Vorkommnisse und Erlebnisse kurz vor und nach Kriegsende

Ich hielt mich einige Tage vor dem "Einmarsch" der "Roten Armee" im Schrebergartenhaus der Großeltern meines besten Freundes Franz Huber auf dem Himmelhof auf. Dies geschah auf Geheiß meines Vaters und mit Einverständnis der Hubers. Mein Vater hatte nämlich davor Angst, dass mir als fünften Sohn (drei meiner Brüder waren gefallen der Vierte vermisst) ein ähnliches Schicksal ereilen könnte. Er konnte natürlich nicht erahnen, dass die Russen gerade dort, wo es ansonsten ruhig und still zu sein pflegte, nämlich am Himmelhof, durch den Lainzer Tiergarten durchbrechen würden. Im besagten Haus hatte sich kurz zuvor eine junge Familie mit einem Säugling eingenistet. Der Mann war Angehöriger der gefürchteten Brigade der Weißrussischen Wlassow-Truppen, die im Solde der deutschen Waffen-SS standen. Zu unserem Glück verließ das Ehepaar mit dem Säugling einen Tag bevor die Sowjets erschienen das Haus. Ihr Schicksal blieb ungewiss, denn beide waren schwer bewaffnet angekommen und so auch wieder aus dem Haus geflohen.

Franz und meine Wenigkeit konnten unsere Neugierde und unseren jugendlichen "Leichtsinn" nicht bezähmen. So kam es, dass wir auf die nahe gelegene Tiergartenmauer kletterten und auf deren Krone stehend fast vor Schreck herunterfielen. Zirka 20 Meter von der Mauer entfernt entdeckten wir hinter zirka 50–60 Bäumen, fein geordnet im so genannten "Schemelbau", die gesamte Ausrüstung, also Uniform, Stiefeln und Helm der so genannten "Schutzpolizei Wien", und bei jedem "Bündel" stand, angelehnt an einen Baumstamm, ein Karabiner. Hier hatte sich scheinbar eine ganze Einheit vom Krieg verabschiedet. Als wir beide Großvater Huber von unserer Entdeckung berichteten, warnte er uns sogleich vor "unbedachten" Schritten unsererseits. Wir befolgten den guten Rat natürlich und taten so, als hätten wir das nie gesehen. Am nächsten Morgen hörten wir auch schon starke Motorengeräusche aus der Richtung des Lainzer Tiergartens, um kurz darauf auch das Bersten von Mauerwerk wahrzunehmen. In der Tat: Die Russen waren mit ihren "T 34er" einfach durch die Tiergartenmauer geprescht. Einer der Kolosse kam auf dem Plateau des Hagenberges zu stehen. Kurz darauf öffnete sich die Luke und ein mit einer Pelzhaube bemützter Soldat kam zum Vorschein. Er blickte um sich und musste Franz und meine Wenigkeit erspäht haben. Zu unserem Erstaunen gab es aber noch einige andere Leute, ältere wie wir feststellten, die zögerlich und mit weißen Tüchern in die Richtung des Panzers "wachelten". Der Russe verschwand aber sofort wieder ins Innere des Panzers und schloss die Luke. Wir zwei, aber besonders die älteren Leute blickten erschrocken um sich und befürchteten scheinbar Schlimmes. Diese Angst war unbegründet, denn im nächsten Augenblick ging die Luke wieder auf, und wir konnten gar nicht so schnell schauen, flogen einige weiße Schachteln, gefüllt mit "Hammer-Knäckebrot" heraus, die wir alle auf schnellstem Wege aufhoben. Erst bei unserem "Rückzug" bemerkten wir, dass am Waldesrand einige weitere T 34 standen, aber unsere Angst war unbegründet. Gemeinsam mit meinem Kumpel Franzl verließ ich noch am selben Nachmittag das Haus, das mir in den vergangenen Tagen zur Heimstätte geworden war. Als wir in Franzls Vaterhaus ankamen, war seine Mutter sehr erleichtert, uns gesund und heil wieder zusehen, obwohl seit unserem Abschied erst einige Tage vergangen waren. Ich selbst hatte ja noch zirka 1 ½ km zu meinem "Zuhause" zurückzulegen. Dass ich auf dieser verhältnismäßig kurzen Wegstrecke noch einiges durchzumachen hatte, kam mit in meiner jugendlichen "Unbekümmertheit" gar nicht in den Sinn. Ich war in den letzten Wochen oder Monaten vor dem eigentlichen Kriegsende des Öfteren in höchste Lebensgefahr geraten, bei Luftangriffen der "Alliierten" als ich mit meinem einstigen Lehrherrn und Arbeitskollegen in Rüstungsbetrieben "dienstverpflichtet" wurde.

