Freihandelsabkommen EU-USA „TAFTA/TTIP“

„Staatsstreich in Zeitlupe“, "Wirtschafts-Nato", "Monster aus einem Horrorfilm, das durch nichts totzukriegen ist" (Lori Wallach, Verbraucherschützerin, USA). "Frontalanschlag auf die Demokratie" (Bestsellerautor George Monbiot). Eine Erläuterung von Mag. Klaus Faißner
16.01.2014

1. Was steckt hinter den Abkürzungen?

  • TAFTA (Abk. für TransAtlantic Free Trade Agreement = Transatlantisches Freihandelsabkommen) oder
  • TTIP (Abk. für Transatlantic Trade and Investment Partnership = Transatlantische Handels- und Investitions-Partnerschaft)

2. Worum geht es?

  • Offizielles Hauptziel: Abbau "nichttarifärer Handelshemmnisse". Gemeint ist die Angleichung gesetzlicher Regelungen. In der EU sind die Verbraucherschutzbestimmungen zum Teil schlecht (z.B. kein Gentechnikverbot möglich), aber in den USA sind sie noch viel schlechter. Ziel der USA ist es, über das Freihandelsabkommen noch mehr Gentechnik und zusätzlich Hormonfleisch, Klonfleisch und in Chlor eingelegtem Hühnerfleisch nach Europa zu exportieren. Dies zu verhindern "wird allerdings nicht leicht werden, da die USA genau diese Unterschiede bei den Standards als Handelsbarriere sehen", erklärt Marcus Kucera, Handelspolitik-Experte des österreichischen Landwirtschaftministeriums. 
  • Die Verhandlungen finden geheim statt.

3. Gentechnik: Die Unterschiede zwischen Europa und den USA

  • Großer Widerstand in Europa unter den Bürgern (nicht von Politikern, v. a. nicht von EU-Politikern), kaum Widerstand in den USA
  • EU-Kennzeichnungspflicht für pflanzliche Gentechnikprodukte (nicht für tierische Waren), gar keine Kennzeichnungspflicht in den USA
  • Zulassungszahl: in der EU über 50 zugelassene Gentechnik-Futtermittel, in USA weit mehr als 100 Gentechnik-Futter- und Nahrungsmittel
  • Anbau: In Europa kaum bis gar kein Gentechnik-Anbau, in den USA massiver Gentechnik-Anbau
  • Nulltoleranz für nicht zugelassene Gentechniksorten in der EU

4. Was sagen Befürworter dieses Handelsabkommens?

  • Andreas Geiger von der einflussreichen Lobbyagentur Alber & Geiger vor Verhandlungsbeginn: "US-Saatgutfirmen, die sich ein Jahrzehnt bemüht haben, den Stillstand bei der Zulassung ihrer Saaten zu brechen, werden nun mit der ultimativen Möglichkeit dabei sein, den gesamten Prozess nach ihrem Bedarf zu ändern." Mitarbeiter seiner Lobbyagentur ist unter anderem Bernard Auxenfans, zuletzt Monsanto-Chef für Europa, den Nahen Osten und Afrika.
  • Steward Eizenstat, ehemaliger US-Botschafter, Berater mehrerer US-Präsidenten, einer der einflussreichsten Ideengeber des Abkommens (Transatlantic Business Council): "Ich finde, die Standards in Europa haben ein unbegründetes Niveau, das wissenschaftlich nicht fundiert ist. Einer der großen Herausforderungen der Verhandlungen wird sein, einen Mittelweg zu finden, wonach die Verbraucher in Europa das gleiche Vertrauen haben: Was für die Amerikaner gutes Essen ist, ist auch für die Europäer gutes Essen."

5. Gutes Essen? Wie sieht es mit der Gesundheit der US-Bürger aus?

  • Zwei Drittel aller Erwachsenen in den USA gelten als übergewichtig, ein Drittel sogar als fettleibig. Diese Zahlen sind seit der erstmaligen kommerziellen Zulassung der Gentechnik 1994 explodiert.
  • Die USA sind bei allen Gesundheitsindikatoren Lebenserwartung oder Herzgesundheit unter Industriestaaten letzter oder knapp vor dem letzten Platz, bei Krankheiten wie Diabetes aber Nummer 1.
  • Die Gesundheitsausgaben pro Kopf sind etwa doppelt so hoch wie in europäischen Ländern.
  • Die Lebenserwartung der US-Amerikaner liegt im Vergleich der Industrienationen am letzten, die der US-Amerikanerinnen am vorletzten Platz.

