen frei, auch die Mansarde wurde ausgebaut Zwei Handarbeitszimmer und eine Mineraliensammlung fanden dort Platz. Seit 1966 können Parallelklassen geführt werden.
Im Internatsgebäude befanden sich ein großer Turnsaal sowie eine moderne Küche und ein weiträumiger Speisesaal für die internen und halbinternen Schülerinnen. Bald konnte ein großer Sportplatz im Gartengelände eröffnet werden. Er war seitdem auch oft Austragungsort schulübergreifender Wettkämpfe und Wettspiele, wobei es für „unsere“ Schüler viele Siege und Preise gab.
Im Untergeschoß des Hauptgebäudes wurden Physik- und Chemieräume gebaut, der ursprüngliche Festsaal im Erdgeschoß wurde unterteilt und umfunktioniert zu Musikzimmer und Raum für Ballettstunden, aber auch Lehrer-Sprechstunden. Der eigentliche Festsaal befand sich ja im neuen Internat, ausgestattet mit großer Bühne und über 270 Sitzplätzen sowie – nach dem Brand 1987 – mit moderner Technik.
Der Schulalltag mit seinem umfangreichen Arbeitspensum wird immer wieder durch besondere Leistungen und Darbietungen wie alljährlich Theateraufführungen der Schüler, die traditionelle große Adventfeier, Sportfeste, Unterrichtsprojekte, Teilnahme des Schulchores am Bezirksjugendsingen aufgelockert. Darüber hinaus gibt es Malwettbewerbe, Fotowettbewerbe, gelegentlich Konzerte der Schüler, religiöse Einkehrtage, Schullandwochen, Schülerreisen, Auslandsaufenthalte (Schüleraustausch mit fremdsprachigem Ausland) etc.
Nach langem Überlegen und starkem Drängen der Eltern wurden auch Buben in die Schule aufgenommen, 1988 in der Hauptschule beginnend, 1989 im Gymnasium, 1990 in der Volksschule.
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Das Wissen um die große Bedeutung der Bildung zeigte sich auch immer wieder im genossenschaftlichen Bereich. Ein Beispiel ist die „Siedlung Auhofer Trennstück“ (SAT). Schon seit dem Bestehen des Siedlerheimes am Sillerplatz 1922 wurde in Veranstaltungen Bildung vermittelt und 1945 wurde erneut mit dem Aufbau einer Leihbücherei begonnen. Die heutige, 1974 anstelle der früheren Gärtnerei Spurny an der Hofwiesengasse in Speising errichtete Volkshochschule Hietzing ist die Nachfolgeorganisation dieses Vereines. In den Neubau wurde auch die in der Siedlung Lockerwiese (erbaut 1928–1932 mit Erweiterung 1938–1939) in der Faistauergasse entstandene Leihbücherei übersiedelt. Jetzt befindet sie sich in einem Neubau in der Preyergasse. Übrigens hatte es schon 1931 den Plan gegeben, in einer modernen Villa in der Hofwiesengasse 29, errichtet von Alois Plessinger, eine private „Volksbibliothek“ einzurichten.
Im großen Saal der Volkshochschule fanden auch viele Theatervorstellungen statt, vor allem vom „Volkstheater in den Bezirken“. Bis zum Beginn der Renovierung des in die Jahre gekommenen Gebäudes der Volkshochschule Hietzing im Jahre 2022 hatte das Volkstheater zuletzt an vier aufeinander folgenden Tagen das Hietzinger Publikum in den Bann gezogen.
An weiteren jüngeren Institutionen ist auf die Schumpeter-Handelsakademie hinzuweisen, die sich seit 1982 im Gebäude des früheren Taubstummeninstitutes in der Maygasse befindet, und auf die seit 1989 in der Bergheidengasse angesiedelte Schule für Tourismus und Wirtschaft (HLTW).
Andere wichtige Veranstaltungsräume sind die Festsäle des Hietzinger Amtshauses, des Bezirksmuseums sowie des Orthopädischen Spitals.
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Ein großes Angebot von Wahlpflichtfächern und Freigegenständen soll den Oberstufenschülern mehr Freiheit geben, der Unterricht erfolgt in kleineren Gruppen und die Schüler können sich spezialisieren. Es werden dadurch mehr Räume gebraucht, zum Beispiel eine neue Schülerbibliothek, EDV Räume, Werkraum, modernes Musikzimmer (in der Mansarde mit Schlagzeug und modernen Instrumenten).
Seit Schulbeginn 1992 gibt es kein Internat mehr. Dieses gab es in verschiedenen Ausformungen von 1874 bis 1992, also 118 Jahre lang. Es hatte vielen Schülerinnen Heimat geboten, zeitweise das Elternhaus ersetzt. Nun aber war es stark rückläufig und erübrigte sich allmählich. Die dadurch gewonnenen Räumlichkeiten kommen der Schule zugute.
2008 gründeten die Schwestern den „Schulverein der Dominikanerinnen“, um das Schulzentrum gemeinsam mit kompetenten Laien in eine gute Zukunft zu führen.
Heute werden ein Kindergarten (seit 1970), eine Volks- und Mittelschule, ein Neusprachliches und Wirtschaftskundliches Gymnasium, ein Hort- und Tagesheim und eine Fachschule sowie ein Aufbaulehrgang für wirtschaftliche Berufe angeboten.
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Der Fokus dieses Kapitels liegt weniger auf den bekannten oder sogar berühmten Proponenten der einzelnen kulturellen Gattungen, die in unserer Region geboren wurden oder gelebt hatten, deren Interessen aber außerhalb Hietzings lagen. Solcher Zelebritäten rühmen sich die Kommunen gerne, doch heimatkundlich – und dies ist ein Geschichtsbuch – sind sie wenig ertragreich. Als Paradebeispiele können die Maler Klimt und Schiele genannt werden – ihre Bekanntheit ist schon aus den redundanten Vornamen ersichtlich – doch kenne ich kein Bild von ihnen mit einem Hietzinger Motiv.
Natürlich sollen diese nicht außer Acht gelassen werden, vor den Vorhang geholt werden aber vor allem die weniger Bekannten oder gar Unbekannten, die sich um die Region verdient gemacht haben.
Vorweg aber ein paar Worte zum Hauptereignis des Wiener kulturellen Jahreskreises, den Festwochen: „Mögen Wien, die herrliche Stadt am Donaustrande, und Niederösterreich, das blühende Land der Berge und Burgen, durch die Festwochen viele neue Freunde gewinnen, die gerne und bald zu uns wiederkommen“. So beschrieb Bundespräsident Michael Hainisch den Zweck der Festwochen, als sie 1927 in Niederösterreich und Wien veranstaltet wurden. Ab 1929 fanden sie nur mehr in Wien statt. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es 1947 eine Musik- und Theaterfestwoche, ab 1951 wieder die neugegründeten Festwochen. Am Abend des 26. Mai, nachdem die Fanfaren vom Rathaus das große Ereignis angekündigt hatten, wurden die „Wiener Festwochen 1951“ – das „Evangelium des Frohsinns im Unsterblichen Wien“ (Neues Österreich vom 27. Mai 1951) – von Bundeskanzler Figl und Bürgermeister Körner im Beisein der politischen, diplomatischen und kulturellen Prominenz des Landes eröffnet.
An den Festwochen beteiligten sich viele kulturelle Einrichtungen Wiens (die Staatsoper noch im Theater an der Wien) mit Sonderveranstaltungen, im folgenden Jahr 1952 sogar „mit einer Flut von Konzerten, allerdings auch im Zusammenhang mit den gleichzeitig stattfindenden Kongressen der Musikgelehrten und der Konzertveranstalter.
Doch auch die Bezirke beteiligten sich, die Hietzinger Bezirksvorstehung 1952 mit einer Ausstellung von Bildern in Hietzing wohnender Künstler. Genannt wurde Werke von Theiß und Jaksch (evangelische Kirche), Lippert (St. Hubertuskirche), Kreiner (Landschaften), Passini (Schreberhütten im Schnee); Richter (Tiroler Bergwald), Lex (Straßenbilder), May (Schönbrunn), Schönthal (Feder- und Kreidezeichnungen, Aquarelle) und Cary
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Frühlingsblumen, Ölmalerei von Alois Weissenbacher 1955.
Dieses Bild, das ich für den Umschlag dieses Buches ausgewählt habe, wurde auch während der
Wiener Festwochenausstellung 1956 in Hietzing gezeigt.
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Hauser (Schablonendrücke der Madonna und eines Kindes mit Hund).
Für die Wiener Festwochen 1956 wurde begonnen, alle künstlerisch wertvollen und für die Entwicklung der Stadt Wien bedeutenden Gebäude mit einem Emblem zu kennzeichnen und mit einer kurzen Erklärungstafel zu versehen. Die kurzen, von Dr. Robert Waissenberger verfassten Texte wurden Bezirksweise geordnet auch als Katalog aufgelegt.
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Foto der beflaggten Schönbrunner Schlossbrücke zur Zeit der Wiener Festwochen 1955. Das Schloss Schönbrunn war ebenfalls ein Veranstaltungsort während der Festwochen.
Foto: Leahy
Wien war damals noch von den Verheerungen des Zweiten Weltkrieges gezeichnet, hatte aber schon längst seine Anziehungskraft für Musikbegeisterte aus der ganzen Welt zurückgewonnen. Ein Beispiel ist Dr. Edwin Stein, Vorstand des „Department of Music“ der Universität von Kentucky. Nach seiner Rückkunft aus Wien saß er an seinem Schreibtisch im Fine Arts Building der Universität von Kentucky und sagte: „Wien ist ein Paradies für einen Musiker.“ Als Johannes Brahms ein Jahrhundert vorher über das gleiche Thema sprach, sagte er: „Wien ist des Musikers heilige Stadt.“
Doch warum war Wien solch ein Paradies für Dr. Stein? Weil er soviel Zeit wie er wollte in ununterbrochener Forschung verbringen konnte. Er konnte die Originalpartituren der großen Werke Beethovens und Strauss' angreifen und lesen. Er konnte die Kirchen besuchen, wo die Komponisten den Gottesdienst besuchten, spielten und begraben wurden.
Herr Stein hatte sich als Fulbright Forschungsstipendiat qualifiziert und war zum Thema der Musik des 16. Jahrhunderts nach Wien entsandt worden. Seine Frau und seine vier Töchter im Alter von 11, 9, 8 und 5 Jahren hatten ihn begleitetet. Vermittelt durch Wiener Freunde hatten sie das ehemalige Wohnhaus von Pepi Kramer-Glöckner in Ober St. Veit gemietet.
Das war im Jahr 1954, als sich am ersten Tag eines jeden Monats beim Winterpalais eine seltsame Zeremonie abspielte, mit
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der das Kommando über Wien von einer Großmacht an eine andere „mit bissigem Gruß“ übertragen wurde. Als am 5. November 1955 die ausgebombte Staatsoper wiedereröffnet wurde, war Dr. Stein zu seinem Leidwesen wieder zu Hause. Mit der ersten Vorstellung im rekonstruierten Opernhaus – Beethovens „Fidelio“, das seine Premiere in Wien zu Lebzeiten des Komponisten gehabt hatte – konnte die neue Freiheit neuerlich erlebt werden.
Doch die unvergesslichste Erfahrung, die Dr. Stein mit Wiener Bürgern teilte, waren die Minuten der musikalischen „Fachgespräche“, die die Tiefe des Musikwissens der Geschäftsleute zeigte. Die vielleicht signifikanteste Unterhaltung war ein Gespräch beim Ober St. Veiter Fleischhauer Schenker:
Fleischhauer: Oh, guten Morgen Herr Professor, was haben Sie letzte Nacht gehört?
Stein: Das war die „Zauberflöte“, letzte Nacht.
Fleischhauer: Und sang auch (er nannte einen speziellen Opernstar)?
Stein: Nein (er zählte die Künstler auf).
Der Fleischhauer seinen Kopf schüttelnd: Oh, Professor, es ist zu schade, dass Sie den anderen nicht hören konnten.
Und damit beugte er sich über die Fleischtheke und startete einen technischen Vergleich der beiden Sängerstimmen.
Der Abteilungsleiter der Universität lehnte sich zurück und überlegte: „Da gibt es wirklich einen Unterschied zwischen Wien und anderen Musikzentren der Welt. Wien ist Musik plus Begeisterung.“
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Einige der unzähligen verdienstvollen Autoren wurden bereits in der Einleitung und im Kapitel zu den Wurzeln der Heimatkunde ab →Seite 18 genannt. Dieses Kapitel mit seinen zahlreichen Literaturhinweisen vertieft das weite Spektrum, das mit den Eintragungen und Chroniken in Pfarrbüchern beginnt und die von separaten Veröffentlichungen diverser Kirchenmänner begleitet werden können. Der weite Bogen spannt sich dann von den frühen Erzählungen über Reisen in unsere Region – etwa in der Form der Hans-Jörgel-Briefe –, über die anekdotischen Beiträge von Regionaldichtern wie dem Heimattreuen Ober St. Veiter Vinzenz Jerabek, über die literarisch festgehaltenen Berichte von Gästen aus aller Welt, vor allem zu Schönbrunn und Alt-Hietzing, über die journalistischen Höhenflüge zum Beispiel eines Wilhelm von Appel, bis hin zu den unzähligen biografischen Arbeiten von Menschen aus der Region, oft von sehr hohem Niveau und höchst informativ, aber selten einen größeren Bekanntheitsgrad erreichend.
Um die Literatur verdient gemacht haben sich allerdings auch jene Leute, die den Menschen den früher nicht so einfachen Zugang zu Literatur erleichtern wollten: Die Volks- und Jugendbibliothekare wie zum Beispiel Othmar Winkler und Theo Stöhr in der Ober St. Veiter Bücherei.
Zu einem Hauptgegenstand in hochgelobten Klassikern der Weltliteratur hat es erstaunlicher Weise kein Bezirksteil Hietzings, nicht einmal Alt-Hietzing selber, gebracht. Auf der Suche nach solchen Werken erlaube ich mir, einen ebenfalls sehr um Hietzing verdienten Autor zu begleiten: Gunther Martin. In seinen 1989 veröffentlichten „Hietzinger Geschichten“ hat er diese Suche in eine Art Literaturrätsel mit dem Titel „Wo geschah das Mangobaumwunder?“ gekleidet.
Er beginnt sie mit der Feststellung „Wie seltsam, dass die Atmosphäre Hietzings, dieser so deutlich spürbare Genius Loci selbst, nie zu epischer Darstellung anregte. Im österreichischen Schrifttum gibt es keinen Roman von Rang, in dem Hietzing als Umwelt eine so wesentliche eigene Rolle spielen würde wie etwa die Strudlhofstiege und die Stadtgegenden zwischen Porzellangasse und Lichtenwerd im Werk und Leben Heimito v. Doderers...“
Doderers als Fragment hinterlassenes Projekt „Der Grenzwald“ hätte „... ein in den typischen Erscheinungsformen wurzelnder, den Ortskundigen als authentisch ansprechender und dabei in seiner Bedeutung überregionaler Hietzinger Roman ...“ (puh, fast ein Dodererscher Satz) werden können. Als Haupt
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schauplatz hatte er die ältere der beiden Otto Wagner-Villen in Hütteldorf vorgesehen. Doch erstens konnte Doderer diesen Roman nicht mehr vollenden und zweitens war Hütteldorf nur bis 1938 ein Teil von Hietzing.
Und Elias Canetti, der als junger Mann ab dem Frühjahr 1927 in der Hagenberggasse wohnte, ging auf sein damaliges Ambiente nur in einzelnen Kapiteln der autobiographischen Bücher „Die Fackel im Ohr“ und „Das Augenspiel“ ein. In dem Abschnitt „Der Blick auf Steinhof“ seiner „Fackel im Ohr“ porträtierte er die Inhaber des Milchgeschäftes, in dem er sein Frühstück einzunehmen pflegte. Es handelt sich möglicherweise um die Meierei Alois Winter in der Auhofstraße 191. Hier ein Ausschnitt daraus:
In der Auhofstraße, fünf Minuten von mir den Hügel hinunter, war eine Molkerei, in der man Joghurt, Brot und Butter bekam, die man am einzigen Tischchen des Ladens, auf dem einzigen Stuhl sitzend, in Ruhe zu sich nehmen konnte. Da aß ich mein Frühstück, bevor ich ins Laboratorium fuhr. Wenn ich zuhause blieb, kam ich auch später untertags und lebte in diesen Jahren gerne von Joghurt und Butterbrot, denn was immer ich mir ersparen konnte, blieb für Bücher.
Frau Fontana, die diese Filiale der Molkerei betrieb, hatte nichts mit Frau Schicho (Anm.: die Hausbesorgerin in der Hagenberggasse 48) gemein. Ihre Stimme war so spitz wie ihre Nase, die sie in alles hineinsteckte. Während meines Mahls erfuhr ich Details über jeden Kunden, der das Lokal verließ, und über jeden, der voraussichtlich erscheinen würde. Wenn diese Gegenstände erschöpft waren, was gar nicht so rasch geschah, kam ihre Ehe an die Reihe, es war da von Anfang an nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen. Frau Fontanas erster Mann war in russische Kriegsgefangenschaft geraten und nach Sibirien gekommen, wo er einige Jahre verbrachte und dann an einer Krankheit starb. Ein Freund von ihm war spät von dort zurückgekommen, mit letzten Grüßen, seinem Ehering und einem Foto, einem Gruppenbild, auf dem man den Verstorbenen, seinen Freund und andere Gefangene sah, es war ein kostbares Bild, von dem der Besitzer sich nie trennte, obwohl er es gern herzeigte. Alle hatten sich Bärte wachsen lassen und zu erkennen war keiner. Der Besitzer pflegte auf einen Bart zu zeigen, den zweiten unten von rechts, und sagte: „Des war i! Kennen S’ mi net? Ja, das waren Zeiten!“ Dann nahm er eine feierliche Miene an und zeigte auf einen anderen Bart, den zweiten unten von links, und erklärte: „Und das war mein Freund und Vorgänger, sagen S’ ruhig der erste Herr Fontana, aber natürlich hat er anders g’heißen. Da fragen S’ besser die Frau. Die weiß ein hohes Lied von ihm zu singen.“ ...
Dann vertieft sich Gunther Martin in seinen Hietzinger Geschichten in eine Gestalt aus der österreichischen Literatur des 20.
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Siehe auch Gunther Martin: Gemeinsam mit seiner Mutter Andy von Zsolnay (1876 - 1956) führte der Verleger in seiner Hietzinger Villa einen geistigen Salon für Autoren und andere Prominenz. Solche Zusammenkünfte schilderte Elias Canetti in seinem autobiografischen Buch „Das Augenspiel“. Maxingstrasse 24, 1945 zerstört, auf dem Areal ist heute ein Wohnhausbau.
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Jahrhunderts: in Leonidas aus Franz Werfels Erzählung „Eine blassblaue Frauenschrift“. Es ist die Geschichte eines Mannes – Leonidas – der Karriere machte, sich gut verheiratete und nun, im Oktober 1936, völlig überraschend seiner einstigen großen Liebe begegnet, einer jüdischen Ärztin, die schon an die Emigration denkt, bevor sie dazu gezwungen werden könnte. In Leonidas' Umwelt dient Hietzing wenigstens als Hintergrund, seine Adresse ist etwa im Viertel der Gloriettegasse zu verorten.
In dem Roman sind Momente eingefügt, in denen Leonidas vor einer Unterredung durch Schönbrunn geht: „Endlos schwang sich die Allee zwischen barock geschnittenen Taxusmauern in eine verzeichnete Ferne. Dort irgendwo im dunstig Leeren hing die Gloriette, ein baulicher Astralleib, das Gespenst eines triumphierenden Jubeltores, das ohne Zusammenhang mit der entzauberten Erde in den wohlgeordneten Himmel des Ancien regime zu führen schien.“ Über all dem liegt Hietzinger Herbststimmung. Auch der Ort des Treffens ist mehr oder weniger frei der damaligen Realität entnommen: das Parkhotel, gegenüber dem Hietzinger Tor von Schönbrunn. Die Einrichtung des „Gesellschaftszimmers“ ist eher pompös mit Möbeln wie „mürrische Festungen einer verschollenen Repräsentation ins Ungewisse ...“. Leonidas selber jedoch spielt sich gedanklich mit einer Selbstdarstellung im selbstironischen Extempore als ein Hietzinger, ergo schon fast als einen Landbewohner.
Ein viel früher entstandenes Buch eröffnet Einblicke in ein ganz mysteriöses Hietzing. Es stammt größtenteils von Leo Perutz, dem 1957 verstorbenen bedeutenden Erzähler aus dem Prager Kreis, einem Meister der Schilderung des Zwielichtigen, Geheimnisvollen. Perutz, der als Experte für Versicherungsmathematik in Wien lebte und in diesem ausgefallenen Fach sogar eine nach ihm benannte „Ausgleichsformel“ entwickelte, tat sich nach der Veröffentlichung seines ersten historischen Romans „Die dritte Kugel“ zu Beginn des Jahres 1915 für ein neues Projekt mit dem Autorenkollegen Paul Frank zusammen. Im Doppel also verfassten Perutz und Frank binnen weniger Monate den Roman „Das Mangobaumwunder“. Wie diese Zusammenarbeit konkret ablief, konnten – laut Gunther Martin – selbst tiefschürfende Germanisten nicht ermitteln, weil Perutz es zeitlebens vermieden haben soll, Autobiographisches aufzuzeichnen, und Frank seine Angaben auf den allgemeinen Modus beschränkte, den sein Freund strikt einhielt: „Er hat weder die Erfindung der Schreibmaschine noch die der Füllfeder zur Kenntnis genommen. Für ihn existierten nur die Stahlfeder und das dazugehörige Tintenfass ...“
Die Grundidee für „Das Mangobaumwunder“ stammte wohl von Perutz selbst. Als Szenerie der rätselhaften Begebenheiten wählten die Autoren eine Hietzinger Villa, deren Milieu so genau beschrieben wird, dass ein Bühnenbildner den Raum nach den Angaben ohne weiteres aufbauen könnte. Die „unglaubwürdige Geschichte“ – so der Untertitel des Buches – spielt in einem
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feudale Hauswesen mit absonderlichen Bewohnern unter Einflüssen indischer Mystik und exotischer Geheimlehren und ein Wissenschaftler mit gewissen Subtalenten zum Meisterdetektiv, der stante pede als der einzige Retter zu Hilfe gerufen wird, eilt von seiner eleganten Junggesellenwohnung in der Inneren Stadt per Automobil nach Hietzing, durch eine lange Allee – die Maxingstraße? Oder die Auhofstraße?
Der Lösung des im Roman aufgebauten Rätsels findet sich in einem phantastischen Treibhaus, im Stil eines indischen Tempels erbaut. Im großen Garten der Villa stand der indische Urwald, anders konnte man dieses blühende, duftende, rauschende, in tausend Farben leuchtende Stück Wildnis nicht bezeichnen. Der Urwald von Ceylon, durch ein Wunder aus Tausendundeiner Nacht hierher verpflanzt! Ein gewaltiger Mangobaum stand mitten im Treibhaus. Um den Baumstamm ein grüner Schleier, der über die Äste des Baumes geworfen war. Und aus diesem grünen Meer leuchtete in hundert Farben das Blütenwunder des indischen Urwalds hervor, unter anderem mit einer Orchidee, die niemand kannte...
Bei Romanen, die in textliche Wochenrationen geteilt, in großen deutschen Illustrierten abgedruckt wurden – eine Publikationsform, die später auch Perutz zu einem Lieblingsautor weiter Leserkreise machte – pflegte man an spannenden Stellen den Hinweis „Fortsetzung folgt“ einzufügen.
Der Ort, an dem die Handlung des Romans möglich gewesen wäre, ist wohl in Hietzing ausfindig zu machen – meint zumindest Gunther Martin. Doch leider fehlen präzisere Orientierungshilfen für allfällige Fahndungen ...
In anderen Kapiteln seiner „Hietzinger Geschichten“ geht Gunther Martin auch auf andere hier – zumindest zeitweise – beheimatete Autoren ein, wie Otto Stössl oder Hermann Bahr. Letzterer ging die Strecke von Hietzing bis in die Winzerstraße oft zu Fuß, das fördert die Kraft des spontanen Einfalls, des Gedankenblitzes. Beide Autoren befassten sich auch mit Plänen, das Wesen und Leben ihrer Zeit in Romanen zu schildern. Otto Stössl realisierte dies in seinem Roman „Das Haus Erath“, dieser spielt allerdings im Brillantengrund. Hermann Bahrs schrieb sieben Bücher zu diesem Thema, und eines davon, das dritte – „O Mensch“ – spielt zur Gänze in Ober St. Veit. Allerdings ohne die Gegenden und Abläufe topographisch präzise beim Namen zu nennen. „... jene schöne Zone zwischen Kirche und den noch höher gelegenen Hängen vor dem Lainzer Tiergarten ...“. heißt es zum Beispiel. Ach die Charaktere des Romans sind Ober St. Veit in keiner Weise zuordenbar.
Einmal trägt ein Herr Hofrat, der sich selber versäumt hat, seine Melancholien hinauf nach Ober St. Veit. Dort schritt er mit einem Fräulein – vielleicht ist es noch nicht zu spät – den engen Weg zur Kirche hinab. „Hier ist alles durcheinander: noch sind aus der alten Zeit, als das ein Dorf von Weinbauern war, klei
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ne Häuser geblieben, gelb oder weiß oder blau getüncht, mit ein paar Blumenstöcken in den engen Fenstern, aber daneben sind andere, die sich schon eher als Villen benehmen, eine halb schweizerisch, die nächste mehr barock, keines ganz sicher, ob es eigentlich ein Jagdschloss oder ein Waldschlössl, mehr ländlich oder mehr fürstlich sein soll, alle vor dreißig oder vierzig Jahren erbaut, damals als der Ort auf einmal den Ehrgeiz bekam, eine Sommerfische zu werden. So stehen hier Vergangenheit und Gegenwart durcheinander.“ Dies ist die einzige Schilderung mit deutlichem Lokalkolorit
Ein fiktiver Ober St. Veiter Bahrscher Prägung ist der Nusserl, ein geselliger Einsiedler, der auf Haselnussbutter schwört, daher sein Name. Der Prototyp eines Aussteigers, der niemals eingestiegen war, und von dem auch der Romannamengebende Ausspruch „O Mensch!“ stammt. Ganze Tage und halbe Nächte verbringt er droben auf den Wiesen des Himmelhofs und in den Forsten des Tiergartens. Der Wind, der in Ober St. Veit so oft über den Berg niederfährt, weckt im Nusserl Visionen von Elementargeistern.
Insgesamt bringt Bahr in „Oh Mensch!“ kaum Genrebilder des Ortes, in dem er Jahrelang wohnte, dennoch bleibt nach Ansicht Martins das Landschaftliche und die Atmosphäre wie ein Hintergrundprospekt spürbar. Man sieht die Charaktere des Buches vor sich, eingebettet etwa in das Viertel um die Veitlissengasse. Wirklich real erscheint in dem heute vergessenen Buch wohl nur das Haus mit seinem steil in die Luft ragenden Dach, auf der Hut vor der Nacht.
Über die von Martin genannten Namen hinaus sind es unzählige mehr oder minder bekannte Proponenten des geschliffenen Wortes, die selber oder deren Romanfiguren kurz im mondänen Alt-Hietzing um Kaiserschloss und Dommayer verweilten. Dem „Genius Loci“ des Ortes wird allerdings mit unterschiedlicher Ehrfurcht begegnet, von der majestätischen Stimmung des einen bis zur Verachtung für Zoobesucher des anderen. Wenige bestreifen die ländlicher gebliebenen Teile Alt-Hietzings und noch weniger verirren sich in die anderen Dörfer bzw. Teile des Bezirkes.
Als Wohnort wurden die ländlichern Gegenden sehr wohl gesucht, natürlich auch von Schriftstellern, die Beispiele Bahr, Canetti und Stössl hatten wir schon. Zurück zu Elias Canetti: Er ist ein Beispiel dafür, dass prominente Schriftsteller einer von ihnen beschriebenen Region nicht nur etwas gegeben haben, sondern die jeweilige Region sie auch beflügeln konnte. Ja sogar: Ohne des besonderen Einflusses eines Ortes hätte es das eine oder andere klassische Werk gar nicht gegeben.
Elias Canetti beschäftigte sich ja sehr mit der Beobachtung von gemeinsam agierenden Menschenmassen (Arbeiterproteste und Aufstände etc.). Sie führten zu seinem Werk „Masse und Macht“. Ein ähnliches Phänomen waren die erregten Menschenmassen auf dem Fußballplatz. Nicht weit von seinem Zimmer
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in der Hagenberggasse, auf der anderen Talseite, lag der Rapidplatz. Fußball interessierte Canetti nicht, doch wurde es zu seiner Gewohnheit, jeden Woche von seinem Fenster aus den Lauten von drüben zuzuhören, auch während er an anderen Projekten arbeitete, den Platz sehen konnte er nicht. Er hörte zwei Massen, so wie wir sie noch heute hören können, die er später als Doppel-Masse begriff und zu schildern versuchte. Diese Kulisse wurde für ihn zu einer Art Nahrung, die sein Interesse an diesem Thema wach hielt. Somit verdankte er ausgerechnet der von ihm gesuchten Absonderung am Rande der Stadt die Impulse, die kein Entkommen zu bequemeren Vorhaben zuließen.
Ein Beispiel für die eingangs erwähnten über die Eintragungen in den Pfarrchroniken hinausgehenden und regionalgeschichtlich sehr ergiebigen Beitrag der „Kirchenmänner“ sind die Regesten zur Geschichte von Hietzing von Dr. Wolfgang Pauker. Er war regulierter Chorherr des Stiftes Klosterneuburg und war wohl der Erste, der auf Basis seiner Recherchen geschichtliche Beiträge zur Gründung der Pfarre Hietzing und auch einiges zur Ortsgeschichte Hietzings veröffentlicht hatte. Sein Werksverzeichnis auf sacra.wiki enthält folgende Beiträge zu Hietzing:
Die Abdrucke im „Vaterland“ wirken spontan und waren als frühe Veröffentlichung einer späteren, ausgereiften Publikation gedacht. Die „Beiträge zur Orts- und Pfarrgeschichte von Hietzing“ in „Unsere Heimat“ 1929 beschränken sich auf das Kapitel I mit der Pfarrgeschichte, eine zu erwartende Fortsetzung mit der Ortsgeschichte gibt es nicht. Überhaupt handelt es sich bei den Ausführungen Dr. Paukers um die Geschichte der Hietzinger Kirche und um Auszüge aus dem Schicksal des habsburgischen Kaiserhauses, welche vor allem die damalige Frömmigkeit erhellen.
Sie erhellen aber auch sehr detailreich die letzten Akte der Auseinandersetzung mit der Pfarre Penzing und dessen Pfarrer Anton Kick bis hin zu der am 4. April 1786 erreichten Selbstständigkeit der Pfarre Hietzing. Die neue Pfarre umfasste den Ort Hietzing mit 480 Seelen, Schönbrunn mit 285 Seelen und 6 Häuser von Unter-St. Veit mit 74 Seelen, zusammen also 839 Seelen. Das Patronat über die neue Pfarre erhielt das Stift Klosterneuburg, denn auf Grund eines Hofdekretes vom 26. April 1783 wur
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Siehe:
Elias Canetti, Die Fackel im Ohr. Lebensgeschichte 1921–1931, Fischer Taschenbuch. Frankfurt am Main 1982. S. 219-222)
Diesen Teil seines autobiografischen Werkes, in dem er über die Jahre von 1921–1931 berichtet, benannte er nach der von Karl Kraus herausgegebenen Zeitschrift „Die Fackel“.
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den die neugegründeten Pfarren in der Stadt als landesfürstliche Pfarren angesehen, jene hingegen in den Vorstädten in Bezug auf das Jus praesentandi der betreffenden Grundobrigkeit überlassen. Der erste Pfarrer von Hietzing hieß Eugenius Desebruch.
Ein mitunter sehr lebendiges Bild von unserer Region und deren Bewohner überlieferten frühe Reisebeschreibungen und ähnliche Aufzeichnungen. Eindrücke von den verschiedensten Besuchern, meist hatte sie das mondäne Hietzing angelockt, wurden an verschiedensten Stellen dieses Buches eingeflochten. In diesem Abschnitt wird auf oft veröffentlichte Eindrücke von Menschen eingegangen, für die das Reisen oder Wandern selber im Zentrum ihres Interesses stand. Auch sie wurden teilweise genannt und auch schon zitiert, hier folgt der Versuch einer abgerundeten Erweiterung.
Es war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Einstellung zum Reisen einen grundlegenden Wandel erfuhr: Das Reisen verlor seinen Ruf als ein notwendiges Übel und wurde zunehmend als Möglichkeit empfunden, Unbekanntes und Schönes im In- und Ausland kennenzulernen. Es waren auch die Lebensbedingungen und die politischen Verhältnisse in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die einen Ausflug in die Natur und weg von den alltäglichen Unannehmlichkeiten förderten.
Das ebenfalls förderliche damalige Erwachen der Heimatliebe und des Interesses an der eigenen Heimat wurde schon öfters erwähnt. „Der Mensch prägt seine Umwelt und wird von ihr geprägt. Das Kennenlernen eines Landes ist daher stets auch mit dem Erfassen der Charakteristika seiner Bewohner verbunden.“ So beschreibt Frau Dr. Isolde Cronemann in ihrer Dissertation den Fokus vieler Reiseberichte. Folgende Autoren sind mit folgenden Veröffentlichungen als Reiseschriftsteller zu nennen:
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Aus der Beschäftigung mit Reiseberichten während der Biedermeierzeit ragt die Dissertation von Isolde Cronenberg „Das Viertel ob dem Wienerwald in Reisebeschreibungen der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts“ heraus. Auszugsweise wurde sie in „Unsere Heimat“. Zeitschrift des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich, Jahrgang 54, Heft 4, 1983 veröffentlicht: Sie konzentriert sich zwar auf das Viertel ob dem Wienerwald, hat aber eine ähnliche Relevanz für „unser“ Viertel unter dem Wienerwald, das in der Rgel ebenfalls auf dem Reiseplan der betreffenden Reisenden stand.
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Das besondere Interesse der Reisenden und Wanderer galt in der Regel dem Aussehen und dem Charakter der Menschen, deren Kleidung, Religion, Sitten und Gebräuche. Augenscheinliches wurde festgehalten, jedoch handelt es sich dabei um die eigene – mal mehr mal weniger wohlgesonnene – Meinung des jeweiligen Beobachters. Geringeren Stellenwert besitzen in diesen Beschreibungen sprachkundliche Belange. Über das Wohlfahrtswesen wird mehr berichtet, unter anderem, dass es in der obrigkeitslichen Rangliste nicht den ihm zustehenden Stellenwert einnimmt.
Dieser Abschnitt ist noch um konkrete Einsichten der Reiseschriftsteller, die auch für Hietzing eine Relevanz besitzen, zu ergänzen-
Von beträchtlichem literarischen und letztendlich auch heimatkundlichen Wert können die unzähligen Briefe sein, die Besucher unserer Region an ihre Zuhause-Gebliebenen gerichtet haben. Stellvertretend für diese sei eine Broschüre hervorgehoben, die
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solche Briefe Anfang des Jahres 2021 veröffentlicht hat: Letters Home.
„Letters Home“ ist ein von den Nachkommen des amerikanischen Musikwissenschaftlers Dr. Edwin Eugene Stein privat publiziertes Buch. Sein Gegenstand ist der Aufenthalt Dr. Steins, seiner Ehefrau Catherine Lenore Wagner Stein und der vier Töchter der Familie Stein im Nachkriegs-Wien der Jahre 1954/55. Basis für das Buch sind die während des Wien-Aufenthaltes vor allem von Frau Stein an ihre Eltern und die ihres Mannes geschriebenen Briefe und die von Herrn Stein gemachten Fotos. Viele der Briefe und auch einige der Fotos sind aus Hietzing, da sich die Familie in der Kramer-Glöckner Villa in der Winzerstraße 2 eingemietet hatte. Die bekannte Schauspielerin Josefine (Pepi) Kramer-Glöckner war kurz zuvor gestorben.
Im einem Brief vom 4. Oktober 1954 an ihre Eltern berichtet Frau Stein vom Interieur des gemieteten Hauses, das wohl seit Pepi Kramer-Glöckners Tod noch keine Veränderung erfahren hatte. Hier ein übersetzter Auszug aus dem Brief:
Die Böden sind alle aus hartem Holz, das in diagonalen Mustern verlegt ist. Unser Schlafzimmer hat einen Kristallleuchter. Orientteppiche liegen auf allen Etagen. Alle Türen zwischen den Räumen sind große Doppeltüren. Die Fenster sind Doppelflügel. Außenfenster schwenken aus – Innenfenster schwenken ein. Und dann sind da noch Holzläden drinnen, weiß emailliert, passend zu den Täfelungen und Holzarbeiten! Die Möbel sind sehr alte echte Biedermeier – wirkliche Antiquitäten – aber von wunderschönen einfachen Linien, die fast modern aussehen – alles helles „Nuss“-Holz mit Streifen aus tiefschwarzem Ebenholz, um die Linie zu betonen und zu begrenzen! Die 3 vorderen Zimmer sind alle im Biedermeierstil eingerichtet und das Musikzimmer hat einen wunderschönen Flügel! Die Anrichte im Wohn-Esszimmer hat englisches Porzellan (blau) für 12 (ca. 50 Speiseteller in verschiedenen Größen) und Gläser in jeder Größe und Form. Die Küche hat Regale mit Töpfen, Wasserkochern, Pfannen in jeder Größe und Form! Die Bettwäsche besteht aus weichen Daunen, Federn, riesigen Kissen usw. All dies, aber keine Zentralheizung oder Kühlschrank! In der Küche sind schwere Filzpantoffel-„Dinger“, die die Köchin (ich!) beim Kochen tragen kann, damit ihre Füße nicht frieren!
Die Autorinnen des Buches, die vier Stein-Töchter Mary Susan Stein Leahy, Kathleen Elizabeth Stein, Margaret Lenore Stein und Ellen Clare Stein, widmeten das Buch ihren Eltern. Es ist ein weiteres 1133.at-Projekt (Bericht Nr. 1426), diese für unsere Region interessanten Briefe möglichst authentisch ins Deutsche zu übersetzen und verfügbare Fotos einzuflechten.
Zwei der von Frau Stein fotografierten Anlaufstellen in Ober St. Veit:
Oben Frau Therese Puraner, Inhaberin des winzigen Lebensmittelgeschäftes in der Schweizertalstraße 17a, an dem die Familie Stein auf dem Heimweg von der Schule vorbeikam. Manchmal haben sie angehalten, um kleine Schokolade-Herzen zu kaufen. Das war in den Jahren 1954/55.
Unten die Familie Schenker vor ihrem Fleischgeschäft. Friedrich (Mitte) und Serafine (rechts) Schenker, links der Schwiegersohn?
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Mit den Abhandlungen über Hietzing in der „großen“ Literatur, aus den Pfarren und im Rahmen von Reisebeschreibungen wurde noch keineswegs auf die Breite des schriftstellerische Talentes der Menschen innerhalb der Region eingegangen. Angesichts der schieren Menge ist das in diesem Rahmen auch gar nicht möglich, allenfalls ein paar „Blitzlichter“ können es sein. Gefördert oder angetrieben wird dieses Talent von den verschiedensten Motiven, vom Interesse an der hier ausgeübten Tätigkeit bis hin zur schlichten Heimatliebe. Und oft spüren die Menschen nicht nur eine Begabung oder „Lust“ in sich, sondern unterschiedliche, mitunter mannigfache Talente. Ein gutes Beispiel dafür ist das 2011 verstorbene Multitalent Robert Demmer.
Prof. Felix Steinwandtner leitete einen „Demmer-Abend“ im Bezirksmuseum mit folgenden Worten ein: „Robert Demmer war einer aus der Ober St. Veiter Heimatrunde. Ich hatte ihn Anfang der 1980er-Jahre kennen gelernt, und wir hatten bis zu seinem Lebensende immer guten Kontakt. Er brachte immens viel Zeitgeschichtliches in die Heimatrunde, und wir lernten sehr viel von ihm. Er hielt auch selbst Vorträge. Er war nicht nur Musiker, er war auch Architekt, er komponierte, und er war auch ein exzellenter Handwerker. Einmal zeigte er uns, wie er alte Karossen und Bauernfahrzeuge restaurierte. Er war ein Multitalent. Und er konnte auch dichten und veranstaltete einige Male kleine Lesungen.“
Vor vielen Jahren war ein kleines Buch mit dem Namen „Kleine Erklärungen“ erschienen, 2002 gab Robert Demmer das kleine Büchel „Ned normal“ heraus. Es enthält etwa 50 Gedichte, die einen Überblick über seine Werke geben. In seinen in der Umgangssprache verfassten Gedichten beschreibt er launig bis kritisch alltägliche Kleinigkeiten und die nicht immer guten neuen Entwicklungen. Hier eine kleine Leseprobe daraus:
Bein Haamfahrn
Wann i länger furt war und kumm haam mit da Bahn,
dann sprechen d‘Stationen mi bsunders stark an.
Wann‘s Salzburg haßt, Linz und Amstetten, St. Pölten,
dann steigt so a freud auf, wia sunst nur ganz seltn.
I grüaß Rekawinkel, Neulengbach, Ha-Wei
und könnt im Moment gar ned glücklicher sei!
Dann Purkersdorf-Gablitz und Maria Brunn,
auf Hütteldorf-Hacking, da scheint no de Sunn...
Und Baumgarten, Penzing, von drübm, gar ned weit
leucht‘t umma de Kirchen von Ober St. Veit!
Vinzenz Jerabek, der Doyen unter den Lokalschriftstellen, ist an anderen Orten dieses Buches hinreichend gewürdigt worden.
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Das Foto der alten Tafel mit der als Ballade verfassten Lindwurm-Sage. Die heute beim Gasthof Lindwurm aufgestellte Tafel und die im Bezirksmuseum Hietzing ausgestellte Version wurden vom Ober St. Veiter Heimatforscher Hans Brennig geschnitzt.
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Über die bisher besprochenen Literaturformen hinaus sind auch noch andere Werke dem „Geschriebenen“ zuzuordnen und sollen erwähnt werden: Kolportierte Märchen und Sagen und schließlich amtliche Elaborate. Mit letzteren bewegen wir uns eigentlich schon fort von dem zur „Kultur“ hinzurechenbaren „Schrifttum“ und es überschneidet sich mit anderen im Kapitel „Die Wurzeln der Heimatkunde“ ab →Seite 18 aufgezählten Überlieferungen. Doch manche dieser Schriftstücke haben fast schon literarischen Charakter.
Während andere Orte von den erstaunlichsten Sachen zu berichten wissen, von Bergen mit aufregenden Begebenheiten, von tiefen Brunnen mit abscheulichen Geheimnissen, von Gebäuden mit mystischer Vergangenheit, von strahlenden Helden und finsteren Geistern, wurden den Hietzingern nur ganz wenige Sagen hinterlassen, die beiden bekanntesten sind die Sage zu „Maria Hietzing“ (sie wird in den Dorfgeschichten auf →Seite 145 beschrieben), und die Sage vom Stock im Weg (oder Lindwurm-Sage).
Eine Tafel vor der nach ihm benannten Gaststätte berichtet von einem Unheil verbreitenden giftigen Lindwurm, der, in einem hohlen Baum hausend, das Leben von Mensch und Tier bedrohte. Erst dem heiligen Vitus sei es gelungen, das siebenköpfige Ungeheuer zu töten. Die Herkunft dieser Sage und die erstmalige Anbringung der Tafel bleiben im Dunkel. Ein auf dem Gemeindeberg bestandener Wehrturm, der in seinem halbverfallenen Zustand durchaus einem hohlen Baum geähnelt und allerlei die Umwelt plagendes Gesindel beherbergt haben könnte, gibt einen denkbaren wahren Kern für diese Sage. Niedergeschrieben wurden solche Sagen meist zu Zeiten Maria Theresias, als die ersten Pflichtschulen eingerichtet wurden. Solche an den heiligen Georg angelehnte Drachen- und Lindwurmsagen gibt es allerdings auch im Wiener Raum mehrere.
Einzelne Schriften kennen noch weitere Legenden, zum Beispiel die Sage vom Karfreitagseck: Dabei handelt es sich um eine Stelle an der heutigen Mauer um den Lainzer Tiergarten, rechts oberhalb des Adolfstors, wo sie scharf nach Osten umbiegt. An diese Stelle, im Volksmund eben „Karfreitagseck“, soll sich eine alte Volkssage knüpfen. Dort sei ein Schatz verborgen, den nur ein reiner Mensch in der Karfreitagsnacht heben und so zum reichen Manne werden könne.
Gustav Gugitz nennt in seinen „Sagen und Legenden der Stadt Wien“ aus dem Jahr 1952 auf Seite 130 auch eine volksetymologische Sage von Speising: Ein Babenbergerherzog verirrte sich auf einer Jagd im Wienerwald und erreichte in später Nacht sieben Holzknechthütten, die inmitten des Waldes lagen. Die Knechte empfingen den Herzog mit Freuden, und er ließ sich auch die ihm
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vorgesetzten Speisen gut schmecken. Als er am folgenden Morgen von ihnen Abschied nahm, beschenkte er sie so reichlich, dass sie zum Andenken an diese große Wohltat ihre Ansiedlung Speising (Speis eng = ich speise euch) benannten.
Während nur die Sage zu Maria Hietzing als „proprietär“ einstufen ist, sind alle anderen hier genannten Sagen wenig eigentümlich und in ähnlicher oder sogar gleicher Form auch anderswo gebräuchlich.
Die „amtlichen“ Überlieferungen sind zahl- und variantenreich, Beispiele sind die Protokolle aus der Tätigkeit und den Sitzungen von Organen der herrschaftlichen Verwaltung und später der Gemeindeverwaltungen.
Eine systematische Auswertung von Teilen des erhaltenen Materials ist mir nur für die Ortsgemeinden Unter- und Ober St. Veit bekannt. Gebhard Klötzl hat sie für sein „Bürgermeister-Buch“ ausgewertet, dessen Inhalte für die hier ebenfalls beschriebene Zeit von 1848 bis 1892 maßgeblich waren. Ein anderes Beispiel sind die Häuser-Konskriptionsbögen ab den 1770er-Jahren, meist sind nur Konvolute für das 19. Jahrhundert vorhanden, insbesondere die Listen für 1869 und 1880, also die letzten Konskriptionen für die bis 1890 selbstständigen Ortsgemeinden. Auch diese sind kaum ausgewertet, ich habe sie für Ober St. Veit digitalisiert und auf www.1133.at verfügbar gemacht. Ähnliche, allerdings viel gröbere Informationen enthalten die Protokolle zu zum Franziszeischen Kataster 1819, die darin enthaltenen Häuserlisten habe ich ausgewertet und in die Ortsgeschichten eingefügt.
Als ganz anderes Beispiel amtlicher Schriftstücke sei hier ein Rapport der Geheimpolizei über das Treiben der Teilnehmer des Wiener Kongresses und des ansässigen Adels zum 26. Dezember 1814 angeführt:
Bei Arnstein war vorgestern nach berliner Sitte ein sehr zahlreiches Weihbaum- oder Christbaumfest. Es waren dort Staatskanzler Hardenberg, ... Fürst Radizwill, ... sowie alle getauften und beschnittenen Anverwandten des Hauses. Alle gebetenen, eingeladenen Personen (hier folgt wieder eine Aufzählung) erhielten Geschenke oder Souvenirs vom Christbaum. Es wurden nach berliner Sitte komische Lieder gesungen und durch alle Zimmer ein Umgang gehalten. ... Herr Persoon, der holländische Sekretär, der dabei war, erzählte es .....“
Arnsteins waren eine aus dem Norden stammende Bankiersfamilie. Die Dame des Hauses, Franziska Arnstein, war die Tochter eines evangelisch getauften jüdischen Bankiers, die nach Wien heiratete und ein sehr Gastfreundliches Haus führte. Während des Wiener Kongresses wurde die Familie Arnstein ob ihrer
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Preussenfreundlichkeit besonders überwacht. Die Familie hatte nicht nur ein Palais in der Innenstadt und eines in Dreihaus (heute zum 15. Bezirk gehörig), sondern auch einen riesigen Besitz in Hietzing, aus dem später die „Neue Welt“ wurde. Nachdem in den Geheimberichten stets nur die Familiennamen genannt wurden, nie aber die Örtlichkeiten, an denen die Wahrnehmung gemacht wurde, könnte dieser Christbaum – als erster in Wien – auch in Hietzing gestanden sein.
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Hietzing blieb es vorbehalten, in die bemerkenswerte Wiener Theatergeschichte von Franz Hadamowsky (herausgegeben im Auftrag des Vereines für Geschichte der Stadt Wien im Verlag Jugend und Volk, Wien 1988) einzugehen. In der Folge wird der diesbezügliche Text auf den Seiten 572 bis 574 wiedergegeben.
Nachdem der Plan des Fürstlich Liechtensteinischen Hofrats Haymerle, in Hietzing ein Theater zu bauen, im Jahr 1805 gescheitert war, wurde es um ein Theater in Hietzing bis zum Jahr 1816 still. Am 16. Februar 1816 bat Bartholomäus Melanotti die Grundherrschaft von Hietzing, das Stift Klosterneuburg, ihm einen „herrschaftlichen Freigrund rückwärts seiner eigenen 3 Häuser Nr. 41, 42, 43 neben Johann Mayer und dem Freiherrn Anton Dietrich von Erbmannszahl gehörigen Grunde liegend“ in der Größe von 166 1/4 Quadratklaftern zu verkaufen; das Stift überließ ihm den Grund „eigentümlich in Folge der stiftgerichtlichen Erledigung“ vom 16. September 1816.
Der Grund lag in der Alleegasse (heute Trauttmansdorffgasse), wo die Neue Gasse (heute Wattmanngasse) in die Alleegasse mündete (heute Trauttmansdorffgasse 18, Bezirksgericht Hietzing). Das Theater wurde im Sommer 1816 vollendet; es „zeichnete sich durch den äußerst anziehenden Styl, in welchem es der ehrenvoll bekannte Architekt Hr. Kornhäusel, vom Badner-, Josefstädter-Theater und dem Cirkus im Prater hinlänglich bekannt, erbaute, vor allen kleinen Bühnen rühmlichst aus. Man kann kaum etwas Schöneres und Zweckmäßigeres in dieser Art sehen; dieser neue Tempel Thalias ist allerliebst und so geschmackvoll, dass man bedauern muss, ihn nur als ein Sommertheater betrachten zu müssen.“
Die Gesellschaft unter der Direktion des Herrn Josef Huber hat bereits am 24. August darauf mit der „Gefährlichen Nachbarschaft“ und dem „Rehbock“ (Lustspiele von Kotzebue) angefangen. „Die Darstellung ließ manches zu wünschen übrig. Indess hat sich doch Herr Raimund als Schneider Fips ausgezeichnet.“
Auch in den folgenden Jahren blieb die Verbindung zwischen Melanotti und dem Josefstädter Ensemble aufrecht; Raimund trat im Jahr 1817 in seiner Erfolgsrolle als Kratzerl (in „Der Pudel als Kindsweib“) und als Staberl in Bäuerles „Die Bürger in Wien“ auf. In den Jahren 1818 und 1819 erhielt der Theatereigentümer Melanotti die Spielerlaubnis; im Jahr 1818 übte er sie gemeinsam mit seinem Pächter Ambrosius Kornhäusel aus; „gute Schauspieler und Schauspielerinnen, wackere Sänger und vor allem wohlgebildete und wohlgestaltete Bühnenglieder in allen Fächern konnten sich bei ihm um ein Engagement bewerben; auch Dichter, welche dem Zeitgeiste entsprechende und für ein so feines
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und gewähltes Publikum, wie das während der Sommerzeit in Hietzing anwesende ist, annehmbare Werkchen lieferte, sollten ihre neuesten Produkte (Hau-, Stech-, Prügel- und Spektakelstücke mit und ohne Geister, Abschreibereyen und Bearbeitungen alter Ritter- und Geisterkomödien sind ausgenommen)“ ihm einsenden. Welchen Erfolg Kornhäusels Aufruf hatte, ist nicht bekannt: Für die Eröffnung am 30. Mai schrieb ihm jedenfalls Karl Meisl einen Prolog. In den Jahren 1820 und 1821 pachtete Leopold Hoch, der spätere Direktor des Badener und des Josefstädter Theaters, das Hietzinger Sommertheater.
Im Jahr 1822 traten im Eigentum und in der Führung des Theaters wesentliche Änderungen ein: Am 10. Jänner verkaufte Melanotti seine sämtlichen Realitäten, auch das Theater, seinem Nachbarn, Franz Anton Dietrich von Erbmannszahl um 11 000 fl.; sein Ansuchen, Karl Mayer vom Josefstädter Theater als Direktor zu bestellen, wies der Präsident der Polizei- und Censurhofstelle Sedlnitzky ab, der die gleichzeitige Eröffnung der Theater zu Hietzing und zu Meidling unter verschiedenen Unternehmern als nicht zulässig erklärte, „weil hiebei die Unternehmer ihre Rechnung nicht zu finden pflegen und weil aus diesem Umstände nur zu deutlich entnommen werden könne, dass das Bedürfnis für derlei Unternehmungen bei dem
Publikum nicht vorwalte“. Mayer hatte in den Jahren 1822 und 1823 das Theater gepachtet, Hoch erscheint erst 1824 als Direktor beider Theater; 1827-1829 ist der Klagenfurter Theaterdirektor Reisinger genannt.
Im Jahr 1830 starb Anton Dietrich von Erbmannszahl, und seine Tochter die Hofratsgattin Marie Pidoll von und zu Quintenbach, erbte seine drei Häuser und das „Stück Grundes, 176 Quadratklafter groß, worauf das Theater erbauet wurde und hinter ihren Häusern Nr. 44, 45, 46 liegt“. Nikolaus Feron, vordem Schauspieler bei Reisinger, führte 1831 das Hietzinger Sommertheater. In diesem Jahr war es dem Eigentümer des Meidlinger Theaters auch gelungen, die von Sedlnitzky erzwungene Verbindung mit Hietzing zu lösen.
Nach dem Tod Anton Dietrich von Erbmannszahls scheint sich seine Tochter um das Theater nicht viel gekümmert zu haben; Theresia Hoch, die für 1832 das Theater gepachtet hatte, ließ das „ganz in Verfall geratene Theater mit großem Kostenaufwand von Michael Mayr, dem Dekorateur des Leopoldstädtertheaters, durchaus mit neuen Dekorationen ausschmücken und auch das Maschinenwesen neu anfertigen“. Frau Hoch war mit ihrer Gesellschaft aus ihrem Winterquartier in Olmütz gekommen und eröffnete das Hietzinger Sommertheater am 3. Juni 1832 mit Raimunds „Alpenkönig und Menschenfeind“.
Marie Pidoll von und zu Quintenbach verkaufte 1834 (17. Februar) ihren gesamten Besitz den Stellwageninhabern Anton Fuhrmann und Anna Forstner um 12 000 fl.; Frau Forstner vererbte ihren Anteil bald darauf ihrem Miteigentümer Fuhrmann
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(Einantwortungsbescheid vom 15. Juli 1836). Fuhrmann suchte nach dem Kauf des Pidollschen Besitzes um eine Spielbewilligung an, wurde aber abgewiesen; zehn Jahre später erbten seine Kinder das Ganze. In der Folge sind nur wenige Pächter des Hietzinger Sommertheaters bekannt: 1834 Josef Siege, 1837 Louis Groll, 1840 Leopold Hoch, 1845 Böhm, 1851 und 1857 Nikolaus Feron. Er war jedenfalls der letzte; bald danach dürfte das Theater demoliert worden sein.
Erst im Jahr 1867 kam wieder theatralisches Leben nach Hietzing, als der Eigentümer des „Colosseums“ in Rudolfsheim, Karl Schwender, das Areal zwischen der Hauptstraße (heute Hietzinger Hauptstraße) und der Lainzer Straße, einen großen Park mit einigen Häusern, kaufte und zu einem Vergnügungsetablissement, der „Neuen Welt“, ausbaute, in dem sich auch ein Sommertheater befand.
Die älteste bekannte Theaterinstitution Ober St. Veits war der um 1890 von jungen Ober St. Veitern gegründete Theaterverein „Edelweiß“. Der damalige Direktor des Deutschen Volkstheaters, Emmerich von Bukovics, bewohnte eine Villa in der Veitlissengasse und soll eine der Vorstellungen des Theatervereines besucht haben. Einer der Darsteller beeindruckte ihn dermaßen, dass er ihn an sein Theater engagierte: Karl Jäger. Der Sangesbruder, Schauspieler, Hornist und Schriftsteller Prof. Karl Jäger wurde schließlich Direktor der Wiener Urania.
Gang und gäbe war darüber hinaus das amateurhafte Theaterspiel der Jungendgruppierungen im pfarrlichen Bereich zur Unterhaltung von sich und anderen: des katholischen Jünglings-Vereines, der Patronage, der Marianische Mädchenkongregation und der katholische Jugend.
Nach der Zwangspause im Zweiten Weltkrieg erwachte mit der allmählich beginnenden Normalisierung 1946 auch das Theaterspiel. Herr Kaplan Matjeka begann mit der Marianischen Kongregation eine Theatergruppe aufzubauen, die damals von allen sehr begrüßt wurde. Fernsehen hatte es damals ja noch nicht gegeben.
Im Theatersaal in der Wittegasse (Kloster Unter St. Veit) wurden von 1946 bis 1955 (Versetzung H. Kapl. Matjeka in die Pfarre Penzing) mehrmals im Jahr Theaterstücke aufgeführt. Die Kongregation hatte auch Burschen und „Ehemänner“ zur Gruppe eingeladen. Wenn sie mit einem Handwagerl die Kulissen etc. über die Hietzinger Hauptstraße in die Wittegasse brachten, wurden sie von den Leuten freudig begrüßt, es hieß „die Komödianten kommen wieder“. Der Zusammenhalt dieser Gruppe war bemerkenswert. Regie Kapl. Matjeka, technischer Berater und Beleuchter Ing. Benes, Kulissenbauer und oftmaliger Hauptdarsteller Max Wild, alle waren bereit, jede freie Minute zur Verfügung zu
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stellen. Mit dem Theaterspiel konnten schöne Summen für die Pfarrcaritas und die Pfarrbibliothek, (der Leiter der Bibliothek Dr. Theo Stöhr war ebenfalls ein brillanter Darsteller) eingenommen werden.
