Die erste österreichische Kundfahrt nach Tibesti

Aus den Mitteilungen der Österreichischen Sahara-Tibesti-Expedition 1955 "Magisches Tibesti"
1954

Die klassische Zeit der Afrikaforschung ist in unseren Tagen beendet, die Karte des dunklen Erdteils besitzt fast keine weißen Flecke mehr.

 

Einer davon liegt im Südosten der Sahara, ein noch kaum erforschtes Gebiet, ein gewaltiger, bis zu Alpenhöhe ansteigender Gebirgsstock: das Bergland von Tibesti. Allseits von Wüste umgeben, außerordentlich dünn besiedelt und wegen seiner Armut an irdischen Gütern und Bodenschätzen geradezu ein „Land des Hungers“, bildet es dennoch für den Forscher ein letztes Dorado der Pionierarbeit.

 

Ende 1953 schlossen sich deshalb drei Wiener zu ihrer ersten Kundfahrt nach Tibesti zusammen. Die kleine, fast ausschließlich aus eigenen Mitteln des Expeditionsleiters finanzierte Expedition bestand aus dem Geographen Dr. Hans Weis, der bereits in den Jahren 1938 und 1952 – allerdings ohne sein Ziel zu erreichen – von Libyen und dem Fezzan nach Tibesti vordringen wollte, dem jungen Ethnologen Andreas Kronenberg, der ebenfalls über Afrika-Erfahrung verfügte, und dem Leiter dieser Kundfahrt, Otto Bieber, dem Sohne des vor drei Jahrzehnten verstorbenen österreichischen Äthiopienforschers Friedrich Julius Bieber.

An Bord des 5000-Tonnen-Dampfers „Argentina“ der Schiffahrtslinie Lloyd Triestino wird am Neujahrstag 1954 die Fahrt durch das Mittelmeer begonnen. Drei Tage später kommt die afrikanische Küste in Sicht – Tripolis, der Ausgangspunkt der Expedition ist erreicht.

Obwohl diese gut vorbereitet ist, müssen dennoch in dieser Residenzstadt des Königs Idris I. Senussi die ersten unerwarteten Schwierigkeiten überwunden werden. Das junge Königreich Libyen erteilt derzeit nur sehr kurzfristige Aufenthaltsbewilligungen und so scheint das Gelingen des Unternehmens gleich zu Beginn in Frage gestellt. Dank der vorzüglichen Empfehlungsschreiben, welche die Expedition besitzt, und der guten persönlichen Verbindungen, über die Dr. Weis von früher verfügt kann diese erste Klippe jedoch binnen kurzem bewältigt werden. Am Abend des 12. Jänner wird die Wüstenreise mit einem Sieben-Tonnen-Lastauto entlang der Küstenstraße angetreten. Sie führt an den schmucken, freundlichen Städtchen Homs, Zliten-und Misurata vorbei, längs des Salzsumpfes von Tauorga mit seiner malariaverseuchten Oase und von dort weiter südwärts in die Sahara.

900 Kilometer misst die Strecke bis Sebha, der nächsten größeren Station. Immer schwieriger wird die Fahrt, nicht nur wegen der kaum mehr erkennbaren Piste, sondern vor allem deshalb, weil sich der Körper erst an die großen Temperaturunterschiede zwischen der brütenden Sonnenglut des Tages und der Eiseskälte während der Nacht gewöhnen muss. Diese ist so streng, dass sogar das Öl gefriert.

Bei der Oase Socna, die am 14. Jänner erreicht wird, ist ein kleiner Flugplatz angelegt. Hier erfahren die drei Österreicher auch, weshalb die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung zunächst solche Schwierigkeiten bereitete: Es werden Bohrungen nach Erdöl vorgenommen, und diese sollen nicht vorzeitig bekannt werden.

Auf der Weiterfahrt, die an dem alten Kastell von Bel Gteifa vorbeiführt, müssen bis Sebha 400 Kilometer zurückgelegt werden. Es ist der schwierigste Teil dieser Strecke, denn im Umkreis von Hunderten von Kilometern gibt es keine Wasserstelle. Hohe Berge, deren kahle, dunkle Hänge vor Jahrmillionen durch vulkanische Kräfte aufgetürmt wurden, begrenzen wie düstere Schatten den Horizont. Aber selbst hier, in dieser abgeschiedenen Einsamkeit, in der kein Tier, keine Pflanze anzutreffen ist, haben wenige Jahre vorher Menschen gegeneinander gekämpft. Die Raupenspuren von Panzerwagen, die sich tief in den Kies der Wüste eingegraben haben, sind letzte Zeugen des Zweiten Weltkrieges, der selbst die Sahara nicht unbe­rührt ließ.

