Der "Weidman-Murl"

im Kontext von Hietzinger Afrikabezügen: Seminararbeit von DDr. Hellmut Lösch, 1130 Wien, für das Seminar: Koloniale Afrikastereotypen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien (SS 2004).
27.05.2004

  1. Einleitende Bemerkungen
  2. Terminologisch-etymologische Klarstellungen (Denotation, Konnotation und Kontextualität – Sinn und Unfug der "political correctness")
  3. Die relative Dichte von Afrikabezügen im (heutigen) 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing
  4. Die Quellen und deren Nutzung – ein geraffter Werkstattbericht
  5. Moham[m]ed Medlum – Diener und Importkaufmann?
  6. Das "kollektive" Gedächtnis der Lokalhistoriker
  7. Addendum
  8. Fußnoten

1. Einleitende Bemerkungen

Die gegenständliche Seminararbeit hat einen außerhalb der "afrikabewegten" (Hobby-) Lokalhistoriker wenig bzw. unbekannten Afrikaner namens Moham(m)ed zum Thema, der um und nach der Jahrhundertwende im "spätmonarchischen" Hietzing eine gewisse örtliche Berühmtheit erlangte, dessen Wohnsitz – wie Recherchen im Zuge der Erstellung dieser Arbeit ergaben – schließlich in den dritten Wiener Gemeindebezirk verlegt wurde.

Der ausgesprochene Mangel an gedruckten bzw. veröffentlichten Quellen hat eine Reihe von Recherchen in Archiven, Registraturen und im Hietzinger Bezirksmuseum zu Folge, um wesentliche Lücken in der Biographie des Ägypters zu schließen; desgleichen erwiesen sich Kontaktnahmen bzw. Interviews mit Lokalhistorikern, die ihr Wissen teils noch (familiär) tradiert auf Zeitgenossen des "Weidman-Murls" zurückführen können, als durchaus sinnvoll. Hiebei handelt es sich um eine "mittelbare oral history", die mit noch mehr Unsicherheitsmomenten überfrachtet ist, als die von Lutz Niethammer und anderen aus den Vereinigten Staaten übernommene "neue" historische Quellenkategorie. Ist die "oral history" schon angesichts ihrer Subjektivität und Perspektivität (nur ein Ausschnitt, der grundsätzlich nicht kontextualisiert wird, der Realität wird wahrgenommen), wie auch das nicht hinterfragte Einfließen (früh)kindlicher Prägungen mit ihren Vorurteilen, Verallgemeinerungen und Stereotypen ist höchst problematisch und bedarf im Interview der ordnenden Hand des Historikers; so kommen bei der generationellen Weitergabe von Impressionen noch Übertragungsfehler, Missverständnisse und problematische Interpretationen des Rezipienten hinzu, die allesamt dazu führen können, dass die "Botschaft" entstellt an den "Letztverbraucher" vermittelt wird; dennoch schien es angezeigt, ja geboten, diese hochproblematische und wohl kaum mehr "lautere" Quelle kontextuell mitzuberücksichtigen und soweit als möglich mit den (wenigen) Daten und gesicherten Quellen in Beziehung zu setzen. Analysen, das "Hinterfragen" und eine "Probabilitätsprüfung" sowie naturgemäß ein Kontextualisieren der überlieferten Berichte ist hier unerlässlich, um offenkundig unrichtige Aussagen zu eliminieren. Es könnte geradezu eine Hierarchie der Quellen, von sicheren (amtliche bzw. offiziöse Dokumente) über noch verhältnismäßig zuverlässige (Augenzeugenberichte in Publikationen) bis eben zu den obgenannten "Überlieferungen", bei denen mitunter auch die "Stille Post" Pate gestanden sein könnte, erstellt werden.

Zitate erfolgen in dieser Seminararbeit nach dem pragmatischen, (anglo-) amerikanischen "Harvard-System", was der Übersichtlichkeit und Lesbarkeit des Textes dienlich ist; Fußnoten (Formatierungsbeispiel: [1]) sollten zwar textnahe sein, für diese Internet-Version mussten sie jedoch an das Ende (Punkt 9) gestellt werden.

2. Terminologisch-etymologische Klarstellungen (Denotation, Konnotation und Kontextualität - Sinn und Unfug der "political correctness"

Um einen allfälligen Vorwurf mangelnder sprachlich-politischer Sensibilität erst gar nicht aufkommen zulassen, ist es angezeigt, den Titel dieser Arbeit "Der Weidman-Murl im Kontext von Hietzinger Afrikabezügen" zunächst (selbst)kritisch zu analysieren. Zum einen wird hier der Oberägypter Moham[m]ed Medlum dem begüterten Wiener Fabrikanten Josef Weidman [sic] in einer Weise zugeordnet, die fatal an Bezeichnungen einer Sklavenhaltergesellschaft, jedenfalls aber an (quasi-) koloniale Bezüge gemahnt; eine "(Zuge) Hörigkeit" wird unterstellt, die in der Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende weder durch öffentlich-rechtliche (Staatsgrundgesetze!), noch durch privatrechtliche Normen (ABGB!) eine juristische Deckung finden könnte. Tatsache ist, dass der vermögende Unternehmer Josef Weidman bei einer seiner zahlreichen Orientreisen den jungen Moham[m]ed Medlum nach Wien brachte und ihn hier als Diener in verschiedenen Verwendungen einsetzte; "er bediente nicht nur bei Tisch die Gäste, sondern er saß auch in seiner goldausgestickten Tracht, den roten Fez am Kopf, mit gekreuzten Armen hinter dem kutschierenden Herrn und dessen Frau[1]" (Blatt’l: 2). Auf den ersten Blick wird der vordergründig unsensible Umgang mit der namentlichen Zuordnung zu Weidman mit dem Ausdruck "Murl"[2] noch verschlimmert, könnte doch hier eine rassistische Konnotation, ein abwertender, ja stigmatisierender Unterton vermutet werden; es ist daher geboten, zunächst terminologisch – semantisch wie etymologisch – das wohl nur in einem Idiotikon[3] als Lexem berücksichtigte Wort näher zu beleuchten. Der Begriff "Murl", das bairisch-österreichische Diminutiv von "Mohr", bedeutet denotativ einfach der Schwarze. Italienisch "moro, mora" bezeichnet einen stark pigmentierten Menschen, "una bella mora" ist die liebevolle Bezeichnung eines hübschen dunkelhaarigen Mädchens.