In den frühen 1960er-Jahren trat aber eine neue Entwicklung ein. Die Mitglieder der Theatergruppe waren nicht mehr unbedingt anderweitig in der Pfarre aktiv und kamen zum Teil auch aus anderen Pfarren. Unter Leitung von Arthur Saliger bildete sich 1963/64 das „Ensemble Proskenion“. Nach dem Abgang Saligers 1968 übernahmen Heinz Pribil – später Kunstkritiker – und das Ober St. Veiter Brüderpaar Markus und Götz Kauffmann – Götz stand vor einer Karriere in Theater und Fernsehen – das Kommando. Der Probenbetrieb verlagerte sich jedoch immer mehr von Ober St. Veit weg. Nach einer vernichtenden „Kurier“-Kritik über die „Proskenion“-Aufführung von Büchners „Woyzeck“ im Schönbrunner Schlosstheater (Juni 1971) zerfiel dieses längst nicht mehr zu Ober St. Veit gehörige Ensemble.
1972 nahm die – wieder aus der Pfarrjugend hervorgegangene – Theatergruppe „Experimental“ ihre Tätigkeit auf. Gründer Heiner Boberski nahm aber bald wieder Abschied und gründete 1974 die „Theatergruppe Vaganten“ und veranstaltete im Rahmen dieses Vereines Theateraufführungen an verschiedenen Orten Wiens, nicht aber in Ober St. Veit. 1988 wurde diese Gruppe in den „Kultur- und Sportverein Vitus 88“ unbenannt und veranstaltete als solcher drei „Ober St. Veiter Frühlingsläufe“ (1989, 1990 und 2003). Zu ursprünglich geplanten Kulturveranstaltungen kam es nicht. Der Verein bestand bis 2005.
Die kontinuierliche Theatertägigkeit war im Herbst 1974 in Ober St. Veit vorerst zu Ende gegangen, es fehlte an genügend Theaterbegeisterten, und daran ändert sich auch nichts in den Jahrzehnten danach. Fast ersetzt wurde das Theaterspiel durch verschiedenste Gesangsvorträge, Lesungen und schließlich Diavorträge.
Das Ensemble einer Vorstellung von „Sein Ferdinand“ im Theatersaal in der Wittegasse im Jahr 1949. Stehend von links nach rechts: N. N.; eventuell Schwester von Max Wild; Clemens Meyer (spielte den Briefträger und Liebhaber der Magd des Bauern – Ausgangspunkt für die Bekanntschaft waren zwei Zeitungsannoncen); Maria Koller, Präfektin der Marianischen Kongregation und die treibende Kraft in der Gruppe (führte Regie); N. N.; Rudolf Matjeka, Kaplan der Pfarre Ober St. Veit und Präses der Marianischen Kongregation; Josef Wsseticzka, änderte seinen Namen auf Hartmann (spielte einen Liebhaber der Bauerntochter); Leopoldine Walzer (spielte die Braut des Ferdinand); N. N.; Wilhelm Löw, Organist der Pfarre Ober St. Veit (war vermutlich für die Musik zuständig); Erna Reitmeyer (spielte die Magd des Bauern); Wilfried Brenner. Sitzend von links nach rechts: Eine Zitterspielerin (war blind, während der Aufführung spielte sie hinter der Bühne und Rosa Altenburger tat nur so); Hedwig Demmer (Große Dame); Rosa Oboth (spielte eine kleine Rolle); Max Wild (spielte den reichen Bauern); Rosa Altenburger, verh. Nagl, war Lehrerin (spielte eine Tochter des Bauern, täuschte das Zitterspielen vor); Theodor Stöhr, wurde später Bibliothekar (spielte die Titelrolle des Ferdinand, Sohn des Bauern).
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Letzte Rückzugsgebiete des Theaterspiels blieben aber Pfarre, Schulen und Pfadfinder, die im Rahmen von Feierlichkeiten manchmal auch kleine Stücke zur Aufführung bringen. Lokale Pflegestätten für die interessiertere Jugend sind die Gymnasien, die entsprechende Neigungsgruppen unterstützen oder die Schauspielerei als Wahlfach eingerichtet haben. Kleinere Versuche in der Belebung des Theaterspieles waren und sind weihnachtliche Krippenspiele.
Wieder waren es junge Leute aus der Pfarre Ober St. Veit, die nach fast 40-jähriger Pause einen Neubeginn im öffentlichen Theaterspiel wagten. Eine Jugend-Gruppenstunde zum Thema Weltuntergang ließ den Wunsch nach einer dramaturgischen Aufbereitung dieses Themas entstehen, und um die Proponenten Deniz und Aylin Sahinoglu, Milena Janetschek und Simon Grisold bildete sich eine Gruppe begeisterter Schauspieler und Helfer, die sich bald Theatergruppe „jOSeV“ (das steht für Jugendliche und junge Erwachsene aus Ober St. Veit) nannte. Jura Soyfers Theaterstück „Der Weltuntergang“ war die passende Vorlage für das erste Stück der Gruppe, das am 30. Mai 2013 im ausverkauften Festsaal der Freien Waldorfschule in der Seuttergasse aufgeführt wurde. Die Begeisterung für diese mittlerweile zur Dauereinrichtung gewordenen Theateraufführungen, die jetzt meist im Großen Festsaal des Hietzinger Amtshauses stattfinden, hält bis heute an.
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Schlussfoto der Premiere zu Hellas an der Donau am 16. Mai 2019. Es war das vierte Stück der Theatergruppe „josev macht theater“.
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Welche Musik wurde in Hietzing komponiert, gespielt und gesungen? Ich beginne dieses Kapitel mit dem „Klingenden Wien“. Dies war der Titel einer Ausstellung im Bezirksmuseum Hietzing, die im Rahmen des Tages der Wiener Bezirksmuseen am 22. März 2015 eröffnet wurde. Zur Einstimmung dieser Ausstellungseröffnung spielte Peter Kostov aus einem in der Musiksammlung der Wienbibliothek aufbewahrten Erstdruck den Walzer „Natursänger“. Carl Michael Ziehrer hatte ihn 1890 als Denkmal für die Wiener Natursänger komponiert. Uraufgeführt wurde er im Harmoniesaal von Schwenders Etablissement in Rudolfsheim. Die Darbietung von Peter Kostov kann auf www.1133.at/
Bericht 1481 angehört werden.
Höhepunkt der Veranstaltung war der Vortrag von Prof. Walter Deutsch über die Wiener Volksmusik und alles was zu diesem Genre gehört. Prof. Deutsch war von 1965–93 Leiter des Instituts für Volksmusikforschung an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien, von 1992–1999 Präsident des Österreichischen Volksliedwerkes, und seit 1999 dessen Ehrenpräsident. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Werke zur Volksmusik in Österreich. Als Herausgeber der vielbändigen Gesamtausgabe der Volksmusik in Österreich, „Corpus Musicae Popularis Austriacae (COMPA)“, führte er den 1904 festgelegten Gründungsauftrag des Österreichischen Volksliedwerkes weiter, der die Erforschung und Publizierung der traditionellen Musik Österreichs zum Inhalt hat.
Prof. Deutsch begann seinen Vortrag mit den Worten: „... Aber eigentlich, das klingende Wien beginnt bei uns selbst. Haben Sie alle schon gesungen heute? Wenn Sie nicht singen, dann klingt es nicht in Wien! Verlassen Sie sich nicht auf die Autohupen!“ In der Folge präsentierte und illustrierte er vor allem für Hietzing besonders wertvolle Stücke, wobei er zunächst an den von Herrn Kostov gespielten Walzer anschloss. Was ist ein Natursänger, und was ist ein Volkssänger? Zwischen 1840 und 1900 gab es in Wien viele Sängerinnen und Sänger. Jene, die nur nebenberuflich gesungen haben – die Fiaker, die Handwerker, die Wäscherinnen, alleinstehende Damen usw. – wurden Natursänger genannt. Ihnen gegenüber standen die professionell lizenzierten Volkssänger. Einer der ganz großen Volkssänger war ein gewisser Edmund Guschelbauer, er hat oft mit den Schrammeln gesungen.
Natürlich gab es einen großen Streit, denn die professionellen Sänger hatten Angst, von den Natursängern ins Eck geschoben zu werden. Die Natursänger sind nur dann und wann aufgetreten, vor allem im Bereich der Brüder Schrammel. Häufig waren es Fiaker, in ihren Reihen gab es gute Sänger; einer der großen war jener Fiaker, der Kronprinz Rudolf nach Mayerling gebracht hatte, Bratfisch hieß er. Der Allgemeine Wiener Volkssängerverein rich
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tete 1887 die dringende Bitte an die Stadt Wien, „Übelstände zu beseitigen, durch welche der Erwerb der lizenzierten Volkssänger und insbesonders der Erwerb der besteuerten Volkssänger auf das Empfindlichste geschädigt werden“. Sie bekamen Recht und ein Zirkulardekret wurde herausgeben, aber die Natursänger wurden deshalb nicht weniger. Carl Michael Ziehrer war mit den Natursängern freundschaftlich verbunden und setzte ihnen mit dem Natursänger-Walzer ein musikalisches Denkmal.
Nach dieser Einleitung ging Prof. Deutsch auf einige Orte, Einrichtungen und Personen in Hietzing ein, die mit dem „Klingenden Wien“ verbunden waren. Im Rahmen seines Vortrages, dessen Inhalte er am Klavier virtuos zu Gehör brachte, konnte er natürlich nur ein paar Blitzlichter aus dem umfangreichen Musikgeschehen – nicht nur das Volkslied betreffend – in der Region präsentieren. Das ist auch im Rahmen dieses Beitrages nicht möglich, doch soll ein etwas breiterer Einblick versucht werden. Die Anregungen dafür stammen – über den Vortrag von Prof. Deutsch hinaus – vor allem aus dem Archiv des Wiener Volksliedwerkes mit Unterstützung seines Archivars Mag. Reinhard Kopschar.
An einem klar strukturierten Überblick über dieses vielfältige und ineinandergreifende Metier hinsichtlich Komponisten, Interpreten, Genre und Aufführungsorten bin ich allerdings gescheitert. Ich folge daher der musikalischen Wanderung durch den Bezirk, wie sie Prof. Deutsch in seinem Vortrag unternommen hat, mit gebührenden Ergänzungen und Erweiterungen.
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Klingendes Wien.
Hofrat Dr. Sieghard Neffe,
Prof. Dr. Walter Deutsch,
BV Mag. Silke Kobald, Museumsdirektor
Mag. Ewald Königstein und
Rudolf Wawra während des Tages der Bezirksmuseen am
22. März 2015 im Bezirksmuseum Hietzing
„Wenn man es schafft, hörend zu singen und singend zu hören, wird auch das Herz immer offener für den im Wort gegenwärtigen Gott ...“ (Worte auf der Internetseite der Zisterzienserabtei Marienstatt). Die Vielfalt des Kirchengesanges und seine Wandlungen sind keine Hietzinger Spezialität, allenfalls die Gesang
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vereine und Chöre, die in unseren Kirchen auftraten und nach wie vor auftreten. Doch diese werden weiter unten beschrieben. Hervorzuheben ist hingegen die Jahrhunderte währende Eigenschaft von drei unserer Gotteshäuser als Wallfahrtskirchen, allen voran die Hietzinger Kirche. Für sie sind auch Daten überliefert: 1790 wurden in der Hietzinger Kirche 6000 Messen gelesen und 26.000 Kommunikanten gezählt. Sie kamen von den Dörfern ringsherum und sie haben gesungen, auf dem Weg zur Kirche und in ihr. Was haben sie gesungen, wie muss man sich diese Wallfahrtslieder vorstellen?
„Sei gegrüßt, Maria Hietzing, sei gegrüßt im Gnadensaal, schenke uns die Hilf in allen Tagen, schenke uns Trost überall“, gesungen in schönen Terzen. Hunderte von Lieder gab es, in den Volksliedarchiven liegen sie. In Mariazell ist das gesungene Wallfahrtslied noch zu hören.
Im Hietzinger Heimatbuch von 1925, zweiter Band, steht auf Seite 75 zum Jahr 1831: „Heute Dienstag ist Reunion in Dommayers Kaffe- und Traiteurhause in Hietzing. Herr Johann Strauss (Vater) wird mit seinem wohlbesetzten Orchester unter seiner persönlichen Leitung zum Vergnügen der Anwesenden beyzutragen suchen.“ Und was hat er für den Dommayer komponiert? Zum Beispiel Op. 24 „Hietzinger Reuniontänze“. Oder den Walzer „Vive la Danse“, aufgeführt beim Dommayer 1831. Oder die Grazien-Tänze. Zur Einladung zu dem glänzenden Grazien-Fest, bei dem die Damen als Grazien auftraten, schrieb Johann Strauss folgenden Text über das, was die Zuhörer zu erwarten hatten: „Die Grazien sind nach der Mythologie als die Repräsentantinnen und Beschützerinnen alles Schönen, Lieblichen und Angenehmen bekannt. Vermöge dieser Eigenschaften fand der Gefertigte sie am geeignetsten, ihnen sowie auch ihren schönen Schwestern der damaligen Zeit ein eigenes Fest zu widmen, welches durch die strahlenden Diademe und das Farbenspiel des jetzt im Einritt des Sommers mit aller Macht herrschenden Phöbus (die Sonne) auch bei Nachtzeit noch herrlich glänzt. Um 9 Uhr beginnt's, im Saal ein glänzendes Ballfest, bei welchem Herr Strauss zum ersten Mal den neuen Walzer unter dem Titel ‚Grazientänze‘ vorzutragen hat.“ In der Melodik sind die Grazien-Tänze ein noch der Biedermeierzeit zuzuzählendes Werk.
Nebenan im Weißen Engel spielte zur gleichen Zeit Josef Lanner. Wie sein Freund Strauss war auch er ein Genie. Bis dahin hatte es bloß kleine bescheidene Walzer gegeben, etwa jene von Anton Eberl, und plötzlich über Nacht gab es Großformen des Walzers. Jetzt spielten diese Männer und ihren Orchester jeden
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Abend ein neues Werk. Natürlich hatte Josef Lanner im großen Saal des Weißen Engel auch seinen Schönbrunner Walzer gespielt. Diesen Walzer kannte jeder Musikant in ganz Österreich, gespielt auf der Harmonika, der Klarinette oder auf der Zither. Und die vielen Wienerlied-Dichter, die es damals gegeben hatte, ließen zu ihrem auf ein Blatt gedruckten Lied Texte wie diesen hinzufügen: „Nach der Melodie des Schönbrunner Walzers von Josef Lanner“. Der Text war oft sehr ähnlich, z.B.: „So wie der Lanner, so war kaner, der hat halt kenna, Terzen gwinna, bei seine Walzer, macht jeder an Schnalzer, vor Lust und Seligkeit, das ist a Freid.“ Natürlich heißt der Walzer „Die Schönbrunner“, die Hietzinger sind ja damit gemeint und haben damit ein Tonwerk, das sie durchs Leben begleitet.
Jedes bessere Lokal warb mit seinen regelmäßigen Musik- und Ballveranstaltungen, auch der große Hietzinger Hof. Aufsehen erregten die Veranstaltungen in dessen „Arena“, die im Mai 1907 als „zweites Wiener Sommertheater“ eröffnet wurde. Vor vollem Haus (= Garten des Hietzinger Hofes) wurde u. a. mit der seit mehr als 26 Jahren in Wien nicht gegebenen Operette „Les noces d'Olivette“, komponiert von Edmond Audran und mit dem Libretto von Alfred Duru und Henri Charles Chivotvon Chivot. „Wenn es jemals einer Künstlerin gelungen ist, sich die Gunst des Publikums geradezu im Fluge zu erobern, so ist dies bei der ersten Sängerin am Sommertheater Hietzinger Arena der Fall, bei Frl. Betty Nording, welche seit Eröffnung dieser Bühne, d. i. seit 15. Mai d. J., fast allabendlich in ersten Partien beschäftigt ist und sich mit ihren Erfolgen in die erste Reihe unserer Operettensängerinnen gestellt hat. Die junge Künstlerin, eine Schülerin Meister Gothov-Grüneckes, ist eine Sängerin par excellence, voll Musikgefühl, geschmackvollem Vortrag und brillanter Technik, mittels der sie ihre prächtigen Stimmmittel – einen volltönenden Sopran von tadelloser Reinheit und Höhe – geradezu vortrefflich zu verwerten versteht“.
Im Hietzinger Hof trat auch der Hofopernsänger Carl Mayerhofer auf, doch eher in seiner Eigenschaft als exzellenter Schachspieler. Seinen Lebensabend verbrachte er in seinem Haus in Hietzing, begraben ist er in einem Ehrengrab auf dem Hietzinger Friedhof. Zum Hietzinger Hof siehe das spezielle Kapitel ab →Seite 163
Regelmäßige Musikveranstaltungen wurden auch in zahlreichen anderen Gasthäusern zur Institution, bis zuletzt im 2014 geschlossenen Gasthaus „Zum lustigen Radfahrer“ in Ober St. Veit und bis heute im „Gasthaus Lindwurm“. Allerdings erfreut man das Publikum nicht mehr mit Walzern und Operetten, sondern vorwiegend mit Jazz vom Feinsten.
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Der Kaffeesieder Carl Schwender aus Rudolfsheim ersteigerte zu Beginn der 1860er-Jahre einen alten, ausgedehnten Herrschaftsbesitz zwischen Hietzinger Hauptstraße, Lainzer Straße und St.-Veit-Gasse und schuf darauf ein erstrangiges Sommervergnügungsetablissement mit Tanzflächen und Restaurant mit großem Gartenparterre zwischen üppiger Ausstattung mit vielen Lichteffekten. Später ergänzte er die Anlage um die sogenannte Alhambra, einen in maurischen Stil ausgeführten Holzbau mit einem Theater in seinem Mittelbau. Am den Enden des Parkparterres befanden sich Orchesterpavillons.
Viele Jahre lang war die Neue Welt das Ziel für die Firmlinge der Wiener Gesellschaft. Zum Annenfest kamen nicht selten an die 5–6.000 Besucher. Fast jeden Abend wurde irgendein Fest veranstaltet; die meisten Männergesangvereine Wiens und aus der Umgebung hielten hier ihre Sommerliedertafeln ab; die berühmte Seiltänzerin Blondine trat auf, Anton Stuwer brannte 1879 sein letztes größeres Feuerwerk ab, und 1882 fanden Ballonfahrten mit Fesselballons statt. Nach dem Tod von Schwenders Sohn wurde die Neue Welt verkauft, 1883 parzelliert und mit Villen verbaut (die erste erhielt den Namen „Neue Welt“)
Natürlich traten abwechselnd auch Carl Michael Ziehrer und die Gebrüder Strauss mit ihren Kapellen auf, die Schrammeln und eigentlich alle, die damals berühmt waren. Alle Meiste kamen und boten den Zusehern große künstlerische Leistungen. Für dieses Veranstaltungshaus wurde sogar 1878 die Polka Francaise „Neue Welt-Blümchen“, Op. 316, von Carl Michael Ziehrer komponiert. Die Polka Francaise ist eine langsame Polka mit charakteristischen Motiven, die spritzig sind, eine kokette Musik. Man hört sie zumindest bei den Neujahrskonzerten der Philharmoniker. Josef Strauss komponierte im Sommer 1962 den Walzer „Neue Welt-Bürger“, Op. 126, und zwar für ein Parkfest in der Neuen Welt am 27. Juli 1862. Er war den vergnügungshungrigen Besuchern des Freizeitparks gewidmet und eine Art Abschiedskomposition wegen einer bevorstehende Reise nach Russland. Ein wunderschöner Walzer, richtig Wienerisch.
Auch vor dem Schönbrunner Schloss hat es geklungen. War der Kaiser anwesend, musste jeden Tag in der Früh ein Ständchen gespielt werden, wobei die die Militärkapellen besonders präsent waren.
Präsent waren auch die Sportschützen. Damals gab es in Wien noch viele Schützenvereine, heute sind sie fast nur mehr in den Bundesländern üblich. In Hietzing gab es die Hietzinger Schützen mit Kugelschützen und Armbrustschützen. In Erinnerung an diesen Verein gibt es einen wunderbaren Marsch von Josef Zehn
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graf, komponiert um 1910. Er war sehr bekannt und viele kleine Ensembles, auch die Gebrüder Schrammel, haben ihn gespielt. Bei einer Version aus 2007 ist Johann Schrammel als Komponist angeführt, gespielt von den Transatlantic Schrammeln.
Großen Auflauf gab es zu den Jubiläen des Kaisers, z.B. zum 60-jährigen Regierungsjubiläum. Im Rahmen der vom Niederösterreichischen Sängerbund im Schlosspark veranstalteten Huldigungsserenade kam die Hymne für Männerchor und Orchester „Dem Kaiser“ zur Aufführung (Text: Anton Weiß, Komponist: Adolf Kirchl):
Brausend, schwellend, liebedurchglüht tönt unser Lied!
Mächtig erschallen die Weihegesänge!
Jauchzet zum Äther, zum blauen, auf´s neue die Jubelklänge:
herrschet in göttlichem Schutze der Kaiser,
schirmend die Künste, die schönen!
Darum naht euch, ihr Sänger, in Eil´, rufet jubelnd:
Dem Kaiser Heil!
Brausend, schwellend, freudedurchglüht tönt unser Lied!
Dringet ins Weite mit mächtigem Schalle!
Heute die frohe, die festliche Stunde die Sänger alle!
Alle sich finden im Meere zusammen,
eilen herbei all die Scharen
aus des Landes entferntestem Teil, rufen jubelnd:
Dem Kaiser Heil!
Im Garten zu Schönbrunn soll auch das Lied „Die vier und vierzigjährige Regierung des Kaiser Franz“ erklungen sein, mit dem Text von Johann Ernst und nach der Melodie „Des Hauses letzte Stunde“.
Liedanfang: Ja vier und vierzig Jahre hat Kaiser Franz regiert.
Strophen: Was Kaiser Franz erfahren, wenn man sich's rein vorstellt [Strophe 2]
Wie er für uns gestritten, kam er zu Kaiser Franz [Strophe 3]
Doch dort in Frankreichs Mauern war Kaiser Franz gewiß [Strophe 4]
Da es die Vorsicht lenkte, zu seiner Thaten Lohn [Strophe 5]
Und blicken wir dann wieder auf Kaiser Ferdinand [Strophe 6]
In seine Lebensstunden hat Kaiser Franz fürwahr [Strophe 7]
Sehr gütig und erhaben war er zu jeder Zeit [Strophe 8]
Die zu einem Ständchen beim Schloss oder für eine Adelsfamilie eingeladenen Kapellen haben auch immer Märsche mitgebracht, die Widmungsmärsche sind. Im gesamten Repertoire der Komponisten der Zeit wurden die Märsche immer großen Damen und
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Herren des Adels oder der Großbürger gewidmet, die zu gleicher Zeit auch einen Namen als Förderer der Musik hatten. Z. B. den Kaiser-Elisabeth-Marsch oder den Habsburger-Marsch, Carl-Michael-Ziehrer-Marsch, Franz-Joseph-Marsch und Habsburg-Hochfest-Marsch. Das waren damals wichtige Kompositionen, die zum Klang es Adels und vor allem der Kaiser- und Königsfamilien dazugehörten.
Zu den Widmungsmärschen ist der Deutschmeister-Regimentsmarsch, komponiert von Wilhelm August Jurek hinzuzufügen. Jurek trat 1891 in das Infanterie Regimentes Hoch- und Deutschmeister Nr. 4 ein und diente diesem drei Jahre. Danach wurde er Beamter der Staatsdruckerei. 1921 wurde Jurek als Oberkontrollor i. R. Ehrenmitglied des Deutschmeisterbundes. Nach ihm benannt ist die Jurekgasse in Wien Rudolfsheim. Der Deutschmeister-Regimentsmarsch wurde zur berühmtesten seiner 300 Kompositionen und zum ersten Mal am 19. März 1893 im Ober St. Veiter Kasino gespielt, dann vermutlich auch vor dem Schloss Schönbrunn. In Hietzing wird er heute noch gespielt, z. B. vor der Hietzinger Kirche unter Kapellmeister Friedrich Lentner.
Zur Aufführung kam auch ein von Michael Totzauer komponierter „Hietzinger Marsch“ Er wurde im Rahmen der Hietzinger Festwochen am 26. Mai 2010 beim traditionellen Platzkonzert uraufgeführt und ist Hietzing sowie dem damaligen Bezirksvorsteher Dipl.-Ing. Heinz Gerstbach gewidmet. Der Marsch sieht den Bezirk mit seinen traditionsreichen Konzert- und Ballveranstaltungen als eine der Wiegen der sogenannten Wienermusik und zitiert entsprechende Werke von Schrammel bis Strauss.
Zu erwähnen sind auch Märsche aus weniger prominenter Hand, meist auch weniger bekannten Personen oder Einrichtungen gewidmet. Ein Beispiel ist der Hietzinger Sport-Club-Marsch von Oskar Winkler. Siehe dazu →Seite 778
Unten die Tafel zum Gedenken an das erstmalige Erklingen des Deutschmeister Regimentsmarsches
im Ober St. Veiter Casino,
Hietzinger Hauptstraße 141
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Das Ober St. Veiter Kasino
vor 1899
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Zum Klingenden Wien gehört auch die Drehleier, das Werkel dazu. Ursprünglich waren die Werkelmänner meist invalide Kriegsveteranen, 1838 hatten in Wien rund 800 Werkelmänner eine Lizenz, 1900 waren es noch 220 und 1930 wurden keine neuen Lizenzen mehr vergeben, sodass die Zahl rasch abnahm. Hietzing hatte einen sehr prominenten Leierspieler, Konrad Schrammel, einen Halbbruder der Brüder Schrammel. Er war ein Kriegsversehrter aus dem Krieg in Italien 1859. Er war verwundet und im Februar 1860 laut Militärgrundbuch wegen Verkürzung des Radius Constracto, des Beugers und Streckers des rechten Vorderarms, durch einen Muskeldurchschuss bei Monte Bello ins Wiener Invalidenhaus gebracht worden. Am 1. Februar 1866 wurde er mit einem Invalidenpatent gegen Erhalt einer Abfertigung von 36 Gulden und dem Fortbezug der Verwundungszulage von täglich 10 Kreuzer entlassen. Um seine finanzielle Situation zu verbessern, hatte Konrad Schrammel schon Monate vor seiner Entlassung um eine Drehorgellizenz angesucht. Trotz anfänglich negativem Bescheid erhielt er eine Lizenz für Hietzing. 1869 bemühte er sich um Verlängerung dieser Bettellizenz. Damals war er Witwer mit vier unmündigen Kindern. Die Musikalität hatte er von seinem Vater Kasper, der aus dem Waldviertel kam, geerbt. Als Kind soll er ein guter Geiger gewesen sein.
Frau Katharina Schratt wird überall genannt, vor allem im Zusammenhang mit Kaiser Franz Joseph I. Und da gibt es eine Legende: Sie wohnte in einer Villa in der Gloriettegasse. Nicht allzu lange nach dem Tod des Kronprinzen 1889 wurde das Quartett der Brüder Schrammel in die Villa der Burgschauspielerin Katharina Schratt, der edelsinnigen Freundin des Kaisers, geladen. Die Schrammel waren es gewohnt, zu Gesellschaften verpflichtet zu werden, hier aber fanden sie keine Teegesellschaft versammelt. Die Türen zu den Zimmern standen offen und nirgends war ein Gast zu sehen. Die Hausfrau ließ sich ganz alleine von den vier Musikern vorspielen. Aber im Nebenraum, abgedeckt durch einen Paravent, vermuteten die Schrammel den Kaiser, den die Frau Schratt eingeladen hatte, um sich die berühmten Brüder, deren Name heute noch für eine bestimmte Wienerische Musiksituation steht, anzuhören. Johann Schrammel hat der Frau k. u. k. Burgschauspielerin auch eine Francaise gewidmet, genannt Käthchen-Polka.
Ein weiteres Lied lautet „Die Frau Schratt“ veröffentlicht in: Das letzte Lied: Wienerlied. Liedanfang und Refrain: In einer Villa in Hietzing. Text: Josef Petrak, Komponist: Josef Fiedler. 1959.
Hietzing
Ein breites Feld sind die markanten Personen, Institutionen oder den Vorzügen von Orten oder Gegenden gewidmeten Loblieder und Lobgesänge. Ein älteres Beispiel ist der Lobgesang zu Ehren des heiligen Veit in Ober St. Veit an der Wien. Verfasst von Pfarrer Anton Genstorfer und Herausgegeben von Anton Malina, Pfarrer und Weltpriester allda. Druck von Leopold Grund (Karl Gorischek), Wien 1861. Er beginnt mit den Zeilen
Kommt fromme Christen, sammelt euch,
Vor unserm Schutzpatrone,
Dem Jesus Christ im Himmelreich
Verlieh die Siegerkrone.
Für Jesus, seinen Herrn und Gott,
Erlitt St. Veit den Martertod.
Gerne besungen wurden gesellige Einrichtungen wie die örtlichen Gasthäuser und deren Besitzer. Eigentlich hatte sogar fast jedes Lokal und jeder Verein sein Lied. Hier einige Beispiele mit deren erster Strophe:
Das Döltllied, zu Ostern 1920 dem lieben Wirt und seinen Gästen gewidmet. Text von Franz Slawik, Musik von Jaques Jelinek
Wenn man d'ganze Woche sich plagt irgendwo,
In aner Werkstatt, oder in an Büro
Und es kommt da Sonntag dann endlich daher,
So freut an das Leben gleich vielmehr.
Man liegt erstens länger wie g'wöhnlich im Bett
Man wechselt die Wäsche und macht sich adrett,
Man isst etwas besser und nimmt's schöne Gwand
Und is' dann a Gsellschaft beinand,
So fragt man sich untereinand um den Rat,
Wo geh'n ma' heut hin, bis man's hat? ...
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Der Heurige Döltl vor 100 Jahren im Jahr 1915. Rechts hinter dem Gitarrenspieler ist das Wirtsehepaar Carl und Josefa Döltl zu sehen. Ein Trio bestehend aus Violine, Harmonika und Kontragitarre war die gängige Wirtshausmusik. Die Gaststube beherbergte immer wieder prominente Künstler wie den Komponist Oskar Schima („Mamatschi, schenk mir ein Pferdchen...“).
Foto: Heuriger Schneider-Gössl
Hietzing
Ja zum Döltl nach St. Veit
Ziagt's mi hin jederzeit,
Denn so gmüatlich, wie dort
Find' ma' selten an Ort,
Bei der Musi, bei dem Wein
Glaubt ma' im Paradies zu sein.
"Prost kling kling! Prost kling kling!
Stoss'n's an und stimmen's ein,
Prost kling kling! Prost kling kling!
Da muaß ma'a alle Sonntag sein!"
Der Ober St. Veiter Sparverein, Worte und Musik von Josef Brix.
An Sparverein den hab' i – der Obmann is mei Frau,
sie kriegt net gnua beim Sparen, die Weiber, die san schlau.
Doch ich als echter Wiener, hab' a mei Hamlichkeit,
ich trage meinen Guld'n zur schönen Aussicht heut.
Weitere Lokale besingende Lieder sind „Das Stock im Weg Lied“, Seiner Hochwohlgeboren Herrn Alfred Doll, dem Besitzer des Weinhauses Stock im Weg, zu seinem Namenstag gewidmet, (Text: Franz Fux, Musik: Franz. Ed. Wunsch, zuerst gesungen von Theo Nikl) und „In Ober St. Veit, im Winzerhaus“, Puraners Weinhaus in der Schweizertalstraße 4 gewidmet (Text: Otto Kleske, Musik: Josef Obermayer).
Eine besondere Stellung nimmt das Lied „I hab' halt a Faible für Ober St. Veit“ ein. Text: Richard Czapek/J. Kaderka Musik: Richard Czapek.
I und mei Schatzerl
Wissen a Platzerl
Wir habs entdeckt
hamlich versteckt
s Weinderl is ölig
das macht dich selig
mit einem Wort
das ist der Ausflugsort!
Refrain:
I hab halt a Faible für Ober-St. Veit…
für d Wirtshäuserln unter die Bam.
Mei Maderl und i
gehen am Sonntag zu zweit,
nach Ober-St. Veit in der Gham!
Es braucht ja net jeder zu wissen,
wenn wir dort beim Weinderl uns küssen!
Drum hab i a Faible für Ober-St. Veit
Von dort is s in Himmel net weit!
Deckblatt zum Stock im Weg Lied
Helene und Franz Gössl mit dem Duo Tschapek, den Komponisten des Liedes „I hob halt ein Faible für Ober St. Veit“ im Juni 1991. Das Lied wurde hier im Garten komponiert.
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Hietzing
In den Archiven stößt man auch auf Lieder, in denen Menschen ihre berufliche Tätigkeit besingen, manchmal auch mit Bezug auf Hietzing.
In der Fruah (aus der Volksmudikdatenbank).
Strophen: In der Fruah kraht der Håhn, steh-r-i auf und leg mi ån, holla ritå ririti ri jå, nimm meiñ Strigerl in d´Hånd fång ins Roßputzn ån, holla ritiå ri ritiå ri jå. [Strophe 1]
Geh hintri in d´Schupfn, schiab füra mein Wågn, spånn ån meine Rapperl, fåhr åbi in Gråbm. [Strophe 2]
I steh nit lång untn, kummt aner daher, der frågt mi, wås i nach Hiatzing begehr. [Strophe 3]
Fünf Guldn auf Hiatzing, des war gråd nit z´vil, wånn si Euer Gnådn nit aufhåltn will. [Strophe 4]
I waß ma nix Scheners åls lusti kutschiern, a Kutscher will is bleibm, bis mi selber außiführn. [Strophe 5]
Hier die Strophen normiert:
In der Früh kräht der Hahn, stehe ich auf und ziehe mich an, ..., nehme meinen Striegel in die Hand fange Pferde zu putzen an, .... [Strophe 1]
gehe ich nach hinten in den Schupen, schiebe vor meinen Wagen, spanne an meine Rappen, fahre hinunter auf den Graben. [Strophe 2]
Ich stehe nicht lange unten, kommt einer daher, der fragt mich, was ich nach Hietzing begehre. [Strophe 3]
Fünf Gulden nach Hietzing, das wäre gerade nicht zu viel, wenn sich Euer Gnaden nicht aufhalten will. [Strophe 4]
Ich weiß mir nichts Schöneres als lustig kutschieren, ein Kutscher will ich bleiben, bis sie mich selber hinausführen. [Strophe 5] 1925 (Niederschrift)
Vor allem das Ableben eines Menschen aber auch der Untergang einer kulturellen Einrichtung animiert oft zu einer kompositorischen Bewältigung des Schmerzes. Ein Beispiel ist der „Trauergesang Maria Theresias“. In: Liederbücher aus Gaflenz.
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Dieses vom Duo Tschapek komponierte Lied wurde zur oft gespielten inoffiziellen Hymne der Region. Natürlich besingen auch weitere Lieder das schöne Ober St. Veit, wie zum Beispiel „Ober St. Veit“ vom häufig beim Heurigen Schneider-Gössl auftretenden Duo de Zwa.
Hietzing
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Ach betrübte Tag und Stunden, ach du höchst betrübte Zeit.
Strophen: Alles geht zu seinem Ende, alls hienieden geht zugrund
Höret auf vom Musizieren, höret auf vom Saitenspiel
Man sollt sich schon allzeit richten alle Stund und Augen
Behüt euch Gott, meine Landeskinder, die ihr noch bei Leben seid
Nach Laxenburg bin ich oft gefahren, war allezeit mein größte Freud
O Schönbrunn, mein Freud und Wonne, meines Herzens Aufenthalt
Von Gottes Gnaden ich mich nannte Maria Theresia nur allein
Nun, o Joseph, sei beschlisen (?) stell dich als ein tapfrer Held
Nun so ende ich mein Leben, Joseph soll Regierer sein
Lebet wohl, ihr Potentaten, lebet wohl ihr Ordenständ
Nun, o Joseph, sei gebeten, beschütz das Haus von Oesterreich
Dir, o Joseph, tu ich befehlen alle lieben Landeskinder mein.
Abschließend zu den dargestellten Musikarten gehe ich noch auf das Wienerlied ein. Teilweise ist dies eine Überschneidung zu den vorhergehenden Punkten, schließlich sind Walzer und Operetten häufig die Quellen für Wienerlieder und die Loblieder oder Berufslieder tönen ohnehin meist wie die Wienerlieder oder sind solche. Hier soll ergänzend und als Abschluss zu den bisherigen Ausführungen auf die vielen im Volksliedwerk auffindbare Lieder (nicht nur Wienerlieder) eingegangen werden, die Bezug zu Hietzing – genauer: Alt-Hietzing und die anderen Vororte – haben. Die Liste ist nach Ortsgemeinden bzw. alphabetisch sortiert und beschränkt sich auf die Eckdaten.
Hacking
I bin a Hütteldorf-Hackinger, gesungen 1951 von Hermann Leopoldi. Verwirrend ist die Ortsbezeichnung „Hütteldorf-Hacking“ die als Zusatz zu Stationen oder Gebäuden wohl vorkommt, nicht jedoch als Ort der Abstammung oder als Lebensmittelpunkt. Doch weiß man von der Rapid-Affinität Hermann Leopoldis, also ist er eigentlich ein Hütteldorfer.
In Hacking da kenne ich ein Beisl. Liedanfang: Servus Du, Du alte Hütt'n. Refrain: In Hacking da kenne ich ein Beisl, da findest Du kein zweites mehr in Wien. Text: Rudolf Krehlik, Alois Eckhardt; Komponist: Josef Zehentner.
Hietzing
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Hietzing
Hietzing kommt natürlich bei den Bratfisch G'stanzeln vor (Text und Musik: Carl Lorens):
A Fiaker bin i, das is net erlog'n.
Zwa Rösserln, a Zeugerl und a gut's Glasel Wein
Will Einer um a Zwarerl nach Hietzing vom Grab'n
Ein' Werkelmann hab'ns gestern auf d' Nacht arretirt
A Schimmel ist weiß und a Füchsel ist roth
Anno Dreiasiebz'g hab'n ma G'habt viel Millionär
Der Blitz der macht Zikzak, die Uhr die geht Tiktak
Die Stellwäg'n fahr'n nimmer mit'n Silberer-Ballon
Die Stellwäg'n die kommen mir g'rad a so vor
Das in "Hungerl" der Wind net vom Bock h'runter waht
Mi heißens in "Bratfisch" I kann nix dafürHeut wart' i auf a Fuhr' hab' glaubt, der Teufel muß mi hol'n
Mei Wag'n hat vier Radeln, acht Haxen, zwa Roß
Mein' Schimmel, dem hat heut' träumt bei der Nacht
Meine G'stanzeln sein gar, und mit'n Singern is's aus
Weitere Hietzing-Lieder:
Der eine da, der andre dort. Strophe: Ein Freund von mir, der hat in Hietzing sein Haus [Strophe 1]. Wiener Zeitung vom 5.5.1997. Text und Musik: Robert Becherer.
Der Wein ist wie ein Pupperl. Liedanfang: Der eine trinkt den Wein gern geg'n den Durst, der andere als Beilag' zu der Wurst. Refrain: Der Wein ist wie ein Pupperl das man beiss'n könnt', weg'n dem man z'fuß von Hietzing bis nach Grinzing rennt. Text: Kurt Svab, Komponist: Theo Ferstl.
Die Wienerische Note. Der Titel „Hietzinger G'schichten“ aus der Suite "Vorstadt-Impressionen" ist rein instrumental, ohne Text.
Draußt in Hietzing gibts a Remasuri. Aus der Operette Wiener Blut. Komponist: Johann Strauss Sohn.
Ein Sonntag in Hietzing. Katherinen Polka.
Ein Traum vom alten Wien. Liedanfang: Altes Wien, wo Johann Strauss einst hat geschrieben seine Walzermelodien.
Strophen: Wo Sonntag man sein Mäderl mit dem Zeiserlwagn hat g'führt nach Hietzing [Strophe 1]
Dort wo der Kuppelwieser und der Schwind habn oft skizziert ihr'n Freund den Franzl Schubert [Strophe 2]
Und ein Mann geht duch die engen Vorstadtgassen, schaut jed' s Haus an [Strophe 3]
Liebes Wien, was für die Welt du einst geschrieben, wird in hundert Jahr' n noch blüh' n [Strophe 4]
Text: Tony Hartweger, Hugo Wiener; Komponist: Frits Janssen. 1953
Hietzing
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Hietzinger Buam. Marschlied. Liedanfang und Refrain: Die Hietzinger Buam sind so hitzig. Darin: Wien kann niemand beschrieben. In: Hietzinger Buam: Marschlied. Liedanfang: Geht man durch die Wiener Straßen. Text: Karl Erhard, Josef Dörr.
Hietzinger Marsch. Nach Motiven der Operette „Der Natursänger“ von Edmund Eysler. 1912
In Hietzing, beim Dommayer spielt heut der Strauss (Alt-Wiener Walzerlied nach einer wahren Begebenheit, dem Förderer Wiener Musik Alexander Gaginelli zu seinem 50. Geburtstag herzlichst gewidmet). Liedanfang: Was is' denn nur los, alle Leut' sind wie toll, d' Fiaker und Stellwag'n sind alle ganz voll. Strophen: D'Frau Mutter im seidenen Kleid gar stolziert [Strophe 2], Und während die Leut' sich im Tanz alle dreh'n [Strophe 3]. Refrain: Das war ein Jauchzen und ein Singen, wenn der Strauss hat g'spielt, ließ die Geige er erklingen, hat man sich im Himmel g'fühlt. Text und Musik: Ernst Arnold. 1925
In Hietzing, in einem ganz kleinen Kaffee. Enthalten in:Andulka: aus der Operette: „Wiener Bonbons“. Liedanfang: Die Leni, der Franzl, im Sonntagskleid, die Resi, der Peperl und andere Leut. Refrain: In Hietzing, in einem ganz kleinen Kaffee, da träumen oft Pärchen bei Kuchen und Tee. Strophen: Es schwinden die Stunden der Frühlingszeit, da draußen ist Winter, der Schneeflocken streut [Strophe 2].1943
Nach Döbling, nach Pötzelsdorf. Duett aus „Die Bekanntschaft im Paradeisgartl“. Posse mit Gesang von Friedrich Hopp. Musik von Julius Hopp. Liedanfang: Nach Döbling, nach Pötzelsdorf, Gerstdorf, nach Währing inst Landgut zu Löwen, nach Hietzing zum Strauss! 1836
Platzmusik! (Am Hietzinger Platz ist heut Platzmusik!). Stimmungswalzer. Liedanfang: Was ist denn dort los? Ist vielleicht was gescheh'n. Refrain: Am Hietzinger Platz ist heute Platzmusik. Strophen: Der Schuster benagelt im Takt seine Schuh [Strophe 2] Die Zeit fliegt so rasch, man bemerkt es ja kaum [Strophe 3]. Text: Peter Herz, Komponist: Hermann Leopoldi. 1935
Was weißt denn du. Liedanfang: Muß man denn nach Grinzing 'nausfahr'n zu an Dulieh. Refrain: Was weißt denn du, wie wunderschön 's in Hietzing ist. Text und Musik: Norbert Pawlicki.
Wie war mein Wien vor fünfzig Jahren! Liedanfang: Rings umgeben von Narzissen, Rosen, Flieder und Jasmin. Strophen: S' alte Platzerl draußt in Hietzing wo noch g'herrscht hat d' Gmüatlichkeit [Strophe 2]. Text: R. Schenk, Komponist: Ernst Arnold.
Lainz
Der Traum von an alten Weana. Liedanfang: A alter Urweana sitzt draußen in Lainz im Versorgungshausgarten. Text und Musik: Josef Obermayer. Enthalten auch im Liederbuch Theresia Slabak
Die alte Dampftramway. Liedanfang: In Lainz, da steht a Herrgottsäuln noch aus alter Zeit. Refrain: Die alte Dampftramway
Hietzing
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wie's einmal war, kennt heute keiner mehr. Text: Franz Ichmann, Komponist: Richard Czapek. 1960
Du liabes Gasthaus in Lainz. Lindanfang: I hab' in Lainz draußt a Wirtshaus entdeckt. Refrain: Du liabes Gasthaus in Lainz. Text: Franz Hesik, Hans May; Komponist: Bruno Laske.
Auf das Versorgungsheim als Endstation spielen mehrere Lieder an, z.B.:
Des Alter kommt immer zu früh. ... Waunnst erst in Lainz und ein Pflegefall bist.
Da want er wir a Kind, um d'alt Zeit. ... Heut sitzt er in Lainz. Text: Ferdinand Posch, Komponist; Alexander Hornig
Lieder mit Lainz-Strophe: In Floridsdorf am Spitz. Strophen: Jeder kommt oft nach Ottakring, mancher kommt nach Hernals – Gern geht man in den Prater hin, mit einer schönen Frau – Jüngst sprach ich eine an in Lainz, süß war die kleine Maus [Strophe 3]. Text: Peter Herz, Theodor Waldau; Satz: Otto Thirsfeld; Komponist: Hermann Leopoldi.
Sankt Veit (Ober und Unter)
In Ober Sankt Veit. Liedanfang: Der Wiener lernt als Kind schon kennen die Liebe Vaterstadt. Refrain: Ein Spaziergang in Ober Sankt Veit is für'n Weana noch immer a Freud. Text: Lea Warden, Komponist: Erika Hirsch. 1972
In Ober St. Veit, im Winzerhaus. Liedanfang: In Ober St. Veit, draußt im Winzerhaus. Refrain: I weiß schon wo's schön is. Text: Otto Kleska, Komponist: Josef Obermayer.
In Ober-Sankt Veit steht ein Häuserl ganz klein! Liedanfang: O du mein liebes Wien, was hat man aus dir g'macht. Verändert hast du dich beinahe über Nacht. Refrain: In Ober Sankt Veit steht ein Häuserl ganz klein, dort kriegt für sei' Geld man a guat's Tröpferl Wein. Text: O. Tschech, Komponist: Otto Endler.
In Ober-Sankt Veit und in Unter-Sankt Veit! Liedanfang: Du hast mich nie verstanden, liebe Kleine, hast nie erhört mein Fleh'n. komm' sei die Meine! Refrain: In Ober Sankt Veit und in Unter Sankt Veit, da schwärmt keine Maid für die Einsamkeit und absolut schon gar nicht, zur schönen Sommerszeit. Text: Alois Eckhardt, Komponist: Karl Föderl. 1929
Kennst du das Kircherl in Ober St. Veit? Liedanfang: Jeder Wiener hat, das ist doch klar, 's herz auf sein' Fleck, das is wahr. Fern von meiner Heimat sitz' ich hier und spür' ein Herzweh in mir [Strophe 2]. Text und Musik: Frank Filip. 1947
Schönbrunn
Unzählige Lieder besingen in einer ihrer Strophen die Schönheit „draußen in Schönbrunn“ oder andere Vorzüge vor allem des Schlossparkes. Auch der „Alte Herr“ im Schloss wird gerne glori
Hietzing
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fiziert. Bissigere Textautoren beginnen ihre Gedanken oft bei den Affen im Zoo. Sie alle können nicht angeführt werden, selbst die folgende Listung von Liedern mit intensiverem Schönbrunn-Bezug ist länger als die aller anderen Vororte.
Altes Schloss von Schönbrunn. Liedanfang: Der alte Herr Vorstand vom Wiener Magistrat war immer sehr genau und korrekt, er hat treu gedient. Refrain: Altes Schloß von Schönbrunn, dich hat Wien heut' noch gern, altes Schloß von Schönbrunn grüßt vertraut. Text und Musik: Heinz Conrads. 1948
Da draussen im Park von Schönbrunn. Liedanfang: Da draußen im Park von Schönbrunn hat Amor oft sehr viel zu tun. Text: Carl Denk, Komponist: Ferry Andrée. 1959
Das alte Taubenhaus. Liedanfang und Refrain: Es war beim alten Taubenhaus im herrlichen Schönbrunn. Text: Franz Ichmann, Komponist: Carl Breyer. 1961
Das Bankerl in Schönbrunn. Liedanfang: Auf unser'm Bankerl drin' im Schlosspark von Schönbrunn. Text: Gerhard Blaboll, Komponist: Herbert Bäuml.
Die Afferln in Schönbrunn sind klein. Liedanfang: Heut' hab' ich nix zu tun. Text: Erich Meder, Komponist: Karl Föderl. 1939
Die kleine Allee im Park von Schönbrunn. Liedanfang: Wenn im schönsten Wiener Garten junge Herr'n auf Mäderln warten. Refrain: Die kleine Allee im Park von Schönbrunn führt in die vergangene Zeit. Text: Hans Werner, Komponist: Norbert Pawlicki. 1960
Draußen in Schönbrunn. Liedanfang: Kommst du in die Wienerstadt, mußt in Prater geh'n, o, da schaust di nimmer satt, so viel gibts zu seh'n. Strophen: Wann's der böse Nachbar will, gibt's ka G'müatlichkeit, lebt der beste Mensch nicht still, muß hinaus in Streit! [Strophe 2]. Refrain: Draußen im Schönbrunnerpark, draußen im Schönbrunnerpark sitzt ein alter Herr. Text: Fritz Grünbaum, Komponist: Ralph Benatzky. 1914.
Du mein Schönbrunn. Aus der Operette „Die Kaiserin“. Liedanfang: Friedrich liegst du, waldumgeben, du mein köstliches Bijou, Hügelketten süßer Reben wachen über deiner Ruh`. Refrain: Du mein Schönbrunn, mein liebes Schönbrunn festlich gekleidet in leuchtendes grün. Text: Julius Brammer, Alfred Grünwald; Komponist: Leo Fall. 1915
Es steht eine Bank im Schönbrunnerpark. Liedanfang: Auf den Weg zur Gloriette durch die dunkle Reitalle kommt die duftende Kokette zu dem süßen tête à tête. Strophen: In dem Park die Finken sangen sich ein Liebesliedchen zu kam ein Wienerkind gegangen bang zum ersten Rendezvous [Strophe 2]. Refrain: Es steht eine Bank im Schönbrunnerpark noch aus längst vergang'ner Zeit, dort hat wohl schon oft von Küssen betört ein Mäderl verträumt den Liebsten erhört, und hinter den Zweigen da wacht mit verklärtem Blick still und voll Andacht das Glück. Text: Alfred Steinberg-Frank, Komponist: Heinrich Strecker. 1926
Frühling in Schönbrunn. Komponist: Hans Zajicek.
Hietzing
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Geh'n S' sagen S' Ihrer Hand, sie soll anständig sein. Wiener Couplet-Chanson. Liedanfang: Schönbrunner Schlosspark, viel hast du geseh'n. Text: Erich Meder, Komponist: Carl Breyer. 1945
Gehst du langsam durch Schönbrunn. Text und Musik: Herbert Prikopa.
Hofball in Schönbrunn. Operette. Darin Walzerlied „Schönste Frau von Wien“. Text: Bruno Hardt-Warden, Komponist: August Pepök. 1937
Ich hab' geträumt, der alte Kaiser. In: Das letzte Lied: Wienerlied. Liedanfang: Ich weiß nicht, was mich so bewegt. Refrain: Ich hab' geträumt, der alte Kaiser sitzt wieder in Schönbrunn. Text: Josef Baar, Komponist: Tony Hartweger.
Ich weiß in Schönbrunn manches Platzerl. Walzerlied. Liedanfang: Sonne freundlich lacht rings um Frühlingspracht. Refrain: Ich weiß in Schönbrunn manches Platzerl. Text: Karl Maria Jäger, Komponist: Rudolf Kronegger.
Im Schlosspark in Schönbrunn. Komponist: Ernst Arnold.
Im Schlosspark zu Schönbrunn. Walzer Idylle. Komponist: Paul Herzbach.
Im Schönbrunnerpark. Lied aus der Operette: „Hochzeit in Hollywood“. Liedanfang: Es war ein kleines Zimmer und drin ein Menschenpaar, das wie Verliebte immer, verträumt und selig war. Strophen: Blühn wieder die Kastanien, wo reisen wir dann hin? nach Frankreich nicht, nach Spanien, wir denken nur an Wien [Strophe 2] Refrain: Wenn im Schönbrunnerpark die blonden Mäderln gehn, wenn sie dort reihenweis' wie duft'ge Veilchen stehn. Text: Leopold Jacobson, Bruno Hardt-Warden; Komponist: Oscar Straus. 1929
Im Schönbrunnerpark blüht ein Kastanienbaum. Liedanfang: Im Schönbrunnerpark blüht ein Kastanienbaum, stummer Zeuge entschwundener Zeit. Text: Hans Werner, Komponist: Sigi Hussner. 1963
In der Seufzerallee in Schönbrunn. Humoristisches Marschlied. Liedanfang: Wenn der Spargel nach der Länge. Text: Karl Maria Jäger, Komponist: Roman Domanig-Roll. 1931
In Schönbrunn. Liedanfang: In Schönbrunn, in Schönbrunn, da steht alles umadum vor an Käfig drin wohnen die Aff'n. Text: Erich Benedini, Komonist: Heinz Hruza. 1974
In Schönbrunn. Aus der Operette „Mädel aus Wien“. Liedanfang: Ein galantes Rendezvous bei den blühenden Mimosen, dort wo Nymphen unter Rosen. Refrain: In Schönbrunn, in Schönbrunn, hat der kleine Amor schrecklich viel zu tun, was dort Herzen brechen. Text: Franz Josef Gribitz, Komponist: Heinrich Strecker. 1932
In Schönbrunn. Liedanfang: Hörst Marie, was is heut? Sonntag früh? Refrain: In Schönbrunn, in Schönbrunn, scheint um fünf herum noch allerweil die Sunn' in Schönnbrunn, in Schönbrunn, hat der liebe Gott dann furchtbar viel zu tun! Er gibt acht, daß ihm kein verliebtes Paarl a Dummheit macht, denn wenn die
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Sunn amal schlafn geht, gleich ist die Liebe dann aufgewacht, ja in Schönbrunn, in Schönbrunn bei der Nacht! Fritz Grünbaum, Karl Farkas. 1926
In Schönbrunn am Abend in der Flüsterallee. Liedanfang: In Schönbrunn am Abend in der Flüsterallee, in Schönbrunn, da sagt man allen Sorgen „ade“. Text: Peter Herz, Komponist: Oskar Burian. 1962
In Schönbrunn bei den Affen. Marschlied. Liedanfang: „Papa“, sagt die Mama, „Sonntag is', was tan ma? Jeder Mensch, der auf sich halt', hat ein Programm.“ Refrain: In Schönbrunn, in Schönbrunn bei die Affen, stengan d'Leut vor die Käfig und gaffen. Text: Trude Marzik, Komponist: Hans Weiner-Dillmann. 1973
In Schönbrunn duftet süß der Jasmin. Liedanfang: Schön macht der Frühling den Prater im Mai. Strophen: Großmutter sitzt in Schönbrunn auf der Bank [Strophe 2] Refrain: In Schönbrunn duftet süß der Jasmin. Text: Hans Werner (Josef Hochmuth?) Komponist: Hans (Johanna?) Weiner-Dillmann, Interpret u.a.: Friedrich Karl. Lanske Schrammeln (Quintett). 1941
In Schönbrunn hab' ich einmal ein Mädel geküsst. Liedanfang: Ein sonniger Tag und ein junger Student. Refrain: In Schönbrunn hab' ich einmal ein Mädel geküsst. Text: Kurt Breuer, Komponist: Willy Buchbinder. 1923
In Schönbrunn ist Großalarm. In: Wienerlied macht Schule: Volksmusik im alten und neuen Wien. Text: Peter Ahorner, Komponist: Klemens Lendl, David Müller; Interpreten: Duo Die Strottern. 2006
In Schönbrunn, sagt er. Strophen: In Schönbrunn, sagt er, sitzt a Aff´, s.e., hat a Gsicht, s.e., wia a Pfaff, s.e., frißt an Zucker, s.e., sauft an Wein, s.e., so a Aff, sagt er, möcht i sein.
Marienkäferl fliag. Strophen: Marienkäferl fliag Fliag nach Schönbrunn Bring uns alle Tag A schöne Sunn.
Mein liab's Schönbrunn. Liedanfang: 's hat sich ein Wiener d'Welt ang'schaut, reiste auch durch Deutschlands Gauen. Refrain: Mein liab's Schönbrunn dir kommt nicht gleich. Text und Musik: Leopold Sprowacker.
Mein Schönbrunn. Liedanfang: Kaum daß mit gold'nem Sonnenschein. Refrain: Ja, mein Schönbrunn, du bist mein Traum. Text: Karl Maria Jäger, Kompnist: Franz Geisslar. 1955
's Gänsebleamerl von Schönbrunn. Liedanfang: Es steht a Gänsebleamerl vor dem Schönbrunnerschloss. Refrain: Da sagt der Himmelvater: Du musst net traurig sein. Text und Musik: Hildegard Engelmeier.
Schönbrunn. Liedanfang: Schönbrunn an einem Wintertag. Text: Lea Warden, Komponist: Walter Friedrich.
Schönbrunn du liebliches Märchen im Mai. Text und Musik: Heinz Mietzner
Schönbrunn, du Traum von Wien. Liedanfang: Ein Gittertor, von Löwen bewacht, zwei Adler Hoch in Lüften. Refrain: Schön
Hietzing
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brunn, Schönbrunn, du Traum von Wien. Text: Michael Klieba, Komponist: Johann Langer. 1933
Schönbrunn im Kerzenlicht. Komponist: Richard Bäuer. 1988
Schönbrunner Lied. Text: Gretl Rubesch, Komponist: Herbert Seiter.
Schönbrunner Menuett. Komponist: Ludwig Babinski. 1988
Schönbrunner Polka op. 151
Schönbrunner Walzer. Instrumental. 1952
Schrammeln, spielt's ma no an Tanz. Liedanfang: Was a echter Weana is, nimmt sei Madl, das is gwiß, fahrt mit ihr zum Heurign naus. Strophen: Wo is die guate Zeit mit der Weana Gmüatlichkeit? alles muß jetzt sein modern [Strophe 2] Wenns amal ans Sterben geht, alles sich nur darum dreht, daß im Himmel drobn a Wein [Strophe 3]. Refrain: Schrammeln, spielt mir noch einen Tanz, von Schönbrunn, vom Kaiser Franz, aus der guten alten Zeit. Text: Walter Simlinger, Komponist: Rudolf Nützlader. 1933
Sei kein trutziges Binkerl? Liedanfang: Tausend Liabe, schöne Sachen, die dich froh und glücklich machen, möchte ich dir immer sag' n. Refrain: Der Prater, Schönbrunn und Ober St. Veit, die sind halt weit. Text: Hans Hauenstein, Komponist: Fritz Killer. 1971
So schön ist's in Wien, wenn der Flieder blüht. Liedanfang: Auf dem Ring da geht die Mitzi, sie hat an ein Seidenkleid. Refrain normiert: Ich weiß in Schönbrunn manchen Platz. Text: Willy Kirschner, Komponist: Franz Fischbach.
Spaziergang nach Schönbrunn. Liedanfang: Wia i a klaner Bua no' war, so ungefähr im „Elferjahr“. Strophen: Als ich ein Mann mit vierzig war, die Mutter längst schon weiß im Haar [Strophe 2]. Refrain: Glaubst, wird er heut' auf uns oba schau'n, mit seinen gütigen, blauen Aug'n? // Glaubst, wird er jetzt auf uns oba schau'n, mit seinen gütigen, blaeun Aug'n. Text: Raimund Brettner, Karl Savara; Komponist: Raimund Brettner. 1960
Wånns glauben in Schönbrunn san de Afferln z’Haus, då täuschn Sie sich, lieber Herr. Strophe: sie fåhrn gånz heimlich nåch Grinzing hinaus, dort san’s jedn Tåg bitte sehr, drum såg i mein Weiberl wånn sie mi sekkiert, i muaß jetzt gånz dringend zum Wein, damit meinen Afferln nur jå nix passiert, denn ich bin doch beim Tierschutzverein.
