Milchmeierei in Ober St. Veit

Am Beispiel der Familie Wimpissinger
1873

Eine Gemeinschaft von Bauernhäusern inmitten ausgedehnter Felder und Wiesen, Rinder beleben die Landschaft und Obstbäume rahmen sie ein, ein Küchengarten bei jedem Haus: Vom Mittelalter bis in die jüngere Vergangenheit bot auch unser St. Veit dieses dörfliche Bild, ergänzt um kunstvoll gekämmte Weingärten, denn Wein war Nahrung, Währung und Exportschlager zugleich.

Erst das 19. Jahrhundert mit seiner gestiegenen Mobilität, der enormen Zuwanderung und dem rückläufigen Weinbau veränderte dieses Bild. Tourismus, Gewerbe und Wohnbau griffen nach den landwirtschaftlichen Flächen und die Winzer mussten andere Erwerbsquellen suchen. Manche wechselten in die Gastronomie, andere verdingten sich als Fabriksarbeiter, Wäscher, Maurer, Gärtner usw, viele vermieteten oder verkauften ihre Häuser.

Einige der von Reblaus und Trockenheit geplagten Ober St. Veiter Weinbauern konnten aber als Landwirte bestehen, indem sie ihre Stallungen vergrößerten und zu Milchbauern wurden. Wien expandierte gewaltig und mit ihm der Milchbedarf. Der Verderblichkeit wegen musste Milch in der Nähe produziert werden, freier Boden in Stadtnähe war jedoch knapp.

Bezeichneten sich 1819 noch 92 von 101 landwirtschaftlich tätigen Hausbesitzern als Weinbauern, so waren diese 1880 fast gänzlich verschwunden. Statt dessen lebten jetzt 27 Ober St. Veiter Familien vorwiegend von der Milchmeierei oder dem Milchhandel, 10 weitere hielten Kühe im Nebenerwerb. Insgesamt gab es 378 Kühe im Dorf. Die bekanntesten dieser Familien sind der folgenden Tabelle zu entnehmen:
Aber auch das sollte nur eine Episode bleiben, denn die Verstädterung Ober St. Veits gab selbst den besten Milchbauern keine dauerhafte Zukunft. Am Beispiel der Familie Wimpissinger kann dies verdeutlicht werden. Die „Wimpissingers“ waren zwar keine eingesessenen Winzer, die sich der Milchmeierei zuwandten, denn sie waren „erst“ 1873 aus Tirol nach Ober St. Veit eingewandert, aber als Milchbauern zählten sie zu den erfolgreichsten.

1896 erbt der 1866 geborene Johann Wimpissinger jun. die ausgedehnte Landwirtschaft von Onkel Josef und Tante Marie Hölzl in der Hietzinger Hauptstraße 143. Der Betrieb verfügte damals über 75 Kühe, 5 Pferde und 40 Joch landwirtschaftlicher Fläche, vor allem am Roten Berg und auf der Schinaweiß (Matraswiese). Auf der landwirtschaftlichen Fläche wird vor allem Grünfutter und Heu für die Kühe produziert, aber auch Getreide (z. B. Gerste als Futtergetreide), Kartoffeln etc. angebaut.
Milchmeierei. Die Familie Wimpissinger und Mitarbeiter im Hof der Meierei, ca. 1905. Ganz rechts Rosina und Johann Wimpissinger, davor deren Kinder Hans, Maria und Josef. Die weiteren Personen sind zwei Dienstmägde und vier Schweizer (Melker). Die Wirtschaftgebäude gibt es noch, auch das hinten an die Hietzinger Hauptstraße grenzende bürgerlich-repräsentative Wohnhaus. © Familie Pevetz
<p><b>Milchmeierei</b></p><p>Die Familie Wimpissinger und Mitarbeiter im Hof der Meierei, ca. 1905. Ganz rechts Rosina und Johann Wimpissinger, davor deren Kinder Hans, Maria und Josef. Die weiteren Personen sind zwei Dienstmägde und vier Schweizer (Melker). Die Wirtschaftgebäude gibt es noch, auch das hinten an die Hietzinger Hauptstraße grenzende bürgerlich-repräsentative Wohnhaus.</p><p><i>&copy; Familie Pevetz</i></p>
Die Nachfrage nach Milch war enorm, die Flächen zur Ernährung der Kühe aber beschränkt. Aus diesem Grund brachte die Familie Wimpissinger das Jungvieh, das nicht gemolken werden musste, per Bahn auf die an der Westbahn gelegenen Hutweiden bei Kirchstetten an der Westbahn.

Der Betrieb florierte, dem Vater Johann Wimpissinger jun. folgte der 1900 geborene Sohn Hans. Er wurde Zeuge des Niedergangs der Milchwirtschaft in Ober St. Veit. Schon vor der Zäsur des 2. Weltkriegs hatten viele Milchmeier aufgegeben und nur wenige setzten nach dem Krieg ihr Gewerbe fort; sogar der Renommierbetrieb Glasauer hob sich nicht mehr aus den Bombentrümmern. Als Grund zählten nicht nur der kriegsbedingte Verlust des gesamten Viehbestandes, sondern auch die verlorenen Trümpfe der stadtnahen Milchproduktion: Die großen Molkereien hatten die Haltbarkeit der Milch und die Logistik verbessert. Die Eigenversorgung mit Milch und die Lieferung unbehandelter Frischmilch an Wiener Kaffeehäuser und Spitäler war schon ab den 50er Jahren nur mehr Geschichte.