In mondheller Nacht gelangt das Expeditionsauto zu einem zweiten, verlassenen Fort, El Gaf. Aber erst im Fort Umm el Abid, an der Grenze des Fezzan, soll länger gerastet werden. Vorher muss jedoch erst eine überaus beschwerliche Wegstrecke, die große Düne, überwunden werden. Im fahlen Schein des Mondes schimmert der Sand wie Schnee, Panzerketten müssen angelegt werden, damit der überlastete Wagen vorwärtskommt. Endlich, am Morgen des 16. Jänner, wird das Ziel der ersten Etappe, Sebha, erreicht.

Dieses Wüstenfort beherrscht den strategisch wichtigen Kreuzungspunkt der alten Bornu-Karawanenstraße und der neuen Autopisten nach Ghat und den Oasen von Kufra. Im Zweiten Weltkrieg wurde dieses ehemals italienische, „Forte Elena“ genannte Bollwerk von den Truppen des Generals Leclerc erobert und deshalb heißt es seither „Fort Leclerc“. Fremdenlegionäre und französische Kolonialtruppen bildeten bis Ende Dezember 1954 seine Besatzung. Heute besteht sie aus Soldaten des jungen libyschen Königreiches, das auf Beschluss der Vereinten Nationen aus den drei Landesteilen Cyrenaika, Tripolitanien und Fezzan gebildet wurde. Die neue Regierung ist eifrig am Werk, vor den Toren Sebhas den zukünftigen Sitz der Provinzialverwaltung, der den Namen Dar el Bei trägt, auszubauen, der neben Verwaltungsgebäuden ein modernes Krankenhaus und ein Internat zur Heranbildung des Beamtennachwuchses vorsieht.

Drei Tage lang erholen sich die Expeditionsteilnehmer in dem gastfreundlichen Sebha, dann bietet sich eine sehr günstige Gelegenheit zur Fortsetzung der Fahrt. Ein französischer Konvoi von sechs schweren Lastautos, die Versorgungsgüter nach dem am Ufer des Tschadsees gelegenen Fort Lamy bringen sollen, nimmt die drei Oesterreicher mit.

Auf der Piste, welche die Kieswüste, die Serir, östlich von Gatrun durchquert, gelangt die Kolonne verhältnismäßig rasch vorwärts. Nur wenn die Räder in dem feinkörnigen Sand allzu tief einsinken, müssen achtzig Kilo schwere Sandbleche Weiterhelfen.

Immer steiler wird die Piste, die zum Mezafeh-Gebirge hinaufführt, doch dann breitet sich eine geradezu reißbrettartige Hochebene aus. Sie ist mit eigentümlichen, vom Winde, von Sandstürmen zu bizarren Formen abgeschliffenen Granitblöcken übersät.

Durch die einzige Passage im Umkreis von fünfhundert Kilometern, den Pass von Kurizo, gelangt die Expedition am 24. Jänner in das Kernland Tibestis. Eine Felsszenerie von eindrucksvoller Schönheit bietet sich den Blicken der Männer dar. Fast glauben sie, die heimatliche Bergwelt der Alpen vor sich zu sehen, so sehr ähneln diese hohen Felskaskaden, die Wände und Felsdome, die steil zum Himmel ragen, die im Licht der Sonne herrliche Schatteneffekte hervorzaubern, jenen des Wilden Kaisers oder der Dolomiten.

Noch in anderer Gestalt grüßt die Heimat: in den durch Jahrtausende währende Arbeit von Wind, Sand und Stürmen geschliffenen Felslöchern nisten Schwalben, die emsig ihre junge Brut füttern. Die Männer haben die Winterquartiere dieser Segler der Lüfte entdeckt.

Die Kamera kommt nicht zur Ruhe, besonders als Dr. Weis auf einer Felswand die erste Felszeichnung entdeckt, die von einer versunkenen Kultur aus der Frühgeschichte der Menschheit Zeugnis ablegt. Nur 20x15 cm misst das Bild, das in zweifach geführter, aus feinen Punkten bestehender Linie deutlich erkennbar eine Kuh darstellt.

Nach neuntägiger Fahrt wird Zouar, der Sitz der französischen Verwaltungsbehörden für West- und Nordtibesti, erreicht. Von hier soll die Expedition zur Durchquerung des Hochlandes starten. Der Kommandant der Besatzung Zouars unterstützt die kleine Expedition tatkräftig. Er stellt ihr für den Weitermarsch durch das unwegsame Hochland, das für Autos unpassierbar ist, einen wegekundigen Führer, einen Dolmetscher und sechs Kamele zur Verfügung.

Vor dem Aufbruch zur großen Fahrt wird unter Teilnahme der ganzen Bevölkerung den Gästen zu Ehren ein Fest veranstaltet, das ein Bild Afrikas bietet, wie es nur von wenigen geschaut wurde. Prächtige Farbaufnahmen halten dieses Erlebnis zu dauernder Erinnerung fest.