Wenn in Schönbrunn. Liedanfang: Oft geh' ich durch uns're Stadt wo es jeder eilig hat. Refrain: Wenn in Schönbrunn blüh'n die Rosen, dann schwebt ein Duft über Wien ich laß von ihm mich liebkosen. Text: Ernst Track, Komponist: Josef Graf. 1963
Speising
Zu Speising habe ich keine Lieder gefunden.
Hietzing
Als Begründer des Männergesanges wird Michael Haydn (1737–1806) angesehen, der als erster den 4-stimmigen Männerchor pflegte. Bald bildeten sich Körperschaften, die sich die Pflege des deutschen Liedes zur Aufgabe stellten und trachteten, es zum Gemeingut des ganzen Volkes zu machen. Als ältester Gesangverein wird der 1804 in Mies im deutschen Teil Böhmens entstandene genannt. Als erster namhafter Verein gilt die 1815 in Frankfurt am Main gegründete „Frankfurter Liedertafel“, die Basis für den späteren „Deutschen Sängerbund“.
Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts wurde von dem Freiheitskämpfer Dr. August Schmidt der Wiener Männergesangverein als erster Wiener Gesangverein gegründet. Dr. August Schmidt, der bis zu seinem Tod Ende der 1880er-Jahre in der Auhofstraße 45 in Unter-St. Veit gewohnt hatte, wurde unter starker Beteiligung des Wiener Männergesangvereins auf dem Ober St. Veiter Friedhof bestattet und bekam später ein Ehrengrab im Zentralfriedhof.
In den 1870er-Jahren begann sich ein regeres Sängerleben zu entfalten. Im heutigen 13. Wiener Gemeindebezirk war als erster der 1868 gegründete Hietzinger M.G.V. zu verzeichnen. Er stand längere Zeit unter der Leitung des bekannten Lieder- und Chorkomponisten A. M. Storch. Das letzte Jahr dieses Zeitabschnittes, das Jahr 1870, brachte eine stattliche Reihe von Gesangvereinen hervor, darunter war auch der Ober St. Veiter Männergesangverein. Anders als die Mehrzahl der übrigen zum Teil nur kurzlebigen Vereine spielte er im öffentlichen und kulturellen Leben des Ortes eine nachhaltige Rolle. Der Ober St. Veiter Männergesangverein zählte zeitweise zu den erfolgreichsten und größten Mitgliedern des Niederösterreichischen Sängerbundes.
Die Erfolgsgeschichte währte sehr lange, doch ab dem Jahr 1970, in dem der Ober St. Veiter MGV sein 100. Gründungsjahr feierte, ist die Vereinschronik von zunehmenden Warnhinweisen durchsetzt: Mangelhafter Besuch der Proben, wohlstandsbedingtes aufkeimendes kulturelles Desinteresse, hoffnungslose Überalterung der rückläufigen Mitgliedschaft, Festhalten an überlieferten Formen etc. Schließlich wurde der Verein 1975 in einen gemischten Chor umgestaltet.
Der zur „Chorvereingung Ober St. Veit“ umbenannte Verein bestand bis 1999, 1998 trat er aus dem Sängerbund für Wien und Niederösterreich aus.
Außer dem Hietzinger und dem Ober St. Veiter MGV gab es auch Männergesangvereine in Hacking und Unter St. Veit. Der Hackinger MGV scheint nach dem Zweiten Weltkrieg keine eigene Vereinstätigkeit mehr aufgenommen zu haben, auch wegen Ausscheidens des Chormeisters. Die verbliebenen Sänger übten gemeinsam mit den Ober St. Veiter Sängern.
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Quellen:
Chronik des Ober-St. Veiter Männergesangvereines der Jahre 1870 bis 1950, verfasst von Richard Lauer. Sie ist ein erstrangiges Dokument zur Geschichte des Dorfes und der Gesangvereine. Siehe dazu www.1133.at/Bericht 318
Holzapfel, Josef:
Historisches Ober St. Veit
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Hymne des Narrenzentrum Ober St. Veit, geschrieben von Hermann Schmidt aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums des Ober St. Veiter Drahrer Cubs.
Hermann Schmidt war von 1975 bis 1990 Leiter der Chorvereinigung Ober St. Veit.
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Damals im Jahre 1951, als der Vorläufer des Madrigalchors entstand, gab es im Grunde genommen keinen Bedarf an einem zusätzlichen Chor in unserer Region. Alle Pfarren hatten ausgezeichnete Chöre unter kompetenter Leitung, und das galt insbesondere für die Pfarre Ober St. Veit. Aber vermutlich war genau das der fruchtbare Boden, auf dem mit jugendlicher Begeisterung Außergewöhnliches gedeihen konnte.
Jedenfalls gab es ab 10. September 1951 neben dem traditionellen Kirchenchor auch einen Ober St. Veiter Jugendchor. Der 18-jährige Xaver Meyer hatte ihn gegründet – ermutigt von Freunden und ausgestattet mit gehörigem musikalischen und pädagogischen Rüstzeug. Die Mitgliederzahl wuchs genauso wie die Anzahl und die Schwierigkeit der Chorlieder. Der Tenor konnte bald sehr hoch, und der Bass in der Person des Clemens Papak „abgrundtief“ geführt werden. Noch im Gründungsjahr brachte der Zusammenschluss mit dem Chor der Pfarrjugend Hietzing weiteren „stimmlichen“ Zuwachs für den fortan als „Chor der Katholischen Jugend von Ober St. Veit und Hietzing“ auftretenden Klangkörper.
„Wir wollen ja nicht hoch hinaus: Von Herzen wollen wir musizieren ...!“ Der zweite Teil dieser Feststellung in den Ober St. Veiter Pfarrnachrichten vom 1.12.1952 galt gewiss für die gesamte Zeit des Chorlebens, der erste aber keineswegs. Ein Sieg bei einem Wiener Wettsingen und eine erste Konzerttournee an den Attersee zeigten schon in der 2. Saison, dass hier ein respektabler Konzertchor heranwuchs. Und richtig: Auftritte im Wiener Konzerthaus, Aufnahmen im Österreichischen Rundfunk, weitere Siege bei Wettbewerben wie z. B. dem österreichischen Bundesjugendsingen in Salzburg und die erste Auslandstournee überzeugten eindrucksvoll. Kammersänger Anton Dermota, ebenfalls Ober St. Veiter, war der erste namhafte Künstler, der bei Konzerten des Chors mitwirkte. Das steigende Renommee führte bald zu einer langen Liste. Es folgten Konzert auf Konzert, Reise auf Reise und die Kritiker waren hingerissen. Trotz allen Ruhmes jedoch blieb Ober St. Veit die „Heimatkirche“ und war Schauplatz unzähliger Messen, Hochzeiten, Konzerte, „Rendezvous im Pfarrgarten“, Dreikönigssingen etc., die der Chor künstlerisch prägte.
Ein Bericht im Kleinen Volksblatt über ein Ereignis vom 20. Juli 1958 war aus Ober St. Veiter Sichtweise aus zweierlei Gründen bemerkenswert: Erstens wurde darin mit einer dem alten Chiavacci durchaus ebenbürtigen Feder die letzte Fahrt der Straßenbahnlinie 158 (die ja durch Busse ersetzt wurde) geschildert (siehe →Seite 264). Und zweitens wurde über einen Chor berichtet, der für die Stimmung bei dieser „schönen Leich“ sorgte. Es war „unser“ Chor, der zu diesem Zwecke bereits mit seinem neuen Namen genannt wurde: „Madrigalchor St. Veit“. Dieser Name entsprach dem damaligen musikalischen Schwerpunkt und wur
Quelle:
Meyer, Xaver:
Wiener Madrigalchor – Eine Chronik über 50 Jahre Chorgeschichte.
Wien: Wiener Madrigalchor 2001 ISBN 3-9501490-0-7
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Dr. Xaver Meyer, 1933 –2017. Porträt mit Autogramm
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de offensichtlich auch dem Alter der Musiker gerechter als der alte – schließlich waren sie dem „Mädchen- und Knabenalter“ längst entwachsen. 1964 wurde dann mit „Wiener Madrigalchor“ der endgültige Name gefunden.
In diesem frühen Moment im langen Leben des Wiener Madrigalchors möchte ich mit der Aufzählung der weiteren Etappen und Erfolge auf dem Wege zu seiner internationalen Geltung aufhören. Die Kirchen und Konzerthäuser in ganz Europa könnten Bände füllen. Ebenso das ständig wachsende Repertoire, mit dem der Chor seine Zuhörer für die musikalischen Welten von der Renaissance bis zur Moderne, mit Werken von Bach und Händel bis zu Orff und Schönberg begeistert. Lesen Sie darüber ausführlich und authentisch in der Chronik, die anlässlich der fünfzigjährigen Chorgeschichte im Jahre 2001 herausgegeben wurde. An dieser Stelle seien nur mehr ein paar Worte aus einer Kritik im Kurier vom 31. März 1961 zitiert, die vor allem dem Dirigenten Xaver Meyer galten: ... die Illusion der Vollendung beginnt; die Kritik verstummt. So die Matthäuspassion; so auch die Aufführung unter Xaver Meyer.“
Jawohl, ein paar Worte noch zu den maßgeblichen Personen: Xaver Meyer und Clemens Papak. Clemens Papak („whose commanding personality demands respect and loyalty from the choir members“ – englische Pressestimme vom 29. Juli 1955) leitete vom Beginn bis ins Jahr 1992 mit Geschick und unermüdlichem Einsatz die organisatorischen Belange des Ensembles.
Eine entscheidende Voraussetzung für den künstlerischen Aufstieg und Bestand eines Chors ist jedoch ein faszinierender Chorleiter. Der Gründer Professor Dr. Xaver Meyer repräsentierte diese Schlüsselperson von Beginn an eindrucksvoll, der Chor war Teil seiner selbst geworden. In der Welt des Flüchtigen und Vergänglichen bewahrte er ihn über mehr als ein halbes Jahrhundert als Hort der Sing- und Lebensqualität.
Doch nichts währt ewig.
Am 19. März 2006 stand Dr. Xaver Meyer zum letzten Mal mit „seinem“ Wiener Madrigalchor im Großen, dem Goldenen Saal des Wiener Musikvereines. Er hatte Georg Friedrich Händels Oratorium „Der Messias“ für dieses letzte Konzert gewählt.
Stefan Zweig hatte die Schaffung des Messias in die Sternstunden der Menschheit aufgenommen, unter anderem mit den Worten: „... da klang es, das Wort, unendlich wiederholbar, verwandelbar, da war es ... Ja, alle Stimmen dieser Erde darin zusammenfassen, die hellen und die dunklen ... sie füllen und steigern und wandeln, sie binden und lösen im rhythmischen Chore, sie aufsteigen lassen und niedersteigen die Jakobsleiter der Töne, sie schwichtigen mit dem süßen Strich der Geigen, sie anfeuern mit dem scharfen Stoß der Fanfaren, sie brausen lassen im Donner der Orgel: Halleluja! Halleluja! Halleluja!“
Wir im Auditorium spürten die Kraft des Wiener Madrigalchores und wir konnten fühlen, was Stefan Zweig meinte. Wir
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wurden tatsächlich zu einem einzigen Block des Hörens und Staunens und die Zuversicht brauste uns entgegen, aus verschlungenen Stimmen, immer anders gesagt und geformt. In seiner Wucht und Klasse unterstützt wurde der Madrigalchor durch vier bewährte Solisten, Schulchöre und das Symphonieorchester der Wiener Volksoper.
Begeisterung und „Standing Ovations“ ließen den bis auf den letzten Platz gefüllten Saal erbeben. Der Dank galt den Künstlern für ihre Darbietung, vor allem aber dem Dirigenten für sein Lebenswerk. Unwillkürlich musste man an den 6. April 1759 denken, als im Londoner Covent Garden zum letzten Mal der Messias in Anwesenheit Georg Friedrich Händels aufgeführt wurde.
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Mit einem Auftritt am 9. Juni 2006 verabschiedeten sich Dr. Xaver Meyer auch vom Ober St. Veiter Publikum, und zwar mit „Eine kleine Nachtmusik“ im Hof des Schlosses Ober St. Veit.
Ricardo Luna folgte ihm als künstlerischer Leiter. Wenige Jahre später, im 20. März 2009, beendete der Wiener Madrigalchor seine künstlerische Arbeit. Ein Teil der Chormitglieder führte die Tradition des Klangkörpers als Neuer Madrigalchor fort.
Der Name „Chor_WG“ bezieht sich auf den Umstand, dass dieser Chor Sängerinnen und Sänger aus mehreren Pfarren in seinen Reihen hat: aus den Pfarren Oberbaumgarten, Hetzendorf, Lainz, der Pfarre „Zum Guten Hirten“ und aus der Pfarre Ober St. Veit.
Im Jahre 2008 hatte Florian Peter Kalny die Idee, ein Chorkonzert auf Basis von Songs der Wise Guys einzustudieren. Am 11. und 12. November 2011 war es soweit, und im randvollen Festsaal des Don-Bosco-Hauses zeigte der Chor, was er kann. Die
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Das Fremde Wesen.
Konzert der Chor_WG
mit Songs der Wise Guys
im Don-Bosco-Haus
am 11. November 2011
Veranstaltung „Das fremde Wesen“ wurde zum künstlerischen und kommerziellen Erfolg. Zum einen wurde den Zusehern mitreißende Unterhaltung geboten, die durch den roten Faden der Liebeserfahrungen von Sarah und Eddie in einen inhaltlichen Zusammenhang gebracht war. Zum anderen konnte mit € 2.770,23 ein erklecklicher Nettoerlös verbucht werden. Dieser Betrag ging an ein von den Wise Guys unterstütztes caritatives Projekt („Goedgedacht“).
Diesem charitativen Gedanken folgten auch die weiteren Konzerte der Chor-WG: 2013 Ober St. Veiter Jugendmesse; 2014 Gospelkonzert; 2016 Rock und Pop; 2018 Austropop; 2019 Ethno-Mass for Peace; 2022 Valerie und die Gute-Nacht-Schaukel.
Eine Einrichtung sei stellvertretend für die vielen nicht genannten Schulchöre angeführt: Das Ensemble „Schellack“ als Pendant zum Schulchor der Gymnasien der Dominikanerinnen und ebenso zu den Schulchören, die es ja in nahezu jeder Bildungseinrichtung gibt. Das Ensemble „Schellack“ besteht seit 14. Februar 2007 und wurde aus dem Bedürfnis einiger Eltern, ebenfalls singen zu wollen, gegründet. Die Mitglieder setzen sich aus Eltern, Lehrern, Absolventen und Schwestern zusammen. Daraus erklärt sich auch das Akronym SCHELLACK = SCHwestern ELtern Lehrer Absolventen Chor Konsortium.
Die Grundidee – Sängerinnen und Sänger jeglichen Alters miteinander zu verbinden – wurde kontinuierlich umgesetzt und führte zu gemeinsamen Projekten mit diversen Vokal- wie auch Instrumentalensembles im In- und Ausland. Orffs „Carmina Burana“ ist eines von vielen Beispielen. Die Aufführungen von Schumanns „Paradies und die Peri“ im Großen Saal des Wiener Konzerthaus und Puccinis „Messa di Gloria“ im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins waren die bisherigen Höhepunkte. Chorleiter ist der Gründer Christian Stefan Horvath.
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Abschließend sei eine besonderes topografisches Merkmal Hietzings betrachtet: Der Wienfluss. Nach der Eingemeindung nach Wien floss er mitten durch den neuen 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing, 1938 wurde er zu dessen Nordgrenze. Wie die einstigen Ortsgemeinden könnte doch auch er besungen werden, nicht wahr?
Nun, gefunden habe ich nur wenige Lieder, die den Wienfluss besingen, und keines, das ihn so uneingeschränkt verherrlicht, wie andere Lieder die Donau. Nur ein Beispiel besingt den Wienfluss wenigstens in den ersten beiden Strophen positiv: „Der Wienfluss der ist meine einzige Freud‘!“ Ein Couplet aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mit Text und Musik von A. Randl, gesungen von der Soubrette Clotilde Kowala. Hier die ersten beiden Strophen:
Die Donau die wurde in Versen bedacht,
Der Strauss hat darüber an Walzer gemacht,
Die Donau die Blaue so heisst‘s im Gedicht,
A schöneres Wasserl das giebt‘s amal nicht,
Doch ich hab‘ a ganz and‘re Meinung davon,
Die Wien ist mir lieber seit langer Zeit schon,
D‘rum sagt‘ ich es immer und sag‘ es noch heut‘,
I: Der Wienfluss der ist meine einzige Freud‘! :I
Wie ich hab‘ die Schul g‘stürzt als ganz kleiner Knab‘,
Ging ich schon voll Freuden im Wienfluss hinab,
Da hätten‘s mich einmal nur schleifen seh‘n soll‘n,
Denkt hab‘ ich mir, d‘Schul soll der Teufel halt hol‘n.–
Im Sommer hab‘ ich mich bei‘m Wienfluss erfrischt,
Dort hab‘ ich tagtäglich zehn Stunden lang g‘fischt,
D‘rum sag‘ ich es immer und sag‘ es noch heut,
I: Der Wienfluss der ist meine einzige Freud! :I
Die folgenden Strophen, in denen sehr ironisch auf den Duft und die Wasserqualität eingangen wird, können nicht mehr als Loblied bezeichnet werden:
Und unlängst war's Wiedner Theater beend't,
Da bin ich in Eile nach Hause g'schwidt g`rennt. –
Da fragt' mich ein Fremder ich kenn' mich nicht aus,
Wie kommt man denn da in d'Leopoldstadt hinaus?
Sie gehn's nur dem G'ruch nach so kommen's schon hin,
Den richtigen Weg finden's nur durch die Wien,
D'rum sagt' ich es immer und sag' es noch heut,
I: Am Wienfluss da hab'n selbst die Fremden ihr Freud.– :I
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Der Wienfluss der ist meine einzige Freud'!
Die erste Seite des Notenblattes
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Die Quellen der Donau, die sind längst bekannt,
Die Donau entspringt ob'n im Eschingenland,
Die Quellen der Wien zu ergründen ist schwer,
Sie kommen von sehr vielen Seiten daher.
A jedes Haus liefert a bisserl dazu,
Von alle Stöck' fliessen's in d'Wien ohne Ruh,
Die Wien hat stets Wasser uije des is g'scheit,
I: D'rum ist auch der Wienfluss mei anzige Freud! :I
Die Hochquellenleitung geht gar so oft aus,
Mitunter da hab'n ma ka Wasser im Haus
Dann leiten's die Schwarza hinein s'is so Brauch,
Dafür krieg'n ma wieder den Typhus im Bauch.
Vielleicht leiten's gar noch den Wienfluss hinein,
Da hätt'n ma a Wasserl so klar und so rein.
A klein's Stamperl Wienfluss o Gott des wär g'scheit,
I: Dann hätten die Wiener am Wienfluss a Freud'. :I
Im zweiten mir bekannten Lied mit dem Wienfluss als Hauptgegenstand, dem Walzerlied „Alter Wienfluss pfürt die Gott!" von Franz Scherer (Text und Musik) und Josef Hornig (Text), wird der Wiefluss gar nicht wehmütig in sein steinernes Grab entlassen.
Mei goldenes Wien! O du herrliche Stadt!
Wie warst du einst einfach und schlicht,
Seit dem man aus dir eine Großstadt g'macht hat,
kriegst due ganz ein anderes G'sicht.
Der Steffel, der Alte, der wird repariert,
Verbaut werd'n die Gärten, die grün';
Die Brücken, die einst über'n Wienflusss hab'n g'führt,
Verschwinden g'rad so wie die Wien.
I: Alter Wienfluss, leb' wohl! Pfürt di' Gott!
Von dir scheiden, das fallt uns nöt schwer;
Du bist jetzt schon aus der Mod',
Dei' Düfterl dös brauch' ma nöt mehr. :I
Wann i an die Jugendjahr z'ruck denken tua,
Mir is's grad a so als wia heut,
Wia ia mi' so lustig und heiter als Bua
Hab g'spielt an der Wien voller Freud.
Hab' Fischerln oft g'fangt und dann umpritschelt fest,
Und hab i mi' bad't in der Wien,
Da bin i beim H'raussteig'n viel schmutziger g'west,
Als wie i hinein g'stiegen bin.
I: Alter Wienfluss, leb' wohl! Pfürt di' Gott!
Von dir scheiden, das fallt uns nöt schwer;
Du bist jetzt schon aus der Mod',
Dei' Düfterl dös brauch' ma nöt mehr. :I
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Verbaut wird jetzt alles, die Park reißen s' weg,
D' Elisabethbrucken, o mein!
Die is jetzt verschwunden, steht nimmer am Fleck,
Wo tun ihre Denkmäler sein?
Die san d'rinn im Rathaus gut aufg'hob'n jetzt word'n,
Der Starhemberg hat raisoniert,
Sagt: Neugierig bin i, was mit mir no' tuan,
Jetzt haben s' mit' derweil delogiert.
I: Alter Wienfluss, leb' wohl! Pfürt di' Gott!
Von dir scheiden, das fallt uns nöt schwer;
Du bist jetzt schon aus der Mod',
Dei' Düfterl dös brauch' ma nöt mehr. :I
Fahrt längst auf der Wien zwischen Bäume schön grün
Die Wientalbahn prächtig daher.
Das Wasserl, das bleibt uns beständig im Sinn,
Die Ausdünstung aber viel mehr
Die Gelsen, die z'widern, die san retiriert,
Um die, da is wirklich ka' Schad,
Und d'rinn in der Chronik ganz g'wiss dieses Liad:
Die Wien! einen Ehrenplatz hat.
I: Alter Wienfluss, leb' wohl! Pfürt di' Gott!
Di' deckt jetzt a steinernes Dach.
Du bist für uns Wiener jetzt tot,
Schlaf wohl und wiar nimmermehr wach. :I
Eine Handvoll weiterer Volkslieder aus dem 19. Jahrhundert, die durch die „Flugblätter" dokumentiert sind, nennt den Wienfluss nur in einzelnen Strophen und spielt dabei meist auf seine negativen Seiten wie seinen „Geruch“ an. Das Wienerlied des 20. Jahrhunderts übersieht den Fluss gänzlich.
Ganz zum Schluss noch etwas ins Merkantile reichende: Zur Hietzinger Musikszene gehört auch Bock's Music Shop, der 2001 in Ober St. Veit von Dieter Bock gegründete Versandhandel für Schallplatten und Plattenraritäten, CDs, DVDs, Bücher, Musikliteratur, Noten und Musik-Zubehör. Dieter Bock betreibt auch eine Künstleragentur und organisiert in regelmäßiger Weise Musikveranstaltungen, die meist im Hietzinger Amtshaus stattfinden und eine beachtliche Fangemeinde ansprechen. Darüber hinaus veröffentlichte er auf seiner Webseite und im Ober St. Veiter Blatt'l Biografien zu prominenten Komponisten und Interpreten von denen viele in unserer Region verwurzelt sind. Die Beiträge sind auch auf www.1133.at abzurufen: Alban Berg, Rudolf „Teddy“ Ehrenreich, Leo Fall, Carl Goldmark, Paul Hörbiger, Hermann Leopoldi, Franz Schmidt, Kurt Schwertsik, Johann Strauss (Sohn), Das Zemlinsky Trio Wien.
Alter Wienfluss pfürt di' Gott'!
Die erste Seite des Notenblattes
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Die Hietzinger Filmgeschichte, ist mit den Produktionen des Schönbrunner Filmateliers (Maxingstraße 1) gleichzusetzen. Laut Wien-Wiki wurden die Schönbrunn-Film-Gesellschaft und die Micco-Film-Gesellschaft 1919 vom Industriellen Dr. Fritz Freiherr von Haymerle gemeinsam mit seinem Bruder und Viktor Micheluzzi gegründet. Als Studio adaptierte man (bis 1922) ein ehemaliges Palmenhaus an der Schlossmauer am Rand des Schönbrunner Schlossparks (Maxingstraße 13a). Die Schönbrunn Film gehörte 1921/1922 neben „Sascha“ und „Liste“ zu den führenden Filmfabriken Wiens. 1939 gehörte das Schönbrunner Filmatelier der „Wien Film“ (gemeinsam mit den Studios am Rosenhügel und in Sievering), wo unter der Kontrolle des Nationalsozialistischen-Reichspropagandaministers Goebbels Filme gedreht wurden („Wien 1910“, „Heimkehr“). Nach 1945 kam das Studio Schönbrunn kurze Zeit unter russische Verwaltung und diente, nachdem es lange leer gestanden hatte, ab 1956/1957 als provisorisches Studio dem ORF. 1972 übernahm die Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien, Abteilung Film und Fernsehen (Wien 3., Metternichgasse 12), vom ORF das Studio Schönbrunn als Film- und TV-Studio.
Gunther Martin hat in seinen „Hietzinger Geschichten“ mit „Kurbeln in Hietzing – Oberst Redks Wiederkehr“ die Produktionen des Schönbrunner Ateliers anschaulich nachvollzogen. Der Beitrag ist in der Folge unverändert wiedergegeben. Die Einwilligung des Verlages Jugend und Volk ist noch einzuholen.
Ein pensionierter General des Ersten Weltkriegs steht plötzlich vor der Aufgabe, Truppen des Jahres 1809 zu befehligen: Etwa wie ein Schachmatador, der eine Partie gegen sich selber spielt, kommandiert Seine Exzellenz in unblutigem, aber militärhistorisch stilechtem Schlachtengetümmel die Franzosen und die Österreicher zugleich!
Diese internationale und anachronistische Mischkulanz ergibt sich im Herbst 1922, als der ungarische Regisseur Michael Kertesz in Wien einen der ersten großen österreichischen Stummfilme dreht: „Der junge Medardus“, nach Arthur Schnitzlers Drama über die Napoleonzeit. Kertesz, der als Michael Curtiz um einiges später auch in Hollywood Furore machen sollte, liebt monumentale Stoffe und einen szenischen Aufwand, über den sogar die Amerikaner und die Italiener staunen. Dass der Miska, wie ihn seine Freunde und Mitarbeiter nennen, für das Riesenspektakel „Sodom und Gomorrha“ den Laaerberg mit gigantischen Kulissenbauten in eine biblische Landschaft verwandelte, ist ja seither Teil der Filmgeschichte und der Favoritner Bezirkshistorie.
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Beim „Jungen Medardus“ freilich kann der großzügige Regisseur seinem Produzenten Graf Sascha Kolowrat eine Menge Geld für Dekorationen sparen helfen, denn er lässt einfach an den Originalschauplätzen drehen: in Sälen des Schlosses Schönbrunn. Paraden der französischen Grenadiere werden, den geschichtlichen Überlieferungen getreu, auf dem großen Ehrenhof „in den Kasten gebracht“. Schon zwei Jahre früher, 1920, hatte übrigens der sehr aktive und den Publikumsgeschmack richtig einschätzende alte Filmhase Hans Otto Löwenstein als erster die Dreherlaubnis beim Schloss erwirkt. „Der Herzog von Reichstadt“ hieß sein Opus – also ein durchaus stilgemäßes Sujet! –, und dafür stellte die Republik sogar Karossen, Gobelins, Tafelsilber und Uniformen aus Hofbeständen zur Verfügung.
Schönbrunn kommt damals für Außenaufnahmen förmlich in Mode. 1922 geht dort eine Dumas-Verfilmung „Die Tochter des Brigadiers“ in Szene, nach dem Roman „Das Fräulein von Bellegarde“. Beim Palmenhaus dirigiert Kertesz selber nobel ausstaffierte Statisten samt Autos, die heute das Entzücken jedes Oldtimer-Freundes wären, für eine Sequenz der Rahmenhandlung von „Sodom und Gomorrha“. Im „Rosenkavalier“-Film des Jahres 1926 bilden die Alleen und Bosketts den Hintergrund für ein solennes Gartenfest der Marschallin, und seither gibt es in dem großen Park wohl kaum eine Partie, kaum ein Motiv, kaum einen noch so abseitigen Winkel, der nicht mindestens einmal Drehort für Filme und Fernsehaufzeichnungen gewesen wäre.
Viele dieser Streifen spielen in jener Vergangenheit, die das Kinopublikum der krisenreichen zwanziger und dreißiger Jahre als liebste Zuflucht betrachtet: in der Epoche des Wiener Kongresses und des Biedermeier. Da kommt dann natürlich der gute Kaiser Franz oft ins Bild. Für diese Rolle hatten die wechselnden Produktionen – Dezennien hindurch – stets einen
Foto kommt. Das ehemalige Filmatelier Schönbrunn beherbergt heute ...
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Schauspieler parat, der den Herrscher würdig, porträtähnlich und wahrhaft schönbrunnerisch verkörpert: Franz Herterich vom Burgtheater. Eigentlich ein Münchner, aber in Haltung und Diktion glaubhafter habsburgischer Altösterreicher par excellence. Kaiser Franz Herterich trägt das Goldene Vlies, den weißen Uniformfrack und den grünen Generalsfederbusch schon vor der Stummfilmkamera, und noch immer, als O. W. Fischer einen sehr schönen und sehr verliebten Erzherzog Johann mimt. Der leibhaftige Kaiser Franz aber hatte als passionierter Gärtner am Rand des Parks, gegen die heutige Maxingstraße und den Hietzinger Platz zu, ein Gewächshaus errichten lassen. Später wurde der Bau verändert und beherbergte Palmen und Volieren. Nach 1918 hatte man keine rechte Verwendung mehr dafür. Da verfiel irgendein praktischer Kopf auf die Idee: Machen wir doch ein Filmatelier daraus! Fachleute kamen, sahen und fanden den Einfall realisierbar. Bald war das „Schönbrunner Atelier“ in der Branche ein Begriff.
Anno 1924 bietet es den Wienern Gesprächsstoff. Reporter halten erstaunt Umschau. In der Aufnahmehalle ist das alte Österreich, das noch alle selber kannten, wieder zum Leben erwacht.
Herr Löwenstein, der vorhin erwähnte Hans Otto, verfilmt – zum erstenmal – den Spionagefall des Oberst Redl. Wer das Studio betritt, wähnt sich von einer Zeitmaschine um rund zwölf Jahre zurückkatapultiert. Da leuchten im Scheinwerferlicht Waffenröcke und Symbole der versunkenen Epoche. Die meisten Kleindarsteller und Komparsen sind echte, abgerüstete Offiziere. Sie brauchen ihre Rollen gar nicht zu spielen, sondern sich nur so zu geben, wie es der Codex der Vorkriegsära verlangte. Diese plötzliche Vergegenwärtigung der Welt von Gestern hat für viele etwas Gespenstisches, manch einer verliert das Gefühl für die Trennung von Schein und Wirklichkeit, vergisst die Kamera und all den technischen Apparat im Halbschatten. Erst wenn die Trillerpfeife schrillt, der Drehtag vorbei ist und die Garderober die Uniformen einsammeln, steht die Realität wieder draußen vor dem Tor. Zapfenstreich und Generalmarsch sind längst verklungen. Der Rest ist Filmfundus.
Während der Stummfilmzeit herrscht in diesem Studio meist Hochbetrieb. Vieles was da durchläuft, ist mittlerweile verschollen, verbrannt, einiges ruht, von Rollen zerschrammten Zelluloids sorgsam neu kopiert, in den Depots des Österreichischen Filmarchivs und wird bei Retrospektiven gezeigt. In den vergilbten Besetzungslisten stößt man auf Namen, die auch heute keineswegs vergessen sind. 1925 geht der Film „Ein Walzer von Strauß“ ins Schönbrunner Atelier. Am Szenarium arbeitet ein junger Regieassistent mit, er heißt Walter Reisch. Wenige Jahre später schreibt er in Berlin die Drehbücher für die ersten deutschen Tonfilmerfolge, dann kommt
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er nach Wien zurück, setzt als Autor von Willi Forsts „Maskerade“ einen neuen, bleibenden Höhepunkt – oder „Markstein“, wie man das so gern nennt – und hat noch eine sehr lange Phase amerikanischer Filmarbeit vor sich, ehe er 1983 als Hollywood-Veteran stirbt. Fritz Kortner spielt in dem alten Palmenhaus den Beethoven – die Musikuntermalung im Kino ist dann Sache des hoffentlich in der Klassik gut bewanderten Mannes am Klavier. Bald entsteht auch die erste Wiener Operettenverfilmung, „Der Rastelbinder“, ebenfalls noch stumm, aber immerhin mit Louis Treumann in der Hauptrolle, dem einstigen umjubelten Premieren-Danilo der „Lustigen Witwe“. Patriotischen Strömungen hingegen entspricht der Streifen „Kaiserjäger“, dafür wird fast das gesamte Ensemble der mit ihren Karl-Schönherr-Aufführungen berühmt gewordenen Innsbrucker Exl-Bühne nach Hietzing verpflichtet, gefolgt von dem Melodram „Erzherzog Johann“ mit dem damals sehr beliebten Bonvivant Igo Sym. Er ist Jugoslawe, baut sich aber eine deutsche Karriere auf und gerät deshalb später ins Räderwerk der politischen Umschwünge. Zuweilen kurbelt man in der freundlichen, noblen Aura zwischen dem Park und den Villen wilde Reißer. 1927 ist es „Die Strecke“, ein Eifersuchtsdrama aus dem Eisenbahnmilieu, mit dem Erz-Josefstädter Anton Edthofer, der dann auf der Bühne und der Leinwand als soignierter ergrauter Herr immer wieder gute Figur macht: Philharmonikertypen, Gelehrte, wohlhabende bürgerliche Väter, das ist sein Genre. Für einen Krimi „Madame Blaubart“, nach einem Roman des damals vielgelesenen Erzählers Karl Hans Strobl, kommt 1930 sogar Lil Dagover nach Wien und spielt eine attraktive Unholdin. „Stürmisch die Nacht“ ist der Titel eines anderen Films aus dem selben Jahr. Es ist nur deshalb erwähnenswert, weil in der Halle und im Freigelände möglichst stilechte Hamburger Schmuggleratmosphäre heraufbeschworen wird und die Tonaufnahmen katastrophal danebengehen. Die hanseatische Räubergeschichte aus der Maxingstraße ist kaum aufführbar.
Dafür dreht ein amerikanisches Team im Schönbrunner Atelier einen technisch einwandfreien Tonfilm, um dem Publikum in den USA einen Begriff von Wiener Musik zu vermitteln, immerhin sind die Kontinente damals noch viel weiter voneinander entfernt als heute, Austria ist für den Amerikaner der Wirtschaftskrise ein exotisches Land, in dem ein gewisser Mr. Strauß Skifahrern zum Tanz aufspielt. Dementsprechend wird die Abfolge der Aufnahmen eine recht kunterbunte Mischung, sie reicht von den Philharmonikern unter Franz Schalk bis zu Heurigensängern – Klassiker und Duliöh, getreulich auf Lichtton registriert.
Der eigenartige Zauber dieses Ateliers wird sprichwörtlich. Puncto Dimensionen kann es sich gewiss nicht mit den Bauten in Sievering oder gar auf dem Rosenhügel messen, es bleibt
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gewissermaßen das „Kleine Haus“, aber gerade dieses immer etwas Unfertige, Improvisierte, verbunden mit dem Anhauch des Schönbrunnerischen von drüben her, gewinnt dem Studio die spontanen Sympathien aller, die dort zu tun haben und es liebevoll „das Affenhaus“ nennen. Aus eigener Erfahrung schreibt der Regisseur Hans Karl Leiter:
„Ein idyllischer Winkel! Wenn du aus der Glashalle durch die riesige eiserne Schiebetür aufs Freilichtgelände trittst, stehst du mitten drin im Park. Ein dünnes Drahtgitter nur trennt dich von der Menagerie. Und die ist auch zu etwas gut. Wir brauchen nämlich nie eine Uhr, um zu wissen, wie spät es ist. Um zehn Uhr brüllen die Raubtiere bei der Fütterung. Um ein Uhr krächzt und kreischt es in den Vogelzwingern. Und wenn die Elefanten um ihr Nachtmahl trompeten, dann ist es fünf. Dann fangen unsere Überstunden an. Gott sei Dank, hier heraußen merken wir so gar nichts von einer Film-Industrie. Erst rümpften wohl die Stars aus Berlin und Paris die Nasen über diese Zustände. Wenn ich sie aber heute draußen in der Welt treffe, dann fragt mich bestimmt ein jeder: Sagen Sie, steht das alte Schönbrunner Atelier noch, ja? Dann grüßen Sie es recht herzlich von mir. Es ist das liebste, das reizendste Studio von Europa!“
Das Jahr 1934 bringt den Auftakt publikumswirksamer Wiener Filme jenes Gepräges, das jetzt unter „Nostalgie“ firmiert. In vielen Varianten des Erfolgsrezeptes findet dieses Genre während der Zwischenkriegszeit nicht nur bei uns, sondern auch in den östlichen Nachfolgestaaten der Donaumonarchie enormen Anklang. Allesamt natürlich Musikfilme. Im Hietzinger Atelier beginnt damals die Arbeit an der „Frühjahrsparade“ mit dem Gütesiegel Ernst Marischka und Robert Stolz. Es ist die erste Version des seither mehrmals neu aufbereiteten haltbaren Stoffes. Den jungen Marschkomponisten Wilhelm August Jurek gibt der Mädchenschwarm Wolf Albach-Retty, als Kaiser Franz Joseph regiert Paul Hörbiger über die damalige „Erfolgsgeneration“ Hans Moser, Fritz Imhoff, Anny Rosar und all die anderen, die einem zwei Kinostunden verschönen, weil's das halt nur einmal gab ...
Und in nächster Nähe laufen Außenaufnahmen für „Endstation“, eine gemütvolle, volksstückhafte Kolportagegeschichte um einen verliebten Straßenbahnkondukteur. Hörbiger wechselt dafür aus dem kaiserlichen Waffenrock der Frühjahrsparaden in die Schaffnermontur, seine Partnerin ist die junge Maria Andergast in der Rolle eines braven, armen Mädels mit Zügen einer Ödön v. Horváth-Figur. Die Regie lässt auch eine Garnitur des Neunundfünfzigers mitspielen, der verkehrt in den dreißiger Jahren zwischen dem Neuen Markt und Lainz. Eine Sequenz des Films zeigt die Fahrt stadtwärts: am Hietzinger Platz und dem Kaiserstöckel vorbei, die alte Hietzinger Brücke kommt ins Bild. Da ist nichts gestellt, alles wird so
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gedreht, wie es tagtäglich auf der Strecke abläuft. Heute sind solche authentischen Szenen für uns ein kleines Zeitdokument.
Der nächste Musikfilm Made in Schoenbrunn trägt den Titel „Unsterbliche Melodien“ und handelt von Johann Strauß, allerdings nicht im Rosenrot und Himmelblau einer schieberischen Dreivierteltakt-Seligkeit. Die Drehbuchautoren heben aus der Biographie des Meisters jene Phase heraus, als ihn seine rasch scheiternde zweite Ehe in eine tiefe psychische Krise stürzte. Diese durch und durch problematische Künsternatur spielt Alfred Jerger, es blieb die einzige Filmrolle des gefeierten Opernsängers. Wenn er, sehr porträtähnlich, mit verdüsterter Miene ruhelos durch ein dämmriges Zimmer schreitet, flüstern empfindsame Dienstmädeln – die gibt's dermalen noch! –, gebannt auf die Leinwand blickend: „Jetzt wird er seelisch!“
Noch einmal kommt Robert Stolz als Komponist ins Hietzinger Studio, gleichsam Arm in Arm mit seinem idealen Interpreten, dem nun dauernd filmenden, stets so heiteren, aber insgeheim von neurotischen Existenzsorgen zerquälten Leo Slezak. „Das Frauenparadies“ heißt dieser Streifen, er entsteht 1936. Ein Jahr später begegnet die Anzengruber-Verfilmung „Der Pfarrer von Kirchfeld“ schon während der Aufnahmen großem Publikumsinteresse. Regie führt Jakob Fleck, ein gewiegter Filmpionier, der alles vom Instinkt her anpackt, von keines Gedankens Blässe angekränkelt. Sein Hauptdarsteller ist der junge Hans Jaray, den Wienern ans Herz gewachsen, seit er in Fritz Kreislers Singspiel „Sisi“ als Franzi-Franz Joseph brillierte. Noch ein anderer vom Nachwuchs ist dabei, ein intensives Talent, mit dem Herr Fleck die Rolle des Wurzelsepp besetzt: Karl Paryla. Auch den Sisi-Stoff selber verfilmt man im Schönbrunner Atelier und über den kurzen Weg mit Aufnahmen im Park, im Schloss und in Althietzinger Gassen – allerdings nicht nach Kreisler, denn mittlerweile erfolgte schon der Anschluss. Und die Prinzessin in diesem Zelluloidmärchen ist noch nicht das halberwachsene herzogliche Dirndl, sondern ein kleiner Wildfang. Traudl Stark spielt diese Sisi, Traudl, das liebe, oft und oft beschäftigte Film-Herzbinkerl der dreißiger Jahre. Als sie größer wird, kein Kinderstar mehr ist, verliert die Filmerei für alle Beteiligten ihren Reiz. Schließlich heiratet die Traudl nach Amerika. Es ist ein freundlicher, sauber und mit Einfühlung ins Zeitkolorit gemachter Streifen. Traudls Partner: der Burgtheater-Hofrat Otto Tressler im Schmuck seines Silberhaares, gutmütig polternd, noch immer mit leichten Anklängen an sein heimatliches Stuttgarterisch, Paul Hörbiger halb wienerisch, halb wittelsbacherisch zur Zither singend, und die aparte Hietzinger Slawin Gerda Maurus, die schon bei Fritz Lang in Berlin das Fach der „interessanten Frau“ spielte.
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nung, auf verschiedene Studios aufgeteilt. Das Schönbrunner Atelier partizipiert im Zeichen Raimunds – mit Szenen für das melodramatische Lebensbild „Brüderlein fein“ – und Nestroys – für die Filmversion des „Zerrissenen“, unter dem Titel „Die goldene Fessel“. Dann kommen ein paar „Überläufer“ – das ist in diesem Fall nichts Militärisches, sondern so nennt man in der Branche Filme, die bei Kriegsende noch nicht fertiggestellt sind. Der berühmteste davon ist Willi Forsts „Wiener Mädeln“. Im Freigelände werden 1944 die Sequenzen des historischen Wettspiels der Kapelle Carl Michael Ziehrers und einer amerikanischen Monsterband gedreht. Mit einem Aufwand an Personal, Material und temperamentvoller Unbeschwertheit, dass Mitwirkende und von außen zuschauende Parkspaziergänger fast vergessen, wieviel es bald schlagen würde, nämlich die Stunde Null.
Ab 1945 ist das Hietzinger Studio neben dem Atelier Sievering das einzige frei verfügbare, denn der Rosenhügel steht damals unter sowjetischer Verwaltung. Allerdings fällt in der Folgezeit in der Halle des alten Gewächshauses nicht mehr ganz so oft die Klappe wie ehedem. Bis 1957/58 das Fernsehen einzieht und hier in der Maxingstraße Heimatrecht hat, bis der Bau des ORF-Zentrums Küniglberg steht. Seither hält die Filmklasse der Hochschule für Musik und darstellende Kunst im Atelier praktischen Unterricht.
Von außen eine glatte gelbe Mauer im Schatten der Baumkronen, schräg gegenüber die Villa, in der die „Fledermaus“ entstand und das elegante Domizil, in dem Siegfried Trebitsch die Theaterstücke George Bernard Shaws ins Deutsche übersetzte. Drinnen in der Halle die ungreifbar gewordenen Erinnerungen an viele Schicksale, wirkliche und erfundene, die hier seit fast siebzig Jahren abrollten, vor der Kamera und wohl auch außerhalb der ausgeleuchteten Szenerien. Ein paar Jahrzehnte Wiener Filmgeschichte, in Hietzing gekurbelt. Als Walter Reisch schon lange und sehr erfolgreich in Amerika tätig war, hatte er die Schönbrunner Zeiten trotzdem nicht vergessen, und vielleicht kam er ihrem Geheimnis nahe, wenn er sagte: „Der Zauber dieser alten Gassen und der Geruch eines Frühlingsnachmittags – das bringt eben die guten Ideen ...“
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Ich beginne mit dem derzeit „dienstältesten“ Vertreter dieser Sparten in Hietzing: dem Maler und Bildhauers Eduard Diem, geboren am 9. April 1929 in Jetzelsdorf bei Haugsdorf nahe der tschechischen Grenze. Er begeisterte sich schon sehr früh für die Malerei, und bald nach Kriegsende zog es ihn nach Wien. In Unter St. Veit im Haus Hietzinger Kai 123 fand er eine erste sehr bescheidene Bleibe für sich und seine junge Familie. Zwei Standbeine – erfolgreich ausgeübte Jobs im Werbebereich und eben die Kunst – ermöglichten bald bessere Wohn- und Arbeitsbedingungen an verschiedenen Standorten in Wien.
1980, im Alter von über 50 Jahren, wagte er es, freischaffend nur mehr von seiner Kunst zu leben. Er schaffte dies sogar ohne Bindung an irgendwelche Einrichtungen wie insbesondere Galerien. Sogar das Ausnutzen von Kontakten zu prominenten Persönlichkeiten oder das heute so wichtige „Netzwerken“ lagen ihm fern. Damit ist es zu erklären, dass er dem breiten Publikum unbekannt blieb, obwohl sich kaum ein zeitgenössischer Künstler so intensiv mit der klassischen Moderne und ihrem Spannungsfeld zwischen der abstrakten, ungegenständlichen Form und einer überscharfen Erfassung der Realität befasste und nach wie vor befasst, so wie er. Er ist auch ein erstrangiger Zeitzeuge des modernen Kunstbetriebes bis zurück zu Henry Moore oder Pablo Picasso.
Vor rund fünf Jahren führte das Schicksal Eduard Diem zurück in den 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing, und zwar nach Ober St. Veit. Die regionale Würdigung seines 90. und 95. Geburtstages geschah daher im Rahmen von Ausstellung im Großen Festsaal des Amtshauses Hietzing. Eduard Diem ist damit der älteste und zugleich jüngste Bildhauer und Maler in Ober St. Veit.
Eduard Diem ist damit der älteste und zugleich jüngste Bildhauer und Maler in Ober St. Veit. Dies macht es sehr treffend, die Würdigung seiner Person der folgenden lokalhistorische Betrachtung dieser beiden Kunstgattungen voranzustellen.
Die Dörfer der Region, die ja bis ins frühe 19. Jahrhundert vorwiegend Weinbauerndörfer waren, hatte bis dahin keine Künstler hervorgebracht. Allerdings hatten einige von ihnen prominente Grundherrschaften, und diesen unter anderem prachtvolle Kirchen und repräsentative Schlösser zu verdanken. Mit diesen Bauwerken kam natürlich schon sehr früh hochrangige, oft von weither beschaffte Kunst in den Ort. Als Beispiele dafür sei an die Ausstattung der Pfarrkirche St. Veit mit den Altar- und Kreuzwegbildern aus dem 18. Jahrhundert und an die Ausstattung des Schlosses, unter anderem mit dem St. Veiter Altar aus dem frühen 16. Jahrhundert, heute im Dom- und Diözesanmuseum ausgestellt, sowie mit den im 18. Jahrhundert von Johann
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Eduard Diem. Porträt vom
9. Oktober 2018
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Nepomuk Bergl bemalten Gartenzimmern und mit den Fresken in der Galerie erinnert.
Im 19. Jahrhundert wurden auch private Mäzene angelockt. Der prominenteste unter ihnen war wohl Karl Graf Lanckoronski (1848–1933). Die Schönheit der Landschaft hatte ihn beeindruckt, und er ließ in den Jahren von 1894 bis 1896 am Gemeindeberg das einzigartige Faniteum errichten und stattete es reichlich mit Kunstgegenständen aus. Für die (öffentlich nicht zugänglichen) Fresken im Hauptkorridor, die heute noch bestehen, holte er den Frankfurter Maler Wilhelm Steinhausen.
Die Steinhausen-Fresken im Faniteum. Die dargestellten sechs der sieben Werke der Barmherzigkeit zu einem Panorama zusammengefügt (Teil1 und Teil 2). Fotografiert am 12. Juli 2014
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Es ist ebenfalls das gründerzeitliche 19. Jahrhundert, für das erstmals hier ansässige Künstler namhaft gemacht werden können. Die erhalten gebliebenen Konskriptionslisten Sankt Veits der Jahre 1869 und 1880 nennen erstmals Berufe wie Porträtmaler, Porzellanmaler, Fächermaler oder Historienmaler. Freilich wurden diese Berufe noch in einem sehr handwerklichen und auch zweckbezogenen Umfeld ausgeübt. Die Strahlkraft des Kaiserlichen Hofes in Schönbrunn, die vor allem Alt-Hietzing einen
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enormen Zuzug mit kulturellem Hintergrund bescherte, begann erst allmählich auch bis in die anderen Vororte wie eben Sankt Veit auszustrahlen. Die berühmtesten Beispiele dafür sind Gustav Klimt (1862–1918) mit seinem Atelier in der Feldmühlgasse 11 (Unter St. Veit) und Egon Schiele (1890–1918), er hatte sein Atelier von 1912–1918 in der Hietzinger Hauptstraße 101. Das Wohnhaus seiner Schwiegereltern und gleichzeitig sein Sterbehaus war schräg vis-à-vis die Hietzinger Hauptstraße 114.
Es sind größtenteils Zeitgenossen dieser „Superstars“, die in einem frühen Künstlerindex nicht fehlen dürfen, auf Grund ihrer teilweise geringen Bekanntheit aber manchmal nur in alten Adressbüchern wie dem „Lehman“ ohne weitere biografische Informationen auffindbar sind:
Johannes Benk (1844–1914)
Bildhauer in der Mittermeyergasse 5. Von ihm stammen zahlreiche Skulpturen im Verband der Ringstrassenarchitektur und Grabmale auf Wiener Friedhöfen, unter anderem jenes für Johann Strauss. Sein grösstes Werk ist das Denkmal des Infanterieregiments „Hoch- und Deutschmeister“. In Hietzing befindet sich seine Porträtbüste des Freiherrn von Hügel im gleichnamigen Park.
Hans Bitterlich (1860–1949)
Bildhauer in der Auhofstrasse 239. In der Zeit Kaiser Franz Josephs I. erhielt er zahlreiche Staatsaufträge für Wiener Repräsentationsbauten. Lange Zeit wirkte er als Akademieprofessor und wurde zum Rektor gewählt. Sein bekanntestes Werk sind die Sitzstatue und die Brunnenfiguren für das Marmordenkmal der Kaiserin Elisabeth im Volksgarten. Das Gutenberg-Denkmal auf dem Lugeck ist als Bronzeguss ausgeführt.
Norbertine Bresslern-Roth (1891–1978)
in der Lainzer Straße 14. Als begabge Tiermalerin die erste Frau an der Wiener Kunstakademie. Die anregenden Tierparkbesuche führten sie auch nach Schönbrunn mit zeitweisem Aufenthalt im kleinen Herrschaftshaus in der Lainzer Straße.
Camillo Brockelmann (1883–1963)
Akademischer Maler, wohnte von 1919 bis 1936 in der Hietzinger Hauptstraße 101.
Karl Wilhelm Diefenbach (1851–1913)
sorgte ab den 1880er-Jahren für Aufsehen, und zwar als barfüßiger Vegetarier in Kutte gekleidet, als Lebensreformer, der die Nacktheit propagierte, als selbsternannter Prophet, der den Frieden predigte, und nicht zuletzt als Maler von monumentalen spätsymbolistischen Gemälden, mit denen er für seine Ideen warb. 1897 gründete er am Himmelhof eine umstrittene Landkommune mit nur rd. zweijährigem Bestehen.
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Hans Götzinger: Die Auhofstraße im Schnee. 1924
Karl Dopler (1891–1967)
Maler in der Auhofstraße 1. Wie zu seiner Zeit Ludwig Heinrich Jungnickel und vor allem Norbertine Bresslern-Roth, widmete er sich dem zoologischen Motivkreis, dessen Gattungen er in charakteristischer Weise darstellen konnte. Viele Modelle fand er im nahen Schönbrunner Tiergarten.
Carl Gödel (1870–1948)
Kunstmaler in der Spohrstraße 55.
Hans Götzinger (1867–1941).
Ein Meister das Aquarells mit langjähriger Adresse Hackinger Kai 11. Er hat uns viele authentische Ansichten aus der Region hinterlassen.
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Norbertine Bresslern-Roth:
Blick aus dem Atelier in der Lainzer Straße 14. 1916
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Christian Griepenkerl (1839–1916)
Maler in der Lainzer Straße 51. Er wurde zum Lehrer einer ganzen Malergeneration in Wien. In reiferen Jahren galt er, mit leicht kritischem Unterton, als der „akademisch“ tätige Künstler, der auf vielen Deckenbildern in Prunkbauten und privaten Palais die Themen Allegorie und klassische Mythologie variierte. Sein Bild „Die Hochzeit der Aphrodite und des Adonis“, im Speisesaal der Villa Simon, Goriettegasse 17 (nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen) zählte zu seinen bedeutenderen Werken.
Sigmund Walter Hampel (1868–1949)
Maler in der Hietzinger Hauptstrasse 44. Ein seltsamer Kenner der galanten Stiche des 18. Jahrhunderts. In seiner pretiösen Malweise und Motivwahl, in Kleinformat, ein Nachfolger der Wiener Miniaturisten und ein Vorläufer des Phantastischen Realismus. Allerdings hat man den Eindruck, dass er seinen Farben oft ein Quantum Parfum beimischte. (Originalton Gunther Marzin)
Felix Albrecht Harta (1884–1967)
Maler in der Feldmühlgasse 8. Ein Schicksal zwischen Salzburg, Wien und der Emigration, und künstlerisches Schaffen, das sich in die Richtung des österreichischen Expressionismus rund um Anton Faistauer entwickelte, kennzeichnen das Erscheinungsbild dieses Mannes der Übergangsphasen. In seinem zeitweiligen Wohnort Hietzing (1924–1939) fand er auch Motive für Gemälde von hohem koloristischem Reiz.
Carry (Carl) Hauser (1895–1985)
Maler in der Tirolergasse 1. Einer der Altmeister der modernen Kunst in Österreich, der in seinem Schaffen von der Epoche des Expressionismus und ganz persönlichen Übergängen zur Neuen Sachlichkeit geprägt wurde. 1938 aus politischen Gründen in die Schweiz emigriert, hatte er nach 1945 wieder seinen hohen Stellenwert im Wiener Kulturleben.
Ludwig Koch (1866–1934)
Maler in der Lainzer Straße 89. Als einer der letzten auf dem Gebiet der österreichischen Militärmalerei seit Carl Schindler war Koch der kavalleristische Impressionist. Er Paraden und Kavalkaden und porträtierte den herangaloppierenden Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand. Kochs Meisterwerk ist das fast filmisch aufgefasste rasante Reiterbildnis des 1866 bei Custoza attackierenden Obersten von Rodakowski, das Symbolcharakter gewann.
Otto König (1838–1920)
Bildhauer in der Neue Weltgasse 11. Er war einer der vielbeschäftigten Plastiker der Ringstraßen-Ära. Die Ausbildung an der Porzellanmanufaktur seiner Heimatstadt Meissen machte ihn später zum „Poeten unter den Bildhauern“. Besonders geschätzt
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Erich Landgrebe (1908–1979)
Schriftsteller und Maler Münichreiterstrasse 25. Ein ausgeprägter „Globetrotter“ mit weiten Wanderungen durch Europa und Reisen in die USA. Als sensibler Aquarellist hatte eine „Waldanschauung“, als Autor verschaffte ihm schon sein erster Roman „Adam geht durch die Stadt“ Beachtung. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelte er sich in Salzburg an.
Ferdinand Lorber (1883–1957)
Graphiker in der Fichtnergasse 7. An Meistem wie William Unger und Alfred Cossmann geschult und selbst Lehrer an der berühmten Wiener Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt, widmete er sich mit grossem Erfolg dem Spezialgebiet des Briefmarkenstichs.
Franz Carl Renner (1886–1957)
Kunstmaler in der Gogolgasse 30.
waren seine lebensvollen Poträtbüsten. Noch lange Zeit standen im Garten des Wohn- und Atelierhauses einige seiner Werke.
Max Kremser
Bildhauer in der Firmiangasse 39. Über ihn sind nur wenige Lebensdaten bekannt. 1930 schuf der „äußerst schaffensfrohe Bildhauer, ein Schüler Professor Redlichs“ die Franz Lauer-Medaille für den Ober St. Veiter Männergesangverein. Bekannter ist das von ihm geschaffene Gluck-Denkmal bei der Karlskirche.
Heinrich Krippel (1883–1945)
einer der erfolgreichsten Bildhauer seiner Zeit, wohnte und arbeitete in der Auhofstraße 127. Um einen bestimmten geistigen Inhalt klar und eindeutig zum Ausdruck zu bringen, lag ihm das Wuchtige genauso wie das Weiche, Liebliche. Weltweit bekannt wurde er ab 1925 durch die Denkmäler für Kemal Atatürk, die ersten Bildnisskulpturen in der Türkei nach dem Untergang des Osmanischen Reiches.
Auferstehung.
Grabdenkmal auf dem Ober St. Veiter Friedhof, geschaffen von Heinrich Krippel. Große, aus den Wolken herabgreifende Finger heben den Kopf des Verklärten auf, sodass sich seine Augen in den Himmel richten.
Fotografiert am 19. Oktober 2018
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Frieda Salvendy (1887–1968)
Kunstmalerin in der Hietzinger Hauptstraße 99.
Em(m)erich Schaffran (1883–1962)
„Er hatte sich einen vielseitigen Ruf als Maler, Kunsthistoriker und Vortragender erworben. Schon als aktiver Offizier der k. u. k. Armee war er Schüler vom A. Hlavacek und H. Lietzmann-Torbole. Später studierte er an den Kunstakademien in Wien und München und anschließend an der Universität Wien Kunstgeschichte. Durch viele Jahre war er wissenschaftlicher Beirat des Niederösterreichischen Landesmuseums und trat auch als Kunstschriftsteller hervor. Als Maler bevorzugte er die stilisierte Figur und das Landschaftsbild, sein Spezialgebiet waren perspektographische Schaubilder als Projektierungshilfe für Straßen- und Kraftwerks
Alexander Rothaug (1870–1946)
lebte in der Hietzinger Hauptstraße 114. Er war ein Kraftmensch mit der Palette: Motive aus der klassischen Mythologie verwandelten sich auf seinen Gemälden zu Szenen von barbarischer Wildheit, der dramatische Moment galt ihm viel. Und noch mehr der Effekt.