Einerseits wenden sich die Verfechter einer "political correctness" gegen Begrifflichkeiten, die in der Tat stigmatisierend, ja zynisch und menschenverachtend sind, zum anderen fallen auch Termini, die kontextuell und zeitspezifisch keineswegs pejorativ zu sehen sind, den oft selbsternannten Zensoren und Hohepriester der reinen Lehre einer doch allzu eng konzipierten politischen Korrektheit zum Opfer. Euphemismen (laut Grimm: Glimpfwörter) werden gebieterisch eingefordert[4], die aber an der beklagten misslichen Lage (Rassismus, Antifeminismus, Chauvinismus, "ageism" [Vorurteile gegenüber alten Menschen] u. v. m.) leider nichts zu ändern vermögen. Den Terminus "Mohr" bzw. englisch "moor" (cf. Othello, the Moor of Venice)[5] als in jedem Fall rassistisch zu sehen ist überzogen und konterproduktiv, da hiermit das legitime (und notwendige!) Anliegen, problematische Begriffe zu vermeiden, lächerlich gemacht und sohin konterkariert wird. Was nun die Zuordnung des Moham[m]ed Medlum zu seinem Dienstgeber Josef Weidman anbelangt, ist auf die Sprachwirklichkeit in einer noch immer ländlich geprägten Gegend (Weinbauern, Gärtner; Tierhaltung und noch rudimentäre Feldwirtschaft im XIII. Bezirk des 19. beziehungsweise beginnenden 20. Jahrhunderts außerhalb adeliger Kreise, insbesondere in Ober Sankt Veit, das mit 1. Jänner 1891 gegen den Willen einer gar nicht so kleinen Minderheit Wien eingemeindet wurde) hinzuweisen. Es war noch in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts in Niederösterreich üblich, Kinder und Jugendliche über deren familiäre Zugehörigkeit oder jene zu einem "Haus"[6] folgendermaßen zu befragen: "Wem g’hörst?" Mit dieser ländlich grundgelegten Sprachpraxis wird die für den Städter des beginnenden 21. Jahrhunderts anstößig erscheinende Bezeichnung "Weidman-Murl" "entschärft", aus dem Gesichtswinkel einer doch realitätsbezogenen Einschätzung akzeptabel und im Hinblick auf Authentizität und sprachliche Griffigkeit sogar unverzichtbar!

3. Die relative Dichte von Afrikabezügen im (heutigen) 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing

Der wohl bekannteste Hietzinger Afrikareisende war der in Ober Sankt Veit, dem alten Sankt Veit an der Wien, in der heutigen Schweizertalstraße 16[7], am 7. Juni 1857 geborene Rudolf Karl Slatin, gestorben in Wien am 4. Oktober 1932. Das bewegte Leben des aus einer jüdischen Familie stammenden Katholiken, der im Dienste der anglo-ägyptischen Armee Militärgouverneur der Provinz Darfur wurde, im Jahr 1883 in die Gefangenschaft des Mahdi geriet, zum Islam übertrat und erst 1895 die Freiheit wiedererlangte, in den Jahren 1900-1914 die Funktion des britischen Generalinspektors ausübte, ist bestens dokumentiert (s. Pkt. 7 Quellen). Slatin Pascha, der sich bei Beginn des 1. Weltkriegs schmerzlich zwischen seiner Heimat Österreich und dem geliebten Goßbritannien entscheiden musste, erwies sich als Patriot und stand sodann als einfacher Leutnant der Kriegsgefangenenhilfe des österreichischen Roten Kreuzes vor. Erst Jahre nach Kriegsende vermochte Slatin seine guten Kontakte zu London zu reaktivieren. Slatin wurde im Jahre 1932 im Beisein des früheren Bundespräsidenten Michael Hainisch, des britischen Botschafters in Wien, von Generälen, Diplomaten, Aristokraten und einer großen Menschenmenge am Ober Sankt Veiter Friedhof zur letzten Ruhe gelegt (Berg: 102) Seine Orden und Ehrenzeichen waren Legion, ein Ehrengrab, nicht einmal ein unbetreutes, erhielt er nicht - im Gegensatz zum verwöhnten Freiherrn von Appel!

Ferner ist Friedrich Julius Bieber, geboren am 24. Februar 1873 in Wien, der vom Jahre 1901 bis zu seinem Tode am 3. März 1924 im Hause 1130 Wien, Auhofstraße 144-144a gewohnt hatte, als Ober Sankt Veiter Afrikaforscher von Rang zu nennen. Der Autodidakt Bieber erforschte als erster das Kaffa - Reich in den Jahren 1905 und 1909; zwei Bände über Kaffa erschienen 1920 - 1923 und dokumentierte seine Forschungsarbeit; seine reichhaltige Sammlung befindet sich im Volkskundemuseum in Wien. Das Bezirksmuseum Hietzing[8] am Hietzinger Platz hat sich gleichfalls seiner Tätigkeit angenommen und verfügt über interessante Exponate. Die Geographische Gesellschaft hat an seinem Wohnhaus eine Tafel mit nachstehender Inschrift und eine Umrissskizze von Afrika, auf der "Kaffa" hervorgehoben ist, anbringen lassen: "In diesem Haus wohnte von 1901 bis zu seinem Tod 1924 der österreichische Afrikaforscher Friedrich Julius Bieber. Seine Lebensarbeit galt der Erforschung des Kaiser-Gott-Reiches Kaffa in Südäthiopien".

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Witwe nach dem böhmisch-österreichischen Afrikaforscher Dr. med. Emil Holub, geboren am 7. Oktober 1877 in Holice/Holitz (bei Pardubice/Pardubitz), gestorben in Wien, am 21. Februar 1902, in Wien XIII, Wattmanngasse 8 wohnte; ihr Name war Rosa Holub, geborene Hof. Ihr Vater wurde als verdienstvoller Inspector der Rotunde[9] bezeichnet; sie selbst begleitete ihren Mann auf seiner zweiten Afrikareise. Rosa Holub widmete dem Hietzinger Bezirksmuseum Erinnerungsstücke an ihren Mann im Herbst 1952[10], aus denen auch hervorgeht, dass die Tschechoslowakische (Sozialistische) Republik seinen 50. Todestag, den 21.2.1952, feierlich beging und aus diesem Anlass Gedenkmarken herausbrachte.

