Schinder, Abdecker und Wasenmeister in Ober St. Veit

1830

Allgemeines zu den Schindern

Der Schinder ist eine Person, die sich gewerbsmäßig mit der Beseitigung und der Verwertung von Tierkörpern befasst. Dabei handelt es sich um Abfälle aus der Schlachtung oder Kadaver von nicht essbaren Tieren (Hunde, Katzen, altersschwache und kranke Tiere etc.). Die Bauern waren verpflichtet, alle Tierkadaver dem Abdecker zu übergeben. Die nicht mehr verwertbaren Reste (z. B. Knochen, soweit sie nicht an die Seifensieder gingen) wurden vom Schinder auf seinem außerhalb des Ortes gelegenen Anwesen oder dem Schindanger vergraben.

Das Wort „Schinder" kommt aus dem mittelhochdeutschen „schinden", die Haut abziehen. Die Liste der im deutschen Sprachraum verwendeten Bezeichnungen dieses Berufsstandes ist lang: Abdecker, Caviller, Fallmeister, Feldmeister, Filler, Hundschlager, Hundshäuter, Kafiller, Kaviller, Keibenschinder, Kleemeister, Racker, Streifer, Wasenmeister.

Auf der Stufenleiter der „unehrlichen" Leute oder „verfemten" Berufe stand der Schinder besonders tief, übertroffen nur noch vom Henker.

„Unehrlich" und damit rechtlos waren im christlich-abendländischen Mittelalter alle, die außerhalb der festgefügten Lebens- und Standesordnung standen. Dies konnte an der Geburt liegen (z. B. unehelich Geborene) oder durch eigene Handlungen verursacht sein (Heiden, Verbrecher). Sie waren unfähig zu bestimmten gerichtlichen Handlungen, konnten keine Ämter bekleiden und keinen Handwerkszünften beitreten. „Unehrlich" war aber auch eine ansehnliche Menschengruppe bloß wegen ihrer Zugehörigkeit zu durchaus notwendigen Berufen. Tiefgründigere Erklärungen für die Verachtung gewisser Berufe greifen weit zurück in die alte Kult- und Glaubenswelt unseres Kulturkreises, seichtere suchen den Grund für die Verachtung in ihrer Unehrlichkeit im heutigem Sinne: Müllern und Leinenwebern unterstellte man gerne Täuschung und Unterschlagung, das Geschäft der Bader hatte etwas Anrüchiges an sich, und die Schinder verrichteten schmutzige und abscheuliche Dienste.

Die einsetzende Bekämpfung dieser Grundhaltungen durch die Obrigkeiten blieb meist ohne praktische Wirkung, erst im Laufe des 18. Jahrhunderts konnte diese Form der Diskriminierung überwunden werden.

Schinder, Abdecker und Wasenmeister in Ober St. Veit

Auch das bäuerliche (Ober) St. Veit hatte einen Schinder. Das Häuserprotokoll vom 20. 4. 1820 zum Franziszeischen Kataster listet unter anderem Haus Nr. 127, Wohn- und Wirtschaftsgebäude samt Hofraum mit einem Areal inkl. Hof von 439,81 Quadratklaftern. Eigentümer: Wasenmeister Karl Eder. Dem Haus Nr. 127 entspricht die Adresse Angermayergasse 1 (heute bekannt als Blum-Villa bzw. Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik).

Auch das Grundbuch erläutert die Verwendung dieser Liegenschaft,  zuletzt im Folio 127 des Dienstbuches B Häuserbuch 1845-1880. Dort wird diese Besitzung als „Haus samt dazugehörigen anderthalb Joch Äckern, worauf dermahl eine Aasgrube befindlich" beschrieben. Besitzer waren von 1830 (Kauf) bis 1849 Martin und Theresia Habeck. Sie verkauften das Areal im Jahr 1849 an Johann Kaspar und Barbara Kümmerle. Diese sind lokalgeschichtlich als Hausbesitzer und Transportunternehmer bekannt und nicht für die Verwertung von Tierkörpern. Die Abdeckerei bestand aber zu diesem Zeitpunkt noch, denn eine solche soll dem Großbrand vom 17. Juli 1850 auf diesem Areal zum Opfer gefallen sein (siehe den in der Darstellung zur Freiwilligen Feuerwehr wiedergegebenen Bericht der Österreichischen Volkszeitung). Es ist daher anzunehmen, dass die Vorgänger des Ehepaars Kümmerle die Abdeckerei noch betrieben haben, nach dem Brand aber niemand mehr. Damit dürften Martin und Theresia Habeck die letzten Schinder Ober St. Veits gewesen sein.