Hans und Ignaz Wimpissinger trugen dem Rechnung und stellten den Betrieb gleich nach dem Krieg auf Jungvieh- und Schweinehaltung um, aber die Bedingungen verschlechterten sich weiter: Lohnarbeitskräfte wurden teuer und waren schwer zu beschaffen, Schmutz, Geruch und Lärm störten im Wohngebiet, der Arbeitsraum wurde immer beengter. Folglich wurde der Betrieb 1963, als er immerhin noch über 60 Stück Vieh zählte, gänzlich eingestellt.

Ab diesem Zeitpunkt betrieben hier nur mehr zwei Klosterbetriebe die Landwirtschaft: Die Dominikanerinnen in der Schloßberggasse und die Hartmannschwestern am Stock im Weg. An letztere verpachteten die Geschwister Wimpissinger ihre Felder auf dem Roten Berg und der Matraswiese. In erster Linie wurden Grünfutter und Heu für die Kühe des Klosterbetriebes produziert. Hans Wimpissinger half dem Betrieb bis ins hohe Alter mit seinem Traktor. Ein Teil des Wirtschaftsgebäudes in der Hietzinger Hauptstraße 143 wurde an Winkler & Schindler verpachtet.
Früher ein vertrautes Bild: Schwester Oskara vom III. Orden des hl. Franz von Assisi bei der Arbeit auf dem Feld am Roten Berg. © Bezirksmuseum Hietzing
<p>Früher ein vertrautes Bild: Schwester Oskara vom III. Orden des hl. Franz von Assisi bei der Arbeit auf dem Feld am Roten Berg.</p><p><i>&copy; Bezirksmuseum Hietzing</i></p>
Klagen der Nachbarschaft wegen Geruchsbelästigung ließen auch die Hartmannschwestern im Jahre 1972 den Großteil ihrer Kühe verkaufen. 1978 verkauften sie die letzten beiden Kühe und begnügten sich mit Schweinehaltung und Gemüsebau - letzterer wird bis heute betrieben. Die großen Flächen für das Grünfutter waren überflüssig und die Pacht wurde beendet.

Als nächster Pächter trat ein Stiermäster jenseits des Riederbergs auf, später dienten die Flächen der Heugewinnung für Schafe in Breitenfurt. Die Verpachtung der Gründe wurde immer schwieriger. Im Umland gab es immer weniger Tiere und die Pferdehalter nutzten zunehmend die Wienerwald-Heubörse. Der fortschreitende Gebrauch der Flächen als Erholungsgebiet und die Verschmutzung machten die futterwirtschaftliche Nutzung schließlich völlig unmöglich. Lediglich die Einrichtung von zwei Selbsternteflächen gestattet neuerdings eine bescheidene landwirtschaftliche Teilnutzung der Grundstücke.

Heute ist die Fläche an Herrn Resch, ein für die Niederösterreichische Heubörse im Wienerwald arbeitender Bauer, verpachtet. Der Ertrag resultiert aus Fördergeldern von der EU, die aus Umweltschutzgründen Zuschüsse für extensive Bewirtschaftung leistet. Es darf nur ein Mal im Jahr nach dem 15. Juni gemäht werden. Als Pachtschilling wurde die Dienstleistung des Mähens vereinbart. Wie der Zustand der Wiese bestätigt, ist der Pächter dieser Pflicht im Jahre 2007 nur mehr teilweise nachgekommen.

Die aktuelle Situation stellt somit ein Musterbeispiel für das problematische Schicksal der stadtnahen Landwirtschaft im Wiener Raum dar. Die Wimpissinger-Gründe sind die einzigen, heute noch in Privatbesitz befindlichen, bedeutenderen Grünlandflächen unserer Gegend im 1905 errichteten Wald- und Wiesengürtel. Landwirtschaftlich nicht mehr nutzbar, werden sie entschädigungslos wie öffentlicher Grund genutzt. Das bedeutet natürlich für die Besitzerfamilien einen erheblichen finanziellen Nachteil, aber auch - wie der Augenschein bestätigt - zunehmende ästhetische und landschaftsökologische Unzulänglichkeiten. Die anderen Grünflächen, die einst der ausgedehnten Landwirtschaft dienten, sind entweder verbaut oder im Eigentum der Gemeinde Wien.

Zweifelsohne eine Situation, die einer Lösung bedarf, allerdings auch ein Fall, in dem rasch tiefreichende Interessenskonflikte aufbrechen. Die Öffentlichkeit möchte den - in unserem Raum ohnehin mehrfach durchlöcherten - Wald- und Wiesengürtel geschützt und für alle Zeiten gesichert wissen, Grundbesitzer bevorzugen Aufwertungen zu Bauland. Ein völlig unbefriedigender Zustand, in dem die Gemeinde Wien auf der Suche nach Lösungen aktiver helfen sollte. Das Mitgefühl der Allgemeinheit für Großgrundbesitzer mag gering sein, Neid ist trotzdem ein schlechter Ratgeber und die entschädigungslose Nutzung als Erholungsgebiet eines Rechtsstaates unwürdig.

Quellen:
Familie Pevez;
Wiener Stadt- und Landesarchiv;

hojos
im März 2009