Es ist zweifellos bemerkenswert, dass vor und um die Jahrhundertwende (19./20. Jh.) auf kleinem Raum verhältnismäßig viele Afrikabezüge im 13. Wiener Gemeindebezirk, und vor allem in (Ober) Sankt Veit gegeben sind. Wie bereits erwähnt hat der Wiener "Großindustrielle" Josef Weidman, Mäzen Richard Wagners, Freund Charlotte Wolters, Pferde- und Kunstliebhaber (Berg: 49), der zahlreiche Reisen unternahm, so zur Eröffnung des Suezkanals, aus Oberägypten einen jungen "Diener" nach Wien mitgebracht, ihm "eine gute Erziehung, Unterhalt und Pflege" verschafft: dass diesen "Wohltaten" die vielfältigen Dienstleistungen des Ägypters entgegenstehen, sei nur am Rande und als Ausfluss der "paternalistischen" Einstellung des Fabrikanten (kritisch)[11] vermerkt. Weidman, in dessen Haus auch die Kaiserin Elisabeth ("Sisi") und der tragische Thronfolger Rudolf zu Gast waren, stand mit Rudolf Slatin in Kontakt, den er in seinem im Schweizer Stil[12] gehaltenen Blockhaus ("den Huben") so wie die "Gnädige Frau", die Freundin des Kaisers und Burgschauspielerin Katharina Schratt und zahlreiche Persönlichkeiten aus Kunst[13] (und Wissenschaft), empfing. In diesem Zusammenhang ist für unser Thema naheliegender Weise die Beziehung zwischen Slatin-Pascha und Josef Weidman von Bedeutung, wobei die Annahme nahe liegt, dass die beiden Afrikakenner wohl nicht nur belanglose Höflichkeiten ausgetauscht haben werden. Die "Huben", der "Landsitz" Josef Weidmans war reicher als seine Hietzinger Villa (Hietzinger Hauptstraße 6) mit Altertümern aus aller Welt bestückt (Berg: 49), Kunstwerke aus Afrika, jedenfalls dem von Weidman bereisten Ägypten, durften dabei nicht fehlen.

Josef Weidman nahm wie sein allerhöchster Herr, Kaiser Franz Joseph, an der feierlichen Eröffnung des Suezkanals im Jahre 1869 teil (s. oben), zu der ja bekanntlich Verdi sein Auftragswerk[14] schrieb; der Fabrikant galt als weltgewandt (Blatt’l: 1) – heute würde man ihn wohl als Salonlöwen oder Mitglied der "Seitenblickegesellschaft" bezeichnen. In seiner Fabrik in Unter Sankt Veit, einer zu Beginn des 18. Jahrhunderts auf dem bislang landwirtschaftlich genutzten "Veitinger Feld" gegründeten Gewerbe (und Industrie) Siedlung, erzeugte der Fabrikant in der Feldmühlgasse 4-6 kunstgewerbliche Lederwaren, wie Handschuhe und Taschen; er kultivierte bei der kunstgewerblichen Herstellung von Galanteriewaren den sogenannten "Grolierstil" aus Frankreich, entdeckte Marktnischen, die dem Geschmack der Wiener entsprachen und brachte das von seinen Eltern ererbte Unternehmen wirtschaftlich wie kunstgewerblich in die Höhe (Berg: 48). Während die industrielle Massenproduktion viele Gewerbetreibende, insbesondere im Kunstgewerbe, in den Konkurs trieb, gelang es Josef Weidman nicht nur, sich im harten Konkurrenzkampf zu behaupten, dem Verdrängungsprozess zu widerstehen, sondern wirtschaftlich und gesellschaftlich einen vielbeachteten Aufstieg zu erleben; er förderte die Künste, galt sogar als Mäzen Richard Wagners und überragte andere Gewerbetreibende und Fabrikanten Unter Sankt Veits bzw. Hietzings auf ökonomischem Gebiet und erfreute sich eines hohen gesellschaftlichen Ansehens. So war es durchaus standesgemäß, dass Weidman sich für seine Einladungen und Feste einen exotischen Diener hielt, der die Attraktivität seiner gesellschaftlichen Veranstaltungen in einer Zeit, die alles Exotische schätzte, noch hob. Die Ehe Josef Weidmans blieb kinderlos, der Ehegattin wird eine Liaison mit dem exilierten König von Hannover, dem Herzog von Cumberland[15], nachgesagt (Berg:49); dennoch setzte Josef Weidman, der im Jahre 1905 starb, seine Frau Julie zur Universalerbin ein – auf ein Vermächtnis für Moham[m]ed Medlum wird unter Punkt 5 noch näher einzugehen sein -, wobei nach deren Ableben das beträchtliche Vermögen, darunter größere Liegenschaften unterhalb der Tiergartenmauer in der Katastralgemeinde Ober Sankt Veit, an die Schwester Julie Weidmans, Johanna Berg[16], fielen.

Es erhebt sich nun die Frage nach den Wurzeln der Orient- bzw. Afrikafaszination in Wien bzw. seinen Hietzinger Randgemeinden; hier ist fraglos die Wiener Weltausstellung des Jahres 1873 zu nennen, die die Orientbegeisterung in der Reichshaupt- und Residenzstadt beflügelte. Eine ältere Quelle des Faszinosums Orient in weitesten Sinne ist wohl in den – oft kriegerischen – Kontakten zum Osmanischen Reich zu sehen – so kamen im Kielwasser der 2. Wiener Türkenbelagerung nach dem Entsatz der Stadt im Jahre 1683 beträchtliche Kunst- und vor allem Gebrauchsgegenstände aus türkischem Besitz in österreichische Hand.

Wie sehr die Afrika-, bzw. im nachstehenden Fall, Orientbezüge verschränkt sind und immer wieder im XIII. Wiener Gemeindebezirk rekurrieren, zeigt das folgende Schicksal der ursprünglich Weidmanschen Liegenschaften im Ober St. Veit. Johanna Berg verkaufte den 33.400 m² großen "Landsitz" bereits im Jahre 1907 an die Gemeinde Wien, die den Besitz dem Grüngürtel zuordnete und an den Gastwirt Adolf Doll verpachtete, der das seinerzeit weithin bekannte "Weinhaus Doll" am Stock im Weg eröffnete. Dolls Begeisterung für Türkenzelte aus der Zeit der 2. Wiener Belagerung des Jahres 1683 war legendär und brachte den "kompulsiven" Sammler in arge finanzielle Bedrängnis. (Heute freilich ist der Orient- bzw. Afrikabezug des an dieser Stelle betriebenen Gasthauses zum Lindwurm durch [pseudo-] mythologische Hinweise – eine "alte" Sage wurde reaktiviert - verdrängt). Das "Stammhaus" des Weidmanschen Landsitzes, in dem dereinst Moham[m]ed Medlum die Gäste seines Dienstgebers betreute, fiel im Jahre 1963 der Spitzhacke zum Opfer. (Blatt’l: 2) Die Beziehungen zum Orient sollten trotz des kriegerischen Charakters der Auseinandersetzungen mit der Hohen Pforte auch zu einem kulturellen Austausch führen der auch räumlich über das Osmanische Reich hinausging. Die Faszination, die der hochgebildete Schwarze Angelo Soleiman, Mitglied einer Wiener Freimaurerloge, auf die Wiener ausübte, bewahrte ihn nicht davor, dass nach seinem Tode sein Leichnam konserviert wurde und bis zu dessen Verbrennen in den Wirren der Revolution des Jahres 1848 zum Exponat verkam.