Am Nachhauseweg musste ich jedoch in der Jagdschloßgasse einige Male in volle Deckung gehen. Dabei machte ich Bekanntschaft mit hohen Brennnesseln und Schlehdorngebüschen mit ihren Dornen. Ich war nämlich von Rotarmisten beschossen worden, die sich durch die Gobergasse stadteinwärts bewegten. Auf dem dazwischen liegenden freien Feld steht heute die Wohnanlage und Kirche der evangelischen Glaubensgemeinschaft. Bei meinem letzten "zu Boden gehen" entglitt mir die Glasflasche, in der sich eine für die damaligen Tage ganz kostbare Flüssigkeit befand, nämlich Milch, frische Kuhmilch, die mir Franzls Mutter mit auf den Weg gegeben hatte. Sie besaß nämlich eine Kuh, die sie den ganzen Krieg hindurch gehegt und gepflegt hatte. Und das war schließlich auch der Grund dafür, dass sie Ihr Haus, auch in diesen kritischen Tagen, nicht im Stich lassen wollte, was immer auch kommen würde. So war ich dann auch froh, als ich diese frei einsehbare Strecke hinter mich gebracht hatte und ich nur noch kurz vor meinem Zuhause war. Ich hatte mich zu früh gefreut, denn wenige Schritte nach dem Einbiegen in die Wolkersbergenstraße gewahrte ich ein in schneller Fahrt auf mich zukommendes Militärauto und suchte blitzartig Deckung im Gestrüpp eines zu meinem Glück recht verwahrlosten Gartens mit kaputtem Zaun. So verharrend konnte ich dem lauten Disput zwischen dem Kommandanten des Militärwagens und dem Portier des gegenüberliegenden Altersheimes Lainz folgen. Die Soldaten wollten mit ihrem Wagen in die Anstalt hinein, was ihnen aber der Portier mit dem Hinweis auf einen Befehl des Ärztlichen Direktors Prim. Dr. Baumgartner, keinem Militärfahrzeug die Erlaubnis zur Einfahrt in das Anstaltsgebiet zu erteilen, verwehrte. Außerdem war das Einfahrtstor gut verriegelt und mit Eisentraversen zusätzlich verstärkt. Sichtlich verärgert zogen sie unverrichteter Dinge wieder ab und fuhren in dieselbe Richtung, aus der sie gekommen waren, an mir vorbei in Richtung Speising. Am ganzen Körper zitternd erhob ich mich aus meinem kurzzeitigen "Gefängnis" und legte die paar Schritte zu unserem Siedlungshaus zurück. Aus den Fenstern einiger weniger Siedlungshäuser in unserer Gasse hingen weiße Tücher heraus. Erst nach längerem Rufen und Klopfen wurde mir von meinem Vater vorsichtig geöffnet. Meine Leute hatten sich allesamt in der Waschküche verkrochen. Alle dick eingehüllt, so dass ich meine Mutter, die drei Schwestern und meine Nichte bald nicht erkannt hätte. Direkt innerhalb unserer Siedlungsanlage wurde nicht gekämpft, doch hörte man durch die dünnen Wände unserer Häuser Gefechtslärm, Schüsse und Detonationen in einiger Entfernung. Manchmal sogar in heftiger, dann wieder in abebbender Form. Der Aufenthalt im Keller und in der Waschküche nagte