Am Morgen nach diesem Fest bricht die Karawane zum Weitermarsch auf. Ihr Ziel ist die Oase von Bardai, das Zentrum des Berglandes von Tibesti.

Endlos dehnt sich die graubraune Hochfläche. Durch enge Wadis, die ausgetrockneten Betten von Flüssen, die nur während der kurzen Regenzeit, im Juli und August, Wasser führen, an glattgeschliffenen Felsblöcken vorbei zieht sich der Kamelpfad gleich einem endlosen, hellen Band. An manchen Stellen müssen die Reiter neben ihren Tieren gehen, wenn sich die Felstrümmer wie ein steinerner Gletscherbruch zusammenballen, dann wieder müssen canonartige Schluchten durchquert werden. Der hochaufragende Gipfel des erloschenen Vulkans Tousside, des zweithöchsten Berges Tibestis und der Pic Botoum bewachen den Eingang ins Reich der Schluchten und Gipfel.

Je höher die Karawane gelangt, desto überwältigender, ausgedehnter wird das Panorama, das sich den Blicken darbietet. Der Toussidé birgt noch eine andere Besonderheit. Aus dem blendenden Weiß des Kratertrichters ragen die schwarzen Nebenvulkane wie Inseln in schäumender Meeresbrandung empor. Das Weiße ist jedoch nicht Schnee, sondern eine dicke Schicht Natronkristalle. „Natronloch – Trou Natron“ wird dieser 700 m tiefe Krater deshalb genannt.

Mit der Erreichung der Wasserscheide ändert sich das Landschaftsbild von neuem. Die vom Regen ausgewaschenen Felsrinnen verbreitern sich zu Schluchten, diese werden zu Tälern, die tief in das Gebirge einschneiden.

Wenige Wegstunden vor Bardai durchquert die Karawane eine enge Felsschlucht, an deren Wänden sich Felszeichnung an Felszeichnung reiht. Es ist eine Galerie von Bildern, geschaffen von Künstlern vorgeschichtlicher Zeiten. Neben Darstellungen aus der Tierwelt: Elefanten, Nilpferden, Giraffen, Gazellen, Rindern, Ebern ist auch der Mensch, der Hirt, der Krieger zu sehen. Diese zum Teil noch sehr gut erhaltenen Felszeichnungen beweisen, dass auch Tibesti in der Frühgeschichte der Menschheit ein niederschlagsreiches und deshalb fruchtbares Gebiet gewesen sein muss, das Mensch, Tier und Pflanze Leben gewährte.

War es nur der Mensch, der durch Kriege die noch im zweiten Jahrhundert n. Chr. vorhanden gewesenen Bewässerungsanlagen, die ausgedehnten Olivenhaine zerstörte und verfallen ließ, oder waren es höhere Gewalten, die den unaufhaltsamen Vormarsch der Wüste ermöglichten? Es wird noch vieler Forschungsarbeit bedürfen, um diese Fragen zu klären.

Am 4. Februar zieht die Karawane in Bardai ein, jenem Ort, bis zu dem vor zwei Menschenaltern, 1869, der erste Deutsche, Gustav Nachtigal, ins Innere Tibestis gelangt war, bevor er vor der feindseligen Haltung der Eingeborenen fliehen musste.

Jetzt, an diesem Februartag des Jahres 1954, wird die kleine Karawane vom Kommandanten der französischen Besatzung des Forts Bardai überaus zuvorkommend willkommen geheißen. Ein Gästehaus wird zur Verfügung gestellt und Mabali, ein zwei Meter zehn messender riesiger Neger, als dienstbarer Geist zugeteilt.

Der Ethnologe Kronenberg bleibt in Bardai, um hier völkerkundliche Studien zu betreiben und anschließend allein weiter südlich in das Gebiet des Emi Koussi vorzudringen. Kronenberg besteigt diesen höchsten Berg Tibestis und unternimmt, nur von zwei Eingeborenen begleitet, eine mehrwöchige, beschwerliche Wüstenreise, bei der er eine Strecke von 1400 Kilometern zurücklegt. Nach viermonatigem Aufenthalt in Tibesti trifft er Ende Mai wieder in Wien ein.

Dr. Weis und Bieber setzen am 8. Februar den Weitermarsch nach Aozu mit den vom Kommandanten Zouars beigestellten Begleitern Bogart und Bargai und vier Gebirgskamelen fort.