Oswald Roux (1880–1961)
Maler in der Auhofstrasse 21, einer Villa von besonderem architektonischem Reiz, sie sah aus wie ein kleines Sanssouci. Sie wurde durch einen Neubau ersetzt. Bekannt wurde er durch seine Tierdarstellungen, vor allem von schweren, robusten Pferderassen des österreichischen bäuerlichen Lebensraumes – die Haflinger und die Noriker – und mit ihnen auch die Menschen vom Lande.
Georg Saatzer (1926–2004)
wohnte zuletzt in der Auhofstraße 44. Er hat das alte Ober St. Veit in vielen Gemälden und Zeichnungen festgehalten. Daher haben seine Werke neben dem künstlerischen auch einen dokumentarischen Wert.
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Die Glutmuehle in Hütteldorf. Aquarell Georg Saatzers aus dem Jahr 1951. Die einzige mir bekannte erhaltene Ansicht der Mühle aus dem Süden, die auch die Radstube zeigt.
Kurzbiografie aus dem Katalog zur 189. Ausstellung der Österreichischen Galerie Belvedere in der Neuen Galerie, Wien I., Grünangergasse 1: Emerich Schaffran – Gemälde und Graphik, Februar und März 1956
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bauten. Einige Photoreproduktionen zeigten Wandbildentwürfe für verschiedene Techniken: Mosai, Sgraffito und keramsiche Platten.“
Er schuf Wandgemälde (darunter Pflegeanstalt Am Steinhof), alpine Wandbilder (beispielsweise in den Stationen der Raxbahn), Landschaften, religiöse Bilder und Porträts sowie Fresken für Kirchen in Niederösterreich und Salzburg. 1924–1946 lehrte er an der Urania, 1941–1948 war er Kunstsachverständiger des Dorotheums sowie Mitglied des Denkmalamts. Schriftstellerisch sah er seine Aufgabe vor allem darin, in „Kunstwanderungs“-Publikationen die Kenntnis heimischen Kulturgutes zu vermitteln.
Er lebte in der Glasauergasse 8.
Hans Schliessmann (1852–1920)
Graphiker in der Maxingstrasse 4. Als Farbenbilnder lebte er sein Talent in der Schwarzweißzeichnung aus. Sein Werkzeug war die zügig geführte Tuschfeder. Schliessmanns Blätter wurden zu „Gustostückerln“ der Wiener Sittenschilderung. Der gebürtige Mainzer dokumentierte mit Erzählerfreude und Humor das Volksleben seiner Wahlheimat fast so fleißig wie sein Zeitgenosse Adolf Menzel. Sein Gebrechen ließ ihn jedoch zum Pessimisten und scharfzüngigen Spötter werden.
Julius Schmid (1854–1935)
Maler in der Maxingstrasse 18. Er pflegte die Traditionen des Genrebildes im historischen Milieu, vor allem aus dem Biedermeier. Sein bekanntestes, oft reproduziertes Gemälde ist „Ein Schubertabend in einem Wiener Bürgerhaus“, eine atmosphärische und bis ins Detail ausgewogene Gesellschaftsszene. Er porträtierte Marie von Ebner-Eschenbach, sonnigen Gärten waren seine Motive für stimmungsvolle Landschaftsbilder.
Wolfgang Schönthal (1905–1963)
Maler in der Anton Langer-Gasse 24b. Sein Vater war Otto Schönthal, ein namhafter Architekt aus der Schule Otto Wagners. Im malerischen, der „gemässigten Moderne“ zuordenbaren Schaffen Wolfgang Schönthals dominierten koloristische und stimmungsvolle Wiener Motive.
Karl Stemolak (1875–1954)
Bildhauer in der Auhofstraße 142. Für ihn stand das Abbild des Menschen im Mittelpunkt, die menschliche Gestalt in monumentaler Ruhe. Dies bewies er mit seinen Bauplastiken am Wiener Justizpalast.
Josef Tautenhayn (1868–1962)
Bildhauer in der Fichtnergasse 18. Der Bruder Karl wurde Musiker und der Bruder Ernst Schauspieler. Josef beherrschte als Plastiker die „kleine Form“ der Medaille und der Porträtplakette.
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Ergänzung vor allem aus
Wien-Wiki
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Als Zeitzeuge der „Welt von Gestern“ war er auch ein lebendiger Erzähler von denkwürdigen Begegnungen, zum Beispiel über den verdämmernden Heilanstaltpatienten Hugo Wolf.
William Unger (1837–1932)
wohnte von 1893–1919 in der Schweizertalstraße 26. Radierer, Kupferstecher und Aquarellmaler (Landschaften). Zugewandert aus Hannover leistete er als Künstler und Lehrer Wesentliches auf dem Gebiet der Radierung, die während seiner sehr langen Lebenszeit in Deutschland und Österreich neue Bedeutung gewann. Wichtig wurde seine Zusammenarbeit mit der „Gesellschaft für vervielfältigende Kunst“, der er viele druckgraphische Reproduktionen von Gemälden lieferte. Sein Schaffen und seine Begegnungen mit Hans Makart, Franz von Lenbach etc, interpretierte er selbst in dem Buch „Aus meinem Leben“.
E. Weid
Kunstmaler in der Spohrstraße 49.
Carl Wollek (1863–1936)
Bildhauer im Hackingerhof 2, ein Wohn- und Atelierhaus, 1907 von Karl Fischl erbaut, 1985 für die Erweiterung des St. Josef Krankenhauses abgetragen. Carl Wollek gehörte zu den wenigen Künstlern, die Grossplastiken in den Formen des Jugendstils schufen. Beispiele sind der Zauberflöten-Brunnen im 4. Bezirk, der monumentale knieende Geharnischten auf dem Zentralfriedhof – seine persönliche Paraphrase auf Hochgräber der Renaissance – und das humorvoll-anekdotisch gestaltete Kneipp-Denkmal im Stadtpark.
Leopold Zobel (1907–1942)
Der eigenwillige aber hochtalentierte Leopold Zobel ist ein extremes Beispiel für den unglaublichen, im Dritten Reich erlittenen Verlust an künstlerischer Brillanz. Sein Versuch, sich dem Wehrdienst zu entziehen, misslang, und er starb im KZ Flossenbürg.
Der steigende Wohlstand in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gab und gibt immer mehr Menschen die Möglichkeit, sich mit unterschiedlichster Intensität in kunstschaffender Weise zu betätigen, vom privaten Hobbykünstler bis zum akademisch ausgebildeten, hauptberuflichen Künstler. War und ist es schon schwierig, die lokale Kunstszene des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts einigermaßen umfassend zu durchleuchten, so ist dies für die heutige Zeit absolut unmöglich, jedenfalls hinsichtlich der leicht zugänglichen Malerei. Aus diesem Grund will ich für diesen Beitrag – vom zuerst genannten Eduard Diem abgesehen – nur drei zeitgenössische Künstler und – soweit vorhanden – deren Vorgänger nennen, stellvertretend für die vielen anderen: Wolfgang Karnutsch, der das Atelier von Heinz Satzinger übernommen hat,
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Benedikt Kobel:
„Die Ober St. Veiter Pfarrkirche“
© Benedikt Kobel
Gerhard Weissenbacher: „Olympic/Titanic“ (2016/17). Pinsel, Feder, Tusche, 34,7cm x 47,8cm. „Olympic“, Schwesterschiff der 1912 untergegangenen „Titanic“, im Bau am Trockendock. Im Hintergrund eine Arbeitsdampfmaschine.
© Gerhard Weissenbacher
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Benedikt Kobel, und die akademischen Maler in zwei Generationen Alois und Mag. Gerhard Weissenbacher.
Heinz Satzinger (geb. 1921)
Bildhauer, Grafiker und Restaurator. Nach frühen, naturgetreuen Arbeiten fand er bald zu einer klaren Formensprache mit Reduktion auf das Wesentliche. Die wenige Zeit, die Heinz Satzinger in Österreich verbrachte, wohnte er im eigenen, 1954 erbauten Haus am Roten Berg. Hier hatte er auch sein Atelier. Im Zuge des Rückzuges nach Hainburg im Jahr 2001 übergab das Ehepaar Satzinger das Haus samt Atelier an einen jungen Bildhauer:
Wolfgang Karnutsch
seit 1988 freischaffender Bildhauermeister. Die Anatomie und die Ausdrucksmittel in Körperhaltung, Bewegung und Mimik, verstärkt durch Verzerrung, Verfremdung oder Vereinfachung sind die Lieblingsmotive des Künstlers.
Benedikt Kobel
Bei ihm sind gewisse Parallelen zu Eduard Diem erkennbar: Er ist Opernsänger von „bürgerlichem Erstberuf“, doch die Liebe zur Kunst, in seinem Fall der Strich auf dem weißen Blatt, hatte ihn schon sehr früh erfasst, und er hat sein ganzes Leben nicht mehr aufgehört, alle möglichen Themen zeichnerisch darzustellen, seit der Übersiedlung nach Ober St. Veit im Jahr 2000 auch malerisch. Zahlreiche Ausstellungen und Buchveröffentlichungen machen sein Hobby mittlerweile zu einem Zweitberuf.
Vater und Sohn Weissenbacher
Und als Abschluss: die akademischen Maler in zwei Generationen Alois und Mag. Gerhard Weissenbacher. Das Leben von Vater (1895–1970) und Sohn (geb. 1941) Weissenbacher weist grundsätzliche Parallelen auf: Beide wirkten neben ihrer erfolgreichen künstlerischen Tätigkeit auch als AHS-Lehrer: der Hütteldorfer Alois in Baden, und der 1972 nach Ober St. Veit gezogene Gerhard in der Fichtnergasse. Im Künstlerischen unterscheiden sie sich jedoch grundsätzlich: Alois' Schwerpunkte waren Porträts, alte Werkstätten, Innenräume aus dem bäuerlichen Milieu, Landschaften und Stillleben (siehe die Frühlingsblumen am Cover dieses Buches). Unter anderem porträtierte er Bundeskanzler Dr. Ignaz Seipel und den Abt des Stiftes Heiligenkreuz, Gregor Böck. Der Schwerpunkt der Arbeit Gerhard Weissenbachers ist demgegenüber die Grafik, insbesondere die Originalzeichnung. In einem langsamen, zeitaufwendigen Arbeitsprozess fügt er Striche zu strukturierten Flächen mit feinsten Schattierungen. Meist sind es Themen aus der Architektur oder aus der Vorstellung, jedenfalls an Urformen angenäherte Reduktionen. Mit ihrer fast mystischen Spannung beziehen sie den Betrachter in die meditative Dichte des Schöpfungsaktes ein und führen ihn
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zum Wesentlichen hinter dem Sichtbaren. Das konkrete Thema ist nur Ausgangspunkt. Hauptziele für das abgeschlossene Werk sind Zeitlosigkeit und Allgemeingültigkeit. Künstlerische Arbeiten Gerhard Weissenbachers sind im Besitz der Albertina, des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur, der Niederösterreichischen Landesregierung, der Staatlichen Galerie des Fürstentums Liechtenstein und privater Sammlungen.
Gerhard Weissenbacher hat unsere Region aber noch in völlig anderer Hinsicht bereichert: Eine Projektarbeit mit Schülern einer 7. Klasse gipfelte in einer Ausstellung der wichtigsten Architektur und Skulptur des 13. Bezirkes. Daraus ergab sich eine 16 Jahre dauernde, von vielen Helfern unterstützte Arbeit, an deren Ende die beiden Bücher „In Hietzing gebaut. Geschichte und Architektur eines Wiener Bezirkes“ stand. Der erste Band erschien 1996 und der zweite Band 1998. Heute sind sie über die Region hinaus geschätzte – leider vergriffene – Standardwerke und werden in diesem Buch wiederholt zitiert.
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Zusammenhalt, gegenseitige Hilfe und das gemeinsame Leben von Traditionen waren der Wesenszug jeder Gemeinschaft – von der Familie bis zum Staat. Das aus den Traditionen resultierende Brauchtum, das seinen tieferen Ursprung in der jeweiligen Religion hat, beinhaltet auch festgelegte Verhaltens- und Handlungsformen, bei uns im Rahmen des christlichen Jahreskreises oder in den Abschnitten des Menschenlebens von der Geburt bis zum Tod. Dieses gemeinsame Begehen des Brauchtums war – von Wallfahrten abgesehen – auf den dörflichen Kreis, insbesondere der Pfarre beschränkt. Daher sind die meisten Erinnerungen an solches Brauchtum in den Dorfgeschichten dieses Buches enthalten.
Die Teilnahme an diesen Handlungen waren für den vorindustriellen Menschen (von den obersten Schichten abgesehen) die einzige nicht vom Lebenserhalt bestimmte Zeit. Die Freizeit als Abgrenzung von der Erwerbsarbeit ist eine begriffliche Erfindung des späten 18. Jahrhunderts und wurde damals weniger deutlich empfunden als später. Erst die Schärfung des Arbeitsbegriffes im Rahmen der Industrialisierung verdeutlichte den Unterschied von Erwerbsarbeit und Freizeit und damit auch den Unterschied zwischen Erwerbsarbeit und geselligem Bereich.
Die Gestaltung dieser Freizeit reicht von der persönlichen Bildung bis zur reinen Erholung. Zu den Trägern dieser Freizeitgestaltung wurden die auf freier – in totalitären Staatsformen auch verpflichtender – Mitgliedschaft beruhenden Vereinigungen: Vereine der verschiedensten Interessensgebiete, Jugendverbände, später auch Betriebs- und Werksgemeinschaften. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mit der Förderung von Sportanlagen etc. verstärkt auf die gesunde Freizeitgestaltung geachtet. Die meisten dieser Vereine werden ebenfalls im Rahmen der Dorfgeschichten erwähnt, die Sportvereine im folgenden Kapitel.
Die Erwähnung in den Ortsgeschichten trifft auch auf die Faschingsvereine zu, doch soll hier in diesem Kapitel genauer und ortsübergreifend auf den Fasching in der Region eingegangen werden.
Genauer und ortsübergreifend wird anschließend eine andere beliebte Freizeitbeschäftigung beschrieben, nämlich das Genießen der Aussicht von den zahlreichen Aussichtspunkten in Hietzing und aus den dort entstandenen gastronomischen Einrichtungen.
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Als Karneval (ital.: Carnevale, deutsch etwa: „Fleisch, leb wohl“), Fastnacht oder Fasching wird die Zeit der Ausgelassenheit, Fröhlichkeit und überschäumenden Lebensfreude bezeichnet. Er ist Teil unseres Brauchtums.
Im christlich geprägten deutschsprachigen Raum ist verbreitet von der (ausgelassenen) Zeit vor der Enthaltsamkeit bzw. Fastenzeit die Rede. In den evangelischen Gebieten (wegen der Abschaffung der vorösterlichen Fastenzeit) wieder abhanden gekommen, wurde der Fasching zum Ausdruck katholischer Mentalität. Das oft ausgelassene Treiben auf den Straßen erfuhr immer wieder Einschränkungen durch die Obrigkeit, so auch in Wien nach der Türkenbelagerung 1683, als zur Wahrung von Ordnung und Sicherheit der bis dahin übliche Mummenschanz und das ausgelassene Treiben von den Straßen in Lokale und Säle verbannt wurde. Dies förderte die Ausprägung der Wiener Bälle (Faschings-Bälle), die dann im 18. Jahrhundert allseits lebhaften Zuspruch fanden und in allen sozialen Schichten vom Adel bis zu den Kleinbürgern veranstaltet wurden. Zu solchen Ballveranstaltungen wurde auch in unseren Ortsgemeinden geladen, u. a. vom Dommayerschen Casino. Dort spielten dann Vater und Sohn Johann Strauss auf.
Von den Ballveranstaltungen abgesehen sind für die ehemaligen Ortsgemeinden Hietzings keine frühen Nachrichten überliefert. Ein Artikel im Fremden-Blatt vom 23. Februar 1868 „Wiener Plaudereien – Ein Faschingsumzug in Hietzing“ untermauert eine dementsprechende Abstinenz:
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Foto die Hietzinger Hauptstraße hinunter während des letzten Faschingsumzuges in Hietzing im Jahr 2008
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Nur noch wenige Tage, und ein lustiger Geselle hat sein tolles Dasein beschlossen, das reich an Narreteien, eitlen Sprüngen, kühnen Bewegungen und übermütigen Abenteuern war. Die letzten Tage der Regentschaft dieses kurzatmigen Prinzen benützen seine Anhänger zu feierlichen Festzügen, die wie bekannt alljährlich zu Döbling, Ottakring und Gaudenzdorf stattfinden. Heuer haben diese seltsamen Umzüge einen konkurrierenden Vorläufer erhalten; denn ausnahmsweise wurde heuer auch in der Umgegend von Hietzing ein Umzug gehalten, ein Spaß, der uns bald sehr teuer zu stehen gekommen wäre. Die Teilnehmer dieses Zuges waren im Gegensatz zu den Mitgliedern eines gewöhnlichen Faschingszuges, die verlarvt erscheinen, demaskiert, und nur an ihren Abzeichen konnte man erkennen, dass ihr Vorhaben ein närrisches gewesen. Die armen Narren aus der Fremde fanden bei uns keine gastfreie Aufnahme; Wien, das für so viele Torheiten Platz hat, wollte dieser aufoktroyierten keinen Raum gönnen und die seltsamen Gäste verlassen unsere Stadt mit eigentümlichen Begriffen von der vielgerühmten Hospitalität der freundlichen Bewohner Wiens. Es ist in der Tat eine eigentümliche Erscheinung, dass die Wiener, welche durch ihre Brüderlichkeit und Herzlichkeit für die Zuzügler aus dem Reich bei so vielen Gelegenheiten auf das Glänzendste bewährt haben, in diesem Falle ihre gewohnte Zuvorkommenheit verleugneten. Kann man ihnen einen Vorwurf daraus machen? Unumwunden gesagt: Nein. Mitten in der Faschingstollheit hatte man sich zu dem vernünftigen Entschlusse aufgerafft, sich um fremde Torheiten nicht zu kümmern.
Es ist freilich ein ironischer Beitrag und bezieht sich auf Männer, Frauen und Kinder die aus Hannover kamen, um den in Hietzing residierenden und zu dieser Zeit in eine Passaffäre verwickelten König von Hannover zur silbernen Hochzeit zu gratulieren. Ursprüngliche oder vermeintliche Versprechen einer gastfreundlichen Aufnahme wurden wohl nicht eingehalten. Doch ist dem Beitrag zu entnehmen, dass es damals (1868) alljährliche Festzüge nur in Döbling, Ottakring und Gaudenzdorf gab, und keinen in Hietzing. Allerdings können kleinere von den Zeitungen nicht wahrgenommene Umzüge nich ausgeschlossen werden.
Das für später dokumentierte Faschingstreiben in Form von Faschingsumzügen beschränkte sich meines Wissens auf die Ortsgemeinden Ober St. Veit sowie Lainz gemeinsam mit Speising. In Ober St. Veit begann das intensivere Faschingstreiben mit der Gründung des „Drahrer-Clubs“ im Jahr 1887. Der Verein blieb bis zu seiner Auflösung im Jahr 1938 aktiv. In der Zweiten Republik wurde er als Narrenzentrum Ober St. Veit wiederbelebt.
Im selben Jahr 1887 wurde auch erstmals von einem Faschingszug durch Lainz und Speising berichtet, seine Arrangeure – namhafte Persönlichkeiten aus beiden Ortsgemeinden – dürf
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ten aber nicht vereinsmäßig organisiert gewesen sein. Allerdings scheint dieser „Mummenschanz“ die Eingemeindung der Vororte nach Wien nicht überlebt zu haben, denn der letzte Zeitungsbericht zu solchen Veranstaltungen stammt aus dem Jahr 1891. Die anderen Ortsgemeinden konnten diesem Treiben offensichtlich nichts abgewinnen.
Zurück zum „Drahrer-Club“: Diese Bezeichnung (vollständig: 1. Ober St. Veiter Drahrer Club) findet man in dem Vereinsregister der Nö. Statthalterei unter lfd. Nr. 1158 und dem Datum 1.8.1887; damit wurde dem Proponenten – dem Gastwirt Franz Rainer – die Vereinsgründung genehmigt.
Das Gasthaus Rainer befand sich in der Auhofstraße, seinerzeit Nr. 34, heute Nr. 141, heute ist es der Standort der Apotheke St. Veit. Tatsächlich ins Leben gerufen wurde der Drahrer-Club allerdings schon im Jahre 1886. Dies bestätigen die Aufschriften auf der Fahne des Vereines, auf einigen der Vereinsabzeichen und auf den Programmen.
Umzüge dürfte es in Ober St. Veit allerdings schon früher gegeben haben. Wenn man den Berichten des 1875 geborenen Ober St. Veiter Heimatdichters Vinzenz Jerabek Glauben schenkt, gab es schon vor 1880 Umzüge. Auch die „Allgemeine Zeitung“ vom 23. Februar 1887 berichtet vom „üblichen“ Faschingszug:
(Der Fasching in Ober St. Veit.) In diesem freundlichen Orte wurde gestern der Fasching in lustigster Weise zu Grabe getragen. Es fand nämlich der übliche Faschingszug statt, der wirklich sehr originell ausfiel. Etwa 7000 Personen bevölkerten den Ort; den Zug eröffneten Herolde, Standartenträger, Reiter, sodann folgten die Gruppen. Zwei „Drahrerwägen“, Wäscher-, Blumenwägen, eine Bacchanten-Gruppe, ein origi
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Die Recherche zu diesem „Maskenzug in Lainz“ bezeichneten Bild unterstreicht die enge Verbundenheit von Lainz und Speising. Von einem diesbezüglichen Faschingsumzug wurde nur in Tageszeitungen der Jahre 1887 bis 1891 berichtet, und zwar als gut besuchter „Faschingsumzug durch Lainz und Speising“: „An allen Straßenecken standen Feuerwehrleute, welche für den Einlass in die beiden Orte 10 Kreuzer Eintrittsgeld erhoben. Gegen 3 Uhr hatte sich in den Gassen, durch welche sich der Zug bewegte, eine immense, nach Tausenden zählende Menschenmenge angesammelt. Die Dampftramway konnte nur langsam verkehren. Der Faschingszug stellte sich bei dem Gemeindehaus in Speising auf und bewegte sich nach Lainz und dann wieder zurück.“ Zu den Arrangeuren zählten die Herren Wambacher und Weinrother.
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neller Zigeunerbaron mit Gefolge, eine Ackerbau-Gruppe und „türkische Artillerie“ bildeten den Schluss. Das Reinerträgnis ist ziemlich bedeutend. Um das mühevolle Arrangement des Zuges haben sich die Herren: Rainer, Hochgrasel, Ressel und Fidler besonders verdient gemacht.
Der Ertrag des ersten, vom neu gegründeten Verein arrangierten Faschingsumzuges 1887/88 wurde mit 5.000 Gulden und der Umsatz mit 40.000 Gulden angegeben. Allerdings können hier auch arrangierte Mai- und Familienfeste enthalten sein. Der Ertrag der Aktivitäten des Vereines wurde von Anfang an für die Unterstützung notleidender Kinder bestimmt. Leider haben sich weder im Nö. Landesarchiv noch in privater Hand die Statuten erhalten.
Bösartige Zeitgenossen unterstellten den Vereinsmitgliedern die Freude an möglichst häufigen Gasthausbesuchen – dies ist sicher nur eine Unterstellung; allerdings ist festzustellen, dass laut erhaltenem Protokollbuch (ab 1920) zumindest in der kalten Jahreszeit etwa zwei Sitzungen pro Woche stattfanden. Um keinen der zahlreichen Gastwirte vor den Kopf zu stoßen, wechselte der Vereinssitz ständig.
Die Tätigkeit des Drahrer-Clubs entwickelte sich so erfolgreich, dass in den zwanziger Jahren die Zeitungen von mehreren hunderttausend Besuchern berichteten. Die vorhandenen Kassenberichte lassen aber nur auf etwa 50.000 zahlende Besucher schließen. Es wurde sehr streng kassiert! Jeder Besucher musste ein Programm, welches gleichzeitig als Eintrittskarte galt, kaufen. 1906 kostete es 20 Heller. 1926 wurden als Eintritt 30 Groschen verlangt, das Programm kostete 10 Groschen.
1929 wurden 60.000 Karten aufgelegt, (leider hat sich keine erhalten) und 300 Kassiere beschäftigt. Die Zugangsstraßen zum Faschingsumzug dürften demnach sehr rigoros kontrolliert worden sein. Mit Rücksicht auf das ärmere Publikum wurden an mehreren Stellen die Programme ausgehängt. Die Route des Zu
Das älteste bekannte Foto eines Ober St. Veiter Faschingsumzugs. Es zeigt die Mitglieder des Ober St. Veiter Drahrer-Clubs im Jahre 1888, dem ersten Umzug unter der Ägide dieses Vereines
(Foto aus Privatbesitz).
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Zwei Abzeichen des Ober St. Veiter Drahrer-Clubs: links das ursprüngliche und rechts das ab 1920 verwendete neue Abzeichen.
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Programm für den
40. Faschingsumzug des
Ober St. Veiter Drahrer-Clubs im Jahre 1926
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Ein Zeitungsbeitrag zum Faschingsumzug vom
21. Februar 1926
ges führte vom Kai (damals mangels Anbindung noch ohne Verkehr) bei der Zufferbrücke in Richtung Firmiangasse – Hietzinger Hauptstraße – Rohrbacherstraße – Tuersgasse – Amalienstraße – Testarellogasse – Auhofstraße – Firmiangasse, wo sich der Zug beim Kai auflöste.
Der erzielte Ertrag wurde immer wieder dem Vereinszweck entsprechend zum Besten armer Kinder verwendet. 1924, in der beginnenden Inflationszeit, wurden bereits Anfang Oktober um den Betrag von fünf Millionen Kronen Schuhe für Kinder im Ankaufswert zwischen 140.000 und 180.000 Kronen erworben. Bei der Übergabe am 21. Dezember hätte man gerade zwei Paar Kinderschuhe um diese fünf Millionen erhalten. 1928 wurden 30 Kinder beteilt. Im Protokoll ist nur die Gabe an Knaben – Hose, Rock und Strümpfe – festgehalten.
Schon 1920 wurde der Drahrer-Club zum „Wohltätigkeitsverein mit angeschlossenem Sparverein“. Die letzte Eintragung im erhaltenen Protokollbuch des Jahres 1936 spricht von der Notwendigkeit, noch 1000 Schilling auftreiben zu müssen, um einen Faschingsumzug gestalten zu können. Das Jahr 1938 brachte die Auflösung des Drahrer-Clubs.
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Die vom Drahrer-Club vertretenen Ideen übernahm das Narrenzentrum Ober St. Veit, dessen Geschicke bis heute (2024) von dessen Ministerpräsidentin Emma Zorga geleitet werden. Das Narrenzentrum Ober St. Veit ist Mitglied des Bundes Österreichischer Faschingsgilden (BÖF). Wegen der hohen Kosten und der nahezu versiegenden Bereitschaft Einzelner, bei den aufwändigen Arbeiten und Tätigkeiten mitzuhelfen, wechseln sich die fünf in Wien existierenden Faschingsgilden bei den einzelnen Faschingsaktivitäten ab. Zu den Aktivitäten zählen das Narrenwecken am 11.11. um 11 Uhr 11, der Faschingsumzug immer am Faschingssamstag und die Faschingsverbrennung am Faschingsdienstag um Mitternacht. Daraus folgt, dass der Faschingsumzug nach gegenwärtigem Rhythmus alle fünf Jahre in Ober St. Veit stattfand. Der letzte Ober St. Veiter Umzug fand am 1. März 2008 statt, ein Bericht dazu ist auf www.1133.at/Bericht 204 aufrufbar. Das Narrenzentrum Ober St. Veit mit seiner Präsidentin Emma Zorga ist jedoch nach wie vor aktiv. Mit unterschiedlichsten Mot
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Eine Collage aus Fotos des letzten Ober St. Veiter Faschingsumzuges 2008. Oben in der Mitte die Präsidentin des Narrenzentrums Ober St. Veit Emma Zorga und der Faschingsbürgermeister Hermann Schmidt mit dem Maskottchen „Narroi“ auf dem Hut. Unten transparent darübergelegt eine Medaille des Narrenzentrums und im Hintergrund die bis heute erhaltene historische Fahne des Ober St. Veiter Drahrer-Clubs.
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Der 15. Große Wiener Faschingsumzug im Jahr 2008 war der letzte vom Narrenzentrum Ober St. Veit ausgerichtete. Im Bild die Schmetterlinge der Bautischlerei Fellner vor der Ehrentribühne.
Einige Verkleidungen des Narrenzentrums Ober St. Veit,
fotografiert von Klaus Pichler am 5. Februar 2011. Ganz unten die Vorbereitung zur Faschingsverbrennung 2006
Das Narrenwecken am 11. 11. 2007 vor dem Tirolerhof
Mit seinen Verkleidungen gewann das Narrenzentrum Ober St. Veit zahlreiche Preise, wie hier für die „Narrischen Schwammerln“ den 1. Preis der Fußgruppen beim Mödlinger Faschingsumzug 2011.
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tos und Verkleidungen nimmt es an anderen Umzügen in Österreich und den in verschiedenen Ländern Europas stattfindenden „Euro-Canevals der Guggenmusik“ teil.
Start der Faschingsverbrennung 2006
Emma Zorga als Pharaonin während des Euro-Carnevals der Guggenmusik 2009, der durch Venedig und Verona zog.
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Das Narrenzentrum
Ober St. Veit als „weltberühmteste Maler aller Zeiten“ vor der Aufstellung zum großen Carnevalsumzug während des Euro-Carnevals der Guggenmusik 2015
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Kehraus in Ober-St. Veit
Vieles ist in der jetzigen Zeit in Vergessenheit geraten, was einst enge mit dem menschlichen Leben zusammenhing. Manches hat sich erhalten und wird gepflegt, darunter besonders die Zeit, die dem Tanz geweiht ist – der Fasching. Und weil jetzt wieder an den Anschlagsäulen die Balleinladungen kleben, muss ich an den Fasching von einst, den Fasching meiner Kindheit denken.
Es war in Ober-St. Veit, heute ein Teil des 13. Wiener Bezirkes, damals eine selbstständige Gemeinde. Milchwirtschaft und Weinbau wurden betrieben. Urväterbräuche herrschten noch und damit die Freude an geräuschvollen Unterhaltungen. Der Fasching gehörte zu den geräuschvollsten. Die damaligen Dorfbewohner stürzten sich nicht heißhungrig ins Vergnügen, sie gingen gemach aber gründlich zu Werke.
Der starke Michel
Am Dreikönigstag begann das „Faschingssingen“. Halbwüchsige Jungen, die in fantastischen Vermummungen steckten, gingen von Haus zu Haus und sangen uralte Faschingslieder. Dann, eines Tages lasen wir auf dem Weg zur Schule staunend ein grellrotes Plakat. Darauf hüpfte auf einem Bein ein Bauernbursch und schwang die Zipfelmütze. Es war die Einladung zum „Bauernball“. Eine Woche darauf war der „Schlafhaub'nball“.
Und da fällt mir das Geschichterl vom starken Michl ein. Der Michl war groß und stark wie ein Riese und tat keiner Fliege was zuleide. Aber er raufte gern. Wenn es so weit war, dann hat der Michl immer die Gaststube ausgeräumt. Sogar den Wirt warf er hinaus. Einstmals, nach einem Schlafhaub'nball, ist der Michl mit einigen Gesellen noch sitzen geblieben. Sie tranken alle wacker, haben zuletzt aber einen Streit begonnen. „Bist eh a schlechter Christ!“ hat einer dem Michl zugerufen, ist aber sogleich unterm Tisch gelegen; zwei Wochen darauf war die Gerichtsverhandlung. – „Warum haben Sie den Mann so zugerichtet?“ hat der Richter gefragt und auf den Kläger mit dem verbundenen Schädel gewiesen. – „Weil er g'sagt hat, i bin a schlechter Christ!“— „Na, und?“ fragte der Richter weiter. – „Na, da Hab i eahm halt zoagt, dass i a guater Christ bin!"
O, du Itebc Eitelkeit!
Faschingsamstag war der vornehmste Ball, der Armenball. Ich war zuerst der Meinung, es wäre ein Ball für die Leute aus dem „Armenleuthaus“. Aber die alte Puchhammerin, eine Inwohnerin des Armenhauses, sagte: „Heut toan dö Grotzkopferten für uns aus christlicher Nächstenliab fressen, saufen und tanzen.“ Denn das Reinerträgnis aus dieser Veranstaltung gehörte den Armen. Ich erinnere mich, dass wir Kinder stets eine große Freude hat
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Ein Beitrag von Vinzenz Jerabek in der Illustrierten Kronen-Zeitung vom 19. Februar 1939, Seite 11
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ten, wenn der Armenball stattfand. Da gab es nämlich für uns auch ein Faschingsvergnügen. Die Hausherrnfamilie besuchte das Fest, und die Kleinen durften sich unter Aufsicht der alten Waberl, dem Hausgeist, unterhalten.
Ich habe einmal der Einkleidung unserer Hausherrntochter (ich war damals erst fünf Jahre alt!), für den Armenball beigewohnt. Die Mariedl war ein dralles Geschöpf, das, um ballfähig zu sein, in ein Mieder gepresst wurde. Gottergeben stand sie mitten in der Stube und zwei handfeste Frauen zogen an den Miederschnüren, dass ich glaubte, die Mariedl werde jeden Augenblick zu weinen anfangen. Sie aber lächelte selig. Da krachte es, ich stieß einen Schrei aus, weil ich annahm, sie hätten dem Mädl die Rippen zerbrochen. Es waren aber bloß die „Fischbeiner“ des Mieders gewesen.
Wenn die Familie im großen Landauer dem Ballort zufuhr, rief uns die alte Waberl in die gute Stube und wir durften jetzt auch Fasching feiern.
Wir und die Waberl
„Spielts enk, bis i mit dö Kropfa kiml“ ordnete die Alte an. Und wir nahmen das „Mariandlspiel“ vor, das um Haselnüsse ging, dann begannen wir das „Mehlschneiden“. In der Mitte des Tisches wurde ein Kegel aus Mehl errichtet, in die Spitze aber eine Nadel gesteckt. Nun musste jeder Mitspielende mit einem Messer von dem Mehlkegel etwas wegschaben. Das ging so lange, bis bei einem Spieler der Mehlkegel zusammenfiel, worauf das Spiel von neuem begann. Gespielt wurde so lange, bis die Waberl mit Tee und Krapfen hereinkam.
„Nur net pampf'n; a jed's kriagt gnua“, mahnte sie die, die heißhungrig die leckeren Dinger zu verschlucken begannen. Waren die Krapfen vertilgt, dann ging sie wieder in die Küche und kam mit einem Weitling voll Schneeball'n.
„Esst's, meine Gäst', und was net esst's, das steckt's in d' Säck!“ ermunterte die gute Alte uns und teilte aus. Waren wir mit dem Tee fertig, dann fragte sie: „Wollt's weiterspiel'n oder soll i enk a G'schicht verzähl'n?“
Der arme Kaiser Josef
Wir waren alle fürs Geschichtenerzählen und die Waberl begann von der frommen Genoveva mit der Hirschkuh, von der guten Fee Agnes und ihrem Ritter Karl, vom Räuberhauptmann Grasl und vom „roten Jud Mayer“, der ihn verraten hatte. Gern erzählte sie auch vom Kaiser Josef, der es mit den Armen so gut gemeint hatte, weshalb ihn die Reichen sterben ließen. Die fingen nämlich, nach der Meinung der Waberl, den guten Kaiser und legten anstatt seiner eine Wachspuppe in den Sarg. Der Kaiser selber aber wurde eingemauert. „Grad so viel, dass er mit'n Kopf aussaschau'n kann! Und 's Essen wird eahm eingeb'n! Und leb'n tuat er heut no, der arme Herrl"
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„Aber Waberl“, habe ich einmal eingewendet, „das gibts ja gar net! Da müsst der Kaiser Josef schon hundertfünfzig Jahr alt sein.“
„Wirst d' stad sein, dummer Bua!“ hat die Alte gerufen, „willst du an alt'n Leut' vielleicht was lernen vom Kaiser Josef? Mei Muatta – Gott tröst s' – hat das schon vom Kaiser Josef erzählt. Und sie hat's aus an großen Buach aussag'lesen, wo alles drin g'standen is. Und so muass a wahr sein."
Ich habe der Alten nicht widersprochen. Nicht weil ich die Geschichte geglaubt habe, sondern weil die Waberl mich dann nicht mehr zu den nächstjährigen Krapfen zugelassen hätte. Und so erzählte sie unermüdlich, bis uns die Augen schwer wurden, worauf wir unseren Fasching beendeten und zu Bett gingen.
Ausklang
Vom Faschingsonntag an bis Aschermittwoch in der Frühe brauchte mancher Wirt gar nicht zuzusperren. Da waren die sogenannten Hausbälle, auch „Hausnudeln“ genannt. Faschingdienstag aber wurde ein Umzug veranstaltet, aus dem sich viel später die großen St. Veiter Faschingszüge entwickelten. Am Aschermittwoch war das „Faschingbegraben“, mit dem die Faschingszeit ihren würdigen Abschluss fand.
„Gott sei Dank, dass dö narrische Zeit vorbei is“, sagten die Alten. Und dann begann die „stille Zeit“ und mit ihr die Arbeit auf Äckern und Feldern und in den Weingärten..
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Wer in unserer Region seine Runden dreht, dem öffnen sich immer wieder Plätze mit atemberaubender Aussicht. Man kann Blicke genießen, die vom Satzberg im Norden über ganz Wien reichen und bei gutem Wetter über Wien hinweg von den östlichen Grenzbergen über das Leithagebirge, das Rosaliengebirge und das Wiener Becken bis zum Anninger schweifen können. Von manchen Punkten sind auch Schneeberg und Rax zu sehen.Die schönsten Aussichtspunkte öffnen sich naturgemäß auf den Hügeln Hietzings, das sind die Ober St. Veiter Klippenberge Trazer-, Girzen- und Roter Berg, der Gemeindeberg, der Himmelhof und der Künigelberg mit dem anschließenden Glorietteberg im Schlosspark Schönbrunn.
Es ist herrlich, ins Land zu schauen – und noch dazu gratis.
Gerd W. Götzenbrucker auf dem Roten Berg. Fotografiert am 13. Jänner 2012 nach der ersten Aufnahme für sein damaliges Kunstprojekt. © Archiv 1133.at
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Der Ober St. Veiter Grafiker, Fotograf und Buchautor Mag. Gerd W. Götzenbrucker zählt den Blick auf Wien vom Sattel zwischen Girzen- und Rotem Berg zu den schönsten und spektakulärsten Panoramen der Stadt und stellte ihn in den Fokus eines Kunstprojektes. Weil der Aussichtspunkt im 13. Wiener Gemeindebezirk liegt, machte er 13 Monate lang an jedem 13. Tag um genau 13 Uhr eine Aufnahme dieses Blickes. Diese unverfälschten und ungeschönten Momentaufnahmen wurden dann im Rahmen einer Ausstellung präsentiert und können unter
www.frischesgras.at/wien13/ betrachtet werden.
Solche Projekte haben allerdings auch eine inspirierende Wirkung, und diesem Umstand ist die folgende Darstellung zu den Hietzinger Aussichtspunkten zu verdanken.
Schönbrunn war und ist die beliebteste Ausflugsdestination im Bezirk, hier allerdings hat die tolle Aussicht von der Gloriette nach Schloss und Kaiser wohl nur eine sekundäre Bedeutung. Anders war das vor allem in Ober St. Veit, als es noch eine beliebte Ausflugsdestination war: Hier kamen die Gäste wegen der Schönheit des Ortes, wegen des vielen Grüns, wegen seiner zahlreichen Gaststätten und manchen netten Menschen, aber oft auch bloß wegen der schönen Aussicht, die man hier genießen konnte. Aussicht hatte man von fast allen Erhebungen,
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Eines der Fotos von Gerd Götzenbrucker, aufgenommen am Roten Berg am ...
denn damals waren der Wald und das Häusermeer noch nicht so verbreitet und dicht wie heute. Früher waren weite Flächen die Hänge der fünf Erhebungen hinaufreichend (Trazerberg, Girzenberg, Roter Berg, Gemeindeberg und Hagenberg mit Himmelhof) landwirtschaftlich genutzt. Die Äcker, Wiesen und Weingärten störten keinen ausschweifenden Blick. Nach dem Niedergang der Landwirtschaft blieben viele Wiesen erhalten. Doch dann wurden sie sukzessive Opfer der Verbauung und des Waldes. Wald ist einfacher zu pflegen als Wiesen und gibt – zumindest gefühlsmäßig – mehr Sicherheit vor Umwidmungen.
Die bekanntesten und gesuchtesten Plätze mit Aussicht waren natürlich in der Nähe einer Gaststätte. Was gibt es Schöneres, als einen reich gedeckten Tisch vor atemberaubenden Panorama. Andreas Seifert, Wirt in der Hietzinger Hauptstraße 149 (später wurde es zur Gastwirtschaft Bauer) war der erste, der diese Marktlücke erkannte. 1823 erwarb er die Einsiedelei und erhielt 1830 das Recht, dort „auszuschenken und auszukochen“. Der zweistufige Garten in einem herrlichen Park und die weite Fernsicht über ganz Wien garantierten die Beliebtheit bei den Wiener Ausflüglern, ein aufgestelltes Fernrohr war die zusätzliche Attraktion. Wer noch mehr Aussicht wollte, konnte den Gemeindeberg hinauf wandern. Natürlich ging damals nichts ohne Tanz und daher gab es auch einen geräumigen Tanzsaal. Näheres zur Einsiedelei lesen Sie ab Seite → 23.
Die Einsiedelei erlebte mehrere Eigentümer, doch der Brand im Jahr 1908 führte zum Ende der Gastwirtschaft. Darnach soll ein Herr Puecker versucht haben, deren Tradition an einer unweit gelegenen Aussichtsstelle in der Gemeindeberggasse fortzusetzen. Er nannte sein Lokal „Winzerhaus“ und „Zur schönen Aussicht“. Es wird von einem elektrischen Klavier berichtet, das
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Johann Pueckers Winzerhaus in der Gemeindeberggasse vor 1909. Vor der Zeit des gemauerten Winzerhauses luden diese Holzbaracken und ein großzügiger Gastgarten zum Verweilen ein.
Hans Leitners Gastwirtschaft „Zur schönen Aussicht“ im Eröffnungsjahr 1924. An das kleine Haus mit weiß getünchtem Erdgeschoß war ein auf Stelzen stehender Gastraum mit darauf befindlicher Aussichtsterrasse angebaut worden. Im Hintergrund das um 1930 zum Heim der „Nazarener“ gewordene Winzerhaus.
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Die erfolgreiche und baulich beträchtlich erweiterte Gastwirtschaft des Leitner-Nachfolgers Josef Ruprecht.
Blick aus der Veranda der Gastwirtschaft Ruprecht
im Jahr 1927.
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auch dort Alt und Jung zum Tanz anlocken sollte. Doch bald wurde der Betrieb durch das ein paar Häuser bergauf in der Gemeindeberggasse 71 entstandene Gasthaus abgelöst, dass sich ebenfalls „Zur schönen Aussicht“ nannte. Das Winzerhaus war dann schon um 1930 zum Heim der „Nazarener“ geworden.
Natürlich gab und gibt es noch viele weitere Aussichtspunkte im Bezirk als die bisher genannten und auch solche, an denen Lokale zum Verweilen lockten. Der folgende Bilderreigen soll einige von ihnen zeigen und manche auch in Erinnerung rufen.
Der meistfotografierte Ausblick Hietzings ist wohl derjenige von der Gloriette über das Schloss Schönbrunn hinweg nach Norden, der bis zu den Wienerwaldbergen reicht. Einen noch besseren Fernblick bietet zweifelsohne das höhere und langgestreckte Plateau des nebenan liegenden Küniglberges, doch ist dieser stark bewaldet und massiv verbaut, sodass eine ungehinderte Aussicht fast nur von den oberen Stockwerken der Häuser genossen werden kann.
Bild links: Der meistfotografierte Ausblick Hietzings ist wohl derjenige von der Gloriette über das Schloss Schönbrunn hinweg nach Norden, die Johnstraße entlang, der weiter westlich bis zum Leopoldsberg und Kahlenberg etc. reicht. Foto oben: Fast ein Geheimtipp hingegen ist der Blick von den Stufen der Gloriette durch die Waldschneise Richtung Westen. (Beide Fotos aufgenommen am 25. Februar 2012).
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Eine gemalte Ansicht vielleicht noch aus dem 18. Jahrhundert zeigt den Blick vom Küniglberg auf Hietzing, der vom vorwiegend niederen Buschwerk noch kaum behindert wird. Hervor sticht das damals noch weiß gestrichene Schloss Schönbrunn.
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Foto aus dem Jahr 1909 mit dem Blick vom Küniglberg über Lainz in den nahezu unverbauten Wlassakgraben bis zum Faniteum,
Die Liste an attraktiven Aussichtspunkten lässt sich beliebig ausdehnen. Die sogenannten Ober St. Veiter Klippenberge wurden bereits genannt, auch der Sattel zwischen Girzenberg und Rotem Berg und die Wiesen, die sich nach Norden und Süden und um den Roten Berg herum ausdehnen, bieten nach wie vor einen herrlichen Blick ins Umland.
Geschichtsträchtig ist der Aussichtsturm im Gelände der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik am Trazerberg, der heute noch durch die Baumkronen hindurch schöne Aussichten gewährt.
Aussicht vom Sattel zwischen Girzenberg und Rotem Berg auf Hietzing und darüber hinaus, fotografiert am 8. Februar 2004.
Zweiteiliges Panorama oben: Einen Eindruck von der Weite der Aussicht mag dieses Panoramafoto geben, das von einem Gebäude am Hansi-Niese-Weg aufgenommen wurde. Der Blick reicht hier vom Steinbruch in Kaltenleutgeben über Speising, Lainz und Ober St. Veit bis nach Hütteldorf und weiter. Fotografiert im Juli 2005
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Der höchste Klippenberg ist der Gemeindeberg mit dementsprechenden Aussichten in fast alle Richtungen und ebenso die an ihn grenzenden Wiesen, wie die Lindwurmwiese mit ihrer Nebenwiese und weiter Richtung Norden die Matraswiese.
Ein weiterer idealer Aussichtsberg ist der Himmelhof, doch auch er verwaldet zunehmend, bietet aber dank seiner Größe noch immer zahlreiche freie Flächen, die sensationelle Blicke nach Norden Richtung Baumgarten bis nach Süden Richtung Gemeindeberg öffnen. Oben am Himmelhof öffnet sich ein Blick über ganz Wien, der nur noch vom Ausblick weiter oben auf der Baderwiese im Lainzer Tiergarten, bezeichnender Weise „Wiener Blick“ genannt, übertroffen wird.
Dieses älteste Foto mit der Aussicht vom Gemeindeberg Richtung Norden ist um 1893 entstanden. Das damals frisch gebaute Gebäude links im Mittelgrund steht an der heutigen Ghelengasse.
Dieses Foto mit Regenbogen zeigt ebenfalls einen Blick vom Gemeindeberg Richtung Norden, allerdings ein wenig nach rechts (Osten) gedreht mit der Ober St. Veiter Pfarrkirche, der Otto-Wagner-Kirche am Steinhof, dem Schloss Wilhelminenberg, dem Kahlen- und dem Leopoldsberg und ganz rechts dem Baumgartner Friedhof. Fotografiert am 11. März 2020
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Diese Aussicht vom Trazberg auf Ober St. Veit mit Pfarrkirche, und Schloss sowie mit Baumgarten und Hütteldorf im Hintergrund ist das häufigste Panorama-Motiv auf alten Ansichtskarten. Dieses Foto stammt aus dem Jahr 1927.
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Aber genug über unsere eigenen Aussichtsplätze. Was die Bewohner der Region noch mehr interessieren mag, ist der Blick auf Hietzing mit seiner am Wienerwaldhang herausragenden Pfarrkirche Ober St. Veit, wie man ihn von den umliegenden Hügeln genießen kann. Oder können sollte, denn auch das wird immer schwerer. Vor allem Hütteldorf, Baumgarten und der Küngiglberg wären dafür prädestiniert, aber beide sind mittlerweile derart von Wald und Häuserzeilen verstellt, dass Plätze mit entsprechender Aussicht nur mehr schwer zu finden sind.
Wie die meisten Friedhöfe der Region hat auch der Ober St. Veiter Friedhof auf dem Gemeindeberg den Vorzug einer nach Süden gerichteten Hanglage und bietet eine ungehinderte Fernsicht in das südliche Wien, das Wiener Becken und die dahinter liegenden Berge vom den Hundsheimer Bergen
bis zum Anninger.
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Den Weg vom Adolfstor zum Himmelhof gestalten zunehmend herrliche Aussichten sehr kurzweilig. Am oberen Ende unweit der Himmelhofwiese öffnet sich dieser Blick über das Faniteum hinweg Richtung Mödling und Eichkogel. Das Faniteum im Vordergrund liegt ebenfalls auf einer Kuppe neben dem Gemeindeberg mit herrlichem Blick nach Süden. Diese Aussicht war ausschlaggebend für die Entscheidung der Lanckoronskis, hier ihren Sommersitz zu errichten.
Ein gezoomtes Foto
vom Himmelhof auf Hietzing
mit Schloss Schönbrunn
und Pfarrkirche
und davor der Schneise
der Hietzinger Hauptstraße.
Fotografiert am 15. April 2020
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Skifreuden am Himmelhof. Damals gab es auch noch den Skilift hinauf bis zum obersten Punkt der Wiese. Links hinter den Bäumen ist der Turm der Ober St. Veiter Pfarrkirche zu sehen. Der Spaß auf den meist in Ober St. Veit gelegenen Skiwiesen war immer von herrlichen Aussichten begleitet.
Ein noch stärker gezoometes Foto mit der Stephanskirche in der Bildmitte. Das klare Wetter erlaubt auch den weiteren Blick bis in die kleinen Karpaten.
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Blick über die Baderwiese mit dem Wienerblick auf Wien, fotografiert am 21. Oktober 2010
Sogar der Skispaß am Fuße des Gemeindeberges war mit guter Fernsicht verbunden. Der heute dicht verbaute Hang vom Josef-Kraft-Weg hinunter zur Wlassakstraße war ebenfalls ein beliebter Skihang. Auch der Gegenhang ist noch wenig verbaut, doch an der unteren Wlassakstraße waren bereits hohe Gebäude entstanden. Foto aus den späten 1930er-Jahren.
© Archiv Winter Ilse
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Blick von der Auerütte
in einer Ansichtskarte
Auch der Gastgarten des Restaurants Himmelhof bot zur Zeit seines Bestehens eine schöne Aussicht. Aquarell von Rudolf Cankl © Bezirksmuseum Hietzing
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Zu den Künstlern, die sich von den schönen Aussichten in unserer Region insprieren ließen, gehörte auch der Kupferstechern Willliam Unger, zeitweise Wohnhaft in Wien Ober St. Veit. Hier der Blick von der Tierartenmauer hinunter auf Ober St. Veit
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Blick vom Satzberg auf Ober St. Veit. Im Hintergrund dominiert der Eichkogel. Fotografiert am 25. Februar 2012.
Gezoomter Blick vom Satzberg auf die Ober St. Veiter Pfarrkirche. Fotografiert am 25. Februar 2012
Eine der zahlreichen Luftaufnahmen Hietzings
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Diess Kapitel basiert auf der Zusammenfassung des Inhaltes einer Ausstellung im Bezirksmuseum Hietzing im März 2016 durch den Museumsleiter Mag. Ewald Königstein.
Ein wesentlicher Teil des sportlichen Geschehens, wie des Freizeitgeschehen überhaupt, ist – wie schon weiter oben angeführt – in Vereinen organisiert. Auf diese wurde bereits in den jeweiligen Dorfgeschichten eingegangen. Dieses Kapitel gibt einen allgemeinen Überblick über die sportlichen Möglichkeiten und historischen Entwicklungen im Bezirk.
Eislaufen war in der Sportgeschichte eine schon früh weit verbreitete Sportart. Allerdings immer abhängig von kalten Temperaturen, die Bäche, Seen und Kanäle einiger maßen stabil gefrieren lassen. Der Wiener Verleger Franz Gräffer schrieb unter dem Pseudonym F. E. Fergar bereits 1827 eine Apologie des Eislaufes, eine Anleitung zum schnellen und richtigen Selbsterlernen dieser „genussvollen, stärkenden und edlen Kunst“.
In Wien wurde 1867 der Wiener Eislaufverein gegründet. Unweit des Stubentors wurde auf einem Platz Wasser des Wienflusses aufgebracht und durch die Kälte verfestigt. Bereits am 16. Jänner 1868 zeigte unter Anwesenheit von Kaiser Franz Joseph der berühmte Eistänzer Jackson Haines erstmals seine an den Schuhen fest angeschraubten Stahlschlittschuhe und bot vier Nummern: Marsch, Walzer, Mazurka, Quadrille. Dieser Tag wird als Geburtstag der späteren Wiener Kunstlaufschule angesehen.
1871 begann Eduard Engelmann senior mit einer Spritzeisfläche um einen alten Nussbaum herum, die zunächst genügt, um einer kleinen Schar von Verwandten und Freunden der Familie Engelmann das Eislaufen zu ermöglichten. Später kamen noch weitere Eisflächen dazu. Letzter Schleiftag der Natureis-Arena war der 16. März 1909. In der Zwischenzeit wurde sein Sohn Eduard Engelmann junior 1892 und 1894 Eiskunstlaufeuropameister und baute – neben seiner Tätigkeit als Diplomingenieur und hauptverantwortlicher Oberbaurat bei der Elektrifizierung der Mariazellerbahn – 1909 die erste Freiluft-Kunsteislaufbahn der Welt.
Auf der Fläche, die von Fichtnergasse, Kupelwiesergasse, Elßlergasse und Larochegasse begrenzt wurde, befand sich seit 1901 der Sportplatz „Hügels Sportetablissement Pole Nord“ des mehrfachen Welt- und Europameisters im Eiskunstlauf Gustav Hügel. Siehe dazu den Beitrag zum Tennisspiel ab →Seite 777. Der Platz wurde im Winter als Eislaufplatz genützt. Nach der Übersiedlung des Pole Nord auf den Gutzkowplatz wurde auch
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Die Winterfreuden dieser Art, wie hier das Schleifen am Wienfluss, werden aber immer seltener.
Foto Hans Stockinger
auf diesem Platz wurde im Winter „aufgespritzt“, doch haben dies die zu warmen Winter der letzten Jahrzehnte unwirtschaftlich gemacht.
Größere Teiche, die bei längeren Kälteperioden zufrieren, werden natürlich nach wie vor zum Eislaufen genutzt. In Hietzing sind das vor allem der Lainzer Teich und früher war das Eislaufen auch am Hohenauer Teich im Lainzer Tiergarten gestattet.
Ein Ball, selbst eine jämmerliche Wuchtel, war früher ein Statussymbol und brachte Schwung in eine ganze Horde. Wiesen gab es überall und irgendwann nannte sich die Horde Fußballmannschaft. Für die meisten Buben war Freizeit gleich Fußball.
Der Clubbetrieb im österreichischen Fußballsport reicht nicht viel weiter zurück als das Erinnerungsvermögen alter Menschen. Beim traditionsreichen „Fußballklub Austria“ hat er sogar einen gewissen Bezug zu Hietzing.
Der heutige Fußballklub Wiener Austria wurde 1910 durch Abspaltung der A-Mannschaft aus dem auf der Jesuitenwiese beheimateten Vienna Cricket and Football-Club gegründet. Zuerst nannte er sich „Wiener Cricketer“ und noch im selben Jahr „Wiener Amateur Sportverein“ (WAS), vom Volksmund auf „Amateure“ verkürzt. 1926 wurde der Name auf „Fußballklub Austria“ geändert.
In den ersten Jahren hatten die Amateure keine eigene Heimstätte und trugen ihre Heimspiele auf verschiedenen Plätzen aus. Eine relativ lange Zeit, nämlich von 1914 bis 1931, war ein Platz in Ober St. Veit die Heimstätte der Austrianer. Es wird auch von einigen Spielen in der Saison 1932/33 berichtet. Der Platz war auf dem Grundstück zwischen Auhofstraße, Mantlergasse, Premreinergasse und Preindlgasse. Nach dem Ende der Ober St. Veiter Ära war die Wiener Austria wieder Gast auf verschiede
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Das auf der Ausstellung im Bezirksmuseum Hietzing im März 2016 gezeigte Plakat zu den „Amateuren“
nen Plätzen, ehe sie ihre Heimstätte im Wiener Stadion fand. Der Platz in Ober St. Veit blieb unbenutzt und wurde eine Zeit lang zur Spielwiese für Kinder und Arbeitslose. Mehr zum Wiener Amateur Sportverein erfahren Sie auf www.1133.at/Bericht 41.
Gleich daneben hatte der Ober St. Veiter Fußballklub seinen Platz. Wegen seiner tiefen Lage (vom Preindlsteg aus konnte man auf das Fußballtor hinunterblicken) wurde er von den Leuten „Gruab’n“ genannt. Als Vereinslokal diente das Gasthaus Schröder, vormals Gündel im ehemaligen Kümmerlhaus
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an der Auhofstraße 118. Genannt haben dürfte sich der Ober St. Veiter Fußballklub „AC Ober St. Veit“. Er hatte vor und nach dem 2. Weltkrieg existiert und manchmal recht erfolgreich im Wiener Fußballunterhaus mitgespielt. Als Spielstätte wird auch der Baumgartner Austria-XIII-Platz (Kink-Platz) genannt. In den 1970er-Jahren dürfte der AC Ober St. Veit aufgelöst worden sein. Mehr ist zu diesem Ober St. Veiter Fußballklub nicht bekannt.
Eine weitere Besonderheit des Bezirkes ist der nach wie vor bestehende Sportplatz im Hörndlwald. An sich „vegetiert“ er vor sich hin und gleicht eher einem Acker. Dennoch treffen sich dort – vor allem am Wochenende – fußballbegeisterte Menschen und gehen ihrem Freizeitvergnügen nach. Allerdings handelt es sich dabei um eine lange Tradition, aus der sich früher sogar Mannschaften und Vereine formiert hatten. 1947 war das der „Arbeiter-Sport-Verein XIII Hörndlwald“, der dann zum in „ASV 13“ wurde, 1969 war es der ASK Ober St. Veit. Beide Vereine existieren noch, der ASV 13 ist der älteste der noch existierenden Fußballverein des Bezirkes.
Neben diesen eigenständigen Fußballklubs gab es auch immer wieder firmeneigene Fußballmannschaften wie den FC Winkler & Schindler und Litega-Hietzing.
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Die Geschichte von Vorläufervereinen des ASK in Ober Sankt Veit begann schon sehr früh. 1907 wurde der FK Ober St. Veit gegründet, der ab 1912 als Ober St. Veiter ASK spielte und 1933 den Spielbetrieb einstellte.