selbstverständlich an den Nerven aller, doch die Angst überwog, speziell bei der Weiblichkeit, bei weitem den Wunsch nach draußen zu gehen. Trotz der vielleicht berechtigten Einwände meiner Eltern wagte ich es, zwei Tage nach meiner Heimkehr wieder auf die Straße zu gehen um "nachzusehen" was es "Neues" gab. Ich hatte jedoch keineswegs die Absicht, mich zu weit von zuhause weg zu begeben. Da alles um mich herum ruhig war, landete ich schließlich in der Sauraugasse, wo ich eine furchtbare Entdeckung machte. Zirka 50 Meter von der Jagdschloßgasse entfernt lagen in der Straßenmitte zwei tote Rotarmisten, mongolischer Herkunft. Sie lagen beide auf dem Rücken. Auf Nase und Mund war eingetrocknetes Blut zu sehen, und die Augen waren starr und offen. Mir fuhr ein gewaltiger Schrecken in die Glieder, denn ich hatte so etwas in meinem bisherigen Leben noch nicht gesehen. Ich verzog mich auf schnellstem Wege wieder in Richtung Jagdschloßgasse, wurde aber gleich auf etwas anderes aufmerksam. Im Garten der Schwesternschule des Krankenhauses Lainz sah ich aufgeworfene Erde und daneben drei Grabhügeln mit drei Birkenkreuzen mit Inschrift und aufgestülpt je ein Stahlhelm. Es handelte sich dabei um die eiligst errichtete Grabstätte dreier junger deutscher Soldaten. Ich eilte so schnell mich meine Füße trugen, nach Hause. Ich fand in meinen "Funden" die Bestätigung, dass es dort zu heftigen Kämpfen gekommen sein musste. Nur die Tatsache, dass die drei Deutschen verhältnismäßig normal begraben werden konnten, die beiden Rußen aber so "offen" liegen geblieben waren, machte mich und meinen Vater nachdenklich. Die "Erlebnisse" dieses Tages unterdrückten nachhaltig meinen Wunsch, wieder nach „draußen“ zu kommen. Ich ließ zwei Tage verstreichen, ehe ich es neuerlich wagte. Es war auch nicht verwunderlich, dass es mich förmlich wie unter Zwang in die Nähe meines grausigen "Fundes" zog. Als ich bei der Schwesternschule ankam und in den Garten hineinblickte, traf mich beinahe der Schlag. Von den drei Gräbern der deutschen Soldaten sah man nichts anderes mehr, als die herumliegenden Trümmer der Birkenkreuze und die drei im Gras verstreut liegenden Stahlhelme. An der Stelle jedoch, an der die Birkenkreuze gestanden waren, entdeckte ich zwei rot gestrichene Pyramiden aus Holz, an deren Spitze der knallrote Sowjetstern prangte. Auf den Pyramiden war keine Inschrift zu sehen. Nichts. Ich nehme auch heute noch an, dass es sich bei den "bestatteten" Russen um jene beiden handelte, die ich zwei Tage zuvor entdeckt hatte. Das Schicksal der drei deutschen Soldaten, die vermutlich aus ihren Gräbern "entfernt" worden waren, bleibt, sofern es keine amtlichen Aufzeichnungen aus dieser Zeit gibt, wahrscheinlich für ewig ein Rätsel und ungelöst.