6. Was ist der tiefere Zweck des Freihandelsabkommens?

Walter Haefeker, Präsident der europäischen Berufsimker: "Die Gentechnikindustrie braucht eine demokratiefreie Lösung für das Problem. Also braucht sie ein Freihandelsabkommen." Was in Freihandelsabkommen drinnen steht, wird stark beeinflusst von den USA: Die US-Regierung arbeitet eng mit den Gentechnikkonzernen zusammen und diese finanzieren beide großen Parteien in den USA. Nie wäre es möglich, Gentechnik, Chlor- oder Klonfleisch in Nationalstaaten durchzusetzen.

Die Durchsetzung der Gentechnik ist Teil der nationalen Sicherheitsstrategie der USA. Unter "nationaler Sicherheit" gilt alles in den USA. Zur Strategie der Umsetzung des freien Handels heißt es (2002): "Durchsetzen von Handelsabkommen und Gesetzen gegen unfaire Praktiken". Unter den "wichtigsten Prioritäten" wird "improved agriculture" also "verbesserte Landwirtschaft" (als Umschreibung für Gentechnik) angeführt. Ein Abkommen ohne Erfolge ist für USA uninteressant. In Wahrheit verhandeln US-Industriemarionetten mit EU-Industriemarionetten.

7. Es droht der Abbau aller Standards

Es ist zu befürchten, dass …

  • … US-Konzerne sich vor allem in Osteuropa Erdgasressourcen sichern könnten, um das in Europa heftig umstrittene Fracking voranzutreiben

  • … alle öffentlichen Dienstleistungen zwangweise liberalisiert und privatisiert werden, auch das Trinkwasser. Die Proteststürme von Anfang 2013 in ganz Europa gegen ähnliche Pläne der EU könnten umsonst gewesen sein.

  • … "Sozialstandards und Arbeitnehmerrechte geschliffen werden", Dierk Hirschel Sekretär der deutschen Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Eine regionale Wirtschaftpolitik werde ebenfalls verunmöglicht. Auch Befreiung von Studiengebühren oder die Buchpreisbindung wird unerlaubte Subvention.

8. Schutz der Investoren statt der Bürger

Dreh- und Angelpunkt: "Investor-State Dispute Settlement" (ISDS) = ein Streitschlichtungsverfahren, mit dem Konzerne Staaten vor ein Schiedsgericht zerren können. Kernpunkt: KONZERNE HABEN EIN RECHT AUF ZUKÜNFTIGE GEWINNE. Ursprünglich wurde ISDS für Investoren in Entwicklungsländern entwickelt, damit diese in politisch unsicheren Ländern weitgehend geschützt sind. Doch nun ist der Zweck ein ganz anderer, erklärt etwa der Journalist der britischen Tageszeitung "The Guardian" Glyn Moody: "Neue Gesetze können nur verabschiedet werden, wenn sie <zukünftige> Unternehmensgewinne steigern – im Zweifel auf Kosten der Allgemeinheit. Und die Allgemeinheit bekommt die Garantie, dass sie dabei draufzahlt." Rechts- und Nationalstaat würden ausgehebelt. Widerstand gegen ISDS gibt es von wenigen EU-Staaten wie Ungarn und Griechenland.

„Unter dem Strich könnte beim TTIP also herauskommen, dass wir unsere europäischen Regulierungsstandards auf das US-amerikanische Niveau absenken", erklärt Moody. Alle Standards – von Umwelt bis Produktsicherheit – drohen abgeschwächt zu werden.

Beispiele von bereits laufenden oder bereits entschiedenen Klagen nach ISDS:

  • Zweimal klagte der schwedische Energiekonzern Vattenfall die deutsche Regierung – zuletzt auf eine Schadenersatzzahlung von 3,7 Mrd. Euro wegen des Atomausstiegs der Deutschen.
  • Eli Lilly-Klage gegen Kanada um 500 Mio. Dollar, weil 2 Pharma-Patente von der zuständigen kanadischen Behörde zurückgezogen wurden.

Demokratiefeindlicher "Investorschutz": Über das TAFTA/TTIP-Abkommen könnten Konzerne vor einem Schiedsgericht gegen unliebsame Gesetze klagen. Laut bestehenden Investorenschutzabkommen und Studien bedeutet dies, dass …

  • … paralleles Recht entsteht
  • … in Hinterzimmern von Hotels unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wird
  • … Unternehmen 70% aller Fälle gewinnen
  • … 15 hochbezahlte Anwälte als Schiedsrichter in 55 Prozent aller Verfahren weltweit urteilen
  • … dieselben Anwälte in unterschiedlichen Verfahren einmal Schiedsrichter, einmal Vertreter der Konzerne und dann wieder Vertreter des Staates sind.