1948 wurde der Verein als SV Ober St.-Veit wiedergegründet, 1950 begann die Fusion mit dem Baumgartner AC zu SV Ober-St.Veit-Baumgarten. Dieser Verein spielte 1974/75 seine letzte Saison in der 2. Klasse B. Somit gab es eine Zeit lang zwei Vereine mit dem Namen Ober Sankt Veit im Wiener Verband.
Die Geschichte des heute noch bestehenden ASK begann im Hörndlwald: Eine Gruppe von Hobbysportlern mit schwarzen „Glatthosen“ und weißen Leiberln nützte jede freie Zeit, um dort auf einem Platz ohne Gras Fußball zu spielen. Außer durch diese „Hobby-Kicker“ wurde der „Acker“ noch von vier anderen Mannschaften benützt.
Die Hobby-Kicker unter der „Leitung“ von Hannes Braun wollten ihren Sport auch wettkampfmäßig ausüben und wurden zum Grundstein des ASK Ober Sankt Veit. Die finanziellen Mittel wurden von Hannes Braun unter anderem auch durch Eintrittsgelder aus Kasperltheatern und Disco-Abenden aufgebracht. Ob damals schon Mitgliedsbeiträge eingehoben wurden, ist nicht mehr bekannt. Bis zu 30 Kicker waren zeitweise bei den Spielen.
1969 wurde der Verein gegründet. Mit dabei waren unter anderen Anton Stoiber, Werner Schranz, Werner Sefranek, „Hansl“
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Eine vom Verein aufgelegt Festschrift anlässlich des 40-jährigen Bestandes enthielt auch einen Einblick in die bisherige Vereinsgeschichte.
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Rogina und der unvergessene Karl Hofer. Diese Herren gelten als Gründer des ASK Ober Sankt Veit. Am 29. Mai wurde der Verein offiziell beim Wiener Fussballverband und den sonstigen zuständigen Stellen angemeldet. Baupläne zum Ausbau des Platzes und die Errichtung von Kabinen waren fertig. Aus verschiedenen Gründen, unter anderen weil der Platz auch von anderen Vereinen benützt werden durfte, kam es jedoch nicht zur Ausführung. Gespielt wurde am Hütteldorfer AC Platz.
1971 gesellte sich Heinz „Heinzi“ Klaus, der Mitentwickler des ersten Video-Recorders, zum Verein und übernahm die Funktion des Obmanns. Ihm zur Seite stand Karl Hofer, ein ambitionierter Amateurfunker und Fußballfreak. Ein erstes eigenes Briefpapier wurde geschaffen und damit der Fußballverband zum Staunen gebracht. Selbst ein VW-Bus stand dem Verein zur Verfügung.
Nach drei Jahren in der 4. Klasse gelang es dem Verein, im Meisterschaftsjahr 1971/72 den zweiten Rang zu erreichen und damit in die 3. Klasse aufzusteigen. Dort blieb der Verein bis zur Fußballreform 1975.
Nachdem „Heinzi“ sein amt aus beruflichen Gründen zurückgelegt hatte, wurde Johann „Hansl“ Rogina zum neuen Obmann. Als Aktiver war er auf allen Positionen eingesetzt, als Obmann stand er oftmals ohne Funktionäre da. Seine Aufgaben waren die des Schriftführers, Kassiers und Platzwartes. Großen Spaß machte der „1.Ball“ (eigentlich ein Gschnas) des ASK.
Bei der Fußballreform im Sommer 1975 wurden auch die Unterklassen neu eingeteilt. Der ASK Ober St. Veit musste in der 2. Klasse, die nunmehr die letzte Klasse im Wiener Fußball darstellte, seine Meisterschaftsspiele bestreiten.
Die Saison 1976/77 brachte den bislang größten Erfolg in der Geschichte des Vereins: Er wurde Meister der 2. Klasse A und stieg in die 1. Klasse A auf. Auch in dieser Klasse konnte der Klassenerhalt in den folgenden Jahren relativ problemlos gesichert werden.
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Die erste Vereinsmannschaft 1969 (von links nach rechts): stehend: Peter Irlbeck, Adolf Kümbeck, Karl Lindtner, Harald Schöblinger, Alfred Damm, Hans Passet, Gerhard Sefranek; hockend: Johann Ehn, Josef Rössler, Otto Ulowetz, Peter Sefranek, Werner Sefrane
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Der ASK Ober St. Veit 1988/89: (stehend, von links) Helmut Schönbauer (Trainer), Huber Pichler, Andi Geyer, Mahmut Kulec, Gerhard Weber, Kurt Fiebinger, Lubomir Vasic, Chistof Zwerina, Kurt Harrauer, Karl Renner (Obmann); (hockend) Gerhard Graf, Arnold Köfer, Walter Wanis, Franz Danek, Wilhelm Sefranek; Gerhard Metai. © ASK Ober St. Veit
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Die Meistermannschaft 1977 (von links nach rechts): stehend: Viktor Dedic, Otto Karasek, Peter Weiss, Norbert Mandl, Karl Kudlicska, Kurt Schmid, Willi Sefranek, Heinz Heller; hockend: Gerhard Csef, Adolf Jochmann, Martin Püribauer, Kurt Huber, Anton Stoiber, Werner Sefranek, Karl Walter; sitzend: Helmut Schardlbauer, Dieter Rubik
1980 übernahm der „Allrounder“ und „Vielreisende“ Herbert Del Negro die Obmannschaft. Der allseits beliebte, künstlerisch begabte nunmehrige Hartberger verstärkte die Geselligkeit im ASK.
Durch eine neuerliche Umgruppierung vor der Saison 1983/84 wurde der Verein wieder in die 2. Klasse A zurückversetzt.
1988 begann die Ära Karl Renner. In seine Obmannschaft fielen viele Neuerungen am und auch außerhalb des Spielfeldes. Eine der Neuerungen war das Aufstellen des Maibaums auf der Lindwurmwiese. Erinnerungen aus der Jugendzeit und die Suche nach Einnahmen für die leere Vereinskasse waren der Anlass.
Nach einer langen Durststrecke gelang es dem Verein, in der Spielsaison 1999/2000 als Vizemeister in die 1. Klasse B aufzusteigen. In der darauf folgenden Saison konnte der Klassenerhalt durch einen Platz im Mittelfeld sichergestellt werden.
2001 wurde der ASK Ober St. Veit zusammen mit einigen anderen Vereinen von der 1. Klasse B in die 1. Klasse A versetzt.
Nach der Saison 2001/02 stieg der Verein in die 2. Klasse A ab.
2003 begann die Zeit Willi Führers als Obmann des Vereins. Er machte den ASK zu einem gut organisierten Verein, der in den kommenden Jahren immer wieder um den Aufstieg mitspielen sollte. Auch der Frühlingsball wurde zu einem gesellschaftlichen Höhepunkt im Vereinsleben.
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Die Kampfmannschaft des ASK Ober St. Veit im Frühjahr 2009: (stehend von links) Claudio Pichl, Thomas Nitsch, Christian Kinigardner, Stefan Szecsenyi, Ion Tarau, Mario Bajac, Cristian Stanila, Stephan Vorlicek, Michael Bierent, Harald Guggenberger, Manfred Inführ; (hockend) Martin Renner, Rudolf Tomaschek, Björn Förster, Christoph Köberl, Kadir Celik, Ivica Gaspar, Willi Führer. © ASK Ober St. Veit
Die 2. Mannschaft des ASK Ober St. Veit im Frühjahr 2009. © ASK Ober St. Veit
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Die Seniorenmannschaft des ASK Ober St. Veit im Frühjahr 2009: (stehend von links) Willi Kuba, Michael Keller, Martin Raab, Peter Widhalm, Michael Harrauer, Willhelm Führer, Walter Köderritsch; (hockend von links) Karl Wolf, Gerhard Graf, Rudolf Hartl, Claudio Pichl, Rudolf Tomaschek, Andreas Führer. © ASK Ober St. Veit
Mit einem 2. Platz, der am letzten Spieltag erkämpft wurde, konnte der ASK 2011 den erneuten Aufstieg in die 1. Klasse feiern. Überrascht durch den Aufstieg verstärkte man sich jedoch nicht adäquat und so musste man im Jahr 2012 sofort den Wiederabstieg in Kauf nehmen.
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„Der Maibaum ist seines Zeichens Liebes- und Fruchtbarkeitssinnbild. Daher wird er dem geliebten Mädchen gesetzt. Er ist aber auch Lebensbaum und Segensspender, sodass man ihn auch auf Dorfplätzen vor Wirtshäusern oder für Bürgermeister und Pfarrer aufrichtet. Am Reinsten hat er seine Urbedeutung im Oberinntal bewahrt, wo er dem zuletzt vermählten Paar aus der Gemeinde vor die Fenster gestellt wird und solange stehen bleibt, bis den jungen Eheleuten das erste Kind geboren wird. Sobald dieses freudige Ereignis eintritt, schneiden die Burschen den Maibaum nächtlicher Weise in aller Stille um.“ So beginnt Universitätsprofessor Dr. Viktor Geramb in seinem 1948 erschienen Handbuch zur Kenntnis und Pflege guter heimischer Volksbräuche die Beschreibung des Maibaumes.
Im 13. Wiener Gemeindebezirk wiedereingeführt wurde der Maibaum am 1. Mai 1988 durch den ASK Ober St. Veit. Erinnerungen aus der niederösterreichischen Jugendzeit des damaligen Obmannes Karl Renner und die Suche nach Einnahmen für die leere Vereinskasse waren der Anlass.
Viele Formalitäten mussten erfüllt und lange nach einem geeigneten Baum gesucht werden, ehe er tatsächlich mit viel Horuck und lautstarker Unterstützung von rd. 1000 Zusehern aufgerichtet werden konnte. „Experten“ vom Lande vermittelten die Technik, immerhin war die Fichte 20 Meter hoch. Die Einführung des Brauches war gelungen, wirtschaftlich war es aber ein Defizit.
In späteren Jahren begannen auch die Tiroler Alm in Hacking, die Bezirksvorstehung Am Platz in Hietzing und jüngst auch der Schönbrunner Tiergarten mit der Aufstellung eines Maibaums.
In Ober St. Veit gab es große Probleme mit Vandalen, die den Baum „irregulär“, das heißt nicht brauchtumskonform umschnitten oder gar zerstörten. Trotzdem blieb die Lindwurmwiese bis 1999 der Aufstellungsort. Feldmessen, musikalische Unterstüt
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Wiener Fussballgschicht´n rund um den ASK Ober Sankt Veit haben Ihren Platz anlässlich des 50-Jahre-Jubiläums im Bezirksmuseum Hietzing gefunden.
2012 übergab Willi Führer das Obmann-Zepter an Martin Renner. Die gute Arbeit des Vorstandes erleichterte es ebenfalls einer jungen Generation viele Aufgaben im Verein zu übernehmen. Mit dem ehemaligen Spieler Ion Tarau als Trainer wurde eine Mannschaft mit großem Potenzial aufgebaut.
2014 wurde der Meistertitel in der 2.Klasse A nur um einen Punkt verpasst. Durch eine Ligareform, konnte man im darauffolgenden Jahr dennoch in der 1. Klasse A antreten.
2015 wurde der ASK Ober Sankt Veit Meister der 1.Klasse A. Mit viel Jubel und einer großartigen Meisterparty zum Saisonabschluss wurde der Meisterteller in Empfang genommen. Die Mannschaft erreichte unglaubliche 60 Punkte und schoss 99 Tore. Von nun an durfte der ASK in Wiens 3. höchster Liga, der Oberliga A um Tore und Punkte kämpfen.
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zung z.B. durch den 1 Fünfhauser Jägerzug, Fassbier, die Anwesenheit der Bezirksvorstehung und zahlreicher Besuch sorgten für stimmungsvolle Feste.
Im Jahr 2000 entschloss sich der Verein dann doch, den Baum im Kern von Ober St. Veit aufzustellen. Der Erfolg gab ihm Recht: Die Vandalen blieben aus und das Fest in der teilweise gesperrten Glasauergasse und Sylvinggasse wurde zum fixen Bestandteil in der Reihe Ober St. Veiter Familienfeste.
Leider nur bis ins Jahr 2008, denn wegen fehlender Möglichkeiten im Ort entschloss sich Vorstand des ASK Ober St. Veit zu einem neuerlichen Platzwechsel, und zwar auf die Sportanlage des ASVÖ in der Linienamtsgasse (sportliche Heimat des ASK).
So geschah es auch und der ASVÖ-Platz erlebte ein schönes Maifest. Die Recken des ASK richteten die geschmückte Fichte – trotz des heftigen Windes – souverän auf. Das gemischte Publikum aus Speising und Ober St. Veit spendete den gebührenden Beifall und unterhielt sich prächtig, die wärmende Sonne milderte den Wind. Auch die lokale Prominenz war zahlreich erschienen, für den Bezirksvorsteher DI Gerstbach war es quasi ein Heimspiel. Würstel und Bier waren das (die Sportkassa hoffentlich füllende) kulinarische Rückgrat, alles andere gab's in der Kantine des Sportplatzes.
Am 1. Mai 2023 kehrte der Maibaum wieder zurück in die Glasauergasse.
Die „Recken“ des ASK Ober St. Veit bei der Aufrichtung des Maibaums in der Glasauergasse am 1. Mai 2007.
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Der aufgestellte Maibaum neben dem Weltrekordhobel in der Glasauergasse am 1. Mai 2007.
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In der Zwischenkriegszeit war der Sportplatz in der Linienamtsgasse (heutiger ASVÖ-Platz) in Speising der Heimatplatz des Vereines HAC Nordstern. Kriegsbedingt wurden die Spieler immer weniger, und der Verein löste sich auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg trafen sich die Fusballfreunde, unter ihnen wenige Spieler des ehemaligen HAC Nordstern, auf der Hörndlwald-Wiese. 1946 kickte dort die Jugend der Region als SV Hörndlwald/SPÖ Sektion 8.
Im Mai 1947 beobachteten Michael Horvath sen. und Edmund Briza die Schar Jugendlicher und beschlossen, mit den jungen Spielern einen Verein zu gründen, und zwar den ASV 13 (Hörndl- wald). Es wurde ein Proponentenausschuss mit Herrn Briza an der Spitze gewählt und um Mitglieder geworben. Am ersten Juni waren es acht Mitglieder und am 1. Juli bereits 31. Diese Gruppe veranstaltete am 20. und 24. Juli einen Kirtag im Gasthaus Schubert; mit dem Reingewinn wurden Fußballausrüstungen gekauft und damit der Spielbetrieb aufgenommen. Darüber hinaus konnten einige ehemalige Jugendspieler der Sport- und Kulturvereinigung „Gaswerk“ für den Verein gewonnen werden. Am 30. August fand die Gründungsversammlung des Vereines statt.
Der Platz in der Linienamtsgasse stand zu dieser Zeit unter sowjetischer Besatzungsverwaltung (USIA) und hieß noch HAC-Nordstern-Platz.
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Quellen:
Rathey, Angelo; Peschek, Christian; Veits, Herbert; alle vom ASV 13.
Webseite www.asv13.at.
Festschrift 60 Jahre ASV 13 1947–2007. Wien, 2007
Holzapfel, Josef:
Historisches Ober St. Veit.
Die erste Meistermannschaft des ASV 13. Sie gewann die Meisterschaft 1948/49
in der 5. Klasse B.
© ASV 13
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Im selben Jahr wurde mit dem Meisterschaftsbetrieb begonnen, und zwar in der damals einzigen Schutzgruppe (5. Klasse). Im ersten Jahr belegte man den 9. Platz unter 11 Vereinen. Ein Jahr später konnte die Schutzgruppe durch viele Vereinsneugründungen – u. a. auch in Hietzing mit SAT, Lainz, Spitalbedienstete und Litega-Hietzing – auf vier Gruppen ausgeweitet werden.
Im Rahmen einer Namensänderung strich der Verein den Beinamen „Hörndlwald" und wurde zum „ASV 13“, damals meist „ASV XIII“ geschrieben. Die Buchstaben ASV stehen für „Arbeiter-Sport-Verein“.
Das erste Meisterschaftsspiel gegen Ober St. Veit ging kampflos an den ASV 13, da der Ober St. Veiter Zeugwart nicht rechtzeitig erschien. Doch auch sportlich glänzte der ASV 13 und begann eine Siegesserie, die ihm dreimal in Folge den Meistertitel einbrachte. Diese Titel wurden von der 5. Klasse B aufsteigend und nach Klassenreform bis in der 2. Klasse B errungen. Ein Zeitungsartikel vom 30. Jänner 1949 bestätigte die enorme Spielstärke des ASV 13 in einem Spiel gegen den erstklassigen Verein HSV:
HSV. – ASV. XIII 1:1
HSV.: Neumann; Richter I, Svec; Richter II, Weinstingl, Richter III; Schließer, Severa, Lechner, Rinner, Chlub. – ASV. XIII: Seitelberger; Peschka, -Travnicek; ChaIupsky, Sögner, Heikenwälder; Göllrich, Wimmer, Kröpfl, Linauer, Roßmann. HSV.-Platz. 300 Zuschauer, Schiedsrichter Haag.
Lf. – In der Mannschaft von ASV. XIII lernte man eine junge, mit großem Einsatz spielende Elf kennen, die ein schönes, flaches Spiel vorführte. Nur mit dem Abschluß der Aktionen wollte es nicht recht klappen, denn die vielen Chancen hätten zu einem Sieg reichen müssen. Die Heiligenstädter, die nur eine kombinierte Mannschaft stellten, mußten froh sein, daß sie mit einem Unentschieden davonkamen. Aus der Elf der Unterklassigen, die sich zum größten Teil aus der früheren Gaswerkjugend zusammensetzte, ragten Travnicek, Sögner, der überaus
Ein Mannschaftsfoto des FC Hörndlwald. Das Vereinslokal des Nachfolgevereines ASV 13 war lange das Gasthaus Sperl in der Mozartgasse (heute Eyslergasse). Im Bild außen links ist ein Sohn der Familie Sperl zu sehen. © Heimatrunde St. Hubertus
Historische Spielerpässe des ASV. Spielerpass 1947 (Leihgabe H. Mauritsch) und 1953 © Heimatrunde St. Hubertus
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schnelle Göllrich und der schußgewaltige Linauer besonders hervor. HSV. stützte sich auf Neumann, der wohl am ersten Tor mitbeteiligt war, später aber ausgezeichnet hielt, ferner auf Svec und Lechner. Das Tor der Unterklassigen erzielte Wimper in der 14. Minute, den Ausgleichstreffer der Hausherren erreichte Svec in der 46. Minute.
Ein Zeitungsartikel vom 7. Juni 1950, thematisierte die Herkunft eines Teils der Spieler des von Beginn an kampfstarken ASV 13:
Weiße Wochen bei Gaswerk
Der Wiener Ligaverein Gaswerk hat einen Spieler an den ASV. 13 verkauft. Ein ausgewachsener Spieler, technisch erstklassig, vom Gaswerk sozusagen mit der Flasche aufgezogen, wurde für 700 Schilling abgegeben. Als die Arbeiter-Zeitung von diesem Verkauf kürzlich eine Notiz brachte, klärten uns die Gaswerker auf:
„Wir sind noch viel billiger, hören Sie nur zu: Der ASV. 13 hat von uns schon mehr Spieler als diesen einen bekommen. Immer wieder bat uns der ASV., ihm Spieler zu überlassen. Nie haben wir auch nur einen einzigen Groschen verlangt. Neun Spieler hat der ASV. 13 völlig umsonst bekommen. Der zehnte war eben der, von dem die Arbeiter-Zeitung schrieb. Da sagten wir dem ASV., daß es jetzt genug sein müsse mit der Liebe. Wohin kämen wir, wenn wir unsere Spieler am laufenden Band verschenken? Schließlich sind zehn Mann fast ein ganzes Team. So haben wir für alle zusammen, für die neun Spieler und auch für den letzten, siebenhundert Schilling verlangt. Macht pro Spieler siebzig Schilling.“
Gaswerk ersucht um folgende Notiz: Verkauf von erstklassigen Spielern um 70 Schilling vorläufig eingestellt. Die Wiedereröffnung der weißen Wochen bei Gaswerk wird rechtzeitig bekanntgegeben.
Die erste Meistermannschaft des ASV 13. Sie gewann die Meisterschaft 1948/49
in der 5. Klasse B.
© ASV 13
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Die Meisterschaft 1950/51 war spannend und die letzten Spiele von unsauberen Angeboten überschattet. Der Obmann des ASV 13 fand dazu in einem Presseartikel vom Juni 1951 klare Worte:
Die Antwort
Und hier die Antwort des Obmannes von ASV 13, Herrn Horwath, der nicht einen Augenblick auch nur dabei gezögert hat, sondern fuchsteufelswild auf den Unterhändler losging:
„Was wollen Sie? Das Geld für mehr als 30 Liter Wein? Passen S‘ auf, Sie! Herr... Wir sind von der Schutzgruppe bis in die 2. Klasse auf anständige Art marschiert, obwohl wir einen unserer besten Spieler an Wacker abgegeben haben. Nicht einmal ein Achtel geben wir euch für einen Schub. Wir spielen! Haben wir verloren, so haben wir verloren, und wir bleiben auf anständige Weise unten, und haben wir gewonnen, dann gebührt uns der Aufstieg erst recht. Oder glauben S‘, daß meine Buam an einen „Schubaufstieg“ a Freude haben könnten. Na, mei lieber Herr, da täuschen S‘ Ihna gründlich. Wir legen nur auf einen erkämpften Meistertitel Wert oder sonst auf gar keinen.“ Sprach’s und ließ den verdutzten Unbekannten stehen.
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Meisterschaftsspiel ASV 13 – Ober St. Veit. Ein interessanter, handschriftlicher Spielbericht aus der Chronik des ASV 13 © ASV 13
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In der Saison 1951/52 spielte der ASV 13 bereits in der 1. Klasse, die der heutigen Oberliga entspricht. Die Heimspiele des ASV 13 wurden zu dieser Zeit vorwiegend auf dem Union-Mauer-Platz ausgetragen. Der SV SAT (benannt nach der dortigen Siedlung Auhofer Trennstück, seine Vereinsfarben sind Grün-Weiß) war in der damaligen 3. Klasse und trug seine Heimspiele auf dem Sportplatz in der Linienamtsgasse (heutiger ASVÖ-Platz) aus.
Im Sommer 1956 wurde mit dem auf der ASVÖ-Anlage beheimateten FC SAT zum ASV 13/SAT fusioniert, womit der Verein in Speising eine ständige Heimstätte fand. Die weiteren Unter
Der Sportplatz in der Linienamtsgasse nach dem Umbau ca. 1950/51. Bis Ende der 1960er-Jahre wurde der Platz auch als Leichtathletik-Anlage genutzt. © ASV 13
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mieter auf dieser Anlage waren zu dieser Zeit der SC Finanz und die Neubauer Austria. Auch der Feldhandballverein Altturm (einmal Wiener Meister und später in Rapid umbenannt) war hier beheimatet.
Die Vereinsfarben des ASV 13/SAT waren Blau-Weiß-Grün. Zwei Jahre später verschwand die Bezeichnung SAT aus dem Vereinsnamen. Seit damals sind die ASV-Vereinsfarben Blau-Weiß-Blau.
Bis zum Ende er 1960er-Jahre wurde der ASVÖ-Platz auch als Leichtathletikanlage genutzt und hier fast jedes Jahr die Wiener LA-Meisterschaften ausgetragen. Später wurde das Spielfeld einige Meter Richtung Nordwesten versetzt, die Leichtathletik-Einrichtungen verschwanden zugunsten weiterer Tennisplätze. In
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den 1970er-Jahren wurde auf der „Gstättn“ hinter dem Pensionistenheim Föhrenhof ein Trainingsplatz errichtet.
Nachdem der ASV 13 zwischen 1954 und 1986 viermal ab- und dreimal aufgestiegen war, schaffte er 1992 als Vizemeister der 1. Klasse B zum insgesamt 5. und bisher letzten Mal den Aufstieg in die fünfthöchste österreichische Leistungsklasse.
1995 verzeichnete der ASV 13 den größten Erfolg in der bisherigen Vereinsgeschichte und verfehlte als Unterliga-Vizemeister den Aufstieg in die Wiener Liga nur um einen Punkt.
Auch der Nachwuchs des ASV 13 konnte auf respektable Leistungen in den vergangenen Jahren verweisen. 1999 schaffte er den im Fußball-Wien viel bestaunten Aufstieg in die zweithöchste Spielklasse, in die A-Liga. In der übernächsten Saison musste er jedoch wieder absteigen.
2000 wurde der Heimatplatz mit einem Kunstrasen auch für WFV-Spiele meisterschaftstauglich gemacht.
2005 etablierte sich auch eine Damenmannschaft. Nach einem Jahr fleißigen Trainings darf das Team in der Landesliga der Damen antreten. In ihrem ersten Meisterschaftsjahr schaffte die Damenmannschaft den erstaunlichen 4. Platz (unter 9 Mitbewerbern).
2007 feierte der Verein seinen 60-jährigen Bestand. Vereinspräsident Angelo Rathey und sein 1. Vizepräsident Manfred Kratschmer hatten bei ihrem Eintritt ins Präsidium einen Grundsatz
Das Frauenteam in der Saison 2006/2007. © ASV 13
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Die U18-Mannschaft im Juli 2006 (von links nach rechts): stehend: Raab, Werner, Polster, Wurzer, Kompatscher, Hala, Graser, Glinserer, Valenta; hockend: Peschek, Batajew, Kraus, Wolf, Unger, Masoner, Brückl, Vlaschits, Netsch; nicht auf dem Bild: Gerhartinger, Hirnschall.
© ASV 13
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festgelegt, den sie konsequent weiterverfolgten: „Andere mögen Stars kaufen, der ASV 13 macht aus seinen Nachwuchsspielern Stars!“ Dementsprechend war die Nachwuchsarbeit beim ASV 13 sehr groß geschrieben. Mittlerweile trainierten über 200 Kinder und Jugendliche in 10 Mannschaften aller Altersklassen, betreut von ausgebildeten Fußballtrainern. Unter der Bezeichnung Kids-Akademie U7 lernte die jüngste Mannschaft spielerisch den sicheren Umgang mit dem Ball.
Im selben Jahr gründete der seit einiger Zeit in Hietzing beheimatete Toni Polster gemeinsam mit einigen Gleichgesinnten den CLUB100. In ihm soll die Förderbereitschaft von Menschen und Firmen aus der Region gebündelt werden, um die Jugendarbeit des ASV 13 zu unterstützen.
Das Trainerteam 2007/08, fotografiert am 23. September 2007 (von links nach rechts): stehend: Pikesch, Hauk, Pigal, Buchegger, Gleichweit, Frey, Binder, Reiner, Gerhartinger; knieend: Salzl, Weizdörfer, Lassenberger, Raab, Birkmayer, Pikesch, Wolf, Valenta. © ASV 13
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Die Kampfmannschaft 2008/09 (von links nach rechts): stehend: Gruber, Jauk, Kerner, Raab, Hala, Pigal, Keita, Duschel, Klar, Gradinger, Kastanek; knieend: Unger, Kratschmer, Frey, Kerner, Rathey, Mladenovic, Netsch, Klacansky. © ASV 13
2009 war – trotz infrastruktureller Probleme – das erfolgreichste Jahr in der Geschichte des ASV 13 überhaupt: Sechs Meistertitel waren Wiener Rekord!
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Mit dieser beeindruckenden Leistung schaffte der ASV 13-Nachwuchs den Wiederaufstieg in die A-Liga. Auch die Kampfmannschaft zeigte, dass konsequente Jugendarbeit Früchte trägt, denn rund 80 bis 90% der Mannschaft bestanden aus „Eigenbauspielern“, und diese wurden mit viel Leidenschaft und Fleiß an höhere Ziele herangeführt.
Im Rahmen des alljährlichen Abschlussfests am 6. und 7. Juni 2009 waren seitens des WFV der Vizepräsident Robert Sedlacek und das Präsidiumsmitglied Reinhard Willrader und aus der Politik die beiden Gemeinderäte Mag. Bernhard Dworak und Dr. Alois Mayer unter den Gratulanten. Die erfolgreiche Damenmannschaft erhält den Ehrenpreis des Herrn Bundespräsidenten Dr. Heinz Fischer, der ja selbst beim ASV 13 gespielt hatte.
Doch trotz aller Errungenschaften hatte der Verein mit strukturellen (z. B. zu wenig Sportflächen für die Jugendmannschaften) und finanziellen (z. B. teure Platzmiete) Problemen zu kämpfen. Hier waren auch Bezirk, Gemeinden und die Dachverbände gefordert. Sport und Bewegung sind für die Jugend wichtig, doch kann die aufopfernde Arbeit von Trainern und Funktionären in kürzester Zeit zunichte gemacht sein, wenn keine Maßnahmen zur Verbesserung der Randbedingungen in die Wege geleitet werden.
2014 wurde der ASV 13 Meister der Oberliga A und schaffte damit erstmals in seiner damals 67-jährigen Vereinsgeschichte den Aufstieg in die heutige Wiener Stadtliga. 1995 wurde der Aufstieg in die damalige Wiener Liga nur sehr knapp hinter KDAG-Phönix verpasst.
2016 Abstieg aus der Wiener Stadtliga
2018 Vizemeister 2. Landesliga und Aufstieg in die Wiener Stadtliga
Das erfolgreiche Jahr 2008/09: sechs Meistertitel! Im Bild die siegreichen Mannschaften U13, U14, U16, U18 und die beiden Frauenteams. © ASV 13
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1927 wurde im Bereich des Lainzer Tors und der Hermesvilla ein Teil des Lainzer Tiergartens für einen Golfplatz freigegeben. Dies führte zu einigen Konflikten, da die geplanten zusätzlichen Bauten (Verkehrserschließung, Hotel, Infrastruktur) nicht mit dem Nutzungskonzept des Lainzer Tiergartens in Einklang zu bringen war. 1938 wurde die Nutzung des Golfplatzes gekündigt. Trotzdem bestand die Anlage weiter, bis 1954 das Klubhaus ein Raub der Flammen wurde.
Bahnengolf stellt eine kleinere Variante des Golfsports dar. Sie wird nicht auf großen Rasenplätzen, sondern auf befestigten Bahnen gespielt und entspricht im Prinzip dem letzten Schlag auf dem Golfgreen, mit dem der Ball ins Zielloch eingeputtet wird. Identisch ist das Ziel des Spiels, nämlich den Ball jeweils mit möglichst wenigen Schlägen ins Loch zu befördern. Obwohl Bahnengolf die offizielle Sammelbezeichnung für die genormten Bahnensysteme Minigolf, Miniaturgolf, Cobigolf, Sterngolf und Filzgolf darstellt, hat sich umgangssprachlich die Bezeichnung Minigolf für alle Systeme festgesetzt.
Minigolf im engeren Sinne bezeichnet jene Variante, die auf genormten Anlagen nach dem System des Schweizer Gartenarchitekten Paul Bongni gespielt wird. Im März 1954 wurde in Ascona am Lago Maggiore die erste genormte Minigolf-Anlage eröffnet. Die 18 Bahnen sind je 12 m lang und 1,25 m breit, mit Ausnahme der ca. 25 Meter langen Weitschlag-Bahn. Die Pisten sind aus Beton, in manchen Fällen mit Filz überzogen, und werden durch Flacheisen- oder Rohrbanden begrenzt. Sie dürfen zum Spielen des ruhenden Balls betreten werden. Die Hindernisse sind aus Naturstein oder Beton.
In Hietzing gab es einige Versuche, solche Minigolf-Anlagen zu errichten, die aber nur kurzen Bestand hatten. Die einzige Anlage mit längerer Dauer war die Minigolfanlage des MGC Hietzing in der Anton-Langer-Gasse 47. Dieser Verein wurde 1964 gegründet und hat diese Sportanlage nach den internationalen Regeln errichtet. 1989 feierte er als „Golf der kleinen Leute“ sein 25-jähriges Jubiläum. Nach weiteren erfolgreichen Jahren musste der Verein den bisherigen Platz räumen, weil die Eigentümer ein Bauvorhaben umsetzen wollten.
Der MGC Hietzing übersiedelte auf die Sportanlage des ASVÖ-Wien, Linienamtsgasse 7, wo er bis heute erfolgreich mit vier Vereinsmannschaften sowie mit Einzelbewerben für Damen und Herren tätig ist. Die meisterschaftsfähige 18-Bahnen-Anlage ist sowohl für Hobby- wie auch für Meisterschaftsspieler geeignet.
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Nur wenige Bezirke Wien sind für die Bewegungsmöglichkeiten Laufen, Joggen und Walken so gut geeignet wie Hietzing. Während Anrainer das gesamte Gebiet des Bezirks nutzen, reisen gesundheitsbewusste Wiener in die beiden überregional bedeutsamen Gebiete des Schönbrunner Schlossparks und des Lainzer Tiergartens an.
Eine bezirkseigene Laufveranstaltung gab es 1989, 1990 und 2003 in Form des „Ober St. Veiter Frühlingslaufs“, veranstaltet durch den von Dr. Heiner Boberski gegründeten „Kultur- und Sportverein Vitus 88“, der bis 2005 existierte (siehe →Seite 668).
Natürlich gibt es aktuelle Laufveranstaltungen, wie den seit 2012 veranstalteten 6 km langen „Wiener Zoolauf“, der größten teils durch das Areal des Tiergartens Schönbrunn führt, oder Läufe im oder um den Lainzer Tiergarten.
Für Wanderer werden auch in Hietzing Etappen der Wiener Stadtwanderwege oder des Wiener rundumadum-Wanderweges angeboten bzw. markiert. Dazu gibt es eigene Wanderpässe und auch Wandernadeln.
Start der Jugend zum Frühlingslauf am 10. Mai 2003
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Die sogenannte „Leitlwiese“, als sie noch unverbaut und Refugium der Skifahrer war. Skiwiese und „Leitl“ waren eine optimale Kombination für Eltern mit Kindern: Die Eltern unterhielten sich im Gasthaus, während die Kinder unweit und gut beaufsichtigt über die Wiese tollten. Noch früher, bis zur Friedhofserweiterung Ende der 1940er-Jahre, gab es oberhalb der Wiese das „Kanonenröhrl“, das war ein vom Kamm des Gemeindebergs herabführender Hohlweg, durch den man es „herabtuschen“ lassen konnte. Bevor man die Gemeindeberggasse zur Leitlwiese kreuzte, wurde „Achtung“ gebrüllt. Die wenigen Fußgänger hörten das, die seltenen Autos kamen nur bis zum Friedhof oder dem „Leitl“. Den Weingarten unterhalb des Gasthauses gab es bis in die späten 1950er-Jahre.
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Den ersten Kontakt mit Schiausrüstungen bekamen die Wiener 1873, als die Norweger bei der Weltausstellung in der Rotunde diese Sportgeräte zeigten. Am 31. Oktober 1891 wurde der „1. Wiener Ski-Club“ gegründet, der erste Schiverein der österreichisch-ungarischen Monarchie. Zweck war die „gemeinschaftliche Ausübung und Erlernung des Schneeschuhlaufens“. Am 26. November 1892 wurde der „Niederösterreichische Ski-Verein“ gegründet, am 5. Dezember 1900 gründete Mathias Zdarsky seinen „Internationalen Alpen-Ski-Verein“. Als Übungsplatz in Wien wird die „Hackenbergwiese“ beim Bahnhof Hütteldorf-Hacking genannt. Dabei wird es sich wohl um die Himmelhofwiese am Fuße des Hagenberges gehandelt haben.
Im Winter 1908/09 gab es in Ober St. Veit den „Jugendspielverein“, dessen Leiter, der Oberlehrer Franz Streicher der Knabenschule Ober St. Veit, auf der „Glatz’n“ des Himmelhofes einen Skikurs für 12 Knaben veranstaltete. Damals unterrichtete man nach der Methode Zdarsky, das nötige Sportgerät – Ski und Bremsstange – wurde leihweise zur Verfügung gestellt. Kaum lag Schnee zogen jung und alt, obzwar die damalige Ausstattung mit der heutigen high tech Ausrüstung nicht zu vergleichen ist, mit ihren Wintersportgeräten los. Jeder fuhr damals die seinem Können und seinem Gerät entsprechende Route – es entstand eine verblüffend funktionierende Ordnung: Die Anfänger blieben auf der leicht geneigten „Glatze“, der obersten Wiese. Der fortgeschrittenere Schifahrer fuhr über alle Wiesenabschnitte, die durch Steilstufen und Wege miteinander verbunden waren, nach Norden zur Himmelhofgasse. Könner nützten die steilen Südhänge zur Adolfstorgasse.
Die Berge von Ober St. Veit vom Roten Berg bis hin zum Himmelhof blieben bis ins letzte Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts beliebte Ski- und Rodelgebiete der Wiener. Von den Straßenbahnendstellen 58 und 158 sowie von der Stadtbahn strömten an Sonntagen schon während der Morgenstunden die Rodler und
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Skifahrer zu den Hängen. Es gab fast durchwegs schneereiche Winter und die mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbaren Pisten waren ein sehr beliebtes Ziel der städtischen Wintersportler.
Ende der 1980er-Jahre wurde versucht, mit einem kleinen Schlepplift den abflauenden Sportbetrieb auf der Himmelhofwiese wieder zu beleben, doch konnten die Anlage und die Piste den geänderten Ansprüchen der heutigen Wintersportler nicht mehr genügen. Das allmähliche Verbuschen des Himmelhofes und die „warmen Winter“ führten dazu, dass der Wintersport in Ober St. Veit mehr oder minder Vergangenheit ist. Natürlich wird bei passenden Verhältnissen nach wie vor jede verbliebene Wiese von den Menschen der Region zum Skifahren und vor allem zum Rodeln genutzt, besonders auf dem Himmelhof, auf dem Roten Berg und auf der Lindwurmwiese, letztere verfügt sogar über einen kleinen Schlepplift.
Komplett verschwunden ist jedoch die einstige Infrastruktur für die Apres-Ski Aktivitäten: die Auerhütte in der Adolfstorgasse, das „Hackinger Weingartl“, das Gasthaus Auhof („Zum Weinbrunnen“) und Gasthaus „Stephan“ in Hacking.
An Wochenenden gab es sogar einen Erste-Hilfe- und Rettungsstützpunkt am Fuße des Himmelhofs.
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Sprungschanzen gab es im Bereich Wien und Umgebung einige, so zum Beispiel in Kaltenleutgeben, am Cobenzl und in Hadersorf. Sie waren auch bei den Zusehern sehr beliebt. 1931 kamen zu einem internationalen Sprungwettbewerb am Cobenzl 20.000 Zuschauer! Die Schanze in Hadersdorf wurde 1940 so ausgebaut, dass Weiten von 70 Metern möglich waren.
Als in den 1930er-Jahren das Skispringen an Popularität gewann, wurde auch die Errichtung einer Sprungschanze am Himmelhof überlegt, aber erst in den Jahren 1948/49 wurde sie von freiwilligen Helfern errichtet. Initiator war Karl Kerschbaumer, der vom Skiklub Hadersdorf kam. Mit seinen Klubkameraden leistete er den größten Anteil an freiwilliger Arbeit.
Mehr als 300m3 Erde mussten händisch bewegt und das Bauholz von der etwa 100 Meter tiefer liegenden Himmelhofgasse bis zu 500 Meter weit getragen werden. Eine für die bescheidenen Nachkriegsverhältnisse aufwändige Holzkonstruktion trug den Anlauf und den Schanzentisch. Als „Aufsprung“ wurde der steile Abfall in die „Schlucht“ verwendet, dem man die richtige Kurve verlieh, indem der „Hohlweg“ mit Holz überdacht und die
Skispringen auf der Himmelhofschanze
am 7. Februar 1954
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Talsohle durch Erdarbeiten zum Auslauf am Gegenhang hin präpariert wurde. Der Bauherr war die Ski-Union Wien, die Planung und Bauleitung hatte Ing. Rudolf Schmidt, Sportreferent der Ski Union Wien übernommen.
Die Schanze wurde am 9. Jänner 1949 mit einem Eröffnungsspringen in Betrieb genommen. Die Preisverteilung erfolgte im Wirtshaus Auerhütte in der Adolfstorgasse.
Die Sprungschanze fand großen Anklang, am 12. Jänner 1953 verzeichnete die Wiener Meisterschaft im Spezialspringen 20.000 Besucher. Tagesbester wurde der Semmeringer Sepp Heher mit zweimal 36,5 Meter, Wiener Meister wurde der Ober St. Veiter Franz Rabensteiner mit 36 und 36,5 Meter. Schanzenrekord war 1960 der Sprung des Tirolers Klauss Fichtner mit 42 Meter; die errechnete größte Weite von 45 Meter wurde bei Bewerben nie erreicht. 1978 erreichte der Steirer Hans Rinnhofer beim Training 46 Meter. Am 19. Februar 1978 siegte er mit Sprüngen von 42 und 43m. Es war das letzte Springen auf der Himmelhofschanze.
Schneearme Winter, die veraltete Anlage und fehlende Infrastruktur führten zur Einstellung des Sprungbetriebes. Am Sonntag, den 1. Juni 1980 um 4.30 Uhr wurde sie ein Raub der Flammen. Eine Einbrecherbande hatte mit einer Rauschgiftparty ihre Erfolge gefeiert und die Schanze angezündet. Die Bande mit ihrem Anführer Ludwig Bauer konnte verhaftet werden. Alle Versuche einer Wiedererrichtung scheiterten.
60 Sprungveranstaltungen und unzählige Trainingssprünge waren im Laufe der Jahre durchgeführt worden und Springer aus allen Bundesländern, darunter spätere Olympiasieger und WM Teilnehmer waren hier: Otto Leodolter, Leopold Kohl, Peter Müller, Sepp Wallner, Harald Trappel, Willi Pürstel!
Hier ein Pressebericht vom Skispringen am 7. Feber 1954:
Die Himmelhofschanze hat bereits ihr Stammpublikum. Obwohl auch diesesmal der Wettergott schlecht gelaunt war, fanden sich dennoch 3000 Zuschauer bei Skispringen ein, zu dem 45 Wettkämpfer aus sechs Bundesländern ihre Nennung abgegeben hatten. Da sich sowohl Anlauf wie auch die Aufsprungbahn in gutem Zustand befanden, rechnete man mit einem neuen Schanzenrekord, den jedoch ein heftiger Seitenwind verbunden mit dichtem Schneegestöber nicht zuliess. Als Tagessieger ging so wie die beiden letzten Male der Windischgarstener Trappl hervor, der neben der besten Haltungsnote mit 39 Meter den weitesten Sprung des Tages stand und somit unbestrittener Sieger wurde.
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Ursprünglich lagen die Bäder an Seen bzw. Teichen oder waren an Bäche und Flüsse gebunden.
In Lainz gab es bis ca.1920 an der Lainzer Straße ein Bad, das durch Aufstauen des Lainzer Baches entstand. 1885 wurde in der Feldkellergasse 24 auf Anregung von Carl Chini das „Speisinger Familienbad“ errichtet. Das Wasser wurde der 1873 fertiggestellten Ersten Wiener Hochquellwasserleitung aus dem nahe liegenden Behälter auf dem Rosenhügel entnommen. Es gab zwei Becken, eines für Damen und eines für Herren sowie eine Liegewiese. Das Bad existierte bis 1960.
Nach der Regulierung des Wienflusses und der damit verbundenen Ableitung der Abwässer in Begleitkanäle wurde gerne an den Rückstaubereichen der Wehre gebadet. Von „Schwimmen“ konnte man wegen der geringen Wassertiefe nicht sprechen. Aber für Abkühlung war gesorgt, noch dazu kostenlos.
Im Schönbrunner Schlosspark wurde das Wasserreservoir des Obelisken zu einem Schwimmbad umgebaut. Darin soll eine kaiserliche Schwimmschule eingerichtet worden sein, um den Soldaten das Schwimmen beizubringen. Während der Besatzung diente es als Militärschwimmbad der Briten. 1975 erfolgte eine erste Sanierung und die Anlage wurde als „Bundessportbad“ der Bevölkerung zugänglich gemacht. 2000 erfolgte ein Umbau auf den neuesten Stand der Technik und das Bad steht – privat geführt – in der Gästegunst ganz oben.
Speziell für Kinder gab es ein Bad in einem der Rückhaltebecken der Wienflussregulierung. Es wurde zum ersten Kinderfreibad und gilt als Vorläufer der ab 1919 errichteten städtischen Kinderfreibäder. Das Rückhaltebecken lag damals und liegt auch heute im 13. Bezirk, genannt wurde das Bad jedoch Kinderfreibad Hütteldorf.
Es gab jedoch auch ein „Kinderfreibad Hietzing“, es soll sich im „Schönbrunner Vorpark“ (heute Auer-Welsbach-Park) befun
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Das Kinderfreibad im Wienflussbecken. Das Bassin war in das Anhaltebecken VII eingelassen und wurde 1917 zum ersten Kinderfreibad Wiens. In einem Becken weiter oben sollen in den 1930er-Jahren zwei Fußballvereine gespielt haben.
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den haben. Bis 1938 war dies dem 13. Bezirk zugehörig, heute ist es der 15. Bezirk. Nachdem dort die Wasserqualität bemängelt worden war, verwendete es ab 1921 das Wasser aus der Wientalwasserleitung.
Die zwei großen Kinderheime des Bezirks (Girzenberg, Hörndlwald) verfügten über eigene Kinderplanschbecken. Während das Bad im Kindergarten Girzenberg noch existiert, wurde das Becken im Gelände des abgerissenen Josef-Afritsch-Heims (Internationale Kulturstätte Hörndlwald) in ein Biotop umgewandelt.
1978 wurde in der Atzgerdorfer Straße 14 entsprechend dem Bäderkonzept der Gemeinde Wien ein modernes Hallenbad mit Sauna eröffnet, 1979 auch die angeschlossenen Becken des Sommerbades im Freien. Das Hallenbad verfügt über ein 25m Sportbecken sowie ein 12,5m Familienbecken und ein kleines Kinderbecken. Ein Saunabereich rundet die Attraktivität des Innenbereichs ab. Das Freibad bietet ein 25m Sportbecken und ein doppelt so großes 25m Familienbecken, in das eine breite Wasserrutsche mündet. Auch das Kinderbecken ist mit 10 m² großzügig angelegt.
Von einem weiteren Bad in Hietzing weiß der Ober St. Veiter Heimatdichter Vinzenz Jerabek zu berichten, und zwar in seiner Geschichte „Das blaue Bad“. Hier ist sie:
Als ich noch klein war, sind wir Buben nach der Schule immer baden gegangen. „In d Wean“, die ist damals noch nicht reguliert gewesen. Und es ist mit einer langen Holzrinne das Wasser in eine Badeanstalt geleitet worden. In der „Rinna“ aber sind viel „Spenadler“ gewesen, und die haben wir immer mit dem Schneuztüchl gefangen. Weil wir aber dabei den Schlamm in der Rinne aufgewühlt haben, ist das Wasser schmutzig gewor
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Der Badebetrieb im regulierten Wienfluss. Das Wehr oberhalb der Brauhausbrücke bildete einen für den Badebetrieb bestens geeigneten Staubereich, der auch noch in den 1940er- und den 1950er-Jahren genützt wurde.
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den und der Badwaschl ist uns nach. Wen er erwischt hat, dem ist es nicht gut ergangen.
„Buabn, wißts was?“ sagt mein Freund, der Vogl-Schurschl. an einem Sonntag. „Gehn ma in de Badrinna fischn!“
Und wir sind fischen gegangen. Und alle haben mit dem Schneuztüchl gefischt. Ich aber habe nicht fischen können, weil ich kein Schneuztüchl gehabt habe.
„Hörst, bist du aber dumm!“ sagt mein Freund, der Vogl-Schurschl. „Wannst ka Schneuztüchl hast, so fisch mit dein Kapperl!“
Und da habe ich mit dem Kapperl gefischt. Auf einmal springen meine Freunde aus der Rinna und laufen davon. Wie ich ihnen nachschaue, steht der Badwaschl da, reißt mir mein Kapperl aus der Hand und schlägt es mir um die Ohren. Und da habe ich lauter feurige Johanniskäfer fliegen gesehen. Dann ist der Badwaschl gegangen und hat stark geschimpft, weil das Wasser ganz aufgerührt war.
Jetzt sind alle meine Freunde aus den Felberstauden hervorgekommen und haben mich ausgelacht. Und mein Kapperl war so groß, daß es mir über die Ohren herabgerutscht ist. Ich aber habe einen großen Zorn auf den Badwaschl gehabt und habe immer nachgedacht, wie ich ihm das zurückzahlen könnte; weil er schuld war, dass meine Mutter so gejammert hat, wie ich mit dem hinigen Kapperl heimgekommen bin.
Am anderen Tag hat mich unsere Nachbarin mit dem Mittagessen in die Fabrik geschickt, wo ihr Mann ein Färber gewesen ist. Und während der Mann gegessen hat, bin ich herumgegangen und in die Farbkammer gekommen. Da hat es ganze Fässer mit schönen Farben gegeben. Und ich habe mir eine Literflasche voll mitgenommen. Weil ich daheim meine Manderln habe malen wollen. Es ist eine schöne Farbe gewesen und hat „Indigoblau“geheißen.
Beim Heimgehen bin ich durch die Felberau gegangen, wo die Badrinna ist – und wie ich jetzt so das Wasser betrachtete und die Literflasche mit der blauen Farbe, da wußte ich auf einmal, wie ich's dem Badwaschl zurückzahlen kann. Weil ich Badegäste habe kommen sehen, bin ich hinter die Stauden gekrochen. Da ist einmal der lange Professor aus der Stadt mit seiner Frau gegangen. Die hat so rote Haare gehabt, daß sie in der Nacht geleuchtet haben. Dann ist der Herr Postmeister mit der „Sechserlfräuln“ gekommen. Sie war Lehrerin in unserer Schule, und weil sie in den Ohren silberne Münzen als Ohrgehänge gehabt hat, haben wir „Sechserlfräuln“ zu ihr gesagt. Sie war immer so weiß im Gesicht, als wenn sie mit Mehl angestaubt gewesen wäre. Mein Lehrer war auch darunter. Er ist mit dem Herrn Gemeinderat, Ortsschulrat und Einquartierungs- und Vorspannkommissär gegangen. Der hat einen schwarzen Bart gehabt und dazu ein schiefes Genick, und die
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Dorfleute haben ihn nicht mögen, weil er so viel Geld gehabt und „keiner schreienden Katz“ was gegeben hat.
So wie sie jetzt alle im Bad waren und ich sie habe lachen und schreien und ins Wasser plumpsen gehört, da bin ich aus den Stauden hervor, habe die Literflasche mit dem Indigoblau in die Rinna gelegt. Soll ich, soll ich nicht? habe ich gedacht.
Da ist auf einmal eine blaue Schlange durchs Wasser gelaufen – ich habe sie ganz erschrocken aufhalten wollen; es ist nicht mehr gegangen. Da hab ich die Flasche im Wasser liegenlassen und bin davongelaufen.
Erst wie ich im Ort war, bin ich ganz langsam gegangen, damit mir niemand etwas anmerkt. Und wie ich so beim Haus meines Lehrers vorbeikommt, da schaut seine Frau beim Fenster heraus und sagt zu mir: „Du wart ein wenig! Geh, hol mir beim Eckert ein paar Semmeln!“ Der Eckert ist nämlich unser Bäcker gewesen. Ich hab' die Semmeln geholt, dann hab' ich mich mit dem kleinen Kind der Frau Lehrerin gespielt, derweil hat die Frau den Kaffee gemacht, und dann ist der Herr Lehrer heimgekommen. Er hat draußen auf der Gasse mit dem Herrn Gemeinderat geredet, und der hat geschimpft, und sein Vollbart, der vorher schön schwarz war, hat jetzt einen blauen Glanz gehabt.
„Das ist eine Gemeinheit von der Gegenpartei!“ hat er ausgerufen. Dann ist der Herr Postmeister gekommen, dem sein Gesicht ist voll blauer Flecke gewesen. Und die roten Haare der Frau Professor aus Wien waren jetzt grün. Ich hab' das alles bemerkt, weil ich mit dem kleinen Kind vom Lehrer beim offenen Fenster gestanden bin. Und die Sechserfräuln hat mit einem Schneuztüchl ihr Gesicht verdeckt, weil es blaugestreift gewesen ist. Der Herr Professor aber hat zum Postmeister gesagt, er soll das Attentat nach Wien melden, es gehört von der Polizei untersucht, und der Herr Gemeinderat hat an seinem scheckigen Bart herumgewischt und hat gesagt, er vermutet, wer der Bösewicht ist, weil der nicht gewählt worden ist, aber wenn man nichts Gewisses nicht weiß, kann man keine Anzeige machen. Dann sind die blauen Badegäste heimgegangen, und mein Lehrer hat seiner Frau erzählt, wie alles war: „Da ist auf einmal ein großes Geschrei im Damenbad“, hat der Herr Lehrer gesagt, und wie er auf die Planke steigt, wo man ins Damenbad sieht ... Jetzt hat die Frau Lehrerin einen Zorn gekriegt und hat gesagt, er hat es nicht notwendig, ins Damenbad zu schauen. Und jetzt hat mein Lehrer gesagt, ja, es ist notwendig gewesen. Wie er ins Damenbad schaut, sind alle Damen im blauen Wasser gestanden und haben um Hilfe gerufen. Und weil das Wasser von den Damen ins Herrenbad rinnt, sind die Herren auch blau geworden. Nur er nicht, weil er aus dem Wasser war.
Ich hab' recht fest mit dem kleinen Kind gespielt und getan, als wenn ich nichts hören würde, hab' aber doch alles gut
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gehört. Und weil der Lehrer gesagt hat, die Sache ist wahrscheinlich von der Konkurrenz ausgegangen, so habe ich im stillen dem lieben Gott gedankt, weil sie auf uns Buben keinen Verdacht gehabt haben.
Wie wir am anderen Tag in der Schule Religion gehabt haben, hat der Herr Pfarrer gesagt, es ist gestern eine Ruchlosigkeit in der Badrinna geschehen, und er will nicht hoffen, dass vielleicht gar einer aus der Klasse dabei gewesen ist. Derweil ist die Tür aufgegangen, und es sind hereingekommen: der Herr Oberlehrer, unser Lehrer, der Herr Gemeinderat und ein Herr von der Polizei. Und nachdem der Pfarrer gesagt hat, er hätte uns schon erklärt, worum es sich handelt, ist der Herr von der Polizei zu jedem Schüler hingegangen und hat ihn gefragt, wo er gestern von eins bis drei Uhr gewesen ist. Und da ist jeder woanders gewesen, nur nicht bei der Badrinna. Und wie der Herr von der Polizei auf mich zugehen will, hat mein Lehrer mir die Hand auf den Kopf gelegt und hat gesagt:
„Den da brauchen Sie nicht zu fragen, der ist um diese Zeit bei mir in der Wohnung gewesen.“
Wochenlang haben die Leute gelacht über diejenigen, die „im blauen Bad“ waren. Und ich selbst bin einer großen Freude teilhaftig geworden: Ich bin zur Badrinna gegangen und habe gesehen, wie der Badwaschl im Schweiße seines Angesichts und mit Bürste und Besen die Rinna hat reinigen müssen. Und da habe ich mir gedacht, das ist die Vergeltung für mein Kapperl, das er mir um die Ohren geschlagen hat. Ich habe es nicht mehr aufgesetzt – und bin auch nicht mehr in die Badrinna fischen gegangen.
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Das Areal zwischen Wienfluss und Schloss Schönbrunn wurde im Laufe der Geschichte auf vielfältige Art genutzt. Die Nutzung als Sportplatz war dabei jahrzehntelang vorrangig. Nach dem Untergang der Monarchie fand sich eine Gruppe junger Menschen zusammen, um mit der Pflege des Sports einen Ausgleich für die damals so grundlegenden Lebensveränderungen zu finden. So kam es am 24. April 1919 zur Gründung der „Sportvereinigung Katholisch-Deutscher Akademiker Arminen“. Neben Hockey gab es Sektionen für Touristik, Fußball, Fechten und Rudern. Die Wassersportler machten sich selbständig, vom Erfolg der Ruderer zeugt heute die Arminenstraße an der Alten Donau im 22. Bezirk. Der Sportplatz vor dem Schloss Schönbrunn wurde „Arminen-Platz“ genannt. Ab dem Jahr 1938 änderte sich der Klubname auf „Sportvereinigung Arminen Wien“ und betrieb nur mehr den Hockeysport (im 17.Bezirk).
Auch die „Union West Wien“ nützte den Sportplatz über einen langen Zeitraum und errichtete sogar eine unterirdische Halle mit dem Schwerpunkt Gerätturnen, die bis 2012 in Betrieb war.
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Von 1848 bis 1851 gab es im Rahmen einer „Nationalgarde“ bewaffnete Kompanien in den Dörfern. Sie erfüllten in dieser stürmischen und unsicheren Zeit eine wichtige lokale Sicherheitsfunktion zwischen dem überforderten konventionellen Wachdienst und staatlichem Militär.
Auch St. Veit hatte eine solche Kompanie aufzustellen, sie dürfte allerdings bereits im Jahr der Gründung wieder entwaffnet und funktionslos geworden sein. Eine ihrer Einrichtungen scheint allerdings überlebt zu haben, nämlich die Schießstätte im St. Veiter Wald. Sie wurde später für die Zwecke des Ober St. Veiter Schützenvereines adaptiert.
Die Schützengilde Tell bestand seit 1869. Gegründet worden war sie von 16 Männern nach auswärtigen Vorbildern; Initiator war der Gemeindearzt Mag. Franz Kopetzky gemeinsam mit dem Fabriksbeamten der Wagenfabrik Rohrbacher, Raimund Hirt. Zur Person des Letztgenannten sind ein paar interessante biografische Daten überliefert: geboren 1837 in Wagstadt bei Troppau (Schlesien), wo sein Vater Sattlermeister war; daselbst erlernte er die Sattlerei und arbeitete ab 1854 als Geselle in der Wiener Wagen- und Maschinenfabrik Heindörfer. 1855 engagierte ihn Josef Rohrbacher für seine neue Ober St. Veiter Wagenfabrik, wo er zu einer Säule des Betriebes wurde und es bis zum Geschäftsführer brachte.
Die Schützengilde veranstaltete zunächst Schießübungen im Gasthaus „Zum Erzherzog Karl“ des Gastwirtes und Gründungsmitgliedes Karl Hübsch (Auhofstraße 141, später Gasthaus Rainer). In weiterer Folge entwickelte sich diese Männergilde zu einem Mittelpunkt des damaligen Gesellschaftslebens im Ort. 1870 erwirkte sie die behördliche Bewilligung zum Gebrauch von Handfeuerwaffen, zum Betrieb einer öffentlichen Schießstätte und zur Uniformierung. Als Schießplatz wurde der ehemalige Übungs- und Exerzierplatz der Ober St. Veiter Nationalgarde aus dem Jahre 1848 reaktiviert, der am unteren Ende des Gemeindewaldes am Gemeindeberg lag. Die Reste dieses Schießplatzes an der Zufahrtsstraße zum Gasthaus „Zum Lindwurm“ sind heute noch sichtbar. Von 1870 bis 1877 gab es auf diesem Platz einen regen Schießbetrieb; auch Schützenvereine aus Döbling und aus Wien durften ihn mitbenutzen.