In diesen paar Tagen glaubte ich mich tatsächlich gewappnet gegen alle Unbill des Lebens, denn, wenn jemand innerhalb kürzester Zeit so viele Erlebnisse unbeschadet überstanden zu haben schien, kann eigentlich nichts mehr geschehen. Dass meine Eltern sich jedoch auch große Sorgen um meine älteste Schwester die "fern" von Lainz im 20. Bezirk wohnte und hochschwanger mit meinem kleinen Neffen in großer Angst leben musste. So war es für mich fast eine Selbstverständlichkeit und eine gewisse Pflicht meiner Familie gegenüber, mich auf den gefährlichen und dazu auch langen Weg bis in die Brigittenau zu machen. Niemand wusste, wie es außerhalb unseres Bezirkes überhaupt aussah. Die Kämpfe waren zwar schon abgeflaut, aber niemand konnte im Voraus wissen, ob es nicht doch noch Leute geben würde, die dem Wahn einer Endsieghoffnung nachhingen und damit noch weiterem Blutvergießen Vorschub leisten würden. Je weiter ich mich also von meinem zu Hause entfernte, um so grauenhafter und schrecklicher war das, was ich sah. Der Anblick von Menschenteilen in den Häusertrümmern unter Schutt herausragend, übertraf noch meinen Schrecken von den zwei Toten in der Sauraugasse. Als ich dann beim "Steffl" vorbeikam, dessen ganzes Dach fehlte und aus dem die Rauchwolken aufstiegen, konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich hätte mich derer auch nicht geschämt, wenn viele Leute um mich gewesen wären, aber der Platz war beinahe menschenleer und ich sah nur ganz vereinzelt Leute, die schnell wieder aus meinem Gesichtskreis verschwanden. Als ich am Franz-Josefs-Kai ankam und Richtung Schwedenbrücke über die unendlich scheinenden Schuttberge kletterte, erblickte ich unter mir im Donaukanal aufgeblähte Pferdeleiber, über die ich und einige andere Leute sich den Weg ans andere Ufer des Kanals bahnen mussten. Die Brücken über den Kanal waren alle gesprengt, deren Trümmer stauten natürlich das Wasser auf und ich war heilfroh, das andere Ufer unverletzt erreicht zu haben. In der Taborstraße angelangt, ging es etwas flotter, obwohl auch dort fast jedes Haus in irgendeiner Weise beschädigt war. An der Ecke Taborstraße/Heinestraße erregte eine Menschenansammlung meine Neugierde. Ich wechselte deshalb die Straßenseite, um die Ursache dies "Auflaufes" zu erkunden. Das sollte sich schon im nächsten Augenblick als riesengroßer Fehler meinerseits herausstellen. Eine laute knarrende Stimme ertönte, direkt auf mich gerichtet. Der genaue Wortlaut: "Se san der Zehnte, auf ihnen hab’ ich schon g’wart!". Die Stimme gehörte einem zirka 50-jährigen, mit einem olivgrünen langen Mantel bekleideten Mann. Am Arm trug er eine rote Armbinde mit der Aufschrift "HILFSPOLIZEI". Ich war umringt von vielen älteren Männern, die, so wie ich, soeben im Auftrag der Sowjets "eingefangen" worden waren. Ich konnte gar nicht so schnell schauen, als auch schon eine riesige Kolonne von Männern entstanden war, die in Viererreihen in die Taborstraße einbogen, vorbei am zerstörten und noch rauchenden Nordwestbahnhof zur Dresdnerstraße. Neben uns marschierten in geringen Abständen voneinander die unbewaffneten "Hilfspolizisten". Dass wir unbewacht wären, glaubten wir aber ohnehin nicht, denn ein Blick rechts oder links aus der Reihe genügte, um zu sehen, dass eine ganze Menge russischer Soldaten mit ihren Maschinenpistolen bewaffnet uns "begleitete". Als ich vorlaut wie immer, einen der Hilfspolizisten mit der roten Binde fragte, wohin uns der Weg führe, bekam ich zur Antwort: "Siemens-Schuckertwerke