Es stellte sich nun die Frage, warum gerade in Hietzing und in ganz besonderer Weise in (Ober) St. Veit eine signifikant höhere Dichte der Afrikabezüge als anderswo in Wien festzustellen ist. Eine (bloß) vordergründig platte, letztlich wohl doch überzeugende Erklärung läge wohl darin, dass sich – außerhalb (hoch)adeliger Herrschaftssitze in der Nähe von Schönbrunn – ein geistig-kulturell interessiertes Bürgertum in der noch dörflich intakten Randlage der Großstadt angesiedelt hat, bzw. in Villen unter Ausnützung der historisch gewachsenen ländlichen Strukturen, die Sommerfrische im lieblichen Sankt Veit an der Wien bzw. im "schönsten Dorf Europas", wie (Alt-) Hietzing oftmals bezeichnet wurde, verbrachte und sich schließlich hier, im Dunstkreis der kaiserlichen Sommerresidenz Schönbrunn angesiedelt hat, eine gesellschaftliche Schicht, die in der Gründerzeit wirtschaftlich erfolgreich war – wie Weidman, oder gar nobilitiert wurde wie Slatin – oder jedenfalls wie der Buchhändlerlehrling Bieber "upwardly mobile", als ein kulturell interessierter Aufsteiger über seine ursprünglich bescheidenen sozialen Anfänge "hinauswuchs", stellte also im 13. Wiener Gemeindebezirk eine zugewanderte Neuschicht dar, die mit der alteingesessenen Bevölkerung der Winzer, Milchbauern und, vor allem in Unter Sankt Veit, der Kleingewerbetreibenden zusammenwuchs. Der Hochadel war hier freilich spärlich gesät, wiewohl es auch Ausnahmen gab: so war die Enkelin Kaiser Franz Joseph´s, die Gräfin Seefried, im Hause Nr. 80 der Hietzinger Hauptstraße (Unter St. Veit(!)), unweit der Weidmanschen Betriebsstätte, domiziliert und ist auch dort von der großväterlichen Majestät besucht worden. So war es vor allem der Brief- und Beamtenadel sowie großbürgerliche Kreise, "in statu"- oder besser "in spe" nobilitatis, der die ländlichen bereits in Auflösung befindlichen agrarischen[17] Strukturen überschichtete. In den "betuchten" Bürgerschichten waren die materiellen Voraussetzungen für Orientreisen gegeben. Anregungen solche auch zu unternehmen, boten die nahe Menagerie, der alt ehrwürdige Barocktiergarten in Schönbrunn, der botanische Garten und das Palmenhaus mit den exotischen Pflanzen; letztlich wirkte ja auch Baron Hügel, der große Botaniker und insbesondere Dendrologe (Hügelpark, Hügelgasse) im Bezirk. Die Malereien eines Bergl im Schloss Schönbrunn, im allerdings kaum zugänglichen Ober St. Veiter Schloss (und im etwas ferner gelegenen Schloss Laudon [14. Bezirk] befassten sich mit exotischer Fauna und vor allem Flora. Ob darüber hinaus der so ungemein schwer zu fassende "genius loci" zu einer "Siedlungsverdichtung" Orientbewegter in dieser Gegend geführt haben mag, wäre allenfalls Gegenstand einer weiteren, umfassenderen Untersuchung, die sich mit möglichen – wohl sehr wahrscheinlichen – wissenschaftlichen und persönlichen Beziehungen der Afrikainteressierten eingehender zu befassen hätte, als die bereits oben erfolgten Ausführungen über die gesellschaftlichen Kontakte Weidmans mit Rudolf Slatin. Es ist natürlich eine Banalität in der Ansiedlung der "Afrikaforscher" im Hietzinger Raum ein Prestigestreben zu erblicken, den Wunsch, sein Domizil in angenehmer Umgebung aufzuschlagen, "gesellschaftlich untereinander zu bleiben", im Dunstkreis von Schönbrunn zu leben, der Umstand hingegen, dass andere "Nobelbezirke" wie Döbling und Währing, dieses Phänomen der Siedlungsfrequenz nicht kennen ist m. E. mit dem Fehlen der kaiserlichen Präsenz allein nicht zu erklären; so wird neben den oben genannten Gründen wohl auch der Zufall seine Rolle gespielt haben.

Der Umstand freilich, dass die vom "Museum Wien" in Kooperation mit der Residenzgalerie Salzburg vom 16. Oktober 2003 – 12. April 2004 in der Hermesvilla im Lainzer Tiergarten[18] veranstaltete Ausstellung unter dem Titel: "Orientalische Reise, Malerei und Exotik im späten 19. Jahrhundert" abgehalten wurde, ist wohl nur dem Faktor Zufall zuzuschreiben; andere Interpretationen wären überzogen.