Mit der Pacht eines Jagdreviers bei Leobersdorf erlitt die Schützengilde allerdings Schiffbruch – das Revier war bereits vor ihnen leergeschossen worden, der hohe Pachtzins brachte sie in finanzielle Schwierigkeiten. 1877 musste der Schießbetrieb auf dem Platz aus finanziellen Gründen eingestellt werden, die
Quellen:
Hirt, Julius:
Chronik von Ober St. Veit, 1955.
Klötzl, Gebhard: Die Gemeinden
Ober und Unter St. Veit
1848–1891.
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Oben ein von Frau Rosina Wimpissinger der Ober St. Veiter Schützengesellschaft gewidmetes Fahnenband.
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Schießübungen wurden von da an wieder in Form des Zimmerschießens weiter betrieben.
Nach der Einstellung des Schießbetriebes auf dem Platz am Gemeindeberg fingen einige St. Veiter Bürger dort mit ihren Privatwaffen ohne jedes Reglement zu schießen an. Ein strenges und allgemeines Schießverbot der Gemeinde bereitete diesem Spuk ein Ende.
Die Schützengilde spielte im Leben der Gemeinde Ober St. Veit jahrzehntelang insoferne eine wichtige Rolle, als sie bei öffentlichen Festlichkeiten stets korporativ präsent war. Sie marschierte vor allem bei der Fronleichnamsprozession uniformiert mit, aber auch einige weitere Auftritte sind überliefert: Beim 50-jährigen Priesterjubiläum von Kardinal Othmar Rauscher im Ober St. Veiter Schloss im August 1872 fehlte sie ebensowenig wie beim Empfang von Prinzessin Stephanie von Belgien am Hütteldorfer Bahnhof, als sie am 10. April 1881 als erwählte Braut des Kronprinzen Rudolf eintraf. Die Existenz einer solchen Gilde, die mit schmucken Uniformen repräsentativ auftreten konnte, trug zweifellos dazu bei, den Stolz auf die eigene Ortschaft zu heben und das Zugehörigkeitsgefühl zu stärken.
Die Schützengilde Tell überlebte die Eingemeindung nach Wien übrigens noch um Jahrzehnte und löste sich erst um das Jahr 1960 auf. Uneinheitlich erweist sich die Bezeichnung des Vereines. Der ursprüngliche Vereinsname „Tell Schützen“ dürfte im Rahmen einer Veränderung zur „Schützengilde“ geworden sein. Alte Fahnenbänder tragen auch den Namen „Ober St. Veiter Schützengesellschaft“.
Auf der Franzisco-Josephinischen
Landesaufnahme 1872 ist die vom Schützenverein verwendete Schießstätte der ehemaligen „Nationalgarde“ eingezeichnet. Sie lag zwischen heutiger Zufahrtsstraße
zum Gasthaus Lindwurm und dem Hanschweg.
Dieses aktuelle Foto zeigt einen Teil des heute noch erkennbaren Grabens des Schießplatzes.
Ein Fahnenband zum 60er mit der Bezeichnung „Schützengilde Tell“
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Im Jahre 1973 wurde der „Ober St. Veiter Sport-Schützen-Verein“ gegründet. Der Schießstand befand sich im Baumgartner Casino, Linzer Straße 297, 1140 Wien. In Hietzing fand sich kein geeignetes Gebäude.
Es gab zwei Sportarten: Luftgewehr und Luftpistole. Geübt wurde auf 10 Meter entfernte Ringscheiben auf sieben Schießständen entweder mit eigenen Geräten oder mit Leihgeräten des Vereines. Es gab auch einen Aufenthaltsraum und eine kleine Kantine.
Neben regelmäßig veranstalteten Schützenfesten und dem Vogelschießen, bei dem der Schützenkönig ermittelt wurde, gab es vereinsinterne Wettkämpfe und Rundenwettkämpfe mit anderen Vereinen. Das Vogelschießen ist ein alter Schützenwettbewerb,
Linka ein weiteres Foto von Mitgliedern des Schützenvereines inkl. Fahnenträger. Auf der Fahnenstange ist u. a. eines der auf den Vorseiten abgebildetes Fahnenband zu sehen.
Das Foto links zeigt die Ober St. Veiter Schützengilde im Jahr 1925.
Anlässlich des 60-jährigen Bestandes des Vereines (rechnerisch im Jahr 1929) wurde ein Abzeichen aus Bronze mit den Maßen 32 x 23 mm gegossen, das hinten mit einer Anstecknadel versehen war. die Aufschrift lautete „Tell Ob. St. Veit“ (siehe Foto unten).
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Mit Hinweisen von
Heinz Gerstbach
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bei dem ein hölzerner Vogel auf einer hohen Stange abzuschießen ist. Von Beginn an wurde mit dem „Bürger-Schützen-Verein 1864 e.V.“ in Essen-Frintrop freundschaftlicher Kontakt gehalten. Mehrfach wurden gegenseitige Besuche bei Schützenfesten und Wettbewerben abgehalten. Ein großes Echo in den Lokalmedien fand der Vergleichswettkampf 1978, zu dem Oberschützenmeister Robert Weber mit einer Gruppe von 15 Mitgliedern des OSSV nach Frintrop reiste.
Ein besonderes Sportschützenfest fand im Juli 1984 in Wien statt, zu dem auch die Schützenkameraden aus Essen-Frintrop nach Wien kamen. Von den beiden Bezirksvorstehungen Hietzing und Penzing wurden die Veranstaltungen sehr unterstützt. Am 6. Juli erfolgte nach einem Empfang im Festsaal des Amtshauses ein Festzug ins Casino Baumgarten zum großen Schützenball. Dort erfolgte am 7. Juli 1984 auch das Vogelschießen mit Proklamation des neuen „Königspaares“ und folgendem Königsball.
Anlässlich der Generalversammlung im September 1990 wurde ein neues Team gewählt. Oberschützenmeister wurde Herbert Dittrich. Er führte den regelmäßigen Kontakt mit Essen- Frintrop auch mit Unterstützung der Bezirksvorstehung Hietzing fort und es gab nach wie vor gegenseitige Besuche fanden der beiden Schützenvereinen: 1992 und 1995 besuchte eine österreichische Gruppe Frintrop und 1993 eine Gruppe aus Frintrop den Hietzinger Verein.
In den Folgejahren nahm die Anzahl der Mitglieder des Ober St. Veiter Vereines, vor allem der Luftgewehr-Schützen, ständig ab und der Vereinsvorstand sah sich 2001 gezwungen, den Sportbetrieb einzustellen. Die Pistolenschützen konnten zum „Club Wiener Pistolenschützen“ wechseln, der eine Sektion „Sportschützen“ des Bundesbahnersportverein BBSV Wien ist und eine Sportanlage in der Cumberlandstraße 102, 1140 Wien, unterhält. Damit können die Sportschützen ihre Tätigkeit in der Nachbarschaft von Hietzing weiterhin ausüben.
Genannt wird auch eine Schützengilde „Hubertus“ in Speising, die in den Nuller-Jahren des 20. Jahrhunderts „Best-Abende“ veranstaltete. Mehr war allerdings nicht zu erfahren.
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Hietzing und Umgebung ist eine wunderschöne Gegend, auch zum Wandern. Die „Umgebung“ kann in großzügiger Auslegung ohne weiteres über den 13. Wiener Gemeindebezirk hinausreichen. Auch dort stößt man immer wieder auf Bezüge zu unserer Lokalgeschichte. Dies passierte dem Ober St. Veiter Dipl.-Ing Franz Dworzak, als er auf einem seiner Streifzüge in einem abgelegenen Waldstück südöstlich des Tulbinger Kogels einen recht ansehnlichen Gedenkstein fand.
Die etwas verwitterte Aufschrift ist leicht zu entziffern:
„Unser Jagdleiter
Hans Gotter
fand an dieser Stelle
in Ausübung des
edlen Weidwerks den Tod
Mai 1934
Hietzinger Jagdklub Skt. Hubertus“
Auf der rechten Seite des Gedenksteins ist auch eine Medaille mit derselben Vereinsbezeichnung eingelassen. Das weckte natürlich die Neugier des Wanderers. Wer war Hans Gotter? Gab es wirklich einen Jagdklub in Hietzing? Und was war da passiert, im Mai 1934?
Erste Anlaufstelle bei solchen Dingen sind natürlich die Bezirksmuseen, in diesem Falle das BM Hietzing und natürlich auch
Der Gedenkstein Hans Gotter, fotografiert am
12. November 2019.
Er ist die einzige Erinnerung
an den Hietzinger Jagdklub.
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Quellen:
Dipl.-Ing. Franz Dworzak
Mauerbacher Beiträge Nr. 19: Elisabeth Knapp – Karl Fahringer: Noch mehr Spaziergänge zu Bemerkens-Wertem und Merk-Würdigem. Flur- und Kleindenkmäler in und um Mauerbach herum. Ergänzungen und Erweiterungen.
Mauerbach 2012, Seite 33
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das BM Penzing: Schließlich war in früheren Zeiten der Wienfluss keine trennende Linie, sondern er lag inmitten des von 1891 bis 1938 auch die nördlich des Flusses gelegenen ehemaligen Dörfer umfassenden 13. Wiener Gemeindebezirks Hietzing.
Vom Bezirksmuseum Penzing erhielt Herr DI Dworzak folgende Information: Der „Hietzinger Jagdklub St. Hubertus“ hatte seinen Sitz (in den 1920er-Jahren) in Hietzing, Am Platz 5. Sonst diesbezüglich keine Archivalien“. Am Platz 5 war die Adresse des sehr bekannten und 1898 neu errichteten Restaurants „Zum Weißen Engel“. Heute ist dort Brandauers Schlossbräu. Der Weiße Engel barg also auch den Stammtisch der Hietzinger Hubertus-Jäger.
Allgemeine Ausführungen sind auch dem Internet zu entnehmen. Mit adäquaten Suchworten ist rasch der „Bund Österreichischer Jagdvereinigungen“ auffindbar, und er gibt im geschichtlichen Teil folgende Erläuterungen: „... In den 1920er-Jahren gab es eine größere Anzahl von Jagdvereinen, und es entstand der Wunsch, durch einen Zusammenschluss besser auftreten zu können. 1925 erfolgte auf Einladung des Jagd- und Naturschutzvereines Wien-West und des Jagdklubs „St. Hubertus“ aus Hietzing eine Besprechung mit den Obmännern bzw. Delegierten mehrerer Wiener Jagdvereine zwecks Schaffung einer Dachorganisation ...“
Somit lag es nahe, den Kontakt mit dem BÖJV aufzunehmen. Die Anfrage wurde folgendermaßen beantwortet: „Betreffend ihrer Anfrage wegen des Hietzinger Jagdklub St. Hubertus haben wir keinerlei Unterlagen. Dieser ist auch seit 2014 kein Mitglied mehr bei uns und nur vom seinerzeitigen Präsidenten Dkfm. Günther Hlosta habe ich noch die Anschrift. ... er soll aber verstorben sein. Auch von Herrn Hans Gotter habe ich keinerlei Aufzeichnungen. Mit den besten Grüßen und einem Weidmannsheil zeichnet der Präsident und Geschäftsführer des BÖJV ...“
Die weitere Forschung, etwa im Vereinsregister, in den historischen Tageszeitungen oder auch bei den Nachfahren des letzten Vereinsobmannes könnte noch weitere Details hervorbringen.
Nachträgliche Hinweise zum Gedenkstein und zu Hans Gotter bekam ich von Frau Dr. Elisabeth Knapp. Gemeinsam mit Karl Fahringer publizierte sie im Jahr 2012 ein Heft über Kleindenkmäler von Mauerbach und Umgebung, in dem auch dieser Gedenkstein beschrieben wurde, und zwar folgendermaßen:
Tulbinger Kogel – Schönwald / Gedenkstein für Hans Gotter (48,27751 / 16,15824). Zwischen Hainbuch und dem Gasthof Popp steht etwa 40m nördlich der Forststraße auf einer kleinen Lichtung fast versteckt im Jungwald ein Gedenkstein. (Hier wäre ein Navigationsgerät sehr empfehlenswert.) Es ist ein etwa 1,3m hoher Naturstein mit Inschrift und Bronzeplakette. Auf dem Stein sind ein Kreuz und folgende Zeilen eingraviert: „Unser Jagdleiter / Hans Gotter / fand an dieser Stelle
Von der an der rechten Seite eingelassene Medaille wurden offensichtlich mehrere Stück gemacht. Ein Exemplar wurde im November 2017 um € 25,50 auf eBay verkauft.
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/ in Ausübung des / edlen Weidwerkes den Tod / Mai 1934/ Hietzinger Jagdklub / St. Hubertus“. Rechts von dieser Inschrift ist eine Plakette mit einem Durchmesser von 16,5 cm mit dem Emblem des Jagdklubs Hietzing angebracht. Wie am Fuß des Steins zu lesen ist, wurde er vom Steinmetzbetrieb Mühlberger, Wien 12, Jägerhausgasse, angefertigt. Das Denkmal wird von den Jagdvereinskameraden weiterhin gepflegt. (Letzteres war eine Mitteilung von Dkfm. Günther Hlosta vom Hietzinger Jagdklub St. Hubertus, die heute vermutlich nicht mehr zutrifft.)
Frau Dr. Knapp wies auch auf das Sterbebuch der Pfarre Tulbing hin, in dem weiteres über Hans Gotter zu erfahren ist: Johann Gotter, kath. Bundesbahninspektor i.P. in Wien XIII, Amalienstraße 28, geb. am 3.2.1877 in Unterhaid ČSR und zuständig in Wien, ehel. Sohn des Albert Gotter, prakt. Arzt in Unterhaid und der Maria ux. geb. Michalek. Seit 8.7.1902 verehelicht mit Clara geb. von Abrahamsberg. Gestorben an Herzschlag am 26. Mai 1934 in Tulbing am Kogel (im Wald aufgefunden), beerdigt am 28. Mai 1934 am Baumgartner Friedhof (damals Wien XIII), eingesegnet von M. Mayerhofer, Pfarrer in Ober St. Veit.
Die Lage des Denkmals ist auch auf der BEV-Karte ersichtlich.
Die GPS-UTM-Koordinaten:
E 33 0 585 935, N 5 347 795, Höhe 405,3m
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Der 1872 in Wien geborne Josef Grafl gründete mit 30 Jahren seinen eigenen Athletik-Club, der im Gasthaus Thalhammer – Hietzinger Kai 173 – beheimatet war. Auf dem erhöhten Plateau, das den Wettbewerben diente, stand rechts ein Klavier. Während der Wettbewerbe spielte der blinde Pianist für jeden Teilnehmer eine eigene von diesem gewünschte Melodie. Sie ertönte vom Weg zur Bühne bis zum Ende des Versuches. Die Standardausstattung des Musikers war ein Glas Bier auf der Abdeckung des Klaviers.
Das reichhaltige Training führte zu großen Erfolgen. Josef Grafl hatte 115 kg und trat daher in der Kategorie „Schwergewicht“ an. Die vorgeschriebene Technik der einzelnen Bewerbe war zu dieser Zeit anders als heute.
1907 wurde Grafl mit 380,5 kg in Wien Europameister im Dreikampf, 1908 ebenfalls in Wien erstmalig Weltmeister im Siebenkampf mit 645 kg. Seinen letzten Weltmeistertitel erreichte er 1913 in Breslau. Josef Grafl starb 1915, sein Verein blieb bestehen und war bis in die 1970er-Jahre erfolgreich.
Das Vereinsleben funktionierte, es gab immer wieder junge Athleten, die von den erfahrenen Stemmern viel lernten. Der Athletik-Club Grafl hatte neben der Stemmer-Abteilung auch eine Ringer-Sektion, die im Heinrichshof in der Schweizertalstraße untergebracht war.
Das Klublokal wurde zum Vorbild für entsprechende Szenen in der Fernsehserie „Ein echter Wiener geht nicht unter“.
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Foto während eines Wettbewerbs im Feber 1953 (von links): Hammerlindl, Knoll,
Villi, Bevilagua, Bauer, Wiskocil
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Wiskocil 1970 beim Stoßen
Vereinsfoto aus dem Jahr 1955. Zweiter von rechts in der ersten Reihe ist Anton Kastler, mehrmaliger Klubmeister und einer der stärksten Männer
Wiens.
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Ausgangspunkt des regionalen Tennislebens war das in Unter St. Veit gelegene „Sportetablissement Pole Nord“ des mehrfachen Weltmeisters und Europameisters im Eiskunstlauf Gustav Hügel. Dort war die Heimstätte des „Hietzinger Sport-Clubs“, der sich vorwiegend aus Bewohnern des „Cottage-Viertels“ zusammensetzte. Die in der Elßlergasse 13 beheimatete Anlage verfügte über eine Radfahrschule, Räderremise, Restauration, Billardzimmer und einen Orchesterraum. Weithin bekannt und wohl auch namensgebend war der im Winter betriebene Eislaufplatz.
Ein Pavillon im „Pole Nord“ wird als erster bekannter Ort genannt, an dem in Österreich „Zimmertennis“ (Tischtennis) gespielt worden sein soll, das war im Frühjahr 1901. Ab dem Folgejahr wurde auf dem Pole Nord bereits Tennis im Freien gespielt. Das beweisen die auf der nächsten Seite abgebildeten Noten des „Hietzinger Sportclubmarsches“, der dem Hietzinger Sportklub anlässlich seines ersten Tennisturniers gewidmet wurde. Dieser Marsch wurde in der Deutschen Kunst- und Musik-Zeitung vom 22. März 1902 (Nr. 12 des XXIX. Jahrgangs, S. 93) sogar gelobt: „ ... in höchst origineller Ausstattung hat der mit bestem Erfolg aufgeführte 'Hietzinger Sportclubmarsch' von Oskar Winkler alle Aussicht, bald populär zu werden.“ Damit wissen wir: Das erste Tennisturnier in Hietzing fand im Frühjahr 1902 statt.
Eine Ansichtskarte aus dem Jahr 1905 beweist ebenfalls, dass das Areal im Sommer als Tennisanlage genutzt wurde, und zwar mit mehreren Sandplätzen.
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Quellen:
Mitglieder der Tennisklubs, Chroniken und Vereinszeitungen
Tennis 1902 bis 1977 - Festbuch des Österreichischen Tennisverbandes anlässlich des 75jährigen Bestandsjubiläums.
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Wegen der fortschreitenden Verbauung im „Cottage-Viertel“ wurde der Sportbetrieb nach ein paar Jahren nach Ober St. Veit auf eine neue Anlage in der Geylinggasse / am Gutzkowplatz verlegt (heute der Blau-Weiss-Platz). Auch diese Anlage wurde „Pole Nord“ genannt und ist den Zeitzeugen noch als „Nordpol-Platz“ in Erinnerung. Pächter des Gemeindegrundes war wieder Gustav Hügel. 1914 wurde darauf ein vornehmes Garderobengebäude mit Orchesterraum im Dachgeschoß errichtet und im Sommer standen 5 Tennisplätze zur Verfügung.
In dieser Zeit waren die Tennisplätze wahrscheinlich Mietplätze, die zur interimistischen Heimat verschiedener Tennisklubs wurden. Länger beheimatet scheint der im Krieg untergegangene „Hietzinger Tennisclub Nordpol“ gewesen zu sein. Eine Rangliste der österreichischen Tennisvereine des Jahres 1933 erwähnt ihn auf Rang 22.
Die Entstehung der weiteren Anlagen ist mit der Entwicklung der Tennisvereine verbunden. Am weitesten zurück reicht von den heute bestehenden Tennisvereinen die Geschichte der „Hietzinger Tennisvereinigung“ (HTV), die 1926 aus der Zusam
Oben der Hietzinger Sport-Club-Marsch. Noten für Klavier. © Noten- und Schellacksammlung Walter Schwanzer
Diese Ansichtskarte aus dem Jahr 1905 beweist ebenfalls, dass das Areal im Sommer als Tennisanlage genutzt wurde, und zwar mit mehreren Sandplätzen. Links oben die große Tennisanlage vor dem markanten Gebäude des „Pole Nord“ und im Hintergrund die feudale Taussig-Villa am Fuß des Küniglbergs.
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menlegung des 1919 gegründeten „Hietzinger Park-Klub“ und des „Hietzinger Tennisklub“ entstand. Ehe die HTV 1929 ihren eigenen Platz in der Geylinggasse 20 bezog, war sie wie ihre Vorläufervereine auf anderen Spielstätten eingemietet, unter anderem dem Nordpol-Platz. Die Geylinggasse 20 ist bis heute die Heimstätte der HTV, unterbrochen nur von der 8-jährigen Beschlagnahme durch die britischen Besatzungssoldaten nach dem Zweiten Weltkrieg.
Der zweite Tennisverein in Ober St. Veit ist der „Ober St. Veiter Tennisclub“ (OTC). Er soll 1931 oder 1932 als „St. Veiter Tennisclub“ ins Leben gerufen worden sein und hatte seine Spielstätte ursprünglich neben der Wagenfabrik Rohrbacher an der Adresse Hietzinger Hauptstraße 121. Von 1939 bis 1948 war der Sportbetrieb eingestellt, da auf der Anlage Wohnbaracken für Arbeiter der Wagenfabrik Rohrbacher errichtet wurden. Ein Großteil der Mitglieder ging zur HTV. 1948 formierten sich ehemalige Mitglieder des St. Veiter Tennisclubs und Mitglieder des früheren Tennisclubs Nordpol, der ja seine Spielstätte an Blau-Weiss verloren hatte, zum neuen „Ober St. Veiter Tennisclub“ auf der alten Anlage neben dem „Rohrbacher“. In den Jahren 1973 bis 1977 konnte der Verein eine schwierige Situation meistern und die wegen des beendeten Pachtvertrages verlorene Anlage (BASF-Österreich errichtete dort seinen Firmensitz) durch eine neue ersetzen. Auf diesem vom Karmeliter Konvent gepachteten Grund unterhalb des Faniteums spielt der Verein noch heute.
Dritter Tennisclub Ober St. Veits ist der 1934 auf der Schmelz gegründete TC Blau-Weiss als Nachfolgeverein einer 1931 gegründeten Tennissportgruppe im Rahmen des ASKÖ (Arbeitersportklub Österreichs). 1938 übersiedelte der Klub nach Ottakring und nach dem Krieg auf die Nordpol-Plätze, wo er heute noch beheimatet ist. Die von der Gemeinde Wien gepachtete Anlage hat mittlerweile den Vereinsnamen Blau-Weiss angenommen.
Die vierte Tennisanlage in heutigen Ober St. Veit ist der Tennisgarten Hietzing am Goldmarkplatz. Er ist eng mit der Tätigkeit der Kinderfreunde verbunden, soll schon in den 1930er-Jahren
Die zur Anlage gewandte Seite des Klubhauses „Pole Nord“ im Einreichplan 1914. Der einstige Orchesterraum (man sieht im Plan die Notenständer eingezeichnet) diente der Beschallung der Tennisanlage. Heute haben Lautsprecher diese Funktion übernommen. © Tennisklub Blau-Weiss
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bestanden haben und im Winter als Eislaufplatz genutzt worden sein. Ab 1946 dienten die 4 Sandplätze über lange Zeit als Betriebssportanlage der Wiener Städtischen Versicherung, die im Gegenzug für die Benutzungsrechte die Jugendarbeit der Kinderfreunde unterstützte. Ab 2002 wird die Anlage von der Tennisschule Mocker mit dem Schwerpunkt Kindertennis betrieben.
Außer diesen Vereinsplätzen gab es in Ober St. Veit noch mehrere Privatplätze, etwa in der Seifertstraße, in der Veitlissengasse und in der Hagenberggasse. Manchmal wurde diese Plätze auch an Dritte vermietet, wie zum Beispiel der in der Hagenberggasse. Er gehörte einer Frau Koch, die Professorin an der Wenzgasse war. Bis in die 1950er-Jahre gab sie Tennisstunden und der Platz diente in erster Linie diesem Zweck. War er frei, durfte ihn die Hausbesorgerin an Fremde vermieten. Heute stehen an seiner Stelle Neubauten.
Ein ungewöhnliches und mit feinen Details ausgestattetes Tennisclubhaus ist leider nicht mehr erhalten. Es befand sich an der Ecke Beckgasse/Mühlbachergasse und wurde 1928 von der Ateliergemeinschaft Franz Singer und Friedl Dicker entworfen (Tennisclubhaus Dr. Hans Heller).
Zurück zu den Ober St. Veiter Tennisklubs: Vom rein freizeitorientierten Tennisbetrieb der Kinderfreunde abgesehen, versuchten alle, eine ihnen optimal erscheinende Balance zwischen Sport und Freizeitbetrieb zu halten. In diesem Kraftfeld hatten sie auch bald einen gewissen Ruf. Die HTV soll eher der elitäre Klub für die reichen Bürger á la Kaindl und Pierer (Berghofer) gewesen sein mit Schwerpunkt auf angenehmer Klubatmosphäre. Blau-Weiss war der sportlich ehrgeizigste Klub mit Teams in den höchsten Spielklassen und der OTC bewegte sich dazwischen. Heute haben sich die Vereine in ihrer Klubphilosophie angenähert. Sie legen großen Wert auf die Jugendarbeit, wollen ihre Spielstärke weitgehend aus eigenem generieren und mit möglichst wenigen Legionären auskommen. Diese Grundtendenz variiert natürlich im Zeitablauf gemäß Einstellung des Vereinsvorstandes, aber jeder Verein muss ein herzeigbares sportliches Niveau halten und gute Spieler in verschiedener Weise unterstützen. Demgegenüber haben die Kinderfreunde den sportlichen Aspekt niemals forciert und auch heute betont die Tennisschule Mocker das Freizeitmoment.
Wirtschaftlich sind die „Fetten Jahre“ für Tennisklubs aber vorbei. Bis in die 80er Jahre übertraf die Nachfrage nach Tennisplätzen bzw. Klubmitgliedschaften das Angebot und es fiel den Vereinen leicht, das jeweils gewünschte Profil zu halten. Heute sind genügend Plätze vorhanden und andere Sportarten (Golf, Laufen, Radfahren ...) bieten zahlreiche Alternativen zum Tennissport. Die Entwicklung der Mitgliedschaften in allen Ober St. Veiter Tennisklubs zeigt aber, dass sich nach einem in den 1990er-Jahren beginnenden Mitgliederverlust und der Talsohle 2002 bis 2003 die Lage wieder deutlich verbessert. Heute liegt die Zahl
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der Mitglieder aller Kategorien je Verein in der Nähe der Faustregel, die 40 Spieler pro Platz fordert. Die Einschreibgebühren sind übrigens Mitte der 1980er-Jahre in allen Klubs gefallen.
Tennis ist nach wie vor ein schöner und dank des Wettbewerbscharakters auch spannender Sport. Die in Grünoasen angesiedelten Anlagen Ober St. Veits bieten darüber hinaus eine erholsame Klubatmosphäre und erscheinen relativ zukunftsfest.
Meine Brüder bekamen ihre Kondition als Ballbuben auf den Tennisplätzen von Ober St. Veit. Es gab da ja auch einiges zu verdienen. Dafür aber war der Tag recht lang für die „Ballschanis“.
Schon sehr früh ging es auf den „Nordpol“, wie der heutige „Blau-Weiss-Platz“ damals genannt wurde. Vielleicht auch deswegen, weil derselbe im Winter bei tieferen Temperaturen als Natureislauffläche genützt wurde. Es galt, dem Herrn Platzmeister Janda bei seiner Arbeit zur Hand zu gehen. Sei es den Spritzwagen mit den derben Schläuchen oder das „Linienwagerl“ aus der „Hütt´n“ am Ende des Platzes herauszubringen.
Auch gab es sehr oft die Lehrstunden des Trainers für Anfänger. Diese waren ja meist in den Morgenstunden angesetzt, wenn es auf den übrigen „vorderen“ Plätzen, das waren jene, die gleich in der Nähe des Klubhauses lagen, noch ruhig war.
So lag es auch für mich nahe, mich um einen Posten als „Ballschani“ zu bewerben. Mein Handicap: Ich war mit sechs Jahren ein solcher Zwerg, ein sogenanntes „Zniachtl“, um es im wienerischen Jargon zu sagen, dass Herr Janda sofort seinen Kopf schüttelte und zu lachen begann. Das Lachen verging ihm aber in dem Augenblick, als ich ihm keck aufforderte, mit mir einen Wettlauf von seiner Wohnung bis zum Ende des Platzes beim Geräteschuppen zu machen und, wenn ich schneller als er dort anlangen sollte, mich aufzunehmen. Dazu sei zu bemerken, dass Herr Janda neben seiner Tätigkeit als Platzmeister auch Tennislehrer war….
Alles Weitere ist schnell erzählt: Herr Janda blieb momentan die Luft weg, er bekam einen roten Kopf, und dank meiner „Kleinheit“ entkam ich seiner geschwungenen rechten Hand nur knapp und entwischte durch das Gott sei Dank offene „Drahttürl“. Dazu kurz gesagt: Ich war schon damals ein sehr flinker Läufer ...
Durch Fürsprache meines Bruders Norbert, der auf dem danebenliegenden „HTV“ (Hietzinger Tennisvereinigung) „arbeitete“, kam ich meinem ersehnten Ziel dann doch näher. Allerdings war der Weg zum „Ballschani“ noch sehr weit und für meine damaligen Begriffe etwas entwürdigend. Ich durfte etwa dem Herrn Platzmeister Ozloen, oder wie ich ihn kurz taufte „Indianer“, weil er aussah wie ein solcher in den
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Ein Zeitzeuge erzählt:
Alois Ribisch
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Westernfilmen mit Tom Mix, aus der Trafik in der Hietzinger Hauptstraße „fünf blonde Virginia“ bringen und montags auch den „Sport Montag“. Da war die leichte Arbeit in der Kantine bei der „Frau Josefine“ schon besser und vor allem auch „nahrhafter“. Sie war eine herzensgute Frau, und mochte mich anscheinend gleich von Beginn an sehr. Ich durfte sogar an besonderen Tagen den Gästen Kaffee und Torte oder, besonders beliebt und begehrt, Topfenschnitten servieren.
Die Gästetische und Sesseln unter großen Sonnenschirmen befanden sich in einer herrlich begrünten Vertiefung des HTV Platzes, die wie eine riesige Badewanne wirkte und vorne durch zwei Stiegenaufgänge begehbar gemacht worden war. Dort wurde auch die herrliche Saisonschlussfeier abgehalten, wenn es das Wetter erlaubte.
Diese Feste waren legendär. Die Mitglieder des HTV rekrutierten sich in erster Linie aus begüterten Kreisen. Da wurde nicht so sehr auf jeden „Kreuzer“ geschaut. Kein Wunder, dass sich die „Ballschanis“ besonders ins Zeug legten. Der Platz IV und mit Einschränkung Platz III waren die „Turnierplätze“, um die natürlich ein besonderes „Griss“ herrschte und die heiß umkämpft waren. Nur der „Beste“ von den „Buben“ bekam den Zuschlag. Da mein Bruder Bertl diese Stellung schon zwei Saisonen innehatte, konnte er sich auch für mich einsetzen.
So kam auch für mich der „große Tag“. Ich durfte „probeaufklauben“. Ich durfte auf den „oberen Plätzen“ (Preindlgasse) aufklauben, wo ausschließlich die Tennislehrer amtierten. Nun, da musste ich mich zwar um das fünfzigfache mehr bücken, dafür ging es aber auch viel langsamer zu. Die Herren Lehrer hatten meist 1–2 Körbe voll mit (ziemlich gebrauchten) Bällen, so zwischen 30 und 50 Stück. Die Arrivierten von uns hatten sich die Arbeit des Aufklaubens wesentlich erleichtert. Sie hatten sich dafür ein passendes Rundholzstangerl nach ihrer Körpergröße zurechtgeschnitten und mittels Drahtkörbchen oder nur einfachem hartem Draht eine Schlinge am Holzstangerl befestigt, die es einen erlaubte (so man es beherrschte), selbst im Lauf die Tennisbälle aufzuklauben.
Es war gar nicht leicht, einen solches „Gerät“ zu bauen. Der springende Punkt dabei war die richtige Schräge des Drahtgebindes, die es erst ermöglichte, mit einer kurzen Berührung des Balles diesen in der Drahtschlinge festhalten zu können.
Ich brauchte die eingesammelten Bälle „nur“ wieder zurück in die Körbe der Lehrer bringen, die aber natürlich auf der gegenüberliegenden Seite standen. Na, da kam in einer „Stunde“, die 50 Minuten dauerte, eine ganz schöne Strecke zusammen. War es ein etwas begüteter Schüler, schaute auch manchmal ein bisschen „Trinkgeld“ heraus, zuzüglich zum ausgemachten Tarif unserer „Zunft“.
Das größte Plus für uns „Ballschanis“ war aber zweifellos die kostenlose Schulung für die herrliche Sportart Tennis. Wir
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lernten sozusagen von der „Pike auf“ Tennisspielen. Uns fehlte allerdings das dazu notwendige Material wie Rackets und Bälle. Von Bekleidung war ja ohnedies nie die Rede.
Wir übten an der sogenannten Schusswand, die die Rückseite des Geräteschuppens (für die Netze, Walzen, Besen und sonstigen Geräte) bildete. Darauf war die genaue Abbildung eines gespannten Netzes in Originalhöhe und Breite aufgemalt. Und wir droschen mangels Rackets mit rechteckig geschnittenen Brettern (zirka zwei Zentimeter dick) und mit ausgeschnittenem Griff, den wir, um Blasen tunlichst zu vermeiden, mit Isolierband umwickelten, die Bälle an die Wand. Die „Erlösung“ kam eines Tages beim „Saisonschlussfest“. Wir erhielten von den „Ranglistenspielern“ unseres Klubs Rackets und Bälle geschenkt, und zwar in einer Menge, die uns richtige Freudentänze aufführen ließ.
Besonders erfreut waren wir über die vielen Schachteln mit Turnierbällen, die meistens nur ein- bis zweimal gespielt worden waren. Vorbei war es nun mit den „Brettln“. Wir konnten mit wirklich gutem Material an der Schusswand üben. Norbert und ich führten die vielen Ballschachteln und Schläger mit unserem Leiterwagen nach Hause. Und dazu einige süße Grüße von Frau Josefine, unserer Kantinenköchin, nämlich sage und schreibe drei angeschnittene Torten, die keine Abnehmer gefunden hatten. Sie mussten bald gegessen werden, denn Kühlschränke waren damals noch nicht in ausreichender Menge und Güte vorhanden, außer jenen mit Blockeis bestückten Ungetümen.
Die Zeit auf „meinem Tennisplatz des HTV“ wird mir in ewiger und angenehmer Erinnerung bleiben. Sie endete, wie vieles, während der Kriegszeit 1940/41
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In diesem letzten Kapitel „Menschen für Hietzing“ sollen Persönlichkeiten porträtiert werden, die die Geschichte des Bezirkes und seiner inkorporierten Vororte mitgeprägt haben, und zwar vor allem in sozialer und kultureller Hinsicht. Zelebritäten, die hier bloß ihren Wohnsitz genommen hatten, bleiben somit ungenannt, sie werden ohnehin von vielen Autoren vereinnahmt.
Zahlreiche verdienstvolle Personen wurden schon in den vorstehenden Kapiteln genannt, zum Beispiel zu den Malern und Schriftstellern. Dennoch werden hier einige von ihnen – um ihrer Bedeutung gerecht zu werden – durch eine ausführlichere Biografie hervorgehoben.
Natürlich kann diese Aufzählung nur einen groben Einblick geben und muss unvollständig bleiben, es sind zu viele Menschen, die sich um die Region verdient gemacht haben. Darüber hinaus wurden nur bereits verstorbene Menschen in dieses Kapitel aufgenommen.
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Wer aufmerksam am Haus Auhofstraße 144 vorbeigeht, entdeckt eine Steintafel mit Aufschrift und Umrissen des afrikanischen Kontinents. Etwas ungewöhnlich für das „Dorf in der Stadt“, könnte man meinen. Aber das passt zu Friedrich Julius Bieber, der einst hier wohnte: Auch er war ungewöhnlich. Allerdings war es früher nicht einfach, sich über das Leben des Afrikaforschers Friedrich Julius Bieber zu informieren. Das erste Heft der neuen „Hietzinger Schriftenreihe“ des Bezirksmuseums Hietzing, das am 24. Februar 2012 erschien, hatte das geändert. Biebers Leben wird darin ausführlich und trotzdem in geraffter und leicht lesbarer Weise beschrieben, der Text ist mit vielen Fotos aufgelockert.
Die wahre Bedeutung Friedrich Julius Biebers bestätigte sich gerade in der jüngsten Vergangenheit. Kaffas Geschichte war bis zu seinem Untergang im Äthiopischen Reich 1897 nur mündlich von Generation zu Generation weitergegeben worden. Friedrich Julius Bieber, von den Kaffitscho „Abba Kitaba (Vater des Buches)“ genannt, schrieb alles zur Zeit seiner Kaffa-Reise im Jahre 1905 noch vorhandene Wissen auf. Damit rettete er es über das folgende Jahrhundert der politischen Instabilität. Heute ist seine Arbeit eine der wichtigsten Quellen auf der Suche Kaffas nach den eigenen Wurzeln.
Veröffentlicht wurden dieses Wissen vor allem in seinem 1920 und 1923 erschienenen zweibändigen Werk: Kaffa. Ein altkuschitisches Volkstum in Inner-Afrika. Nachrichten über Land und Volk, Brauch und Sitte der Kaffitscho oder Gonga und das Kaiserreich Kaffa.
Ein Großteil der reichhaltigen ethnologischen Sammlung Biebers vor allem aus der Expedition 1904/05 wurde 1956 an das Museum für Völkerkunde verkauft. Der Rest ging 1979 und danach an das Bezirksmuseum Hietzing und ist dort Teil von permanenten Ausstellungen. Die handschriftlichen Tagebuchaufzeichnungen Biebers sind großteils in der Österreichischen Nationalbibliothek.
Doch war Friedrich Julius Bieber nicht nur Afrikaforscher, sondern er war auch Sozialdemokrat. 1919 wurde er vom Wiener Bürgermeister zum Vorsitzenden-Stellvertreter der provisorischen Bezirksvertretung des 13. Bezirks berufen. Diese Funktion übte er allerdings nur kurze Zeit bis zur nächsten Wahl aus.
Beachtliche Leistungen erbrachte Friedrich Julius Bieber im Rahmen seines Engagements für die Kinderfreunde. Während des Krieges leitet er als Obmann die Hietzinger Ortsgruppe und im Jahr 1917 die erste allösterreichische Ferienkolonie der Kinderfreunde in Igls. In der damaligen Zeit war die Organisation und die Finanzierung solcher Unternehmungen eine großartige Leistung.
Auf Anregung und mit Unterstützung von Prof. Felix Steinwandtner, bis 2012 Leiter des Bezirksmuseums Hietzing, wurde
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Titelbild der 2012
veröffentlichten Biografie
von Friedrich Julius Bieber
mit Porträt
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die oben genannte Biografie von zwei Mitarbeitern des Museums, Josef Holzapfel und Klaus Bieber (Enkel des Forschers) erstellt. Die fotografischen Beiträge sind fast durchwegs Erstveröffentlichungen. Mehr dazu auf www.1133.at/Bericht 611.
Foto der Ferien-Kolonie des Arbeiter-Vereins der Kinderfreunde für Österreich in Igls. Friedrich Julius Bieber sitzt in der Mitte.
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Schwester Innozentia leitete die Kinderbewahranstalt im Elisabethinum von der Gründung im Jahre 1867 an durch 40 Jahre hindurch und war im Ort überaus bekannt. Sie war den Schilderungen zufolge streng, herzensgut und in ihrer Art ein Original. Wenn das Geld nicht reichte, ging sie mit der Sammelbüchse in die Häuser, als Anlass dienten dazu unter anderem die Geburtstagsgratulationen. Sie starb 1907 im 84. Lebensjahr und ist am Ober St. Veiter Friedhof begraben. Die Innozentiagasse am Hagenberg ist nach ihr benannt.
Einer ihrer Zöglinge, der Ober St. Veiter Heimatdichter Vinzenz Jerabek hat ihr mit einer seiner Geschichten ein literarisches Denkmal gesetzt.
Die Geschichte „Schwester Innozenz“ aus dem Buch von
Vinzenz Jerabek (J. Vinzenz) „Erlebtes und Erlauschtes aus Wiens Vorstadt“ gibt ein lebendiges Bild der Schwester Innozentia Bögl, der langjährigen Oberin des Elisabethinums.
Siehe www.1133.at/Bericht 127
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Felix Steinwandtner erinnerte sich in dieser Weise an den prominenten Ober St. Veiter:
„Es war im Frühjahr 1985, als die von Johann Brennig neugeschaffene Holztafel mit der Lindwurmsage aufgestellt wurde. Damals fanden sich einige St. Veiter zusammen, denen die Heimatkunde und die Entwicklung des Ortsbildes ein Herzensanliegen war. Es entstand daraus ein Stammtisch: Die Heimatrunde.
Robert Demmer war von Anfang an dabei. Gemeinsam wurde gesammelt, Zeitgeschichtliches dokumentiert und kleine Ausstellungen sowie Vorträge gestaltet. Das umfassende Wissen von Robert Demmer und seine vielfältigen handwerklichen Begabungen waren immer eine Hilfe.
Zu Themen der Heimatkunde hielt er selbst häufig Vorträge, verfasste kleine Schriften und war mir bei der Neugestaltung des Bezirksmuseums im Jahr 2000 eine große Hilfe. Kritisch beobachtete und kommentierte er die entfremdenden Ortsbildveränderungen. Dieses Thema behandelte er auch in seinen zahlreichen heiter-kritischen Gedichten. Noch während seiner langen, schweren Krankheit war er immer wieder Ideengeber und strenger Kritiker – sein Platz in der Runde ist leer.“
Hier eine Kostprobe aus Robert Demmers 2002 erschienenen Gedichtband „Ned normal“. Darin beschreibt er in umgangssprachlich verfassten Gedichten launig bis kritisch alltägliche Kleinigkeiten und die nicht immer guten neuen Entwicklungen:
Bein Haamfahrn
Wann i länger furt war und kumm haam mit da Bahn,
dann sprechen d‘Stationen mi bsunders stark an.
Wann‘s Salzburg haßt, Linz und Amstetten, St. Pölten,
dann steigt so a freud auf, wia sunst nur ganz seltn.
I grüaß Rekawinkel, Neulengbach, Ha-Wei
und könnt im Moment gar ned glücklicher sei!
Dann Purkersdorf-Gablitz und Maria Brunn,
auf Hütteldorf-Hacking, da scheint no de Sunn...
Und Baumgarten, Penzing, von drübm, gar ned weit
leucht‘t umma de Kirchen von Ober St. Veit!
Hauptberuflich war Robert Demmer einer der besten Trompeter Österreichs. Über seine Leben informiert die Biografie auf www.1133.at/Bericht 501.
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Frau Johanna Berg war die Universalerbin des Vermögens von Josef Weidman. Die Liegenschaften am Stock im Weg hatte sie im Jahre 1907 an die Gemeinde Wien verkauft, die damit ihren Wald- und Wiesengürtel vergrößerte.
Der erste Pächter des Areals sollte ein Herr Alfred Doll, bisher Gärtner auf einem Besitz in der Auhofstraße, sein. Unter seinen tüchtigen Händen als Weinschenker und Gärtner wurde das Anwesen zum „Weinhaus Doll am Stock im Weg“. Das Blockhaus wurde in verschiedene kleine Räume (Stüberln) geteilt, davor Tische und Bänke in den Wiesenboden geschlagen und grün gestrichen. Die Anlage befand sich in einem Tal inmitten von Wald und Obstbäumen und war damit kein Aussichtspunkt wie die meisten anderen Ausflugsziele in Ober St. Veit, aber im Frühjahr während der Baumblüte war es eine Pracht.
Die Gäste konnten sich je nach Jahreszeit alle Sorten Obst vom Buffet holen und alle Sorten Blumen und die schönsten Rosen mitnehmen. Zum Trinken gab es in der ersten Zeit Kracherln und Sodawasser, an alkoholischen Getränken nur Wein und für besondere Anlässe wie etwa zum Silvester auch Sekt. In späteren Jahren wurde auch Flaschenbier und reichliche kalte Küche („Landgeselchtes“), bei besonderen Anlässen auch warme Küche angeboten. Veranstaltet wurden Wohltätigkeitsfeste, Flieder-, Rosen-, Weinlesefeste und im Fasching der Hausball.
Der Betrieb wurde zu einem beliebten, in ganz Wien bekannten Ausflugsort, an schönen Sonntagen kamen oft bis zu 1000 Gäste. Die ganze Familie packte zu: die Gattin Katharina Doll, drei Töchter und zwei Söhne. Den reichlichen Besucherstrom nützte auch ein Fotograf, der sich in einer Hütte schräg gegenüber der Kapelle einquartiert hatte.
Bald wurden die Räume zu klein und Herr Doll ließ einen großen Saal in Naturholz errichten. Eine auf einem Baum in der Nähe des neuen Saales angebrachte Sage sollte ihm den Namen geben: „Lindwurmsaal“.
Niedergeschrieben wurden solche Sagen meist zu Zeiten Maria Theresias mit der Einrichtung der ersten Pflichtschulen. Leider wurden sie dabei oft ausgeschmückt oder umgeschrieben und ihr historischer Legendenkern eher verschüttet als freigelegt. Dem Stil und der religiös-belehrenden Ausrichtung nach kann sie der Feder irgendwelcher Kirchenmänner zugeordnet werden. In diesem Zusammenhang ist an die beiden Ober Sankt Veiter Einsiedlerbrüder am Gemeindeberg zu denken.
Das neue Saalgebäude brannte bereits 1935 ab und wurde 1936 etwas nordwestlich davon neu errichtet, der große Raum im ersten Stock wurde wiederum „Lindwurmsaal“ benannt. Es handelt sich um das noch heute existierende Gasthaus Lindwurm.
Alfred Doll in einem Porträt anlässlich seines 61, Geburtstages, fotografiert im Bezirksmuseum Hietzing
am 9. März 2025
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Eine Zeichnung, die die Lage des Weinhauses und den Platz der alten Lindwurmtafel dokumentieren
Hietzing
Anlässlich des 70. Geburtstages von Herrn Doll wurde ein großes Fest gegeben, viele Persönlichkeiten wie die Schauspieler Kramer, Kramer-Glöckner, Glawatsch und Söhnke waren gekommen. Zur Erinnerung an dieses Fest ließ Herr Doll von einem der Stammgäste – Bruno Zach – Medaillen aus Gold und Silber prägen und verteilte sie an ausgewählte Gäste.
An eines der Namenstagsfeste erinnert das „Stock im Weg - Lied“, getextet von Franz Fux und vertont von Franz Ed. Wunsch. Gesungen hat es damals Theo Nickl.
Mit seinem Tod im Jahre 1943 verlor Ober St. Veit einen originellen, humorvollen Menschen. Das Weinhaus wurde von Frau Katharina und Sohn Alfred bis zum traurigen Ende weitergeführt.
Im April 1945 wurde das Haus von den über den Tiergarten kommenden Russen sofort beschlagnahmt. Kurze Zeit später wurde Herr Alfred Doll Junior bei einem unglücklichen Vorfall tödlich verletzt. Eine Kugel war durch ein Fenster in das Wohnhaus der Familie in der Veitingergasse 74 gedrungen.
In der weiteren Folge wurde das Weinhaus von anderen Pächtern übernommen und verändert. Sie blieben allerdings erfolglos und es fand sich dann für lange Zeit kein Pächter mehr. Das alte Weinhaus fiel bald der Spitzhacke zum Opfer. Der Obststadl als letztes original Weidmansches Gebäude (mit Ausnahme der Weidmankapelle) brannte 1968 ab. Irgendwann in diesem Zeitraum kam auch das – mittlerweile schon sehr desolate – alte Lindwurmschild abhanden.
Erst im Jahr 1970 fand sich mit Frau Johanna Wiesinger ein neuer Pächter. Heute ist es das Gasthaus Lindwurm.
Einen Überblick über diesen historischen Ort und die mit ihm verbundenen Personen gibt die Sonderausgabe Nr. 1 des Ober St. Veiter Blatt'ls. Sie entstand anlässlich der Renovierung der Weidman-Kapelle im Jahr 2004. Darin wird auch die verwendete Literatur aufgelistet.
In der Lindwurmsage wird von einem im Jahr 1115 Unheil verbreitenden giftigen Lindwurm berichtet, der, in einem hohlen Baum hausend, das Leben von Mensch und Tier bedrohte. Erst dem heiligen Vitus sei es gelungen, das siebenköpfige Ungeheuer zu töten. Die Herkunft dieser Sage und ihre Anbringung an dem Baum bleiben im Dunkel. Ein auf dem Gemeindeberg bestandener Wehrturm, der in seinem halbverfallenen Zustand durchaus einem hohlen Baum geähnelt und allerlei die Umwelt plagendes Gesindel beherbergt haben könnte, gibt einen denkbaren wahren Kern. Die Sage ist in Verse gefasst, hier die von Hans Brennig neu geschnitzte Tafel
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Avers und Revers der Medaille zum 70. Geburtstag
von Alfred Doll
Hietzing
Helene Gössl war Gastwirtin in der Firmiangasse, ihre Eltern waren Gastwirte in Payerbach. Damals wurde viel musiziert und oft Karten gespielt, die Kinder waren interessierte Zaungäste und hatten viel Spaß. 1914 brach der erste Weltkrieg aus. Erzherzog Carl und Zita samt Kindern kamen zu Besuch und die Kinder durften mit den Kindern des Thronfolgers spielen.
Weihnachten in den Kriegsjahren gab‘s nichts zu Essen, am Christbaum hingen kleine Krügerl mit Marmelade gefüllt.
Später dann die Lehrzeit bei einem Bäcker in Wr. Neustadt: 12 Stunden Arbeit pro Tag und nur einen Tag frei. 1934 eröffnete der Onkel eine Weinhalle in Wien. Die Geschäfte gingen gut und Helene Gössl lernte viel über die Gastronomie.
Als ersten Schritt in die Selbständigkeit eröffnete sie gemeinsam mit einem Kompagnon ein Wirtshaus beim Nordwestbahnhof; in den Kriegsjahren waren die Essensmarken das Hauptgeschäft. Bomben trafen das Nachbarhaus, Schutt bedeckte die Apfelstrudel. „Abstauben“, sagte der Luftschutzwart, denn die Soldaten hatten Hunger. Zermürbend dann der tägliche Rhythmus: Kochen, Fliegeralarm, stundenlanges Warten im Keller auf die Entwarnung. Nach Kriegsende Ziegelschupfen und alles wieder aufbauen.
1948 gründeten die Gössls ihre Familie, 1953 folgte der Schritt nach Ober St. Veit: Sie kauften den Traditionsheurigen „Döltl“ in der Firmiangasse und machten ihn zum „Gössl“. Arbeiten, arbeiten, arbeiten, 1977 dann übernahm die Tochter Magdalena den Heurigen.
Auf Mallorca traf Helene Dr. Bruno Kreisky. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch gab sie ihm ihr Votivbild vom Ableben der Kaiserin Zita mit dem Vers: „Selig, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen, denn ihrer ist das Himmelreich“. Nach dem Tod Kreiskys bekam sie es von seiner Köchin Roberta zurück, er hatte es an einer besonderen Stelle aufbewahrt.
Helene Gössl hatte ein erfülltes Leben, erlebte zwei Weltkriege, zwei Kaiser, fünf Währungen, Auto, Flugzeug, Radio, Photographie, Computer, Fernsehen und den Wiederaufbau ganzer Nationen.
Aus den Aufzeichnungen von Helene Gössl
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Helener Gössl
Hietzing
Wer je beginnt, Bilder über das alte Ober St. Veit zu beachten, wird bald auf den Namen Hans Götzinger stoßen. Keiner hat so viele alte Ansichten unseres Dorfes in seinen Bildern festgehalten, wie er. Viele Wohnungen ziert ein „Götzinger“, oft sind es Aquarelle der malerischsten Winkel unseres Dorfes, manches Mal aber auch ein Stilleben oder ein Porträt; ganz selten ein Ölbild wie das auf der ersten Seite des Ober St. Veiter Blattls Nr. 36 abgedruckte. Verlage haben seine naturgetreuen und doch künstlerisch gehobenen Bilder auf unzählige Ansichtskarten gedruckt und die Urlauber haben sie in alle Welt versandt. Heute kommen diese Karten zurück nach Ober St. Veit, in die Hände unserer eifrigen Sammler.
Hans Götzinger wurde als Spross einer alten Wiener Familie am 12. Februar 1867 in deren engeres Heimatgebiet, Margareten, hineingeboren. Das Geburtshaus stand in der Matzleinsdorferstraße, möglicherweise war es die Nummer 34, denn dort wohnte er noch als junger Mann. Wahrscheinlich war er ein glücklicher junger Mann, denn sein Vater, ein Mann des Gewerbes, legte der künstlerischen Ader seines Sohnes nichts in den Weg. Hans konnte die Zeichen- und Malkurse an der Kunstgewerbeschule besuchen. Bei den Professoren Rieser, Rößler und schließlich Andreas Groll lernte er, was zu lernen war. Fleißiges Zeichnen gab ihm die Routine, das Aquarell war bald seine Leidenschaft, die nur wenige Ausflüge in die Ölmalerei zuließ. Mehrere Reisen in den sonnigen Süden schärften seinen Blick für die Farben und das Spiel von Licht und Schatten. Auch der Erfolg stellte sich ein, schon die ersten Ausstellungen im Künstlerhaus brachten Ankäufe und Aufträge. Seine Bilder fanden den Weg in kaiserlichen Besitz und zu öffentlichen Sammlungen (hauptsächlich die Moderne Galerie und das Museum der Stadt Wien), vorwiegend aber in den Privatbesitz.
Wien blieb der ständige Wohnsitz Hans Götzingers und seiner langjährigen Adresse, Wien 13., Hackinger Kai 11, verdanken wir die zahlreichen Bilder aus Ober St. Veit. Eine zweite künstlerische Heimat fand er in der Kulturlandschaft der Wachau, so mancher Auftrag führte ihn aber auch weiter weg. In Eggenburg im Waldviertel, einem seiner Auftragsziele, lernte er die Gefährtin seines Lebens kennen. Seine genossenschaftliche Heimat fand er im Albrecht-Dürer-Bund, dem er mehrere Jahrzehnte angehörte, den er mitgestaltete und der ihn schließlich zum Ehrenvorstand kürte. Aber auch Ehrungen der Stadt Wien wurden ihm zuteil und der Professorentitel verliehen.
Am 25. September 1941 starb er in Dürnstein an der Donau.
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Hans Götzinger 1927.
Ein Wiener Meister des Aquarells, niemand hat so viele alte Ansichten Ober St. Veits festgehalten, wie er.
Porträt nach einer Zeichnung von Ferdinand Horacek.
Quellen:
Wacha, Robert:
Hans Götzinger. Ein Wiener Meister des Aquarells in:
Der getreue Eckart 4. Jahrgang
9. Heft und diverse Kunstlexika
Hietzing
Im April 1868 trat Karl Hentschel sein Amt als neu gewählter Bürgermeister, gleichzeitig erster Bürgermeister der nach der Trennung nun verkleinerten Gemeinde Ober St. Veit an.
Hentschel war am 7. Jänner 1827 in der Nachbargemeinde Lainz geboren und hatte sich nach Verehelichung mit seiner in Ober St. Veit beheimateten Gattin Maria 1854 hier angekauft. Das St. Veiter Heimatrecht erhielt er erst 1861 erteilt. Seine Existenzgrundlage war eine gutgehende Schuhmacherei, die er während all seiner Bürgermeisterjahre weiterführte. Karl Hentschel war bereits in der vorangegangenen Wahlperiode 1864 – 68 Gemeinderat der damals noch vereinigten Gemeinde St. Veit gewesen und hatte als solcher die Beaufsichtigung der Ober- und Unter St. Veiter Sicherheitswachmänner übergehabt. Wie die meisten Gemeindepolitiker des 19. Jahrhunderts kann man ihn keiner bestimmten Parteirichtung zuordnen, da es, wie schon beschrieben (oben IV.2.c), bei den Wahlen keine Parteilisten, sondern nur freie Kandidatennennung gab. Von ihm selbst sind keine Äußerungen erhalten, die eine weltanschauliche Zuordnung ermöglichen würden. Immerhin kann man aus einem späteren Zeitungsartikel in dem liberalen Blatt „Der Urwähler“, schließen, daß die Liberalen ihn zumindest als einen Mann ihres Geistes ansahen, denn der Artikel stellt die Epoche vor Hentschel als finster und rückständig hin und preist sodann fast hymnisch, wie sich unter ihm in allen Zweigen der Gemeindeverwaltung der Geist des Fortschrittes entfaltet. In späteren Jahren hatte er allerdings bereits viele Feinde, die in anderen Lokalblättern Attacken auf ihn lancierten. Die Redaktion der „Wiener Communal-Bezirks-Zeitung“ zählte ab den 1880er Jahren absolut nicht zu seinen Freunden. Ziemlich unverblümt wurden ihm da seine vielen „Weibergeschichten“ vorgehalten. Als sogar der Schuhmachermeister-Verein „Fortschritt“ im Hietzinger „Weißen Engel“ eine Versammlung abhielt, die die Vergabe der Beschuhung für arme Kinder durch den Bürgermeister Hentschel an den Schuhmacher Hentschel heftig kritisierte und ein Komitee wählte, das sich darüber bei der Bezirkshauptmannschaft beschweren sollte, wurde es für den Angegriffenen allerdings tatsächlich schon sehr ungemütlich.
In Angelegenheiten der Gemeindeverwaltung war er jedenfalls sehr fleißig und persönlich einsatzfreudig: Es gibt kaum eines unter den mehreren hundert erhaltenen Kommissionierungsprotokollen (hauptsächlich in Bausachen), aus denen nicht die persönliche Teilnahme von Bürgermeister Hentschel hervorgeht. Dazu kamen noch all die Vorsprachen bei höheren Behörden, mit denen er sich bei heiklen Interventionen regelmäßig vom Gemeindeausschuß beauftragen ließ und all die vielen Ausschußsitzungen, die er leitete. Wahrscheinlich kamen mehr solche Sitzungen zusammen, als sich Karl Hentschel bei seinem
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Quelle:
Klötzl, Gebhard:
Von Bürgermeistern und Affären
Karl Hentschel
Hietzing
Amtsantritt selbst gedacht hätte, denn er blieb Bürgermeister zunächst bis 1876 und dann nach einer einmaligen Abwahl und insgesamt viermaliger Wiederwahl neuerlich von 1878 bis 1891. Er war also schlussendlich ein Langzeitbürgermeister und epochemachender Gemeindevater, in dessen insgesamt 26-jähriger Wirkungsperiode (die Jahre als bloßer Gemeinderat mitgerechnet) der Ort Ober St. Veit sein Gesicht radikal verändert und große Teile der Entwicklung von der ländlichen Agrargemeinde zum Wiener Wohnvorort schon durchgemacht hat.