in der Engerthstraße!" Die meisten meiner "Mitmarschierer", wie schon gesagt fast durchwegs ältere Männer und scheinbar aus der Umgebung stammend, wussten sofort Bescheid: Dieses Werk war ein Rüstungsbetrieb gewesen und daher "Deutsches Eigentum". Dieser Wortbegriff entstand aber erst ein wenig später und wurde von den Sowjets geprägt. Bei den Siemens-Schuckertwerken in der Engerthstraße "staute" es gewaltig. Besonders arg wurde es dann vor dem großen Eingangstor auf der Schmalseite dieses riesigen Fabriksgebäudes. Dort wurde der breite Stiegenaufgang flankiert von einer riesigen "Portierloge" hinter der vier ranghöhere Sowjetoffiziere und zwei Dolmetscher amtierten, die jedem von uns die jeweiligen Ausweispapiere, die man halt gerade bei sich trug, abnahmen. Zugleich erhielt man einen Streifen Papier mit seinem Namen in zyrillischer Schrift und grellrotem, ins Gesicht springendem Sowjetstern mit der Unterschrift eines der Offiziere. Das, sagte uns der Dolmetsch, sei unser Ausweis bei eventuellen Anhaltungen auf den Straßen. Bevor ich aber bis zu der "Portierloge" vorgedrungen war, sah ich gegenüber dem Eingangstor auf einem eingezäunten Grundstück einen mehrere Meter hohen "Berg" von nagelneuen Telefonapparaten, die scheinbar aus den Fenstern des Werkes geworfen worden waren, bevor die Russen zur Stelle waren. Das gesamte Inventar von Siemens-Schuckert, sowie das der gegenüber liegenden Firma Krause und Co, in denen ganz teure Maschinen wie automatische Drehbänke und riesige Bohrmaschinen lagerten, war "Deutsches Eigentum" und wurde von uns "Eingefangenen" zum Abtransport vorbereitet. Einzelne Maschinen wurden in Packpapier, das in vielen Rollen bereitstand, "eingepackt" und mit blauen Köperbändchen zugeschnürt. Da ging vieles zu Bruch, speziell Gusseiserne Teile. In den vielen Stockwerken von Siemens-Schuckert waren wahre "Schätze" an Spezialwerkzeugen und Ähnliches gelagert. Aber auch diverse Kleinmaschinen, alles fein verpackt in Ölpapier und Kartons, lagerten in den Magazinen. Jedes Stockwerk wurde von drei bis vier Rotarmisten mit umgehängter "Puschka" bewacht. Verpflegt wurden wir alle in der riesigen "Kantine", in der ganze Tischreihen und Sesseln aufgestellt waren. Die Tische waren mit weißen Tischtüchern bedeckt, auf denen Berge von geschnittenem Brot lagen, von dem man beliebig viel nehmen konnte. Aus zwei im Garten davor stehenden Gulaschkanonen wurden uns täglich große Portionen von "Borschtsch", der russischen Krautsuppe, die reichlich Fleisch beinhaltete, verabreicht. Auf einem Podium, über dem ein halb zerschossener Reichsadler (Pleitegeier genannt) herabpendelte, saß ein russischer Soldat mit einem großen Akkordeon und spielte uns russische Lieder und Weisen auf… Der große Vorteil für uns alle war der Zeitunterschied zwischen unserer und der Moskauer Zeit. Die Moskauer Zeit war zwei Stunden voraus. Wir durften unseren "Robot" um 16 Uhr nach Moskauer Zeit beenden, was allerdings 14 Uhr nach unserer Zeit entsprach. Ich war bei meiner Schwester in der Wehlistraße einquartiert und hatte daher nicht allzu weit zu Fuß. Ich nahm beim Nachhausegehen die Gelegenheit wahr, immer etwas mitzunehmen, was mir sehr wertvoll erschien, ohne mich mit einem schlechten Gewissen, etwas entwendet zu haben, zu belasten. So wurde mit der Zeit aus dem "Deutschen Eigentum" ein "Österreichisches". Auf welche Weise ich das "Ganze" später einmal vom 20. in den 13. Bezirk befördern könnte, beschäftigte mich in diesen Tagen fast die gesamte Zeit.