Das Areal beim Haus Nr. 127 war aber nicht die einzige Stelle zur Entsorgung von Tierkadavern. Noch weiter außerhalb des Ortes gab es einen weiteren „Schindanger", der vor allem zur Entsorgung größerer Kadavermengen verwendet wurde. Dies bestätigt eine Passage in der Erzählung Johann Wimpissingers: „... Es (1873) war ein schlechtes Jahr für die Familie Hölzl, denn die Rinderpest hatte ihnen etwa 50 Kühe genommen. Auf der heutigen Schinderwiese wurden sie geschlachtet und dann in einer Grube mit Kalk übergossen". Wo diese Wiese ungefähr war, geht aus dem Vermögensstatus  hervor, der wegen der Vermögensteilung der Gemeinden Ober- und Unter St. Veit erstellt wurde. Darin werden Wasenmeistereigründe (= Aasgrube) bei der heutigen Joseph-Lister-Gasse ausgewiesen.

Mit besseren Vorkehrungen gegen Tierseuchen und der Eingemeindung Ober St. Veits nach Wien wurde die Tierkörperbeseitigung zentralisiert und industrialisiert. Das Tierseuchengesetz aus dem Jahr 1909, RGBl. Nr. 177/1909, mit seinen Verordnungen und Novellen stellt bis heute die Grundlage für die Maßnahmen der Prophylaxe und die Bekämpfung von Tierseuchen dar. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Gesetze und Verordnungen durch den Bund erlassen, die das Tierseuchengesetz ergänzten.

Die Tierkörperbeseitigung in unserem Raum führt die Tierkörperbeseitigung Wien GmbH Nfg KG (TKB) durch. Sie übt das Abdeckergewerbe aus, d. h. Einsammeln und Beseitigen von Konfiskaten, Tier­kadavern, Schlachtnebenprodukten und sonstigem Material tierischer Herkunft im Gebiet der Stadt Wien sowie das Einfangen, Einstellen und Betreuen von lebenden Tieren in der Quarantänestation ausschließlich auf behördliche Anordnung. Darüber hinaus hat die TKB bei einem Seuchenfall die im Katastrophenplan des Landes Wien vorgesehenen Maßnahmen einzuleiten und die seuchensichere Entsorgung zu gewährleisten.

Einem Augenzeugenbericht zufolge wurde in Ober St. Veit im Jahre 1938 letztmals ein Schinder gesehen. Er kam mit seinem schwarzen, von Pferden gezogenen Kistenwagen vermutlich von Baumgarten herüber und sammelte herrenlose und tote Hunde und Katzen ein. Die Kinder haben sich vor ihm gefürchtet.

Ausschnitt aus dem Folio 127 des Häuserbuches 1845–1880. Die Beschreibung der Besitzung lautet: Von einem Haus samt dazugehörigen anderthalb Joch Äckern, worauf dermahl eine Aasgrube befindlich. © Archiv 1133.at
<p><b>Ausschnitt aus dem Folio 127 des Häuserbuches 1845–1880</b></p><p>Die Beschreibung der Besitzung lautet: Von einem Haus samt dazugehörigen anderthalb Joch Äckern, worauf dermahl eine Aasgrube befindlich.</p><p><i>&copy; Archiv 1133.at</i></p>

Quellen:
Holzapfel, Josef: Historisches Ober St. Veit. Handwerks-, Gewerbe- und Vereinsgeschichte. Wien, Interessensgemeinschaft Kaufleute Ober St. Veit, 2009

Eingestellt von hojos
im Oktober 2012