Nach der Vereinigung Ober St. Veits mit Wien hatte er kein öffentliches Amt mehr inne. Er starb am 10. Mai 1898 an Herzversagen und wurde auf dem Ober St. Veiter Friedhof beigesetzt, wo sich heute noch sein ehrenhalber auf Friedhofsdauer gewidmetes Grab befindet.
Der gebürtige Regensburger war Hortologe und Diplomat. Forschungsreisen, von denen er viele Pflanzenarten mitbrachte, führten ihn bis nach Neuseeland. Mit respektablen Ergebnissen widmete er sich seiner Hauptpassion, der Gartengestaltung, darin war er dem hortologisch berühmten deutschen Fürsten Pückler-Muskau wesensverwandt. Als Gesandter vertrat der Freiherr seine Wahlheimat in Italien und Belgien.
Die Villa Hügel in der Hietzinger Hauptstrasse 40 war mit ihren Anlagen ein stadtbekanntes privates Elysium, später wurde sie zum Wohnsitz des Herzogs von Braunschweig. Erhalten blieb nur ein Teil der Glashäuser, auf dem Areal steht heute die 1912–14 von Robert Oerley erbaute, architektonisch markante Villa Wustl.
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Eine Kurzbiografie aus
Gunther Martins Feder
Hietzing
Vinzenz J. oder Zenzl, wie er von seinen Freunden immer genannt wurde („I bi da Zenzl. Und du?“ war der übliche Du-Worttausch) hieß richtig und eigentlich Vinzenz Jerabek.
Geboren wurde er am 22. Jänner 1875 in Ober Sankt Veit im „Spitzerhaus“, Auhofstraße 120 Ecke Testarellogasse. Heute steht dort ein „blechernes Reh“ vor einem Neubau. Vinzenz war vier Jahre alt, als er seinen Vater verlor. Er lebte bei seiner Mutter, einer Weißnäherin, an verschiedenen Plätzen in Sankt Veit. Dort besuchte er auch die Volksschule. Obwohl von seinen Lehrern als guter Schüler bezeichnet, blieb ihm jede weitere Schulbildung versagt. Nach der Volksschulausbildung musste er bei einem Schuhmachermeister in der Stumpergasse eine ungeliebte Lehre antreten. Nach dieser dreijährigen Berufsausbildung trieb ihn das Heimweh wieder in sein geliebtes Sankt Veit zurück. Hier verdingte er sich zunächst als gering bezahlter Hilfsarbeiter und Gartenhelfer. Später nahm er eine besser bezahlte aber ungesunde Stelle als Färber in der Hackinger Stofffärberei „Seidl“ (ehemalige „Seidlfärberei“, heute Auslieferungslager der Firma „Morawa“) an. Bis zu seiner Verehelichung lebte er bei seiner Mutter.
Der Beruf des Färbers hatte Vinzenz nie ganz ausgefüllt. Er trachtete nach besserem Leben und nach mehr Einkommen. Das bewog ihn, einen Brief mit dem Wunsche um eine bessere Stelle (Geschäftsdiener und so) an die Redaktion der „Volkszeitung“ zu richten. Dieser Brief fiel in die Hände des Redakteurs Rudolf Kraßnigg (Krassnig). Kraßnigg entnahm dem Brief, dass Vinzenz Jerabek seine Umgebung, die Zeitströmung, die Menschen in ihrem Walten, ihre Eigenheiten und Veranlagungen genau beobachtet haben musste. Der Redakteur lud ihn zu einem Gespräch. Das war dann der Beginn der schriftstellerischen Laufbahn des J. Vinzenz.
Vom Autodidakten J. Vinzenz wurde 1903 die erste Geschichte in der „Volkszeitung“ veröffentlicht. Nach und nach kamen dann in all den Jahren über 1200 Abhandlungen von J. Vinzenz in die „Volkszeitung“ und in „Das kleine Blatt“. Genau und mit hintergründigem Humor wurde alles Leben in der Vorstadt mitgeteilt.
Mit dem Ober Sankt Veiter Männergesangsverein, dessen Mitglied Vinzenz war (Beitritt 1894, Schriftführer 1896, Archivar 1898–1900, Ehrenmitglied 1930), wurden in den 1950er-Jahren die humordurchleuchteten „Vinzenz-Jäger Abende“ gestaltet (Kammerschauspieler Richard Eybner, Rundfunksendungen). 1955 ehrte die Stadt Wien den Zenzl mit einer hohen Auszeichnung. 1956 wurde vom Ober Sankt Veiter Männergesangverein im Eigenverlag „Erlebtes und Erlauschtes aus Wiens Vorstadt“ von J. Vinzenz in Buchform aufgelegt.
Über Vinzenz’ Familienleben wurde wenig berichtet. Verheiratet war er mit Therese Jerabek, geborene Skopek (1878– 1944), der Ehe entstammten drei Kinder: Anna Letz, geborene Jerabek
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Hietzing
(1899–1971, Verwaltungs-Oberkommissärin, verheiratet mit Franz Letz), Hans Jerabek (1906–1987, Postmonteur, verheiratet mit Margarete Jerabek, geborene Penkala) und eine Elisabeth (von ihr ist nur bekannt, dass sie als Caritasschwester gearbeitet haben soll). Mit Vinzenz’ Enkelin Christine Wessely, geborene Jerabek (1941) starb im Jahre 2004 die letzte Nachkommin. Sie hatte die sprachliche Begabung Vinzenz’ geerbt und eine Reihe von Büchern entweder selbst geschrieben oder auf den Weg gebracht.
Die letzten zehn Jahre – nach dem Tod seiner Gattin – lebte Vinzenz Jerabek im Sankt Veiter Schloss. Dieses war damals als Altersheim eingerichtet.
Vinzenz Jerabek ist am 7. Feber 1963 aus seinem vielgeliebten Ober Sankt Veit in die Ewigkeit fortgegangen. Die letzte Ruhe fand er auf dem Baumgartner Friedhof (U/107). Seine Tochter lehnte das Anbot eines „Ehrengrabes“ ab. Nach ihrem Tode kümmerte sich niemand mehr um die Grabstelle und sie war 1994 zum „Heimfall“ ausgeschrieben. Der Club 13 finanzierte eine Verlängerung um 10 Jahre. Später wurde eine Umbettung und die Widmung eines Grabes „ehrenhalber“ auf dem Ober St. Veiter Friedhof angestrebt.
Gebhard Klötzl beginnt den „Auftakt“ seines Buches „Von Bürgermeistern und Affären“ mit folgender Würdigung Vinzenz Jerabeks:
Unter allen 40 Vorortegemeinden, die 1890/91 der Großstadt Wien eingemeindet wurden, besitzt Ober St. Veit den seltenen Vorzug, einen Lokalpoeten hervorgebracht zu haben – Vinzenz Jerabek alias J. Vinzenz, wie er sich mit seinem Künstlernamen nannte. Er setzte seiner Heimatgemeinde ein hochstehendes literarisches Denkmal in Form von (leicht romantisierenden) Feuilletons, die seit Jahrzehnten die hiesigen Heimatfreunde erfreuen, aber auch für den Historiker von großem Interesse als Quelle der sozialen und landschaftlichen Verhältnisse St. Veits sind...
In der Folge gibt Gebhard Klötzl einige Auszüge aus Vinzenz Jerabeks wohl unwissenschaftlicher, aber sehr faktenkorrekter, etwa auf die Jahre 1885 – 1890 zu beziehenden Schilderung der Verhältnisse St. Veits. Sie ist in der rechten Spalte wiedergegeben.
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Das Dorf Ober St. Veit ist zu dieser Zeit ein Idyll im Grünen gewesen. Am Rand des Wienerwaldes gelegen, besaß es eine Fülle von Wiesen, Äckern, Weingärten, eine schöne Au an der Wien, bewaldete Hügel und vor allem die „Edleseelackn“, ein Gewässer unterhalb des Roten Berges. ... Wie einmal der Herr Pfarrer in der Alten-Jahrs-Predigt verkündete, besaß unser Dorf 1500 Einwohner, 118 Kühe, 73 Pferde und eine Anzahl Ziegen. Wir hatten einen Bürgermeister, einen „Wachter“, einen Mesner, der zugleich Vorbeter und Totengräber war. ... Die männlichen Einwohner bauten Wein, die weiblichen erpressten Milch von ihren Kühen. Der erste wurde im Ort getrunken, die zweite wurde den Stadtleuten zugeführt. ... Gegenüber unserem Fenster zog sich ein großer Garten hin, an dessen Ende der heilige Johannes von Nepomuk stand. Vor ihm lag ein breiter Rasenfleck, und auf dem blies in der Frühe der Halter. Darauf schwankten im langsamen Trott aus allen Haustoren die Kühe heran. Waren alle beisammen, so zogen sie mit ihrem Führer zur Au an der Wien. ... Im Nachbarort Hacking hatten sie keine Schule, so kam denn die Hackinger Jugend zum Unterricht nach St. Veit und begann mit der St. Veiter Jugend häufig ein erhebliches Gebalge. ... Dann und wann tauchte ein wilder Mann vor dem Fenster auf. Er hatte ein Gesicht von tausend Falten, einen struppigen grauen Bart und rotgeränderte Augen, die fortwährend tropften. Es war der alte Rauch, ein Armenhäusler.
Hietzing
Josef Kraft wurde am 16. Oktober 1879 in Unterstinkenbrunn, Bezirk Mistelbach, geboren. Als begabter Zögling des bischöflichen "Kleinen Seminars" besuchte er das humanistische Gymnasium in Hollabrunn. Nach der Matura begann er ein Theologiestudium am Wiener Priesterseminar, nach nicht ganz zwei Semestern reifte in ihm die Erkenntnis, für diese Aufgabe keine Berufung zu haben. Er wandte sich daher dem Studium der Geschichte, Geographie, Kunst- und Literaturgeschichte auf den Universitäten Wien und Innsbruck zu, der katholische Glaube blieb aber weiterhin die Wurzel seines Wesens. 1905 promovierte er in Innsbruck mit der Arbeit „Das historische Jahrzeitenbuch des Erzherzogtums Österreich ob der Enns von Richard Strein Freiherr von Schwarzenau. Eine quellenkritische Untersuchung.“ Schon frühzeitig hatte er sich für die historischen Hilfswissenschaften interessiert und war bereits 1903 dem Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien beigetreten, dessen Generalsekretär und langjähriges Ausschussmitglied er später werden sollte. Im März 1905 trat er als Praktikant in das Statthaltereiarchiv Innsbruck ein. 1907 bestand er in Wien die Staatsprüfung für den Archivdienst am „Institut für Österreichische Geschichtsforschung“ und erhielt im gleichen Jahr eine definitive Anstellung in Innsbruck. Dort brachte er es bis zum Staatsarchivar I. Klasse und wurde zudem mit der Führung der Geschäfte am Tiroler Landesarchiv (Ständischen Archiv) betraut.
Am 21. März 1921 heiratet der 42jährige Josef Kraft in Wien St. Stefan die aus Oberschoderlee stammende Lehrerstochter Rosa Roßmiller, die er bei einem Verwandtenbesuch in Innsbruck kennengelernt hatte. Im gleichen Jahr erlangte er seine Berufung nach Wien an das Archiv für Niederösterreich und übernahm zwei Jahre später dessen Leitung. Die Familie der Brauteltern war bereits 1912, nach der Pensionierung des Vaters Anton Roßmiller, nach Wien Ober St. Veit übersiedelt. Auch die Familie Kraft bezog nach ihrer Verehelichung eine Mietwohnung in Wien-Ober St. Veit, Auhofstraße 142a. In unmittelbarer Nähe, in der Hagenberggasse 10, besaßen sie einen Garten, in dem sich die Familie Kraft gerne aufhielt. Der Ehe entstammt eine Tochter - Elisabeth (verehelichte Dr. Klötzl, Mutter des vielen Ober St. Veitern aus Vorträgen im Bezirksmuseum Hietzing und anlässlich der „Raiffeisen-Spaziergänge“ bekannten Dr. Gebhard Klötzl).
Josef Kraft war leidenschaftlicher Landes- und Heimatkundler und ein geborener Archivar, der mit Sorgfalt und Hingabe die Quellen ordnete, inventarisierte, bereitstellte und natürlich auch ausschöpfte. Sein Bestreben war es stets, die Schätze seiner Archive einem größeren Kreis zugänglich zu machen. Ab dem Jahre 1908 erschien daher eine Fülle von Arbeiten zur Tiroler, Niederösterreichischen und Wiener Landes-, Stadt- und Ortskunde, sowohl kunstgeschichtlicher als auch heimatkundlicher
Josef Kraft 1943/44.
Er schrieb das Buch „Aus der Vergangenheit von Ober St. Veit“
Quellen:
Eminger Erwin:
Menschen aus dem östlichen Weinviertel, Heimat im Weinland, heimatkundliches Beiblatt zum Amtsblatt der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach, Jahrgang 1995/1;
Klötzl, Gebhard, Privataufzeichnungen 1985;
Kraft, Josef:
Aus der Vergangenheit von Ober-St. Veit. Wien: Europäischer Verlag, 1952;
Lechner, Karl:
Josef Kraft, Sonderabdruck aus „Unsere Heimat“, Jahrgang 18, Nr. 7–12, 1947;
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Natur. Die Artikel erschienen vor allem in den landeskundlichen Zeitschriften der jeweiligen Regionen, aber auch in Tages- und Wochenzeitungen. Dabei ist es erstaunlich, wie der geborene Niederösterreicher sich auch in die Landschaft, die Geschichte und das Volkstum Tirols einleben konnte. Mit seiner Übersiedlung nach Wien wuchs natürlich die Zahl seiner Arbeiten über Niederösterreich und insbesondere seiner Weinviertler Heimat erheblich. Sein Interesse gehörte vor allem dem kleinen, unscheinbaren Geschehen, dem bäuerlichen Leben und er wurde vielleicht der beste Kenner der Geschichte des niederösterreichischen Bauerntums. Dabei verstand er es, aus den trockenen Quellen lebendiges Geschehen herauszulesen und anschaulich darzustellen. Er widmete sich Themen wie dem Verhältnis zwischen Herrschaft und Bauer, dem geistigen und kulturellen Leben der Bauern und seinen mannigfachen Verzweigungen und Ausprägungen und auch dem religiösen und pfarrlichen Leben. Die eigentliche Tätigkeit im Archiv für Niederösterreich umfasste die Benützerbetreuung, wo häufig Weinviertler Pfarrer und andere Heimatforscher zu seinem „Kundenkreis“ gehörten.
Wann immer es möglich war, zog es ihn in seine Heimatgemeinde Unterstinkenbrunn zurück. Eine herzliche Freundschaft verband ihn auch mit der Pfarre Mauer bei Wien. Hofrat Dr. Josef Kraft starb am 19. Mai 1945 an einer Embolie im Krankenhaus in Bad Hall in Oberösterreich, wohin sie von einer befreundeten Familie im Frühjahr 1945 eingeladen worden waren, um den häufigen Bombenangriffen in Wien zu entgehen. Am 4. Juni 1947 wurde er, seinem persönlichen Wunsche entsprechend, auf den Friedhof seines Geburtsortes Unterstinkenbrunn umgebettet. Dass bei dieser Gelegenheit ganz Unterstinkenbrunn „auf den Beinen war“, bestätigte seine Bekanntheit und Beliebtheit in dieser Region.
Die Bibliographie des Historikers und Heimatforschers Josef Kraft umfasst 136 Beiträge und das posthum erschienene Heimatbuch „Aus der Vergangenheit von Ober St. Veit“. Dieses ist bis zum heutigen Tage das einzige umfassende lokalhistorische Werk über Ober St. Veit geblieben und diente praktisch allen zur Zeit gängigen Hietzing-Büchern als Haupterkenntnisquelle zur Ober St. Veiter Lokalgeschichte. Wegen des plötzlichen Todes von Josef Kraft blieb sein Manuskript unvollendet und reicht nur bis etwa 1800 – eine bis heute nicht geschlossene Lücke. Seiner Witwe gelang es, einen Historiker (Dr. Rudolf Till) zu finden, der die hinterlassenen Aufzeichnungen in die Form eines Buches brachte, welches schließlich 1952 erschien. Heute ist das Buch nur mehr über Antiquariate erhältlich.
Wegen seiner Verdienste für die Ober St. Veiter Lokalgeschichtsforschung erfolgte mit Gemeinderatsbeschluss vom 5. März 1987 die Benennung eines Weges beim Ober St. Veiter Friedhof in „Josef-Kraft-Weg“.
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Heinrich Lammasch , Professor für Strafrecht, Rechtsphilosophie und Völkerrecht an der Universität Wien ab 1889, Mitglied des Herrenhauses ab 1899 war in den letzten Jahrzehnten der Monarchie der führende Strafrechtsgelehrte in Österreich und die treibende Kraft bei der Strafrechtsreform. Internationale Reputation erlangte er durch seine Arbeiten zum Asylrecht, seine Tätigkeit als wissenschaftlicher Berater der österreichischen Delegation bei den Internationalen Friedenskonferenzen in Den Haag (1899 und 1907) und als Präsident des dortigen Ständigen Internationalen Schiedsgerichtshofes von 1900 bis 1910. Im Juni 1914 wurde er an der Universität Oxford mit einem Ehrendoktorat ausgezeichnet.
Von 1909–1914 wohnte Lammasch mit seiner Familie in Hietzing in dem neuerbauten Haus Maxingstraße 12 – dies war auch die Wiener Adresse von Mitsuko Coudenhove-Kalergi. Er warnte vor der zu engen Anlehnung Österreichs an das Deutsche Reich und sah darin die größte Gefahr für den Frieden, nachdem er erlebt hatte, dass die Repräsentanten des Deutschen Reiches bei der Zweiten Friedenskonferenz in Den Haag eine Schiedsgerichtspflicht bei Konflikten verhinderten. In diesem Punkt war er am ehesten einer Meinung mit Bertha von Suttner, die er von 1901 bis 1905 für den Nobelpreis vorgeschlagen hat, obwohl er ihrem eher „emotional“ denn rational begründeten Pazifismus misstraute. Realistischer als sie und ermutigt durch seine erfolgreiche Tätigkeit in Den Haag galten all seine Bemühungen dem Ausbau des Völkerrechts und internationaler Institutionen.
Im Sommer 1914 warnte er vor der drohenden Eskalation zum Krieg. Nach dessen Ausbruch verfiel er nicht der Kriegspsychose (bis 1916 wurde die Kriegspolitik ja auch von den Sozialdemokraten unterstützt), sondern warb in einer Atmosphäre des Hasses für die gegenseitige Achtung der Nationen und einen tiefgreifenden Frieden, nicht bloß zwischen den Regierungen, sondern auch zwischen den Völkern. In den Jahren 1917 und 1918 hielt Lammasch im wieder einberufenen Herrenhaus drei Reden, in denen er sich für einen Verständigungsfrieden einsetzte: „Hören Sie darum meine Herren auf die Stimme der Menschlichkeit, auf die Stimme der Vernunft, auf die Stimme der Christenheit. Der sogenannte Siegfriede wäre nur ein fauler Friede, ein Waffenstillstand vor einem noch gewaltigeren und entsetzlicheren Waffengang.“ Seine Reden wurden von zahlreichen Anfeindungen und Zwischenrufen begleitet wie „Wir wollen Krieg und Sieg!“, die geforderte Distanzierung vom expansionistischen Bündnispartner Deutschland wurde als Verrat angesehen.
Das mutige Auftreten von Lammasch gegen seine eigene Klasse machte aber einen starken Eindruck. Karl Kraus bezeichnete ihn als Patrioten im tieferen Sinn und brandmarkte die politische Führung als die eigentlichen Hochverräter. Karl Renner stellte
Eine Biografie,
verfasst von Dieter Köberl
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Heinrich Lammasch.
Foto um 1910 von Isidor Harkányi
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später fest, dass Lammasch mit seinen Warnungen recht gehabt hatte, aber damals nur Spott und Verwünschung erntete. Für Josef Redlich ist Lammasch der moralische Sieger geblieben, während alle Parteien versagt hätten.
In Salzburg hatte der katholische Gelehrte Lammasch nicht nur mit Ignaz Seipel Kontakt, sondern auch mit Stefan Zweig und dem bereits 1912 von Ober St. Veit nach Salzburg übersiedelten Hermann Bahr, dessen offener, kriegspatriotischer Brief nach Kriegsbeginn an Hugo von Hofmannsthal (am Lagerfeuer!) die heftige Kritik von Karl Kraus hervor rief. Dieser hatte ja bereits fünfzehn Jahre früher die Tätigkeit und Bestechlichkeit Bahrs als Theaterautor und -kritiker in Zusammenhang mit dem Erwerb des Baugrunds für seine Olbrich-Villa in Ober St. Veit angeprangert. In den letzten Tagen der Monarchie war der wendige und vielseitige Hermann Bahr in das Lager der Pazifisten gewechselt und versuchte zum Entsetzen Hofmannsthals mit Hilfe seiner Beziehung zu Lammasch ein mehrjähriges Engagement seiner Frau an der Oper zu erzwingen. In seinem Nachruf auf Lammasch stellte Bahr fest, wie sehr der eine Mann den Verleumdungen der Kriegspatrioten standgehalten hat.
Im Oktober 1918 wurde Lammasch zum letzten k.k. Ministerpräsidenten ernannt. An eine Rettung der Monarchie war nicht mehr zu denken, aber er konnte Kaiser Karl zum Verzicht auf die Staatsgeschäfte bewegen und eine friedliche Übergabe gelang. Lammasch empfahl seinem klein gewordenen Vaterland einen selbstständigen, neutralen Status nach dem Vorbild der Schweiz und entwickelte Vorschläge für eine europäische Friedensordnung im Rahmen des Völkerbunds. Im Folgejahr nahm er ebenso wie der aus Ober St. Veit stammende Rudolf Slatin-Pascha als Sachverständiger an der Friedenskonferenz in St. Germain teil, ihre hervorragende Stellung ist aus dem Foto der Delegation ersichtlich.
Nach dem Ersten Weltkrieg war das Weltkriegsgedenken zunehmend von Verdrängung, Verharmlosung und der „Dolchstoßlegende“ bestimmt, zahlreiche „Heldendenkmäler“ entstanden. Hunderttausend Menschen säumten den Weg des Trauerkon
Die österreichische Delegation 1919 bei den Friedensverhandlungen von
St. Germain-en-Laye.
Als Ergebnis wurden die Auflösung der Monarchie und die Bedingungen für die neue Republik Österreich diktiert. Sitzend 2.v.l.: Rudolf Slatin Pascha; 4.v.l.: Karl Renner; 5.v.l.: Heinrich Lammasch.
© IMAGNO/Ullstein
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Den Freund und Trabanten Nestroys machte das Genre des lokalbezogenen humoristischen Schrifttums populär. Was er für die Bühne schrieb, war zeitgebunden, ist längst vergessen, aber seine Herausgeberschaft der „Hans-Jörgel-Briefe“ sichert ihm einen Platz in der Wiener Lokalgeschichte. Dieses im Wiener Dialekt geschriebene, volkstümliche satirische Wochenblatt gab es seit 1832, die Herausgeberschaft und alleinige Redaktion hatte Anton Langer im März 1850 übernommen und bis zu seinem Tod weitergeführt. Das Blatt unterlag seit seiner Gründung mehreren Namenswechseln.
Sein Landhaus befand sich im alten Speising, wo auch eine Gasse nach ihm benannt ist.
Eine Kurzbiografie aus
Gunther Martins Feder
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dukts beim Begräbnis Conrad von Hötzendorfs im Jahr 1925, von der Ringstraße bis zur Maxingstraße und zum Hietzinger Friedhof.
Eine Persönlichkeit wie Heinrich Lammasch, der unbeirrt gegen den Krieg und gegen Völkerrechtsverletzungen aufgetreten ist, der sich für internationale Institutionen, die friedliche Auflösung der Monarchie, die Errichtung einer unabhängigen, neutralen Republik und die Etablierung einer weltweiten Friedensordnung eingetreten ist, geriet in der Zeit des erstarkenden Nationalismus und Revanchismus zunehmend in Vergessenheit. Sein Tod im Jänner 1920 fand nur geringe Beachtung, Stefan Zweig berichtet an Romain Rolland erschüttert von dem Begräbnis mit nur fünf Trauergästen: „So begräbt man die Besiegten unsterblicher Ideen. Mir bleibt für immer ein Ekel vor jeglicher Politik“. Karl Kraus äußert in seinem Nachruf den Wunsch, „dass die Zeit, die seines Lebens nicht würdig war, durch sein Andenken Ehre gewinnen möge“.
Ein Wunsch, der bis heute offen ist!
Hietzing
Arzt und Kunstmäzen. Berufliches Ansehen und persönliches Format wiesen dem aus der Toscana stammenden Wahlösterreicher eine führende Rolle in der Wiener Gesellschaft seiner Epoche zu. Er war Leibarzt des Herzogs von Reichstadt und Begründer der Gesellschaft der Ärzte. Jahrelang zählte der hochgebildete und sehr musische Mann zu den Vertrauten Beethovens, dem er auch medizinisch beistand.
Im Haus des „prächtigen Malfatti“ brillierte der junge Chopin bei sommerlichen privaten Soireen. Malfatti- Villa auf dem Küniglberg, ein klassizistischer Landhausbau bei der Gloriettegasse, heute Franz-Schalk-Platz. Nach dem Tod des Arztes verkam der Bau allmählich und wurde abgetragen. Von 1893–1931 stand an seiner Stelle das Gartenpalais im Stil der Hermesvilla des Bankiers Theodor Ritter von Taussig.
Eine Kurzbiografie aus
Gunther Martins Feder
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Fast blind, war er seit 1926 Organist der Pfarre Ober St. Veit. Das Entgelt war spärlich, er war bei keiner Versicherung angemeldet. Erst 1950 wurde entdeckt, dass der Mann nicht einmal eine Krankenkasse hatte. Er wurde von Pfarrer Stur sofort angemeldet, allerdings nur mehr bei der Krankenkasse, denn er war bereits über 60 Jahre alt und damit zu alt für eine Rentenversicherung. Er erhielt bloß eine Fürsorgerente. Er war Musiker mit Leib und Seele, die Begleitung des Kirchengesanges war ihm ein Herzensbedürfnis. Er spielte alles auswendig (ein Auge ganz blind, auf dem anderen fast blind). Bei Jedem Gottesdienst, früh oder abends, selbst bei den frühen Roratemessen war er anwesend, bei jeder Trauung, bei allem, was verlangt wurde, war er pünktlich zur Stelle.
Eine besondere Leistung erbrachte er zu Kriegsende. Während der letzten Kriegstage blieb er im Pfarrhof und nutzte ein Matratzenlager auf dem Boden der Pfarrkanzlei. Von hier aus holte er den Messwein aus dem Schottenstift im 1. Bezirk, die Hostien aus dem Karmel Baumgarten, die Kerzen vom Metzger am Stephansplatz, und das alles als fast blinder Mann. Bis zu seiner schweren Erkrankung mit 80 Jahren saß er immer wieder an seiner geliebten Orgel, nebenbei gab er blinden Leidensgefährten in der Josefstädter Blindenanstalt Klavierunterricht.
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Kindheit und Jugend verbrachte er in Hietzing und Salzburg. Er veröffentlichte zahlreiche Sachbücher zur österreichischen Kulturgeschichte. Als freiberuflicher Autor kulturhistorischer Sachbücher (Memoiren und Militaria, „Das Silberne Vlies“, „Als Victorianer in Wien“ etc.) und Übersetzer aus dem Englischen zeichnete er für rund 40 Bücher verantwortlich. Auch als Kulturpublizist war er in Wien und Salzburg tätig.
Aus Hietzinger Sicht sind vor allem die beiden Bücher „Damals in Hietzing“ und „Hietzinger Geschichten“ bemerkenswert. Letzteres ist 1989 bei Jugend & Volk erschienen und darin bettet Gunther Martin in kaleidoskopischer Weise bemerkenswerte Menschen und Begebenheiten in sein umfangreiches literarisches und musikalisches Wissen. Die Geschichten schweben zwischen Realitiät und dem imaginierten Leben bzw. den erahnten Stimmungen der damaligen Zeit. Mit dem späteren Lebensmittelpunkt in Salzburg blieb er Hietzing immer verbunden und sammelte und pflegte seine Erinnerungen von Kindheit an als Basis für dieses Buch.
Hietzing
Er verweigerte als Bischof von Valence den Treueeid auf die französische Republik und ging 1801 ins Exil, zunächst nach London, dann als Gast des Wiener Erzbischofs ins Schloss Ober St. Veit. Hier starb er 1806.
Auf seiner Grabplatte am Ober St. Veiter Friedhof ist zunächst nicht sein Name zu lesen, sondern „Ant(on) Jos(ef) Card(dinal) Gruscha“ und dann eine etwas weniger verständlicher lateinischer Text. Das hat immer wieder zu dem irrtümlichen Glauben geführt, dass in diesem Grab der Kardinal Gruscha liegt. Der liegt aber in Wahrheit in der Bischofsgruft unter dem Stephansdom. Die Übersetzung des Textes lautet jedoch: „A.J. Gruscha, Fürsterzbischof von Wien ließ die Gebeine aus dem alten Friedhof bergen und an diesem Ort beisetzen. Anno Domini 1905“. Es ist nicht erwähnt, wessen Gebeine er bergen ließ, aber das kann man durch einen Blick in das alte Gräberbuch des seinerzeitigen Friedhofes am heutigen Streckerpark herausfinden: Es sind die Gebeine des Bischofs der südfranzösischen Stadt Valence, Gabriel Melchior de Messey.
De Messey war dem vatikanischen Bischöfeschematismus entsprechend 1788 zum Bischof von Valence ernannt worden. Dass er sein Amt in den napoleonischen Wirren zunächst nicht antreten konnte, hing mit der Gefangenschaft Papst Pius VI. in Valance (als Gefangener der französischen Republik) zusammen. Schließlich verlangte man von De Messey als Bedingung für seinen Amtsantritt, einen Treueeid auf die französiche Republik abzulegen. De Messey weigerte sich und ging 1801 mit einer Gruppe Bischöfe ins Exil, zunächst nach London, von dort verschlug es ihn als Gast des Wiener Erzbischofs ins Schloss Ober St. Veit. Hier starb er 1806 an „Nervenfieber“. Bestattet wurde er im Streckerpark, sogar mit einer kleinen Kapelle, 1904 wurde das Grab schließlich – wie in der oben genannten Inschrift bekundet - auf den neuen Friedhof übertragen.
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Text nach Vorträgen von
Felix Steinwandtner
und Gebhard Klötzl
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Franz Xaver Meyer wurde 1933 als Sohn des Tenors und Vorstands des Wiener Domchors Rudolf Meyer geboren. Seine musikalische Ausbildung erhielt er vor allem an der Akademie für Musik und darstellende Kunst Wien. An der Universität Wien promovierte er 1959 mit einer Dissertation über „Die beschwerte Hebung im Nibelungenlied“ zum Doktor der Germanistik.
Ab seinem zehnten Lebensjahr war er Wiener Sängerknabe und danach Mitglied der Wiener Kantorei und der Wiener Singakademie.
1951 gründete Xaver Meyer gemeinsam mit Clemens Papak den Wiener Madrigalchor. Zum Anliegen Xavers wurde die Uraufführung neuer österreichischer Chormusik und deren Erstaufführung auf Reisen.
Die ein oder zwei Konzerte im Goldenen Saal des Musikvereins gehörten zu den absoluten künstlerischen Höhepunkten einer Saison. Diesen Saal hielt Xaver Meyer für den berühmtesten Saal der Welt mit der besten Akustik. Ungefähr 100mal trat der Madrigalchor dort auf und dort gab er auch sein Abschiedskonzert am 19. März 2006. Außer dem Hauschor des Musikvereines, dem Singverein, ist dort niemand öfters aufgetreten. Die internationale Bedeutung des Madrigalchors wurde durch zahlreiche andere Konzerte in Wien, den Bundesländern und in 18 europäische Ländern (darunter Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Norwegen, Schweden etc.) unterstrichen.
Über das Dirigat des Madrigalchors hinaus war Xaver Meyer Dirigent bzw. Chormeister verschiedener anderer Ensembles von den Wiener Sängerknaben bis zum Wiener Männergesang-Verein und Gastdirigent in- und ausländischer Ensembles. Außerdem war er in verschiedensten anderen kulturellen Funktionen Tätig, als Pädagoge, Fachberater, Juror etc. und spielte die Kirchenorgel im Rahmen von Gottesdiensten.
Zwischen 1960 und 1994 unterrichtete er an mehreren Wiener Gymnasien die Fächer Musik und Deutsch, zuletzt am Goethe-Gymnasium Astgasse. Dessen Schulchor „Wiener Goethekantorei“ gründete und leitete er ebenfalls.
Xaver Meyer lebte in Ober St. Veit und Ober St. Veit war auch die Heimstätte des Madrigalchors, hier wurde immer geprobt. Über 500-mal sang der Chor alleine in der Ober St. Veiter Pfarrkirche, oftmals in anderen Hietzinger Lokalitäten wie dem St. Josef Krankenhaus, dem Theatersaal des Klosters in der Wittegasse, im Schloss Schönbrunn, im Amtshaus usw. Endgültig verabschiedete sich Yaver Mayer in zwei Auftritten mit dem Wiener Madrigalchor, und zwar am 9. Juni 2006 im Hof des Schlosses Ober St. Veit mit „Eine kleine Nachtmusik“ und am 18. Juni 2006 in der Pfarrkirche mit Mozarts Krönungsmesse.
Er wurde am Ober Sankt Veiter Friedhof bestattet, die Liste an Ehrungen ist lang.
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Ein Foto Xaver Meyers mit Autogramm
Mehr zum Wiener Madrigalchor auf →Seite 691
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„Feldarbeit“, d.h. die exakte Bestandsaufnahme an Ort und Stelle, war dem Topografen und Hofrat des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen aus seiner Activitas vertraut.
Systematiker ebenso wie musischer Mensch, wandelte er den Ruhestand in eine Periode regster Tätigkeit um. Auf unzähligen Erkundungstouren erarbeitete er, Haus für Haus, das Material zu seiner Topografie Wiens, ein genaues Verzeichnis der noch existierenden Häuser aus dem Biedermeier. In sieben Bänden erschienen, allgemein verständlich ohne an fachlichem Niveau einzubüssen, hat diese „Topographia Messneri“ besonderen wissenschaftlichen Rang.
Er wohnte in der Trauttmansdorffgasse 27.
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Eine Kurzbiografie aus
Gunther Martins Feder
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Er war Forschungsreisender, Expeditionsbergsteiger, Schriftsteller, Vortragender, Alpinpädagoge. Vom Vater hatte er die Leidenschaft für das Bergsteigen, vom Bergsteigen die Verantwortung für den Mitmenschen. Wohnhaft war er in der Versorgungsheimstraße, begraben ist er am Hietzinger Friedhof.
Fritz Moravec wurde als Sohn eines Lokomotivführers in Wien geboren. Da er vorerst nicht studieren wollte, erlernte er den Beruf des Kraftfahrzeugmechanikers; erst nach dieser Fachausbildung entschied er sich dafür, Maschinenbau zu studieren.
1942 rückte Fritz Moravec zu den Gebirgstruppen ein, wo er als Hochgebirgssanitäter im Kaukasus eingesetzt war. Nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1946 war er zwei Jahre als Arbeitsinspektor tätig. Nach weiteren Studien in Psychologie und Pädagogik nahm er eine Stelle als Fachlehrer an der Berufsschule für Schlosser an.
Die Leidenschaft für das Bergsteigen wurde Fritz Moravec sozusagen in die Wiege gelegt, sein Vater war im ersten Weltkrieg an der Dolomitenfront Militärbergführer und von ihm hatte er die Begeisterung für die Berge bekommen. Während sich der Vater im steilen Fels zu Hause fühlte, reizte den Sohn das extreme Eisklettern.
In den Nachkriegsjahren führten die ersten Bergfahrten Fritz Moravec' in die Hochschule der Wiener Kletterer ins Gesäuse und in zahlreiche Berggruppen der Hohen Tauern. Stets fühlte er sich mit der Jugend sehr verbunden, leitete eine Jugendgruppe, führte im Sommer Jungbergsteigerlager, hielt Eis- und Kletterkurse für junge Menschen ab und fand seine Freude darin, jungen Menschen die Schönheit der Bergwelt näher zu bringen.
1950 war es Österreichern wiederum möglich – allerdings mit Visa – Auslandsreisen zu unternehmen. Mit seinem Fahrrad radelte er in die Schweiz, zum Berg der Berge, dem Matterhorn.
Jahr für Jahr fuhr er in die Westalpen. Die großen Eiswände und Überschreitungen hatten es ihm angetan. Einige Westalpenfahrten: Breithorn-Nordwestwand, Lyskamm-Diretissima, Nordwand, Castor-Nordwestwand, gesamte Nadelgratüberschreitungen und andere 12 Viertausender erstieg er. Seine Vorliebe galt stets dem Steileis.
1954 wurde er in die erste von der Österreichischen Himalaya-Gesellschaft veranstalteten Expedition berufen, zum Saipal, 1955 wurde er mit der Leitung der „Afrika-Ruwenzori Expedition“ betraut, 1956 führte er eine Expedition zum 8035 m hohen Gasherbrum ll, wo ihm und zwei Bergsteigern (Sepp Larch und Hans Willenpart) die Erstersteigung gelang. Es folgten weitere Expeditionen in Ostafrika, auf Spitzbergen und im Himalaya.
1962 kam die Wende im alpinen Leben von Fritz Moravec. Einerseits bot man ihm die erste holländische Himalaya-Expedition als bergsteigerischer Leiter in den Lang-Tang-Himal an, anderer
Quelle:
„Fenster in die Vergangenheit“, Lokalgeschichtliche Schriftenreihe des 13. Wiener Gemeindebezirkes.
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Prof. Fritz Moravec
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seits boten ihm die Naturfreunde die Chance, in der Glocknergruppe eine Bergsteigerschule aufzubauen. Moravec entschied sich für das Ausbildungsprojekt. 30 Jahre leitete er die Hochgebirgsschule Glockner-Kaprun, die nach seinem Tode in „Fritz Moravec-Hochgebirgsschule“ umbenannt wurde. Mit Freude und Stolz erfüllte es ihn, dass die von ihm kreierten speziellen alpinen Kinderausbildungskurse weltweit anerkannt wurden.
Aber auch in dieser Zeit kamen die Expeditionen nicht zu kurz: Höhlen in Israel, zum Aconcagua, nach Lahul im Himalayaetc. Von 1980 bis 1996 war Moravec 40 Mal in Tibet, davon ging er acht Mal die Umrundung des Heiligen Berges „Kailash“.
Zu seinem „Traumland Tibet“ kam Moravec durch das Buch von Dr. Herbert Tichy „Zum heiligsten Berg der Welt, zum Kailash“, das ihm sein Vater zu seinem 15. Geburtstag schenkte. Tichy und Moravec wurden in späteren Jahren Freunde und wollten sogar 1988 nochmals gemeinsam den Berg Kailash umrunden. Leider starb Tichy 1987. Moravec konnte nur mehr das Vermächtnis Tichys erfüllen, seinen am Cho Oyu erfrorenen Finger an der Nordseite des Kailash in die Erde zu legen.
Ab dem Jahre 1992 begründete Fritz Moravec zwischen fünf tibetischen und österreichischen Schulen Partnerschaften, um den Kindern die Kultur des jeweils anderen Landes näher zu bringen.
Fritz Moravec schrieb vier Bücher: Weiße Berge – Schwarze Menschen (1958), Dhaulagiri – Berg ohne Gnade (1960), Gefahren und Gefährten – Abenteuer auf Spitzbergen (1961), Himalaya-Bergsteigen einst und heute – von den ersten Erkundungen zu den käuflichen Gipfeln (Erschien 1998 nach seinem Tode). Weiters verfasste er zahlreiche Artikel in alpinen Zeitschriften und drehte zahlreiche Bergfilme, von denen einige auch bei internationalen Wettbewerben Preise erzielten. Darüber hinaus hielt Fritz Moravec die ersten Bergfilmfestivals in Wien ab.
Der Klub der Kinoamateure Österreichs veranstaltet, um dem Andenken an Fritz Moravec besonderen Wert zu verleihen, jährlich einen international ausgeschriebenen Bergfilmwettbewerb: „Fritz Moravec International Cine & Video Award for Alpine Movies”.
Am 17. März 1997, kurz vor seinem 75. Geburtstags starb Fritz Moravec in Wien, am 27. April 1999 (seinem 77. Geburtstag) wurde auf Antrag der Bezirksvorstehung Hietzing ein Weg auf den Küniglberg in „Fritz Moravec-Steig“ benannt.
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Clemens Papak wurde 1931 in Neutitschein (ehemals Südmähren) geboren. Nach der Matura (1949 in Wien) absolvierte er einen Abiturientenlehrgang am Technologischen Gewerbemuseum in Wien. Von 1952 bis 1993 arbeitete Papak in der österreichischen Finanzverwaltung als Buch- und Betriebsprüfer. 1980 erhielt er das „Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich“ und 1988 den Berufstitel „Regierungsrat“. Im Jahr 2005 wurde er mit dem „Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien“ als Persönlichkeit ausgezeichnet, die das Wiener Musikleben maßgeblich gestaltet und geprägt hat.
Dies geht in erster Linie auf den Wiener Madrigalchor zurück, den Clemens Papak gemeinsam mit Dr. Xaver Meyer im Jahr 1951 gegründet hatte. 42 Jahre lang hatte Clemens Papak die organisatorische Leitung dieses weltweit anerkannten Chors inne: Er organisierte zahlreiche Konzerte in Wien, den Bundesländern und in 18 europäische Länder (darunter Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Norwegen, Schweden etc.).
1974 gründete er gemeinsam mit Erna Reitmeyer in der Pfarre Ober St. Veit den Ober St. Veiter Seniorenklub und seitdem fanden monatlich Senioren-Nachmittage im Pfarrsaal am Wolfrathplatz statt. Für den Seniorenklub organisierte Clemens Papak auch Kulturveranstaltungen und Kulturreisen.
Der Rückzug aus dem „offiziellen“ Kulturleben der Region begann 1992 mit der Übergabe der organisatorischen Leitung des Wiener Madrigalchors an Ewald Königstein und endete im Jahr 2012 mit der Übergabe der Leitung und Organisation des Ober St. Veiter Seniorenklubs an Herbert Höfner.
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Clemens Papak am 18. April 2009 während der Festveranstaltung „35 Jahre Seniorenklub“ in der Pfarrkirche Ober St. Veit
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Der Arbeiterdichter Adolf Petzold wurde im heutigen 15. Bezirk geboren: „So kam der 24. September des Jahres 1882 heran. Meine Eltern bewohnten einen hölzernen Gartenpavillon, der zu einem uralten Wiener Haus in der Stadiongasse, jetzt Robert-Hammerling-Gasse, in Fünfhaus gehörte.“ Die heutige Adresse des Geburtsortes ist Robert-Hammerling-Gasse 28 in Rudolfsheim-Fünfhaus. Die erste Kindheit bis über das zweite Lebensjahr verbrachte Alfons Petzold in Penzing. Dann zog die Familie, die auf der Suche nach geschäftlichem Erfolg und erträglicher Lebensführung schon viel herumgekommen war, nach Szegedin in Ungarn. Der zunehmende Deutschenhass und das Herannahen des schulpflichtigen Alters von Alfons veranlassten die Familie 1887 zur Rückkehr nach Wien. Die ersten Monate verbrachten sie in Ober St. Veit und zogen dann nach Lerchenfeld, wo Alfons mit der Schule begann.
Die wenigen Absätze in seinem Roman, die sich auf Ober St. Veit beziehen, lauten:
Wir zogen in eine Haus in Ober-Sankt-Veit, das damals noch ein Wiener Vorort war. Es lag ganz im Grünen versteckt und war von einem großen Garten umgeben, der an den Park eines Frauenklosters grenzte. Ging man ein paar Schritte weiter, so sah man sich bald mitten in busch- und blumenreichen Auen, durch die die Wien floss, zu jener Zeit noch ein klarer, munterer Gebirgsfluss, im dem es unzählige Fischlein aller Art gab.
Im Vordertrakt des Hauses wohnte die Familie eines Hauptmannes mit einem gleichaltrigen Söhnchen. Wir waren beide bald unzertrennliche Spielkameraden und hatten als dritten im Bunde den Burschen des Hauptmannes, der sich mit uns unterhielt, wenn es ihm nur seine Zeit gestattete.
So sprangen wir bald im Garten umher, bald im Stall, der eine Seite des Hofes einnahm und wo sich die Pferde des Hauptmannes befanden. Der Höhepunkt unserer Glückseligkeit wurde erreicht, wenn uns der Bursche auf die Pferde setzte und diese mit uns zur Schwemme in die Wien führte.
Nicht geringer war meine Freude, wenn ich mit der Mutter zur Taufpatin fahren durfte, die im dritten Bezirk wohnte. An einem solchen Tag setzten wir uns schon am frühen Morgen in den engen, achtsitzigen Stellwagen und fuhren wohl zwei Stunden lang bis an die Mariahilferlinie. Dort stand mitten in buschigen Gärten, an den Linienwall angelehnt, ein Gasthaus, „Zur alten Hühnersteige“ genannt, wo wir unsere zerschüttelten Glieder zusammenklaubten und unbeschreibliche Würsteln mit Kren aßen, von denen das Paar fünf Kreuzer kostete. ..."
In der Jugend somit recht behütet, musste er im eigenständigen Leben alles versuchen, um wenigstes der ärgsten Not zu ent
Exzerpiert aus „Das rauhe Leben“, dem autobiografischen Roman des Arbeiterdichters Alfons Petzold, der im Vorschulalter kurz in Ober St. Veit wohnte.
Quelle:
Petzold, Alfons: Das rauhe Leben, Roman eines Menschen. Im Verlag „Das Bergland-Buch“, Deutsche Vereins-Druckerei A.G. Graz, 1932.
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Alfons Petzold , ca. 1910. Bildarchiv der ÖNB
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fliehen. Er war Taglöhner, Laufbursche, Bäckerlehrling, Schuhmacherlehrling, Aushilfskellner, Austräger, Schneeschaufler, Hilfsarbeiter, Metalldreher, Gipsschleifer, Fensterputzer und dazwischen immer wieder ohne Arbeit. Doch er überwand alles Elend und die gnadenlose Härte der Menschen dem Schwachen gegenüber. Den Aufstieg aus dieser trostlosen Enge verdankte er vor allem seinem unsersättlichen Drang nach Wissen und Bildung. Die Aufmerksamkeit und ein Brief Franz Karl Ginzkeys waren der Meilenstein auf dem Weg zum weisen Dichter mit tiefem sozialen Empfinden.
Alfons Petzold starb in Kitzbühel am 26. Jänner 1923.
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Die in Ober St. Veit geborene Erna besuchte die Volks- und Hauptschule bei den Dominikanerinnen und machte hier auch einen dreijährigen Fortbildungskurs. Dann wechselte sie in die Lehrerbildungsanstalt in der Kenyongasse und erwarb dort im Jahr 1936 die Befähigung zur Kindergärtnerin.
Erna war als Kindergärtnerin bei den Kindern sehr beliebt: Sie spielte und sang, bastelte und turnte mit ihnen und versuchte, die Kinder auf das Leben vorzubereiten.
Es kam das Jahr 1938: Erna trug immer ein Ketterl mit einem Kreuz um den Hals, sie erzählte den Kindern vom lieben Gott und betete auch mit den Kindern: Bald bekam sie Schwierigkeiten mit ihrer vorgesetzten Behörde: Erna wurde als Kindergärtnerin entlassen und in eine Kartenstelle versetzt. Doch ihre Augen waren für diese Büroarbeit zu schwach. Daraufhin kam sie in eine Fabrik: Sie arbeitete in der Rohrbacher-Fabrik als Schlosser-Gehilfin und nähte Plachen für Lastautos.
Ihr Bruder Günter fiel im Russlandfeldzug. Der Krieg ging Gott-sei-Dank im Jahr 1945 zu Ende, ihr Vater und der zweite Bruder kamen aus dem Krieg, der Wiederaufbau in Wien und Österreich begann.
Beruflich war Erna Reitmeyer nun im städtischen Kindergarten in Ober St. Veit, wo sie bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 1977 blieb. Sie war natürlich auch hier bei den Kindern als Tante Erna sehr beliebt!
Besonders aktiv war sie in unserer Pfarre Ober St. Veit. Sie spielte Theater in der Katholischen Jugend und in der Marianischen Kongregation, sie entwarf und nähte die Kostüme und führte auch manchmal Regie. Manche erinnern sich vielleicht noch an die wunderbaren Aufführungen im Theatersaal in der Vitusgasse oder später im Theatersaal in der Wittegasse in Unter St. Veit.
Erna war bei allen Festen mit dabei, putzte und wusch, wenn es notwendig war und half oft auch in der Kirche beim Putzen. Sie organisierte in der Pfarre ein wöchentliches Kinderbasteln mit Dutzenden Kindern und kaufte dafür auch einen elektrischen Brennofen. Sie half beim Flohmarkt und beim Weihnachtsmarkt in Ober St. Veit.
Es gab damals, vor fast 35 Jahren in Ober St. Veit noch keinen Seniorenklub. Bei einer Pfarrgemeinderats-Sitzung, es war schon knapp 10 Uhr abends, hatte Clemens Papak die Kühnheit, zu sagen: „Überall in unserer Umgebung in Lainz und auch in Hietzing gibt es schon einen Seniorenklub, nur nicht in Ober St. Veit. Man sollte doch ....“
Der damalige Pfarrer Dechant Hermann Kinzl war über diesen späten Einwurf alles andere als erfreut. Er haute mit der Faust auf den Tisch und sagte: „Redets net so gscheid daher, tuts lieber was! Und schloss mit einem bekannten Zitat. Es war Stille,
Inhaltliche Auszüge aus einer Rede von Herrn Clemens Papak anlässlich der Feier zur Benennung des Erna-Reitmeyer-Parks am 19. Oktober 2007.
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Erna Reitmeyer
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plötzlich lachte Dechant Kinzl sehr herzlich und meinte: „Kinder, seids net bös, aber es is schon sehr spät". Und Erna Reitmeyer dreht sich zu Clemens Papak und sagte: „Clemens, tun wir was ?!“ Und das war die Stunde der Entstehung des Ober St. Veiter Seniorenklubs.
Um schneller von einem Ort zum anderen zu kommen, lernte Erna in reifen Jahren das Radfahren und machte damit Ober St. Veit und Hacking ein bisschen unsicher. Doch die damaligen Autofahrer kannten sie und machten – wenn nötig – einen großen Bogen um sie.
Anlässlich ihres 80. Geburtstages im Jahr 1998, den die Pfarre Ober St. Veit mit einer Fahrt nach Mariazell groß feierte, bekam sie auch einen silbernen Radfahrer auf einem Marmorsockel geschenkt. Bei der Aktion „Helden des Alltags“ wurde Erna vom Herrn Bezirksvorsteher Dipl.-Ing. Heinz Gerstbach groß gefeiert, und Erna bekam einen wunderschönen Bergkristall.
Die letzten Jahre ihres Lebens waren von Krankheit und Behinderung gezeichnet. Im Jahr 2001 erlitt Erna Reitmeyer im Krankenhaus eine Gehirnblutung. Sie überlebte diese zwar, konnte aber nicht mehr sprechen und war völlig gelähmt. Sie wurde von ihren beiden Schwestern zuhause gepflegt.
Im Jahr 2002 verstarb Erna in ihrem 85. Lebensjahr, sie trug 50 Jahre die Pfarre Ober St. Veit mit. Ihr letzter Wunsch war: bitte keine Blumen oder Kränze! So wurden die Spenden, die als Kranzablösen eingegangen waren für die Restaurierung des Bildes am Ober St. Veiter Marienaltar verwendet.
Erna Reitmeyer war körperlich nicht sehr groß gewachsen, sie war aber eine große Persönlichkeit, an die sich noch viele Erinnern. Herr Bezirksrat Hochmuth hatte die Idee, den Park an der Abzweigung der Schloßberggasse von der Erzbischofgasse nach Erna Reitmeyer zu benennen, er brachte diesen Antrag ein, und alle Fraktionen des Bezirkes nahmen diesen Vorschlag einstimmig an.
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Georg Saatzer wurde 1926 in Wien geboren. Er wuchs zuerst in Eisenstadt und dann in Wien-Hietzing auf, dort lebte er den längsten Teil seines Lebens. 2004 starb er in Achau bei Wien.
Nach dem Gymnasium in der Fichtnergasse studierte er von 1945 bis 1950 an der Akademie der Bildenden Künste in Wien bei Sergius Pauser und Christian Ludwig Martin und schloss dieses Studium als akademischer Maler ab. 1949 legte er die Lehramtsprüfung für Bildnerische Erziehung und Werkerziehung ab und unterrichtete diese Fächer von 1949 bis 1985 am Gymnasium Wien 12., Rosasgasse. Wichtige Impulse gab ihm ein Aufenhalt an der Salzburger Sommerakademie in der „Schule des Sehens“ bei Oskar Kokoschka. 1961 wurde er in die Gesellschaft bildender Künstler Österreichs, Künstlerhaus Wien, aufgenommen.
Viele seiner Werke entstanden auf Spaziergängen in seinem Heimatbezirk sowie auf Urlaubsreisen und Ausflügen. Er zeichnete und malte gern nach der Natur. Einige, vor allem großformatige Werke, entstanden im Atelier nach Naturstudien. Viele seiner Werke haben durch ihre Naturtreue neben dem künstlerischen auch dokumentarischen Wert, da zahlreiche von ihm dargestellte Gebäude und andere Motive heute nicht mehr bestehen oder verändert sind. Er war auch als Illustrator von Jugendbüchern tätig.
Sein Werk umfasst einen Zeitraum von etwa 50 Jahren, von ca. 1950 bis 1999. Der Künstler verwendete verschiedene Techniken, z.B. Zeichnungen mit Bleistift, Kreidestift und Tusche, lavierte Federzeichnungen mit schwarzer Tusche und Sepiatusche, in der Druckgraphik vor allem Linolschnitt und Radierung. Für seine Gemälde verwendete er Öl, Aquarell und Tempera.
Seine Motive waren neben Gebäuden und Landschaften auch Tiere, die er im Schönbrunner Zoo oder bei Ausflügen auf Bauernhöfen zeichnete. Auf Wunsch fertigte er auch Portraits und Stillleben an.
Der Künstler war auch ein begeisterter Liebhaber klassischer Musik.
Quelle:
Dr. Margarete Platt,
geb. Saatzer, in der
Perchtoldsdorfer Rundschau 10/2006;
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Prof. Georg Saatzer um 1965.
Foto von Dr. Margarete Platt
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Heinrich Schönich ar von 1888 bis 1891 letzter Bürgermeister von Unter St. Veit. Er wurde am 26.10.1843 in Mährisch Rothwasser (Červena Voda) in Nordostmähren geboren und lernte dort die Schlosserei. Als 22-jähriger Geselle kam er 1865 nach Unter St. Veit und fand Beschäftigung bei einem nicht näher eruierbaren Schlossermeister Eduard Kolb. 1870 legte er die Meisterprüfung ab und er machte sich in Unter St. Veit mit einer eigenen Schlosserei selbstständig, 1872 heiratete er in der Ober St. Veiter Pfarrkirche.
Ab 1873 war er zunächst sechs Jahre Gemeindeausschuss, dann ab 1879 neun Jahre Gemeinderat (= Gemeindevorstandsmitglied). Während dieser Zeit bekleidete er auch zwölf Jahre lang die Funktion eines Ortsschulratsobmannes. 1875 gründete er die freiwillige Feuerwehr Unter St. Veit.
Als er 1888 das Bürgermeisteramt antrat, war er also in der Gemeindepolitik bereits ein erfahrener Mann. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Stelzer, der eher liberal gewesen sein dürfte, war Heinrich Schönich streng katholisch gesinnt. Er war in seinem bürgerlichen Beruf als Schlossermeister ein tüchtiger Mann, bei dem mehrere später zu Ansehen gekommene Schlossermeister ihre Lehrjahre absolviert hatten. Einer von diesen war der Ober St. Veiter „Stach-Schlosser“ (Ludwig Stach), von dem die schönen schmiedeeisernen Gitter auf den Oratorien der Ober St. Veiter Kirche stammen.
Sein 1882 erbautes Haus in der St.-Veit-Gasse 34 / Ecke Kupelwiesergasse, in dem er Wohnung und Werkstätte hatte, bestand bis Dezember 2016 ziemlich unverändert und war das letzte erhaltene Unter St. Veiter Haus vom Typus des dörflichen Handwerkerhauses. Im Dezember 2016 wurde jedoch mit dem Abbruch begonnen.
Seine grundlegende Bescheidenheit bewies Schönich mit der Ablehnung einer nach ihm zu benennenden Gasse. 1914 verlieh ihm Bürgermeister Richard Weiskirchner persönlich in einem kleinen Festakt die Wiener Ehrenbürgerwürde. Heinrich Schönich starb am 14.6.1926, er liegt in einem Ehrengrab auf dem Ober St. Veiter Friedhof begraben.
Heinrich Schönich vor seinem Haus Ecke St. Veitgasse/Kupelwiesergasse. (Herr Schönich mit Zylinderhut). Das Haus wurde ab Dezember 2016 abgebrochen.
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Zu seiner Zeit Wiens bekanntester Organist, zählte er als Schüler und Freund zum Kreis um Franz Schmidt, der ihm mehrere Werke widmete.
Schon in jungen Jahren selbst Akademielehrer, wurde er 1938 zum Rektor ernannt und leitete die Neuorganisation als „Reichshochschule für Musik und darstellende Kunst“. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er Präsident der Gesellschaft der Musikfreunde. Große Verdienste als berufener Interpret und Sachwalter erwarb er sich um die Orgelkompositionen Max Regers.
Er wohnte in der Schweizertalstrasse 18.
Eine Kurzbiografie aus
Gunther Martins Feder
Dr. Richard Seitter war praktischer Arzt in Ober St. Veit. Er wurde am am 1. November 1910 in Wien als Sohn des Fabriksbeamten Hans und dessen Frau Hermine Seitter (geb. Assmann) geboren. Nach 5 Klassen Volksschule besuchte er die Realschule im 7. Wiener Gemeindebezirk. Wegen Geldmangels der Eltern musste er diese Schule nach vier Jahren aufgeben und bei der Firma Kantor das Elektrotechnikergewerbe erlernen. Mit Auszeichnung vorzeitig freigesprochen, vervollständigte er seine Kenntnisse in der Werkmeisterschule für Maschinenbau und Elektrotechnik im 10. Bezirk. Auch diese Schule schloss er mit Auszeichnung ab und begann als Werkmeister in seiner Lehrfirma zu arbeiten.