Die sehr beschwerliche Route führt über nur mühsam zu bewältigende Pässe und durch kilometerlange, oft nur wenige Meter breite Schluchten. Steile, Hunderte von Metern aufragende Wände, Vulkankegel, zu deren Füßen sich Gesteinsschutt türmt, bilden das Panorama dieser wildromantischen Bergwelt. Auch hier können die Forscher viele gut erhaltene Felszeichnungen aufnehmen. Die kleine Oase Aozu ist das letzte Ziel, der Ausgangspunkt eines einwöchigen Rittes in das fast völlig unbekannte Gebiet des Emi Toukoulea und des Arabi.

In der dritten Februarwoche tritt die Expedition den Rückmarsch nach Südlibyen an. Es ist ein gefahrvolles Beginnen, denn in achtzehntägigem Kamelritt muss eine Strecke von 850 Kilometern zurückgelegt werden, davon zehn Tage lang durch eine Sandwüste, in der es auch nicht das kleinste Wasserloch gibt. Nur dem unfehlbaren Instinkt des Karawanenführers verdankt es die kleine Schar, die auch drei Sandstürme überstehen muss, dass sie schließlich wohlbehalten in Gatrun eintrifft. Als erste Weiße haben Bieber und sein Kamerad Dr. Weiß die libysche Wüste, die in jenen Gebieten noch unerforscht war, durchquert.

Eine ansehnliche völkerkundliche Sammlung, reiche Ausbeute an Fotos (viele davon farbig) und vor allem wertvolle Kenntnisse von Land und Menschen, ein Schatz an Erfahrungen bilden das Ergebnis dieser ersten österreichischen Kundfahrt nach Tibesti, die der Vorbereitung der zweiten österreichischen Sahara-Tibesti-Expedition 1955 diente.

Zu ihrem Gelingen haben die Regierung des Königreiches Libyen und die französische Militärverwaltung im Fezzan und in Tibesti in hervorragender Weise beigetragen.

Die reiche Ausbeute an Farb- und Schwarzweiß-Aufnahmen, welche die I. Oesterreichische Sahara-Tibesti-Expedition von ihrer Kundfahrt 1954 heimbrachte, wurde dem österreichischen Publikum in einer großen Anzahl von Lichtbildvorträgen vorgeführt. Der Expeditionsleiter Otto Bieber sprach insgesamt an 35 Abenden. Die einzelnen Vorträge fanden statt: vier in Wien, achtzehn in der Steiermark (in Graz, Bruck a. d. Mur, Eisenerz, Fohnsdorf, Judenburg, Kapfenberg, Knittelfeld, Leoben, Mürzzuschlag, Murau, Neumarkt, Oberwölz, Radmer, St. Gallen, St. Kathrein, Thörl, Zeltweg sowie in der Sonnenheilstätte Stolzalpe bei Murau), sechs in Niederösterreich (Baden bei Wien, Gmünd, Hollabrunn, Melk, Mistelbach, St. Pölten), fünf in Salzburg (Salzburg, Mittersill, Lend, Saalfelden, Zell am See), je einer in Oberösterreich (Schärding am Inn) und in Tirol (Innsbruck). In den meisten dieser Städte und Gemeinden sprach der Vortragende außerdem zu den Schülern der Mittel- und Hauptschulen. Weitere bereits vorgesehene Vorträge mussten wegen der Vorarbeiten für die II. Oesterreichische Sahara-Tibesti-Expedition 1955 bis zur Rückkehr von dieser Expedition verschoben werden.

Die Zielsetzung der II. Österreichischen Sahara-Tibesti-Expedition

Die Bewohner Tibestis, die Tubbu, verdanken der Unzugänglichkeit ihres Wohngebietes, dass sie dem gegenwärtig in Afrika stattfindenden Akkulturationsprozess nicht in dem Maße ausgesetzt sind wie die übrigen Völker des schwarzen Erdteils. Der Ethnologe findet daher hier ein reiches Betätigungsfeld vor, die Kultur eines Volkes zu erforschen, das von der Zivilisationswelle noch nicht erfasst wurde.

Die erste österreichische Sahara-Tibesti-Expedition 1954 hatte deshalb vor allem die Aufgabe, als Grundlage für die II. Expedition 1955 die beste Marschroute zu erkunden und die erforderlichen Verbindungen zur Regierung des Königreiches Libyen und zu den Verwaltungsbehörden in Französisch-Äquatorialafrika herzustellen.

Die II. Österreichische Sahara-Tibesti-Expedition wird deshalb neben kartographischen Aufnahmen in erster Linie ethnographische Studien in jenem Gebiet betreiben, eine für das Museum für Völkerkunde in Wien bestimmte Tibesti-Sammlung anlegen und die Erforschung von Leben und Lebensraum der Tubbu durch Schwarz-weiß- und Farbfotos sowie Tonbandaufnahmen vervollständigen.

Quellen:
Magisches Tibesti. Mitteilungen der Österreichischen Sahara-Tibesti-Expedition 1955

Übertragen von hojos
im Dezember 2012