4. Die Quellen und deren Nutzungen – ein geraffter Werkstattbericht

Während, wie bereits ausgeführt, im Falle von Rudolf Slatin Pascha, Friedrich Julius Bieber und natürlich Emil Holub, dessen Verbindung zum XIII. Bezirk durch seine Witwe Rosa gegeben ist, eine zufriedenstellende Dokumentation ihrer Arbeit und ihres Lebens erfolgte, ist dies bei dem weitgehend unbekannten Ägypter Moham[m]ed Medlum durchaus nicht der Fall. Die Quellen fließen bei dem aus Oberägypten nach Wien verbrachten, zunächst als Diener/Faktotum in den Diensten seines "Entdeckers" Josef Weidman gestandenen jungen Mannes, äußerst spärlich. Zunächst soll hier das Buch aus der Feder des Neffen des bahnbrechenden Komponisten Alban Berg, Erich Alban Berg genannt werden: "Als der Adler noch zwei Köpfe hatte. Ein Florilegium, 1858-1918. Mit 173 Abbildungen, 38 in Farben. Graz, Wien, Köln: Edition Kaleidoskop im Verlag Styria. 1980, 211 S.". Das dritte Kapitel dieses heute vergriffenen Werkes mit dem Titel "Wiens Bürgertum - Eine kleine Auswahl von großen Originalen" (S. 48-64) befasst sich u.a. mit der Persönlichkeit Josef Weidmans und seiner Familie und mit seinem Diener Moham[m]ed Medlum. Weitgehend darauf aufbauend ist in einer nicht–periodischen und auch nicht–verlegten Zeitschrift[19] der Kaufleute Ober Sankt Veits, die in vielen Geschäften aufliegt, mit dem Titel "Blatt’l" (Gute Nachrichten aus Ober Sankt Veit), 21. Ausgabe Frühjahr 2004 auf den Seiten 1-2 (und 7) unter der Überschrift "Stock im Weg" ein Artikel über Josef Weidman und Moham[m]ed Medlum abgedruckt; dieser ist mit dem Pseudonym "malestris"[20] gezeichnet, hinter dem sich der Ober Sankt Veiter Dr. Josef Holzapfel verbirgt; Bilder aus dem Hietzinger Bezirksmuseum und der Wiener Stadt- und Landesbibliothek illustrieren den Textteil. Eine Aufnahme, die zur Zeit im Bezirksmuseum in Verstoß geraten sein dürfte, soll nach detaillierten Aussagen von Lokalhistorikern Medlum, der mit gekreuzten Armen hinter dem kutschierende Ehepaar Weidman gesessen ist, zeigen. Der oben angeführte Buchautor Erich Alban Berg, berichtet hiezu: "Aus Oberägypten bringt er [Weidman] sich einen jungen Diener nach Wien mit: Mohamed [sic] Medlum. In Wien ist Mohamed bald als der "Mohr von Hietzing" populär, denn er bedient nicht nur bei Tisch die Gäste, die bei Weidman aus– und eingehen, sondern sitzt in seiner goldausgestickten Tracht, den roten Fez am Kopf, mit gekreuzten Armen jeweils hinter dem kutschierenden Herrn und dessen Frau, wenn ausgefahren wird: im Phaeton oder im zweirädrigen Sportcoupé, im Landauer oder im großen Überlandwagen, der meist vierspännig gefahren wird. Der Mohr Mohamed[21] ..... (Berg: 48) "Später wurde der Ägypter Importkaufmann" (a.a.O.) berichtet Berg und liefert hiermit die einzige Quelle für diesen "Berufswechsel". Schon das journalistische Ethos verlangt, dass ein "double-check", ein Verifizieren der Aussage bloß einer Quelle unerlässlich ist, umso mehr ist es geboten im Sinne der intellektuellen Redlichkeit, jedenfalls den ernsthaften Versuch anzustellen, der Angelegenheit nachzugehen. Daher wurde zunächst in der Wiener Wirtschaftskammer, Wien I, Stubenring an verschiedenen Stellen nachgefragt, bis Frau Mag. Dezzele die Auskunft erteilte, dass alle einschlägigen diesbezüglichen Unterlagen sich in der Bundeswirtschaftskammer befänden. Rückfragen bzw. Recherchen ergaben dort allerdings, dass keine Aufzeichnungen über einen (Import) Kaufmann Moham[m]ed Medlum bzw. eine Handelsgesellschaft, in deren Bezeichnung dieser Name enthalten ist, vorliegen: es wurde allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Medlum unter einer anderen Firma (Bezeichnung) als (Import) Kaufmann faktisch tätig gewesen sein könnte. Eine eingehendere Suche nahm der Verfasser dieser Seminararbeit in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek (Wien XI, Gasometer) vor, in der das Wiener Adressverzeichnis ("Lehmann") auf Mikrofiches zur Verfügung steht. Die Recherche ergab, dass Mohamed (sic) Medlum im Jahre 1912, sieben Jahre nach dem Ableben des Ehepaares Weidman, in Wien III, Lagerg. 6, also unweit des Akademietheaters, seinen ordentlichen Wohnsitz innehatte. Bereits zwei Jahre später, und bis zum Jahre 1918, wohnte Medlum, dessen Vorname auf Mohammed [!] geändert aufscheint[22] in Wien III, Reisnerstr. 37. Hiezu ist zu bemerken, dass der "ordentliche Wohnsitz" als Mittelpunkt der Lebensinteressen definiert wird, die Wohnung aber natürlich nicht mit dem Ort der Berufsausübung ident sein muss. Eine Berufsangabe findet sich aber im "Lehmann" nicht. Ein weiterer Suchvorgang führte zu den Totenbeschauprotokollen, wobei im Hinblick darauf, dass nach dem Jahre 1918 im Adressverzeichnis keine Angabe über Medlum gefunden werden konnte; das Totenbeschaubuch bzw. die Totenbeschauprotokolle sind im Wiener Stadt- und Landesarchiv verfilmt im Benutzersaal zugänglich und nach drei Ordnungskriterien zu erschließen. Zunächst alphabetisch, doch lediglich nach dem ersten Buchstaben des Familiennamens, sodann chronologisch nach dem jeweiligen Kalendertag und schließlich topographisch-territorial, da jeweils getrennte Totenbeschaubücher für verschiedene Gebiete Wiens geführt werden (Innere Stadt, hiermit das historische Wien, die Vorstädte, sohin die Bezirke innerhalb des Linienwalls bzw. des Gürtels usw.). Da eine Gesamtindexierung nicht erfolgt ist, sind die einzelnen Totenbeschauprotokolle auf dem Bildschirm sequentiell zu prüfen, was für den Benützer im Fall von Sehbehinderungen nicht nur beschwerlich ist, sondern allenfalls zu Missinterpretationen bei der Datenerfassung führen kann. In keinem Teil der zeitrelevanten Protokolle konnte ein Moham[m]ed Medlum ausgemacht werden, sodass nur gemutmaßt werden kann, ob der Gesuchte anderweitig verzogen - etwa nach Kriegsende zurück in seine Heimat? - oder anderswo verstorben ist.

