Interview mit Dr. Xaver Meyer

anlässlich des bald 55-jährigen Bestehens des Wiener Madrigalchors
21.01.2006

Frage: Wie kann der Madrigalchor kurz beschrieben werden?

Dr. Meyer: Der Madrigalchor ist ein kammerchorähnlicher Chor mit kleinerer Besetzung. Wir haben derzeit 40 Chormitglieder, die bei großen Aufführungen durch Gäste ergänzt werden. Er fühlt sich besonders der Renaissance und der modernen Musik verbunden, als größeres Ensemble natürlich auch dem Barock, der Klassik und der Romantik.

Frage: Was ist ein Madrigal? Wird damit die musikalische Wurzel des Chors definiert?

Dr. Meyer: Die Madrigale sind aus der Renaissance kommende Lieder, hauptsächlich Liebes- und Scherzlieder. Damit haben wir begonnen, aber unser Repertoire bald auf Solo-, Chor- und Orchesterwerke ausgedehnt.

Frage: Gibt es in Wien vergleichbare Chöre?

Dr. Meyer:Auch der Singverein und die Singakademie führen solche Solo-, Chor- und Orchesterwerke auf; mit ihnen sind wir durchaus vergleichbar.

Frage: Was verband Sie einst und was verbindet Sie heute noch mit Ober St. Veit?

Dr. Meyer: Ich bin nach wie vor Ober St. Veiter und auch der Chor hat hier seine Heimstätte, in der wir seit 55 Jahren proben. Wir haben über 500-mal alleine in der Ober St. Veiter Kirche gesungen und oftmals in Hietzinger Lokalitäten wie dem St. Josef-Krankenhaus, dem Theatersaal des Klosters in der Wittegasse, im Schloss Schönbrunn, im Amtshaus usw.

Frage: Wie viele Ober St. Veiter geben dem heutigen Chor die Stimme?

Dr. Meyer: Nach wie vor etwa zehn, die anderen kommen aus ganz Wien und teilweise sogar aus Niederösterreich.


Frage: Wie viel Zeit muss ein Chormitglied aufbringen?

Dr. Meyer: Durchschnittlich zweimal in der Woche zwei Stunden, aber vor Plattenaufnahmen oder Konzertreisen gibt es allabendlich Proben.

Frage: Ist es schwierig, neue Chormitglieder zu finden?

Dr. Meyer: Nein, die längste Zeit hatten wir sogar Aufnahmesperre. Nach jedem erstklassigen Konzert kommen Leute und wollen mitsingen; es gibt eine recht schwierige Aufnahmsprüfung.

Frage: Wenn Sie sich zurücklehnen und an die lange Zeit mit dem Chor denken, was sind Ihre stärksten Eindrücke?

Dr. Meyer: Einerseits das sehr vielgestaltige Repertoire; das habe ich so wollen und das ist auch gelungen, und andererseits der persönliche Kontakt unter den Leuten. Wir waren nicht nur ein Musikensemble, wir waren immer eine Chorfamilie, die Freude und Leid miteinander trägt und auch miteinander feiert.

Frage: Und an welche herausragenden Ereignisse müssen Sie oft denken?

Dr. Meyer: In jeder Saison sind die ein, zwei Konzerte, die wir im Goldenen Saal des Musikvereins geben, die absoluten künstlerischen Höhepunkte. Das ist der berühmteste Saal der Welt mit der besten Akustik. Das behaupten nicht nur wir Wiener, das sagen auch die internationalen Gäste, die hier singen, spielen und dirigieren. Dort vor ausverkauftem Saal auftreten zu dürfen, ist der absolute Höhepunkt. Wir waren ungefähr 100-mal im Musikverein; außer dessen Hauschor, dem Singverein, hat dies niemand öfter geschafft. Natürlich muss man auch immer an die vielen Reisen denken, da gibt es eine Fülle wunderbarer Erlebnisse, von denen man gar kein einzelnes herausheben kann. Jedes Land für sich, die Begegnung mit den Menschen dort, mit Chorgruppen usw bietet so viel Anregung.

Frage: Was ist für Sie ein besonderes Anliegen?

Dr. Meyer: Wir haben alle 55 Jahre - eigentlich vom ersten Jahr an - immer neue österreichische Chormusik uraufgeführt und auf Reisen erstaufgeführt. Dies ist uns nach wie vor ein großes Anliegen. Sehen Sie nur die Fülle an lebenden oder nur kurz verstorbenen österreichischen Komponisten, die wir schon in unserer 10-Jahreschrift angeführt haben.

Frage: Welches ist Ihr nächster großer Auftritt?

Dr. Meyer: Der nächste Auftritt mit dem Chor ist am Sonntag, dem 19. März der Messias von Georg Friedrich Händel im Goldenen Saal des Musikvereins.

Frage: Vielen Dank für das Gespräch, ich bitte nur noch um ein Autogramm.

Dr. Meyer: Gerne!

hojos
21. Jänner 2006