Von 1932-34 besuchte er die Abendkurse einer Maturaschule und legte am 10. Oktober 1934 am Rainergymnasium im 5. Bezirk die Reifeprüfung als Externist ab. Wegen des außergewöhnlichen Erfolges erhielt er eine Kollegiengeldbefreiung und konnte das Medizinstudium beginnen. Den Lebensunterhalt verdiente er als Werkmeister vorwiegend mit Nachtarbeit. Am 21. Oktober 1939 promovierte er zum Doktor der Medizin und begann als Gastarzt mit einer Turnusausbildung im Wilhelminenspital.
Er hatte in der Geyschlägergasse im 15. Wiener Gemeindebezirk gelebt, ehe er im Jahre 1941 Frau Hilde Wanschura heiratete und zu ihr in die Einsiedeleigasse 29 zog.
Am 5. Mai 1941 wurde er zur deutschen Wehrmacht eingezogen. Nach der militärischen Ausbildung in Reichenau an der Rax arbeitete als Truppenarzt und später aufgrund seiner technischen Vorbildung am Helmholtztinstitut in Berlin an einem medizinischen Forschungsprogramm. Zuletzt soll er in das brennende Dresden strafversetzt worden sein, um Tote zu bergen. Wieder als Truppenarzt eingesetzt geriet er 1945 in französische Gefangenschaft. Dort betreute er einen Sektor des Gefangenenlagers in Siershahn im Westerwald. Die Heilung des dortigen Lagerkommandanten soll seine Situation erleichtert haben.
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Dr. Richard Seitter
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1946 aus der Gefangenschaft entlassen, vervollständigte er in Wien im Krankenhaus Lainz seine Kenntnisse in Gynäkologie und im St. Anna Kinderspital in Kinderheilkunde. Aus der Zeit der militärischen Ausbildung hatte er noch Kontakte zu Patienten in Reichenau. Zu diesen fuhr er mit dem Motorrad, um sie privat zu versorgen.
1948 konnte er sich in Ober St. Veit als praktischer Arzt niederlassen. Viele Patienten wurden ihm vom scheidenden Arzt Dr. Musger weiterempfohlen. Zunächst ordinierte er in den Wohnräumen des Hauses in der Einsiedeleigasse 29, 1950 wurde die ehemalige Veranda zur Ordination ausgebaut. Vielen Ober St. Veitern sind noch das Motorrad und dann der VW-Käfer in Erinnerung, mit denen er zu jeder Tages- und Nachtstunde zu seinen Patienten eilte. Zusätzlich betreute der als Betriebsarzt die Firma Philips am Wienerberg. Der Medizinalrat wurde ihm im am 29. 12. 1951 verliehen.
Dr. Seitter war bis zu seinem 80. Geburtstag im Jahre 1990 aktiv. Seine Tochter, Frau Medizinalrat Dr. Christine Eckl-Dorna folgte ihm nach. Von 1979 bis 1990 führte sie die Ordination gemeinsam mit ihrem Vater (er ordinierte vormittags, sie nachmittags) und dann alleine. Mit ihrer Pensionierung 2006 ging die Ära des Hauses Einsiedeleigasse 29 als Domizil praktischer Ärzte nach fast sechs Jahrzehnten zu Ende.
Kaplan Hans Spitzer versteckte während des Zweiten Weltkrieges jüdische Bürgerinnen und Bürger, um sie vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu retten. Seit dem Ausreiseverbot für Juden und den beginnenden Massendeportationen in die Vernichtungslager des Ostens im Jahr 1941 versteckte Kaplan Spitzer zahlreiche so genannte jüdische „U-Boote“ gemeinsam mit Pfarrangehörigen in einem Hinterzimmer des Alten Pfarrhofes von Lainz sowie in mindestens einer anderen Wohnung. Insgesamt dürften um die 20 Personen auf diese Weise die NS-Verfolgung überlebt haben. Obwohl Spitzers judenfreundliche Gesinnung bekannt war – er von der Gestapo observiert und in der „Gegnerkartei“ geführt wurde – konnte ihm nichts Belastendes nachgewiesen werden. Er blieb vor der drohenden Verhaftung durch die Nazis verschont.
Am Sonntag, den 18. Mai 2008 wurde am Alten Pfarrhof in der Lainzer Straße 154 eine Gedenktafel für den 1945 verstorbenen Kaplan Hans Spitzer von Bezirksvorsteher Heinz Gerstbach gemeinsam mit Pfarrer P. Wolfgang Dolzer SJ enthüllt.
Hans Spitzer, der seit dem Jahr 1929 in der Pfarre Lainz tätig war, verstarb am 14. Jänner 1945 an einem Herzversagen. Er wurde im Friedhof seiner Geburtsgemeinde Hautzendorf begraben. Der Alte Pfarrhof dient heute diversen Jugendaktivitäten der Pfarre Lainz-Speising.
Der Text dieses Beitrages von Dominik Markl SJ und Sebastian Meissl wurde in der Zeitschrift des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit publiziert: Dialog-Du Siach 72 (2008)
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Hietzing
„Felix Steinwandtner war ein exzellenter Kulturvermittler mit einer ausgeprägten Leidenschaft für Hietzing. Schon in seinem ursprünglichen Beruf als Fleischhauermeister verstand er es, sein Wissen als Vortragender und in öffentlichen Funktionen weiterzugeben. Im Laufe seines Lebens scheute er keine politische, gesellschaftliche oder kulturelle Aufgabe und wirkte unter anderem in Jugendorganisationen, der katholischen Kirche, als Bezirksvorsteher-Stellvertreter Hietzings, als Kulturbeauftragter, Präsident des Clubs 13 (Hietzinger Forum für Kultur, Politik und Wirtschaft) und begann auch regen Kulturaustausch mit Partnerstädten in Japan. Im Zuge dieser Aufgaben wandte er sich verstärkt heimatkundlichen Fragen zu und machte diese zum Thema zahlreicher Schriften (z.B. über Hildegard Burjan und Katharina Schratt, Kulturspaziergänge, Hietzinger Straßen) und unterstütze mit seinem Wissen die Entstehung vieler anderer Publikationen, Filme und Sendungen.
Einige dieser Aufgaben betreute er bis zuletzt, zum Hauptanliegen war ihm ab 1999 die Führung des Bezirksmuseums Hietzing geworden. Damit gingen eine rege Vortragstätigkeit für das Haus, auch in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule und anderen Organisationen, die Mitarbeit an bzw. die Unterstützung von Forschungsarbeiten, die Einrichtung von Ausstellungen und natürlich weitere Publikationen einher. Seine letzte Veröffentlichung war der Bildband „Wien-Hietzing“.
Das war der Inhalt der Laudatio, mit der ihm am 25. März 2008 der damalige Bundesminister Dr. Johannes Hahn den Berufstitel Professor verlieh. Felix Steinwandtner freute sich darüber sehr. „Es tut nicht weh!“ war seine Art, es zuzugeben.
Eine seiner Wesenszüge war das gute Einvernehmen mit politisch Andersdenkenden, freilich musste man seine spitze und oft auch provokante Zunge richtig einordnen können. Heinz Weiss konnte es, denn in seinem SPÖ-Buch „Freundschaft in Hietzing“ wird er als einziger ÖVP-Mann mit warmen Worten gewürdigt. Im Rahmen des dort abgedruckten Interviews hat Felix Steinwandtner auch Fragen zum Bezirkmuseum beantwortet. Ich zitieren zwei dieser Fragen und Antworten:
Frage: Welche Aufgaben ordnet man einem Bezirksmuseum zu? Antwort: Die lokale Geschichte zu zeigen, Unterlagen über prominente Bezirksbewohner zu sammeln und Eigentümlichkeiten des Bezirkes zu dokumentieren und bewahren zu helfen.
Frage: Darf ich jetzt eine ganz persönliche Frage an Sie richten – wie sind Sie Leiter des Bezirksmuseums Hietzing geworden? Antwort: Im Oktober 98 ruft mich mein Vorgänger, Professor Glöckner, an und sagt „Räum das Museum aus! Alles
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Prof. Felix Steinwandtner
Weiss, Heinz:
Freundschaft in Hietzing –
Die Geschichte der Hietzinger Sozialdemokratie. Wien:
echomedia buchverlag ges.m.b.h., 2012
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Auszug aus der humorvollen Rede von Dorothea Drlik zum 70. Geburtstag
Felix Steinwandtners
am 25. März 2007 :
„... Ohne eine Antwort abzuwarten begann der alte Herr sogleich auszuführen. Mehrere Male versuchte Schiller sein Gegenüber zu unterbrechen, aber zu mehr als, „aber Herr Museumsleiter, …,ja, aber Herr Steinwandtner, oder bitte, wie war das mit der Maria Theresia?… kam er nicht...“
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muss in ein Depot kommen. Nur nicht die Urgeschichtssammlung, die gehört dem Regierungsrat Dollinger. Er will seine Sammlung nicht im Depot haben – kann man sie im Amtshaus irgendwo unterbringen?" Darauf ich: „Ja, im Amtshaus ist ein Kasten, da hab ich meine Sachen drinnen gehabt, da bring ich sie schon unter." Grund seines Anrufs: der bevorstehende Umbau des Bezirksmuseums. Wie man leicht erkennen kann, war Professor Glöckner immer sehr distanziert. Eines Tages höre ich, dass er im Spital liegt. Bevor der Umbau noch richtig begonnen hatte, ist Glöckner gestorben. Während des Begräbnisses am Zentralfriedhof flüstern mir Bezirksvorsteher Gerstbach, aber auch der Stadtrat Marboe zu: „Weißt eh, dass du das Museum übernehmen wirst!“ Ich war wie versteinert und habe ungläubig entgegnet: „Wie bitte schön?“ Darauf meinte der Vorsteher beschwichtigend: „Na schau, das wird jetzt eh umgebaut, da kannst dich vorbereiten. Du hast ja schon so viel gemacht, auch Ausstellungen. Es nutzt nichts, du bist der Einzige, der infirage kommt.“ Naja, und jetzt gehöre ich selbst schon fast zum Inventar!
Freilich, der Hauptgegenstand dieses Interviews war der Sozialdemokrat Friedrich Julius Bieber. Siehe →Seite 785
Wir alle hätten uns gewünscht, dass Frau Dorothea Drlik ihre am 25. März 2007 gehaltene lustige Rede anlässlich des 70. Geburtstags von Prof. Felix Steinwandtner zu seinem 90er hätte wiederholen können und vieles wahr geworden wäre. Es sollte nicht sein. Sein erfülltes Leben war in den letzten Jahren von gesundheitlichen Problemen überschattet, aber der Satz „... nach langem, schwerem Leiden ...“ blieb ihm erspart.
Felix Steinwandter wurde im Familiengrab am Südwestfriedhof in Wien-Meidling bestattet.
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In Ober St. Veit geboren vollendete er seine Schulbildung auf dem zweiten Bildungsweg via Maturaschule Höfinger in Wien-Neubau (diese wird später von der Maturaschule Dr. Roland übernommen) und der 1948 bestandenen externen Matura. Mit der Promotion im Dezember 1956 schloss er sein Universitätsstudium ab.
Gegen Ende November 1948 übernahm Theodor Stöhr von Othmar Winkler die Leitung der Ober St. Veiter Bücherei, mit den Brüdern Wsseticzka bildete er das „158er-Trio“. Gerhard Halbhuber spielt am Klavier.
Im Jänner 1957 begann – nun schon Dr. – Theodor Stöhr mit der Arbeit im kirchlichen Bibliothekswerk, im März 1959 wechselte er in die Nationalbibliothek.
1960 heirateten Theodor und Michaela und übersiedelten nach Baden.
Am 2. April 1962 trat Theodor Stöhr in den Dienst der Parlamentsbibliothek. Im Jänner 1975 wurde er als Nachfolger von Dr. Michael Stickler zum Leiter der Parlamentsbibliothek berufen. Er beschäftigte sich sehr intensiv mit der historischen Aufarbeitung der in der Bibliothek vorhandenen Literatur. Unter anderem gab er ein Werk heraus, in dem er die ältesten Bücher der Parlamentsbibliothek beschrieb (Stöhr, Theodor: Die ältesten Druckwerke und die Handschriften der Parlamentsbibliothek, in: Biblos, Jg 28, 3, Wien 1979, S. 206 ff. (Signatur der Parlamentsbibliothek: 45.533)). Weiters arbeitete er das Schrifttum zum österreichischen Parlamentarismus bibliographisch auf (Böck, Brigitte/Stöhr, Theodor: Schrifttum zum österreichischen Parlamentarismus 1848–1980: aus den Beständen der Parlamentsbibliothek, Wien 1980 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 53.480)) und beschäftigte sich mit den Nationalratsabgeordneten seit 1918 (Parlamentsdirektion (Hrsg) [Stickler, Michael/Stöhr, Theodor]: Parteifreie Abgeordnete, in: Die Abgeordneten zum österreichischen Nationalrat 1918–1975 und die Mitglieder des österreichischen Bundesrates 1920–1975, Wien 1981 (Signatur der Parlamentsbibliothek: 46.733)).
1990 wurde die bis zuletzt von Theodor Stöhr geleitete Ober St. Veiter Volks- und Jugendbibliothek geschlossen und am Ende des folgenden Jahres ging Theodor Stöhr nach fast 30 Jahren Dienst in der Parlamentsbibliothek in Pension.
Am 29. Dezember 2010 starb er nach langer Krankheit im 83. Lebensjahr. Er wurde am Stadtpfarrfriedhof in Baden begraben.
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Suchen Sie den Stradalweg nicht im Straßenverzeichnis, Sie werden ihn dort nicht finden. Trotzdem gibt es den Stradalweg, und zwar in der Kleingartenanlage Trazerberg, Trazerberggasse 8. Diese Wegbenennung wurde vereinsintern zum Andenken an die prominenten „Schrebergartler“ Ob. med. Rat Prim. Dr. Albert Stradal und seinen Bruder Prof. Otto Stradal am 13.4.1991 vorgenommen. Den Älteren ist der Name Stradal noch ein Begriff.
Albert Stradal wurde am 24.11.1904 in Stockerau geboren und Otto Stradal am 12. März 1911 wahrscheinlich bereits in Hietzing, denn die Familie übersiedelte in dieser Zeit nach Wien 13, Steckhovengasse 22. Der Vater Albert Stradal war K+K Ober-Baurat, die Mutter Emmy Stradal brachte 4 Kinder zur Welt und war von 1920 mit einer Unterbrechung bis zu ihrem Tod am 21.11.1925 eine der ersten Frauen im Österreichischen Nationalrat. Ihr zu Ehren wurde in Hollabrunn eine Straße benannt.
Albert maturierte 1922 in Hietzing, promovierte 1928 zum Dr. der gesamten Heilkunde und wurde 1937 Facharzt für Chirurgie. Er wirkte als Chirurg in verschiedenen Spitälern wie dem in St. Pölten und dem Rudolfsspital in Wien und war Leiter der Chirurgie im Elisabethspital.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde er ärztlicher Gesamtleiter der Privatkrankenanstalt „Confraternität“ im 8. Bezirk. Er war eine Kapazität für Kropfoperationen; an die 7500 sollen es gewesen sein. In den 50er Jahren wurde er als Sportarzt und Präsident der Wiener Austria und als Sportarzt der Fußball-Nationalmannschaft bekannt. Unter anderem operierte er Körner I, Ocwirk, Hof, Stojaspal, Turl Wagner und Hannapi. Nach 2 Herzinfarkten verbrachte er die Sommermonate in Ruhe und guter Luft bis zu seinem Tod im April 1977 am Trazerberg. Seine Frau Grete geb. Hornbostel war am 13.4.1991 bei der Enthüllung der Stradaltafel anwesend.
Prof. Otto Stradal besuchte die Volksschule in Hietzing Am Platz. Nach dem Realgymnasium und Internat war Stradal vom 15. Oktober 1933 bis März 1940 Lokal- und Umbruchredakteur bei den Wiener neuesten Nachrichten in Wien 8 und von 1937 - 1940 Auslandskorrespondent. Seit 1936 wirkte er als Mitarbeiter des Österreichischen Rundfunks. Nach Fronteinsatz und Gefangenschaft war Stradal 1946 Redakteur bei der Weltpresse.
Von 1950 bis zu seinem Tode am 7.12.1982 war er für den Kurier tätig. In den Kolumnen „Mein Österreich“ und „Bei uns am Grund“ schrieb er über Kunst, Kultur, Architektur, Brauchtum usw. Von 1956 bis 1976 war er auch Leiter der Presseabteilung der Fremdenverkehrswerbung.
So nebenbei verfasste Prof. Stradal 32 Bücher, die Hälfte davon war Österreichthemen gewidmet. Viele Stunden klapperte die Schreibmaschine am Trazerberg, wenn er Titel wie „Wunderbares Schönbrunn“, „Dreimal Maria Theresia“, „Der andere Prinz
Text von Rudolf Wawra
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Prof. Otto Stradal
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Eugen“, „Es steht manch Schloss in Österreich“ verfasste. Aber auch dem Rundfunk blieb er treu: Er gestaltete 5500 Sendungen, darunter Serien über Österreichs historische Persönlichkeiten und Hörspiele. Dazu kommen noch 500 Vorträge im Rahmen der Volksbildung, Auftritte als Festredner bei diversen Veranstaltungen, auch als Reiseleiter bei Autobusfahrten war er begehrt. Seine Frau, Dr. Hulda Stradal, hat ihn mit Terminevidenz, Archivierung und Vorbereitung weitgehend unterstützt.
Achtmal wurde Prof. Stradal geehrt. Zuletzt 1977 erhielt er das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Zudem war er Ehrenritter der in Wien ansässigen ältesten Ritterschaft im deutschen Sprachraum „Zum güldenen Humpen“ die Franz Grillparzer gegründet hat. Das Bezirksmuseum in der Josefstadt, seiner letzten Heimat, hatte ihn 1992 mit einer Sonder¬ausstellung geehrt.
Uns älteren Hietzingern sind Titel im Kurier, wie „Vom Wiental zum Hagenberg“, „Vom Platzl zum Friedhof“, „Ein Faible für Ober St. Veit“, „Fürstbischof Firmians Dorf“, „Am Platz meiner Kindheit“ in frischer Erinnerung. Mit dem Buch „Der Weg zum letzten Pharao“ hat Otto Stradal auch den berühmten Afrikaforscher Friedrich Julius Bieber gewürdigt. Das Buch erschien 1954 in der Volksbuchverlag GmbH Wien. Wer Otto Stradal persönlich kannte, wird auch gerne an die Gespräche denken, für die er sich immer Zeit genommen hat.
Georg Strnadt besuchte die ersten 3 Volksschulklassen in Wien, Margareten, die 4. Klasse und 3 Bürgerschulklassen in Perchtoldsdorf, wo seine Eltern wohnten und auch er bis zu seiner Verheiratung (1936). In seiner Jugendzeit war er in der Jugendbewegung tätig und widmete sich in Sinne Raimund Zoder's und Karl Liebleitner's der Pflege des Volkstanzes und des Volksliedes. Er besuchte die technisch-gewerbliche Bundeslehranstalt in Mödling (Abschluss mit Reifeprüfung), Anstellungen verlor er durch die damalige schlechte Wirtschaftslage. Während der Arbeitslosigkeit bestand er die Reifeprüfungen als Externist am Realgymnasium in Mödling und an der Lehrerbildungsanstalt in Wien, Hegelgasse. Zwei Jahre war er unbezahlter Probelehrer in Liesing, dann einige Jahre Vertreter und Angestellter bei der Städt. Versicherung, nach 1938 bei Zürich-Kosmos. Im Mai 1940 zum Militär eingerückt kam er erst 1945 mit dem Zusammenbruch in seine Heimat und zu seiner Familie zurück (Sohn Günther geb. 1938, Tochter Ilse geb 1940). Nach dem Krieg inskribierte er einige Semester Kunstgeschichte an der Wiener Universität, begann aber gleichzeitig seinen Beruf als Antiquitätenhändler mit bescheidensten Mitteln. Langsam entwickelte sich das Geschäft bis zu Exportaufträgen nach USA (Mörser, Küchenwaagen etc.).
Eine Biografie, zusammengestellt von Inge Strnadt geb. Kruppa.
Georg Strnadt lebte lange in Ober St. Veit in der Preimreinergasse 18.
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Georg Strnadt
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Operation und Krankheit zwang ihn im Frühjahr 1970 zum Ruhestand.
Georg Strnadt hat erst in späten Jahren (1962–1964) mit seiner literarischen Betätigung begonnen, die er fallweise mehr als Hobby betrachtete, die er aber doch fortsetzte und sich speziell mit dem Wiener Dialekt befasste. Seine Vorbilder waren Josef Weinheber und frühe Wiener Schriftsteller. Die erste Lesung seiner Gedichte durch Kammerschauspieler Richard Eybner war am 26. Mai 1964 in Perchtoldsdorf. Mit seinem 1. Buch: „Aus da mitlan lod“ das im Österr. Bundesverlag erschienen ist, wurde er bekannt, das Buch stand am 24. Dez. 1965 auf der Kurier-Bestsellerliste. Er selbst bezeichnete dieses Hinwenden zur Lyrik als eine Alterserscheinung, da er sich in seinem Leben eher der Musik, der Volksmusik sowie der Klassik, zugetan fühlte. Er hatte ein absolutes Gehör, spielte selbst Geige, Ziehharmonika und Gitarre. Das Gedicht: „Des lebm is nix weat“ hat er auch selbst vertont und es ist auf der Platte „Wossa und Wein“ zu hören. Er schrieb auch einen „Tanz“, der von seinen Musikfreunden „Prehauser-Tanz“ benannt wurde. Bekannt wurde Georg Strnadt durch Rundfunk, Fernsehen, Schallplatten, Rezitationen namhafter Interpreten, aber auch als eigener Interpret und Gestalter von Vortrags- und Schulungsabenden, er veranstaltete sehr viele kleinere aber auch ganz große Wiener-Abende und immer war Musik dabei. In den ersten Jahren war es das Klassische Wiener Schrammel-Quartett, dann die Philharmonia-Schrammeln, das Kammer Ensemble der Stadtmusik Wien, das Alt Wiener Schrammel-Quartett, das Wiener Konzertante Schrammel-Quartett etc. Sehr oft spielten die Wiener Konzertschrammeln unter der Leitung von Frau Prof. Anita Ast. Die Sprecher der Gedichte waren Richard Eybner, Fritz Lehmann, Heinz Conrads, Erich Auer, Carlo Böhm und noch viele andere. Bei den festlichen Polizeikonzerten im Konzerthaus brachte Insp. Fritz Mader als Conferencier u.a. auch Gedichte von Georg Strnadt zum Vortrag.
Das Anliegen von Georg Strnadt war, die Schönheit und das Musikantische der Wiener Mundart im Sinne Josef Weinheber's weiterzuführen. Die derzeit lautstark gewordene und propagierte, oft derbe und dekadente Dialektwelle lehnte er ab.
Es kam zur Herausgabe von 5 Büchern beim Verlag Jugend und Volk:
1.) Aus da mitlan lod
2.) Gschimpft gredt und graunzt
3.) Wossa und wein
4.) Waunzn, flee und läus
5.) De faschiamaschin.
(Nr. 2 ist im Österr. Bundesverlag erschienen)
Außerdem erschien
1.) Eine Langspielplatte „Wossa und Wein“ bei Amadeo
2.) „Heinz Conrads liest Georg Stnadt“ eine LP und kleine Schallplatte in den Büchern.
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Sándor Ungar erlernte das Fassbinderhandwerk bei Herrn Lischka in Ober St. Veit, Rohrbacherstraße 31. Anschließend verpflichtete er sich zum Militärdienst und wurde Wachtmeister in der k&k Traindivision Nr. 2.
Er wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter dem Künstlernamen „Sandor Bacsi“ bekannt, war Verfasser und Herausgeber des Werkes „Rund um Wien“, die Wienerstadt in Wort und Bild. Von 1910 bis 1912 schrieb er auch für die Kronenzeitung.
1910 veröffentlichte er in der Unteroffizierszeitung (Selbstverlag) ein Theatralisches Quodlibet aus 50 Theaterstück-Titeln.
Aber er war nicht nur in der Fachwelt bekannt, sondern auch unter den einfachen Leuten. Herr Johann Brennig konnte sich noch lebhaft an seine Auftritte im Ober St. Veiter Casino erinnern, in deren Rahmen er mit seinen erstaunlichen Fähigkeiten beeindruckte. Er kannte sämtliche Straßen, Gassen und Plätze der damals 21 Bezirke Wiens und er konnte jede Opernmelodie pfeifen.
Eines der Zeitdokumente über ihn ist der Abdruck eines Marschliedes, das ihm aus Anlass seines 20jährigen Militärdienstjubiläums von Rudolf Kronberger (Musik) und Friedrich Fischer (Text) gewidmet wurde:
Der vollständige Text dieses Liedes „Vom braven Mann“:
1. Heut' gilt das Lied dem Mann,
Den jeder loben kann,
Den man in Ottakring,
Kennt g'rad so wie am Ring,
Ob Meidling, ob Hernals,
Den Bácsi den kennt all's.
Er ist heut Jubilar,
Denn er dient zwanzig Jahr.
Wachtmeister Ungar war,
Infanterist, Husar,
Zuletzt nun noch beim Train,
Musst in den Krieg er geh'n.
Weil er fünf Sprachen spricht,
Man nicht auf ihn verzicht.
Als echter Ungarsohn
Ist Pflicht ihm mehr als Lohn.
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Auszeichnungen:
1.) Das goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Niederösterreich (1975)
2.) Berufstitel Professor (1975)
3.) Die Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien in Silber (1975)
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Refrain.
Das ist der Bácsi, den jeder kennt,
Der Sándor Ungar vom Regiment!
In allen Kreisen wird er genannt,
Als Sándor Bácsi weltbekannt.
2. Genie-Universell,
War einst Fassbinderg'sell,
Er dichtet, deklamiert,
Er pfeift und musiziert.
Viel Ehre machte ihm,
Sein "Grand Werk: Rund um Wien"
Dreitausend Bilder stark,
Zeigt Straßen, Platz und Park.
Als Lebensretter noch,
Zu preisen wär er hoch!
Er fing auf, hilfsbereit
Vom dritten Stock ein Weib'
Und sieh', seit dieser Zeit
Folg nach ihm manche Maid.
Doch er im Kopfe hell
Ist heut' noch Junggesell.
Refrain.
Das ist der Bácsi, den jeder kennt,
Der Sándor Bácsi ist konsequent,
Er weiß jed's Platzerl,
Auch jedes Schatzerl,
D'rumm man ihn auch der Lehmann nennt.
3. Die Rettungs'gsellschaft hat
A G'frett in uns'rer Stadt,
Ihr großes Defizit
Zwingt sie zu jener Bitt'
An alle reichen Leut'
Zu helfen z'rechter Zeit.
Das hat, wiewohl nicht reich
Der Bácsi aufg'fasst gleich.
Setzt schnell in die Lotterie
Und richtig kommen sie
Die Nummern alle drei,
Was tut der Bácsi glei':
Er tragt den ganzen G'winn
Der Rettungsg'sellschaft hin.
D'rumm sei für alle Zeit
Ihm dieses Lied geweiht!
Hietzing
Refrain.
Ja, unser Bácsi, den jeder kennt,
Denn Sándor Bácsi mit sein Talent,
Der weiß jed's Gasserl,
Und kennt jed's Platzerl,
D'rumm Wien ihn Straßenkönig nennt.
Bis 1937 besuchte er regelmäßig am 8. Dezember seinen Lehrherrn in Ober St. Veit. Er wohnte zu dieser Zeit im 2. Bezirk in der Heinestr. 37 (Lehmann 1929, 1932). Laut Israelitischer Kultusgemeinde war Sandor Ungar zuletzt auf der Sammeladresse Wien 2., Ferdinandstraße 22, gemeldet. Am 27.5.1942 wurde er ins Ghetto Minsk (Ukraine) deportiert und kehrte nicht mehr zurück. Er war jüdischer Abstammung.
In dem Buch „Hagenberggasse 49“ erzählt sie vor allem aus ihrem Leben in Ober St. Veit.
Sonia Wachstein ist die Tochter des bedeutenden Wiener jüdischen Historikers Bernhard Wachstein. In ihrem Buch "Hagenberggasse 49" schildert sie ihre Jugend in Wien sowie die Jahre ihrer Emigration in England. Ihre Familie war bewusst jüdisch, ohne orthodox zu sein. Schon früh entwickelte Sonia Wachstein Liebe zum Theater und zur Literatur sowie ein ausgeprägtes Sozialgefühl, das durch die Not der Zwischenkriegszeit geschärft wurde. Ihre Tätigkeit als Lehrerin am Zwi Perez Chajes Gymnasium in Wien vertiefte ihr Verständnis für die ostjüdischen Zuwanderer.
Die Erzählung beginnt in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, als Ober St. Veit durch die rege Bautätigkeit seinen ländlichen Charakter einbüßte. Als eine der vielen Villen, die damals entstanden, bauten ca. 1910 die Wachsteins ihre in der Hagenberggasse 49. Zur Sprache kommen zunächst die Kindheit, die Schulerlebnisse und Sonias politisches Erwachen in der harten Zeit während und nach dem Ersten Weltkrieg. Vieles wird vor dem Hintergrund der allmählich in ihr Bewusstsein tretenden jüdischen Identität beschrieben. Das Familienleben, die Lebensweise des Bürgertums, die Studienzeit, die Personen, die sie trifft und vieles andere sind ebenfalls Gegenstand des Buches. Unter dem Namen "Herbert" beschreibt sie einen gelähmten, etwa 10 Jahre älteren Ober St. Veiter, der nicht nur für sie, sondern auch für Elias Canetti und andere prominente Menschen eine gewisse Bedeutung erlangen sollte. Elias Canetti nennt ihn Thomas Marek.
Dramatisch sind dann die Passagen, die die Bedrohung der jüdischen Bevölkerung durch Hitler und das Schicksal ihrer Familie in dieser Zeit beschreiben. Mit der Flucht nach England verlagert sich die Erzählperspektive dorthin, mit der Überfahrt nach Amerika endet das Buch.
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Quelle:
Wachstein Sonia: Hagenberggasse 49. Erinnerungen an eine Wiener jüdische Kindheit und Jugend. Übersetzt von Dorothea Winkler. Band 6 von „Augenzeugen berichten“, Schriftenreihe des Instituts für Geschichte der Juden in Österreich, hrsg. von Eleonore Lappin.
Wien: Böhlau Verlag, 1996
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Josef Weidman wurde 1844 als Sohn der Firmengründer Georg und Anna Weidman geboren. Der finanzielle Hintergrund gestattete ausgedehnte Reisen durch ganz Europa und den Vorderen Orient. Unter anderem erlebte er die Eröffnung des Suezkanals.
Er vereinigte weltmännisches Auftreten mit kaufmännischem Geschick und hatte schon vor Übernahme des elterlichen Betriebes im Jahre 1894 dessen gedeihliche Entwicklung mitgetragen. Er war auf seinem Spezialgebiet, der kunstgewerblichen Herstellung von Modewaren und Ziergegenständen aus Leder (Taschen, Handschuhe etc.), ein Neuerer und Wiederbeleber in einem: Er kultivierte den sogenannten Grolierstil aus Frankreich und dazu die Antiklederverarbeitung florentinischer Art, aufgewertet durch den schon damals unnachahmlichen Geschmack des Wiener Kunstgewerbes, dessen Arbeiter „Feenhände“ besaßen.
Dass er damit weltweiten Erfolg errang, geht unter anderem aus einer Firmeneintragung im Handelsregister und im Wiener Adressbuch – dem „Lehmann“ – hervor, demzufolge er mit seinen Ledergalanteriewaren die kaiser- und königlichen Höfe Österreichs, Brasiliens, Preußens, Spaniens, Griechenlands, Rumäniens und Serbiens sowie Herzöge und Prinzen belieferte.
1869 ehelichte er Julie Braun. Die Ehe sollte kinderlos bleiben und Julie Brauns Schwester Johanna Berg (Mutter Alban Bergs) Universalerbin werden. Aber dazu später.
Josef Weidman wurde steinreich und eine markante „Gründerzeitpersönlichkeit“ der ausgehenden Monarchie. Das von den Eltern 1851 gegründete Unternehmen befand sich in der Feldmühlgasse 6 und wurde 1882 um die Feldmühlgasse 4 erweitert. Den Wohnsitz hatte er in der Hietzinger Hauptstraße Nr. 6 zunächst dem berühmten Altwiener Etablissement Dommayer. Dort besaß er eine schöne einstöckige Villa, die zum Gehsteig hin durch ein gewelltes Gitter abgegrenzt war. In einem großen Hof befanden sich die Stallungen für einige der Pferde und eine Remise für Wagen.
Der größere Bestand an Renn- und Kutschierpferden und Wagen war jedoch auf dem Landsitz Weidmans eingestellt, dem erwähnten „Stock im Weg“ in Ober Sankt Veit.
Dort erwarb er in den Jahren 1890 und 1892 zahlreiche Wiesen, Gärten und Äcker, teilweise ehemalige Weingärten, entlang der Mauer des kaiserlichen Tiergartens von verschiedenen Familien, darunter befanden sich Namen wie Glasauer, Puraner, Trillsam. Der Preis soll günstig gewesen sein, etwa 1 Krone pro m². Auf diesem Grund ließ er unzählige Obstbäume pflanzen (die kolportierten Schätzungen kreisen um die 5000) und die sogenannte „Huben“ errichten. Die Huben bestand aus einem unterkellerten Blockhaus im Schweizer Stil, dem ein ziemlich großes Glashaus für tropische Pflanzen und Gemüse-Primeurs angeschlossen war.
Quellen:
Berg, Erich Alban:
Alban Berg, Leben und Werk in Daten und Bildern, 1976.
Erich Alban Berg: Als der Adler noch zwei Köpfe hatte, 1980.
Julius Hirt: Vergangenheit und Gegenwart ... Ober St. Veits, 1955
Klötzl, Gebhard:
Die Fabriken des Wientals
Kraft, Josef:
Aus der Vergangenheit von Ober-St. Veit, 1952
Weissenbacher, Gerhard:
In Hietzing gebaut, 1996
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Josef und Julie Weidman.
Wiener Stadt- und Landesbibliothek
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Zusätzlich gab es Nebengebäude für Hunde, Pferde, den Fuhrpark, die landwirtschaftlichen Geräte und Lagerflächen.
Die Huben war noch reicher als die Hietzinger Villa mit Altertümern aus aller Welt bestückt. Dort empfing das Ehepaar Weidman seine Gäste, so die Slatins, die Burgschauspielerin Charlotte Wolter, Katharina Schratt, Künstler und Architekten, in späteren Jahren auch Pepi Glöckner, die Wiener Volksschauspielerin, die in der Winzerstraße ihr Domizil besaß und natürlich auch Mitglieder der verwandten Familie Berg. Es war ein richtiges „Buon retiro“, wie Charlotte Wolter, die in ihren Briefen von „meinem guten Weidman, meinem Seelenfreund“ spricht, den Landsitz der Weidmans nannte.
Eine Gedenktafel vor dem Hauseingang, die sich heute im Hietzinger Heimatmuseum befindet, vermeldet hohen Besuch: „Unsere allergnädigste Kaiserin Elisabeth besuchte am 24. Mai 1892 dieses Haus.“ Zu den Besuchern zählte auch Kronprinz Rudolf.
Die Beziehungen zum Hofe waren in erster Linie durch die Freundschaft der Weidmans mit Katharina Schratt, Charlotte Wolter und mit dem alten Hofburgschauspieler Devrient d. Ä. gegeben. Diesen Beziehungen verdankte es Weidman unter anderem, dass die Champagnermarke Moet et Chandon – neben den oben angeführten Tätigkeiten war er auch deren Agent – zur kaiserlichen Hofmarke wurde.
Allerdings entstand zwischen seiner Frau Julie und dem exilierten König von Hannover, Herzog von Cumberland, dessen Palais heute das Reinhardt-Seminar bzw. die tschechische Gesandschaft beherbergt, eine Liaison, die Erich Alban Berg in seinem Buch „als der Adler noch zwei Köpfe hatte“ mit „illicit love affair“ umschrieb.
Zu Weidmans Ausfahrten standen Kaleschen aller Art zur Verfügung: Gigs, Breaks, Jagdwagen, Landauer, eine große Reisekutsche. Dazu schwarze Araber und Schimmel. Ein Stich des Künstlers von Bensa zeigt das Ehepaar, den Viererzug von Rappen in scharfem Trab von der Hietzinger Pfarrkirche her gegen die Wienbrücke lenkend. Weidman verwendete im Viererzug meist Rappen, da es ihm unschicklich schien, weiße Pferde in der Nachbarschaft des damals allerdings noch nicht „alten Herrn von Schönbrunn“ zu benützen. Mit seinen Rennpferden gewann er so manchen Preis.
Die Attraktion dieser Ausfahrten war Mohammed Medlum, ein junger Diener, den Josef Weidman aus Oberägypten mitgebracht hatte. In Wien war Mohammed bald als der „Mohr von Hietzing“ populär, denn er bediente nicht nur bei Tisch die Gäste, die bei Weidman aus- und eingingen, sondern er saß auch in seiner goldausgestickten Tracht, den roten Fez am Kopf, mit gekreuzten Armen hinter dem kutschierenden Herrn und dessen Frau; im Phaeton oder im zweirädrigen Sportcoupe, im Landauer oder im großen Überlandwagen, der meist vierspännig gefahren
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wurde. Der Mohr Mohammed erhielt durch Weidman Erziehung, Unterhalt und Pflege.
Ein Hobby Weidmans war die Hundezucht. Um die 30 Stück der verschiedensten Rassen belebten die Liegenschaft noch vor ihrem Verkauf an die Gemeinde Wien im Jahr 1907. Neben schottischen Collies, die alkoholische Namen wie Whisky, Gin usw. führten, gab es Neufundländer, Vorsteh- und Spitzhunde, Foxterriers und eine besondere Spezialität, die bezirksbekannten „weißen Dackel“, Stolz und Attraktion des Besitzers. Es waren Albinos, die Weidman aus einem Thurn- und Taxis‘schen Zwinger aus Deutschland mitbrachte, einige Muttertiere und Rüden.
Die Dackel erhielten Namen wie One, Two, Three, ein anderer Wurf Komponistennamen. Der letzte seines Stammes war der wasserscheue Hund Mahler; er lebte bis 1916.
Eine Begebenheit, die sich anlässlich der Weltausstellung 1873 ereignete, illustrierte die eigensinnige Originalität dieses Wiener Bürgers und hat mit diesen weißen Dackeln zu tun. Unter den ausländischen Potentaten war mit großem Gefolge auch der Herrscher von Siam, König Chula Longhorn, eingetroffen. Er beehrte auch Weidmans Verkaufssalon in der Babenbergerstraße Nr. 7 und man war überzeugt, den vielen Hoflieferantentiteln einen weiteren anfügen zu können. Der exotische Monarch erschien zur angekündigten Zeit, von seiner Suite begleitet, man legte ihm die schönsten und neuesten Erzeugnisse vor, man begann eine umfangreiche Bestellung herauszuschreiben. Da wollte es das Missgeschick, dass eine der weißen Dackelhündinnen sich durch die offen gebliebene Türe zum Privatkontor zwängte, die kleine Treppe herunterkam und hinter ihr einige Welpen nachtrotteten. Diese Hunde, die alle Attribute ihrer Rasse aufwiesen, verdrehte Beine, Warzen, Länge usw., erblicken und sich vor ihnen verneigen, war die spontane Reaktion der Gäste, denen weiße Tiere als heilig galten. Chula Longhorn unterbrach das Bestellen und forderte Weidman auf, ihm die Hunde abzutreten. Weidman lehnte dies eigensinnig ab und dabei blieb es. Die Bestellung wurde von einem Beamten des Monarchen in Wut zerrissen, empört verließ der Herrscher von Siam mit seinem Gefolge das Geschäft.
Weidman starb trotz aller Lebenserfolge als unglücklicher Mensch. Die Ursachen dafür lassen sich nicht genau eruieren, häufig wird der Spott kolportiert, den ihm ein Vorfall an der Linien-Maut einbrachte. Es kam zutage, dass er schon jahrelang Wild und Geflügel aus Purkersdorf hereinbrachte, ohne sie dem Finanzbeamten am Linienamt in der Linzerstraße anzusagen. An sich ein „Kavaliersdelikt“ denn die Abgabe war – zumindest für seine Verhältnisse – äußerst gering, aber trotzdem ein gefundenes Fressen für den Ober St. Veiter Drahrerclub, der dies beim nächsten Faschingsumzug – sehr zum Ärger von Herrn Weidman – gehörig ausschlachtete. Es könnte aber auch der ausgebliebene standesmäßige Aufstieg eine Rolle gespielt haben. Trotz allen
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wirtschaftlichen Erfolges und seiner gesellschaftlichen Stellung wurde ihm nie ein Adelstitel angeboten.
Einleitende Bemerkungen seines Testamentes vom 30. März 1900 bestätigten jedenfalls seine Verbitterung: „Meine Frau Julie Weidman geborene Braun ist nach meinem Tode Erbin meines ganzen wo immer befindlichen Real- und Geldbesitzes. Ich empfehle ihr alles zu verkaufen, eventuell licitando und dieses verleumderische Nest zu verlassen. Doch hat sie vollen freien Willen... Ich wünsche in Bologna verbrannt und beigesetzt zu werden. Ich wünsche kein Staubkorn von mir hier zu wissen. Todesnachrichten sind nicht auszugeben.“
Die Bestimmungen des Testamentes, das merkwürdigerweise am Todestag seines Schwagers, Conrad Berg, errichtet wurde, sind erfüllt worden. Als er Anfang 1905 gestorben war, wurde die Leiche auf einem pferdebespannten Transportwagen von Wien nach Bologna überführt und dort eingeäschert. Der Transport wurde abgesehen vom Kutscher durch den Diener Mohammed begleitet. Die Urne wurde in einer „Sala die pietà“ öffentlich aufgestellt. In der Österreichisch-Ungarischen Monarchie war diese Form der Bestattung nicht erlaubt.
Zum Verkauf der vielen Liegenschaften – acht Zinshäuser, die Hietzinger Villa, der Landsitz in Ober St. Veit – kam seine Witwe Julie allerdings nicht mehr, da sie, in geistige Umnachtung fallend, bereits im November des gleichen Jahres starb.
Ihre Schwester Johanna Berg, seit fünf Jahren Witwe, wurde Universalerbin des Vermögens, das sich nach Abzug von Hypothekarschulden und anderer Passiva immerhin noch auf die beachtliche Summe von über 745.000 Kronen belief. Sie befolgte die Ratschläge ihres Schwagers Weidman restlos und hatte alle 1905 geerbten Realitäten bis zum Beginn des Krieges veräußert. Unter den wirtschaftlichen Umständen der Inflation der zwanziger Jahre allerdings ein gewaltiger Fehlgriff: wie gewonnen – so zerronnen!
Dem Diener Mohammed Medlum war testamentarisch eine Schenkung von 170.000 Kronen und monatlich 400 Kronen zuerkannt worden. Der Ägypter ließ sich später als Importkaufmann nieder.
Im Hietzinger Heimatmuseum befinden sich als Leihgaben einige Relikte aus der Weidmanschen „Huben“, so die originale Totenmaske der Charlotte Wolter, Lederetuis für ihre Handschuhe und für die Zigarren ihres Mannes, des Grafen O‘Sullivan. Zahlreiche der wertvollen Einrichtungsgegenstände aus der „Huben“ nahmen ihren Weg in den Bergschen Sommersitz „Berghof“ am Ossiacher See. Doch die wertvollste Antiquität löste sich nach und nach – wie die ganze große Erbschaft nach den Weidmans – in nichts auf: ein wertvoller Renaissance-Kachelofen, ein Gegenstück zu dem, der sich auf der Festung Hohensalzburg befindet. Nach dem Verkauf des Landsitzes durch Johanna Berg wurde der Ofen abgetragen und die einzelnen Kacheln sorgfältig in einer
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Kiste verpackt, im Keller der Bergschen Wohnung abgestellt. Von dort sind die Kacheln Stück für Stück verschwunden, was sich erst nach einem Wohnungswechsel herausstellte. Die wenigen Kacheln, die man noch vorfand, gingen mit einer gotischen Tafel, die ursprünglich in der Weidman-Kapelle angebracht war, in den Besitz des Managers von Max Reinhardt über.
Das Areal in Ober Sankt Veit – von dem übrigens ein Teil schon 1902 von Josef Weidman selbst an einen Herrn Alfred Wünsch verkauft wurde – fiel an die Gemeinde Wien, die unter dem Bürgermeister Lueger viel für die Erhaltung des Wald- und Wiesengürtels tat. Gemäß Kaufvertrag vom 5. Juli 1907 verkaufte Johanna Berg der Gemeinde Wien alle verbliebenen Grundstücke im Ausmaß von 33.440m² inkl. der darauf gebauten Häuser um 88.700 Kronen. 20.000 Kronen dieses „Kaufschillinges“ wurden übrigens ausdrücklich dem wertvollen Baumbestand zugeordnet. Der Grund alleine wurde weiter unten im Kaufvertrag mit 1 Krone und 78 Heller bewertet. Der Besitz wurde dem Wald- und Wiesengürtel angegliedert und anschließend verpachtet.
Der erste Pächter des Areals sollte ein Herr Alfred Doll sein.
Kein anderer prominenter Baumeister seiner Epoche ist mit so vielen Werken gerade in Hietzing vertreten, wie dieser Schüler Josef Hoffmanns. Die Liste reicht von Wohnhäusern im „Cottage“ über Adaptierungen bis zu leider nicht mehr erhaltenen Einrichtungen von Lokalen.
Witzmanns wichtigste, bleibende Leistung in Wien ist allerdings die Neugestaltung des Theaters in der Josefstadt für Max Reinhardt.
Er wohnte in der St.-Veit-Gasse 76.
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Eine Kurzbiografie aus
Gunther Martins Feder
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Alexander Wunderer und Franz Schmidt (1874 – 1939) waren seit ihrer Studienzeit am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ab dem Studienjahr 1891/92 in lebenslanger, nahezu unzertrennlicher Freundschaft verbunden. Beide waren „Wahl - Hietzinger“, Wunderer wohnte zuerst in der Nähe von Schönbrunn, später in der Ghelengasse, die Familie Schmidt einige Jahre in der Auhofstrasse.
Eine Biographie Franz Schmidts wäre ohne den Namen Wunderer unvollständig, die Autobiographie von Alexander Wunderer ist durchzogen von Erinnerungen an seinen Freund. Beide Künstlerpersönlichkeiten bereicherten die Musikwelt Wiens – neben anderen Großen – in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Alexander Wunderer erhielt eine hervorragende Ausbildung als Oboist am Konservatorium, bei Richard Baumgärtl; im Jahre 1900 wurde der Dreiundzwanzigjährige Mitglied des Hofopernorchesters bzw. der Wiener Philharmoniker, zu deren Vorstand er 1923 gewählt wurde. 1932, fünf Jahre vor seiner Pensionierung, erkoren die Philharmoniker Alexander Wunderer zu ihrem Ehrenvorstand.
Wesentlich für die künstlerische Entwicklung des jungen Oboisten war neben dem Unterricht an seinem Instrument das Erlebnis der Musik von Johann Sebastian Bach. Wunderer berichtet: „Damals hatte ich das Glück, mit meinem späteren Lehrer und Freunde Eusebius Mandyczewski zusammenzutreffen. Dieser hörte mich im Orchester, fand Gefallen an meinem Oboe-Blasen und zog mich zu einer besonderen Arbeit heran. E. Mandyczewski war über Brahms’ Empfehlung Archivar der Gesellschaft der Musikfreunde, war im Direktorium der (deutschen) Bach – Gesellschaft, Sitz Leipzig, und mittätig an der Edition der Gesamtausgabe der Werke Bachs.“ Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass der junge Student dem Herausgeber von Bachs Werken editorische Hilfsdienste leisten durfte und dass sich ihm dadurch die Welt J. S. Bachs offenbarte. So konnte er schreiben: „Es war ein Erlebnis, das für meine künstlerische Laufbahn bedeutend wurde“. Nicht nur für Wunderer war das Erlebnis der Werke Bachs von Bedeutung: 1913 gründete er die Wiener Bach-Gemeinde und schuf damit die Basis für eine kontinuierliche Pflege der Musik von Bach und seinen Zeitgenossen in Wien.
1918 wurde Alexander Wunderer an die aus dem Konservatorium hervorgegangene Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien als Lehrer für Oboe (ergänzend dazu für Bläserkammermusik und Instrumentenkunde) berufen. Bis 1938 wirkte er an diesem Hause.
Die Tradition seiner Schule, deren wesentliches Merkmal die Pflege der „Wiener Oboe“ im Gegensatz zur „Französischen Oboe“ ist, wurde und wird von Schülern, Enkelschülern und be
Alexander Wunderer 1930.
Archiv der ÖNB
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Das am 16. Juni 2005 übergebene Franz-Schmidt-Denkmal im nach dem Künstler benannten Park in Ober St. Veit
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reits Urenkelschülern wie ein Schatz gehütet und gepflegt; Apologeten beider Richtungen diskutieren heute noch.
Gemeinsame Fahrten der beiden Philharmoniker Wunderer (Oboe) und Schmidt (Cello) mit der Stadtbahn zur und von der Oper und vor allem der nächtliche Heimweg durch Hietzing, waren erfüllt von Gesprächen über Musik. Auffassungsunterschiede und divergierende Werturteile waren oft Anlass für geistvolle Auseinandersetzungen in gegenseitigem Respekt.
Gemeinsamkeit wurde auch gepflegt beim Kartenspiel oder im Kegelklub, während gegenseitiger Besuche in Wien, in Tullnerbach, im Landhaus Wunderers, später in dessen Alterssitz in Zinkenbach am Wolfgangsee, in Franz Schmidts steirischem Urlaubsort Hartberg oder in seiner Villa in Perchtoldsdorf.
Vor allem aber, wie könnte es anders sein, vertiefte sich die Freundschaft beim Musizieren an allen diesen Orten. Zu den schönsten Erinnerungen zählen für Alexander Wunderer jene Stunden, in denen er mit Franz Schmidt das Repertoire der Musik für zwei Klaviere spielte oder private Kammermusikabende mit Schmidt und seinen Künstler-Freunden.
Franz Schmidt hatte die Gepflogenheit, vollendete Kompositionen als Erstem zuerst dem Freund Wunderer zu zeigen und mit ihm zu diskutieren. Sogar die Pläne für seine Hausorgel besprach er mit ihm, und 1916 wurde Alexander Wunderer zum Widmungsträger des ersten Orgelwerks von Franz Schmidt, „Variationen und Fuge über ein eigenes Thema in D“ (Königsfanfaren aus Fredigundis). – Wunderer war es auch, der die Aufführung von Franz Schmidts „Husarenlied-Variationen“ nach deren Uraufführung mit den Wiener Philharmonikern unter Clemens Krauss am 15. März 1931 bei den Salzburger Festspielen desselben Jahres erreichte.
Die menschliche und künstlerische Vertrautheit war beispiellos. Erst im letzten Lebensjahr des schon lange kränkelnden Franz Schmidt sollte sie – im Gefolge der politischen Ereignisse 1938 – einen Riss bekommen. Alexander Wunderer hat jedoch Jahre später durch die Niederschrift seiner Autobiographie diesen Riss – für seinen Freund leider posthum – wieder gekittet.
Die Kantate „Die Jahreszeiten in Ober-St.-Veit“, deren Text vom Komponisten stammt, vollendete Alexander Wunderer im Jahre 1934. Franz Schmidt kannte das Werk gewiss, jedenfalls bat er ein Jahr später den Freund um das Libretto zu einer Kantate für Chor und Orchester. Alexander Wunderer arbeitete zu dieser Zeit an einer philosophischen Dichtung „Welt und Leben“, einer kosmischen Deutung der Entstehung der Welt, deren erster Teil bereits vollendet war. Aus verschiedenen, nie ganz geklärten Gründen, wurde das Projekt nicht verwirklicht.
Franz Schmidt begann noch im selben Jahr, 1935 mit der Arbeit an seinem Opus summum, der Vertonung der Apokalypse, dem „Buch mit sieben Siegeln“.
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Eine Biografie von
Dr. Helga Scholz-Michelitsch
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Ein Zitat aus der Autobiographie von Alexander Wunderer mag ein Schlüssel zur Thematik der Kantate sein. In einem der vielen Gespräche der beiden Freunde über die Musik, die für Schmidt Lebensinhalt war, entgegnete ihm Wunderer: „Es ist nicht wahr, dass die Kunst allein mein Leben ausfüllte, das wäre mir zu wenig gewesen. Ich liebte die Natur ebenso, fast mehr. Zu dir habe ich gesagt: wenn ich im März den Wald im Nachtwind rauschen höre, durch die Knospen ganz anders rauschen als im Winter oder im Sommer, so sei das so schön und bedeutsam wie keine Symphonie von Beethoven, so sehr ich ihn schätze“ (Autobiographie).
Die Naturverbundenheit von Alexander Wunderer spiegelt sich wider in dem schwärmerischen, romantischen Text der Kantate, den einzelnen Stimmungsbildern, neben philosophisch angehauchten Betrachtungen. Die Komposition könnte als eine Bündelung musikalischer Eindrucke und Erlebnisse eines hervorragenden Musikers gedeutet werden, der in Jahrzehnten seines Wirkens oft und oft in Oper und Konzertsaal Sternstunden europäischer Musiktradition – aktiv mitwirkend – erleben durfte. Epochen von Bach bis Brahms, von Richard Strauss bis Franz Schmidt und vielen anderen sind gekonnt zu einer Einheit symbolischer Klänge, die an Programm-Musik denken lassen, verwoben zu einer Apotheose der Wunder der Natur.
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Alexander Wundererer war mit Helene Pessl in langjähriger Freundschaft verbunden und verkehrte häufig in ihrer Villa in der Ghelengasse in Ober St. Veit, wo er auch gemeinsam mit seinem Freund und Philharmonikerkollegen Franz Schmidt die Förderung des Musikernachwuchses pflegte.
1934 schrieb Wunderer inspiriert durch die Ober St.Veiter Landschaft die Kantate: „Die Jahreszeiten in Ober St.Veit”, deren Text ebenfalls von ihm stammt. Das Werk wurde im selben Jahr in der Ghelengasse im privaten Kreis uraufgeführt.
Anlässlich des 100. Geburtstages Wunderers 1977 wurden Teile der Kantate bei einem philharmonischen Konzert gespielt. Lange vergessen wurde das Werk Dank des großen Engagements von Prof. Rudolf Scholz „wiederentdeckt” und in überarbeiteter Fassung zur Aufführung gebracht. Dies fand anlässlich des 50. Todestages von Alexander Wunderer statt, und zwar am 10. Oktober 2005 im großen Festsaal des Amtshauses Hietzing.
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Eigenständig, unbeugsam mit asketischen Zügen. Eine „Spurensuche“ von Schülern des Bundesgymnasiums in der Fichtnergasse versuchte 1993 im Rahmen des Wahlpflichtfaches „Bildnerische Erziehung“, Auskünfte von noch lebenden Verwandten und Freunden des Malers und spärliche sonstige Quellen zu einer Biografie und Werkdarstellung zusammenzutragen. Es sollte eine Mahnung und ein Ansatz einer späten Anerkennung werden. In einer Broschüre wurden die Ergebnisse dokumentiert.
Eine Kurzbiografie vor allem auf Basis dieser Arbeit enthält das Archiv der Homepage der Vereinigung der Alt-Hietinger.
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https://www.alt-hietzinger.at/archiv/personen/leopoldzobel.shtml
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Hacking
Letzter Ortsrichter Martin Pröll
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Letzter Ortsrichter ...
Lainz
Letzter Ortsrichter Matthias Melchert
Speising
Letzter Ortsrichter Augustin Wimmer
St. Veit an der Wien
Letzter Ortsrichter Michael Premreiner
Hacking
1851–1879Vinzenz Hess (Gärtner und Hausbesitzer)
1879–1887Gustav Seidl (Fabriksbesitzer)
1887–1891Michael Pfeiffenberger (Bäckermeister)
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1851–1863 Josef Kirchmeyer (Hausbesitzer)
1863–1876 Anton Weidlich (Fleischhauer und Hausbesitzer)
1876–1891 Franz Hanselmayer (Selchwarenverschleißer)
Lainz
1851–1860 Matthias Melchert (Wirtschaftsbesitzer)
1860–1864 Franz Nothart (Wirtschaftsbesitzer)
1864–1876 Johann Gober (Wirtschaftsbesitzer)
1877–1879 Leopold Riedl (Bindermeister)
1880–1883 Josef Lipansky (Mil.-Bauverwalter)
1883–1891 Karl Wambacher (Wirtschaftsbesitzer)
Speising
1851–1876 Friedrich Fehlinger (Wundarzt)
1876–1891 Ferdinand Weinrother (Wirtschaftsbesitzer)
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St. Veit an der Wien
1850–1857 Michael Schmid (Kaufmann)
1857–1861 Michael Premreiner (Landwirt)
1861–1864 Paul von Köhler (Privatier)
1864–1868 Josef Hauer (Beamter aus Ober St. Veit, die
Gemeindevertretung war bereits tief gespalten,
die Gemeinde wurde 1867/68 geteilt).
Ober St. Veit
1868–1876 Karl Hentschel (Schuster und Hausbesitzer))
1876–1879 Ing. Alexander Strecker (Zivil-Ingenieur)
1879–1891 Karl Hentschel
Unter St. Veit
1868–1870 Berthold Flesch (Fabriksbesitzer)
1870–1876 Anton Kremser (Wirtschaftsbesitzer)
1876–1888 Anton Stelzer (Hausbesitzer)
1888–1891 Heinrich Schönich (Hausbesitzer)
1891–1897Franz Hanselmayer
1897–1907Georg Gusenleithner
1907–1919 Leopold Kierlinger
1919–1929 Franz Schimon
1929–1932 Dr. Isidor Spielmann
1932–1934 Karl Hofbauer
1934–1938 Josef Cudlin
1945 (April bis Juli) Hans Mayer (KPÖ)
1945–1946 Anton Figl (SPÖ)
1946–1950 Josef Cudlin (ÖVP)
1950–1953 Othmar Hassenberger (ÖVP)
1953–1959 Ernst Florian (ÖVP)
1959–1964 Josef Fischer (SPÖ)
1964–1969 Dipl.-Ing. Josef Gerstbach (ÖVP)
1969–1976 Eduard Popp (SPÖ)
1976–1978 KR Eugen Gutmannsbauer (SPÖ)
1978–1990 Elfi Bischof (ÖVP)
1990–2013 Dipl.-Ing. Heinz Gerstbach (ÖVP)
2013–2023 Mag. Silke Kobald (ÖVP)
ab 2023 Friedrich Nikolaus Ebert