Einen weiteren Ansatz für eine Recherche bieten Telefonbücher, da im Falle eines (Import-) Kaufmannes, auch in jener Zeit, wohl mit der Installierung eines Fernsprechers aus beruflichen Gründen schon hätte gerechnet werden können. Vom Wiener Stadt- und Landesarchiv wurde diesbezüglich auf die Wiener Stadt- und Landesbibliothek verwiesen; dort befinden sich nur die Wiener Telefonbücher ab dem Jahre 1941, sodass nur noch die Österreichische Nationalbibliothek, die widmungsgemäß sämtliche in Österreich gedruckten bzw. verlegten Publikationen zu archivieren hat, im wissenschaftlichen Bibliothekswesen als Repositorium dieser Nachschlagwerke in Betracht kam; leider, wie ein weiterer Suchschnitt ergab, sind auch hier die Telefonbücher der österreichischen Bundeshauptstadt nicht lückenlos vorhanden, sondern lediglich seit dem Jahre 1938. Eine persönliche Vorsprache in der Postdirektion, Österreichische Post AG, 1011 Wien, Postgasse 8 ist zunächst daran gescheitert, dass die zuständige Referentin nur halbtags beschäftigt ist; telephonische Kontaktnahmen erbrachten sodann die befremdliche Mitteilung, dass die dortige Amtsbibliothek nicht mehr zugänglich ist. Auf Grund der Bereitschaft der längst im Ruhestand befindlichen beamteten Direktorin können aber Auskünfte, die im Hinblick auf ein begründetes Interesse gewünscht werden, entgegenkommender Weise doch gewährt werden; diese im Ruhestand befindliche Ministeralrätin sei aber auf Urlaub! Es ist hier nicht der Ort den Rückzug des Staates – "lean government" – zu kommentieren, doch soll dankbar erwähnt werden, dass die Referentin, meine teilzeitbeschäftigte Kontaktperson, die besondere Freundlichkeit besaß, die extralozierten Bestände entgegenkommender Weise durchzusehen, die Telefonbücher zwischen 1913 und 1920 zu überprüfen und mir umgehend mit Datum 13.4.2004 brieflich mitzuteilen: "...habe ich in den Wiener Telefonbüchern nachgesehen und nach Herrn Moham[m]ed Medlum gesucht. Leider bin ich nicht fündig geworden!" Die Freundlichkeit der Dame kann auch daran gemessen werden, dass sie ihre Abteilung als "Businessinformation Center" angab, ich aber redlicherweise a priori bedeutete, diese Daten für eine universitäre Seminararbeit zu benötigen!

Die in beinahe epischer Breite geschilderten Verfahrensschritte bei der Recherche sind im Sinne eines Werkstattberichtes zu sehen und beleuchten einerseits die Modernität heutiger Informationsstellen - Einsatz von Mikroformen (Mikrofiche, Mikrofilm), der EDV u. a. m. anderseits aber auch die Engpässe, die sich durch "Privatisierungsvorbereitungen" und den hiermit gegebenen Zwang zur Kostenminimierung mit verbundener Einschränkung der einst viel gerühmten Benutzerfreundlichkeit ergeben. Positiv zu sehen ist jedoch der "menschliche Faktor", die persönliche Liebenswürdigkeit und die Einsatzfreude der in Informationsstellen (Bibliotheken, Archiven, Registraturen u. ä.) Beschäftigten.

5. Moham[m]ed Medlum – Diener und Importkaufmann?

Die oben (Pkt 4) skizzierte spärliche Quellenlage lässt die Verfassung einer auch nur approximativen Biographie Moham[m]ed Medlums nicht zu; es entsteht der fatale Eindruck, dass die wenigen relevanten Dokumente mehr über das Umfeld bzw. die Kontaktpersonen Medlums aussagen als über ihn selbst. Seine Bedeutung für das gesellschaftliche Ansehen des betuchten, erfolgreichen und reisefreudigen Josef Weidman liegt auf der Hand. Der Oberägypter ist herzeigbar, auch ein konkreter, sinnfälliger "Beweis" für die Orientreisen seines Dienstgebers, zeugt von dessen Weltgewandtheit und Wohlstand, vermittelt also das Bild einer bürgerlichen Gastlichkeit, die es der aristokratischen Hofhaltung gleichtun möchte; der Afrikaner selbst ist in jeder Weise in dienender Stellung; ob er vom vordergründigen Glanz des Josef Weidman zu profitieren vermochte, muss zunächst dahingestellt bleiben: Sollte er, wie Erich Alban Berg festhielt, es nach dem Tode Weidmans, der ihn großzügig testamentarisch bedachte – "...setzt ihm der Geschäftsmann eine Schenkung von 170 000 Kronen und monatlich 400 Kronen aus" (Berg: 48) – zum Importkaufmann gebracht haben, wofür es bislang keine unabhängige Bestätigung gibt, so könnten es neben der finanziellen Ausstattung Medlums durch seinen Dienstherrn auch allfällige Kontakte gewesen sein, die der Afrikaner im Rahmen des großen Bekannten – und Freundeskreis der Weidman angeknüpft hatte. Der Einwand, dass die adeligen und großbürgerlichen Gäste wohl kaum mit einem Diener mehr als situativ nötig gesprochen haben werden, ginge ins Leere, war doch Medlum ein Exot, sohin interessant und eines Gespräches durchaus würdig. Auffallend ist, dass die Recherchen im Rahmen dieser Arbeit erbracht haben, dass Medlum im bürgerlichen und "diplomatischen" 3. Bezirk[23] über einen ordentlichen Wohnsitz verfügte, denn Bettgeher und Untermieter finden im "Lehmann" als instabiles Element keine Berücksichtigung. Die Reisnerstraße etwa beherbergt wichtige und architektonische ansprechende Botschaftsgebäude. Moham[m]ed Medlum, so hat es jedenfalls den Anschein, war in der Lage ein auskömmliches Leben zu führen, nahm offensichtlich auch am politischen Geschehen Österreichs Anteil; so meldet Erich Alban Berg: "... zuletzt habe ich mit ihm auf dem menschenüberfluteten Opernring gesprochen, als ganz Wien am Abend auf den Beinen oder zu Pferd war, um im Mai 1915[24] die Wiedereroberung von Lemberg und Przemysl zu feiern." (Berg: 48)

Mangels verlässlicher Quellen wird so manches im Leben des Moham[m]ed Medlum im Dunkeln bleiben; über sein "Vorleben" in Oberägypten bzw. die Zeit nach dem Jahre 1918 kann aufgrund des jetzigen Informationsstandes bestenfalls gemutmaßt werden; solche nur auf unzureichenden Überlegungen beruhende Annahmen sind ins Reich des Spekulation zu verweisen. Eine umfassende Quellensuche auf verschiedensten Ebenen könnte allenfalls im Rahmen eines Projekts mit längerem Zeithorizont – Diplomarbeit, Dissertation – bzw. in Zusammenarbeit mehrerer Forschenden erhofft werden. Allenfalls könnte eine interdisziplinäre Suche nach mittelbaren Quellen – publizierte und auch nicht-veröffentlichte Berichte, Chroniken u. ä. – aus der Zeit des beginnenden 20. Jahrhunderts, die das Wiener Gesellschaftsleben, Handelsbeziehungen zum Orient und einschlägige Themen betreffen – vornehmlich hinsichtlich des 13. und allenfalls des 3. Wiener Gemeindebezirkes – zu "Zufallstreffern" führen.