Dass ich nicht ewig hier schuften würde, sondern irgendeine Chance, sei sie auch noch so winzig, zur Flucht nützen würde, stand für mich fest. Ich suchte fieberhaft nach einer Gelegenheit, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Diese stellte sich ein, als ich mit anderen Kollegen im dritten Stock eine riesige "Papiermühle" (ich hatte diesen Ausdruck vorher noch nie gehört und eine solche auch noch nie gesehen) "abzumontieren" hatte. Dieses Monstrum war mit mehreren Vollstahlbändern in den Boden der Halle einzementiert worden, um die Standfestigkeit zu gewährleisten. Wir mussten dazu erst mit Meißeln den Boden aufstemmen, um zu den Verankerungen zu gelangen und diese nach Freilegung mittels Eisensägen, auf dem Boden liegend, durchschneiden. Diese Arbeit war Schwerstarbeit im wahrsten Sinn des Wortes, gab mir jedoch anderntags die Gelegenheit, meinen "Plan" auszuführen. Im Nachhinein gesehen war er im Falle des Fehlschlages brandgefährlich. Ich erschien nämlich am nächsten Tag mit "dick geschwollener" rechter Hand, diese in einer Schlinge tragend, im Werk. Ich kam zu einer Zeit, in der ich wenig "Bewacher" in der "Portierloge" vermutete. In der Tat waren nur ein Offizier und ein Dolmetscher anwesend. Als mich dieser auf meine verbundene Hand ansprach, erzählte ich ihm von einem großen Malheur bei der Demontage der "Papiermühle" am Vortag und dass ich die ganze Nacht vor Schmerzen kaum schlafen konnte und dass ich deswegen einen mir bekannten Arzt aufsuchen möchte. Dazu bräuchte ich natürlich meinen Ausweis, der mir hier abgenommen worden war. Nicht auszudenken, wenn die Russen einen eigenen Arzt hier gehabt hätten. Dann wäre mein "Plan" zerplatzt wie eine Seifenblase und meine Angehörigen hätten vermutlich nicht einmal erfahren, was mit mir geschehen war. Meine "geschwollene Hand" war durch das starke "Schnüren" mit einer Elastikbinde entstanden. Allerdings bekam ich durch diese "Verschnürung" tatsächlich Schmerzen, die nach und stärker wurden. Die Entfernung der Binde war demnach meine erste Handlung, nach dem ich außer Reichweite des Werkes gekommen war. Meine Schwester, von der auch die Idee mit der "Hand" stammte, war sehr erleichtert, als ich bei ihr auftauchte. Nach kurzer Beratung beschlossen wir, das Nötigste (darunter befand sich natürlich auch meine Beute) sofort zusammenzupacken und uns auf den gefährlichen und auch beschwerlichen Weg nach Lainz zu begeben. Sehr hilfreich war der Umstand, dass uns zum Abtransport der Sachen eine ebenfalls aus ehemaligem "Deutschen Eigentum" stammende Scheibtruhe zur Verfügung stand. Ich war erfreut aber auch erstaunt, wie tapfer sich auf diesem langen mühsamen "Marsch" meine Schwester in ihrem "Zustand" und mein kleiner Neffe verhielten. So waren wir ohne größere Schwierigkeiten bis zur damaligen Hietzinger Brücke entlang der Mauer von Schönbrunn gekommen. Plötzlich wurden wir von einer russischen Soldatin, die auf der Brücke mit je einer roten und einer gelben Fahne in den Händen, den dort fast nicht stattfindenden "Verkehr" (russische Militärfahrzeuge) regelte, angehalten. In diesem Augenblick sahen wir schon schwarz, unsere Leute in Lainz gesund wieder zusehen. "Du nix roboti", herrschte sie mich an. Als ich in die Tasche Griff, um meinen Passierschein der Russen hervorzuholen, riss sie ihre "Puschka" von der Schulter und setzte mir diese an die Brust. Mit zitternder Hand reichte ich ihr das scheinbar lebensrettende Papier mit dem knallroten Sowjetstern darauf. Im nächsten Augenblick wurde ihr drohender Gesichtsausdruck milde. Sie schlug sogar ein wenig die Haken zusammen und salutierte beinahe vor uns, in dem sie ihre Hand zur Mütze führte. Dann fiel ihr Blick auf meine Schwester, die noch am ganzen Körper zitterte, und entdeckte dabei die Wölbung des Bauches. Da strahlte die Russin über das ganze Gesicht. Mit einer Handbewegung und einem für uns freundlich scheinenden "DAWEI" entließ sie uns. Die Scheibtruhe ließ sie unbeachtet. So kamen wir unbeschadet und ohne weitere "Kontrolle" in unserem Siedlungshaus an. Übrigens wurde meine Schwester etwas später von einem Mädchen entbunden. Die Scheibtruhe aber versah noch längere Zeit ihren Dienst in unserem Garten und wurde dann als "Blumentrog" benützt.

Quellen:
Von einem Zeitzeugen niedergeschrieben im Februar 2011

Übertragen von hojos
im November 2012