9. Was "Wikileaks" über ein ähnliches Abkommen enthüllt hat

Parallel mit der EU verhandeln die USA ein Freihandelsabkommen mit dem pazifischen Raum (Trans Pacific Partnership, TTP). Die Aufdeckerplattform Wikileaks sprengte die strikte Geheimhaltung und veröffentlichte ein Kapitel über "geistiges Eigentum:

"Man könnte TPP als Weihnachts-Wunschliste für wichtige Unternehmen sehen und die Copyright-Teile des Texts bekräftigen diese Sichtweise", meint beispielsweise der australische Patentexperte Matthew Rimmer. "Hollywood, die Musikindustrie, große IT-Unternehmen wie Microsoft und der pharmazeutische Sektor wären damit sehr glücklich." Darin fordern die USA Patente auf Pflanzen und Tiere, wollen Internet-Provider bei Urheberrechtsverstößen in deren Netzen unbeschränkt haftbar machen und die TPP-Vertragspartner dazu zwingen, zehn weitere bestehende Abkommen zu unterzeichnen, die ebenfalls Urheber- und Markenrechte sowie und Patentangelegenheiten regeln. Es ist anzunehmen, dass Ähnliches auch für das TAFTA/TTIP-Abkommen zwischen der EU und den USA gilt.

10. Bereits abgeschlossen

sind die Verhandlungen zwischen der EU und Kanada zum Freihandelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement). Auch sie erfolgten unter strikter Geheimhaltung, ein Abschlussdokument liegt der Öffentlichkeit noch nicht vor. Während Bauernvertreter in Europa vielfach Probleme auf die Landwirtschaft zukommen sehen, herrscht bei den Gentechnikbefürwortern auf der anderen Seite des Atlantiks Jubel: "CETA wird den Marktzugang für kanadischen Raps zu einem der weltgrößten Märkte verbessern", erklärt die Vereinigung der kanadischen Raps- bzw. Canolaerzeuger. Nahezu 100 Prozent des kanadischen Rapses ist genmanipuliert. Geschäftsführer Rick White zeigte sich optimistisch, dass die EU die Zulassung für Gentechnik-Pflanzen künftig "zeitgemäß und wissenschaftsbasiert" gestaltet. Durch das Abkommen sollte sich die Ausfuhr von Biodiesel aus kanadischem Rapsöl in die EU auf 180 Mio. Dollar pro Jahr verdoppeln.

Dieses Abkommen sollte bei Bekanntwerden genau angesehen werden, da fast alle US-Konzerne über Kanada dann in die EU liefern können und womöglich das TAFTA/TTIP-Abkommen gar nicht mehr so dringend brauchen.

11. Die Zukunft: Unabhängigkeit, Schweizer Modell, Beitritt zur EFTA

Generell gilt: Handelsabkommen sind wichtig für Frieden, Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung! ABER: Gesundheit, Umwelt und der Mittelstand dürfen dabei nicht unter die Räder kommen!

Derart weitreichende Freihandelsabkommen wie TTIP gleichen aber – wie oben erwähnt – einem Staatsstreich. Die Nationalstaaten als Hort von Bürgerrechten werden damit womöglich endgültig abgeschafft. Wie es anders gehen könnte, zeigt die Europäische Freihandelsassoziation EFTA: Sie besteht aus den Nicht-EU-Mitgliedern Schweiz, Liechtenstein, Norwegen und Island, hat aber nach wie vor aktuell ausverhandelte Abkommen mit Ländern aus aller Welt. Die Mitgliedsstaaten sind politisch in keiner Weise eingeschränkt, und die Landwirtschaft als besonders sensibler Bereich ist ausgenommen.

12. Was bräuchte es?

Vorbilder und mutige Politiker wie Hans Schaffner (Bundesrat und späterer Bundespräsident der Schweiz). Er lehnte es für die Schweiz ab, dem GATT beizutreten, ohne eine Ausnahmeregelung für die Landwirtschaft zu erzielen. Dies gelang nach über 10 Jahren Verhandlungen. Auch ist er "Vater der EFTA".

Mag. Klaus Faißner, Freier Journalist, Wien
Wien, am 16. Jänner 2014