6. Das "kollektive" Gedächtnis der Lokalhistoriker

Die längst fällige Generalsanierung der Weidman-Kapelle im (Ober) St. Veiter Gemeindewald, die zur Zeit von der Magistratsabteilung 49 vorgenommen wird, hat halbverschüttetes Wissen um die Entstehungsgeschichte dieser Andachtsstätte, die in der heutigen säkularisierten Welt ihren religiösen Bestimmungszweck weitgehend verloren hat, wieder in das Bewusstsein der lokalen Bevölkerung gehoben. Stifter dieses Kleindenkmals, dem jedenfalls widmungsgemäß der Charakter eines "heiligen Ortes"[25] zukommen sollte, war der Fabrikant Josef Weidman, der die Kapelle in einer Epoche inniger Volksfrömmigkeit und eines "Kapellenbooms" errichten ließ, zur größeren Ehre Gottes und/oder, um sich selbst ein Denkmal zu setzen, jedenfalls einen Ort der Ruhe und der Besinnung für beschauliche Spaziergänger und müde Wanderer geschaffen hat. Der gründerzeitliche Unternehmer hatte eine Reihe von Akzenten gesetzt – wie eben den Kapellenbau und die Beschäftigung des Exoten Moham[m]ed Medlum, - die im kollektiven Gedächtnis alteingesessener (Ober) St. Veiter – und so mancher "Neubürger", die nicht minder an der Lokalhistorie ihres nunmehrigen Wohnortes Anteil nehmen – eine nachhaltige Rolle spielen. Noch kommt familiären Überlieferungen eine gewisse Bedeutung zu, bestanden doch bis in die 60er Jahre noch "Meiereien", wurde der letzte Weingarten erst vor etwa zwei Jahrzehnten aufgelassen, bestanden doch "echte" Heurige in der Zwischenkriegszeit und wurden noch nach dem 2. Weltkrieg die Kühe von ihren Weiden am Himmelhof am Abend in ihre Ställe heimgetrieben. Die Großeltern heute lebender Pensionisten berichteten ihren Enkeln vom "Weidman-Murl"[26], der aus dem tiefsten Afrika kam, dem Ort Farbe verlieh und eine lokale Sensation darstellte. Das "Dorf in der Stadt"; wie in der Werbung Ober St. Veit bezeichnet wird, ist heute eine durchaus zutreffende Charakterisierung des alten Grabenangerdorfes am längst kanalisierten Marienbach mit der Begrenzung durch die "Winzerzeile"[27] (heute Firmiangasse) und die "Bauernzeile" (nunmehr Glasauergasse). Nach einigen schmerzlichen Bausünden kam der "Ensembleschutz" gerade noch rechtzeitig, um den einheitlichen, dörflichen Charakters des Ortskerns zu wahren. Vereine sowie inoffizielle Gesprächsrunden, in enger Kontaktnahme mit dem Bezirksmuseum, halten ein (Ober) St. Veit Bewusstsein hoch; eine Reihe von Publikationen bezieht sich auf die Geschichte, auf Flurnamen u. v. a. m.. Die Bestrebungen, auch Weidman und seinen Murl nicht dem Vergessen anheim fallen zu lassen und so manches wieder in das volle Bewusstsein der Bewohner des Bezirkes zu heben, sind nicht zu übersehen.

7. Addendum zur Seminararbeit "Der Weidmann-Murl im Kontext von Hietzinger Afrikabezügen"

Binnen offener Frist wurden die Ergebnisse einer Anfrage (e-mail) an das Melderegister im Wiener Stadt- und Landesarchiv (Gasometer) unterbreitet.

Anfrage an Herrn Herbert Koch, Wiener Stadt- und Landesarchiv:
"Für ein Seminar an der Univ. Wien bitte ich um folgende dringliche Meldeauskunft:
MEDLUM, Moham[m]ed, zuletzt gemeldet lt. Mikrofiche des Adressverzeichnisses des Wiener Stadt- und Landesarchivs (im Gasometer) im Jahre 1918 in Wien III, Reisnerstr. 37. Wohin ist Medlum, ein Ägypter, verzogen? 1919 ist er nicht mehr zu orten.

Mit besten Dank im voraus
Hochachtungsvoll
DDr. Hellmut Lösch, 1130 Wien"

Beantwortung der obigen Anfrage:
"Die von Ihnen angefragte Person konnte in den polizeilichen Meldungen mit folgenden Daten nachgewiesen werden:

Mohamed Medlum Mazloum, geb. am 11.7. 1871 in Dourrgula, Oberägypten, dorthin zuständig, ledig, Mohammedaner, Gesellschafter der Mazloum G.m.b.H., gemeldet ab 6.5.1914 in 3. Reisnerstr. 37/12 (vorher: 3. Lagerg.6), abgemeldet am 28.6.1917 nach 4. Hechtengasse 14 (hierzu keine eigene Meldung) gestorben am 7. 2. 1918 in Wien.

Mit freundlichen Grüßen
Herbert Koch"

Zunächst weist die Anfragebeantwortung auf den zusätzlichen Namensteil "Mazloum" hin, gibt ferner die Geburtsdaten - 11.7.1871 und den Geburtsort in Oberägypten – Dourrgula – an, bestätigt die vorherige Wohnanschrift - Wien III, Lagergasse 6 – und weist schließlich auf die Abmeldung mit 28.6.1917 (sic!) nach Wien IV, Hechtengasse 14 hin, wie auch auf das Todesdatum von Mohamed Medlum am 7.2.1918 in Wien, (wie in der Seminararbeit bereits ausgeführt, konnte eine Eintragung im Totenbeschaubuch nicht festgestellt werden.)

Handelt es sich bei der gegenständlichen Anfragebeantwortung zum einen um zusätzliche Informationen, die bislang offenbar nicht publiziert wurden, so ist zum anderen die auf dem "Lehmann" beziehende Feststellung, dass Medlum noch 1918 in der Reisnerstr. 37 (jetzt erfolgte die Zusatzinformation: [Tür] 12) gewohnt hätte, zu ändern.

Die Feststellung, dass M. Medlum Importkaufmann war (lt. Erich Alban Berg: S. 48) wird erhärtet, die Vermutung von Frau Mag. Dezzele (Seminararbeit a.a.O.), dass Moham[m]ed Medlum unter einem anderen Namen (Firma) – hier "Mazloum G.m.b.H." – kaufmännisch tätig war, bestätigt. Ferner erfolgt in der Anfragebeantwortung der Hinweis, dass Medlum nach Dourrgula, Oberägypten, zuständig, ledig und [nach wie vor] Mohammedaner war.

Hiermit sind gegenüber den spärlichen gedruckten Quellen über Moham[m]ed Medlum Mazloum durch die nunmehrigen Zusatzinformationen bereits die, allerdings schemenhaften, Umrisse einer Biographie des Ägypters zu erkennen.

Wien, 27. Mai 2004

8. Fußnoten

1) Julie, geborene Braun, Tochter des Hofjuweliers Franz Xaver Melchior Braun
2) bei Julius Hirt: 15 "Mohrl"
3) Dialektwörterbuch
4) Strenge Vegetarier, insbesonders "vegans", die auch den Verzehr von Tierprodukten kriminalisieren, verhalten ihre Anhänger in den USA und Großbritannien nicht von "eggs, sondern von "stolen things" oder "stolen goods" zu sprechen 5) William Shakespeare
6) s. Otto Brunner: "Das ganze Haus".
7) In demselben Haus wurde eine Gedenktafel folgenden Inhalts angebracht: "In diesem Haus starb am 22. November 1911 der österreichische Dichter Wilhelm Freiherr von Appel, der Begründer der "Muskete" im Alter von 36 Jahren". Ein Hinweis auf (die Geburt von) Slatin fehlt!
8) Kustos: Felix Steinwandtner
9) "Illustriertes Wiener Extrablatt", Dienstag, 15. Februar 1887, S.1 (Holub-Konvolut)
10) Die Reisen Holubs sind durch seine Werke gut dokumentiert: "Sieben Jahre in Afrika", 2Bde, 1880; "Von der Capstadt (sic) ins Land der Mashukulumben", 2Bde, 1888
11) Im folgenden (Pkt 5) wird auf die Stellung M. Medlums näher einzugehen sein
12) Diese und andere "chalets", im Schweizer-Stil gehaltene Villen, waren wohl für die Benennung der bereits erwähnten "Schweizertalstraße" kausal.
13) Stark vertreten war auch die Wiener Architektenszene; der Akademieprofessor Christian Griepenkerl, jener der Adolf Hitler die Eignung für ein Studium absprach, porträtierte Julia Weidman
14) Aida
15) Dessen Palais heute das Reinhardt-Seminar bzw. die tschechische Botschaft beherbergt; dieses Palais befindet sich bereits nördlich der Wien im heutigen XIV. Bezirk; nach dem "Anschluss" wurde im Rahmen des Reichsgaues Groß-Wien der nördlich des Wienfluss gelegene Bezirksteil aus dem XIII. Bezirk ausgegliedert; lediglich das gemeinsame Amtshaus für den XIII. und XIV. Bezirk erinnert an die einstige "Einheit"
16) Johanna Berg ist die Mutter des Komponisten Alban Berg
17) Der Übergang von landwirtschaftlich genutzten Boden zu heutigen weitgehenden Verbauung stellten die großen Gärtnereien dar, daneben eben auch die bereits erwähnten Gewerbebetriebe und auch Fabriken (vielfach an der Wien, an Mühlbächen - s. a. " Feldmühlgasse " in Unter Sankt Veit); heute ist der Bezirk siedlungsmäßig weitgehend "entwirrt", die Betriebe größtenteils abgesiedelt
18) die seit dem Jahre 1954 zum XIII. Wiener Gemeindebezirk ressortiert, ursprünglich für Kaiserin Elisabeth erbaut wurde und heute noch den Geist Hans Markarts atmet, der vom "Exotismus" beeinflusst war
19) Druckwerke, wie Zeitschriften, "fact – sheets", "folders", Prospekte, Werbematerial u.ä. werden, so sie nicht verlegt sind bzw. nicht im Buchhandel erhältlich im Verzeichnis lieferbarer Bücher [VLB] aufscheinen als "Graue Literatur" bezeichnet, die Erfahrung zeigt, dass aber auch hier zu verschiedensten Themen wertvolle Informationen, die mitunter anderswo nicht, oder nur schwer erhältlich sind, gegeben werden
20) Holzapfel heißt lat.-botanisch "malus sylvestris", "malestris ist also dessen Kontraktion
21) Sind im bisherigen Zitat gegenüber dem vorangehenden Text bereits "Redundanzen" gegeben, so sollen die folgenden relevanten Aussagen Bergs über Medlum systematischer Weise in Pkt 5 behandelt werden; die Frage, ob der "Mohr" tatsächlich nach dem Tode Weidmans als Importkaufmann tätig war, ist allerdings in diesem Punkt zu besprechen, da hier der "Werkstattaspekt" zum Tragen kommt.
22) Seit der Eintragung des Jahres 1914
23) Das Diktum Fürst Metternichs, dass am Rennweg der Balkan [und damit bereits der Orient] begänne, steht hiezu kaum im Widerspruch.
24) Wie oben ausgeführt, ist Medlum – laut meiner Recherche – noch 1918 in der Reisnerstraße 37 gemeldet.
25) Locus sanctus
26) So der Verfasser der "Chronik von Ober St. Veit", Julius Hirt (s. Pkt 7 Quellen) seiner Enkelin, Frau Dr. Liselotte Lösch, der Ehefrau des Verfassers dieser Seminararbeit
27) Urkundlich: Hauerzeile

Quellen:
Berg, Erich Alban: Als der Adler noch zwei Köpfe hatte. Ein Florilegium, 1858 – 1918. Graz, Wien, Köln: Edition Kaleidoskop im Verlag Styria 1980;
Blatt’l: 21. Ausgabe Frühjahr 2004 (IG Kaufleute Ober St. Veit, 1130 Wien, Hietzinger Hauptstr. 145);
(Hirt, Julius): Chronik von Ober St. Veit. Vergangenheit und Gegenwart. Wien 1955 (Selbstverlag). Neuauflage;
Kraft, Josef: Aus der Vergangenheit von Ober St. Veit. Wien 1952. Europ.- Verlag;
"Lehmann" 1912 -1920 (Mikrofiche-Ausgabe, Archiv [Wr. Stadt- und Landesarchiv, Gasometer]);
Slatin Pascha [i.e. Rudolf Slatin]: Zwischen Wüstensand und Königskronen. 1992;
Stradal, Otto: Der Weg zum letzten Pharao. 1954 [betr. Friedrich Julius Bieber];
Holub-Konvolut (Schenkung von Rosa Holub betr. das Wirken ihres Mannes Emil an das Bezirksmuseum Hietzing).

Mit freundlicher Genehmigung von Herrn DDr. Lösch ins Internet übertragen von hojos
im Juni 2007